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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.11.1997
Aktenzeichen: C-57/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 1612/68


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

4 Die Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung ist auf eine Entschädigungsregelung nicht anwendbar, nach der in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, zusätzlich zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit des nationalen Sozialversicherungssystems eine einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn er innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber eingeht. Eine Leistung ist nämlich nur dann eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung, wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen soll und also für den Unterhalt des arbeitslosen Arbeitnehmers bestimmt ist.

5 Eine einmalige Leistung, die Arbeitnehmern in der Landwirtschaft gewährt wird, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, ist eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, da das Recht auf diese Leistung in unauflöslichem Zusammenhang mit der objektiven Arbeitnehmereigenschaft der Berechtigten steht.

6 Ein Mitgliedstaat kann die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht davon abhängig machen, daß der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat. Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert nämlich mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, daß sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt. Dies trifft auf eine Wohnortvoraussetzung zu, deren Erfuellung für inländische Arbeitnehmer einfacher als für Arbeitnehmer anderer Mitgliedstaaten ist.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 27. November 1997. - H. Meints gegen Minister van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Raad van State - Niederlande. - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Leistung bei Arbeitslosigkeit - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Soziale Vergünstigung - Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit - Wohnortvoraussetzung. - Rechtssache C-57/96.

Entscheidungsgründe:

1 Der Nederlandse Raad van State hat mit Zwischenurteil vom 22. Februar 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Februar 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung und von Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen H. Meints (im folgenden: Kläger) und dem Minister van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij (Minister für Landwirtschaft, Landschaftspflege und Fischerei; im folgenden: Beklagter) wegen der Weigerung des Beklagten, dem Kläger eine Leistung für in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer zu gewähren, die im Zuge von Flächenstillegungsmaßnahmen ihres früheren Arbeitgebers arbeitslos geworden sind.

Gemeinschaftsrecht

3 Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung Nr. 1408/71 gilt diese für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die bestimmte Leistungsarten, darunter Leistungen bei Arbeitslosigkeit, betreffen.

4 Die erste Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1612/68 lautet: "Die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer muß innerhalb der Gemeinschaft spätestens am Ende der Übergangszeit gewährleistet sein; dies schließt die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen ein sowie das Recht für diese Arbeitnehmer, sich vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen innerhalb der Gemeinschaft zur Ausübung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis frei zu bewegen."

5 In der dritten und der vierten Begründungserwägung dieser Verordnung heisst es: "[A]llen Arbeitnehmern der Mitgliedstaaten muß das Recht zuerkannt werden, eine von ihnen gewählte Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft auszuüben"; "[d]ieses Recht steht gleichermassen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern zu, die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben".

6 In Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 heisst es:

"(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer."

Niederländische Rechtsvorschriften

7 Die niederländische Stichting Ontwikkelings- en Saneringsfonds voor de Landbouw (Entwicklungs- und Sanierungsfonds für die Landwirtschaft; im folgenden: Fonds) ist eine juristische Person des Privatrechts, deren satzungsgemässe Aufgabe in der Entwicklung und Sanierung der Landwirtschaft besteht und der hierfür öffentliche Aufgaben, darunter die Durchführung bestimmter Gemeinschaftsvorschriften im nationalen Recht, übertragen worden sind. Ihre Mittel erhält sie aus dem Budget des Beklagten.

8 Der Fonds erließ die Vergödingsregeling voor uittreding van werknemers in de landbouw (Entschädigungsregelung für das Ausscheiden von in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmern, Staatscourant Nr. 114 vom 16. Juni 1988, S. 23; im folgenden: Entschädigungsregelung), durch die die Gewährung einer nationalen Subvention geregelt wird, die die aufgrund des Gemeinschaftsrechts im Bereich der Landwirtschaft erforderlichen Anpassungen unterstützen soll.

9 Nach der Entschädigungsregelung kann der Fonds in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf Antrag eine Leistung gewähren.

10 Dabei handelt es sich um eine einmalige Leistung, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten richtet. Hat der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet, so hat er ferner Anspruch auf einen Zuschuß zu den Umschulungskosten.

11 Gemäß Artikel 4 Buchstabe e der Entschädigungsregelung ist Voraussetzung für die Gewährung der streitigen Leistung, daß der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Leistung nach der Werkloosheidswet (Arbeitslosengesetz) hat. Nach Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe f dieses Gesetzes hat ein Arbeitnehmer, der ausserhalb der Niederlande wohnt oder sich dort aus anderen als Urlaubsgründen aufhält, keinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit.

