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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 28.06.1993
Aktenzeichen: C-64/93
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 3477/92/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 173
EWGV Art. 184
VO Nr. 3477/92/EWG Art. 9
VO Nr. 3477/92/EWG Art. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage im Sinne des Artikels 173 des Vertrages gegeben ist, sind nur diejenigen Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen können.

Dies ist nicht der Fall bei einer von der Kommission an die Behörden eines Mitgliedstaats gerichteten Stellungnahme, die abgesehen davon, daß sie nur eine vorläufige Stellungnahme zu einem nationalen Regelungsvorhaben ist und nur auf die Tragweite einer Gemeinschaftsregelung verweist, in den Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Behörden fällt, die zu einer wirksamen Verwaltung der gemeinsamen Agrarpolitik gehört und für sie unerläßlich ist, und es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie Rechtswirkungen gegenüber Privatpersonen erzeugt.

2. Die in Artikel 184 des Vertrages eröffnete Möglichkeit, die Unanwendbarkeit einer Verordnung geltend zu machen, begründet keinen selbständigen Klageweg, und es kann von ihr nur inzident Gebraucht gemacht werden. Daher führt die Unzulässigkeit der Klage auch zur Unzulässigkeit des gemäß Artikel 184 des Vertrages gestellten Antrags.


BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 28. JUNI 1993. - DONATAB SRL UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - TABAK - QUOTENREGELUNG - NICHTIGKEITSKLAGE - UNZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-64/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Firma Donatab, zwei weitere tabakverarbeitende Firmen und ein Berufsverband haben mit Klageschrift, die am 12. März 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung eines Telefax der Kommission vom 20. Januar 1993 an die italienischen Behörden und gemäß Artikel 184 EWG-Vertrag die Erklärung der Unanwendbarkeit der Verordnung (EWG) Nr. 3477/92 der Kommission vom 1. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zur Quotenregelung im Rohtabaksektor für die Ernten 1993 und 1994 (ABl. L 351, S. 11) beantragt.

2 Durch die Verordnungen (EWG) Nr. 2075/92 vom 30. Juni 1992 über die gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak (ABl. L 215, S. 70), Nr. 2076/92 vom 30. Juni 1992 zur Festsetzung der Prämien für Tabakblätter nach Tabakgruppen sowie der Garantieschwellen, verteilt nach Sortengruppen und Mitgliedstaaten (ABl. L 215, S. 77), und Nr. 2077/92 vom 30. Juni 1992 über Branchenverbände und -vereinbarungen im Tabaksektor (ABl. L 215, S. 80) hat der Rat eine Reform der gemeinsamen Marktorganisation für Rohtabak vorgenommen.

3 Artikel 20 Absatz 1 der vorgenannten Verordnung Nr. 2075/92 bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften im Rohtabaksektor zu gewährleisten. Zu diesem Zweck teilen sie der Kommission binnen sechs Monaten nach Annahme dieser Verordnung mit, welche praktischen Verwaltungs- und Kontrollbestimmungen sie zu verabschieden gedenken. Binnen drei Monaten nach dieser Mitteilung genehmigt die Kommission diese Bestimmungen bzw. fordert die notwendigen Berichtigungen. Im letztgenannten Fall hat der Mitgliedstaat seine Maßnahmen binnen kürzester Zeit entsprechend anzupassen..."

4 Am 1. Dezember 1992 erließ die Kommission die vorgenannte Verordnung Nr. 3477/92, die ein System von Anbaubescheinigungen einführt, die das Verarbeitungsunternehmen den Erzeugern nach Maßgabe der Tabaklieferungen bei den Ernten 1989 bis 1991 erteilt. Nach Artikel 9 Absatz 2 dieser Verordnung regeln die

"Mitgliedstaaten... das Verfahren zur Erteilung der Anbaubescheinigungen sowie die Betrugsverhütungsmaßnahmen gemäß Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92".

5 Das Ministerium für Landwirtschaft und Forsten der Italienischen Republik übermittelte der Kommission am 8. Januar 1993 gemäß Artikel 20 der Verordnung Nr. 2075/92 einen "Entwurf eines nationalen Dekrets zur Durchführung der Quotenregelung für die Ernte 1993 (Verordnungen [EWG] Nrn. 2075/92 des Rates und 3477/92 der Kommission)".

