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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.11.1993
Aktenzeichen: C-48/91
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 729/70, EWGV


Vorschriften:

Verordnung Nr. 729/70 Art. 5
Verordnung Nr. 729/70 Art. 9
EWGV Art. 173 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Will die Kommission im Rahmen des Verfahrens für den Rechnungsabschluß des EAGFL, bei dem weder gemäß den Begründungserwägungen noch gemäß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 729/70 danach zu unterscheiden ist, ob es sich um vom EAGFL zu finanzierende Ausgaben oder von ihm einzuziehende Einnahmen handelt, die von einem Mitgliedstaat mitgeteilten Zahlen nicht übernehmen, weil die für die verschiedenen Bereiche der Gemeinsamen Agrarpolitik geltende Gemeinschaftsregelung über Ausgaben und Einnahmen ° wie die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor ° von den nationalen Behörden nicht ordnungsgemäß angewandt wurde, so ist sie nicht verpflichtet, die Unrichtigkeit der ihr übermittelten Angaben umfassend darzulegen, sondern sie braucht nur glaubhaft zu machen, daß an den von den nationalen Stellen mitgeteilten Zahlen berechtigte Zweifel bestehen. Diese Erleichterung der Beweislast der Kommission beruht darauf, daß der Mitgliedstaat am besten in der Lage ist, die für den Rechnungsabschluß erforderlichen Angaben beizubringen und nachzuprüfen, so daß es ihm obliegt, die Richtigkeit seiner Zahlen eingehend und vollständig nachzuweisen und so gegebenenfalls die Fehlerhaftigkeit der Berechnungen der Kommission darzutun.

Stellt die Kommission eine Diskrepanz zwischen den von einem Mitgliedstaat vorgelegten Rechnungen und seinen statistischen Angaben fest, die nach ihrem Wesen und ihrer Zielsetzung zwangsläufig Näherungswerte sind und deshalb die tatsächliche Sachlage nur mit begrenzter Genauigkeit widerspiegeln können, so kann sie die genannten Rechnungen nicht einfach ausser acht lassen und den Abschluß auf der Grundlage dieser statistischen Angaben vornehmen. Diese Angaben stellen nur eine mittelbare Form der Überprüfung im Sinne von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 dar, mit deren Hilfe die Kommission die berechtigten Zweifel untermauern kann, die den Mitgliedstaat dazu verpflichten, Nachweise für die Einhaltung der Gemeinschaftsregelung und die Existenz eines verläßlichen Kontrollsystems beizubringen, die geeignet sind, diese Zweifel auszuräumen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 10. NOVEMBER 1993. - KOENIGREICH DER NIEDERLANDE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHNUNGSABSCHLUSS EAGFL - HAUSHALTSJAHR 1988. - RECHTSSACHE C-48/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Regierung des Königreichs der Niederlande hat mit Klageschrift, die am 1. Februar 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absätze 1 und 3 EWG-Vertrag die teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung 90/644/EWG der Kommission vom 30. November 1990 über den Rechnungsabschluß für die vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft im Haushaltsjahr 1988 finanzierten Ausgaben (ABl. L 350, S. 82) beantragt.

2 Um zu einem besseren Gleichgewicht des Getreidemarktes zu gelangen und das Wachstum in den Griff zu bekommen, wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 1579/86 des Rates vom 23. Mai 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2727/75 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. L 139, S. 29) ab 1. Juli 1986 eine Mitverantwortungsabgabe eingeführt, die von den zuständigen nationalen Stellen erhoben und an den EAGFL abgeführt wird. Die Abgabe ist für das in der Gemeinschaft erzeugte Getreide zu zahlen, wenn es zum ersten Mal verarbeitet, durch die Interventionsstellen angekauft oder in Körnerform ausgeführt wird.

