Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.09.1995
Aktenzeichen: C-485/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 9
EWG-Vertrag Art. 12
EWG-Vertrag Art. 13
EWG-Vertrag Art. 16
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren wegen deren Einführung in eine zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörende Region nach Maßgabe ihres Warenwerts erhebt, stellt eine ° mit den Artikeln 9 ff. des Vertrages unvereinbare ° Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll dar, auch wenn sie ebenfalls auf aus einem anderen Teil des Hoheitsgebiets desselben Staates in diese Region verbrachte Waren erhoben wird.

An dieser Feststellung ändert auch der Umstand nichts, daß eine nach Maßgabe des Warenwerts festgesetzte Abgabe auch auf aus dieser Region ausgeführte Waren erhoben wird und folglich mit der Abgabe nicht eine Beschränkung der Einfuhren, sondern die Sicherstellung der Mittel für die örtliche Verwaltung bezweckt wird.

Zum einen ergibt sich nämlich aus dem im Vertrag, insbesondere in seinen Artikeln 9, 12, 13 und 16, geregelten System der Zollunion sowie aus der Allgemeinheit und Absolutheit des Verbots aller Zölle im Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, daß das Verbot der Zölle unabhängig von dem Zweck, zu dem diese geschaffen wurden, sowie vom Verwendungszweck der durch sie bewirkten Einnahmen gilt. Zum anderen stellt eine den in- oder ausländischen Waren wegen ihres Grenzuebertritts einseitig auferlegte finanzielle Belastung, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinn ist, eine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 des Vertrages dar, selbst wenn sie nicht zugunsten des Staates erhoben wird und keine diskriminierende oder protektionistische Wirkung hat. Schließlich ist es für die Qualifizierung einer Abgabe nach dem Vertrag unerheblich, ob sie als eine globale Abgabe oder als zwei verschiedene Abgaben, nämlich eine Ausfuhr- und eine Einfuhrabgabe anzusehen ist. Eine Abgabe wie die in Rede stehende erschwert dadurch, daß sie allgemein auf alle Waren erhoben wird, die die Grenze überschreiten, die vom Vertrag gewollte gegenseitige Durchdringung und übt somit auf den freien Warenverkehr die gleiche Wirkung wie ein Zoll aus.

2. Eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführte Waren wegen deren Ausführung aus einer zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörenden Region nach Maßgabe des Warenwerts erhebt, stellt eine ° mit den Artikeln 9 ff. EWG-Vertrag unvereinbare ° Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Ausfuhrzoll dar.

An dieser Feststellung ändert auch der Umstand nichts, daß die Abgabe auch Waren trifft, die aus einer Region eines Mitgliedstaats in einen anderen Gebietsteil desselben Staates verbracht werden. Eine wegen der Ausführung von Waren aus einer Region eines Mitgliedstaats in andere Regionen desselben Mitgliedstaats an der Regionalgrenze erhobene Abgabe bedeutet nämlich für den freien Warenverkehr eine mindestens ebenso schwere Behinderung wie eine an der Staatsgrenze wegen der Ausführung der Waren aus dem ganzen Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erhobene Abgabe.

3. Abgaben, die von einem Mitgliedstaat auf Waren, die in eine oder aus einer Region seines Hoheitsgebiets verbracht werden, nach Maßgabe des Warenwerts erhoben werden, sind nicht nur insoweit Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhr- und Ausfuhrzölle, als sie aus anderen Mitgliedstaaten in diese Region oder aus dieser Region in andere Mitgliedstaaten verbrachte Waren betreffen, sondern auch insoweit, als sie auf Waren erhoben werden, die aus einem anderen Teil desselben Staates in diese Region oder aus dieser Region in andere Regionen desselben Staates verbracht werden.

4. Da die in der griechischen Region des Dodekanes bei der Ausfuhr und bei der Einfuhr erhobene und nach Maßgabe des Warenwerts der in diese Region eingeführten oder aus dieser Region ausgeführten Waren berechnete Gemeindeabgabe als eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie der in den französischen überseeischen Departements erhobene "octroi de mer" anzusehen ist, für den der Gerichtshof in seinem Vorabentscheidungsurteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90 (Legros u. a.) festgestellt hat, daß sich aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit niemand auf die Bestimmungen des Vertrages über die Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle berufen kann, um die Erstattung von Abgaben wie dem "octroi de mer", die vor dem Erlaß des Urteils entrichtet wurden, zu verlangen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt, konnte die Griechische Republik bis zum 16. Juli 1992 zulässigerweise die Auffassung vertreten, daß die genannte Gemeindeabgabe mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

