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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.12.2007
Aktenzeichen: C-62/06
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1697/79


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 1697/79 Art. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

18. Dezember 2007

"Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 - Art. 3 - Nacherhebung von Eingangsabgaben - Strafrechtlich verfolgbare Handlungen - Für die Qualifizierung der Handlungen zuständige Behörde"

Parteien:

In der Rechtssache C-62/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Portugal) mit Entscheidung vom 11. Januar 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 2006, in dem Verfahren

Fazenda Pública - Director Geral das Alfândegas

gegen

ZF Zefeser - Importação e Exportação de Produtos Alimentares Lda,

Beteiligter:

Ministério Público,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Tizzano (Berichterstatter), R. Schintgen, M. Ilesic und E. Levits,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der ZF Zefeser - Importação e Exportação de Produtos Alimentares Lda, vertreten durch L. Pinto, advogado,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes, A. M. Silva und Â. Seiça Neves als Bevollmächtigte,

- Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von G. Clohessy, SC, und N. Travers, BL,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Caeiros und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Mai 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Begriffs "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ZF Zefeser - Importação e Exportação de Produtos Alimentares Lda (im Folgenden: Zefeser) und der Fazenda Pública - Director Geral das Alfândegas (Staatliche Finanzverwaltung - Generaldirektor für Zölle, im Folgenden: Fazenda Pública) wegen der nachträglichen Festsetzung einer Zollschuld.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit bestimmte sich die Nacherhebung von Zollabgaben nach der Verordnung Nr. 1697/79.

4 In den ersten beiden Erwägungsgründen dieser Verordnung hieß es:

"Eingangs- oder Ausfuhrabgaben, die von einem Abgabenschuldner für Waren angefordert worden sind, die zu einem Zollverfahren angemeldet wurden, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, können sich als niedriger erweisen als die nach den gesetzlichen Vorschriften geschuldeten Abgaben. Dies kann auf einem Schreib- oder Rechenfehler seitens der zuständigen Behörden oder darauf beruhen, dass diese von falschen oder unvollständigen Bemessungsgrundlagen, insbesondere in Bezug auf Art, Menge, Wert, Ursprung oder Bestimmung der betreffenden Ware, ausgegangen sind. Da die in der Gemeinschaft erhobenen Eingangs- und Ausfuhrabgaben im Wesentlichen wirtschaftlichen Charakter haben, wirkt sich eine solche unzulängliche Abgabenerhebung nachteilig auf die Wirtschaft der Gemeinschaft aus. Es ist infolgedessen gerechtfertigt, dass die zuständigen Behörden die noch geschuldeten Abgaben nachfordern, wenn sie einen derartigen Fehler feststellen.

Eine Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben verletzt in gewisser Weise die Rechtssicherheit, auf die sich ein Abgabenschuldner bei Verwaltungsakten mit finanziellen Folgen verlassen können muss. Aus diesem Grunde sind die Möglichkeiten für ein Vorgehen der zuständigen Behörden in diesem Bereich durch die Festsetzung einer Frist zu beschränken, nach deren Ablauf die ursprüngliche Eingangs- oder Ausfuhrabgabenfestsetzung als endgültig anzusehen ist. Diese Beschränkung der Möglichkeit der zuständigen Behörden zur Nacherhebung darf jedoch nicht in den Fällen gelten, in denen diese Behörden die Eingangs- oder Ausfuhrabgaben bei der Warenabfertigung infolge einer Handlung, die strafrechtlich verfolgbar ist, nicht genau festsetzen konnten. ..."

5 Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1697/79 lautete:

"(1) Stellen die zuständigen Behörden fest, dass die nach den gesetzlichen Vorschriften geschuldeten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet wurden, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, vom Abgabenschuldner ganz oder teilweise nicht angefordert worden sind, so fordern sie die nicht erhobenen Abgaben nach.

Die Abgaben können jedoch nicht mehr nachgefordert werden, wenn seit der buchmäßigen Erfassung des ursprünglich vom Abgabenschuldner angeforderten Betrages oder, sofern eine buchmäßige Erfassung unterblieben ist, seit dem Tag, an dem die Zollschuld für die betreffende Ware entstanden ist, drei Jahre verstrichen sind."

6 In Art. 3 der Verordnung war jedoch eine Ausnahme von dieser Dreijahresfrist vorgesehen:

"Stellen die zuständigen Behörden fest, dass sie den Betrag der nach den gesetzlichen Vorschriften für die betreffende Ware geschuldeten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben infolge von Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind, nicht genau ermitteln konnten, so gilt die in Artikel 2 genannte Frist nicht.

