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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.04.1996
Aktenzeichen: C-58/94
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Nichtigkeitsklage ist gegen alle Handlungen der Organe ° ungeachtet ihrer Rechtsnatur oder Form ° gegeben, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen.

Dies ist bei dem Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten nicht der Fall. Dieser Kodex spiegelt nämlich das Einvernehmen zwischen den beiden Organen über die Grundsätze für den Zugang zu ihren Dokumenten wider, wobei sie aufgefordert werden, diese Grundsätze durch spezifische Vorschriften zu verwirklichen; er gibt somit nur den Rahmen für spätere Beschlüsse vor, die ihrerseits Rechtswirkungen erzeugen sollen. Indem der Kodex die allgemeinen Leitlinien vorzeichnet, anhand deren die beiden Organe Maßnahmen bezueglich der Vertraulichkeit und der Bereitstellung der in ihrem Besitz befindlichen Dokumente treffen werden, entspricht er dem Bemühen von Rat und Kommission, zu verhindern, daß sich ihre Praxis auf diesem Gebiet erheblich auseinanderentwickelt. Da der Kodex nur Ausdruck einer blossen freiwilligen Koordinierung ist und somit für sich genommen keine Rechtswirkungen erzeugen soll, ist gegen ihn die Nichtigkeitsklage nicht gegeben.

2. Solange der Gemeinschaftsgesetzgeber keine allgemeine Regelung über das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten, die im Besitz der Gemeinschaftsorgane sind, erlassen hat, müssen diese die Maßnahmen, die die Behandlung darauf gerichteter Anträge betreffen, aufgrund ihrer internen Organisationsgewalt erlassen, in deren Rahmen sie geeignete Maßnahmen treffen können, um das reibungslose Arbeiten ihrer Dienststellen im Interesse einer ordnungsgemässen Verwaltung zu gewährleisten; diese Maßnahmen gehen nicht deshalb über den Bereich der internen Organisationsgewalt hinaus, weil sie gegenüber Dritten Rechtswirkungen entfalten.

Dem Rat kann beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts daher nicht vorgeworfen werden, er habe rechtswidrig gehandelt, als er sich entsprechend der Entwicklung des Rechts auf dem Gebiet des Zugangs der Öffentlichkeit zu den im Besitz der Behörden befindlichen Dokumenten, der in der Erklärung zum Recht auf Zugang zu Informationen im Anhang (Nr. 17) der Schlussakte zum Vertrag über die Europäische Union mit dem demokratischen Charakter der Organe verknüpft wird, auf Artikel 151 Absatz 3 des Vertrages gestützt hat, um in Artikel 22 seiner Geschäftsordnung vorzusehen, daß er selbst die Bedingungen für den Zugang der Öffentlichkeit zu seinen Dokumenten regelt, die ohne schwerwiegende oder nachteilige Folgen bekanntgegeben werden können, und diese Bedingungen durch seinen Beschluß 93/731 festzulegen. Insbesondere kann ihm weder vorgeworfen werden, er habe ermessensmißbräuchlich gehandelt, indem er ein Verfahren umgangen habe, das der Vertrag speziell für die konkreten Umstände vorsehe, noch, daß er die Rechte des Parlaments beeinträchtigt habe, indem er es nicht an der Ausarbeitung der von ihm erlassenen Vorschriften beteiligt habe.


Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1996. - Königreich der Niederlande gegen Rat der Europäischen Union. - Nichtigkeitsklage - Regelung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten. - Rechtssache C-58/94.

Entscheidungsgründe:

1 Das Königreich der Niederlande hat mit Klageschrift, die am 10. Februar 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung des Beschlusses 93/731/EG des Rates vom 20. Dezember 1993 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. L 340, S. 43), des Artikels 22 der Geschäftsordnung des Rates in der Fassung des Beschlusses 93/662/EG des Rates vom 6. Dezember 1993 (ABl. L 304, S. 1) und des Verhaltenskodex (93/730/EG) für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten (ABl. L 340, S. 41, nachstehend: Verhaltenskodex), soweit dieser Kodex als Handlung mit Rechtswirkungen anzusehen ist.

