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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.1996
Aktenzeichen: C-64/95
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 1932/93, Beschluß 87/373, EG-Vertrag, Verordnung Nr. 1035/72


Vorschriften:

Verordnung Nr. 1932/93
Beschluß 87/373
EG-Vertrag Art. 39
EG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 1035/72 Art. 33 Abs. 1
Verordnung Nr. 1035/72 Art. 29 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Bei Erlaß der Verordnung Nr. 1932/93 mit den bei der Einfuhr von Sauerkirschen anzuwendenden Schutzmaßnahmen war die Kommission nicht verpflichtet, eine Frist vorzusehen, in der ein Mitgliedstaat den Rat mit den getroffenen Schutzmaßnahmen befassen kann. Der Beschluß 87/373 des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, der in Artikel 3 die Festlegung einer solchen Frist vorsieht, gilt nach seiner zweiten und seiner dritten Begründungserwägung nur für die Befugnisse, die der Kommission nach seinem Inkrafttreten übertragen worden sind. Er kann somit die Gültigkeit von Durchführungsmaßnahmen nicht beeinträchtigen, die aufgrund von Durchführungsbefugnissen getroffen worden sind, die der Kommission vor seinem Inkrafttreten übertragen worden waren. Ausserdem ist, wenn der Rat beschließt, auf das Verfahren des genannten Artikels 3 zurückzugreifen, die Frist, innerhalb deren ein Mitgliedstaat den Rat mit dem Beschluß der Kommission befassen kann, in dem Rechtsakt, mit dem der Rat die Kommission zum Erlaß der Schutzmaßnahmen ermächtigt, und nicht in den Entscheidungen anzugeben, die die Kommission auf der Grundlage dieser Ermächtigung erlässt.

2. Die durch die Verordnung Nr. 1932/93 im Sektor Obst und Gemüse eingeführten Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr von Sauerkirschen verstossen nicht gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Diese Maßnahmen, denen der Vorzug gegenüber strengeren Maßnahmen, insbesondere gegenüber Maßnahmen zur Beschränkung des Einfuhrvolumens gegeben wurde, waren geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen, nämlich den Preisverfall auf dem Gemeinschaftsmarkt aufzuhalten, und wurden erlassen, nachdem ein weniger einschneidendes System, das der Einfuhrlizenzen, sich als unzureichend erwiesen hatte.

Die Schutzmaßnahmen verstossen auch nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, da die Wirtschaftsteilnehmer von Rechts wegen nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen konnten, die durch Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane verändert werden konnte, zumal die Kommission kurze Zeit vor Erlaß der genannten Verordnung ein Einfuhrlizenzsystem eingeführt hatte, das durch die ungünstige Marktentwicklung gerechtfertigt war.

Schließlich stellen diese Maßnahmen auch keinen Verstoß gegen die Interimshandelsabkommen dar, die zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Polen, der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik sowie der Republik Ungarn andererseits geschlossen wurden; zwar verpflichten sich in Artikel 15 dieser Abkommen die Vertragsparteien zur Aufnahme von Verhandlungen, wenn eine Vertragspartei Schutzmaßnahmen im Handel mit Agrarerzeugnissen erlässt, doch entfaltet diese Bestimmung Wirkungen nur zwischen den Vertragsparteien und sieht ein dem Erlaß der Schutzmaßnahmen nachgeschaltetes Verfahren vor. Artikel 15 kann daher nicht mit Erfolg angeführt werden, um die Gültigkeit der Schutzmaßnahmen selbst in Frage zu stellen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 17. Oktober 1996. - Konservenfabrik Lubella Friedrich Büker GmbH & Co. KG gegen Hauptzollamt Cottbus. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht des Landes Brandenburg - Deutschland. - Gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse - Schutzmaßnahmen - Sauerkirschen. - Rechtssache C-64/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht des Landes Brandenburg hat mit Beschluß vom 21. Februar 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 10. März 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 1932/93 mit den bei der Einfuhr von Sauerkirschen anzuwendenden Schutzmaßnahmen (ABl. L 174, S. 35, nachstehend: streitige Verordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Konservenfabrik Lubella Friedrich Büker GmbH & Co. KG (nachstehend: Klägerin) und dem Hauptzollamt Cottbus wegen der Zahlung von Ausgleichsabgaben, die von diesem Unternehmen für die am 19. und 20. Juli 1993 erfolgte Einfuhr von frischen Sauerkirschen (KN-Code 0809 20 60 0100) aus Polen nach Deutschland aufgrund der streitigen Verordnung verlangt werden.

