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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.10.2001
Aktenzeichen: C-493/99
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 43
EGV Art. 59 a.F.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG), wenn er gesetzlich festlegt, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft auf dem nationalen Markt nur dann grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung im Inland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und für dieses Personal einen Firmentarifvertrag abschließen. Ein solches Niederlassungserfordernis behindert den freien Dienstleistungsverkehr und geht über das hinaus, was zum Erreichen des Zieles des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer des Baugewerbes erforderlich ist.

( vgl. Randnrn. 18, 22 und Tenor )

2. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG), wenn er gesetzlich festlegt, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen anderen Baubetrieben nur dann grenzüberschreitend Arbeitnehmer überlassen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung im Inland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und als Mitglied eines nationalen Arbeitgeberverbandes von einem Rahmen- und Sozialkassentarifvertrag erfasst werden. Ein solches Niederlassungserfordernis behindert den freien Dienstleistungsverkehr und geht über das hinaus, was zum Erreichen des Zieles des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer des Baugewerbes erforderlich ist.

( vgl. Randnrn. 18, 22 und Tenor )

3. Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG), wenn er gesetzlich festlegt, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen im Inland keine Zweigniederlassung gründen können, die als Baubetrieb gilt, sofern deren Personal ausschließlich mit Verwaltungs- und Vertriebsaufgaben, Planungs-, Überwachungs- und/oder Lohnarbeiten betraut ist, sondern diese Niederlassung im nationalen Arbeitsgebiet dazu Arbeitnehmer beschäftigen muss, die zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbringen.

Zum einen erschwert diese Regelung nämlich den Zugang dieser Bauunternehmen zum nationalen Markt, da sie die Qualifizierung ihrer im Inland errichteten Zweigniederlassungen als Betriebe des Baugewerbes von Kriterien abhängig macht, die diese Zweigniederlassungen nur schwer erfuellen können, und zum anderen kann diese Regelung die Unternehmen des ersten Mitgliedstaats weniger als die Unternehmen anderer Mitgliedstaaten belasten, weil es für die erstgenannten weniger wichtig ist, Verwaltungspersonal sowie technisches und kaufmännisches Personal in ihren nationalen Niederlassungen zu beschäftigen, da solche Aufgaben von dem am Hauptsitz des Unternehmens im Inland beschäftigten Personal übernommen werden können.

( vgl. Randnrn. 32, 34 und Tenor )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 25. Oktober 2001. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) - Nationale Rechtsvorschriften über die Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe - Ausschluss von Unternehmen, die nicht an einem Tarifvertrag des Sektors beteiligt sind und keine Niederlassung im Mitgliedstaat der Dienstleistung haben - Verhältnism. - Rechtssache C-493/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-493/99

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Sack als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,

eklagte,

wegen Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) verstoßen hat, dass sie gesetzlich festgelegt hat, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen

a) im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft auf dem deutschen Markt nur dann grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und für dieses Personal einen Firmentarifvertrag abschließen,

b) anderen Baubetrieben nur dann grenzüberschreitend Arbeitnehmer überlassen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und als Mitglied eines deutschen Arbeitgeberverbandes von einem Rahmen- und Sozialkassentarifvertrag erfasst werden,

c) in Deutschland keine Zweigniederlassung gründen können, die als Baubetrieb gilt, wenn deren Personal ausschließlich mit Verwaltungs- und Vertriebsaufgaben, Planungs-, Überwachungs- und/oder Lohnarbeiten betraut ist, sondern diese Niederlassung im deutschen Arbeitsgebiet dazu Arbeitnehmer beschäftigen muss, die zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbringen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter), A. La Pergola, L. Sevón und C. W. A. Timmermans,

Generalanwalt: D. Ruíz-Jarabo Colomer

Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. April 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 21. Dezember 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage auf Feststellung erhoben, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) verstoßen hat, dass sie gesetzlich festgelegt hat, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen

a) im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft auf dem deutschen Markt nur dann grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und für dieses Personal einen Firmentarifvertrag abschließen,

b) anderen Baubetrieben nur dann grenzüberschreitend Arbeitnehmer überlassen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und als Mitglied eines deutschen Arbeitgeberverbandes von einem Rahmen- und Sozialkassentarifvertrag erfasst werden,

c) in Deutschland keine Zweigniederlassung gründen können, die als Baubetrieb gilt, wenn deren Personal ausschließlich mit Verwaltungs- und Vertriebsaufgaben, Planungs-, Überwachungs- und/oder Lohnarbeiten betraut ist, sondern diese Niederlassung im deutschen Arbeitsgebiet dazu Arbeitnehmer beschäftigen muss, die zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbringen.

