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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.10.2001
Aktenzeichen: C-49/98
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 59
EG-Vertrag Art. 60
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) stehen dem nicht entgegen, dass ein Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen des Baugewerbes, das eine Dienstleistung im Gebiet des ersten Mitgliedstaats erbringt, einer nationalen Regelung unterwirft, durch die den zu diesem Zweck von dem Unternehmen entsandten Arbeitnehmern Urlaubsansprüche garantiert werden, sofern zum einen die Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers keinen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz genießen, so dass die Anwendung der nationalen Regelung des ersten Mitgliedstaats ihnen einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt, und zum anderen die Anwendung dieser Regelung des ersten Mitgliedstaats im Hinblick auf das verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig ist.

( vgl. Randnr. 53, Tenor 1 )

2. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) stehen der Ausdehnung der Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Urlaubslänge vorsieht, die über die in der Richtlinie 93/104 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgesehene hinausgeht und die für den sozialen Schutz der Arbeitnehmer im Baugewerbe erforderlich ist, auf die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistenden des Baugewerbes in diesen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Entsendung nicht entgegen.

( vgl. Randnrn. 58-59, Tenor 2 )

3. Sofern eine unterschiedliche Behandlung durch objektive Unterschiede zwischen Unternehmen des Baugewerbes, die im Aufnahmemitgliedstaat ansässig sind, und solchen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, bezüglich der tatsächlichen Durchführung der Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsvergütungen an die Arbeitnehmer gerechtfertigt ist, stehen die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Erstgenannten einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gegen die Urlaubskasse zubilligt, für die Zweitgenannten aber einen solchen Anspruch nicht vorsieht, sondern stattdessen einen direkten Anspruch der entsandten Arbeitnehmer gegen diese Kasse begründet.

( vgl. Randnr. 65, Tenor 2 )

4. Die durch eine nationale Regelung, die die Arbeitnehmer im Baugewerbe insbesondere im Hinblick auf ihre Urlaubsansprüche wirksam schützen soll, den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die Arbeitnehmer in das nationale Hoheitsgebiet entsenden, auferlegte Verpflichtung, der Urlaubskasse mehr Auskünfte zu erteilen als die im nationalen Hoheitsgebiet ansässigen Arbeitgeber, stellt eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Artikels 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) dar.

Eine derartige Beschränkung kann gerechtfertigt sein, wenn sie erforderlich ist, um dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses, den der soziale Schutz der Arbeitnehmer darstellt, effektiv und mit den geeigneten Mitteln Rechnung zu tragen.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermitteln, welche Arten von Auskünften die Behörden des betroffenen Mitgliedstaats von den im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässigen Dienstleistenden zulässigerweise verlangen können. Zu diesem Zweck hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob objektive Unterschiede zwischen der Situation von im Inland ansässigen Unternehmen und derjenigen von in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen die von Letzteren verlangten zusätzlichen Auskünfte sachlich erforderlich machen.

( vgl. Randnrn. 69-72, 75, Tenor 2 )

5. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) stehen der Anwendung der Urlaubsregelung eines Mitgliedstaats auf alle Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind und im Gebiet des ersten Mitgliedstaats Dienstleistungen im Baugewerbe erbringen, entgegen, wenn nicht alle in dem ersten Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die nur einen Teil ihrer Tätigkeit in diesem Gewerbe ausüben, dieser Regelung in Bezug auf ihre in diesem Gewerbe beschäftigten Arbeitnehmer unterliegen.

( vgl. Randnr. 83, Tenor 3 )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 25. Oktober 2001. - Finalarte Sociedade de Construção Civil Ldª (C-49/98), Portugaia Construções Ldª (C-70/98) und Engil Sociedade de Construção Civil SA (C-71/98) gegen Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft und Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft gegen Amilcar Oliveira Rocha (C-50/98), Tudor Stone Ltd (C-52/98), Tecnamb-Tecnologia do Ambiante Ldª (C-53/98), Turiprata Construções Civil Ldª (C-54/98), Duarte dos Santos Sousa (C-68/98) und Santos & Kewitz Construções Ldª (C-69/98). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Arbeitsgericht Wiesbaden - Deutschland. - Freier Dienstleistungsverkehr - Vorübergehende Entsendung zur Erfüllung eines Vertrages - Jahresurlaub und Urlaubsgeld. - Verbundene Rechtssachen C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Arbeitsgericht Wiesbaden (Deutschland) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Finalarte Sociedade de Construção Civil Lda

gegen

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (C-49/98),

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft

gegen

Amilcar Oliveira Rocha (C-50/98),

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft

gegen

Tudor Stone Ltd (C-52/98),

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft

gegen

Tecnamb-Tecnologia do Ambiente Lda (C-53/98),

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft

gegen

Turiprata Construções Civil Lda (C-54/98),

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft

gegen

Duarte dos Santos Sousa (C-68/98),

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft

gegen

Santos & Kewitz Construções Lda (C-69/98),

Portugaia Construções Lda

gegen

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (C-70/98)

und

Engil Sociedade de Construção Civil SA

gegen

Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (C-71/98)

vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 48 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 49 EG) und des Artikels 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) sowie des Artikels 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 zweiter Gedankenstrich Buchstabe b der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter) und L. Sevón,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Finalarte Sociedade de Construção Civil Lda und der Portugaia Construções Lda, vertreten durch Rechtsanwalt B. Buchberger,