2 In der Erklärung zum Recht auf Zugang zu Informationen (ABl. 1992, C 191, S. 101) im Anhang (Nr. 17) der Schlussakte des am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrages über die Europäische Union heisst es: "Die Konferenz ist der Auffassung, daß die Transparenz des Beschlußverfahrens den demokratischen Charakter der Organe und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung stärkt. Die Konferenz empfiehlt daher, daß die Kommission dem Rat spätestens 1993 einen Bericht über Maßnahmen vorlegt, mit denen die den Organen vorliegenden Informationen der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden sollen."

3 Auf der Tagung der Staats- bzw. Regierungschefs der Mitgliedstaaten vom 16. Oktober 1992 in Birmingham nahm der Europäische Rat nach ausführlicher Erörterung der Frage, wie man die Gemeinschaft ihren Bürgern näher bringen kann, eine Erklärung mit dem Titel "Erklärung von Birmingham ° Eine bürgernahe Gemeinschaft" an. In dieser Erklärung beauftragte der Europäische Rat die Aussenminister, vor der Tagung des Europäischen Rates in Edinburg im Dezember 1992 "Mittel und Wege vor[zu]schlagen, um die Arbeit der Gemeinschaftsorgane transparenter zu gestalten, was auch die Möglichkeit einzelner öffentlicher Beratungen des Rates... einschließt". Ausserdem ersuchte er die Kommission, "ihre Arbeiten zur Verbesserung des Zugangs der Öffentlichkeit zu den ihr und anderen Gemeinschaftsorganen vorliegenden Informationen bis Anfang nächsten Jahres abzuschließen" (Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 10-1992, S. 9, Anlage I). Bei der Tagung der Staats- bzw. Regierungschefs der Mitgliedstaaten vom 12. Dezember 1992 in Edinburg wiederholte der Europäische Rat das Ersuchen, das er in Birmingham an die Kommission gerichtet hatte (Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 12-1992, S. 10, Nr. I.5).

4 Auf dieses Ersuchen hin legte die Kommission am 5. Mai 1993 die Mitteilung 93/C 156/05 mit dem Titel "Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, die sich im Besitz der Gemeinschaftsorgane befinden" (ABl. 1993, C 156, S. 5), vor. In dieser Mitteilung schlug die Kommission u. a. vor, grundsätzlich, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen den Zugang zu den Dokumenten der Organe zu gewähren. Darüber hinaus schlug sie eine Reihe von Mindestanforderungen und Grundprinzipien für die Einführung einer Politik des Zugangs zu Dokumenten vor. Schließlich forderte sie die anderen Organe auf, daran mitzuarbeiten, und schlug für diese Politik die Form einer interinstitutionellen Vereinbarung vor.

5 Im Anhang II ihrer Mitteilung 93/C 166/04 vom 2. Juni 1993 mit dem Titel "Transparenz in der Gemeinschaft" (ABl. 1993, C 166, S. 4) arbeitete die Kommission die grundlegenden Prinzipien und Voraussetzungen für den Zugang zu Dokumenten aus, die mit den anderen Organen abgestimmt werden sollten.

6 Auf der Tagung der Staats- bzw. Regierungschefs vom 22. Juni 1993 in Kopenhagen forderte der Europäische Rat "den Rat und die Kommission auf, ihre Arbeiten hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu Informationen im Einklang mit dem Grundsatz, daß die Bürger möglichst umfassenden Zugang zu Informationen erhalten, fortzusetzen". Nach Ansicht des Europäischen Rates sollte dabei "angestrebt werden, die erforderlichen Maßnahmen bis Ende 1993 zu treffen" (Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, 6-1993, S. 16, Nr. I.22).

