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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.03.1993
Aktenzeichen: C-50/92
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 262/79 vom 12. Februar 1979, Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 vom 30. Juni 1976


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 262/79 vom 12. Februar 1979 Art. 22 Abs. 4
Verordnung Nr. 262/79 Art. 16 Abs. 2
Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 vom 30. Juni 1976 Art. 14
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Da unter höherer Gewalt ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen sind, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluß hatte und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können, kann ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Artikels 22 Absatz 4 der Verordnung Nr. 262/79 über den Verkauf von Butter zu herabgesetzten Preisen für die Herstellung von Backwaren, Speiseeis und anderen Lebensmitteln nur angenommen werden, wenn die Versäumung der Frist für die Vorlage der Nachweise für die Verarbeitung der Butter in einem anderen Mitgliedstaat darauf beruht, daß die Verwaltungsbehörden dieses Staates die Überprüfung der Verarbeitung und die Rücksendung des Kontrollexemplars an die Behörden des Ursprungsstaats mit Verzögerung vorgenommen haben und der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Verwaltungsbehörden des Staates der Verarbeitung mit dem gebotenen Nachdruck zur Vornahme dieser Handlungen angehalten hat oder hat anhalten lassen.

Hat der Wirtschaftsteilnehmer kein Antragsverfahren wegen Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 1687/76 zur Festlegung der gemeinsamen Durchführungsbestimmungen für die Überwachung der Verwendung und/oder Bestimmung von Erzeugnissen aus den Beständen der Interventionsstellen eingeleitet, so kann ihm dies nur entgegengehalten werden, wenn er nicht durch das Verhalten der betreffenden Verwaltung daran gehindert war, seine Rechte durch dieses Verfahren zu wahren.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 18. MAERZ 1993. - FIRMA MOLKEREI-ZENTRALE SUED GMBH & CO. KG GEGEN BUNDESANSTALT FUER LANDWIRTSCHAFTLICHE MARKTORDNUNG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: VERWALTUNGSGERICHT FRANKFURT AM MAIN - DEUTSCHLAND. - VERARBEITUNG VON BUTTER - VERFALL DER KAUTION - HOEHERE GEWALT. - RECHTSSACHE C-50/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluß vom 28. Januar 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 22 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 262/79 der Kommission vom 12. Februar 1979 über den Verkauf von Butter zu herabgesetzten Preisen für die Herstellung von Backwaren, Speiseeis und anderen Lebensmitteln (ABl. L 41, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3021/85 der Kommission vom 30. Oktober 1985 (ABl. L 289, S. 14) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Molkerei-Zentrale Süd GmbH & Co. KG (im folgenden: Molkerei-Zentrale) und der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM), der im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik zuständigen nationalen Interventionsstelle, wegen Rückzahlung einer Kaution für die Verarbeitung von Butter.

3 Nach Artikel 16 Absatz 2 der Verordnung Nr. 262/79 muß derjenige, dem der Zuschlag für die Butter erteilt wird, eine Kaution stellen, durch die die Verarbeitung dieses Erzeugnisses sichergestellt werden soll. Nach Artikel 22 Absatz 4 dieser Verordnung verfällt diese Kaution ausser im Falle höherer Gewalt je nach den Mengen, für die die Nachweise für die Verarbeitung binnen 18 Monaten nach Ablauf der Angebotsfrist nicht erbracht worden sind. Werden die Nachweise jedoch innerhalb der 18 Monate erbracht, die auf diese Frist folgen, so werden 85 % des verfallenen Betrages zurückerstattet.

4 Mit der Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 der Kommission vom 30. Juni 1976 zur Festlegung der gemeinsamen Durchführungsbestimmungen für die Überwachung der Verwendung und/oder Bestimmung von Erzeugnissen aus den Beständen der Interventionsstellen (ABl. L 190, S. 1) wurde für Butter für die Zeit von ihrer Auslagerung bis zu ihrer Verarbeitung in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der Verkauf erfolgt, eine Zoll- oder Verwaltungskontrolle eingeführt, für die das Exemplar T5 verwendet wird, das an die Abgangszollstelle oder an die zentrale Stelle des Mitgliedstaats, aus dem das Erzeugnis stammt, zurückzusenden ist.

5 Gelangt das Exemplar aus von dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht zu vertretenden Gründen nicht dorthin zurück, kann dieser nach Artikel 14 der Verordnung Nr. 1687/76 bei der zuständigen Dienststelle einen Antrag auf Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen stellen. Diesem muß eine Bestätigung der Zollstelle des Mitgliedstaats der Verarbeitung beigefügt sein, daß der für das betreffende Erzeugnis vorgesehenen Verwendung und/oder Bestimmung entsprochen worden ist.