3 Die streitige Verordnung erging auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 1035/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse (ABl. L 118, S. 1) und der Verordnung (EWG) Nr. 2707/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung von Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Obst und Gemüse (ABl. L 291, S. 3).

4 Artikel 1 der streitigen Verordnung sieht vor, daß bei der Einfuhr von Sauerkirschen (KN-Codes 0809 20 20 und 0809 20 60) in die Gemeinschaft ein Mindestpreis einzuhalten ist und, wenn der Einfuhrpreis unter dem Mindestpreis liegt, eine dem Unterschied zwischen dem Mindestpreis und dem Einfuhrpreis entsprechende Ausgleichsabgabe zu erheben ist.

5 In der deutschen Fassung der streitigen Verordnung wurden zwar die KN-Codes für Sauerkirschen aufgeführt, gleichzeitig wurde aber im Titel, in den Begründungserwägungen sowie in Absatz 1 des Artikels 1 zur Bezeichnung der Früchte, die Gegenstand der Schutzmaßnahmen sind, das Wort "Süßkirschen" verwendet. Dieses Wort wurde im Wege einer Berichtigung, die in der deutschen Ausgabe des Amtsblatts vom 20. Juli 1993 veröffentlicht wurde (ABl. L 176, S. 29), durch das Wort "Sauerkirschen" ersetzt.

6 Die Klägerin ficht vor dem Finanzgericht des Landes Brandenburg den an sie gerichteten Steueränderungsbescheid an und macht geltend, daß die streitige Verordnung ungültig sei. Sie trägt im wesentlichen folgendes vor:

° Vor Erlaß dieser Verordnung sei nicht die Stellungnahme des zuständigen Verwaltungsausschusses eingeholt worden, wie dies Artikel 33 der Verordnung Nr. 1035/72 verlange;

° in der Verordnung sei keine Frist angegeben, innerhalb deren die Mitgliedstaaten den Rat anrufen könnten, wie dies im Beschluß 87/373/EWG des Rates vom 13. Juli 1987 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 197, S. 33, nachstehend: Beschluß über das Ausschußwesen) vorgesehen sei;

° die Verordnung sei in ihrer ursprünglichen Fassung inhaltlich unbestimmt, da nicht erkennbar sei, ob sie Süßkirschen oder Sauerkirschen betreffe;

° in der berichtigten Fassung habe die Verordnung auf die Einfuhren am 19. und 20. Juli 1993 nicht ohne Rückwirkung angewendet werden können;

° die streitige Verordnung sei weder durch eine schwere Marktstörung noch durch die Gefahr einer solchen gerechtfertigt gewesen;

° sie finde in der Verordnung Nr. 2707/72 keine Rechtsgrundlage;

° durch die streitige Verordnung seien Maßnahmen eingeführt worden, die zur Beseitigung der Marktstörungen ungeeignet seien;

° die streitige Verordnung verstosse gegen den Grundsatz des berechtigten Vertrauens;

° sie sei nicht hinreichend begründet, und

° es seien nicht die Konsultationen durchgeführt worden, die in den Artikeln 14 und 15 der Interimsabkommen über Handel und Handelsfragen vorgesehen seien, die zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Polen, der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik sowie der Republik Ungarn andererseits am 16. Dezember 1991 unterzeichnet und durch die Beschlüsse 92/228/EWG (ABl. L 114, S. 1), 92/229/EWG (ABl. L 115, S. 1) sowie 92/230/EWG (ABl. L 116, S. 1) des Rates vom 25. Februar 1992 genehmigt worden seien (nachstehend: Interimsabkommen).

7 Das Finanzgericht des Landes Brandenburg teilt die Bedenken der Klägerin. Es hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die Verordnung (EWG) Nr. 1932/93 der Kommission in der Fassung der Berichtigung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 176 vom 20. Juli 1993, S. 29, rechtswirksam zustande gekommen?

2. Falls die Frage 1 zu bejahen sein sollte: Gelten die Regelungen der Verordnung (EWG) Nr. 1932/93 auch für die Einfuhr von Sauerkirschen bis einschließlich 20. Juli 1993?