3 Wie sich aus den Akten ergibt, stieß die Kommission bei ihrer Prüfung der korrekten Anwendung und vollständigen Abführung der Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor durch die Mitgliedstaaten im Wirtschaftsjahr 1987/88 auf eine Diskrepanz zwischen den in den Niederlanden der Mitverantwortungsabgabe unterliegenden Getreidemengen und den tatsächlich erhobenen Abgaben. Unstreitig ist auch, daß sich die Kommission bei diesen Berechnungen im wesentlichen auf statistische Angaben verschiedener Herkunft stützte. Dabei hat sie offenbar sowohl die von den Mitgliedstaaten an Eurostat übermittelten Zahlen als auch von privaten Organisationen gemachte Angaben sowie Zahlen herangezogen, die sie unmittelbar von den Dienststellen des betreffenden Mitgliedstaats erhalten hat.

4 Die niederländische Regierung wandte sich gegen die von der Kommission verwendete statistische Methode und legte ihr neue Zahlen vor, die von der Kommission jedoch als ungenau zurückgewiesen wurden. Im Hinblick auf diese Meinungsverschiedenheit wurde die Revisionsabteilung des niederländischen Ministeriums für Landwirtschaft, Naturbewirtschaftung und Fischerei mit Zustimmung der Kommission beauftragt, systematisch zu untersuchen, ob die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor vollständig erhoben und an die Interventionsstelle abgeführt worden war.

5 Bei dieser Untersuchung erwiesen sich auch die von der Kommission vorgenommenen Berechnungen als ungenau, und zwar auf der Grundlage allein der statistischen Methode. Daraufhin korrigierte die Kommission ihre Zahlen, so daß sich die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen, zu denen die Kommission und die niederländische Regierung gelangten, auf einen Betrag von 708 540 HFL reduzierte, der Gegenstand des Rechtsstreits ist.

6 Das Königreich der Niederlande stützt seine Klage auf zwei Gründe: Verstoß gegen Durchführungsbestimmungen zum EWG-Vertrag, insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 729/70 des Rates vom 21. April 1970 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. L 94, S. 13) und die Verordnung (EWG) Nr. 1723/72 der Kommission vom 26. Juli 1972 über den Rechnungsabschluß des EAGFL (ABl. L 186, S. 1), und Überschreitung von Befugnissen sowie Verstoß gegen den Grundsatz der Sorgfalt oder einen anderen, in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten allgemeinen Grundsatz.

7 Mit Beschlüssen vom 19. Juni 1991 sind das Vereinigte Königreich und die Französische Republik als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs der Niederlande zugelassen worden.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Vor der Prüfung der geltend gemachten Klagegründe ist der rechtliche Rahmen des Rechtsstreits darzustellen.

10 Das Verfahren für den Rechnungsabschluß des EAGFL wird von der Kommission gemäß Artikel 5 der Verordnung Nr. 729/70 auf der Grundlage der Angaben in den von den Mitgliedstaaten übermittelten Jahresrechnungen und den für ihren Abschluß erforderlichen Belegen durchgeführt. Die Kommission kann nach Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 aber auch andere Auskünfte einholen und Kontrollen ° einschließlich Prüfungen an Ort und Stelle ° vornehmen, deren Durchführung sie als zweckmässig erachtet.

11 Die Durchführung der EAGFL-Finanzierung ist in erster Linie Sache der nationalen Verwaltungen, die über die genaue Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften zu wachen haben. Dieses auf dem Vertrauensgrundsatz beruhende System umfasst keine systematischen Kontrollen seitens der Kommission, der es auch materiell unmöglich wäre, sie durchzuführen (vgl. Urteil vom 27. Januar 1988 in der Rechtssache 349/85, Dänemark/Kommission, Slg. 1988, 169, Randnr. 19). Nur der Mitgliedstaat ist nämlich in der Lage, die für die Aufstellung der EAGFL-Rechnungen nötigen Angaben in Erfahrung zu bringen und zu ermitteln, da die Kommission nicht über die erforderliche Nähe zu den Wirtschaftsteilnehmern verfügt, um von ihnen die benötigten Auskünfte zu erlangen.