- der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, vertreten durch Rechtsanwalt J. Sedemund,

- der Tudor Stone Ltd, vertreten durch Rechtsanwalt K. Kühne,

- der Tecnamb-Tecnologia do Ambiente Lda, vertreten durch Rechtsanwalt O. Wulff,

- der Santos & Kewitz Construções Lda, vertreten durch E. Kewitz, gerente,

- der Engil Sociedade de Construção Civil SA, vertreten durch Rechtsanwalt A. Böken,

- der deutschen Regierung, vertreten durch E. Röder und C.-D. Quassowski als Bevollmächtigte,

- der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder als Bevollmächtigten im Beistand von B. van de Walle de Ghelcke, avocat,

- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger und C. Chavance als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers als Bevollmächtigten,

- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und M. Patakia als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte I. Brinker und R. Karpenstein,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Finalarte Sociedade de Construção Civil Lda und der Portugaia Construções Lda, vertreten durch Rechtsanwalt B. Buchberger, der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, vertreten durch Rechtsanwalt T. Lübbig, der Engil Sociedade de Construção Civil SA, vertreten durch Rechtsanwalt A. Böken, der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski, der französischen Regierung, vertreten durch C. Bergeot als Bevollmächtigte, der niederländischen Regierung, vertreten durch J. van Bakel als Bevollmächtigte, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch M. Patakia im Beistand von Rechtsanwalt R. Karpenstein, in der Sitzung vom 30. März 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Juli 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Beschlüssen vom 10. Februar 1998 (C-49/98), 16. Februar 1998 (C-50/98) und 17. Februar 1998 (C-52/98 bis C-54/98), beim Gerichtshof eingegangen am 24. Februar 1998, und vom 27. Februar 1998 (C-68/98 bis C-71/98), beim Gerichtshof eingegangen am 13. März 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 48 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 49 EG) und des Artikels 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) sowie des Artikels 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 zweiter Gedankenstrich Buchstabe b der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in neun Verfahren, die sich jeweils auf das Urlaubskassenverfahren zur Finanzierung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer im Baugewerbe beziehen. Drei dieser Verfahren (C-49/98, C-70/98 und C-71/98) betreffen negative Feststellungsklagen. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (im Folgenden: Kasse) ist Beklagte in diesen Verfahren. Kläger sind in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässige Arbeitgeber, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt haben und von der Kasse aufgefordert wurden, Beiträge zu zahlen und für die Berechnung dieser Beiträge die Auskünfte zu erteilen, die im Verfahrenstarifvertrag (Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, im Folgenden: VTV) vorgesehen sind. Die anderen Verfahren (C-50/98, C-52/98 bis C-54/98, C-68/98 und C-69/98) betreffen Klagen der Kasse auf Zahlung von Beiträgen und Erteilung von Auskünften gegen in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässige Arbeitgeber, die Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt haben.

Nationale Regelung

3 Die Urlaubsregelung für Arbeitnehmer im Baugewerbe ist in Deutschland im Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer - Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) und im Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) niedergelegt.

4 Durchgeführt wird die Regelung durch ein Urlaubskassenverfahren, das im Wesentlichen durch den VTV geregelt ist. Der VTV und der BRTV-Bau sind vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung für das gesamte Baugewerbe für allgemeinverbindlich erklärt worden.

5 Für das Baugewerbe ist kennzeichnend, dass die Arbeitnehmer häufig ihren Arbeitgeber wechseln. Aus diesem Grund sieht der BRTV-Bau vor, dass die verschiedenen Arbeitsverhältnisse eines Arbeitnehmers während des Bezugsjahres zu einem Arbeitsverhältnis zusammengefasst werden. Diese Fiktion erlaubt es dem Arbeitnehmer, seine bei verschiedenen Arbeitgebern während des Bezugsjahres erworbenen Urlaubsansprüche zusammenzurechnen und in vollem Umfang bei seinem aktuellen Arbeitgeber geltend zu machen, unabhängig davon, wie lange er bei diesem Arbeitgeber beschäftigt ist.

6 Dieses System würde normalerweise zu einer schweren finanziellen Belastung dieses Arbeitgebers führen, da er gezwungen wäre, dem Arbeitnehmer Urlaubsvergütung auch für die Urlaubstage zu zahlen, auf die ein Anspruch bei anderen Arbeitgebern erworben wurde. Die Kasse wurde geschaffen, um diesen Nachteil abzuwenden und eine gleichmäßige Verteilung der finanziellen Belastungen zwischen den betroffenen Arbeitgebern zu gewährleisten.

7 Zu diesem Zweck zahlen die in Deutschland ansässigen Arbeitgeber an die Kasse Beiträge in Höhe von 14,45 % ihrer Bruttolohnsumme. Sie erwerben im Gegenzug insbesondere Ansprüche auf volle oder teilweise Erstattung der Leistungen, die sie in Form von Urlaubsentgelt und zusätzlichem Urlaubsgeld an die Arbeitnehmer erbracht haben.

8 Die Arbeitgeber müssen der Kasse monatlich bestimmte Auskünfte erteilen, damit diese deren monatliche Bruttolohnsumme feststellen und die geschuldeten Beiträge berechnen kann.