3. Falls die Frage 2 zu bejahen sein sollte:

a) Lagen im Jahr 1993 die Voraussetzungen für eine Marktordnungsmaßnahme für Sauerkirschen vor?

b) Ist die Mindestpreisregelung eine zulässige und geeignete Maßnahme zur Beseitigung der Marktstörung?

c) Ist die Mindestpreisregelung vereinbar mit den Interimsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Polen, der Republik Ungarn und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik vom 25. Februar 1992?

8 Mit diesen drei Vorlagefragen möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die streitige Verordnung angesichts der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens erhobenen Rügen gültig ist. Deshalb sind nacheinander diese Rügen zu prüfen.

Zum Verstoß gegen Artikel 33 der Verordnung Nr. 1035/72

9 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung brauchte vor Erlaß der streitigen Verordnung keine Stellungnahme des zuständigen Verwaltungsausschusses eingeholt zu werden. Das Verfahren für den Erlaß von Schutzmaßnahmen sei in Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1035/72 geregelt, der eine solche Anhörung nicht vorsehe und nicht auf das Verfahren nach Artikel 33 dieser Verordnung verweise.

10 Artikel 29 der Verordnung Nr. 1035/72 in der seinerzeit geltenden Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/72 des Rates vom 21. November 1972 (ABl. L 266, S. 1) lautet:

"(1) Im Handel mit dritten Ländern können geeignete Maßnahmen angewandt werden,

° wenn in der Gemeinschaft der Markt für eines oder mehrere der in Artikel 1 genannten Erzeugnisse auf Grund von Einfuhren oder Ausfuhren ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht wird, die die Ziele des Artikels 39 des Vertrages gefährden könnten,

°...

Diese Maßnahmen können nur so lange angewandt werden, bis die tatsächliche oder die drohende Störung behoben ist...

(2) Tritt die in Absatz 1 erwähnte Lage ein, so beschließt die Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaats oder von sich aus die erforderlichen Maßnahmen; diese werden den Mitgliedstaaten mitgeteilt und [sind] unverzueglich anzuwenden. Ist die Kommission mit einem Antrag eines Mitgliedstaats befasst worden, so entscheidet sie hierüber innerhalb von 24 Stunden nach Eingang des Antrags.

(3) Jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahme der Kommission binnen einer Frist von höchstens 3 Arbeitstagen nach dem Tag ihrer Mitteilung dem Rat vorlegen. Der Rat tritt unverzueglich zusammen. Er kann die betreffende Maßnahme der Kommission nach dem Abstimmungsverfahren des Artikels 43 Absatz 2 des Vertrages ändern oder aufheben."

Artikel 33 Absatz 1 dieser Verordnung bestimmt:

"Wird auf das in diesem Artikel festgelegte Verfahren Bezug genommen, so befasst der Vorsitzende entweder von sich aus oder auf Antrag des Vertreters eines Mitgliedstaats den [Verwaltungsausschuß für Obst und Gemüse]."

11 Somit ergibt sich aus dem Wortlaut des Artikels 29, daß dort nicht auf das in Artikel 33 festgelegte Verfahren verwiesen wird, sondern für den Erlaß von Schutzmaßnahmen ein besonderes Verfahren vorgesehen ist. In diesem Verfahren ist eine vorherige Anhörung des Verwaltungsausschusses für Obst und Gemüse nicht vorgeschrieben. Sie war daher vor dem Erlaß der streitigen Verordnung nicht erforderlich.

Zur fehlenden Angabe einer Frist für die Befassung des Rates

12 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung ist die Frist, in der ein Mitgliedstaat den Rat mit Schutzmaßnahmen befassen kann, in Artikel 29 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1035/72 festgelegt; nirgendwo, insbesondere auch nicht im Beschluß über das Ausschußwesen, sei vorgeschrieben, daß diese Frist in der Verordnung zur Einführung dieser Maßnahmen erneut anzugeben sei.

13 Artikel 3 des Beschlusses über das Ausschußwesen lautet:

"Überträgt der Rat der Kommission die Befugnis, über Schutzmaßnahmen zu beschließen, so kann auf das nachstehende Verfahren zurückgegriffen werden:

° Die Kommission teilt jeden Beschluß über Schutzmaßnahmen dem Rat und den Mitgliedstaaten mit.

Es kann vorgesehen werden, daß die Kommission, ehe sie ihren Beschluß fasst, die Mitgliedstaaten nach jeweils festzulegenden Modalitäten konsultiert.