Folglich muß der Gerichtshof aus den gleichen Gründen der Rechtssicherheit entscheiden, daß die in dem angeführten Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung auch für Anträge auf Erstattung der streitigen Gemeindeabgabe gilt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 14. SEPTEMBER 1995. - MARIA SIMITZI GEGEN DIMOS KOS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: DIOIKITIKO PROTODIKEIO RODOU - GRIECHENLAND. - FREIER WARENVERKEHR - STEUERREGELUNG FUER DEN DODEKANES - ABGABE ZOLLGLEICHER WIRKUNG - ZEITLICHE WIRKUNG EINES VORABENTSCHEIDUNGSURTEILS. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-485/93 UND C-486/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Monomeles Dioikitiko Protokideio Rhodos und das Trimeles Dioikitiko Protodikeio Rhodos (Griechenland) haben mit zwei Beschlüssen vom 25. Oktober 1993, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 24. Dezember 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des EWG-Vertrags, insbesondere seiner Artikel 9, 12, 13, 16 und 95, und des Artikels 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen von zwei Klagen wegen Aufhebung oder Änderung einer Entscheidung, mit der Maria Simitzi in das Heberegister für die gemeindlichen Einfuhrabgaben eingetragen wurde und mit der gegen sie Geldbussen wegen Nichterfuellung ihrer Verpflichtungen verhängt wurden.

3 Der Dodekanes, eine im äussersten Südosten der Ägäis gelegene Inselgruppe, stand bis 1946 unter italienischer Verwaltung. Die Regionalverordnungen Nrn. 187/1938 und 132/1939 der italienischen Verwaltung hatten die Erhebung einer Abgabe (dazio di consumo) auf die im Dodekanes eingeführten und ausgeführten Verbrauchsgüter vorgesehen und die Gemeinden des Dodekanes zu ihrer Einziehung ermächtigt.

4 Nach der Eingliederung des Dodekanes in das griechische Staatsgebiet blieb diese Gemeindeabgabe aufgrund mehrerer griechischer Regelungen in Kraft.

5 Im entscheidungserheblichen Zeitraum war die gemeindliche Einfuhrabgabe auf 4 % des Wertes der eingeführten Waren festgesetzt. Die gemeindliche Ausfuhrabgabe betrug, ausser für Rhodos, 1 % des Wertes der ausgeführten Waren.

6 Frau Simitzi führte zwischen dem 8. November und dem 23. Dezember 1991 und zwischen dem 2. Januar und dem 26. Februar 1992 Waren auf die Insel Kos ein. Der Bürgermeister von Kos erließ gemäß den nationalen Rechtsvorschriften eine Entscheidung, aufgrund deren Frau Simitzi wegen gemeindlicher Einfuhrabgaben, die nach dem Wert der während dieser Zeiträume eingeführten Waren berechnet worden waren, in das Heberegister der Gemeinde eingetragen wurde. Ausserdem wurde Frau Simitzi aufgrund dieser Entscheidung in dieses Register wegen Geldbussen wegen Nichterfuellung der im nationalen Recht vorgesehenen Verpflichtungen eingetragen.

7 Frau Simitzi erhob zwei Klagen auf Aufhebung oder Abänderung dieser Entscheidung, die eine am 14. Juli 1992 beim Monomeles Dioikitiko Protodikeio Rhodos und die andere am 24. Juni 1992 beim Trimeles Dioikitiko Protodikeio Rhodos.

8 Diese beiden Gerichte haben es als erforderlich angesehen, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofes über folgende Vorlagefragen auszusetzen:

1) Stellt eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren wegen deren Einführung in eine zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörende Region nach Maßgabe ihres Warenwerts erhebt, auch dann eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle dar, wenn sie auch auf aus einem anderen Teil des Hoheitsgebiets desselben Staates in diese Region verbrachte Waren erhoben wird?

2) Stellt eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführte Waren wegen ihrer Ausführung aus einer zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörenden Region nach Maßgabe des Warenwerts erhebt, auch dann eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie Ausfuhrzölle dar, wenn sie auch auf aus dieser Region in einen anderen Teil des Hoheitsgebiets desselben Staates verbrachte Waren erhoben wird?

3) Stehen gesetzliche Vorschriften, aufgrund deren die beiden oben genannten, nach Maßgabe des Warenwerts festgesetzten Abgaben weiterhin erhoben werden, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht?