6 Am 22. September 1987 erhielt die Molkerei-Zentrale den Zuschlag für eine Partie Butter und hinterlegte eine Verarbeitungskaution. Nach einer Erstverarbeitung in Deutschland wurde ein Teil dieser Partie im Auftrag der Molkerei-Zentrale von einem anderen Unternehmen zur Endverarbeitung nach Italien ausgeführt.

7 Da die italienischen Behörden die Freigabe erst am 31. März 1989, d. h. nach Ablauf der in Artikel 22 Absatz 4 der Verordnung Nr. 262/79 vorgesehenen Frist von 18 Monaten, auf dem Kontrollexemplar T5 erteilten, erklärte die BALM, der die Verarbeitungsnachweise erst am 6. April 1989 zugingen, 15 % der Kaution für verfallen.

8 Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, bei dem die Molkerei-Zentrale Klage auf Aufhebung des betreffenden Bescheids und Rückzahlung des einbehaltenen Teils der Kaution erhoben hat, hat das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof eine Vorabentscheidung über folgende Fragen erlassen hat:

1) Liegt ein Fall höherer Gewalt im Sinne von Artikel 22 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 262/79 vor, wenn

a) die Versäumung der Nachweisfrist darauf beruht, daß die Verwaltungsbehörden eines anderen Mitgliedstaats die Überprüfung der verordnungskonformen Verwendung, die Ausstellung der Bestätigung auf dem Kontrollexemplar und die Rücksendung des Kontrollexemplars an die Abgangszollstelle bzw. die zentrale Stelle so zögerlich vorgenommen haben, daß die den Verwaltungsbehörden vom Verordnungsgeber für die Bestätigung der Verarbeitung eingeräumte Frist von 8 Monaten deutlich überschritten wurde und

b) der in dem anderen Mitgliedstaat ansässige Vertreter der von der Käuferin der Interventionsware mit der Abwicklung beauftragten Exportfirma die Verwaltungsbehörden des anderen Mitgliedstaats beginnend etwa acht Monate vor Ablauf der Nachweisfrist wiederholt, teilweise wöchentlich um Bestätigung der verordnungskonformen Verwendung und Rücksendung des Kontrollexemplars gebeten hat und

c) der Käufer der Interventionsware es unterlassen hat, nach näherer Maßgabe von Artikel 14 der Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 die Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen zu beantragen, nachdem das Kontrollexemplar binnen drei Monaten nach Ablauf der für den Abschluß der Maßnahme festgesetzten Frist nicht an die Abgangszollstelle bzw. die zentrale Stelle zurückgelangt war.

Für den Fall der Verneinung der Frage 1.

2) Ist Artikel 22 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 262/79 insoweit ungültig, als er, abgesehen von höherer Gewalt, den Verfall der Verarbeitungskaution auch dann vorsieht, wenn die Nichteinhaltung der Nachweisfrist auf Gründe zurückzuführen ist, die der Zuschlagsempfänger nicht zu vertreten hat.

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Artikels 22 Absatz 4 der Verordnung Nr. 262/79 angenommen werden kann, wenn die Versäumung der Frist für die Vorlage der Nachweise für die Verarbeitung der Butter in einem anderen Mitgliedstaat darauf beruht, daß die Verwaltungsbehörden dieses Staates die Überprüfung der Verarbeitung und die Rücksendung des Kontrollexemplars an die Behörden des Ursprungsstaats mit Verzögerung vorgenommen haben und der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Verwaltungsbehörden des Staates der Verarbeitung mit dem gebotenen Nachdruck zur Vornahme dieser Handlungen angehalten hat oder hat anhalten lassen, aber kein Verfahren auf Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 1687/76 eingeleitet hat.

11 Im Hinblick auf diese Frage ist darauf hinzuweisen, daß unter höherer Gewalt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen sind, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluß hatte und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (Urteil vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-338/89, Danske Slagterier, Slg. 1991, I-2315; Urteil vom 22. Januar 1986 in der Rechtssache C-266/84, Denkavit France, Slg. 1986, 149).

12 Nimmt die Verwaltung eines Mitgliedstaats die Überprüfung der Verarbeitung der Butter und die Rücksendung des Kontrollexemplars an die Behörden des Ursprungsstaats mit Verzögerung vor, so ist dies ein Ereignis, auf das der Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluß hat, da er keine Möglichkeit hat, auf die Vornahme dieser Handlungen einzuwirken.

13 Die Voraussetzung der Ungewöhnlichkeit und Unvorhersehbarkeit der Ereignisse, die die für den Wirtschaftsteilnehmer nachteiligen Folgen ausgelöst haben, ist nachgewiesen, wenn der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen einer Regelung über die Verwaltung der Agrarmärkte durch das Verhalten einer Verwaltung, deren Dienste er zwangsläufig in Anspruch nehmen muß, daran gehindert wird, seinen Verpflichtungen aus der Gemeinschaftsregelung nachzukommen.