7 Daraufhin erließen der Rat und die Kommission am 6. Dezember 1993 einvernehmlich einen Verhaltenskodex, der die Grundsätze für den Zugang der Öffentlichkeit zu in ihrem Besitz befindlichen Dokumenten festlegt, wobei vereinbart wurde, daß jedes der beiden Organe diese Grundsätze vor dem 1. Januar 1994 durch spezifische Vorschriften verwirklicht.

8 Am selben Tag erließ der Rat den Beschluß 93/662 zur Festlegung seiner Geschäftsordnung, die in ihrer seit dem 7. Dezember 1993 geltenden Fassung folgenden Artikel 22 enthält: "Die Bedingungen für den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Rates, deren Bekanntgabe keine schwerwiegenden oder nachteiligen Folgen hat, werden vom Rat festgelegt."

9 Mit dem Beschluß 93/731 erließ der Rat auf der Grundlage des Artikels 151 Absatz 3 EG-Vertrag, der ihn zum Erlaß einer Geschäftsordnung ermächtigt, und des genannten Artikels 22 Vorschriften zur Durchführung der im Verhaltenskodex aufgeführten Grundsätze. Dieser Beschluß trat gemäß seinem Artikel 10 am 1. Januar 1994 in Kraft.

10 Nach Artikel 1 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 erhält die Öffentlichkeit Zugang zu den Dokumenten des Rates gemäß den Bedingungen dieses Beschlusses. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift gilt als Dokument des Rates "vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 2 unabhängig vom Datenträger jedes im Besitz des Rates befindliche Schriftstück mit bereits vorhandenen Informationen". Nach Artikel 2 Absatz 2 ist, wenn der Urheber des betreffenden Dokuments eine natürliche oder juristische Person, ein Mitgliedstaat, ein anderes Gemeinschaftsorgan oder eine andere Gemeinschaftsinstitution oder eine sonstige einzelstaatliche oder internationale Organisation ist, der Antrag unmittelbar an den Urheber des Dokuments zu richten. Die Formerfordernisse für die Einreichung eines solchen Antrags sind in Artikel 2 Absatz 1 festgelegt. Nach Artikel 3 wird der Zugang zu einem Dokument durch Genehmigung der persönlichen Einsichtnahme in das betreffende Dokument oder durch Bereitstellung einer Kopie gewährt.

11 In Artikel 4 Absatz 1 werden die Gründe aufgezählt, aus denen der Zugang zu einem Ratsdokument versagt werden kann. Dies ist der Fall, wenn "durch die Verbreitung des Dokuments folgendes verletzt werden könnte:

° der Schutz des öffentlichen Interesses (öffentliche Sicherheit, internationale Beziehungen, Währungsstabilität, Rechtspflege, Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten);

° der Schutz des Einzelnen und der Privatsphäre;

° der Schutz des Geschäfts- und Industriegeheimnisses;

° der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft;

° die Wahrung der Vertraulichkeit, wenn dies von einer natürlichen oder juristischen Person, die eine in dem Dokument enthaltene Information zur Verfügung gestellt hat, beantragt wurde oder aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der eine der betreffenden Informationen bereitgestellt hat, erforderlich ist".

Nach Artikel 4 Absatz 2 kann der Rat im übrigen den Zugang zu einem Dokument zwecks Geheimhaltung seiner Erörterungen verweigern.

12 Die Artikel 5 bis 7 betreffen die Bestimmung der Stelle, die für die Beantwortung von Anträgen auf Akteneinsicht zuständig ist, die Frist und die Form, in der die Antwort ergehen muß, sowie die damit verbundenen Wirkungen. Wird ein Antrag endgültig abgelehnt, wird der Betroffene über den Inhalt der Artikel 138e und 173 des Vertrages unterrichtet, die die Bedingungen für die Befassung des Bürgerbeauftragten bzw. die Überwachung der Rechtmässigkeit der Handlungen des Rates durch den Gerichtshof betreffen. Ergeht keine Antwort, gilt der Antrag als abgelehnt.

