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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.11.1995
Aktenzeichen: C-476/93 P
Rechtsgebiete: EG-Satzung, Verordnung (EWG) Nr. 986/68 vom 15. Juli 1968


Vorschriften:

EG-Satzung Artikel 49
Verordnung (EWG) Nr. 986/68 vom 15. Juli 1968
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Sowohl was die Wiedereinziehung von im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik zu Unrecht gezahlten Beträgen nach der Verordnung Nr. 729/70 als auch was die Nacherhebung nicht erhobener Eingangsabgaben nach der Verordnung Nr. 1697/79 angeht, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Gemeinschaftsvorschriften durchzuführen und ° vorbehaltlich der durch das Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen ° nach den Vorschriften und Modalitäten des nationalen Rechts gegenüber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern die erforderlichen Einzelentscheidungen zu treffen.

Zwar sind zur Verstärkung der Bekämpfung der Unregelmässigkeiten die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen der Kommission und den nationalen Stellen durch die Verordnung Nr. 595/91 unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen näher festgelegt worden, doch hat diese Verordnung das durch die Verordnung Nr. 729/70 eingeführte Kontrollsystem, in dessen Rahmen die Kommission nur eine ergänzende Funktion ausübt, nicht geändert. Durch die Verordnung Nr. 595/91 ist der Kommission keineswegs die Befugnis verliehen worden, im Bereich der Verhütung und Verfolgung von Unregelmässigkeiten oder Versäumnissen bei der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik verbindliche Handlungen gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern vorzunehmen. Diese Verordnung hat nur die Initiativbefugnis sowie die Informations- und Kontrollmöglichkeiten der Kommission in diesem Bereich erweitert.

Schließlich bestätigt Artikel 209a des Vertrages in vollem Umfang, daß die Verantwortung für die Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, bei den Mitgliedstaaten liegt.

2. Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages gegeben ist, sind nur diejenigen Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen. Dies ist nicht der Fall bei einer Mitteilung, die die Kommission nach Abschluß einer Untersuchung, an der sie teilgenommen hat, an die Behörden eines Mitgliedstaats richtet, um sie aufzufordern, bestimmte Beihilfen, die einem Unternehmen aufgrund einer durch eine gemeinsame Agrarmarktorganisation eingeführten Regelung gewährt wurden und die die Kommission als rechtswidrig ansieht, wiedereinzuziehen sowie bestimmte Eingangsabgaben, die von dem Unternehmen zu entrichten waren, nachzuerheben.

Die Rechtsstellung des betroffenen Unternehmens kann nämlich nur durch die Maßnahmen mit verbindlicher Rechtswirkung unmittelbar berührt werden, die von den mit der Anwendung der Gemeinschaftsregelung betrauten nationalen Behörden ihm gegenüber getroffen werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 23. NOVEMBER 1995. - NUTRAL SPA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSMITTEL - NICHTIGKEITSKLAGE - ZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-476/93 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die Nutral SpA hat mit Rechtsmittelschrift, die am 22. Dezember 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen den Beschluß vom 21. Oktober 1993 in den Rechtssachen T-492/93 und T-492/93 R (Nutral/Kommission, Slg. 1993, II-1023; im folgenden: angefochtener Beschluß) eingelegt, mit dem das Gericht zum einen der Unzulässigkeitseinrede der Kommission stattgegeben und die Klage der Nutral SpA auf Nichtigerklärung der Entscheidung Nr. SG(93) D/140.082 der Kommission vom 3. März 1993 sowie aller anderen früheren, damit verbundenen oder zusammenhängenden Handlungen, die sich insbesondere auf den Untersuchungsbericht Nr. SG(92) D/140.028 der Einheit zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung vom 19. Januar 1993 beziehen, abgewiesen hat und mit dem es zum anderen den Antrag der Rechtsmittelführerin auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen hat.

