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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 31.03.1992
Aktenzeichen: C-52/90
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 83/182/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 99
RL Nr. 83/182/EWG Art. 9 Abs. 3
RL Nr. 83/182/EWG Art. 3
RL Nr. 83/182/EWG Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Kommission muß in jeder aufgrund von Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage genau die Rügen angeben, über die der Gerichtshof entscheiden soll, und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darlegen, auf die diese Rügen gestützt sind.

2. Der Gegenstand einer nach Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage wird in dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Vorverfahren festgelegt. Die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage müssen auf die gleichen Erwägungen und Rügen gestützt sein, so daß eine Rüge, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht enthalten ist, im Verfahren vor dem Gerichtshof nicht zulässig ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 31. MAERZ 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH DAENEMARK. - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-52/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 6. März 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Dänemark dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es die Richtlinie 83/182/EWG des Rates vom 28. März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel (ABl. L 105, S. 59, im folgenden: Richtlinie), insbesondere Artikel 9 Absatz 3 dieser Richtlinie, nicht angewendet hat.

2 Nach den Artikeln 3, 4 und 5 der Richtlinie genießen Privatpersonen Steuerbefreiung bei der vorübergehenden Einfuhr eines Fahrzeugs in einen Mitgliedstaat, wenn sie ihren gewöhnlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Artikel 7 enthält allgemeine Vorschriften zur Bestimmung des gewöhnlichen Wohnsitzes.

3 In Artikel 9 der Richtlinie finden sich einige Sonderregelungen. Eine dieser Regelungen - Absatz 3 - betrifft Dänemark:

"Das Königreich Dänemark wird ermächtigt, seine hinsichtlich des gewöhnlichen Wohnsitzes geltenden Regelungen beizubehalten, nach denen alle Personen, einschließlich Studenten, in dem in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b) bezeichneten Fall ihren Wohnsitz in Dänemark haben, wenn sie dort ein Jahr oder 365 Tage während eines Zeitraums von 24 Monaten bleiben.

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist jedoch folgendes zu beachten:

- Sofern die Anwendung dieser Regeln dazu führt, daß eine Person zwei Wohnsitze hat, so ist ihr gewöhnlicher Wohnsitz der Ort, an dem ihr Ehegatte und ihre Kinder wohnen;

- in ähnlichen Fällen stimmt sich das Königreich Dänemark mit dem anderen betroffenen Mitgliedstaat im Hinblick darauf ab, welcher der beiden Wohnsitze für Besteuerungszwecke zugrunde zu legen ist.

Vor Ablauf eines Zeitraums von drei Jahren überprüft der Rat anhand eines Berichtes der Kommission die in diesem Absatz genannte Ausnahme und trifft gegebenenfalls auf einen gemäß Artikel 99 des Vertrages unterbreiteten Vorschlag der Kommission hin die erforderlichen Maßnahmen, um die Beseitigung dieser Ausnahme zu gewährleisten."

4 Artikel 10 enthält die Schlußbestimmungen der Richtlinie. Sein Absatz 2 hat folgenden Wortlaut:

"Ist die praktische Anwendung dieser Richtlinie mit Schwierigkeiten verbunden, so treffen die zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten die erforderlichen Entscheidungen im gegenseitigen Einvernehmen; dabei berücksichtigen sie insbesondere die Übereinkommen und Gemeinschaftsrichtlinien über gegenseitige Unterstützung."

5 Am 14. Mai 1986 richtete die Kommission gemäß dem in Artikel 169 EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahren ein förmliches Aufforderungsschreiben an die dänische Regierung. Darin hieß es, die Kommission habe bei der Prüfung von Beschwerden, die Privatpersonen an das Europäische Parlament gerichtet haben, festgestellt, daß die dänischen Behörden die Vorschriften der Richtlinie, insbesondere Artikel 9 Absatz 3 in nicht vertretbarer Weise ausgelegt hätten.

6 In einem Schreiben vom 16. Juli 1986 bestritt die dänische Regierung, daß ihre Behörden die Richtlinie falsch ausgelegt hätten und machte geltend, die Kommission habe ihr nicht die tatsächlichen Angaben zur Kenntnis gebracht, die dem Verstoßverfahren zugrunde lägen; ihr Vorgehen sei daher unzureichend begründet.