In diesem Fall erfolgt die Nacherhebung durch die zuständigen Behörden gemäß den in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen."

Nationales Recht

7 Zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit verfügte die portugiesische Steuerverwaltung nach Art. 34 Abs. 1 des Código de Processo Tributário (Finanzverfahrensordnung) in der Fassung der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 154/91 vom 23. April 1991 (Diário da República, Serie A, Nr. 94 vom 23. April 1991) über eine Frist von höchstens zehn Jahren, um eine Nacherhebung vorzunehmen, wenn die Höhe der Steuerschuld aufgrund einer betrügerischen Handlung zunächst nicht richtig festgelegt werden konnte.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8 Im Oktober 1993 entlud ein aus der Türkei stammendes Schiff im Hafen von Setúbal (Portugal) eine bestimmte Menge Olivenöl, die für Zefeser bestimmt war, während der Rest der an Bord befindlichen Ladung als Transitware erklärt wurde. Das Schiff setzte danach seine Fahrt in Richtung Ceuta (Spanien) entlang der nordafrikanischen Küste fort. Wie die spanischen Behörden im Oktober 1995 mitteilten, kam dieses Schiff dort allerdings ohne die Ladung an.

9 Auf der Grundlage dieser Informationen richtete die Zollbehörde von Setúbal am 9. April 1997 einen berichtigten Zollbescheid an Zefeser. Infolge einer Strafanzeige seitens der portugiesischen Zollbehörde wurde gegen die Gesellschafter von Zefeser zudem Anklage wegen Schmuggels, Urkundenfälschung, Betrugs und der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben.

10 Zefeser focht den Zollbescheid vor dem Tribunal Tributário de Primeira Instância de Setúbal (Gericht erster Instanz für Steuersachen Setúbal) an, wobei sie insbesondere die Verjährung der Steuerschuld geltend machte. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, die einschlägige Verjährungsfrist betrage zehn und nicht drei Jahre, da strafrechtlich verfolgbare Handlungen begangen worden seien, die eine korrekte Ermittlung der geschuldeten Zollabgaben verhindert hätten. Diese Entscheidung wurde jedoch im Berufungsverfahren vom Tribunal Central Administrativo (Zentrales Verwaltungsgericht) abgeändert, das die dreijährige Verjährungsfrist für anwendbar hielt, weil in der Zwischenzeit ein Endurteil ergangen sei, mit dem die angeklagten Personen zum Teil wegen Verjährung und zum Teil aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden seien.

11 Auf das von der Fazenda Pública gegen das Urteil des Tribunal Central Administrativo eingelegte Rechtsmittel hat das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist im Sinne von Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 die Qualifizierung als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind", die von Zollbehörden vorgenommene Qualifizierung, wobei diese ausreicht, oder ist es erforderlich, dass diese Qualifizierung von dem zuständigen Gericht in Strafsachen vorgenommen wird?

2. Genügt in diesem zweiten Fall die bloße Anklage durch die zuständige Strafverfolgungsbehörde (im portugiesischen Fall das Ministério Público [Staatsanwaltschaft]) oder ist die Verurteilung des Schuldners in dem betreffenden Strafverfahren erforderlich?

3. Sind ebenfalls in diesem letztgenannten Fall jeweils unterschiedliche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, dass das Gericht den Schuldner nach dem Grundsatz in dubio pro reo freigesprochen hat oder dass es ihn deshalb freigesprochen hat, weil bewiesen worden ist, dass der Schuldner die betreffende Straftat nicht begangen hat?

4. Welche Folgen ergeben sich daraus, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Schuldner keine Anklage erhebt, weil sie der Auffassung ist, dass es keine Indizien für Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind, gibt? Steht eine solche Entscheidung der Einleitung eines Verfahrens zur Nacherhebung nicht eingezogener Abgaben entgegen?

5. Wenn die Staatsanwaltschaft oder das Gericht in Strafsachen selbst das Strafverfahren wegen Strafverfolgungsverjährung einstellt, führt eine solche Entscheidung dann dazu, dass das Verfahren zur Nacherhebung der nicht eingegangenen Abgaben nicht eingeleitet werden kann?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit der vierten Frage

12 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft, keine Anklage zu erheben, weil es an Indizien für Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind, fehlt, der Einleitung eines Nacherhebungsverfahrens gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 entgegensteht.