° Jeder Mitgliedstaat kann den Rat innerhalb einer Frist, die in dem betreffenden Rechtsakt festzulegen ist, mit dem Beschluß der Kommission befassen.

..."

14 Nach seiner zweiten und dritten Begründungserwägung gilt der Beschluß über das Ausschußwesen nur für die Durchführungsbefugnisse, die der Kommission nach seinem Inkrafttreten übertragen worden sind; somit kann er die Gültigkeit von Durchführungsmaßnahmen nicht beeinträchtigen, die wie im vorliegenden Fall aufgrund von Durchführungsbefugnissen getroffen worden sind, die der Kommission vor seinem Inkrafttreten übertragen worden waren.

15 Wie sich aus Artikel 3 dieses Beschlusses ergibt, ist ausserdem, wenn der Rat beschließt, auf dieses Verfahren zurückzugreifen, die Frist, innerhalb deren ein Mitgliedstaat den Rat mit dem Beschluß der Kommission befassen kann, in dem Rechtsakt, mit dem der Rat die Kommission zum Erlaß der Schutzmaßnahmen ermächtigt, und nicht in den Entscheidungen anzugeben, die die Kommission auf der Grundlage dieser Ermächtigung erlässt. Daher brauchte die Kommission in keinem Fall in der streitigen Verordnung eine Frist zur Befassung des Rates vorzusehen.

Zum Inhalt der streitigen Verordnung

16 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung ergibt sich aus der streitigen Verordnung eindeutig, daß sie nur Sauerkirschen betreffe. In sämtlichen Sprachfassungen der streitigen Verordnung bis auf die deutsche seien ausdrücklich diese Erzeugnisse mit den entsprechenden KN-Codes angegeben. Die deutsche Fassung, die ursprünglich nur hinsichtlich der Bezeichnung der Erzeugnisse, nicht aber hinsichtlich ihrer KN-Codes ein Redaktionsversehen enthalten habe, sei am 20. Juli 1993 berichtigt worden.

17 Wie der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt hat, schließt die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der Gemeinschaftsverordnungen eine isolierte Betrachtung nur einer Sprachfassung einer Vorschrift aus; sie gebietet vielmehr, die Vorschrift im Lichte der anderen Sprachfassungen auszulegen und anzuwenden (Urteile vom 12. Juli 1979 in der Rechtssache 9/79, Koschniske, Slg. 1979, 2717, Randnr. 6, und vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-372/88, Cricket St. Thomas, Slg. 1990, I-1345, Randnr. 19).

18 Im vorliegenden Fall beziehen sich sämtliche Sprachfassungen der streitigen Verordnung mit Ausnahme der deutschen Fassung nur auf Sauerkirschen. Wie die Kommission und die spanische Regierung ausgeführt haben, enthielt die deutsche Fassung der Verordnung ursprünglich aufgrund eines später berichtigten Schreibfehlers das Wort "Süßkirschen" statt des Wortes "Sauerkirschen". Da in dieser Fassung jedoch die KN-Codes für Sauerkirschen angegeben waren, hätte dieser Widerspruch leicht durch Heranziehung der anderen Sprachfassungen der Verordnung gelöst werden können. Darüber hinaus ist unstreitig, daß die zuständigen deutschen Behörden von diesem Versehen unterrichtet und damit in die Lage versetzt worden waren, die Verordnung von Anfang an richtig anzuwenden. Unter diesen Umständen kann der Inhalt der streitigen Verordnung nicht als unbestimmt angesehen werden.

Zur Rückwirkung der streitigen Verordnung

19 Nach Auffassung der Kommission und der spanischen Regierung hat die streitige Verordnung keine Rückwirkung und konnte daher zu Recht auf die Einfuhren vom 19. und 20. Juli 1993 angewendet werden. Die am 20. Juli 1993 erfolgte Berichtigung des Schreibfehlers in der deutschen Fassung dieser Verordnung habe nicht zu einer Rückwirkung der Verordnung führen können.

20 Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, wurde der Anwendungsbereich der streitigen Verordnung durch die in der deutschen Ausgabe des Amtsblatts vom 20. Juli 1993 veröffentlichte Berichtigung nicht verändert. Daher konnte diese Verordnung vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an angewendet werden.