2 Das Gericht hat in seinem Beschluß folgende Feststellungen getroffen:

"1 Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die auf die Herstellung, Verarbeitung, Einfuhr und Ausfuhr von Futtermitteln spezialisiert ist. Da die Kommission zu der Auffassung gelangte, daß es bei bestimmten von der Klägerin vorgenommenen Einfuhren zu Unregelmässigkeiten gekommen sei, forderte sie die italienischen Behörden mit Schreiben vom 6. August 1992 gemäß Artikel 6 der Verordnung (EWG) Nr. 595/91 des Rates vom 4. März 1991 betreffend Unregelmässigkeiten und die Wiedereinziehung zu Unrecht gezahlter Beträge im Rahmen der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik sowie die Einrichtung eines einschlägigen Informationssystems und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 283/72 (ABl. L 67, S. 11) auf, sie an einer Untersuchung zu beteiligen, die sich auf Einfuhren eines aus Magermilchpulver hergestellten Erzeugnisses mit der Bezeichnung 'Lebensmittelzubereitung aus fluessiger Magermilch, emulgiert mit raffiniertem Rinderfett' aus Österreich bezog.

2 Aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 986/68 des Rates vom 15. Juli 1968 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung von Beihilfen für Magermilch und Magermilchpulver für Futterzwecke (ABl. L 169, S. 4) und der Verordnung (EWG) Nr. 1725/79 der Kommission vom 26. Juli 1979 über die Durchführungsbestimmungen zur Gewährung von Beihilfen für zu Mischfutter verarbeitete Magermilch und für zur Kälberfütterung bestimmtes Magermilchpulver (ABl. L 199, S. 1) erhielt die Klägerin von 1988 bis 1991 über die italienische Interventionsstelle Azienda di Stato per gli Interventi sul Mercato Agricola (im folgenden: AIMA) Gemeinschaftsbeihilfen, die für denaturiertes oder bei der Herstellung von Mischfutter verwendetes Magermilchpulver vorgesehen sind.

3 Da die genannte Zubereitung nach der Anmeldung einen Milchfettgehalt von weniger als 1,5 % sowie einen Milchproteingehalt von weniger als 2,5 % aufwies und aus einem zur Europäischen Freihandelsassoziation gehörenden Land stammte, wurde auf die nacheinander eingeführten Partien zudem weder ein Wertzoll noch ein 'beweglicher Teilbetrag' erhoben, wie dies normalerweise gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3033/80 des Rates vom 11. November 1980 zur Festlegung der Handelsregelung für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren (ABl. L 323, S. 1) bei aus Drittländern eingeführten Waren geschieht.

4 Mit Schreiben vom 19. Januar 1993 übersandte der Leiter der Einheit zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung (im folgenden: UCLAF) den italienischen Behörden den Bericht der Bediensteten, die im Auftrag der Kommission an der erwähnten Untersuchung teilgenommen hatten. Er forderte die Behörden auf, die erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen zur Sicherung der Wiedereinziehung der fraglichen Beträge zu ergreifen und die Kommission über die gerichtlichen Folgen der Angelegenheit auf dem laufenden zu halten.

5 Nach den Schlußfolgerungen des Untersuchungsberichts wies die von der Klägerin eingeführte Zubereitung entgegen der Anmeldung einen Milchproteingehalt von mehr als 2,5 % auf, und auf sie hätte daher der 'bewegliche Teilbetrag' erhoben werden müssen, der normalerweise für Einfuhren aus Drittländern gilt. Die Untersuchung soll auch zu der Feststellung geführt haben, daß ein Teil des fraglichen Erzeugnisses (500 Tonnen) ursprünglich von der deutschen Interventionsstelle stammte und daß dafür ° weil bereits Ausfuhrerstattung gezahlt worden war ° gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1725/79 keine Beihilfe für Magermilchpulver gewährt werden konnte.

6 Am 26. Februar 1993 nahm das 'Comando nucleo polizia tributaria di Cremona della guardia di finanza' (im folgenden: Guardia di finanza) der Klägerin gegenüber ein Protokoll auf,... 'um ihr den unrechtmässigen Bezug gemeinschaftsrechtlicher Beihilfen im Agrarsektor für 500 Tonnen Milchpulver vorzuhalten, auf den unter Nummer 2 der Schlußfolgerungen des mit Schreiben SG(92) D/140.028 der UCLAF vom 19. Januar 1993 übermittelten Untersuchungsberichts hingewiesen wurde'.

7 Am 3. März 1993 teilte der Leiter der UCLAF den italienischen Behörden in einem Schreiben mit dem Zeichen SG(93) D/140.082 folgendes mit:

' Zur besseren Verdeutlichung dessen, was unter Nummer 2 der Schlußfolgerungen des Untersuchungsberichts ausgeführt wurde... teile ich Ihnen mit, daß die Beihilfe für die zu Futtermitteln verarbeitete Magermilch der Nutral SpA von der zuständigen Stelle zwar zu Recht gewährt worden ist, daß die Entgegennahme einer solchen Hilfe... aber als rechtswidrig anzusehen ist.