12 Die Kommission wird folglich auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten übermittelten Angaben tätig, die sie im Rahmen von Untersuchungen nachprüfen kann, um gegebenenfalls ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit feststellen zu können.

13 Gegenstand der Entscheidungen der Kommission über die von den Mitgliedstaaten vorgelegten Rechnungsabschlüsse für vom EAGFL finanzierte Ausgaben ist die Feststellung, daß die Ausgaben von den nationalen Dienststellen im Einklang mit den Gemeinschaftsvorschriften getätigt wurden (vgl. Urteil vom 7. Februar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 15/76 und 16/76, Frankreich/Kommission, Slg. 1979, 321, Randnr. 9).

14 Somit finanziert der EAGFL, wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, nur die nach Gemeinschaftsvorschriften gewährten Erstattungen und vorgenommenen Interventionen im Rahmen der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte (vgl. insbesondere Urteile vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 11/76, Niederlande/Kommission, Slg. 1979, 245, Randnr. 8, und Frankreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 10, sowie Urteil vom 24. März 1988 in der Rechtssache 347/85, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1988, 1749, Randnr. 11).

15 Weiter steht fest, daß zusätzliche Lasten, die aus nationalen Maßnahmen folgen, die die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer innerhalb der Gemeinschaft gefährden und somit die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten verfälschen können, nicht vom EAGFL finanziert werden können und in jedem Fall von dem betroffenen Mitgliedstaat zu tragen sind (vgl. insbesondere Urteil in der Rechtssache 347/85, Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 12).

16 Schließlich ist es Sache eines Mitgliedstaats nachzuweisen, daß die Voraussetzungen für eine von der Kommission abgelehnte Finanzierung vorliegen, wenn die Kommission die Übernahme bestimmter Ausgaben zu Lasten des EAGFL mit der Begründung verweigert, daß sie durch diesem Staat vorzuwerfende Verletzungen von Gemeinschaftsregelungen veranlasst wurden (vgl. Urteil in der Rechtssache 347/85, Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 14).

17 Die Kommission ist nämlich nicht verpflichtet, die Unrichtigkeit der von den Mitgliedstaaten übermittelten Angaben umfassend darzulegen, sondern braucht nur glaubhaft zu machen, daß an den von den nationalen Stellen mitgeteilten Zahlen berechtigte Zweifel bestehen. Diese Erleichterung der Beweislast der Kommission beruht darauf, daß ° wie oben (Randnr. 11) ausgeführt wurde ° der Mitgliedstaat am besten in der Lage ist, die für den Rechnungsabschluß des EAGFL erforderlichen Angaben beizubringen und nachzuprüfen, so daß es ihm obliegt, die Richtigkeit seiner Zahlen eingehend und vollständig nachzuweisen und so gegebenenfalls die Fehlerhaftigkeit der Berechnungen der Kommission darzutun.

18 Nach alledem ist es im Fall einer Beanstandung Sache der Kommission, das Vorliegen einer Verletzung der Regeln der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte nachzuweisen; hat sie diesen Nachweis erbracht, so hat der Mitgliedstaat gegebenenfalls darzulegen, daß der Kommission bezueglich der daraus zu ziehenden finanziellen Konsequenzen ein Irrtum unterlaufen ist (vgl. Urteil vom 19. Februar 1991 in der Rechtssache C-281/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-347, Randnr. 19).

19 Im Hinblick auf alle diese Grundsätze sind die vom Königreich der Niederlande geltend gemachten Klagegründe zu prüfen.

20 Nach Ansicht der niederländischen Regierung hat die Kommission insoweit gegen die Artikel 5 und 9 der Verordnung Nr. 729/70 verstossen, als sie die EAGFL-Rechnungen allein auf der Grundlage der in diesen Bestimmungen nicht genannten statistischen Angaben abgeschlossen hat, ohne die zu diesem Zweck von den niederländischen Dienststellen gemäß Artikel 5 der Verordnung übermittelten Belege und Unterlagen zu berücksichtigen und ohne die in Artikel 9 der Verordnung vorgesehenen Prüfungen und Untersuchungen vorzunehmen. Unter diesen Umständen sei die Kommission nicht berechtigt gewesen, die von den niederländischen Dienststellen übermittelten Zahlen mit der Begründung zu berichtigen, daß sie nicht mit den statistischen Angaben übereinstimmten.

