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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.04.1992
Aktenzeichen: C-62/90
Rechtsgebiete: EWGV, AMG


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 30
EWGV Art 36
AMG § 73 Abs. 2
AMG § 6a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 30 ff. EWG-Vertrag, wenn er einer Privatperson die Einfuhr von Arzneimitteln, die im Einfuhrmitgliedstaat verschreibungspflichtig sind und die in einem anderen Mitgliedstaat durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft worden sind, selbst in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge untersagt. Ein derartiges Verbot lässt sich nicht mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen rechtfertigen, da davon auszugehen ist, daß die Verschreibung eines Arzneimittels durch den Arzt und sein Kauf in einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat Garantien bieten, die denen gleichwertig sind, die auf der Verschreibung des Arzneimittels durch einen Arzt und seinen Verkauf durch eine Apotheke in dem Mitgliedstaat, in den die Privatperson das Arzneimittel einführt, beruhen, da die Voraussetzungen für den Zugang zum Arzt- und Apothekerberuf sowie die Modalitäten ihrer Ausübung in Gemeinschaftsrichtlinien geregelt sind.

2. Wenn sich ein Mitgliedstaat auf die Bestimmungen des EWG-Vertrags beruft, um eine nationale Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Freiheit zu behindern, so ist diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen, zu denen das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz des Arztgeheimnisses, das einer der Aspekte des erstgenannten Rechts ist, zählen. Diese Rechte beanspruchen jedoch keine uneingeschränkte Geltung, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet. Zu den Zielen, die derartige Beschränkungen rechtfertigen können, gehört der Schutz der öffentlichen Gesundheit und des Lebens von Menschen.

Daher ist es einem Mitgliedstaat erlaubt, im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit bei Einfuhren von Arzneimitteln, die in seinem Hoheitsgebiet verschreibungspflichtig sind, durch Privatpersonen Kontrollen vorzunehmen, sofern diese Kontrollen so ausgestaltet sind, daß sie den Erfordernissen, die sich aus dem Schutz der Grundrechte ergeben, entsprechen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 8. APRIL 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - FREIER WARENVERKEHR - AUSNAHMEN - SCHUTZ DER OEFFENTLICHEN GESUNDHEIT - EINFUHR VON ARZNEIMITTELN DURCH PRIVATPERSONEN - GRENZEN. - RECHTSSACHE C-62/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 12. März 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag eine Klage erhoben, mit der sie beim letzten Stand ihrer Schriftsätze die Feststellung begehrt, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie - abgesehen von den Fällen des § 73 Absatz 2 Nrn. 6 und 6a des Arzneimittelgesetzes (AMG) vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2445) in der durch Gesetz vom 11. April 1990 (BGBl. I S. 717) geänderten Fassung - Privatpersonen die Einfuhr von Arzneimitteln in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge, die in der Bundesrepublik Deutschland verschreibungspflichtig sind und die in einem anderen Mitgliedstaat durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft worden sind, untersagt.

2 In § 73 Absatz 1 AMG in der Fassung des Gesetzes vom 11. April 1990 heisst es:

"Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung oder zur Registrierung unterliegen, dürfen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes, ausgenommen in andere Zollfreigebiete als die Insel Helgoland, nur verbracht werden, wenn sie zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen oder registriert oder von der Zulassung oder der Registrierung freigestellt sind und

1. der Empfänger in dem Fall des Verbringens aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften pharmazeutischer Unternehmer, Großhändler oder Tierarzt ist oder eine Apotheke betreibt oder

..."

3 § 73 Absatz 2 sieht jedoch folgendes vor:

"Absatz 1 gilt nicht für Arzneimittel, die

...

6. bei der Einreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge eingebracht werden,

6a. nicht verschreibungspflichtig sind, im Herkunftsland in Verkehr gebracht werden dürfen und in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften bezogen werden,

7. in Verkehrsmitteln mitgeführt werden und ausschließlich zum Gebrauch oder Verbrauch der durch diese Verkehrsmittel beförderten Personen bestimmt sind,

8. zum Gebrauch oder Verbrauch auf Seeschiffen bestimmt sind und an Bord der Schiffe verbraucht werden,

..."

4 Die Kommission, nach deren Ansicht die Einfuhr von Arzneimitteln durch Privatpersonen für deren persönlichen Bedarf frei sein muß, wenn diese Arzneimittel in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß verschrieben und abgegeben worden seien (Antwort auf die schriftliche Anfrage Nr. 2640/85 des Europaabgeordneten Rogalla, ABl. 1986, C 182, S. 44), ist der Auffassung, daß das deutsche Recht gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verstosse, soweit es eine solche Einfuhr nur in viel eingeschränkteren Fällen erlaube.