9 Durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz vom 26. Februar 1996 (BGBl. I S. 227, im Folgenden: AEntG) wurde die Anwendbarkeit der Vorschriften der Tarifverträge für das Baugewerbe über den Jahresurlaub mit Wirkung vom 1. März 1996 unter bestimmten Voraussetzungen auf Arbeitsverhältnisse zwischen Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands und den von ihnen zur Erbringung baulicher Leistungen auf eine Baustelle in Deutschland entsandten Arbeitnehmern erstreckt.

10 In diesem Zusammenhang wurde § 8 BRTV-Bau über den Urlaub geändert, und der VTV wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1997 um einen Teil 3 (Urlaubsverfahren für außerhalb Deutschlands ansässige Arbeitgeber und ihre in Deutschland beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer) ergänzt. Die außerhalb Deutschlands ansässigen Arbeitgeber sind also zur Teilnahme am Urlaubskassenverfahren gezwungen, was u. a. die Verpflichtung beinhaltet, bis zum 30. Juni 1997 14,82 % und danach 14,25 % der Bruttolohnsumme der von ihnen nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer an die Kasse zu zahlen.

11 Es bestehen jedoch Unterschiede zwischen dem Verfahren für in Deutschland ansässige Arbeitgeber und demjenigen für andere Arbeitgeber. Anders als beim Verfahren für in Deutschland ansässige Arbeitgeber ist erstens ein Erstattungsanspruch der außerhalb Deutschlands ansässigen Arbeitgeber gegen die Kasse nicht vorgesehen. Vielmehr begründet der VTV einen Anspruch jedes einzelnen entsandten Arbeitnehmers gegenüber der Kasse auf Zahlung der Urlaubsvergütungen.

12 Zweitens müssen die außerhalb Deutschlands ansässigen Arbeitgeber der Kasse mehr Auskünfte erteilen als die in Deutschland ansässigen Arbeitgeber.

13 Drittens gilt ein unterschiedlicher Betriebsbegriff, je nachdem, ob der Arbeitgeber in Deutschland ansässig ist oder nicht. § 1 Absatz 4 AEntG lautet:

Für die Zuordnung zum betrieblichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach den Absätzen 1, 2 und 3 gelten die vom Arbeitgeber mit Sitz im Ausland im Inland eingesetzten Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit als Betrieb."

14 Demgegenüber ergibt sich aus § 7 BRTV-Bau, dass für die Feststellung, ob ein in Deutschland ansässiger Arbeitgeber den Tarifverträgen für das Baugewerbe unterworfen ist, eine Baustelle oder ausschließlich die auf einer Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer nicht als Betrieb gelten. Vielmehr stellt insoweit die organisatorische Einheit, von der aus Arbeitnehmer auf Baustellen entsandt werden, den Betrieb dar.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15 Von den Arbeitgebern, die Parteien der Ausgangsverfahren sind, sind acht in Portugal und einer im Vereinigten Königreich ansässig. Jeder von ihnen entsandte 1997 Arbeitnehmer zur Erbringung baulicher Leistungen nach Deutschland.

16 Die Kasse verlangt von diesen Arbeitgebern die Teilnahme am Umlageverfahren zur Finanzierung der Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer im Baugewerbe. Sie beruft sich hierfür auf den VTV und auf § 1 Absätze 1 und 3 AEntG.

17 Zur Vorbereitung der Erhebung der dort vorgesehenen Beitragsforderungen verlangt sie von diesen Arbeitgebern die Erteilung bestimmter, im VTV vorgesehener Auskünfte.

18 Da die Entscheidung der Ausgangsverfahren seiner Ansicht nach von der Auslegung der Gemeinschaftsregelung abhängt, hat das Arbeitsgericht Wiesbaden die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind Artikel 48, 59 und 60 EG-Vertrag so auszulegen, dass sie durch eine Vorschrift des nationalen Rechts - § 1 Absatz 3 Satz 1 AEntG - verletzt werden, die die Geltung der Rechtsnormen für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge über die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmern durch gemeinsame Einrichtungen von Tarifvertragsparteien und damit die Rechtsnormen dieser Tarifverträge über das dabei zu beachtende Verfahren auf einen im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seine in den räumlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge entsandten Arbeitnehmer erstreckt?

2. Sind Artikel 48, 59 und 60 EG-Vertrag so auszulegen, dass sie durch die Vorschriften des § 1 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 Satz 1 AEntG verletzt werden, die die Anwendung von Rechtsnormen für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge zur Folge haben, die

a) eine Urlaubslänge vorsehen, die über die in der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung festgelegte Mindestlänge des Jahreserholungsurlaubs hinausgeht,

und/oder

b) einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gegen gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien in Deutschland ansässigen Arbeitgebern zubilligen, für im Ausland ansässige Arbeitgeber aber einen solchen Anspruch nicht vorsehen, sondern stattdessen einen direkten Anspruch der entsandten Arbeitnehmer gegen die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien,

und/oder

c) im Rahmen des nach diesen Tarifverträgen zu beachtenden Sozialkassenverfahrens Auskunftsverpflichtungen der im Ausland ansässigen Arbeitgeber gegenüber gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorsehen, die dem Umfang der zu erteilenden Auskünfte nach über den Umfang hinausgehen, der die in Deutschland ansässigen Arbeitgeber trifft?