4) Wenn die vorstehende Frage zu verneinen ist, stellt sich angesichts der Tatsache, daß das dem Gemeinschaftsrecht unterliegende Gebiet auch das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats umfasst, in dem in einem Gebietsteil die obengenannten, nach Maßgabe des Warenwerts festgesetzten Abgaben erhoben werden ° die Gemeinschaftsverträge über den Beitritt enthalten hierzu keine besonderen Bestimmungen °, die Frage, ob nach dem Gemeinschaftsrecht sowohl eine Regelung über die Erhebung einer Abgabe auf Waren, die in den genannten Gebietsteil speziell und allein aus anderen Regionen desselben Mitgliedstaats eingeführt werden, als auch eine Regelung über die Erhebung einer Abgabe auf Waren, die aus diesem Gebietsteil speziell und allein in andere Regionen dieses Staates ausgeführt werden, zulässig ist, oder aber ob diese besondere Abgabe die Waren, die aus den vorgenannten Gebieten stammen oder für diese bestimmt sind, in bezug auf den genannten Gebietsteil gegenüber Waren diskriminiert, die aus anderen Mitgliedstaaten stammen oder für diese bestimmt sind und auf diese Weise den freien Warenverkehr innerhalb des einheitlichen Gemeinschaftsgebiets behindert.

5) Wenn der Gerichtshof in den obengenannten nach Maßgabe des Warenwerts festgesetzten Abgaben eine inländische Abgabe sehen sollte, stellt sich die Frage, ob diese Abgaben finanzielle Abgaben darstellen, die den Charakter von Umsatzsteuern haben, und ob ihre kumulative Erhebung zusammen mit der Mehrwertsteuer nach Artikel 33 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates verboten ist.

9 Durch Beschluß vom 30. Januar 1995 sind die beiden Rechtssachen gemäß Artikel 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zur ersten Frage

10 Die erste Frage der vorlegenden Gerichte betrifft den Begriff der Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle.

11 Mit seinem Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90 (Legros u. a., Slg. 1992, I-4625) hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren wegen deren Einführung in eine zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörende Region nach Maßgabe des Zollwerts der Waren erhebt, auch dann eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll darstellt, wenn sie auch die in diese Region aus einem anderen Teil desselben Staates eingeführten Waren trifft.

12 Die Griechische Republik macht jedoch geltend, die in den Ausgangsverfahren streitige Abgabe sei von der Abgabe zu unterscheiden, um die es in der Rechtssache Legros u. a. (a. a. O.) gehe. Der "octroi de mer" in der Rechtssache Legros u. a. sei ausschließlich auf eingeführte Waren erhoben worden und habe die Einfuhr beschränken und dadurch die lokale Erzeugung anregen sollen. Dagegen sei in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten die Gemeindeabgabe nicht nur auf Einfuhren, sondern auch auf Ausfuhren aus dem Dodekanes, einschließlich der Ausfuhren lokaler Erzeugnisse, erhoben worden. Dieser Unterschied zeige, daß mit der Erhebung der Gemeindeabgabe ausschließlich die Sicherstellung der Mittel für die örtliche Verwaltung bezweckt worden sei. Folglich stelle diese Abgabe keine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhr- oder Ausfuhrzoll dar.

13 Dieses Vorbringen ist nicht begründet.

14 Zum einen ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung aus dem im Vertrag, insbesondere in seinen Artikeln 9, 12, 13 und 16, geregelten System der Zollunion sowie aus der Allgemeinheit und Absolutheit des Verbots aller Zölle im Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, daß das Verbot der Zölle unabhängig von dem Zweck, zu dem diese geschaffen wurden, sowie vom Verwendungszweck der durch sie bewirkten Einnahmen gilt (vgl. Urteil vom 1. Juli 1969 in der Rechtssache 24/68, Kommission/Italien, Slg. 1969, 193, Randnr. 7).

15 Zum anderen stellt eine den in- oder ausländischen Waren wegen ihres Grenzuebertritts einseitig auferlegte finanzielle Belastung, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinn ist, eine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 des Vertrages dar, selbst wenn sie nicht zugunsten des Staates erhoben wird und keine diskriminierende oder protektionistische Wirkung hat (a. a. O., Randnr. 9).

16 Schließlich ist es für die Qualifizierung einer Abgabe nach dem Vertrag unerheblich, ob sie als eine globale Abgabe oder als zwei verschiedene Abgaben, nämlich eine Ausfuhr- und eine Einfuhrabgabe anzusehen ist. Eine Abgabe wie die in Rede stehende erschwert dadurch, daß sie allgemein auf alle Waren erhoben wird, die die Grenze überschreiten, die vom Vertrag gewollte gegenseitige Durchdringung und übt somit auf den freien Warenverkehr die gleiche Wirkung wie ein Zoll aus (a. a. O., Randnr. 14).