12 Gemäß Artikel 6 der Entschädigungsregelung fällt der Anspruch auf die streitige Leistung weg, wenn der Begünstigte innerhalb von 12 Monaten nach der Beendigung seines früheren Arbeitsvertrags erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem ehemaligen Arbeitgeber eingeht. Nach den in diesem Punkt unstreitigen Ausführungen der Kommission, ist die Leistung in diesem Fall grundsätzlich zurückzuzahlen.

13 Gemäß Artikel 13 der Entschädigungsregelung darf der Gesamtbetrag der innerhalb eines Jahres gewährten Leistungen 1 000 000 HFL nicht übersteigen. Die niederländische Regierung hat den Gerichtshof jedoch davon unterrichtet, daß die für die streitige Leistung zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bislang in keinem Jahr ausgeschöpft worden seien.

14 Die niederländische Regierung hat ferner darauf hingewiesen, daß innerhalb der durch dieses Budget gesetzten Grenzen jeder, der die Anspruchsvoraussetzungen der Entschädigungsregelung erfuellt und einen entsprechenden Antrag stellt, einen Rechtsanspruch auf die Leistung hat. Das Ermessen der Behörden beziehe sich nur darauf, daß sie die Leistung beim Vorliegen besonderer Umstände ungeachtet der Anspruchsvoraussetzungen auch Personen gewähren könnten, die darauf formell betrachtet keinen Anspruch hätten.

Ausgangsrechtsstreit

15 Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, war in einem landwirtschaftlichen Betrieb in den Niederlanden beschäftigt, wohnte aber in Deutschland.

16 Im Zuge von Flächenstillegungsmaßnahmen seines früheren Arbeitgebers wurde der Kläger arbeitslos und bezog in Deutschland Arbeitslosenunterstützung. Er beantragte bei den niederländischen Behörden eine Leistung nach der Entschädigungsregelung.

17 Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 28. August 1991 mit der Begründung abgelehnt, daß der Kläger, da er seinen Wohnsitz nicht in den Niederlanden habe, keinen Anspruch auf eine Leistung nach der Werkloosheidswet habe und damit die Voraussetzung des Artikels 4 Buchstabe e der Entschädigungsregelung nicht erfuelle.

18 Am 16. September 1991 legte der Kläger gegen diese Entscheidung beim Fonds einen Rechtsbehelf ein, den dieser durch Bescheid vom 9. Juli 1992 zurückwies. Hiergegen legte der Kläger beim Beklagten einen weiteren Rechtsbehelf ein, der am 2. März 1994 ebenfalls zurückgewiesen wurde.

19 Gegen den letztgenannten Bescheid erhob der Kläger bei der Arrondissementsrechtbank Den Haag Klage. Diese Klage wurde mit Urteil vom 15. Februar 1995 als unbegründet abgewiesen.

20 Gegen dieses Urteil legte der Kläger mit Rechtsmittelschrift vom 6. März 1995 beim Nederlandse Raad van State Rechtsmittel ein. Vor diesem Gericht macht er im wesentlichen geltend, es verstosse gegen die Verordnung Nr. 1408/71 oder die Verordnung Nr. 1612/68, ihm die streitige Leistung nicht zu gewähren, weil er in Deutschland wohne.

21 Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Auslegung dieser beiden Verordnungen. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Findet die Verordnung Nr. 1408/71 Anwendung auf eine Leistung, wie sie in der Vergödingsregeling voor uittreding van werknemers in de landbouw (Entschädigungsregelung für das Ausscheiden von in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmern) vorgesehen ist, die nicht von der Dauer der Arbeitslosigkeit abhängt und Teil eines Systems von Maßnahmen zur Verbesserung der Struktur des Agrarsektors ist, wobei das Hauptgewicht auf der Förderung der teilweisen oder vollständigen Betriebseinstellung und des Ausscheidens von Unternehmern liegt?

Welche weiteren Umstände sind dabei gegebenenfalls noch erheblich?

2. Falls die erste Frage verneint wird, ist dann eine Leistung aufgrund der Regelung als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 zu betrachten? Falls ja, ist dann die Voraussetzung, daß der betreffende Arbeitnehmer seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat, eine nach Artikel 7 dieser Verordnung verbotene Unterscheidung aufgrund der Staatsangehörigkeit?

Zur ersten Frage

22 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 1408/71 auf eine Entschädigungsregelung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art anwendbar ist, nach der in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn er innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber eingeht.