2 Mit Antragsschrift, die am 18. Mai 2000 eingegangen ist, hat das Königreich der Niederlande beantragt, zur Unterstützung der Anträge der Kommission als Streithelferin zugelassen zu werden. Diesem Antrag ist mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 19. Juni 2000 stattgegeben worden. Jedoch hat das Königreich der Niederlande seinen Streithilfeantrag mit Schreiben, das am 24. August 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, zurückgenommen.

Die von der Kommission beanstandeten nationalen Rechtsvorschriften

3 Mit ihrer Klage beanstandet die Kommission § 1 Absatz 1 und § 1b des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vom 7. August 1972 (BGBl. 1972 I S. 1393) in der gemäß Artikel 63 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl. 1997 I S. 594) geänderten Fassung (im Folgenden: AÜG).

4 § 1 Absatz 1 AÜG bestimmt:

Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen wollen, bedürfen der Erlaubnis. Die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft ist keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Arbeitgeber Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ist, für alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges gelten und alle Mitglieder aufgrund des Arbeitsgemeinschaftsvertrags zur selbständigen Erbringung von Vertragsleistungen verpflichtet sind."

5 § 1b AÜG lautet:

Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung in Betriebe des Baugewerbes für Arbeiten, die üblicherweise von Arbeitern verrichtet werden, ist unzulässig. Sie ist zwischen Betrieben des Baugewerbes gestattet, wenn diese Betriebe von denselben Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen oder von deren Allgemeinverbindlichkeit erfasst werden."

Vorverfahren

6 Da nach Ansicht der Kommission die in den Randnummern 4 und 5 wiedergegebenen deutschen Rechtsvorschriften gegen die Artikel 52 und 59 EG-Vertrag verstoßen, leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Mit Schreiben vom 17. September 1997 forderte sie die Bundesrepublik Deutschland auf, sich dazu zu äußern.

7 Die deutsche Antwort vom 21. November 1997 auf diese Aufforderung überzeugte die Kommission nicht. Sie richtete daher am 22. Dezember 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland, in der sie ihr eine Frist von zwei Monaten setzte, um dieser nachzukommen. Da Deutschland auf diese Stellungnahme nicht innerhalb der gesetzten Frist antwortete und die Kommission den später übermittelten Entwurf zur Änderung der streitigen Rechtsvorschriften für unzureichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

Zur Begründetheit

Zu den ersten beiden Rügen betreffend die Dienstleistungsfreiheit

Vorbringen der Parteien

8 Nach Ansicht der Kommission sind die streitigen Rechtsvorschriften aus zwei Gründen nicht mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar: Sie hinderten die Bauunternehmen, die nicht in Deutschland ansässig seien und daher nicht unter die deutschen Tarifverträge des Baugewerbes fielen, zum einen daran, sich an einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft zu beteiligen, und zum anderen daran, in Deutschland Arbeitnehmer zu anderen Bauunternehmen abzuordnen.

9 Sowohl § 1 Absatz 1 Satz 2 AÜG als auch § 1b Satz 2 AÜG verlangten die Geltung der deutschen Tarifverträge des Baugewerbes für alle Unternehmen, die sich an einer Arbeitsgemeinschaft beteiligen wollten oder Arbeitskräfte zu einem anderen Bauunternehmen abordnen wollten. Nur die Unternehmen, die in Deutschland ansässig seien und dort Arbeiter beschäftigten, könnten von diesen Tarifverträgen erfasst werden. Die nicht in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Unternehmen seien somit nicht in der Lage, Arbeitnehmer von ihrem Sitz oder von Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten aus zu einer in Deutschland gebildeten Arbeitsgemeinschaft oder zu deutschen Bauunternehmen abzuordnen, ohne dass diese Arbeitsgemeinschaft oder diese Unternehmen die Möglichkeit verlören, sich auf § 1 Absatz 1 Satz 2 oder § 1b Satz 2 AÜG zu berufen.

10 Aus diesem Grund seien nicht in Deutschland ansässige Unternehmen, für die die deutschen Tarifverträge des Baugewerbes nicht gälten, von vornherein von in Deutschland gebildeten oder zu bildenden Arbeitsgemeinschaften ausgeschlossen. Sie könnten daher insoweit nicht von der in Artikel 59 EG-Vertrag garantierten Dienstleistungsfreiheit profitieren.