17 Die erste Frage der vorlegenden Gerichte ist daher dahin zu beantworten, daß eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren wegen deren Einführung in eine zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörende Region nach Maßgabe des Warenwerts erhebt, eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll darstellt, auch wenn sie ebenfalls auf aus einem anderen Teil des Hoheitsgebiets desselben Staates in diese Region verbrachte Waren erhoben wird und eine nach Maßgabe des Warenwerts festgesetzte Abgabe auch auf aus dieser Region ausgeführte Waren erhoben wird.

Zur zweiten Frage

18 Die zweite Frage der vorlegenden Gerichte betrifft den Begriff der Abgaben mit gleicher Wirkung wie Ausfuhrzölle.

19 Wie erwähnt, stellt eine den Waren wegen ihres Grenzuebertritts einseitig auferlegte finanzielle Belastung eine Abgabe gleicher Wirkung dar. Eine den inländischen Waren wegen deren Ausfuhr aus dem betreffenden Mitgliedstaat auferlegte Belastung stellt demnach eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Ausfuhrzoll im Sinne von Artikel 16 des Vertrages dar.

20 An diesem Ergebnis ändert auch die Tatsache nichts, daß die finanzielle Belastung auch Waren trifft, die aus einer Region eines Mitgliedstaats in einen anderen Gebietsteil desselben Staates verbracht werden.

21 Eine wegen der Ausführung von Waren aus einer Region eines Mitgliedstaats in andere Regionen desselben Mitgliedstaats an der Regionalgrenze erhobene Abgabe bedeutet für den freien Warenverkehr eine mindestens ebenso schwere Behinderung wie eine an der Staatsgrenze wegen der Ausführung der Waren aus dem ganzen Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erhobene Abgabe (vgl. in diesem Sinne Urteil Legros u. a., a. a. O., Randnr. 16).

22 Die zweite Frage der vorlegenden Gerichte ist demnach dahin zu beantworten, daß eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführte Waren wegen deren Ausführung aus einer zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörenden Region nach Maßgabe des Warenwerts erhebt, eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Ausfuhrzoll darstellt, auch wenn sie ebenfalls auf aus dieser Region in einen anderen Gebietsteil desselben Staates verbrachte Waren erhoben wird.

Zur dritten Frage

23 In Anbetracht der Antworten auf die erste und die zweite Frage der vorlegenden Gerichte ist die dritte Frage dahin zu beantworten, daß eine nationale Vorschrift, aufgrund deren eine Abgabe zollgleicher Wirkung erhoben wird, mit den Artikeln 9 ff. des Vertrages nicht im Einklang steht.

Zur vierten Frage

24 Die vierte Frage der vorlegenden Gerichte betrifft den Charakter von Abgaben, die von einem Mitgliedstaat auf Waren, die in eine Region seines Hoheitsgebiets ausschließlich aus anderen Regionen desselben Staates verbracht werden, und auf Waren, die aus einer Region ausschließlich in andere Regionen desselben Staates verbracht werden, nach Maßgabe des Warenwerts erhoben werden.

25 Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. August 1994 in den Rechtssachen C-363/93, C-407/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93 und C-411/93 (Lancry u. a., Slg. 1994, I-3957) für Recht erkannt, daß eine Abgabe nach Maßgabe des Zollwerts der Waren, die ein Mitgliedstaat auf alle in eine Region seines Hoheitsgebiets verbrachten Waren erhebt, nicht nur insoweit eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll ist, als sie aus anderen Mitgliedstaaten in diese Region verbrachte Waren trifft, sondern auch insoweit, als sie auf Waren erhoben wird, die aus einem anderen Teil desselben Staates in diese Region verbracht werden.

26 Die gleichen Erwägungen müssen auch im Fall einer Abgabe gelten, die auf Waren erhoben wird, die aus einer Region in andere Regionen desselben Staates verbracht werden.

27 Die vierte Frage der vorlegenden Gerichte ist demnach dahin zu beantworten, daß Abgaben, die von einem Mitgliedstaat auf Waren, die in eine Region seines Hoheitsgebiets ausschließlich aus anderen Regionen desselben Staates verbracht werden, nach Maßgabe des Warenwerts und auf Waren, die aus einer Region ausschließlich in andere Regionen desselben Staates verbracht werden, nach Maßgabe des Warenwerts erhoben werden, Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhr- und Ausfuhrzölle darstellen.