6 In ihrem Übermittlungsschreiben machten die italienischen Behörden die Kommission auf bestimmte Punkte des Dekretentwurfs aufmerksam und stellten erneut eine Reihe von Fragen, die bereits in einer früheren Note an die Kommission vom Dezember 1992 enthalten waren; unter Hinweis auf grosse Schwierigkeiten bei der Durchführung des Artikels 9 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3477/92 baten sie um eine Verlängerung der Frist für die Zuteilung der Verarbeitungsquoten.

7 Am 20. Januar 1993 antwortete die Kommission den italienischen Behörden mit einem in französischer Sprache abgefassten Telefax folgenden Inhalts :

"In Beantwortung Ihres eingangs genannten Fax darf ich Ihnen die ersten Reaktionen der Dienststellen mitteilen, vorbehaltlich einer ergänzenden Antwort aufgrund einer eingehenderen und vollständigeren Prüfung der übermittelten Bestimmungen.

1) Bei der letzten Begründungserwägung und Artikel 8 Absatz 3 sowie Artikel 16 Buchstabe b handelt es sich um eine Beschränkung der Freiheit des Erzeugers, einen Anbauvertrag mit einem anderen Verarbeitungsunternehmen zu schließen als demjenigen, das ihm die Anbaubescheinigung erteilt hat.

Dies steht im Widerspruch zu Artikel 10 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3477/92, deren Wortlaut klar ist. Gemäß Absatz 3 sind nämlich die von einer Anbaubescheinigung gedeckten Mengen auf ein anderes Verarbeitungsunternehmen zu übertragen als dasjenige, das die Bescheinigung ausgestellt hat, wenn der Erzeuger einen Anbauvertrag mit diesem anderen Unternehmen schließen will. In diesem Fall erhöht sich die Verarbeitungsquote dieses Unternehmens um die Mengen, die aus Anbaubescheinigungen stammen, die andere Unternehmen erteilt haben, deren Quote sich entsprechend verringert. Dies gilt grundsätzlich sowohl für alte als auch für neue Verarbeitungsunternehmen.

Die Dienststellen der Kommission sind sich der Schwierigkeiten bewusst, denen Ihre Verwaltung begegnet, insbesondere bezueglich der Anerkennung neuer Unternehmen und deren Verarbeitungskapazität und auch in bezug auf die Beurteilung der speziellen Fälle des Artikels 9 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3477/92. Es wird daher eine Verlängerung der Frist für die Quotenverteilung 1993 dem Verwaltungsausschuß vorgeschlagen werden."

8 Da die Klägerinnen die Auffassung vertreten, daß dieses Telefax eine Entscheidung sei, die sie unmittelbar und individuell betreffe, haben sie die vorliegende Nichtigkeitsklage erhoben, in deren Rahmen sie gemäß Artikel 184 EWG-Vertrag auch beantragt haben, die Verordnung Nr. 3477/92 für unanwendbar zu erklären.

9 Mit besonderem Schriftsatz, der am 6. April 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit der Klage erhoben.

10 Da die Akten alles enthalten, um dem Gerichtshof die Entscheidung zu ermöglichen, hat er beschlossen, ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 91 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung zu entscheiden.

11 Für ihre Einrede der Unzulässigkeit macht die Kommission in der Hauptsache geltend, daß das Telefax, dessen Nichtigerklärung beantragt wird, keine Entscheidung darstelle, die Rechtswirkungen erzeugen könne, und zwar weder gegenüber der Italienischen Republik als Empfängerin des Telefax noch gegenüber den Klägerinnen. Es handele sich lediglich um eine Ansicht der Dienststellen der Kommission zur Auslegung der Verordnung Nr. 3477/92, die in den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen diesen Dienststellen und den nationalen Behörden falle. Hilfsweise macht die Kommission geltend, daß selbst unter der Annahme, daß das betreffende Telefax als Entscheidung betrachtet werden könne, diese Entscheidung die Klägerinnen nicht unmittelbar und individuell beträfe. Da die Nichtigkeitsklage demnach unzulässig sei, müsse das gleiche auch für den Nebenantrag auf Erklärung der Unanwendbarkeit der Verordnung Nr. 3477/92 gelten.