Demgemäß müssen die zuständigen innerstaatlichen Behörden nicht nur den beweglichen Teilbetrag in bezug auf das gesamte eingeführte Erzeugnis ermitteln und die Verarbeitungsbeihilfe, die sich auf die mit 500 Tonnen Pulver aus Ilyichevsk hergestellte Zubereitung bezieht, wiedereinziehen, sondern auch die gesamte Verarbeitungsbeihilfe für Milchpulver wiedereinziehen, die für die eingeführte Zubereitung in der Zeit von Januar 1988 bis 14. August 1991 gewährt worden ist.'

8 In einem an den Finanzminister, den Minister für Landwirtschaft und Forsten sowie den Minister für die Politik der Europäischen Gemeinschaft und für regionale Angelegenheiten gerichteten Schreiben des Kommissionsmitglieds Schmidhuber vom 23. März 1993 erinnerte die Kommission an ihre Mitteilungen vom 19. Januar und 3. März 1993 und forderte die zuständigen italienischen Behörden auf, schnellstens die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die fraglichen Beträge gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1), sowie gemäß Artikel 8 der Verordnung (EWG) Nr. 729/70 des Rates vom 21. April 1970 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. L 94, S. 13) wiedereinzuziehen.

9 Am 27. April 1993 nahm die Guardia di finanza der Klägerin gegenüber ein 'Feststellungsprotokoll' zu den von der AIMA in der Zeit von 1988 bis 1991 zu Unrecht bezogenen Beihilfen für Magermilchpulver auf. Eine Zweitschrift dieses Protokolls wurde dem Ministerium für Landwirtschaft und Forsten zugeleitet, damit dieses den in Artikel 3 des italienischen Gesetzes Nr. 898 vom 23. Dezember 1986 vorgesehenen 'Mahnbescheid' erlässt."

3 Die Nutral SpA hat mit Klageschrift, die am 6. Juli 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung der erwähnten Entscheidung der Kommission vom 3. März 1993 sowie aller früheren, damit verbundenen oder zusammenhängenden Handlungen erhoben und mit besonderem Schriftsatz, der am 13. September 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, beantragt, die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung anzuordnen. Durch Beschluß vom 27. September 1993 sind die beiden Rechtssachen gemäß Artikel 4 des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 144, S. 21) an das Gericht verwiesen worden.

4 In erster Instanz hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben.

5 Mit dem ersten Teil dieser Einrede machte sie geltend, daß die Handlung, deren Nichtigerklärung beantragt werde, keine anfechtbare Entscheidung im Sinne des Artikels 173 des Vertrages sei. Nach Auffassung der Kommission begründeten die Schreiben vom 3. und 23. März 1993 und der Untersuchungsbericht für sich allein keine Verpflichtungen für den Staat und erst recht keine Verpflichtungen für die Nutral SpA. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einziehung der nicht erhobenen Beträge ergebe sich unmittelbar aus den erwähnten Verordnungen Nrn. 729/70 und 1697/79.

6 Mit dem zweiten Teil der Unzulässigkeitseinrede trug die Kommission vor, daß die angefochtene Handlung die Nutral SpA nicht unmittelbar betreffe. Nur ein Akt des innerstaatlichen Rechts wie das von den italienischen Behörden aufgenommene Protokoll, gegen das die Rechtsmittelführerin mit den Rechtsbehelfen des italienischen Rechts vorgehen könne, könne ihr einen Schaden verursachen. Die Kommission wies darauf hin, daß der Gemeinschaftsregelung eine strenge Trennung zwischen den Befugnissen der Kommission und denen der Mitgliedstaaten zugrunde liege.

7 Mit dem dritten Teil der Einrede machte sie geltend, daß die Klage der Nutral SpA, soweit sie sich gegen den dem Protokoll vom 26. Februar 1993 beigefügten Untersuchungsbericht richte, nach Ablauf der Frist des Artikels 173 des Vertrages eingereicht worden sei.