21 Die Kommission rechtfertigt die Heranziehung der Statistiken zum einen mit der Notwendigkeit, die Agrarrechnungen sämtlicher Mitgliedstaaten auf der Grundlage zweckmässiger und einheitlicher Kriterien abzuschließen. Dieses Ergebnis könne aber nur mit Hilfe von Statistiken erreicht werden. Die Methoden zur Kontrolle der Ausgaben, bei denen die Begünstigten feststellbar seien und somit die Voraussetzungen für ihre Vornahme überprüft werden könnten, ließen sich auf die Kontrolle der Einnahmen nicht übertragen, da in der Buchführung nur die Wirtschaftsteilnehmer erschienen, die die Abgabe entrichtet hätten, nicht aber diejenigen, die sich ihr möglicherweise entzogen hätten. Allein die angegriffene statistische Methode erlaube es, sich ein Bild von der wirklichen Sachlage zu machen. Zum anderen beruhten diese statistischen Angaben auf einer objektiven und nachprüfbaren Grundlage; etwas anderes gelte nur für die Angaben über den Eigenverbrauch der Erzeugerunternehmen und die Verkäufe zwischen Erzeugern, die jedoch von der Berechnung der abgabepflichtigen Menge ausgenommen worden seien. Schließlich habe sie auch deshalb auf keine anderen Methoden zum Rechnungsabschluß zurückgreifen können, weil sie nicht über hinreichende finanzielle und Sachmittel verfüge, um alle in den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen zu überprüfen.

22 Hierzu ist erstens zu bemerken, daß die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor im Sinne von Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2727/75 in der Fassung der Verordnung Nr. 1579/86 "als Teil der Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte anzusehen [ist] und... für die Finanzierung der Ausgaben im Getreidesektor verwendet [wird]". Aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 729/70 ergibt sich überdies, daß die Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte in ihren Anwendungsbereich fallen.

23 Zweitens lässt sich weder den Begründungserwägungen noch den Bestimmungen der Verordnung Nr. 729/70 entnehmen, daß beim Verfahren für den Rechnungsabschluß danach zu unterscheiden wäre, ob es sich um vom EAGFL zu finanzierende Ausgaben oder von ihm einzuziehende Einnahmen handelt. Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung zeigt im Gegenteil eindeutig, daß sie für alle von der Abteilung "Garantie" finanzierten Maßnahmen einschließlich der Interventionen zur Regulierung der Märkte gilt, zu denen die Mitverantwortungsabgabe gehört.

24 Drittens sind statistische Angaben nach ihrem Wesen und ihrer Zielsetzung zwangsläufig Näherungswerte und spiegeln deshalb die tatsächliche Sachlage nur mit begrenzter Genauigkeit wider. Die Kommission hat vorgetragen, die speziell mit der Verwendung solcher Angaben verbundene Fehlerquote sei im vorliegenden Fall durch die von ihr auf der Grundlage von Vergleichen zwischen den bei ihr eingegangenen Angaben unterschiedlicher Herkunft und von Unterredungen zwischen ihr und den nationalen Behörden über diese Frage beträchtlich reduziert worden. Hierzu hat die niederländische Regierung, der die Kommission insoweit nicht widersprochen hat, zu Recht bemerkt, daß alle von der Kommission verwendeten Angaben auf den Zahlen der niederländischen Verwaltung beruhten. Der Vergleich von Angaben derselben Herkunft kann jedoch nicht als Garantie der Objektivität angesehen werden. Was die Unterredungen mit den niederländischen Behörden anbelangt, so haben sich diese, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, auf die Diskrepanz zwischen ihren eigenen und den von der niederländischen Verwaltung nach der statistischen Methode ermittelten Zahlen beschränkt. Der Gedankenaustausch konnte somit keine wesentlichen Korrekturen an der mit der Verwendung der Näherungswerte verbundenen Fehlerquote bewirken.

