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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.1995
Aktenzeichen: C-59/94
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 2658/87, Verordnung Nr. 3174/88


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 2658/87 Position 2205
Verordnung Nr. 3174/88 Position 2205
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Position 2205 (Wermutwein und andere Weine aus frischen Weintrauben, mit Pflanzen oder anderen Stoffen aromatisiert) der Kombinierten Nomenklatur des Gemeinsamen Zolltarifs in der Fassung der Verordnung Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und der Verordnung Nr. 3174/88, die deren Anhang I ändert, ist dahin auszulegen, daß sie ein als "Sangria" bezeichnetes Getränk erfasst, das aus mehr als 50 % Wein aus frischen Weintrauben sowie aus Wasser, Zucker und Fruchtextrakten besteht. Wasser und Zucker, in vernünftiger Menge zugesetzt, verändern nämlich nicht den wesentlichen Charakter des Getränks, der ihm durch den aromatisierten Wein verliehen wird.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 17. OKTOBER 1995. - MINISTRE DES FINANCES GEGEN SOCIETE PARDO & FILS UND CAMICAS SARL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR D'APPEL DE PAU - FRANKREICH. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - TARIFPOSITIONEN - GETRAENKE - WEIN AUS FRISCHEN WEINTRAUBEN - SANGRIA. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-59/94 UND C-64/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d' appel Pau hat mit zwei Urteilen vom 8. Dezember 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 11. und 15. Februar 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine in beiden Rechtssachen gleichlautende Frage nach der Auslegung der Positionen 2205 und 2206 der Kombinierten Nomenklatur für den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 298, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen den Firmen Pardo & Fils und Camicas, den Klägerinnen der Ausgangsverfahren, und dem Ministre des Finances, dem Beklagten der Ausgangsverfahren, über die Tarifierung des als Sangria bezeichneten Getränks.

3 1988 und 1989 führten Pardo und Camicas, französische Zollagenturen, grosse Mengen von Sangria aus Spanien nach Frankreich ein.

4 Damals bestanden für eine Übergangszeit noch Zölle zwischen Spanien und den anderen Mitgliedstaaten.

5 Aus den Akten ergibt sich, daß es sich bei der Sangria um eine Mischung aus Wein aus frischen Weintrauben (über 50 %), Wasser (zwischen 30 % und 36 %), Zucker und Fruchtextrakten handelte. Ihr Alkoholgehalt betrug 6,97 %.

6 Pardo und Camicas meldeten die Waren unter der Position 2205 an, die für "Wermutwein und andere Weine aus frischen Weintrauben, mit Pflanzen oder anderen Stoffen aromatisiert", gilt. Die französische Zollverwaltung reihte die Sangria jedoch in die Position 2206 00 ein, die sich auf "[a]ndere gegorene Getränke (z. B. Apfelwein, Birnenwein und Met)" bezieht und einen höheren Zoll zur Folge hat. Pardo und Camicas erhoben Klage gegen diese Einreihung.

7 Da die Cour d' appel Pau festgestellt hat, daß sich in den beiden ihr unterbreiteten Rechtsstreitigkeiten die gleiche Frage nach der Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs stelle, hat sie beschlossen, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist das als Sangria bezeichnete Getränk, das auf der Grundlage von mehr als 50 % Wein aus frischen Weintrauben (Position 2204) hergestellt wird, in die Position 2205 oder in die Position 2206 des Gemeinsamen Zolltarifs einzuordnen?

8 Durch Beschluß vom 15. Februar 1995 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichtshofes gemäß Artikel 43 der Verfahrensordnung die Rechtssachen C-59/94 und C-64/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

9 Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist darauf hinzuweisen, daß für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur die Fassungen des Gemeinsamen Zolltarifs, die 1988 und 1989 galten, die genannten Verordnungen Nrn. 2658/87 und 3174/88 sind. Ihre einschlägigen Positionen sind identisch und haben folgenden Wortlaut:

° 2204 Wein aus frischen Weintrauben, einschließlich mit Alkohol angereicherter Wein; Traubenmost, ausgenommen solcher der Position 2009:

...