Zum Vorliegen oder zur Gefahr einer schweren Marktstörung

21 Die Kommission und die spanische Regierung machen geltend, daß auf dem Markt für Kirschen zu der Zeit, zu der die streitige Verordnung ergangen sei, eine schwere Störung gedroht habe. Die Kommission hat im einzelnen vorgetragen, daß die Einfuhren von Kirschen aus Drittländern in die Gemeinschaft in den Wirtschaftsjahren 1990 und 1991 insbesondere wegen der Verknappung bei der Gemeinschaftsproduktion in diesem letzten Wirtschaftsjahr erheblich zugenommen und sich im Wirtschaftsjahr 1992 auf einem hohen Niveau gehalten hätten, was wegen der guten Ernte in der Gemeinschaft in diesem Jahr zu einem starken Verfall der Marktpreise geführt habe. Die ersten Daten, die für das Wirtschaftsjahr 1993 bekannt geworden seien, insbesondere die Informationen aus Deutschland, hätten auf ein Anhalten dieser für die Gemeinschaftserzeugnisse nachteiligen Entwicklung hingedeutet. Zudem beträfen die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens vor dem nationalen Gericht genannten Zahlen, die den entgegengesetzten Eindruck vermitteln könnten, nur die Einfuhren von Sauerkirschen nach Deutschland und bezögen sich zum Vergleich auf das Jahr 1992, das ein atypisches Jahr gewesen sei.

22 Wie sich aus Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1035/72 ergibt, ist einer der beiden Fälle, in denen im Handel mit dritten Ländern Schutzmaßnahmen angewandt werden können, der, daß der Markt für eines oder mehrere der unter die gemeinsame Marktorganisation fallenden Erzeugnisse aufgrund von Einfuhren oder Ausfuhren schweren Störungen ausgesetzt oder von schweren Störungen bedroht ist, die die Ziele des Artikels 39 EG-Vertrag gefährden könnten. Zudem ist nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 2707/72 bei der Beurteilung der Frage, ob eine solche Lage eingetreten ist, insbesondere folgendes zu berücksichtigen: der Umfang der getätigten bzw. voraussichtlichen Einfuhren oder Ausfuhren, die verfügbaren Mengen auf dem Markt der Gemeinschaft und die auf dem Markt der Gemeinschaft für einheimische Erzeugnisse festgestellten Preise oder deren voraussichtliche Entwicklung (insbesondere eine Tendenz zu einem übermässigen Kursrückgang oder zu einer überhöhten Kurssteigerung) sowie, was insbesondere Einfuhren angeht, die auf dem Markt der Gemeinschaft festgestellten Notierungen der Erzeugnisse aus dritten Ländern (insbesondere eine Tendenz zu einem übermässigen Kursrückgang) und die Mengen, für die Rücknahmemaßnahmen erfolgen oder erfolgen könnten.

23 Sowohl aus der Begründung der streitigen Verordnung als auch aus den Angaben der Kommission vor dem Gerichtshof insbesondere hinsichtlich der aus Drittländern eingeführten Kirschenmengen und der auf den Märkten verzeichneten Preise, die die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht bestritten hat und die durch die von ihr selbst vor dem nationalen Gericht vorgelegten Zahlen nicht entkräftet worden sind, ergibt sich, daß auf dem Gemeinschaftsmarkt für Kirschen die Einfuhren aus Drittländern in den drei Wirtschaftsjahren vor dem Wirtschaftsjahr 1993 stark gestiegen und die Preise im vorangegangenen Wirtschaftsjahr stark gesunken waren. Auch ist nicht bestritten, daß diese für die Gemeinschaftserzeugnisse nachteilige Entwicklung sich fortgesetzt hätte, wenn die Gemeinschaftsbehörden keine Maßnahmen ergriffen hätten.

24 Unter diesen Umständen hat die Kommission die Lage nicht offensichtlich fehlerhaft beurteilt, als sie feststellte, daß schwere Störungen des Marktes in der Gemeinschaft drohten, die die in Artikel 39 EG-Vertrag festgesetzten Ziele gefährden könnten (vgl. Urteil vom 13. Juni 1996 in der Rechtssache C-205/94, Binder, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22).

Zur Rechtsgrundlage der erlassenen Maßnahmen

25 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung findet die durch die streitige Verordnung eingeführte Mindestpreisregelung ihre Rechtsgrundlage in Artikel 29 der Verordnung Nr. 1035/72 in Verbindung mit Artikel 3 der Verordnung Nr. 2707/72. Die Kommission führt im einzelnen aus, Artikel 3 der Verordnung Nr. 2707/72 sehe zwar ausdrücklich nur die Aussetzung der Einfuhren vor, sei aber unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes so auszulegen, daß er die Kommission zum Erlaß von Maßnahmen ermächtige, die bis zur Aussetzung der Einfuhren gehen könnten, daß er aber eine so einschneidende Beschränkung nicht zwingend vorschreibe.