3. Sind Artikel 48, 59 und 60 EG-Vertrag so auszulegen, dass sie durch die Regelung des § 1 Absatz 4 AEntG verletzt werden, der zufolge für die Zuordnung zu dem betrieblichen Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags, der nach § 1 Absatz 3 Satz 1 AEntG auch für im Ausland ansässige Arbeitgeber und ihre in den räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags entsandten Arbeitnehmer gilt, alle - aber auch nur die - nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer als ein Betrieb gelten, obwohl für in Deutschland ansässige Arbeitgeber ein abweichender Betriebsbegriff gilt, der in bestimmten Fällen zu einer abweichenden Abgrenzung der Betriebe führt, die unter den Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags fallen?

4. Ist Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen dahin auszulegen, dass sie mit Rücksicht auf die korrekte Auslegung der Artikel 48, 59 und 60 EG-Vertrag jedenfalls die mit den Vorlagefragen 1 bis 3 problematisierten Regelungen weder anordnet noch zulässt?

Vorbemerkungen

19 Die Fragen des vorlegenden Gerichts werfen neben der Frage nach der Auslegung der Artikel 59 und 60 EG-Vertrag über den freien Dienstleistungsverkehr die Frage nach der Anwendbarkeit des Artikels 48 EG-Vertrag über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf.

20 Es ist unstreitig, dass die Ausgangsverfahren in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland ansässige Unternehmen betreffen, die ihre Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit zur Erbringung einer Dienstleistung auf eine Baustelle in Deutschland entsandt haben, so dass es um Sachverhalte geht, die unter die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag fallen.

21 Das vorlegende Gericht vertritt jedoch ebenso wie die Gesellschaften Finalarte Sociedade de Construção Civil Lda und Portugaia Construções Lda die Auffassung, Artikel 48 EG-Vertrag sei auf die Ausgangsverfahren ebenfalls anwendbar, da sich die Chancen der Arbeitnehmer, eingestellt und ins Ausland entsandt zu werden, verringerten, wenn ein Arbeitgeber sich aufgrund der Ausdehnung der Urlaubsregelung davon abhalten lasse, im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit eine Tätigkeit in Deutschland auszuüben.

22 Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass Arbeitnehmer, die von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen beschäftigt und vorübergehend zur Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt dieses zweiten Staates verlangen, da sie nach Erfuellung ihrer Aufgabe in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehren (vgl. Urteile vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 15, und vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93, Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, Randnr. 21).

23 Daraus folgt, dass Artikel 48 EG-Vertrag auf die Ausgangsverfahren nicht anwendbar ist. Dementsprechend brauchen die vorgelegten Fragen nicht anhand dieser Bestimmung geprüft zu werden.

24 Die vierte Frage gilt der Anwendbarkeit der Richtlinie 96/71.

25 Hierzu ist festzustellen, dass die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie, deren Ende auf den 16. Dezember 1999 festgesetzt wurde, zu dem in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt nicht abgelaufen war. Daher erübrigt sich für die Zwecke der Ausgangsverfahren ihre Auslegung und die Beantwortung der vierten Frage.

26 Daraus folgt, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung lediglich anhand der Artikel 59 und 60 EG-Vertrag zu prüfen ist.

27 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag grundsätzlich dem entgegenstehen, dass ein Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, das eine Dienstleistung im Gebiet des ersten Mitgliedstaats erbringt, einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 1 Absatz 3 Satz 1 AEntG unterwirft, durch die den zu diesem Zweck von dem Unternehmen entsandten Arbeitnehmern Urlaubsansprüche garantiert werden. Mit der zweiten und der dritten Frage soll festgestellt werden, ob bestimmte Aspekte dieser Regelung dazu führen, dass ihre Ausdehnung auf ein solches Unternehmen mit den Artikeln 59 und 60 EG-Vertrag unvereinbar ist.

Zur ersten Frage

28 Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Artikel 59 EG-Vertrag nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen - selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten -, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. insbesondere Urteile vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnr. 33, und vom 15. März 2001 in der Rechtssache C-165/98, Mazzoleni und ISA, Slg. 2001, I-2189, Randnr. 22).

29 Ein Mitgliedstaat darf insbesondere die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung all derjenigen Voraussetzungen abhängig machen, die für eine Niederlassung gelten, und damit den Bestimmungen des EG-Vertrags, deren Ziel es gerade ist, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, jede praktische Wirksamkeit nehmen (vgl. Urteile vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 13, sowie Mazzoleni und ISA, Randnr. 23).

30 Die Anwendung der nationalen Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats auf Dienstleistende ist geeignet, Dienstleistungen zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, soweit daraus zusätzliche Kosten und zusätzliche administrative und wirtschaftliche Belastungen folgen (vgl. Urteil Mazzoleni und ISA, Randnr. 24).

31 Der freie Dienstleistungsverkehr darf als fundamentaler Grundsatz des Vertrages nur durch Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, soweit dieses Interesse nicht durch die Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist (vgl. insbesondere Urteile Arblade u. a., Randnr. 34, sowie Mazzoleni und ISA, Randnr. 25).

32 Die Anwendung der nationalen Regelungen eines Mitgliedstaats auf in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Dienstleistende muss geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. insbesondere Urteile Arblade u. a., Randnr. 35, sowie Mazzoleni und ISA, Randnr. 26).