25 Viertens ist zu der von der Kommission angeführten finanziellen Unmöglichkeit des Rückgriffs auf andere Kontrollmethoden festzustellen, daß sich der Rat beim Erlaß der Verordnung Nr. 729/70 der Grenzen des Verfahrens bewusst war, das beim Abschluß der EAGFL-Rechnungen zur Anwendung kommt. Indem er vorsah, daß dieses Verfahren auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten vorgelegten Jahresrechnungen sowie der für ihren Abschluß erforderlichen Belege durchgeführt wird, und gleichzeitig der Kommission die Möglichkeit ließ, auf andere Methoden wie Prüfungen an Ort und Stelle zurückzugreifen, wollte der Rat der Kommission Zugang zu verläßlichen Angaben verschaffen, über die nur bestimmte Stellen wie die nationalen Verwaltungen verfügen können, und ihr die Möglichkeit geben, die so von den Mitgliedstaaten erlangten Zahlen in jeder Weise mit anderen Angaben zu vergleichen, um ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit feststellen zu können.

26 Fünftens kann die alleinige Heranziehung von Statistiken nicht als ein einheitliches Prüfungskriterium für die in den Mitgliedstaaten zu Lasten des EAGFL durchgeführten Maßnahmen angesehen werden, da jeder Staat seine Maßnahmen in anderer Weise verbucht. Wie sich aus den Akten ergibt, unterscheidet sich die in den Niederlanden verwendete Methode zur Verbuchung der Ausfuhren deutlich von den in anderen Mitgliedstaaten verwendeten. Die von den niederländischen Dienststellen erarbeiteten Statistiken können unter diesen Umständen nicht mit den von den anderen Mitgliedstaaten oder von der Kommission erstellten verglichen werden.

27 Dem durch die Verordnung Nr. 729/70 geschaffenen System und insbesondere ihren Artikeln 5 und 9 ist eindeutig zu entnehmen, daß der Rat für den Abschluß der Agrarrechnungen gerade ein für alle Mitgliedstaaten einheitliches Verfahren schaffen wollte, bei dem die Berechnung auf einer gemeinsamen Grundlage erfolgt, nämlich den von jedem Mitgliedstaat vorgelegten Jahresrechnungen und den für ihren Abschluß erforderlichen Belegen. Wie Artikel 9 dieser Verordnung zeigt, braucht die Kommission bei der Heranziehung der Methoden zur Kontrolle und Überprüfung der von den Mitgliedstaaten übermittelten Angaben nicht automatisch oder einheitlich vorzugehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Urteil vom 21. Februar 1989 in der Rechtssache 214/86, Griechenland/Kommission, Slg. 1989, 367) ist es nämlich nicht Aufgabe der Kommission, die Ordnungsmässigkeit jeder Interventionsmaßnahme schon bei ihrer Durchführung zu prüfen; sie ist jedoch berechtigt, von der ihr nach Artikel 9 der Verordnung eingeräumten Kontrollbefugnis jederzeit und namentlich dann Gebrauch zu machen, wenn sie Informationen erhält, die sie an der Wirksamkeit der innerstaatlichen Kontrollen zweifeln lassen.

28 Folglich kann die statistische Methode von der Kommission nur als eine der in Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 angesprochenen mittelbaren Formen der Überprüfung herangezogen werden. Diese Methode, die im übrigen keinen hinreichenden Grad an Zuverlässigkeit aufweist, um als Grundlage für den Abschluß der Rechnungen der vom EAGFL zu tragenden Agrarausgaben dienen zu können, kann jedenfalls die in Artikel 5 der Verordnung vorgesehene Methode der Analyse der Jahresrechnungen mit den für ihren Abschluß erforderlichen Belegen nicht ersetzen. Die Kommission ist somit nicht berechtigt, die von den Mitgliedstaaten übermittelten Zahlen allein deshalb zu berichtigen, weil diese nicht mit den in ihrem Besitz befindlichen statistischen Angaben übereinstimmen.