11 Die deutsche Regierung bestätigt, dass die streitigen Rechtsvorschriften für die Beteiligung an einer Arbeitsgemeinschaft zwecks Herstellung eines Werkes und für die Abordnung von Personal an Bauunternehmen eine Bindung an die deutschen Tarifverträge voraussetzen. Sie bestätigt ebenfalls, dass diese Tarifverträge aufgrund ihres räumlichen Anwendungsbereichs nicht für Unternehmen gelten, die keine Niederlassung in Deutschland haben, und räumt ein, dass es für die Unternehmen anderer Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland belastender sei, als Voraussetzung der Geltung dieser Tarifverträge eine Niederlassung in Deutschland haben zu müssen. Jedoch verstießen die streitigen Rechtsvorschriften nicht gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags.

12 Sie macht hierzu zum einen geltend, eine Niederlassung in Deutschland haben zu müssen, stelle keine Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bauunternehmen dar, weil die deutschen Bauunternehmen dies ebenfalls erfuellen müssten. Zum anderen seien die streitigen Rechtsvorschriften durch den sozialen Schutz der Arbeitnehmer des Baugewerbes als zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

13 Durch die streitigen Rechtsvorschriften sollten Missbräuche in dem prekären Beschäftigungsbereich des Baugewerbes ausgeschlossen und der soziale Schutz der dort beschäftigten Arbeitnehmer sichergestellt werden. Diese Rechtsvorschriften seien durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes gedeckt, u. a. durch das Urteil vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnr. 41). Sie seien verhältnismäßig, da sie die Verwirklichung des angestrebten Zieles ermöglichten, zur Erreichung des Zieles erforderlich und hinsichtlich der eingesetzten Mittel angemessen seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

14 Aus den streitigen Rechtsvorschriften ergibt sich, dass in Deutschland die Überlassung von Arbeitnehmern im Baugewerbe grundsätzlich untersagt ist. Sie ist unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig, wenn sie in einer Abordnung von Arbeitnehmern zu einer Arbeitsgemeinschaft von Unternehmen besteht oder zwischen Bauunternehmen erfolgt.

15 So wird zum einen nach § 1 Absatz 1 AÜG die Abordnung von Arbeitnehmern im Rahmen einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft nicht als Arbeitnehmerüberlassung angesehen, wenn der Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer abordnet, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ist, für alle Mitglieder dieser Arbeitsgemeinschaft Tarifverträge desselben Sektors gelten und alle Mitglieder aufgrund des Arbeitsgemeinschaftsvertrags zur selbständigen Erbringung von Vertragsleistungen verpflichtet sind.

16 Zum anderen ist nach § 1b AÜG die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Betrieben des Baugewerbes ausnahmsweise gestattet, wenn diese Betriebe von denselben Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen erfasst werden oder sie diesen Tarifverträgen aufgrund ihrer Allgemeinverbindlichkeit unterliegen.

17 Unter die eine oder die andere dieser Vorschriften fallen grundsätzlich nur Unternehmen, die in bestimmtem Umfang den deutschen Tarifverträgen unterliegen, was nach deutschem Recht voraussetzt, dass sie eine Niederlassung in Deutschland haben.

18 Da die Überlassung von Arbeitnehmern eine Dienstleistung im Sinne des EG-Vertrags ist (Urteil vom 17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, Randnummer 9), behindert es den freien Dienstleistungsverkehr, dass die streitigen Rechtsvorschriften eine Niederlassung im Mitgliedstaat der Dienstleistung vorschreiben.

19 Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, hebt das Erfordernis einer festen Niederlassung im Ergebnis die Dienstleistungsfreiheit und damit eine der Grundfreiheiten auf, da es Artikel 59 EG-Vertrag, der gerade die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit solcher Personen beseitigen soll, die nicht in dem Staat niedergelassen sind, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, jede praktische Wirksamkeit nimmt. Ein solches Erfordernis ist daher nur zulässig, wenn nachgewiesen wird, dass es für die Erreichung des verfolgten Zieles unerlässlich ist (Urteil vom 9. Juli 1997 in der Rechtssache C-222/95, Parodi, Slg. 1997, I-3899, Randnr. 31).