7 Aufgrund dieser Antwort gab die Kommission am 21. September 1987 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Darin schilderte sie im einzelnen den Inhalt zweier Rechtsstreitigkeiten, nämlich zweier Urteile dänischer Gerichte, die sie zu der Feststellung veranlasst hätten, die dänischen Behörden legten die Vorschriften der Richtlinie, insbesondere Artikel 9 Absatz 3, in unvertretbarer Weise aus. Sie fügt aber auch hinzu, daß sie nicht die in diesen beiden Fällen erlassenen Entscheidungen kritisiere; sie führe sie nur an, um das fragliche Auslegungsproblem zu veranschaulichen.

8 In ihrer Stellungnahme unterstrich die Kommission auch, daß dem Urteil vom 11. Dezember 1984 in der Rechtssache 134/83 (Abbink, Slg. 1984, 4097) zufolge die nationalen Vorschriften über die Entrichtung der Mehrwertsteuer für ein Fahrzeug, das vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat als dem Zulassungsstaat benutzt wird, nicht zu einer Doppelbesteuerung führen dürften.

9 Die dänische Regierung beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme am 20. November 1987. Sie führte aus, die einschlägige Vorschrift für die Bestimmung des gewöhnlichen Wohnsitzes in den beiden von der Kommission angeführten Fällen sei Artikel 7 der Richtlinie und nicht ihr Artikel 9 Absatz 3. Nach Ansicht der dänischen Regierung haben die beiden erwähnten Gerichte den Artikel 7 zutreffend ausgelegt. Zu Artikel 9 Absatz 3 habe die dänische Regierung ihren Standpunkt nicht weiter zu verdeutlichen; es sei aber darauf hinzuweisen, daß die zuständigen dänischen und deutschen Behörden in den Jahren 1986 und 1987 Verhandlungen geführt hätten, um das in diesem Artikel genannte Abstimmungsverfahren auszuarbeiten.

10 Da die dänische Regierung somit die von der Kommission erhobenen Einwände nicht gelten ließ, hat diese die vorliegende Klage erhoben.

11 Die Klage der Kommission umfasst zwei Teile. Im ersten Teil mit der Überschrift "Sachverhalt und Verfahren" schildert die Kommission die Ziele und Vorschriften der Richtlinie und die Abschnitte des Vorverfahrens. Die Kommission nimmt auch Bezug auf ein vom Höjesteret vorgelegtes und in der Kanzlei des Gerichtshofes unter der Nummer C-297/89 eingetragenes Vorabentscheidungsersuchen, das die steuerrechtliche Bedeutung des vorliegenden Falls verdeutliche, wie auch den Zweck der Richtlinie, die Freizuegigkeit der Gemeinschaftsbürger zu gewährleisten.

12 Der zweite Teil der Klage mit der Überschrift "Rechtliche Würdigung" zerfällt in zwei Abschnitte. Der erste bezieht sich auf die Verpflichtung, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Die Kommission hebt zunächst die Bedeutung der Richtlinie hervor und zitiert Artikel 9 Absatz 3 auszugsweise. Sie verweist ferner auf mehrere Urteile des Gerichtshofes zur Besteuerung von Fahrzeugen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, und insbesondere das bereits erwähnte Urteil vom 11. Dezember 1984 (Abbink). Schließlich führt sie aus, die Doppelbesteuerung bei der vorübergehenden Einfuhr eines Fahrzeugs sei nicht mit den Artikeln 8a und 95 EWG-Vertrag zu vereinbaren.

13 Im zweiten Abschnitt dieses Teils der Klage, der sich auf die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den Steuerbehörden der anderen Mitgliedstaaten bezieht, nimmt die Kommission auf die Artikel 9 Absatz 3 und 10 Absatz 2 der Richtlinie Bezug. Sie macht geltend, Dänemark habe niemals anerkannt, daß es Sache seiner Behörden sei, in Zusammenarbeit mit dem anderen in Betracht kommenden Mitgliedstaat zu bestimmen, wie eine Doppelbesteuerung vermieden werden könne, wenn sie über Beschwerden betreffend die praktische Anwendung der Richtlinie zu entscheiden hätten.

14 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

15 In erster Linie macht die dänische Regierung geltend, die Klage sei aus verschiedenen Gründen unzulässig. Nach ihrer Ansicht genügt die Klage nicht den in Artikel 38 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung festgelegten Erfordernissen, wonach die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten müsse. Im einzelnen führt die dänische Regierung dazu aus, es sei in der Klageschrift keine konkrete, von den dänischen Behörden begangene Vertragsverletzung dargelegt worden und es sei daher nicht zu erkennen, welche Vorschriften der Richtlinie von diesen Behörden verletzt worden sein sollten.