29 Mit einem zweiten Klagegrund, der mit dem ersten eng zusammenhängt, wird geltend gemacht, daß die Entscheidung 90/644 rechtswidrig sei, da sich die Kommission beim Rechnungsabschluß im wesentlichen auf statistische Angaben gestützt habe. Die Kommission habe nicht das Recht, den Niederlanden allein deshalb die mangelhafte Durchführung der Interventionen des EAGFL zur Last zu legen, weil die von den nationalen Behörden vorgelegten Zahlen nicht mit den statistischen Angaben von Eurostat übereinstimmten, die ihrem Wesen nach nur Näherungswerte seien. Da es in den Niederlanden ein Verwaltungs- und Kontrollsystem für die korrekte Anwendung der Mitverantwortungsabgabe gebe, um die von der niederländischen Regierung vorgelegten Rechnungen richtigstellen zu können, hätte die Kommission Nachweise für die Unrichtigkeit der von der niederländischen Verwaltung vorgelegten Zahlen erbringen müssen. Die Entscheidung 90/644 enthalte dazu keine Ausführungen; folglich habe es die Kommission unter Verstoß gegen ihre Sorgfaltspflicht versäumt, von allen in der Verordnung Nr. 729/70 vorgesehenen Mitteln zur Prüfung der von den Niederlanden vorgelegten Rechnungen und insbesondere von Prüfungen an Ort und Stelle sowie von Vergleichen der Bücher oder anderer Buchungsunterlagen Gebrauch zu machen.

30 Die niederländische Regierung ist der Auffassung, die Kommission sei verpflichtet, ihre Ergebnisse mit Einzelfällen zu untermauern, in denen sie festgestellt habe, daß die Abgabe nicht erhoben wurde; andernfalls könne sie keinen Verstoß gegen die Regelung nachweisen und keine Berichtigung vornehmen. Diese Auffassung trifft nicht zu. Die Kommission kann ihre Zweifel nämlich durch Bezugnahme auf die Analyse der Jahresrechnungen und der für ihren Abschluß erforderlichen Belege oder auf andere, nicht auf Einzelfälle bezogene Informationen rechtfertigen, die sie im Rahmen von Prüfungen bei dem betreffenden Mitgliedstaat gesammelt hat.

31 Aus dem Urteil vom 12. Juni 1990 in der Rechtssache C-8/88 (Deutschland/Kommission, Slg. 1990, I-2321) lässt sich nämlich nicht ableiten, daß schon die Tatsache, daß die Kommission keine individuellen Verstösse gegen die Gemeinschaftsregelung festgestellt hat, zum Nachweis dafür ausreicht, daß das von einem Mitgliedstaat geschaffene Kontrollsystem den Anforderungen dieser Regelung entspricht.

32 Wie in Randnummer 42 des genannten Urteils ausgeführt wurde, bildet die Angabe von Einzelfällen, in denen die Kommission die Missachtung der anwendbaren Agrarregelung feststellt, für die Begründung ihres Vorwurfs hinsichtlich der Wirksamkeit des vom Mitgliedstaat angewandten Überwachungs- und Kontrollsystems im Gegenteil nur ein Element neben anderen.

33 Ebenso bedeutet, wie sich aus Randnummer 44 des genannten Urteils ergibt, der umgekehrte Fall, daß die Kommission keine Nachweise für Einzelfälle erbringt, in denen die Agrarregelung nicht beachtet wurde, nicht, daß das im Mitgliedstaat vorhandene Kontrollsystem die korrekte Anwendung der genannten Bestimmungen garantiert. Diese Einzelfälle bilden jedoch ein zusätzliches Element, das die Kritik der Kommission an der Wirksamkeit des Kontrollsystems des Mitgliedstaats erhärten kann.