° 2205 Wermutwein und andere Weine aus frischen Weintrauben, mit Pflanzen oder anderen Stoffen aromatisiert:

...

° 2206 00 Andere gegorene Getränke (z. B. Apfelwein, Birnenwein und Met):

...

10 Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Tarifposition des Gemeinsamen Zolltarifs und der Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Es ist weiter ständige Rechtsprechung, daß bei der Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs sowohl die Vorschriften zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens wichtige Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und deshalb als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden können (Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-395/93, Neckermann Versand, Slg. 1994, I-4027, Randnr. 5).

11 Das fragliche Getränk wäre in die Position 2205 einzureihen, wenn es weder Wasser noch Zucker enthalten hätte, da es genau der Bezeichnung "Wermutwein und andere Weine aus frischen Weintrauben, mit Pflanzen oder anderen Stoffen aromatisiert", entspräche.

12 Daher ist zu prüfen, ob sich der Zusatz von Wasser und Zucker auf diese Einreihung auswirkt.

13 Die französische Regierung macht geltend, aus dem Wortlaut der Position 2205, ebenso wie aus dem der Position 2204, ergebe sich, daß diese Positionen nur reinen Wein, frei von jedem nichtalkoholischen Getränkezusatz, erfassten.

14 Diesem Argument kann jedoch nicht gefolgt werden.

15 Insoweit ist an die in Anhang I Teil I Titel I A der Verordnungen Nrn. 2658/87 und 3174/88 enthaltenen Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur zu erinnern.

16 Nach der Allgemeinen Vorschrift 2 b gilt nämlich "[j]ede Anführung eines Stoffes in einer Position... für diesen Stoff sowohl in reinem Zustand als auch gemischt oder in Verbindung mit anderen Stoffen". Daraus ergibt sich, daß die Position 2205 nicht nur reinen Wein ohne Zusatz von Wasser erfasst.

17 Diese Auslegung wird durch die vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens herausgegeben Erläuterungen zur Position 2204 erhärtet. Diese schließen "Getränke auf der Grundlage von Wein der Position 22.05" von der Position 2204 aus. Die Formulierung "auf der Grundlage von Wein" bedeutet, daß die unter die Position 2205 fallenden Getränke insbesondere auch eine bestimmte Menge Wasser enthalten können.

18 Nach der Allgemeinen Vorschrift 3 b hängt die Einreihung von Mischungen von dem Stoff oder Bestandteil ab, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn, wie im vorliegenden Fall, für die Einreihung der betreffenden Ware zwei Positionen in Betracht kommen, ohne daß die Vorschrift 3 a anwendbar ist.

19 Es ist klar, daß der aromatisierte Wein einem Getränk wie der in Rede stehenden Sangria, das mehr als 50 % Wein aus frischen Weintrauben, Fruchtextrakte, Wasser und Zucker enthält, den wesentlichen Charakter verleiht. In vernünftiger Menge zugesetzt, können Wasser und Zucker den wesentlichen Charakter des aromatisierten Weines nicht verändern. Das fragliche Getränk fällt daher unter die Position 2205.

20 Dieses Ergebnis wird durch die von der Kommission herausgegebenen Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur bestätigt, wonach zur Position 2205 "sogenannter Sangria, ein Getränk auf der Grundlage von Wein, z. B. mit Zitronen oder Orangen aromatisiert", gehört.

21 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten ist, daß die Position 2205 der Kombinierten Nomenklatur für den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnungen Nrn. 2658/87 und 3174/88 dahin auszulegen ist, daß sie ein als "Sangria" bezeichnetes Getränk erfasst, das aus mehr als 50 % Wein aus frischen Weintrauben sowie aus Wasser, Zucker und Fruchtextrakten besteht.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Die Auslagen der französischen Regierung, der spanischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm von der Cour d' appel Pau mit Urteilen vom 8. Dezember 1993 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Position 2205 der Kombinierten Nomenklatur für den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ist dahin auszulegen, daß sie ein als "Sangria" bezeichnetes Getränk erfasst, das aus mehr als 50 % Wein aus frischen Weintrauben sowie aus Wasser, Zucker und Fruchtextrakten besteht.

Ende der Entscheidung

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