26 Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 2707/72 lautet:

"(1) Gemäß Artikel 29 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1035/72 können die folgenden Maßnahmen getroffen werden:

° wenn die in Absatz 1 erster Gedankenstrich des genannten Artikels bezeichnete Lage eintritt, die Aussetzung der Einfuhren oder Ausfuhren oder die Erhebung von Ausfuhrabgaben;

°...

(2) Diese Maßnahmen dürfen nur in dem Umfang und für die Zeit getroffen werden, die unbedingt notwendig sind."

27 Der Gerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit Bestimmungen, die den im Ausgangsverfahren streitigen ähnlich waren, entschieden, daß aus dem Umstand, daß solche Bestimmungen die Erhebung einer Ausgleichsabgabe nicht ausdrücklich vorsehen, nicht geschlossen werden kann, daß eine solche Maßnahme ausgeschlossen ist. Aus der Tatsache, daß diese Bestimmungen die völlige oder teilweise Aussetzung der Einfuhren erlauben, ist vielmehr herzuleiten, daß die Kommission ermächtigt ist, eine weniger strenge Regelung, nämlich einen Mindestpreis mit einer Ausgleichsabgabe, einzuführen. Wenn die Kommission nämlich Schutzmaßnahmen vorsehen kann, die die Einfuhren aus dritten Ländern völlig unterbinden, darf sie erst recht weniger einschneidende Maßnahmen anwenden (vgl. Urteil vom 13. Mai 1971 in den Rechtssachen 41/70, 42/70, 43/70 und 44/70, International Fruit Company u. a./Kommission, Randnr. 65, in bezug auf die der Verordnung Nr. 1035/72 vorangegangene Regelung der gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse; Urteile vom 12. April 1984 in der Rechtssache 345/82, Wünsche Handelsgesellschaft, Slg. 1984, 1995, Randnr. 23; vom 11. Februar 1988 in der Rechtssache 77/86, National Dried Fruit Trade Association, Slg. 1988, 757, Randnr. 26, und vom 5. Juli 1988 in der Rechtssache 291/86, Central-Import Münster, Slg. 1988, 3679, Randnr. 39, für die seinerzeit geltende Regelung der gemeinsamen Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse).

Zur Verhältnismässigkeit der Schutzmaßnahmen

28 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung sind die mit der streitigen Verordnung erlassenen Schutzmaßnahmen angesichts des verfolgten Ziels verhältnismässig. Die Kommission führt aus, daß die zu Beginn des Wirtschaftsjahrs 1993 beobachtete Entwicklung die Gemeinschaftsbehörden veranlasst habe, zunächst ein Einfuhrlizenzsystem einzuführen, das sich aber als nicht ausreichend erwiesen habe, um die Zunahme der Einfuhren und den Preisverfall einzudämmen. Aus diesem Grund habe die Kommission später beschlossen, auf eingeführte Sauerkirschen keine Referenzpreise mehr anzuwenden und ein System von Mindestpreisen mit Ausgleichsabgabe einzuführen. Sie habe somit die Maßnahme getroffen, mit denen das angestrebte Stabilitätsziel habe erreicht werden können, die aber den Handel so wenig wie möglich beeinträchtigt hätten.

29 Dazu genügt die Feststellung, daß die erlassenen Schutzmaßnahmen geeignet waren, das verfolgte Ziel zu erreichen, den Preisverfall auf dem Gemeinschaftsmarkt aufzuhalten, daß sie erlassen wurden, nachdem ein weniger einschneidendes System, das der Einfuhrlizenzen, sich als unzureichend erwiesen hatte, und daß ihnen der Vorzug gegenüber strengeren Maßnahmen gegeben wurde, insbesondere gegenüber Maßnahmen zur Beschränkung des Einfuhrvolumens. Unter diesen Umständen hat die Kommission nicht gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz verstossen.