13 Zefeser macht in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen geltend, dass diese Frage für die Beilegung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich sei, da im vorliegenden Fall die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben habe.

14 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass es zwar nach der Verteilung der Zuständigkeiten im Vorabentscheidungsverfahren allein Sache des nationalen Gerichts ist, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem Gerichtshof vorlegen möchte, dieser jedoch auch entschieden hat, dass es ihm in Ausnahmefällen obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird.

15 Dies ist u. a. der Fall, wenn das dem Gerichtshof vorgelegte Problem rein hypothetischer Natur ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra, C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 39, vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital, C-390/99, Slg. 2002, I-607, Randnr. 19, und vom 5. Februar 2004, Schneider, C-380/01, Slg. 2004, I-1389, Randnr. 22). Der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorlageverfahren durchzuführen ist, impliziert nämlich, dass das nationale Gericht seinerseits auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe Rücksicht nimmt, die darin besteht, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber darin, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (Urteil Schneider, Randnr. 23, und Urteil vom 30. Juni 2005, Längst, C-165/03, Slg. 2005, I-5637, Randnr. 33).

16 Wie die Generalanwältin in Nr. 74 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, geht sowohl aus der Vorlageentscheidung als auch aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen hervor, dass die Staatsanwaltschaft in der Ausgangsrechtssache Anklage gegen die Gesellschafter von Zefeser vor dem Tribunal Judicial de Setúbal erhoben hat, so dass die Frage nach den aus dem Fehlen einer Anklage zu ziehenden Konsequenzen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich ist.

17 Die vierte Frage ist daher nicht zulässig.

Zur ersten und zur fünften Frage

18 Mit seiner ersten und seiner fünften Vorlagefrage, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Behörde dafür zuständig ist, für die Zwecke der Anwendung des Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 Handlungen als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" zu qualifizieren. Im Einzelnen fragt es, ob es den Zollbehörden oder den Strafgerichten obliegt, eine solche Qualifizierung vorzunehmen, und außerdem, ob eine Einstellung des Verfahrens oder ein Freispruch wegen Strafverfolgungsverjährung durch eine Justizbehörde einer solchen Qualifizierung entgegensteht.

19 Die portugiesische Regierung, Irland und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften schlagen dem Gerichtshof vor, zu antworten, dass die von den Zollbehörden vorgenommene Qualifizierung der Handlungen maßgeblich sei. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut des Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79, sondern auch aus der allgemeinen Systematik dieser Verordnung. Unter diesen Umständen stehe eine etwaige Strafverfolgungsverjährung als solche der Einleitung eines Nacherhebungsverfahrens nach Ablauf der Dreijahresfrist des Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung nicht entgegen.

20 Zefeser vertritt dagegen die Ansicht, dass es aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der Unschuldsvermutung erforderlich sei, dass sich die Qualifizierung als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" stets aus einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung ergebe und die Qualifizierung durch die Zollbehörden für die Zwecke der Anwendung des Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 nicht maßgeblich sei. Daher stehe die Strafverfolgungsverjährung einer auf diese Bestimmung gestützten Nachforderung nicht erhobener Abgaben entgegen.

21 Zur Beantwortung der Vorlagefragen ist zunächst daran zu erinnern, dass die Ausnahme von der dreijährigen Verjährungsfrist nach Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 eingreift, wenn "die zuständigen Behörden [feststellen], dass sie den Betrag der nach den gesetzlichen Vorschriften für die betreffende Ware geschuldeten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben infolge von Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind, nicht genau ermitteln konnten".

22 Es ergibt sich also ausdrücklich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass die für die Qualifizierung von Handlungen als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" zuständigen Behörden die Behörden sind, die infolge solcher Handlungen geschuldete Zollabgaben nicht erheben konnten und diese deshalb nachfordern wollen. Wie u. a. aus Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1697/79 folgt, obliegt die Ermittlung des Betrags der Zollabgaben und die Einleitung eines Nacherhebungsverfahrens unstreitig den Zollbehörden der Mitgliedstaaten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. November 1991, Meico-Fell, C-273/90, Slg. 1991, I-5569, Randnr. 11, und vom 14. Mai 1996, Faroe Seafood u. a., C-153/94 und C-204/94, Slg. 1996, I-2465, Randnr. 16).

23 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Auffassung von Zefeser, dass die Möglichkeit, die dreijährige Verjährungsfrist unbeachtet zu lassen, von einer strafrechtlichen Verurteilung abhängig zu machen sei, der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1697/79 als solcher entgegensteht.