34 Weiter ist zu prüfen, ob die Angaben, die die Kommission den Eurostat-Statistiken entnommen hat, die Anforderungen an Sachlichkeit und Genauigkeit erfuellen und damit als Grundlage für den Abschluß der EAGFL-Rechnungen dienen können.

35 Die Kommission hat in Abschnitt 4.2.2.2.3 des Zusammenfassenden Berichts die Gründe genannt, die ihrer Ansicht nach die Anwendung der statistischen Methode beim Abschluß der EAGFL-Rechnungen im Getreidesektor rechtfertigen. Sie führt u. a. aus: "Jede in der Untersuchung verwendete Statistik entspricht einem bestimmten Zustand in dem betreffenden Mitgliedstaat, der von diesem dem Statistischen Amt der Gemeinschaft mitgeteilt wird." Für die Kommission beruhen die von ihr beim Abschluß der Konten verwendeten statistischen Angaben mit anderen Worten deshalb auf zutreffenden Zahlen, weil sie von den Mitgliedstaaten aufgestellt und mitgeteilt wurden. Diese Statistiken müssten somit denselben Stellenwert haben wie die Zahlen in den von den Mitgliedstaaten übermittelten Jahresrechnungen. Sie weist ferner darauf hin, daß die niederländische Regierung selbst eingeräumt habe, daß die von ihr zunächst zum Zweck des Rechnungsabschlusses für das Haushaltsjahr 1988 vorgelegten Zahlen Fehler enthalten hätten.

36 Im vorliegenden Fall besteht unstreitig ein erheblicher Unterschied zwischen den Zahlen, die die Niederlande für den Rechnungsabschluß vorgelegt haben, und denen, die sie an Eurostat übersandt hat, auch wenn letztere eine unvermeidliche, für Statistiken charakteristische Fehlerquote aufweisen. Wie die Kommission ausgeführt hat, ohne daß ihr die Niederlande widersprochen hätten, werden die Angaben, die die niederländische Regierung an Eurostat übermittelt, über ein Jahr nach Vornahme der Maßnahmen übersandt, auf die sie sich beziehen, und können folglich vor der Übermittlung an Eurostat geprüft und berichtigt werden. Wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, war der Unterschied zwischen den beiden genannten Gruppen von Zahlen hinreichend groß, um vernünftige und ernste Zweifel an den von den Niederlanden beim Abschluß der EAGFL-Rechnungen für das fragliche Wirtschaftsjahr vorgelegten Buchungsunterlagen zu wecken.

37 Zu prüfen ist jedoch, ob die Niederlande Schritte unternommen haben, um die Unrichtigkeit der finanziellen Konsequenzen nachzuweisen, die die Kommission aus der Diskrepanz zwischen den verschiedenen von der niederländischen Regierung übermittelten Zahlen gezogen hatte. Wie oben (Randnr. 4) dargelegt, hatte die niederländische Regierung die Revisionsabteilung des Ministeriums für Landwirtschaft, Naturbewirtschaftung und Fischerei im Anschluß an die Unterredungen zwischen den niederländischen Beamten und den Beamten der Kommission beauftragt, systematisch zu untersuchen, ob die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor vollständig erhoben und an die zuständige Stelle abgeführt worden war. Die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigten aber die Richtigkeit der letzten von den Niederlanden vorgelegten Zahlen.

38 Die Kommission entgegnet darauf, daß diese Untersuchung in Wahrheit nicht der Prüfung gedient habe, ob die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor in den Niederlanden vollständig erhoben worden sei, sondern nur der Feststellung, daß das niederländische System die korrekte Erhebung der genannten Abgabe zugelassen habe und zulasse. Ausserdem habe sich die Untersuchung auf die Durchsicht der Bücher und Buchungsunterlagen bei den Unternehmen und den öffentlichen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen der Niederlande beschränkt. Betrügereien seien jedoch unstreitig nicht in den Büchern oder in den Buchungsunterlagen der Unternehmen verzeichnet.