8 Die Nutral SpA ist dieser Einrede vor dem Gericht mit der Begründung entgegengetreten, daß ihre Interessen durch die endgültige Feststellung der Rechtsverletzung, die in dem angefochtenen Schreiben unmißverständlich und abschließend zum Ausdruck gebracht worden sei, verletzt worden seien. Die italienischen Behörden hätten sich nämlich später darauf beschränkt, die Ergebnisse der Untersuchung in das der Rechtsmittelführerin am 27. April 1993 zugestellte Protokoll, in dem bereits die zu erstattenden Beträge angegeben worden seien, aufzunehmen und förmlich die Zahlung der in Rede stehenden Beträge zu verlangen. Keine der zuständigen Behörden habe einen "Mahnbescheid" erlassen, in dem die Rechtsverletzung festgestellt worden sei, wie dies die italienischen Rechtsvorschriften vorsähen. Die Rechtsmittelführerin könne in der internen Rechtsordnung keinen Rechtsschutz erlangen.

9 Ausserdem könne dem Vorbringen der Kommission, daß wegen des Fehlens einer Gemeinschaftszuständigkeit keine anfechtbare Entscheidung vorliege, nicht gefolgt werden. Dies hätte nämlich zur Folge, daß alle Maßnahmen, die von einer unzuständigen Stelle getroffen würden, der gerichtlichen Nachprüfung entzogen wären.

10 Schließlich hat die Nutral SpA zum dritten Teil der von der Kommission erhobenen Einrede vorgetragen, daß der Untersuchungsbericht, der bis zu dem Schreiben vom 3. März 1993 nur den Wert und die Bedeutung eines vorbereitenden Aktes gehabt habe, erst durch dieses Schreiben für die Feststellung der Rechtsverletzung eine andere Bedeutung und Tragweite erlangt habe.

11 Die Nutral SpA stützt ihr Rechtsmittel gegen den Beschluß des Gerichts auf zwei Rechtsmittelgründe, nämlich die fehlerhafte Auslegung der Gemeinschaftsregelung und die unzutreffende Anwendung des Rechtsbegriffs der anfechtbaren Handlung.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

12 Die Nutral SpA trägt zunächst vor, daß das Gericht in den Randnummern 26 ff. seines Beschlusses die Verordnungen Nrn. 729/70 und 1697/79 in Verbindung mit der erwähnten Verordnung Nr. 595/91 fehlerhaft ausgelegt habe. Nach ihrer Auffassung ist die Zuständigkeit der Kommission in diesem Bereich schrittweise ausgeweitet worden: Sie verfüge gegenwärtig, wenigstens hinsichtlich der Feststellung der Tatsachen im Zusammenhang mit nicht ordnungsgemässen Ausgaben der Gemeinschaft im Agrarsektor, hinsichtlich der Beweise und ihrer rechtlichen Bewertung, über eine Entscheidungsbefugnis.

13 Die Kommission wendet sich gegen diesen ersten Rechtsmittelgrund. Nach ihrer Ansicht hat das Gericht die Verordnungen Nrn. 729/70, 1697/79 und 595/91 zutreffend, im Einklang mit dem System zur Kontrolle der Agrarausgaben der Gemeinschaft und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes ausgelegt.

14 Hierzu ist festzustellen, daß das Gericht unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 7. Juli 1987 in den Rechtssachen 89/86 und 91/86, Étoile commerciale und CNTA/Kommission, Slg. 1987, 3005, Randnr. 11) und den Wortlaut des Artikels 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 in Randnummer 26 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, daß es nach dem institutionellen System der Gemeinschaft und den Vorschriften, die die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten regelten, in Ermangelung einer gegenteiligen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten sei, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Gemeinschaftsregelungen, namentlich im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, zu sorgen.

15 In diesem Urteil hat der Gerichtshof im übrigen weiter ausgeführt (Randnr. 11 letzter Satz), daß die Mitgliedstaaten, soweit es speziell um die im Rahmen dieser Politik beschlossenen Finanzierungsaktionen geht, nach Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70 die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die infolge von Unregelmässigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen. Diese Vorschrift wird hinsichtlich der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik als Ausdruck der in Artikel 5 des Vertrages verankerten allgemeinen Sorgfaltspflicht angesehen (Urteil vom 6. Oktober 1993 in der Rechtssache C-55/91, Italien/Kommission, Slg. 1993, I-4813, Randnr. 56).

16 Das Gericht hat sodann in Randnummer 27 des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen, daß nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1697/79 die zuständigen Behörden, wenn sie feststellten, daß die "Eingangs[abgaben]... vom Abgabenschuldner ganz oder teilweise nicht angefordert worden sind,... die nicht erhobenen Abgaben nach[fordern]". Ferner erfolgt gemäß Artikel 4 dieser Verordnung die "Nachforderung... durch die zuständigen Behörden im Rahmen der hierfür geltenden Bestimmungen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen, welche die Eingangs[abgaben]... zu entrichten haben".