33 Zu den bereits vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört der Schutz der Arbeitnehmer (vgl. insbesondere Urteile Arblade u. a., Randnr. 36, sowie Mazzoleni und ISA, Randnr. 27).

34 Um die Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats auf in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleistende anwenden zu können, müssen die zuständigen Behörden oder gegebenenfalls die Gerichte des ersten Mitgliedstaats daher unter Berücksichtigung der in den Randnummern 28 bis 33 dieses Urteils dargelegten Grundsätze ermitteln, ob diese Regelungen zu einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit führen können und, wenn ja, ob sie gleichwohl gerechtfertigt sind.

35 Zu der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung führt das vorlegende Gericht aus, ihre Anwendung auf die außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistenden stelle für diese eine Steigerung der Kosten und der administrativen und wirtschaftlichen Belastungen dar, so dass eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit vorliege.

36 In der Tat haben diese Dienstleistenden insbesondere Verwaltungsformalitäten zu beachten, wozu auch die Verpflichtung gehört, der Kasse Auskünfte zu erteilen.

37 Eine derartige Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit kann nur gerechtfertigt sein, wenn sie erforderlich ist, um ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel effektiv und mit den geeigneten Mitteln zu verfolgen.

38 Hierzu bemerkt das vorlegende Gericht, der Gesetzesbegründung zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz sei das erklärte Ziel zu entnehmen, die deutschen Unternehmen des Baugewerbes gegen den steigenden Wettbewerbsdruck im europäischen Binnenmarkt, also gegen ausländische Dienstleistende zu schützen. Schon im Vorfeld der Diskussion über den Entwurf dieses Gesetzes sei mehrfach darauf hingewiesen worden, dass mit einem solchen Gesetz vor allem angeblich unfairer Wettbewerb durch europäische Billiglohnunternehmen bekämpft werden solle.

39 Nach ständiger Rechtsprechung lassen sich Maßnahmen, die eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen, aber nicht durch Ziele wirtschaftlicher Art wie den Schutz der inländischen Unternehmen rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85, Bond van Adverteerders u. a., Slg. 1988, 2085, Randnr. 34, und vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-398/95, SETTG, Slg. 1997, I-3091, Randnr. 23).

40 Zwar kann die Absicht des Gesetzgebers, wie sie bei den politischen Debatten vor dem Erlass eines Gesetzes oder in dessen Begründung zum Ausdruck kommt, einen Anhaltspunkt für das durch dieses Gesetz verfolgte Ziel darstellen, sie kann aber nicht ausschlaggebend sein.

41 Das vorlegende Gericht muss vielmehr prüfen, ob die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung bei objektiver Betrachtung den Schutz der entsandten Arbeitnehmer fördert.

42 Hierfür ist zu prüfen, ob diese Regelung den betroffenen Arbeitnehmern einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt. In diesem Zusammenhang kann die erklärte Absicht des Gesetzgebers zu einer eingehenderen Prüfung der Vorteile führen, die den Arbeitnehmern durch die von ihm getroffenen Maßnahmen angeblich gewährt werden.

43 Wie der Generalanwalt in den Nummern 82 bis 107 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, lassen sich potenzielle Vorteile erkennen, die die deutsche Regelung den von außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistenden entsandten Arbeitnehmern gewähren könnte.

44 Insbesondere ist es möglich, dass dem Arbeitnehmer nach der deutschen Regelung mehr Urlaubstage und ein höheres Urlaubsgeld pro Tag zustehen als nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats seines Arbeitgebers. Außerdem scheint das in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Urlaubskassenverfahren Vorteile für die Arbeitnehmer zu haben, die zu einem in Deutschland ansässigen Unternehmen wechseln möchten, da es ihnen erlaubt, ihre Urlaubsansprüche mitzunehmen.

45 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob derartige potenzielle Vorteile den entsandten Arbeitnehmern einen tatsächlichen zusätzlichen Schutz gewähren. Bei dieser Prüfung ist erstens zu berücksichtigen, welchen Schutz die Arbeitnehmer in Bezug auf bezahlten Urlaub bereits nach der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers genießen. Denn die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung gewährt den entsandten Arbeitnehmern dann keinen tatsächlichen zusätzlichen Schutz, wenn diese nach der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers den gleichen oder einen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz genießen.

46 Zweitens muss das vorlegende Gericht für diese Prüfung ermitteln, ob es in der Praxis häufig vorkommt, dass Arbeitnehmer, die zur Durchführung eines bestimmten Projekts nach Deutschland entsandt werden, ihren Arbeitgeber verlassen, um zu einem in Deutschland ansässigen Unternehmen zu wechseln.

47 Insoweit ist daran zu erinnern, dass - wie in Randnummer 22 dieses Urteils festgestellt - Arbeitnehmer, die vorübergehend zur Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, nicht als dem Arbeitsmarkt dieses Staates angehörend anzusehen sind.

48 Drittens muss das vorlegende Gericht prüfen, ob die betroffenen Arbeitnehmer nach ihrer Rückkehr in den Niederlassungsmitgliedstaat ihres Arbeitgebers tatsächlich in der Lage sind, ihre Ansprüche auf Zahlung der Urlaubsvergütungen bei der Kasse geltend zu machen, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, welche Formalitäten sie dafür zu erledigen haben, welcher Sprache sie sich bedienen müssen und wie die Zahlungsmodalitäten beschaffen sind.