5 Sie beschloß daher, gegen die Bundesrepublik Deutschland das Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag einzuleiten. Nachdem sie die Bundesrepublik zur Äusserung aufgefordert hatte, gab sie am 23. November 1988 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Da sie die Antwort der Bundesregierung für unzureichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben, deren Antrag sie jedoch in ihrer Erwiderung und sodann in ihrer schriftlichen Antwort auf Fragen des Gerichtshofes eingeschränkt hat.

6 Ihr Antrag bezieht sich somit nur noch auf die Einfuhr solcher Arzneimittel durch Privatpersonen für deren persönlichen Bedarf, die in der Bundesrepublik Deutschland verschreibungspflichtig sind und die durch einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Arzt verschrieben und in einer Apotheke eines anderen Mitgliedstaats gekauft worden sind. Die Kommission hat jedoch auf die Fragen des Gerichtshofes erklärt, daß sie ihre Klage nicht auf den Postversand derartiger Arzneimittel beschränken wolle.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß - wie die Kommission vorträgt und die Bundesrepublik Deutschland einräumt - das vorbehaltlich gesetzlicher Ausnahmen für Privatpersonen bestehende Verbot der Einfuhr von Arzneimitteln nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung darstellt.

9 Daher ist zu prüfen, ob ein derartiges Verbot gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt sein kann.

10 Es ist ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß unter den in Artikel 36 EWG-Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den ersten Rang einnehmen und daß es Sache der Mitgliedstaaten ist, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen, in welchem Umfang sie deren Schutz gewährleisten wollen, insbesondere wie streng die durchzuführenden Kontrollen ausfallen sollen. Artikel 36 bleibt auch anwendbar, da die Harmonisierung der nationalen Regelungen auf dem Gebiet der Herstellung und der Vermarktung von Arzneispezialitäten noch nicht vollständig erreicht ist (Urteil vom 7. März 1989 in der Rechtssache 215/87, Schumacher, Slg. 1989, 617, Randnr. 15; Urteil vom 16. April 1991 in der Rechtssache C-347/89, Eurim-Pharm, Slg. 1991, I-1747, Randnr. 26).

11 Aus Artikel 36 ergibt sich jedoch, daß eine nationale Regelung oder Praxis, die eine die Einfuhren pharmazeutischer Erzeugnisse beschränkende Wirkung hat oder haben kann, mit dem Vertrag nur vereinbar ist, soweit sie für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig ist. Eine nationale Regelung oder Praxis fällt daher nicht unter die Ausnahmebestimmungen des Artikels 36, wenn die Gesundheit und das Leben von Menschen ebenso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden können, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken.

12 Die Kommission trägt vor, das nach deutschem Recht bestehende Einfuhrverbot sei für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nicht notwendig. Sie macht im wesentlichen geltend, die Verschreibung eines Arzneimittels durch einen Arzt des Ausfuhrmitgliedstaats und seine Abgabe durch einen Apotheker dieses Staates gewährleisteten einen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, der mit dem im Einfuhrmitgliedstaat vergleichbar sei. Ausserdem stehe der Umstand, daß das Arzneimittel in einem anderen als dem Mitgliedstaat verwendet werde, in dem es erworben worden sei, weder einer medizinischen Überwachung des Patienten durch den verschreibenden Arzt noch einer Beratung desjenigen, der das Arzneimittel kaufe, durch den Apotheker des Ausfuhrmitgliedstaats entgegen.

13 Die Bundesrepublik Deutschland trägt dagegen vor, das nach ihrem Recht bestehende Einfuhrverbot, das praktisch nur noch den Postversand der Arzneimittel betreffe, sei für die Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen unerläßlich. Ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel sei mit Risiken für die öffentliche Gesundheit verbunden und könne nicht in völliger Sicherheit angewendet werden, wenn es in einem anderen Mitgliedstaat gekauft werde. Aufgrund der in einer Fremdsprache abgefassten Etikettierung und Packungsbeilage sowie der Entfernung zum Arzt, der das Arzneimittel verschrieben, und zum Apotheker, der es verkauft habe, bestehe nämlich die Gefahr, daß das eingeführte Arzneimittel vom Käufer nicht richtig angewendet werde und somit für seine Gesundheit gefährlich sei.