13 Nach Artikel 8 ist der Beschluß 93/731 vorbehaltlich der Bestimmungen für den Schutz von Verschlußsachen anzuwenden.

Zur Zulassung des Europäischen Parlaments als Streithelfer

14 Der Rat beantragt in erster Linie, den Streithilfeantrag des Parlaments zur Unterstützung der Anträge der niederländischen Regierung insgesamt als unzulässig zurückzuweisen, da er sich im wesentlichen auf die angebliche Verletzung des Grundsatzes der Transparenz der Gesetzgebungstätigkeit beziehe und den Inhalt der Vorschriften über den Zugang zu den Ratsdokumenten sowie einige ihrer Durchführungsmodalitäten betreffe, während die klagende Regierung geltend mache, daß die Maßnahmen des Rates über die Grenzen der internen Organisation dieses Organs hinausgingen und darauf gerichtet seien, Rechtswirkungen jenseits dieser Grenzen zu entfalten.

15 Hilfsweise beantragt der Rat, den Streithilfeantrag des Parlaments nur insoweit für unzulässig zu erklären, als er sich nicht mit dem Klageantrag der niederländischen Regierung deckt und auf andere Gründe gestützt wird.

16 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

17 Das Parlament macht im wesentlichen geltend, daß der Rat sich dadurch, daß er die Regelung über den Zugang der Öffentlichkeit zu den in seinem Besitz befindlichen Dokumenten auf seine interne Organisationsgewalt gestützt habe, die Befugnis angemasst habe, darüber zu entscheiden, inwieweit seine gesetzgeberischen Arbeiten der Öffentlichkeit zugänglich seien, und damit seine Befugnisse aus Artikel 151 Absatz 3 EG-Vertrag mißbraucht habe.

18 Das Parlament macht insoweit geltend, zwar seien die Organe befugt, geeignete interne Organisationsmaßnahmen zu ergreifen, um das reibungslose Arbeiten ihrer Dienststellen und den ordnungsgemässen Ablauf ihrer Verfahren zu gewährleisten, doch stellten der Grundsatz der Transparenz des Gesetzgebungsverfahrens und der dazu erforderliche Zugang zu den Gesetzgebungsdokumenten Grundvoraussetzungen der Demokratie dar und könnten daher nicht als rein interne Organisationsfragen der Organe behandelt werden. Das Parlament verweist in diesem Zusammenhang auf die demokratische Natur der Gemeinschaftsrechtsordnung. Das Erfordernis der Transparenz stelle im übrigen einen auch im Gemeinschaftsrecht verankerten allgemeinen Grundsatz dar, der den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten gemeinsam sei. Schließlich sei das Recht auf Information, dessen logische Konsequenz der Zugang zu den Dokumenten sei, ein in verschiedenen internationalen Übereinkünften anerkanntes Grundrecht des Menschen.

19 Im übrigen verstießen der Beschluß 93/731 und der Verhaltenskodex gegen die Erfordernisse, die dem Grundsatz der Transparenz der Gesetzgebungstätigkeit und dem Recht auf Zugang zu den Gesetzgebungsdokumenten innewohnten, was bestätige, daß der Rat die Regelung eines fundamentalen Grundsatzes als eine rein interne Organisationsfrage behandelt und damit seine Befugnisse aus Artikel 151 Absatz 3 EG-Vertrag überschritten habe. So höhle die Möglichkeit des Rates nach Artikel 4 des Beschlusses 93/731, zur Wahrung seines Interesses an der Geheimhaltung seiner Erörterungen den Zugang zu einem Gesetzgebungsdokument zu versagen, den allgemeinen Grundsatz des Artikels 1 aus und verletze den Grundsatz der Transparenz der Gesetzgebungstätigkeit, wie er in den Mitgliedstaaten gewährleistet sei. Die gleichen Einwände ließen sich gegen Artikel 7 dieses Beschlusses erheben, der demjenigen, der um Informationen bitte, im Falle der ausdrücklichen Ablehnung seines Antrags oder im Falle des einer ausdrücklichen Ablehnung gleichgestellten Ausbleibens einer Antwort eine bestimmte Frist zur Einreichung eines zweiten Antrags auf Überprüfung der Ablehnung setze. Eine solche Bestimmung sei geeignet, dem Bürger aus rein formalen Gründen ein Grundrecht der pluralistischen Demokratie zu nehmen. Schließlich begrenze Artikel 3 Absatz 3 des Beschlusses 93/731, wonach das angeforderte Dokument nicht ohne vorherige Genehmigung des Generalsekretärs vervielfältigt oder zu gewerblichen Zwecken durch Direktverkauf in Umlauf gebracht werden dürfe, die Weiterverwendung der Gesetzgebungsdokumente, die als solche öffentlich seien, indem er einfach den Handel mit ihnen verbiete.