49 Sollte das vorlegende Gericht zu der Auffassung kommen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung tatsächlich ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt, das im Schutz der Arbeitnehmer besteht, die von außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistenden beschäftigt werden, müsste es unter Berücksichtigung aller einschlägigen Gesichtspunkte ebenfalls prüfen, ob diese Regelung im Hinblick auf die Verwirklichung dieses Zieles verhältnismäßig ist.

50 Zu diesem Zweck wären einerseits die dem Dienstleistenden aufgrund dieser Regelung entstehenden administrativen und wirtschaftlichen Belastungen und andererseits der zusätzliche soziale Schutz, den sie den Arbeitnehmern im Vergleich zur Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers gewährt, gegeneinander abzuwägen.

51 Insoweit müsste geprüft werden, ob das Ziel, den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern mehr Urlaubstage und ein höheres Urlaubsgeld pro Tag zu gewähren, als ihnen nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers zustehen, durch weniger einschneidende Vorschriften erreicht werden kann als diejenigen, die sich aus der hier fraglichen Regelung ergeben, z. B. durch eine Verpflichtung des außerhalb Deutschlands ansässigen Arbeitgebers, für die Dauer der Entsendung unmittelbar an den Arbeitnehmer die Urlaubsvergütungen zu zahlen, die ihm nach den deutschen Vorschriften zustehen.

52 In Hinblick auf das Ziel, entsandte Arbeitnehmer zu schützen, die ihren Arbeitgeber verlassen, um zu einem in Deutschland ansässigen Unternehmen zu wechseln, müsste das vorlegende Gericht prüfen, ob dieses Ziel dadurch erreicht werden könnte, dass der erste Arbeitgeber verpflichtet wird, dem Arbeitnehmer eine Vergütung zu zahlen, wenn er aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, ohne die ihm zustehenden Urlaubstage genommen zu haben.

53 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag dem nicht entgegenstehen, dass ein Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, das eine Dienstleistung im Gebiet des ersten Mitgliedstaats erbringt, einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 1 Absatz 3 Satz 1 AEntG unterwirft, durch die den zu diesem Zweck von dem Unternehmen entsandten Arbeitnehmern Urlaubsansprüche garantiert werden, sofern zum einen die Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers keinen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz genießen, so dass die Anwendung der nationalen Regelung des ersten Mitgliedstaats ihnen einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt, und zum anderen die Anwendung dieser Regelung des ersten Mitgliedstaats im Hinblick auf das verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig ist.

Zur zweiten Frage

54 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag einer Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen im Hinblick auf drei besondere Aspekte dieser Regelung entgegenstehen.

55 Zunächst möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage 2 a wissen, ob die deutsche Regelung, die 30 Arbeitstage bzw. 36 Werktage bezahlten Urlaub pro Jahr vorsieht, angesichts dessen unverhältnismäßig ist, dass das mit ihr verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel bereits durch die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18) geschützt wird und dass sie eine Urlaubslänge vorsieht, die über die in dieser Richtlinie vorgesehene hinausgeht.

56 Nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104 treffen [d]ie Mitgliedstaaten... die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind".

57 Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 93/104 lediglich eine Mindesturlaubslänge festlegt. Nach ihrem Artikel 15 bleibt nämlich [d]as Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten,... unberührt".

58 Es ist daher Sache jedes Mitgliedstaats, die Urlaubslänge zu bestimmen, die im Allgemeininteresse erforderlich ist. Da die Bundesrepublik Deutschland festgelegt hat, dass eine Urlaubslänge von 30 Arbeitstagen pro Jahr für den sozialen Schutz der Arbeitnehmer im Baugewerbe erforderlich ist, stehen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag dem grundsätzlich nicht entgegen, dass dieser Mitgliedstaat dieses Schutzniveau auf die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistenden entsandten Arbeitnehmer ausdehnt.

59 Daher ist auf die Frage 2 a zu antworten, dass die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag der Ausdehnung der Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Urlaubslänge vorsieht, die über die in der Richtlinie 93/104 vorgesehene hinausgeht, auf die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistenden in diesen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Entsendung nicht entgegenstehen.

60 Zweitens stellt das vorlegende Gericht fest, das in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren billige in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Arbeitgebern einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gegen die Kasse zu, sehe für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Arbeitgeber aber einen solchen Anspruch nicht vor, sondern begründe stattdessen einen direkten Anspruch der entsandten Arbeitnehmer gegen die Kasse. Es möchte daher mit seiner Frage 2 b wissen, ob diese unterschiedliche Behandlung einen Verstoß gegen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag darstellt.

61 Die Kasse und die deutsche Regierung bestreiten, dass das in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren aufgrund dieses Unterschieds mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist. Sie heben hervor, dies sei für das außerhalb Deutschlands ansässige Unternehmen vorteilhaft, da dessen Verpflichtung entfalle, die Vergütungen selbst zu ermitteln und auszuzahlen.