23 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes hängt die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ausgeschlossen sind, und solchen, die darunter fallen, hauptsächlich von dem Wesen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen für ihre Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung nach nationalem Recht eine Leistung der sozialen Sicherheit ist (vgl. u. a. Urteile vom 10. März 1993 in der Rechtssache C-111/91, Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Randnr. 28, und vom 27. März 1985 in der Rechtssache 249/83, Höckx, Slg. 1985, 973, Randnr. 11).

24 Eine Leistung kann dann als Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie erstens den Empfängern ohne jede auf Ermessen beruhende individuelle Bedürftigkeitsprüfung aufgrund eines gesetzlichen Tatbestands gewährt wird und sich zweitens auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-66/92, Acciardi, Slg. 1993, I-4567, Randnr. 14).

25 Eine Leistung der im Ausgangsverfahren streitigen Art bezieht sich nicht auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken.

26 Von den dort erwähnten Zweigen der sozialen Sicherheit kommen im vorliegenden Fall nur die Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Betracht.

27 Eine Leistung ist jedoch nur dann eine "Leistung bei Arbeitslosigkeit" im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung Nr. 1408/71, wenn sie den aufgrund der Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen soll und also für den Unterhalt des arbeitslosen Arbeitnehmers bestimmt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 1992 in der Rechtssache C-102/91, Knoch, Slg. 1992, I-4341, Randnr. 44).

28 Dies ist bei einer Leistung der im Ausgangsverfahren streitigen Art, für die die nachstehend angeführten Gesichtspunkte insgesamt charakteristisch sind, nicht der Fall.

29 Erstens ist der Empfänger der fraglichen Leistung verpflichtet, diese zurückzuzahlen, wenn er innerhalb von 12 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber eingeht.

30 Zweitens hängt weder die Entstehung des Leistungsanspruchs noch seine Höhe von der Dauer der Arbeitslosigkeit ab, da hierfür ausreichend ist, daß das frühere Arbeitsverhältnis beendet worden ist und daß der Empfänger zur Zeit des Bezugs der Leistung arbeitslos ist.

31 Drittens wird die streitige Leistung nicht regelmässig, sondern nur einmal gezahlt; weiter hat sie eine feste, nur vom Alter des Antragstellers abhängige Höhe.

32 Viertens wird diese Leistung zusätzlich zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit gewährt, die in der nationalen Regelung der sozialen Sicherheit vorgesehen sind, wobei der Anspruch auf die letztgenannten Leistungen eine Voraussetzung für ihre Gewährung ist.

33 Ferner ergibt sich aus den Akten, daß diese Leistung in erster Linie die sozialen Auswirkungen der strukturellen Anpassungen - im vorliegenden Fall der Flächenstillegungen - ausgleichen soll, die aufgrund der Gemeinschaftsregelung auf dem Agrarsektor erforderlich geworden sind. Ihr Zweck entspricht damit demjenigen einer Kündigungsentschädigung, die im Rahmen von Begleitmaßnahmen für Einstellungen der Erwerbstätigkeit aus öffentlichen Mitteln gewährt wird.

34 Die fragliche Leistung kann daher nicht als "Leistung bei Arbeitslosigkeit" im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden.

35 Auf die erste Frage ist somit zu antworten, daß die Verordnung Nr. 1408/71 auf eine Entschädigungsregelung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art nicht anwendbar ist, nach der in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn er innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber eingeht.

Zur zweiten Frage

36 Diese Frage hat zwei getrennt zu beantwortende Teile. Der erste Teil betrifft den Begriff der sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68; der zweite geht dahin, ob sich aus der Wohnortvoraussetzung der Entschädigungsregelung eine Diskriminierung ergibt.

Zum Begriff der sozialen Vergünstigung

37 Mit dem ersten Teil der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine einmalige Leistung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art, die in der Landwirtschaft tätigen Arbeitnehmern gewährt wird, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 angesehen werden kann.

38 Die niederländische Regierung und die Kommission sind zu Recht der Auffassung, daß eine Leistung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art eine "soziale Vergünstigung" im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 ist.

39 Der Begriff der "sozialen Vergünstigungen" in Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung kann nicht eng ausgelegt werden (Urteil vom 30. September 1975 in der Rechtssache 32/75, Cristini, Slg. 1975, 1085, Randnr. 12). Nach ständiger Rechtsprechung sind unter "sozialen Vergünstigungen" alle Vergünstigungen zu verstehen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland allgemein gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern (Urteil vom 27. Mai 1993 in der Rechtssache C-310/91, Schmid, Slg. 1993, I-3011, Randnr. 18).