Zum Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes

30 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung beachtet die streitige Verordnung den Grundsatz des Vertrauensschutzes für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer. Die Wirtschaftsteilnehmer könnten im Bereich der gemeinsamen Marktorganisationen nicht darauf vertrauen, daß die Regelung von einem Jahr zum anderen beibehalten werde und müssten daher als vorsichtige und aufmerksame Marktteilnehmer mit Änderungen dieser Regelung zur Anpassung an die Marktentwicklung rechnen.

31 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes verfügen die Organe der Gemeinschaft bei der Wahl der zur Verwirklichung ihrer Politik erforderlichen Mittel über einen Ermessensspielraum, und die Wirtschaftsteilnehmer dürfen daher nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation vertrauen, die durch Entscheidungen dieser Organe im Rahmen ihres Ermessensspielraums verändert werden kann (vgl. insbesondere Urteile vom 15. Juli 1982 in der Rechtssache 245/81, Edeka Zentrale, Slg. 1982, 2745, Randnr. 27, und vom 28. Oktober 1982 in der Rechtssache 52/81, Faust/Kommission, Slg. 1982, 3745, Randnr. 27). Im vorliegenden Fall kann ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes um so weniger angenommen werden, als die Kommission kurze Zeit vor Erlaß der streitigen Verordnung ein Einfuhrlizenzsystem eingeführt hatte, das durch die ungünstige Marktentwicklung gerechtfertigt war.

Zur unzureichenden Begründung der streitigen Verordnung

32 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung ist die streitige Verordnung hinreichend begründet. Entsprechend den Anforderungen des Gerichtshofes an diese Art von Maßnahmen lasse die Begründung der streitigen Verordnung im Kontext der von der Kommission seinerzeit zur Stabilisierung des Marktes erlassenen Maßnahmen die wesentlichen Gesichtspunkte erkennen, von denen sich die Kommission beim Erlaß der streitigen Maßnahmen habe leiten lassen.

33 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes muß die durch Artikel 190 EG-Vertrag vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein. Sie muß die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (siehe Urteil Binder, a. a.O., Randnr. 25).

34 Aus den Begründungserwägungen der streitigen Verordnung ergibt sich eindeutig, daß ein System von Einfuhrmindestpreisen und Ausgleichsabgaben als die geeignetste Regelung angesehen und eingeführt wurde, weil Sauerkirschen nicht mehr unter eine Schutzregelung fielen (die Anwendung von Referenzpreisen wurde bei diesem Erzeugnis wegen der damaligen Marktsituation als ungeeignet angesehen) und auf dem Gemeinschaftsmarkt unter diesen Umständen schwere Störungen zu befürchten waren.

35 Die streitige Verordnung enthält somit die Angaben, denen die Betroffenen die Gründe für die Maßnahme entnehmen können und die dem Gerichtshof die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Sie entspricht daher den Begründungserfordernissen des Artikels 190 EG-Vertrag.

Zum Verstoß gegen die Interimsabkommen

36 Nach Ansicht der Kommission und der spanischen Regierung verstösst die Verordnung nicht gegen die Artikel 14 und 15 der Interimsabkommen. Die Kommission, die sich in ihren Ausführungen auf das Abkommen mit der Republik Polen, dem Ursprungsland der im Ausgangsrechtsstreit betroffenen Erzeugnisse, beschränkt, macht geltend, sie habe nach Erlaß der Schutzmaßnahmen Verhandlungen mit den polnischen Behörden aufgenommen, die sogar zu günstigeren Maßnahmen für das folgende Wirtschaftsjahr geführt hätten.

37 Insoweit genügt der Hinweis, daß sich in Artikel 15 dieser Interimsabkommen zwar die Vertragsparteien zur Aufnahme von Verhandlungen verpflichten, wenn eine Vertragspartei Schutzmaßnahmen im Handel mit Agrarerzeugnissen erlässt, doch kann diese Bestimmung, die Wirkungen nur zwischen den Vertragsparteien entfaltet und ein dem Erlaß der Schutzmaßnahmen nachgeschaltetes Verfahren vorsieht, jedenfalls nicht angeführt werden, um die Gültigkeit der Schutzmaßnahmen selbst in Frage zu stellen. Somit geht auch diese Rüge fehl.

38 Aus all diesen Gründen ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Prüfung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der streitigen Verordnung beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Die Auslagen der spanischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht des Landes Brandenburg mit Beschluß vom 21. Februar 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Prüfung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 1932/93 der Kommission vom 16. Juli 1993 mit den bei der Einfuhr von Sauerkirschen anzuwendenden Schutzmaßnahmen beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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