39 Angesichts dieses Vorbringens ist das von den Niederlanden geschaffene Kontrollsystem zur Sicherstellung der Erhebung der Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor zu prüfen. Wie die niederländische Regierung insoweit in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, ohne daß ihr die Kommission widersprochen hätte, haben die Behörden dieses Landes ein von der "Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten" verwaltetes System zur Registrierung aller potentiell abgabepflichtigen Unternehmen entwickelt. Für das fragliche Jahr hätten diese Einrichtung sowie der Inspektionsdienst des niederländischen Ministeriums für Landwirtschaft, Naturbewirtschaftung und Fischerei Kontrollen von 90 % der Bücher aller registrierten Verarbeitungsunternehmen durchgeführt.

40 Bei der anschließend vom genannten Ministerium vorgenommenen Untersuchung seien diese Zahlen nochmals berichtigt und überprüft worden; sie habe sich keineswegs auf eine Beurteilung der von der Finanzabteilung des Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten vorgenommenen Kontrolle beschränkt. Sie habe sich auch auf die regelmässigen Erklärungen der registrierten Unternehmen zu den verarbeiteten oder nicht verarbeiteten Mengen sowie auf die ordnungsgemässe Behandlung dieser Erklärungen und der Bescheinigungen über die abgabefreien Mengen durch die Verwaltung erstreckt. Bei der Untersuchung sei schließlich im Rahmen von Prüfungen an Ort und Stelle die Beachtung der Mitverantwortungsabgabe durch die Unternehmen geprüft und die Struktur und Funktionsfähigkeit des Verwaltungsapparats und der niederländischen innerstaatlichen Kontrolle beurteilt worden.

41 Die Prüfung der von den Dienststellen des niederländischen Ministeriums für Landwirtschaft, Naturbewirtschaftung und Fischerei nach den Angaben in den Akten durchgeführten Untersuchung ergibt unter Berücksichtigung der Umstände der Rechtssache sowie der seit den Ereignissen und Maßnahmen, die Gegenstand der Kontrolle waren, verstrichenen Zeit, daß sie hinreichend gründlich und systematisch vorgenommen wurde, um die von der Kommission angeführten Zweifel beseitigen zu können.

42 Das Vorbringen, Betrügereien seien nicht in den Unterlagen verzeichnet, ist zwar durchaus richtig; klar ist aber auch, daß die Kontrolle bereits vorgenommener Tätigkeiten und Maßnahmen nur auf der Grundlage bestehender Unterlagen, ihrer Prüfung und ihres Vergleichs erfolgen kann. Im übrigen hat die Kommission ausgeführt, daß auch die Zuverlässigkeit der von ihr selbst vorgelegten Statistiken auf dem Umstand beruht, daß sie fast alle anhand von Unterlagen überprüft werden können. Falls sich schließlich zeigen sollte, daß bestimmte Betrügereien von den niederländischen Dienststellen nicht entdeckt worden wären, dann könnten sie auch nicht durch die Heranziehung statistischer Daten entdeckt werden, die gerade auf den Angaben dieser Dienststellen basieren.

43 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die Niederlande in rechtlich hinreichender Weise dargelegt haben, daß die Kommission aus Zweifeln, die sich aus Unterschieden zwischen den verschiedenen von der niederländischen Regierung übermittelten Zahlen ergaben, unzutreffende Konsequenzen gezogen hat.

44 Folglich ist die Entscheidung 90/644 der Kommission insoweit für nichtig zu erklären, als darin ein Betrag von 708 540 HFL nicht zu Lasten des EAGFL übernommen wurde.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

46 Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung haben das Vereinigte Königreich und die Französische Republik, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge des Königreichs der Niederlande beigetreten sind, ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung 90/644/EWG der Kommission vom 30. November 1990 über den Rechnungsabschluß der Mitgliedstaaten für die vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie (EAGFL), im Haushaltsjahr 1988 finanzierten Ausgaben wird insoweit für nichtig erklärt, als darin ein Betrag von 708 540 HFL nicht zu Lasten des EAGFL übernommen wurde.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

3) Das Vereinigte Königreich und die Französische Republik tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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