40 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86 (Lair, Slg. 1988, 3161, Randnr. 36) festgestellt hat, sind den Wanderarbeitnehmern ferner bestimmte, mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängende Rechte auch dann garantiert, wenn sie nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stehen.

41 Eine Leistung der fraglichen Art, deren Gewährung vom vorherigen Bestehen eines kürzlich beendeten Arbeitsverhältnisses abhängig ist, erfuellt diese Voraussetzungen. Das Recht auf diese Leistung steht nämlich in unauflöslichem Zusammenhang mit der objektiven Arbeitnehmereigenschaft der Berechtigten.

42 Auf den ersten Teil der zweiten Frage ist daher zu antworten, daß eine einmalige Leistung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art, die Arbeitnehmern in der Landwirtschaft gewährt wird, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 ist.

Zur Wohnortvoraussetzung

43 Der zweite Teil der zweiten Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob ein Mitgliedstaat die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 davon abhängig machen kann, daß der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat.

44 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes verbietet der sowohl in Artikel 48 EG-Vertrag als auch in Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (siehe insbesondere Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996, I-2617, Randnr. 17).

45 Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, daß sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt (Urteil O'Flynn, a. a. O., Randnr. 20).

46 Dies trifft auf eine Wohnortvoraussetzung der im Ausgangsverfahren fraglichen Art zu, deren Erfuellung für inländische Arbeitnehmer einfacher als für Arbeitnehmer anderer Mitgliedstaaten ist.

47 Die niederländische Regierung weist darauf hin, daß die Entschädigungsregelung die Wohnortvoraussetzung nicht ausdrücklich vorsehe, sondern auf das diese Voraussetzung enthaltende Arbeitslosengesetz verweise. Die Voraussetzung, daß der Berechtigte Anspruch auf eine Leistung nach dem Arbeitslosengesetz haben müsse, bezwecke jedoch nicht, den Anspruch auf die streitige Leistung in den Niederlanden wohnenden Personen vorzubehalten; sie bezwecke vielmehr, eine andere im Arbeitlosengesetz enthaltene Voraussetzung in die Entschädigungsregelung zu übernehmen, daß nämlich Antragsteller, die ihre Arbeitslosigkeit selbst verschuldet hätten, von der fraglichen Leistung ausgeschlossen seien.

48 Das rechtfertigt die Wohnortvoraussetzung nicht. Deren Übernahme in die Entschädigungsregelung ist weder erforderlich noch geeignet, um Personen, die ihre Arbeitslosigkeit selbst verschuldet haben, von der Leistung auszuschließen. Der Wohnort des Antragstellers ist nämlich bedeutungslos für die Frage, ob die Arbeitslosigkeit selbstverschuldet ist.

49 Die französische und die niederländische Regierung weisen ferner darauf hin, daß sich ein Grenzgänger für einen Anspruch auf soziale Vergünstigungen ohnedies nicht auf Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen könne. Diese Verordnung sehe nämlich nicht die Möglichkeit vor, solche Vergünstigungen zu "exportieren".

50 Diese Auffassung steht im Widerspruch zum Wortlaut der Verordnung Nr. 1612/68. In deren vierter Begründungserwägung wird nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Recht auf Freizuegigkeit "gleichermassen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern zu[steht], die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben". Ferner wird in ihrem Artikel 7 ohne Einschränkung auf den "Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist", Bezug genommen.

51 Auf den zweiten Teil der zweiten Frage ist demnach zu antworten, daß ein Mitgliedstaat die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht davon abhängig machen kann, daß der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

52 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Nederlandse Raad van State mit Zwischenurteil vom 22. Februar 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung ist auf eine Entschädigungsregelung nicht anwendbar, nach der in der Landwirtschaft tätige Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, eine einmalige Leistung erhalten, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Alter des Berechtigten richtet und die zurückzuzahlen ist, wenn er innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erneut ein Arbeitsverhältnis mit seinem früheren Arbeitgeber eingeht.

2. Eine einmalige Leistung, die Arbeitnehmern in der Landwirtschaft gewährt wird, deren Arbeitsverhältnis wegen Flächenstillegungen ihres früheren Arbeitgebers beendet worden ist, ist eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer.

3. Ein Mitgliedstaat kann die Gewährung einer sozialen Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht davon abhängig machen, daß der Begünstigte seinen Wohnsitz in diesem Staat hat.

Ende der Entscheidung

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