62 Unter Zugrundelegung der dem Gerichtshof vorliegenden Angaben, die das vorlegende Gericht zu überprüfen hat, scheint diese unterschiedliche Behandlung keinen Nachteil für die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen darzustellen und damit nicht zu einer Diskriminierung zu führen, die gegen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag verstößt.

63 Jedenfalls ist festzustellen, dass es zwischen Unternehmen, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, und solchen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, objektive Unterschiede bezüglich der tatsächlichen Durchführung der Verpflichtung zur Zahlung von Urlaubsvergütungen gibt. So können die deutschen Behörden, wenn ein außerhalb Deutschlands ansässiges Unternehmen dort keine Dienstleistungen mehr erbringt, nicht mehr kontrollieren, ob es die Urlaubsvergütungen tatsächlich an die entsandten Arbeitnehmer gezahlt hat. Folglich ist es effektiver, dass die Kasse die Urlaubsvergütungen unmittelbar an die entsandten Arbeitnehmer zahlt.

64 Die unterschiedliche Behandlung könnte sich durch diese objektiven Unterschiede erklären und wäre dann keine Diskriminierung, die gegen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag verstößt.

65 Daher ist auf die Frage 2 b zu antworten, dass die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag - sofern dies durch objektive Unterschiede zwischen Unternehmen, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, und solchen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, gerechtfertigt ist - einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die den Erstgenannten einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gegen die Kasse zubilligt, für die Zweitgenannten aber einen solchen Anspruch nicht vorsieht, sondern stattdessen einen direkten Anspruch der entsandten Arbeitnehmer gegen die Kasse begründet.

66 Drittens möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage 2 c wissen, ob die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag dem entgegenstehen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung außerhalb Deutschlands ansässige Arbeitgeber verpflichtet, der Kasse mehr Auskünfte zu erteilen, als sie in Deutschland ansässige Arbeitgeber zu erteilen haben.

67 Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, die den außerhalb Deutschlands ansässigen Unternehmen somit auferlegten zusätzlichen Verpflichtungen stellten nicht nur eine Ungleichbehandlung dar, sondern erschwerten auch erheblich die Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland. Sie seien daher mit den Artikeln 59 und 60 EG-Vertrag nicht vereinbar.

68 Die deutsche Regierung trägt vor, die unterschiedlichen Verfahrensweisen seien aus sachlichen Gründen geboten. Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands könnten nur unter erheblich größeren Schwierigkeiten als in Deutschland ansässige Unternehmen und jedenfalls nicht mit derselben Intensität wie diese geprüft werden.

69 Insoweit ist anzuerkennen, dass eine Regelung, die die Arbeitnehmer im Baugewerbe insbesondere im Hinblick auf ihre Urlaubsansprüche wirksam schützen soll, die Erteilung bestimmter Auskünfte erforderlich macht. Eine solche Verpflichtung kann sogar die einzige geeignete Kontrollmaßnahme im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel darstellen.

70 Es ist jedoch zu beachten, dass eine Verpflichtung wie die in der hier fraglichen Regelung vorgesehene, den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats bestimmte Auskünfte zu erteilen, den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zusätzliche Kosten und zusätzliche administrative und wirtschaftliche Belastungen verursacht (vgl. in diesem Sinne Urteil Arblade u. a., Randnr. 58).

71 Dass die außerhalb Deutschlands ansässigen Unternehmen zusätzlichen Auskunftsverpflichtungen unterliegen, stellt somit erst recht eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Artikels 59 EG-Vertrag dar (vgl. in diesem Sinne Urteil Arblade u. a., Randnr. 59).

72 Eine derartige Beschränkung kann gerechtfertigt sein, wenn sie erforderlich ist, um dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses, den der soziale Schutz der Arbeitnehmer darstellt, effektiv und mit den geeigneten Mitteln Rechnung zu tragen.

73 Dass die außerhalb Deutschlands ansässigen Unternehmen nicht denselben Auskunftsverpflichtungen unterliegen, lässt sich außerdem den objektiven Unterschieden zuschreiben, die zwischen diesen Unternehmen und in Deutschland ansässigen Unternehmen bestehen.

74 Dagegen kann die Verpflichtung, dem Mitgliedstaat besondere Unterlagen vorzulegen, nicht gerechtfertigt sein, wenn dieser die erforderlichen Kontrollen auf der Grundlage von Unterlagen vornehmen kann, die gemäß der Regelung des Niederlassungsmitgliedstaats geführt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Arblade u. a., Randnr. 64).

75 Nach alledem ist auf die Frage 2 c zu antworten, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermitteln, welche Arten von Auskünften die deutschen Behörden von den außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistenden zulässigerweise verlangen können. Zu diesem Zweck hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob objektive Unterschiede zwischen der Situation von in Deutschland ansässigen Unternehmen und derjenigen von außerhalb Deutschlands ansässigen Unternehmen die von Letzteren verlangten zusätzlichen Auskünfte sachlich erforderlich machen.

Zur dritten Frage

76 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag einer nationalen Vorschrift wie § 1 Absatz 4 AEntG entgegenstehen, die im Wesentlichen vorsieht, dass alle von einem außerhalb Deutschlands ansässigen Arbeitgeber nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer - aber auch nur diese - als ein Betrieb gelten, obwohl für in Deutschland ansässige Arbeitgeber ein abweichender Betriebsbegriff gilt, der in bestimmten Fällen zu einer abweichenden Abgrenzung der Betriebe führt, die unter den Geltungsbereich der Tarifverträge fallen.