14 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß die Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 22, S. 369), um die Hindernisse für den Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen zu beseitigen, ohne das wesentliche Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu beeinträchtigen, in ihrer vor der Richtlinie 89/341/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 (ABl. L 142, S. 11) geltenden Fassung vorgesehen hat, daß eine Arzneispezialität in einem Mitgliedstaat nicht ohne eine Genehmigung in den Verkehr gebracht werden darf, die auf der Grundlage eines Antrags erteilt wird, der Angaben über die Zusammensetzung des Erzeugnisses, seinen Gebrauch und seine Wirkungen sowie über die Kontrollen, denen seine Herstellung unterliegt, enthält. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Genehmigung zu versagen oder zu widerrufen, wenn die Arzneispezialität bei bestimmungsgemässem Gebrauch schädlich ist, wenn ihre therapeutische Wirksamkeit fehlt oder nicht begründet worden ist oder wenn die vorgesehenen Kontrollen nicht durchgeführt werden.

15 Da die Vertragsverletzungsklage der Kommission nur Arzneispezialitäten betrifft, die im Ausfuhrmitgliedstaat und im Einfuhrmitgliedstaat zugelassen sind, ist angesichts der genannten Richtlinienbestimmungen nicht davon auszugehen, daß die Erzeugnisse, um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht, bei bestimmungsgemässem Gebrauch für die öffentliche Gesundheit gefährlich sind.

16 Sodann ist festzustellen, daß die Voraussetzungen für den Zugang zum Arztberuf und die Modalitäten seiner Ausübung Gegenstand sind der Richtlinie 75/362/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 167, S. 1) und der Richtlinie 75/363/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Arztes (ABl. L 167, S. 14), beide zuletzt geändert durch die Richtlinie 89/594/EWG des Rates vom 30. Oktober 1989 (ABl. L 341, S. 19). Die Voraussetzungen für den Zugang zum Apothekerberuf und die Modalitäten seiner Ausübung sind Gegenstand der Richtlinie 85/432/EWG des Rates vom 16. September 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. L 253, S. 34) und der Richtlinie 85/433/EWG des Rates vom 16. September 1985 über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Apothekers und über Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts für bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. L 253, S. 37).

17 Der Gerichtshof hat in dem erwähnten Urteil vom 7. März 1989 in der Rechtssache Schumacher, Randnr. 20, entschieden, daß der Kauf eines Arzneimittels in einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat eine Garantie bietet, die derjenigen gleichwertig ist, die auf dem Verkauf des Arzneimittels durch eine Apotheke in dem Mitgliedstaat beruht, in den das Arzneimittel von einer Privatperson eingeführt wird, und daß dies um so mehr gilt, als die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Apothekers und die Bedingungen für die Ausübung dieses Berufs in den Richtlinien 85/432 und 85/433 geregelt sind.

18 Desgleichen ist festzustellen, daß in Anbetracht der mit den Richtlinien 75/362 und 75/363 in ihrer geänderten Fassung in bezug auf die Voraussetzungen für den Zugang zum Arztberuf und die Modalitäten seiner Ausübung erreichten Harmonisierung davon auszugehen ist, daß die Verschreibung eines Arzneimittels durch einen Arzt in einem anderen Mitgliedstaat eine Garantie bietet, die derjenigen gleichwertig ist, die auf der Verschreibung des Arzneimittels durch einen Arzt im Einfuhrmitgliedstaat beruht.

19 Der Umstand, daß der Arzt, der das Arzneimittel verschrieben hat, oder der Apotheker, der es verkauft hat, in einem anderen als dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, in dem das Arzneimittel angewendet wird, schließt es - entgegen dem Vorbringen der Bundesregierung - nicht aus, daß diese beiden Personen die Anwendung des eingeführten Arzneimittels, gegebenenfalls dank der Mitwirkung eines im Einfuhrmitgliedstaat niedergelassenen Kollegen, kontrollieren.

20 Der Arzt oder Apotheker des anderen Mitgliedstaats kann ausserdem bei der Abgabe des Arzneimittels den Unzulänglichkeiten namentlich in bezug auf die Abfassung in einer anderen Sprache als der des Patienten abhelfen, die sich aus der Etikettierung oder der Packungsbeilage des Arzneimittels ergeben können.

21 Die Bundesrepublik Deutschland führt noch zwei weitere Argumente an. Zum einen ließe sich beim Grenzuebertritt nicht feststellen, ob die Arzneimittel nur in einer dem persönlichen Bedarf entsprechenden Menge eingeführt würden, ohne die Privatsphäre und insbesondere das Recht auf Schutz des Arztgeheimnisses anzutasten. Zum anderen sei das Abstempeln des Rezepts durch den Apotheker nicht in allen Mitgliedstaaten obligatorisch, und da diese Verpflichtung, wenn sie bestehe, nicht immer beachtet werde, könne kein ebenso wirksamer Gesundheitsschutz gewährleistet werden, wie er nach deutschem Recht, das nur eine einmalige Verwendung des Rezepts für den Bezug von Arzneimitteln zulasse, garantiert sei.