20 Artikel 37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes lautet: "Mit den aufgrund des Beitritts gestellten Anträgen können nur die Anträge einer Partei unterstützt werden."

21 Der Streithilfeantrag des Parlaments beruht zwar teilweise auf anderen Argumenten als denen, die die niederländische Regierung vorgetragen hat, doch will das Parlament, wie sich aus den Randnummern 17 bis 19 dieses Urteils ergibt, damit ebenso wie diese Regierung den Nachweis erbringen, daß der Rat die ihm durch Artikel 151 Absatz 3 EG-Vertrag verliehenen internen Organisationsbefugnisse überschritten habe, indem er die streitige Regelung auf diese Vorschrift gegründet habe.

22 Da mit der Streithilfe somit die Anträge einer Partei des Rechtsstreits unterstützt werden sollen, ist sie für zulässig zu erklären.

Zur Klage

Zum Verhaltenskodex

23 Die niederländische Regierung meint, der Verhaltenskodex stelle keine Handlung dar, die Rechtswirkungen entfalte, da es sich weder um einen Rechtsakt im Sinne des Artikels 189 EG-Vertrag noch um einen sonst in den Verträgen vorgesehenen Rechtsakt handele, sondern um einen politischen Text, in dem politische Vereinbarungen zwischen der Kommission und dem Rat niedergelegt seien. Sollte jedoch der Verhaltenskodex als selbständiger Beschluß mit Rechtswirkungen anzusehen sein, müsste er für nichtig erklärt werden, da er entgegen den Erfordernissen des Artikels 190 EG-Vertrag nicht die Rechtsgrundlage anführe, auf die er gestützt sei.

24 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteil vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache C-135/93, Spanien/Kommission, Slg. 1995, I-1651, Randnr. 20) ist die Nichtigkeitsklage gegen alle Handlungen der Organe, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen, unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Form gegeben.

25 Wie sich insbesondere aus der Präambel und dem vorletzten Abschnitt des Verhaltenskodex mit der Überschrift "Durchführung" ergibt, spiegelt dieser Kodex das Einvernehmen zwischen Kommission und Rat über die Grundsätze für den Zugang zu den Dokumenten dieser beiden Organe wider, wobei beide aufgefordert werden, diese Grundsätze durch spezifische Vorschriften zu verwirklichen.

26 Somit gibt der Verhaltenskodex nur den Rahmen für spätere Beschlüsse vor, die anders als der Kodex Rechtswirkungen erzeugen sollen. Indem der Kodex die allgemeinen Leitlinien vorzeichnet, anhand deren die beiden Organe Maßnahmen bezueglich der Vertraulichkeit und der Bereitstellung der in ihrem Besitz befindlichen Dokumente treffen werden, entspricht er dem Bemühen von Rat und Kommission, zu verhindern, daß sich ihre Praxis auf diesem Gebiet erheblich auseinanderentwickelt.

27 Da es somit um eine Handlung geht, die Ausdruck einer blossen freiwilligen Koordinierung ist und somit für sich genommen keine Rechtswirkungen erzeugen soll, ist die Klage, soweit sie gegen den Verhaltenskodex gerichtet ist, für unzulässig zu erklären.