14 Die Ungewöhnlichkeit und Unvorhersehbarkeit der unzulänglichen Arbeitsweise dieser Verwaltung kann nicht mit der Begründung verneint werden, daß eine Gemeinschaftsregelung wie die Verordnung Nr. 1687/76 im Ausgangsrechtsstreit dem Wirtschaftsteilnehmer das Recht gibt, im Fall von Verzögerungen, die die Verwaltung zu vertreten hat, die Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen zu beantragen; dieses Recht ist aber für die Feststellung bedeutsam, ob der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die nachteiligen Folgen der mangelhaften Tätigkeit der Verwaltung hätte abwenden können.

15 Was diese letztgenannte Voraussetzung der höheren Gewalt betrifft, so ist es Sache des nationalen Gerichts, zu ermitteln, ob der betreffende Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich die gebotene Sorgfalt aufgewandt hat.

16 Dazu ist jedoch festzustellen, daß diese Voraussetzung erfuellt ist, wenn der Wirtschaftsteilnehmer persönlich oder durch einen Vertreter regelmässig bei der zuständigen Verwaltung vorstellig geworden ist, um sie zu den erforderlichen Handlungen zu veranlassen.

17 Das Versäumnis, die Anerkennung gleichwertiger Unterlagen zu beantragen, kann dem Wirtschaftsteilnehmer nur entgegengehalten werden, wenn er nicht durch das Verhalten der betreffenden Verwaltung daran gehindert war, seine Rechte durch dieses Verfahren zu wahren.

18 Dazu ist aber festzustellen, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 14 der Verordnung Nr. 1687/76 nicht erfuellt waren. Nach dieser Vorschrift ist nämlich eine Bestätigung der Zollstelle des Staates der Verarbeitung vorzulegen, daß der vorgesehenen Verwendung und/oder Bestimmung entsprochen worden ist; eine solche Bestätigung konnte der Wirtschaftsteilnehmer aber gerade wegen des Verhaltens dieser Behörde nicht bekommen.

19 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Artikels 22 Absatz 4 der Verordnung Nr. 262/79 angenommen werden kann, wenn die Versäumung der Frist für die Vorlage der Nachweise für die Verarbeitung der Butter in einem anderen Mitgliedstaat darauf beruht, daß die Verwaltungsbehörden dieses Staates die Überprüfung der Verarbeitung und die Rücksendung des Kontrollexemplars an die Behörden des Ursprungsstaats mit Verzögerung vorgenommen haben und der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Verwaltungsbehörden des Staates der Verarbeitung mit dem gebotenen Nachdruck zur Vornahme dieser Handlungen angehalten hat oder hat anhalten lassen. Hat der Wirtschaftsteilnehmer kein Antragsverfahren wegen Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 1687/76 eingeleitet, so kann ihm dies nur entgegengehalten werden, wenn er nicht durch das Verhalten der betreffenden Verwaltung daran gehindert war, seine Rechte durch dieses Verfahren zu wahren.

20 Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluß vom 28. Juli 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Ein Fall höherer Gewalt im Sinne des Artikels 22 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 262/79 der Kommission vom 12. Februar 1979 über den Verkauf von Butter zu herabgesetzten Preisen für die Herstellung von Backwaren, Speiseeis und anderen Lebensmitteln kann angenommen werden, wenn die Versäumung der Frist für die Vorlage der Nachweise für die Verarbeitung der Butter in einem anderen Mitgliedstaat darauf beruht, daß die Verwaltungsbehörden dieses Staates die Überprüfung der Verarbeitung und die Rücksendung des Kontrollexemplars an die Behörden des Ursprungsstaats mit Verzögerung vorgenommen haben und der betreffende Wirtschaftsteilnehmer die Verwaltungsbehörden des Staates der Verarbeitung mit dem gebotenen Nachdruck zur Vornahme dieser Handlungen angehalten hat oder hat anhalten lassen. Hat der Wirtschaftsteilnehmer kein Antragsverfahren wegen Anerkennung anderer gleichwertiger Unterlagen gemäß Artikel 14 der Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 der Kommission vom 30. Juni 1976 zur Festlegung der gemeinsamen Durchführungsbestimmungen für die Überwachung der Verwendung und/oder Bestimmung von Erzeugnissen aus den Beständen der Interventionsstellen eingeleitet, so kann ihm dies nur entgegengehalten werden, wenn er nicht durch das Verhalten der betreffenden Verwaltung daran gehindert war, seine Rechte durch dieses Verfahren zu wahren.

Ende der Entscheidung

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