22 Die Kommission macht geltend, das Recht auf Schutz des Arztgeheimnisses könne einer Kontrolle der eingeführten Arzneimittelmengen nicht entgegenstehen. Sie trägt ausserdem vor, das Abstempeln des Rezepts durch den Apotheker sei eine in den Mitgliedstaaten übliche Praxis, die es ermögliche, die aufgrund ein und desselben Rezepts abgegebene Arzneimittelmenge zu kontrollieren. Sie fügt hinzu, daß die Bundesregierung keinen konkreten Hinweis auf die Mißbrauchsfälle habe geben können, zu denen die Nichtbeachtung dieser Praxis in bestimmten Mitgliedstaaten führen würde.

23 Das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz des Arztgeheimnisses, das einer der Aspekte des erstgenannten Rechts ist, stellen von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützte Grundrechte dar (vgl. Urteil vom 26. Juni 1980 in der Rechtssache 136/79, National Panasonic/Kommission, Slg. 1980, 2033). Wie der Gerichtshof im Urteil vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache ERT Ä (Rechtssache C-260/89, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 43) entschieden hat, ist, wenn ein Mitgliedstaat sich auf die Vertragsbestimmungen beruft, um eine nationale Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Freiheit zu behindern, diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen. Diese Rechte beanspruchen jedoch keine uneingeschränkte Geltung, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (Urteil vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 15). Zu den Zielen, die derartige Beschränkungen rechtfertigen können, gehört der Schutz der öffentlichen Gesundheit und des Lebens von Menschen.

24 Unter diesen Umständen ist es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erlaubt, im Interesse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit die Einfuhr von Arzneimitteln, die im Einfuhrmitgliedstaat verschreibungspflichtig sind, zu kontrollieren. Diese Kontrollen müssen allerdings so ausgestaltet sein, daß sie den oben dargestellten Erfordernissen, die sich aus dem Schutz der Grundrechte ergeben, entsprechen.

25 Die Bundesregierung hat jedoch zur Stützung ihrer beiden Argumente nichts vorgetragen, was beweisen könnte, daß es ihr unmöglich wäre, Kontrollmaßnahmen zu ergreifen, die dem entsprechen, was die deutschen Behörden als Erfordernisse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und des Lebens von Menschen ansehen, und die das Arztgeheimnis nicht in unverhältnismässiger Weise antasten. Ihr Vorbringen ist daher zurückzuweisen.

26 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesgesetzgeber in § 73 Absatz 2 Nrn. 6, 7 und 8 AMG vorgesehen hat, daß das Einfuhrverbot nicht für Arzneimittel gilt, die bei der Einreise in den Geltungsbereich des AMG in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge eingeführt werden oder die in Verkehrsmitteln oder an Bord von Schiffen mitgeführt werden und ausschließlich zum Gebrauch oder Verbrauch der durch diese Verkehrsmittel oder Schiffe beförderten Personen bestimmt sind. Der Bundesgesetzgeber hat es somit selbst nicht für notwendig gehalten, die in § 73 Absatz 2 AMG genannten Einfuhren einem Verbot der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Art zu unterwerfen, obwohl bei ihnen gleichwertige Kontrollschwierigkeiten bestehen.

27 Daher ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 30 ff. EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie - abgesehen von den Ausnahmen des § 73 Absatz 2 Nrn. 6 und 6a des Arzneimittelgesetzes vom 24. August 1976 in der durch Gesetz vom 11. April 1990 geänderten Fassung - Privatpersonen die Einfuhr von Arzneimitteln in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge, die in der Bundesrepublik Deutschland verschreibungspflichtig sind und die in einem anderen Mitgliedstaat durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft worden sind, untersagt.

Kostenentscheidung:

Kosten

28 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 30 ff. EWG-Vertrag verstossen, indem sie - abgesehen von den Ausnahmen des § 73 Absatz 2 Nrn. 6 und 6a des Arzneimittelgesetzes vom 24. August 1976 in der durch Gesetz vom 11. April 1990 geänderten Fassung - Privatpersonen die Einfuhr von Arzneimitteln in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge, die in der Bundesrepublik Deutschland verschreibungspflichtig sind und die in einem anderen Mitgliedstaat durch einen Arzt verschrieben und in einer Apotheke gekauft worden sind, untersagt.

2) Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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