17 In Randnummer 28 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht daraus den Schluß gezogen, daß es gemäß den Ausführungen des Gerichtshofes in Randnummer 12 des erwähnten Urteils Étoile commerciale und CNTA/Kommission Sache der Mitgliedstaaten sei, in diesem Bereich die Gemeinschaftsvorschriften durchzuführen und ° vorbehaltlich der durch das Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen ° nach den Vorschriften und Modalitäten des nationalen Rechts gegenüber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern die erforderlichen Einzelentscheidungen zu treffen, um die zu Unrecht gezahlten Beträge wiedereinzuziehen.

18 Die Auslegung der genannten Verordnungen durch das Gericht stimmt also mit der Auslegung durch den Gerichtshof überein.

19 Zudem ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission im Rahmen des durch die Verordnung Nr. 729/70 eingeführten Kontrollsystems nur eine ergänzende Funktion ausübt. Dies kommt deutlich in der achten Begründungserwägung dieser Verordnung zum Ausdruck, wonach zur Ergänzung der von den Mitgliedstaaten auf eigene Initiative durchgeführten Kontrollen, denen nach wie vor die Hauptbedeutung zukommt, Prüfungen durch Bedienstete der Kommission und die Möglichkeit vorzusehen sind, daß die Kommission die Hilfe der Mitgliedstaaten in Anspruch nimmt (Urteil vom 9. Oktober 1990 in der Rechtssache C-366/88, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-3571, Randnr. 20, und Urteil Italien/Kommission, a. a. O., Randnrn. 31 und 32).

20 Zwar sind zur Verstärkung der Bekämpfung der Unregelmässigkeiten die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen der Kommission und den nationalen Stellen durch die Verordnung Nr. 595/91 unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen näher festgelegt worden, doch hat diese Verordnung das durch die Verordnung Nr. 729/70 eingeführte System nicht geändert. Entgegen dem Vorbringen der Nutral SpA ist der Kommission durch die Verordnung Nr. 595/91 keineswegs die Befugnis verliehen worden, im Bereich der Verhütung und Verfolgung von Unregelmässigkeiten oder Versäumnissen bei der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik verbindliche Handlungen gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern vorzunehmen. Diese Verordnung hat nur die Initiativbefugnis sowie die Informations- und Kontrollmöglichkeiten der Kommission in diesem Bereich erweitert.

21 Schließlich bestätigt der durch den Vertrag über die Europäische Union in den EG-Vertrag eingefügte Artikel 209a in vollem Umfang, daß die Verantwortung für die Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, bei den Mitgliedstaaten liegt.

22 Das Vorbringen der Nutral SpA ist daher nicht stichhaltig, daß das Gericht von der Befugnis der Kommission hätte ausgehen müssen, in diesem Bereich Handlungen mit Wirkung für die Wirtschaftsteilnehmer vorzunehmen. Übrigens räumt die Rechtsmittelführerin ein, daß Artikel 6 der erwähnten Verordnung Nr. 595/91 es der Kommission nicht gestatte, anstelle der Mitgliedstaaten die Untersuchungen bei vermuteten Unregelmässigkeiten zu leiten.

23 In ihrer Erwiderung trägt die Nutral SpA jedoch zur Stützung ihres ersten Rechtsmittelgrundes vor, daß die Kommission, genauer gesagt, die Einheit zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung, im vorliegenden Fall das Verfahren des Artikels 6 der Verordnung Nr. 595/91 nicht beachtet habe: Entgegen diesen Bestimmungen seien die aufgrund der Untersuchung gezogenen Schlußfolgerungen von der Kommission selbst verfasst worden und nicht von den italienischen Behörden, die sich darauf beschränkt hätten, sie durchzuführen.

24 Insoweit trägt die Rechtsmittelführerin nicht einen neuen Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes vor, sondern sie bestreitet in Wirklichkeit die Rechtmässigkeit der sie beschwerenden Entscheidung der italienischen Behörden. Der Gerichtshof ist somit nicht für eine Äusserung zu dieser Frage im vorliegenden Rechtsmittelverfahren zuständig. Vielmehr ist es Sache der Rechtsmittelführerin, von den nationalen Rechtsbehelfen, die ihr das innerstaatliche Recht eröffnet, Gebrauch zu machen, um diese Entscheidung vor den nationalen Gerichten anzufechten.