12 Die Klägerinnen führen dagegen aus, daß die betreffenden nationalen Maßnahmen der Kommission gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3477/92 und Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2075/92 mitgeteilt worden seien und von der vorherigen Zustimmung der Kommission abhingen. In dem strittigen Schriftstück verlange die Kommission gewisse Berichtigungen, und dies zeige, daß die angefochtene Handlung den materiellen Inhalt einer Entscheidung habe, die rechtsverbindlich sei. Ausserdem betreffe diese Handlung die Klägerinnen unmittelbar und individuell. So begründeten die Verordnungen zur Reform der Marktorganisation für Tabak für die Verarbeitungsunternehmen unmittelbar das Recht auf Verarbeitungsquoten und die Pflicht zur Ausstellung der Anbaubescheinigungen für die Erzeuger. Die angefochtene Handlung betreffe sie auch individuell, da sich die fragliche Regelung nur auf die Verarbeitungsunternehmen beziehe, die früher schon unter Zugrundelegung des Systems von Verarbeitungsprämien im Zeitraum 1989 bis 1991 Tabak erzeugt hätten.

13 Bei der Entscheidung über die Begründetheit der von der Kommission vorgebrachten Einrede der Unzulässigkeit ist davon auszugehen, daß nach ständiger Rechtsprechung Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage im Sinne des Artikels 173 EWG-Vertrag gegeben ist, nur diejenigen Maßnahmen sind, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen können (vgl. insbesondere Beschluß vom 8. März 1991 in den Rechtssachen C-66/91 und C-66/91 R, Emerald Meats/Kommission, Slg.1991, I-1143, und Beschluß vom 13. Juni 1991 in der Rechtssache C-50/90, Sunzest/Kommission, Slg. 1991, I-2917).

14 Dazu ist zunächst festzustellen, daß die Kommission mit Telefax vom 20. Januar 1993 nicht erschöpfend und endgültig zu dem Dekretentwurf Stellung nimmt, der ihr übermittelt worden war, sondern sich darauf beschränkt, den italienischen Behörden ihre ersten Reaktionen mitzuteilen, vorbehaltlich einer ergänzenden Antwort aufgrund einer eingehenderen und vollständigeren Prüfung.

15 Ferner ist zu bemerken, daß sich die Kommission bezueglich der Durchführung der Verordnung Nr. 3477/92 auf einen Hinweis auf die Bedeutung des Artikels 10 Absätze 2 und 3 beschränkt.

16 Schließlich fällt, selbst wenn man annimmt, daß das betreffende Telefax als Handlung der Kommission angesehen werden kann, mit der sie Berichtigungen der vorgeschlagenen nationalen Maßnahmen verlangt, diese Art von Handlung in den Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Behörden, die zu einer wirksamen Verwaltung der gemeinsamen Agrarpolitik gehört und für sie unerläßlich ist, und es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie Rechtswirkungen gegenüber Privatpersonen erzeugt.

17 Daraus ergibt sich, daß das Telefax vom 20. Januar 1993 nicht die Merkmale einer Handlung aufweist, die Rechtswirkungen gegenüber Privatpersonen erzeugt, und daß die gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag eingereichte Klage deshalb als unzulässig abzuweisen ist.

18 Bezueglich der Einrede der Rechtswidrigkeit ist festzustellen, daß jede Partei gemäß Artikel 184 EWG-Vertrag in einem Rechtsstreit, bei dem es auf die Geltung einer Verordnung des Rates oder der Kommission ankommt, vor dem Gerichtshof die Unanwendbarkeit dieser Verordnung aus den in Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag genannten Gründen geltend machen kann.

19 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich, daß die in Artikel 184 EWG-Vertrag eröffnete Möglichkeit, die Unanwendbarkeit einer Verordnung geltend zu machen, keinen selbständigen Klageweg begründet und von ihr nur inzident Gebrauch gemacht werden kann (vgl. Urteil vom 16. Juli 1981 in der Rechtssache 33/80, Albini/Rat und Kommission, Slg. 1981, 2141).

20 Die Unzulässigkeit der Klage, die gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag erhoben worden ist, führt demnach auch zur Unzulässigkeit des gemäß Artikel 184 EWG-Vertrag gestellten Antrags.

21 Nach allem ist die Klage insgesamt als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 28. Juni 1993

Ende der Entscheidung

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