77 Das vorlegende Gericht stellt fest, die beiden Betriebsbegriffe könnten bei so genannten Mischbetrieben, also Betrieben, die zum Teil eine baugewerbliche und zum Teil eine nicht baugewerbliche Tätigkeit ausführten, zu unterschiedlichen praktischen Konsequenzen führen. Die in Deutschland ansässigen Mischbetriebe fielen nur unter die Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes, wenn die Arbeitszeit der in diesem Sektor beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitszeit der in einem anderen Sektor beschäftigten Arbeitnehmer überwiege.

78 Es ist daher der Auffassung, § 1 Absatz 4 AEntG enthalte eine Diskriminierung aufgrund des Niederlassungsorts des Unternehmens, die gegen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag verstoße.

79 Nach Ansicht der deutschen Regierung ist die dritte Frage unzulässig, da sie keine Auswirkungen auf die Entscheidung der Ausgangsverfahren habe. Das vorlegende Gericht habe nicht dargelegt, dass die ausländischen Unternehmen, die Parteien der Ausgangsverfahren seien, nicht dem Geltungsbereich der Tarifverträge unterlägen, wenn der Betriebsbegriff des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes ein anderer wäre.

80 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Es ist allein Sache des nationalen Gerichts, die Erheblichkeit einer Vorlagefrage zu beurteilen, und nur wenn offenkundig überhaupt kein Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit besteht, ist die Frage unzulässig (vgl. Urteil vom 3. März 1994 in den Rechtssachen C-332/92, C-333/92 und C-335/92, Eurico Italia u. a., Slg. 1994, I-711, Randnr. 17). Dies ist hier aber nicht der Fall.

81 In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass die Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind und in Deutschland Dienstleistungen im Baugewerbe erbringen, im Unterschied zu den in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Unternehmen stets den Tarifverträgen für dieses Gewerbe und damit insbesondere der Verpflichtung unterliegen, Beiträge an die Kasse zu zahlen.

82 Daraus folgt, dass § 1 Absatz 4 AEntG eine gegen Artikel 59 EG-Vertrag verstoßende Ungleichbehandlung begründet, da keine im EG-Vertrag vorgesehene Rechtfertigung vorgetragen wurde.

83 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag der Anwendung der Urlaubsregelung eines Mitgliedstaats auf alle Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind und im Gebiet des ersten Mitgliedstaats Dienstleistungen im Baugewerbe erbringen, entgegenstehen, wenn nicht alle in dem ersten Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die nur einen Teil ihrer Tätigkeit in diesem Gewerbe ausüben, dieser Regelung in Bezug auf ihre in diesem Gewerbe beschäftigten Arbeitnehmer unterliegen.

Kostenentscheidung:

Kosten

84 Die Auslagen der deutschen, der belgischen, der französischen, der niederländischen, der österreichischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem jeweils bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Arbeitsgericht Wiesbaden mit Beschlüssen vom 10., 16., 17. und 27. Februar 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) stehen dem nicht entgegen, dass ein Mitgliedstaat ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, das eine Dienstleistung im Gebiet des ersten Mitgliedstaats erbringt, einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 1 Absatz 3 Satz 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz unterwirft, durch die den zu diesem Zweck von dem Unternehmen entsandten Arbeitnehmern Urlaubsansprüche garantiert werden, sofern zum einen die Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers keinen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz genießen, so dass die Anwendung der nationalen Regelung des ersten Mitgliedstaats ihnen einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt, und zum anderen die Anwendung dieser Regelung des ersten Mitgliedstaats im Hinblick auf das verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig ist.

2. a) Die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag stehen der Ausdehnung der Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Urlaubslänge vorsieht, die über die in der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgesehene hinausgeht, auf die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistenden in diesen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Entsendung nicht entgegen.

b) Sofern dies durch objektive Unterschiede zwischen Unternehmen, die in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, und solchen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, gerechtfertigt ist, stehen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag einer nationalen Regelung nicht entgegen, die den Erstgenannten einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld gegen die Urlaubskasse zubilligt, für die Zweitgenannten aber einen solchen Anspruch nicht vorsieht, sondern stattdessen einen direkten Anspruch der entsandten Arbeitnehmer gegen diese Kasse begründet.

c) Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermitteln, welche Arten von Auskünften die deutschen Behörden von den außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistenden zulässigerweise verlangen können. Zu diesem Zweck hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob objektive Unterschiede zwischen der Situation von in Deutschland ansässigen Unternehmen und derjenigen von außerhalb Deutschlands ansässigen Unternehmen die von Letzteren verlangten zusätzlichen Auskünfte sachlich erforderlich machen.

3. Die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag stehen der Anwendung der Urlaubsregelung eines Mitgliedstaats auf alle Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind und im Gebiet des ersten Mitgliedstaats Dienstleistungen im Baugewerbe erbringen, entgegen, wenn nicht alle in dem ersten Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen, die nur einen Teil ihrer Tätigkeit in diesem Gewerbe ausüben, dieser Regelung in Bezug auf ihre in diesem Gewerbe beschäftigten Arbeitnehmer unterliegen.

Ende der Entscheidung

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