Zum Beschluß 93/731

28 Die niederländische Regierung macht geltend, der Rat habe sich zu Unrecht auf die Artikel 151 Absatz 3 EG-Vertrag und 22 seiner Geschäftsordnung als Rechtsgrundlage für den Beschluß 93/731 gestützt, da diese Vorschriften nur seine interne Organisation beträfen.

29 Der streitige Beschluß gehe nämlich weit über den Anwendungsbereich interner Organisations- und Verwaltungsvorschriften des Rates hinaus und stelle eine Handlung dar, die ausdrücklich gegenüber den Bürgern Rechtswirkungen erzeugen solle. So stelle der Zugang der Öffentlichkeit zu den Ratsdokumenten das Grundprinzip des Beschlusses dar (Artikel 1); Rechtsfolgen für den einzelnen träten insbesondere durch die Einreichung konkreter Anträge auf Zugang zu einem Dokument (Artikel 2), durch die Ablehnung dieser Anträge (Artikel 4) und durch die Anfechtungsmöglichkeiten gegenüber Entscheidungen über die Versagung des Zugangs zu einem Dokument (Artikel 7) ein.

30 Auch wenn man unterstelle, daß interne Maßnahmen in Ausnahmefällen Aussenwirkung entfalten könnten, könne eine Regelung, die wie im vorliegenden Fall gerade Rechte des einzelnen begründen solle, nicht auf der Grundlage von Vorschriften erlassen werden, die den Rat zum Erlaß von Maßnahmen über seine interne Organisation und Arbeitsweise ermächtigten.

31 Das Parlament hat nach Ansicht der niederländischen Regierung in seinem Streithilfeschriftsatz zu Recht auf die demokratische Natur der Gemeinschaftsrechtsordnung und die Transparenz als grundlegendes Merkmal einer demokratischen Ordnung hingewiesen. Dies zeige ebenfalls, daß der Rat zu Unrecht als interne Organisationsfrage angesehen habe, was in Wirklichkeit ein Grundrecht darstelle, nämlich das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zur Information, dessen Regelung mit den erforderlichen Garantien versehen sein müsse.

32 Weiterhin trägt die niederländische Regierung vor, wegen der Bedeutung der Frage, die Gegenstand der streitigen Regelung sei, und der dadurch bedingten Notwendigkeit, auch das Parlament einzuschalten, verletze die Handlungsweise des Rates, das Problem der Transparenz der Verwaltung durch die Zusammenarbeit zwischen zwei Organen unter Ausschluß des Parlaments zu regeln, auch das in Artikel 4 EG-Vertrag festgelegte institutionelle Gleichgewicht.

33 Der Argumentation der niederländischen Regierung kann nicht gefolgt werden.

34 Wie der Generalanwalt in den Nummern 14 und 15 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist nun im innerstaatlichen Recht der meisten Mitgliedstaaten allgemein als Verfassungs- oder Rechtsgrundsatz das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten verankert, die im Besitz der Behörden sind.

35 Ausserdem ist auf Gemeinschaftsebene die Bedeutung dieses Rechts wiederholt bekräftigt worden, insbesondere in der Erklärung zum Recht auf Zugang zu Informationen im Anhang (Nr. 17) der Schlussakte zum Vertrag über die Europäische Union, in der dieses Recht mit dem demokratischen Charakter der Organe verknüpft wird. Im übrigen hat der Europäische Rat, wie sich aus den Randnummern 3 und 6 dieses Urteils ergibt, den Rat und die Kommission wiederholt zur Durchführung dieses Rechts aufgefordert.

36 Entsprechend dieser Entwicklung, die eine immer stärkere Betonung des Rechts des einzelnen auf Zugang zu den Dokumenten, die im Besitz der Behörden sind, erkennen lässt, hat der Rat es für erforderlich gehalten, die Regelung seiner internen Organisation, die bisher auf dem Geheimhaltungsgrundsatz beruhte, zu ändern.