25 Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund der Nutral SpA zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

26 Die Nutral SpA trägt zweitens vor, daß das Gericht dadurch, daß es in Randnummer 28 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt habe, daß nur die Maßnahmen der nationalen Behörden verbindliche Rechtswirkungen erzeugen könnten, die ihre Interessen beeinträchtigen könnten, einen Rechtsfehler begangen habe, indem es die streitige Handlung nicht als anfechtbare Handlung bewertet habe. Das Gericht könne die Klage der Rechtsmittelführerin nämlich nicht allein deshalb für unzulässig erklären, weil die Kommission in diesem Bereich für die Vornahme von Handlungen, die ihr gegenüber verbindliche Rechtswirkungen erzeugten, unzuständig sei. Es hätte die tatsächliche Bedeutung der streitigen Handlung prüfen müssen.

27 Dagegen führt die Kommission aus, daß das Gericht den Begriff der anfechtbaren Handlung im Sinne von Artikel 173 des Vertrages nicht verkannt habe. Tatsächlich habe es die Schreiben der Kommission vom 3. und 23. März 1993 untersucht, und es sei, ohne im übrigen deren Befugnis zu bestreiten, diese Akte an die italienischen Behörden zu richten, zu dem Ergebnis gelangt, daß sie keine verbindlichen Wirkungen hätten, die die Interessen der Rechtsmittelführerin beeinträchtigen könnten.

28 Wie das Gericht in Randnummer 24 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, ist im Hinblick auf die Entscheidung darüber, ob die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit begründet ist, zunächst darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 des Vertrages gegeben ist, nur diejenigen Maßnahmen sind, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen (Beschluß vom 8. März 1991 in den Rechtssachen C-66/91 und C-66/91 R, Emerald Meats/Kommission, Slg. 1991, I-1143, Randnr. 26).

29 Danach hat das Gericht folgendes ausgeführt:

"Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission, wie oben ausgeführt worden ist, nach Abschluß einer Untersuchung, an der sie auf ihren Wunsch teilgenommen hatte, an die italienischen Behörden gewandt und diese aufgefordert, bestimmte der Klägerin gewährte Beihilfen, die die Kommission als rechtswidrig angesehen hat, wiedereinzuziehen sowie bestimmte Eingangsabgaben, die von der Klägerin zu entrichten waren, nachzuerheben. Im Anschluß an die Mitteilungen der Kommission an die italienischen Behörden haben diese eine Reihe von Maßnahmen erlassen, um die Beträge, die der Klägerin angeblich zu Unrecht zugute gekommen waren, einzuziehen" (Randnr. 25).

30 Das Gericht hat sich somit zu Recht auf die Feststellung beschränkt, daß die Schreiben der Kommission an die italienischen Behörden in den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den mit der Anwendung der Gemeinschaftsregelung betrauten nationalen Stellen fielen und lediglich Empfehlungen oder Stellungnahmen ohne Rechtswirkung darstellten. Es hat daraus den Schluß gezogen, daß nur die Maßnahmen der nationalen Behörden verbindliche Rechtswirkungen gegenüber der Rechtsmittelführerin erzeugten (Randnr. 28 letzter Satz des angefochtenen Beschlusses) und daß die angefochtenen Handlungen nicht als Entscheidungen anzusehen seien, die die Rechtsstellung der Rechtsmittelführerin unmittelbar berühren könnten (Randnr. 29 des Beschlusses).

31 Der letzte Satz der Randnummer 28 des angefochtenen Beschlusses kann daher nicht losgelöst von allen Überlegungen, auf denen er beruht, gelesen werden. Entgegen dem Vorbringen der Nutral SpA wollte sich das Gericht nur zu dem ihm vorliegenden Einzelfall äussern und nicht den Grundsatz aufstellen, daß die Handlungen der Kommission in diesem Bereich die Wirtschaftsteilnehmer schon deshalb nicht beschweren könnten, weil die Gemeinschaftsregelung ihr nicht die Befugnis verleihe, Entscheidungen mit unmittelbarer Wirkung für die Betroffenen zu erlassen.

32 Folglich hat das Gericht die streitige Handlung zutreffend bewertet, und der zweite Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerin ist zurückzuweisen.

33 Somit ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Ende der Entscheidung

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