16 Um hilfsweise ihren Standpunkt zur Begründetheit der Klage darzulegen, nimmt die dänische Regierung aber an, nach dem Wortlaut der Klage und dem Schriftwechsel des Vorverfahrens gehe es der Kommission bei ihren Vorwürfen möglicherweise um die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Wohnsitzes im Sinne der Richtlinie, um die Verpflichtung der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit und um die Verpflichtung, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden.

17 Was die Zulässigkeit der Klage angeht, so ist es gemäß Artikel 19 des Protokolls über die EWG-Satzung des Gerichtshofes und gemäß Artikel 38 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung Sache der Kommission, in jeder aufgrund von Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage genau die Rügen anzugeben, über die der Gerichtshof entscheiden soll, und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darzulegen, auf die diese Rügen gestützt sind (vgl. Urteil vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-347/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4747, Randnr. 28).

18 Im vorliegenden Fall genügt jedoch die Klageschrift diesen Anforderungen nicht. In der Tat beschränkt sich die Kommission in dem Teil der Klageschrift, der die rechtliche Würdigung enthält, darauf, eine Reihe von Vorschriften der Richtlinie, mehrere Urteile des Gerichtshofes und die Artikel 5, 8a, 95 und 189 EWG-Vertrag zu erwähnen. Die Klage gibt aber nicht im einzelnen an, aus welchen Tatsachen und Umständen sich der Verstoß ergeben soll, der den dänischen Behörden vorgeworfen wird.

19 Dem Gerichtshof ist es demgemäß nicht möglich, den Rechtsstreit, so wie er von der Kommission eingeleitet worden ist, zu entscheiden.

20 Dieser Feststellung steht im übrigen die Umschreibung der von der Kommission erhobenen Vorwürfe nicht entgegen, die die dänische Regierung, wie in Randnummer 16 dieses Urteils erwähnt, in der Klagebeantwortung vorgenommen hat.

21 Soweit es um die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Wohnsitzes im Sinne der Richtlinie geht, ist nämlich darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie in Artikel 7 allgemeine Vorschriften und in Artikel 9 Absatz 3 besondere Bestimmungen für Dänemark enthält. In der Klageschrift und in den Schriftstücken des Vorverfahrens hat die Kommission geltend gemacht, daß sich die in Dänemark geltenden und den Begriff des gewöhnlichen Wohnsitzes betreffenden Vorschriften ausschließlich auf Artikel 9 Absatz 3 stützten. In der Erwiderung hat sie jedoch geltend gemacht, die dänischen Behörden hätten auch Artikel 7 der Richtlinie verletzt und hätten gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie der Kommission mitteilen müssen, daß die einschlägigen nationalen Bestimmungen auch aufgrund von Artikel 7 getroffen worden seien.

22 Insoweit genügt die Feststellung, daß die zuletzt genannte Rüge nicht in der Klageschrift enthalten ist und daher nicht geprüft werden kann.

23 Soweit es um die Verpflichtung der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit geht, ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung der Gegenstand einer nach Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage in dem in dieser Vorschrift vorgesehenen Vorverfahren festgelegt wird und daß die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf die gleichen Erwägungen und Rügen gestützt sein müssen.

24 Im vorliegenden Fall ist aber festzustellen, daß die mit Gründen versehene Stellungnahme keine Erwägungen und Rügen hinsichtlich der Verpflichtung zur Zusammenarbeit enthält, von der die Kommission in der Klage spricht. Die dazu vorgebrachte Rüge kann also vom Gerichtshof nicht geprüft werden.

25 Was schließlich die Verpflichtung zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung angeht, so genügt es, darauf hinzuweisen, daß sich die Klageanträge nur auf die Vorschriften der Richtlinie beziehen; die genannte Verpflichtung ergibt sich aber nach den Erklärungen der Kommission nicht aus der Richtlinie, sondern aus Artikel 95 EWG-Vertrag. Die sich auf diese Verpflichtung beziehende Rüge ist also nicht von den Klageanträgen gedeckt.

26 Aus alledem folgt, daß die von der Kommission erhobene Klage unzulässig ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

27 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrer Klage keinen Erfolg hat, hat sie die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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