37 Solange der Gemeinschaftsgesetzgeber keine allgemeine Regelung über das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten, die im Besitz der Gemeinschaftsorgane sind, erlassen hat, müssen diese die Maßnahmen, die die Behandlung darauf gerichteter Anträge betreffen, aufgrund ihrer internen Organisationsgewalt erlassen, in deren Rahmen sie geeignete Maßnahmen treffen können, um das reibungslose Arbeiten ihrer Dienststellen im Interesse einer ordnungsgemässen Verwaltung zu gewährleisten.

38 Daß der Beschluß 93/731 Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfaltet, kann seine Qualifizierung als interne Maßnahme nicht in Frage stellen. Es spricht nämlich nichts dagegen, daß eine Regelung über die interne Organisation der Arbeit eines Organs solche Wirkungen entfaltet (in diesem Sinn u. a. Urteile vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-69/89, Nakajima/Rat, Slg. 1991, I-2069, Randnrn. 49 und 50, und vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P, Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Randnrn. 75 und 76).

39 Somit ist der Rat beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts befugt, die Behandlung von Anträgen auf Zugang zu Dokumenten, die in seinem Besitz sind, zu regeln.

40 Da der Rat somit den Beschluß 93/731 rechtsgültig auf der Grundlage des Artikels 151 Absatz 3 EG-Vertrag erlassen konnte, hat er entgegen der Ansicht der niederländischen Regierung auch nicht ein Verfahren umgangen, das der Vertrag speziell für die konkreten Umstände vorsieht; somit liegt kein Ermessensmißbrauch vor (u. a. Urteil vom 13. Juli 1995 in der Rechtssache C-156/93, Parlament/Kommission, Slg. 1995, I-2019).

41 Zum Vorwurf der Verletzung des Grundsatzes des institutionellen Gleichgewichts genügt der Hinweis, daß der streitige Beschluß zu den Rechtsakten gehörte, die der Rat aufgrund seiner internen Organisationsgewalt erlassen darf, so daß der Umstand, daß er das Parlament nicht am Erlaß dieses Beschlusses beteiligt hat, die Rechte des Parlaments, zu denen in den durch die Verträge vorgesehenen Fällen seine Beteiligung an der Ausarbeitung normativer Handlungen gehört, nicht beeinträchtigen konnte (u. a. Urteil vom 22. Mai 1990 in der Rechtssache C-70/88, Parlament/Rat, Slg. 1990, I-2041, Randnrn. 21 und 28).

Zu Artikel 22 der Geschäftsordnung des Rates

42 Die niederländische Regierung macht geltend, der Gegenstand des geänderten Artikels 22 der Geschäftsordnung gehe weit über die Grenzen interner Organisationsvorschriften des Rates hinaus, so daß er nicht zu einer Regelung gehören könne, die lediglich die interne Organisation und Verwaltung eines Organs betreffen solle. Der Rat habe deshalb gegen die Artikel 151 Absatz 3 EG-Vertrag, 30 Absatz 3 EGKS-Vertrag und 121 Absatz 3 EAG-Vertrag verstossen oder zumindest das ihm durch diese Bestimmungen eingeräumte Ermessen mißbraucht.

43 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Dazu genügt der Hinweis auf die Randnummern 34 bis 39 dieses Urteils, aus denen sich ergibt, daß die streitigen Maßnahmen zu den Maßnahmen gehören, die ein Organ beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts im Rahmen seiner Befugnis zur Selbstorganisation erlassen darf.

44 Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich der Niederlande mit seinem Vorbringen unterlegen ist und der Rat beantragt hat, ihm die Kosten aufzuerlegen, hat das Königreich der Niederlande die Kosten zu tragen. Nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 tragen die Französische Republik, das Europäische Parlament und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten.

3. Die Französische Republik, das Europäische Parlament und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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