20 Der soziale Schutz der Arbeitnehmer des Baugewerbes gehört zwar zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können (Urteil vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-1905, Randnr. 16). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes folgt ferner, dass die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die die materiellen Vorschriften einer Regelung rechtfertigen, auch die zur Sicherstellung ihrer Beachtung erforderlichen Kontrollmaßnahmen rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-113/89, Rush Portuguesa, Slg. 1990, I-1417, Randnr. 18).

21 Der Gerichtshof hat jedoch immer darauf hingewiesen, dass Erwägungen rein administrativer Art eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen können (in diesem Sinne u. a. Urteil vom 26. Januar 1999 in der Rechtssache C-18/95, Terhoeve, Slg. 1999, I-345, Randnr. 45). So hat der Gerichtshof entschieden, dass der Mitgliedstaat der Dienstleistung einem Unternehmen nicht die Führung von Unterlagen, die für diesen Staat spezifisch sind, vorschreiben darf, wenn das Unternehmen bereits in dem Staat, in dem es ansässig ist, für dieselben Arbeitnehmer und dieselben Beschäftigungszeiten Verpflichtungen unterliegt, die im Hinblick auf ihren Zweck, den Schutz der Interessen der Arbeitnehmer, mit den in der Regelung des ersten Mitgliedstaats enthaltenen vergleichbar sind (vgl. u. a. Urteil Arblade u. a., Randnr. 80).

22 Im vorliegenden Fall geht das Erfordernis einer Niederlassung im Mitgliedstaat der Dienstleistung, wie sie sich aus den streitigen Rechtsvorschriften ergibt, über das hinaus, was zum Erreichen des Zieles des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer des Baugewerbes erforderlich ist.

23 Es ist nämlich nicht nachgewiesen, dass dieses Erfordernis, das unterschiedslos jedes Unternehmen erfuellen muss, das einer Arbeitsgemeinschaft oder anderen Bauunternehmen Arbeitnehmer überlassen möchte, an sich notwendig ist, um das Ziel des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer des Baugewerbes zu erreichen.

24 Die ersten beiden Rügen der Kommission sind daher begründet.

Zur dritten Rüge betreffend die Niederlassungsfreiheit

Vorbringen der Parteien

25 Die Kommission macht geltend, nach deutschem Recht könnten nur die Unternehmen, in denen die Arbeitnehmer zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbrächten, als Betriebe des Baugewerbes anerkannt werden. Das mache die Gründung von Zweigniederlassungen in der Bundesrepublik Deutschland für die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Bauunternehmen, die ihre deutsche Zweigniederlassung nur mit Verwaltungspersonal oder technischem oder kaufmännischem Personal besetzen wollten, das für die Werbung oder die Erschließung von Projekten zuständig sei, uninteressant. Wenn ein Auftrag hereinkommen sollte, sei eine solche Zweigniederlassung, da sie nicht als Betrieb des Baugewerbes angesehen werde und somit nicht unter § 1 Absatz 1 und § 1b AÜG fiele, nicht in der Lage, die erforderlichen Arbeiten durch Überlassung von Arbeitnehmern anderer Zweigniederlassungen oder des Hauptsitzes des Unternehmens auszuführen, wenn diese in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland ansässig seien.

26 Die deutschen Niederlassungen von deutschen Bauunternehmen würden dagegen stets als Betriebe des Baugewerbes angesehen, selbst wenn sie für sich gesehen nicht die Regel erfuellten, dass die Arbeitnehmer zu mindestens 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbringen müssten. Diese unterschiedliche Behandlung ergebe sich aus der Anwendung von § 1 Abschnitt IV Nummer 4 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe und § 1 Abschnitt IV des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe. Diese Bestimmungen sähen im Wesentlichen vor, dass auch solche Unternehmen als Betriebe des Baugewerbes angesehen würden, die im Rahmen eines mit Betrieben dieses Sektors bestehenden Zusammenschlusses ausschließlich oder hauptsächlich für die Mitglieder dieses Zusammenschlusses die kaufmännische Verwaltung, den Vertrieb, Planungsarbeiten oder Prüfarbeiten übernähmen oder Laboruntersuchungen durchführten.

27 Diese diskriminierende Behandlung von in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Unternehmen und ihrer Zweigniederlassungen in Deutschland verstoße gegen die in Artikel 52 EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit.

