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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.04.1992
Aktenzeichen: C-62/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 51
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 67 Abs. 3
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 69 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verordnung Nr. 1408/71 sieht zum einen zugunsten der Gemeinschaftsbürger, die sich in einen Mitgliedstaat begeben, vor, daß in diesem Staat im Rahmen des Erwerbs, der Aufrechterhaltung oder des Wiederauflebens des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten berücksichtigt werden, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden; zum anderen sieht sie zugunsten der arbeitslosen Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat nach einer Beschäftigung suchen, vor, daß der nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie zuletzt beschäftigt waren, vorgesehene Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit für einen begrenzten Zeitraum bestehen bleibt, obwohl sie der Arbeitsverwaltung dieses Staates nicht zur Verfügung stehen. Damit verschafft sie arbeitslosen Arbeitnehmern Rechte, die ihnen andernfalls nicht zustuenden und die somit dazu beitragen, die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit Artikel 51 EWG-Vertrag sicherzustellen.

Indem der Gemeinschaftsgesetzgeber die Vergünstigungen, die er arbeitsuchenden Arbeitslosen einräumt, in den Artikeln 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der genannten Verordnung von Voraussetzungen abhängig gemacht hat, hat er von dem Ermessensspielraum, über den er bei der Verwirklichung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer verfügt, in zulässiger Weise Gebrauch gemacht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 8. APRIL 1992. - GORDON SINCLAIR GRAY GEGEN ADJUDICATION OFFICER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BOGNOR REGIS SOCIAL SECURITY APPEAL TRIBUNAL - VEREINIGTES KOENIGREICH. - SOZIALE SICHERHEIT - LEISTUNGEN BEI ARBEITSLOSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-62/91.

Entscheidungsgründe:

1 Das Social Security Appeal Tribunal Bognor Regis (Vereinigtes Königreich) hat mit Beschluß vom 25. Januar 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Februar 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Gültigkeit der Artikel 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) kodifizierten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Gray, einem britischen Staatsangehörigen, und dem Adjudication Officer.

3 Nachdem Herr Gray zuvor im Vereinigten Königreich gearbeitet hatte, ließ er sich 1971 mit seiner Ehefrau auf der Insel Gran Canaria (Spanien) nieder, wo er bis zum 11. Januar 1990 als Geschäftsführer eines Restaurants arbeitete, das seiner Frau gehörte. Herr Gray meldete sich in Spanien nicht als Arbeitsuchender, bevor er am 26. Februar 1990 in das Vereinigte Königreich zurückkehrte.

4 Nach seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich beantragte er die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit ab dem 28. Februar 1990. Dieser Antrag wurde vom Adjudication Officer mit der Begründung abgelehnt, da Herr Gray seine letzte Versicherungszeit nicht im Vereinigten Königreich zurückgelegt und sich vor seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich in Spanien nicht als Arbeitsuchender gemeldet habe, könne er sich weder auf Artikel 67 noch auf Artikel 69 der Verordnung Nr. 1408/71 berufen.

5 Das mit der Klage von Herrn Gray gegen den Adjudication Officer befasste Social Security Appeal Tribunal entschied zunächst, daß Herr Gray sich auch nicht auf Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 stützen könne, da er während seiner letzten Beschäftigung nicht im Vereinigten Königreich gewohnt habe. Das Gericht hat jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der Artikel 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung mit Artikel 51 EWG-Vertrag. Es hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Artikel 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ungültig, weil sie gegen Artikel 51 EWG-Vertrag verstossen, wonach der "Rat... einstimmig auf Vorschlag der Kommission die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen [beschließt]"?

Welche Auswirkung hätte diese Ungültigkeit gegebenenfalls auf den Anspruch von Herrn Gray?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Die Zweifel des vorlegenden Gerichts ergeben sich daraus, daß einige Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer behindern könnten.

8 Nach Ansicht der Mehrheit der Mitglieder dieses Gerichts wird die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer nämlich sowohl durch die in Artikel 67 Absatz 3 aufgestellte Voraussetzung, daß der Arbeitslose seine letzte Versicherungs- oder Beschäftigungszeit in dem Mitgliedstaat zurückgelegt haben muß, in dem die Leistungen bei Arbeitslosigkeit beantragt werden, um in den Genuß der Zusammenrechnung der Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten kommen zu können, als auch durch die in Artikel 69 Absatz 1 vorgesehenen Voraussetzungen behindert, daß ein arbeitsloser Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat nach einer Beschäftigung sucht, bei der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats der letzten Beschäftigung vier Wochen lang als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben muß, um den Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu behalten. Diese Bestimmungen führten zu finanziellen Nachteilen für die Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit in einem Mitgliedstaat beendet hätten und sich unmittelbar anschließend zur Arbeitsuche in einen anderen Mitgliedstaat begäben.

9 Die Zweifel der Mehrheit der Mitglieder des nationalen Gerichts ergeben sich folglich daraus, daß die Artikel 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 entgegen den Erfordernissen des Artikels 51 EWG-Vertrag nicht die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, insbesondere im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit, für die Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen enthielten.

10 Die Verordnung Nr. 1408/71 sieht zum einen zugunsten der Gemeinschaftsbürger, die sich in einen Mitgliedstaat begeben, vor, daß in diesem Staat im Rahmen des Erwerbs, der Aufrechterhaltung oder des Wiederauflebens des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten berücksichtigt werden, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden; zum anderen sieht sie zugunsten der arbeitslosen Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat nach einer Beschäftigung suchen, vor, daß der nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie zuletzt beschäftigt waren, vorgesehene Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit für einen begrenzten Zeitraum bestehen bleibt, obwohl sie der Arbeitsverwaltung dieses Staates nicht zur Verfügung stehen. Damit verschafft sie arbeitslosen Arbeitnehmern Rechte, die ihnen andernfalls nicht zustuenden und die somit dazu beitragen, die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit Artikel 51 EWG-Vertrag sicherzustellen.

11 Nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 19. Juni 1980 in den verbundenen Rechtssachen 41/79, 121/79 und 796/79 (Testa, Slg. 1980, 1979, Randnr. 14) untersagt Artikel 51 EWG-Vertrag es dem Gemeinschaftsgesetzgeber nicht, die zur Verwirklichung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer eingeräumten Vergünstigungen von Voraussetzungen abhängig zu machen und ihre Grenzen festzulegen.

12 Der Rat hat es für notwendig erachtet, den Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von Arbeitnehmern, die eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem suchen, in dem sie unmittelbar zuvor gearbeitet oder Beiträge gezahlt haben, von Voraussetzungen abhängig zu machen, die zum Ziel haben, die Arbeitsuche im Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung zu fördern, diesen Staat die Leistungen bei Arbeitslosigkeit tragen zu lassen und schließlich sicherzustellen, daß diese Leistungen nur denjenigen gewährt werden, die tatsächlich eine Beschäftigung suchen. Mit der Festlegung solcher Voraussetzungen in den Artikeln 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 hat der Rat von seinem Ermessensspielraum in zulässiger Weise Gebrauch gemacht.

13 Nach alledem hat die Prüfung der vom nationalen Gericht gestellten Frage nichts ergeben, was die Gültigkeit der Artikel 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 beeinträchtigen könnte.

Zur zweiten Frage

14 Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

15 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der deutschen Regierung sowie des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom Social Security Appeal Tribunal Bognor Regis mit Beschluß vom 25. Januar 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Prüfung der vom nationalen Gericht gestellten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Artikel 67 Absatz 3 und 69 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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