Zur fünften Frage

28 Angesichts der vorstehenden Antworten erübrigt sich die Beantwortung der fünften Frage.

Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils

29 Die griechische Regierung hat in ihren mündlichen Erklärungen darauf hingewiesen, daß der Gerichtshof die Möglichkeit habe, die zeitliche Wirkung des vorliegenden Urteils zu beschränken, wenn er eine Abgabe wie die in Rede stehende als unvereinbar mit den einschlägigen Bestimmungen des Vertrages ansehen sollte. Sie führt die Unsicherheit an, die bis zum Erlaß der Urteile Legros u. a. (a. a. O.) und Lancry u. a. (a. a. O.) hinsichtlich der tatsächlichen Tragweite des Verbotes von Abgaben gleicher Wirkung bestanden habe, und verweist auf die schwerwiegenden finanziellen Folgen, die eine Entscheidung, mit der die fragliche Abgabe für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erklärt würde, für die örtlichen Verwaltungen hätte.

30 Der Gerichtshof hat insoweit im Urteil Legros u. a. (a. a. O.) festgestellt, daß sich aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit niemand auf die Bestimmungen des Vertrages über die Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle berufen kann, um die Erstattung von Abgaben wie dem "octroi de mer", die vor dem Erlaß dieses Urteils (16. Juli 1992) entrichtet wurden, zu verlangen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

31 Die streitige Abgabe ist als eine Abgabe gleicher Art wie der in der Rechtssache Legros u. a. streitige "octroi de mer" anzusehen. Die Griechische Republik konnte daher bis zum 16. Juli 1992 zulässigerweise die Auffassung vertreten, daß die streitige Abgabe mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

32 Folglich ist aus den gleichen Gründen der Rechtssicherheit zu entscheiden, daß die im Urteil Legros u. a. ausgesprochene zeitliche Beschränkung auch für Anträge auf Erstattung der streitigen Abgaben gilt.

33 Dagegen sind die zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht über den 16. Juli 1992, den Tag des Erlasses des Urteils Legros u. a. (a. a. O.), hinaus zu beschränken. Nach diesem Zeitpunkt hätte die griechische Regierung nämlich wissen müssen, daß die streitige Abgabe nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar war.

34 Somit ist festzustellen, daß sich niemand auf die Bestimmungen des Vertrages über Abgaben zollgleicher Wirkung berufen kann, um die Erstattung der vor dem 16. Juli 1992 erhobenen streitigen Abgaben zu verlangen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

Kostenentscheidung:

Kosten

35 Die Auslagen der griechischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Monomeles Dioikitiko Protodikeio Rhodos und vom Trimeles Dioikitiko Protodikeio Rhodos mit Beschlüssen vom 25. Oktober 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren wegen deren Einführung in eine zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörende Region nach Maßgabe ihres Warenwerts erhebt, stellt eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll dar, auch wenn sie ebenfalls auf aus einem anderen Teil des Hoheitsgebiets desselben Staates in diese Region verbrachte Waren erhoben wird und eine nach Maßgabe des Warenwerts festgesetze Abgabe auch auf aus dieser Region ausgeführte Waren erhoben wird.

2) Eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführte Waren wegen deren Ausführung aus einer zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörenden Region nach Maßgabe des Warenwerts erhebt, stellt eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Ausfuhrzoll dar, auch wenn sie ebenfalls auf aus dieser Region in einen anderen Gebietsteil desselben Staates verbrachte Waren erhoben wird.

3) Eine nationale Vorschrift, aufgrund deren eine Abgabe zollgleicher Wirkung erhoben wird, steht nicht im Einklang mit den Artikeln 9 ff. EWG-Vertrag.

4) Abgaben, die von einem Mitgliedstaat auf Waren, die in eine Region seines Hoheitsgebiets ausschließlich aus anderen Regionen desselben Staates verbracht werden, und auf Waren, die aus einer Region ausschließlich in andere Regionen desselben Staates verbracht werden, nach Maßgabe des Warenwerts erhoben werden, stellen Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhr- und Ausfuhrzölle dar.

5) Niemand kann sich auf die Bestimmungen des EWG-Vertrags über die Abgaben zollgleicher Wirkung berufen, um die Erstattung der vor dem 16. Juli 1992 erhobenenen streitigen Abgaben zu verlangen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

Ende der Entscheidung

Zurück