28 Die deutsche Regierung räumt ein, dass ein Unternehmen, um als Betrieb des Baugewerbes zu gelten, Bauarbeiter beschäftigen und zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit typische Tätigkeiten des Baugewerbes ausüben müsse. Sie ist jedoch der Ansicht, dass die Kommission den Sinn und Zweck der Bestimmungen der in Randnummer 26 dieses Urteils genannten Tarifverträge verkenne.

29 Diese Bestimmungen seien nämlich nicht erlassen worden, um die Überlassung von Arbeitnehmern zu regeln, sondern um dem vorzubeugen, dass Arbeitnehmer aus dem Baugewerbe durch eine Umstrukturierung ihres Unternehmens aus den Tarifverträgen dieses Sektors ausschieden.

Würdigung durch den Gerichtshof

30 Unstreitig gilt nach deutschem Recht die deutsche Zweigniederlassung eines Bauunternehmens, das in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist, nur dann als Betrieb des Baugewerbes, wenn ihre Arbeitnehmer zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbringen.

31 Daher kann dahinstehen, ob, wie die Kommission geltend macht, die Bestimmungen der beiden in Randnummer 26 genannten Tarifverträge eine diskriminierende Wirkung zulasten der Bauunternehmen haben, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, denn die in der vorstehenden Randnummer genannte Regelung behindert jedenfalls die Niederlassungsfreiheit, was Gründung von Zweigniederlassungen dieser Unternehmen anbelangt.

32 Zum einen erschwert diese Regelung den Zugang dieser Bauunternehmen zum deutschen Markt, da sie die Qualifizierung ihrer deutschen Zweigniederlassungen als Betriebe des Baugewerbes von Kriterien abhängig macht, die diese Zweigniederlassungen nur schwer erfuellen können.

33 Wie die Kommission zutreffend ausführt, beruht das Interesse von Bauunternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind, an der Gründung einer deutschen Zweigniederlassung nämlich häufig auf der wirtschaftlichen Notwendigkeit, in Deutschland über Verwaltungspersonal sowie technisches und kaufmännisches Personal zu verfügen, um u. a. die Werbung und die Erschließung von Projekten sicherzustellen. Das für die Ausführung der Arbeiten zur Erfuellung der Aufträge zuständige Personal kann dagegen andernorts, bei anderen Zweigniederlassungen oder am Hauptsitz des Unternehmens beschäftigt werden.

34 Zum anderen kann diese Regelung die Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland weniger als die Unternehmen anderer Mitgliedstaaten belasten, weil es für die erstgenannten weniger wichtig ist, Verwaltungspersonal sowie technisches und kaufmännisches Personal in ihren deutschen Niederlassungen zu beschäftigen, da solche Aufgaben von dem am Hauptsitz des Unternehmens in Deutschland beschäftigten Personal übernommen werden können.

35 Die deutsche Regierung will die festgestellte Behinderung im Wesentlichen mit den zwingenden Gründen der Verhinderung von Missbräuchen auf dem Baugewerbemarkt und des sozialen Schutzes der betroffenen Arbeitnehmer rechtfertigen, die sie schon den beiden ersten Rügen entgegengehalten hat.

36 Da sich diese Gründe jedoch auf die Bedingung der Bindung an die deutschen Tarifverträge, nicht aber auf die in Randnummer 30 genannte Regelung beziehen, die der festgestellten Behinderung zugrunde liegt, können sie diese nicht rechtfertigen.

37 Da keine anderen zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung der festgestellten Behinderung geltend gemacht werden, ist auch die dritte Rüge der Kommission begründet.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission dies beantragt hat und die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) verstoßen, dass sie gesetzlich festgelegt hat, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen

a) im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft auf dem deutschen Markt nur dann grenzüberschreitende Dienstleistungen erbringen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und für dieses Personal einen Firmentarifvertrag abschließen,

b) anderen Baubetrieben nur dann grenzüberschreitend Arbeitnehmer überlassen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und als Mitglied eines deutschen Arbeitgeberverbandes von einem Rahmen- und Sozialkassentarifvertrag erfasst werden,

c) in Deutschland keine Zweigniederlassung gründen können, die als Baubetrieb gilt, wenn deren Personal ausschließlich mit Verwaltungs- und Vertriebsaufgaben, Planungs-, Überwachungs- und/oder Lohnarbeiten betraut ist, sondern diese Niederlassung im deutschen Arbeitsgebiet dazu Arbeitnehmer beschäftigen muss, die zu über 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit bauliche Leistungen erbringen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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