24 Diese Bestimmung bezieht sich nämlich weder auf eine strafrechtliche Verurteilung noch auch nur auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme, sondern eindeutig auf die Begehung von Handlungen, die lediglich strafrechtlich verfolgbar sind. Dies wird im Übrigen durch die verschiedenen Sprachfassungen der Bestimmung bestätigt, u. a. durch die portugiesische ("un acto passível de procedimento judicial"), die englische ("an act that could give rise to criminal court proceedings"), die deutsche ("Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind"), die spanische ("un acto que puede dar lugar a la incoación de un proceso judicial punitivo") und die italienische Fassung ("un atto passibile di un'azione giudiziaria repressiva").

25 Danach verlangt Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 für das Eingreifen der in ihm vorgesehenen Ausnahme von der Verjährungsfrist für die Nachforderung nicht erhobener Abgaben nicht, dass die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats tatsächlich ein Strafverfahren eingeleitet haben, das zu einer Verurteilung der Urheber der fraglichen Handlung geführt hat, und erst recht nicht, dass keine Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.

26 Im Rahmen der Anwendung des Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 obliegt daher die Qualifizierung von Handlungen als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" im Sinne des Abs. 1 dieser Bestimmung den für die Ermittlung des genauen Betrags der betreffenden Eingangs- oder Ausfuhrabgaben zuständigen Zollbehörden.

27 Dieses Ergebnis kann nicht durch das Vorbringen von Zefeser in Frage gestellt werden, eine solche Auslegung gefährde die Einhaltung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und der Unschuldsvermutung zugunsten der Abgabenschuldner.

28 Die Qualifizierung von Handlungen als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" durch die Zollbehörden impliziert nämlich nicht die Feststellung, dass tatsächlich eine Straftat begangen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil Meico-Fell, Randnr. 9). Wie sich aus dem ersten und dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1697/79 ergibt, erfolgt diese Qualifizierung nur im Rahmen und für die Zwecke eines Verwaltungsverfahrens, das ausschließlich dazu dient, den Zollbehörden die Korrektur einer falschen oder unzureichenden Festsetzung der Eingangs- oder Ausfuhrabgaben zu ermöglichen.

29 Diese Qualifizierung lässt aber selbstverständlich die etwaige Kontrolle der Entscheidungen der Zollbehörden durch die Gerichte der Mitgliedstaaten und sämtliche Konsequenzen - einschließlich der Rückerstattung von Abgaben, die die Zollbehörden zu Unrecht erhoben haben - unberührt, die nach dem anwendbaren nationalen Recht aus den Entscheidungen dieser Gerichte zu ziehen sein können, insbesondere aus den Entscheidungen, durch die die Einstellung des Strafverfahrens festgestellt wird oder die Angeklagten freigesprochen werden.

30 Die Ausgestaltung der Verfahren, in denen die Abgabenschuldner gegen die Anwendung der Ausnahme des Art. 3 der Verordnung Nr. 1697/79 in Bezug auf die Verjährung der Nachforderung von nicht erhobenen Abgaben vorgehen und verlangen können, dass hierfür gegebenenfalls die Konsequenzen aus gerichtlichen Entscheidungen gezogen werden, ist mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache des Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei diese Verfahren nicht weniger günstig ausgestaltet werden dürfen als bei entsprechenden Rechtsbehelfen, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen dürfen (vgl. entsprechend u. a. Urteile vom 10. Juli 1980, Ariete, 811/79, Slg. 1980, 2545, Randnr. 12, vom 4. Dezember 2003, Evans, C-63/01, Slg. 2003, I-14447, Randnrn. 75 und 76, und vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C-295/04 bis C-298/04, Slg. 2006, I-6619, Randnrn. 62 und 77).

31 Nach alledem ist auf die erste und die fünfte Frage zu antworten, dass die Qualifizierung von Handlungen als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1697/79 den für die Ermittlung des genauen Betrags der betreffenden Eingangs- oder Ausfuhrabgaben zuständigen Zollbehörden obliegt.

Zur zweiten und zur dritten Frage

32 Angesichts der Antwort auf die erste und die fünfte Frage brauchen die zweite und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Qualifizierung von Handlungen als "Handlungen, die strafrechtlich verfolgbar sind" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet, obliegt den für die Ermittlung des genauen Betrags der betreffenden Eingangs- oder Ausfuhrabgaben zuständigen Zollbehörden.

Ende der Entscheidung

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