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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 22.02.2008
Aktenzeichen: C-66/08
Rechtsgebiete: Rahmenbeschluss 2002/584/JI


Vorschriften:

Rahmenbeschluss 2002/584/JI Art. 4 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

22. Februar 2008

"Beschleunigtes Verfahren"

Parteien:

In der Rechtssache C-66/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 35 EU, eingereicht vom Oberlandesgericht Stuttgart (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Februar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Februar 2008, in dem Verfahren betreffend die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen

Szymon Kozlowski

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

auf Vorschlag des Richters L. Bay Larsen, Berichterstatter,

nach Anhörung des Ersten Generalanwalts M. Poiares Maduro

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190, S. 1, im Folgenden: Rahmenbeschluss).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens betreffend die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die deutschen Behörden, der vom Bezirksgericht Bydgoszcz (Polen) am 18. April 2007 gegen Herrn Kozlowski ausgestellt wurde, einen polnischen Staatsangehörigen, der aufgrund seiner Verurteilung durch das Rayon-Gericht Tuchola (Polen) am 28. Mai 2002 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten gesucht wird. Herr Kozlowski, der derzeit in Deutschland wegen dort begangener Betrugsdelikte inhaftiert ist, stimmt seiner Übergabe an die ausstellende Justizbehörde nicht zu.

3 Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob Herr Kozlowski die Voraussetzung des Wohnsitzes oder Aufenthalts in Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses erfüllt. Er halte sich nämlich - möglicherweise unbefugt und ohne erkennbare Absicht, nach Polen zurückzukehren - seit Februar 2005, wenn auch mit Unterbrechungen, in Deutschland auf. Wird diese Frage bejaht, könnte die vollstreckende Justizbehörde von ihrer Befugnis Gebrauch machen, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen, und die polnische Strafe könnte unmittelbar im Anschluss an die deutsche Strafe vollstreckt werden.

4 Das vorlegende Gericht möchte zudem wissen, ob Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses im Licht des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung und im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft dahin auszulegen ist, dass er, wenn eine gesuchte Person ihrer Übergabe nicht zustimmt, eine unterschiedliche Behandlung dieser Person durch die vollstreckende Justizbehörde zulässt, je nachdem, ob die Person Staatsangehörige des Vollstreckungsmitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats ist.

5 In seiner Vorlageentscheidung beantragt das Oberlandesgericht Stuttgart, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren gemäß Art. 104b Abs. 1 der Verfahrensordnung und Art. 23a des Statuts des Gerichtshofs zu unterwerfen.

6 Wie das vorlegende Gericht in seiner Entscheidung ausführt, treten diese Vorschriften, die im Amtsblatt der Europäischen Union vom 29. Januar 2008 (ABl. L 24, S. 39) veröffentlicht sind und deren Anwendung es vorsorglich beantragt, jedoch erst am ersten Tag des zweiten Monats nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, also am 1. März 2008, in Kraft.

7 Da die vorliegende Rechtssache vor dem 1. März 2008 eingereicht wurde, kann sie daher nicht Gegenstand eines Eilverfahrens nach Art. 104b Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sein.

8 Eingedenk des Geistes der Zusammenarbeit, der die Beziehungen zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof bestimmt, legt der Gerichtshof den Antrag des vorlegenden Gerichts jedoch dahin aus, dass er auf eine wesentliche Verkürzung der für die Bearbeitung der vorliegenden Rechtssache erforderlichen Zeit gerichtet ist, und betrachtet ihn als Antrag auf beschleunigtes Verfahren nach Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

9 Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass auf Antrag des nationalen Gerichts der Präsident des Gerichtshofs auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts ausnahmsweise beschließen kann, ein Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen der Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn sich aus den angeführten Umständen die außerordentliche Dringlichkeit der Entscheidung über die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage ergibt.

10 Insoweit führt das vorlegende Gericht zur Begründung seines Antrags aus, dass zwar die Vollstreckung des gegen Herrn Kozlowski erlassenen Europäischen Haftbefehls derzeit nicht gefährdet sei, da er sich in deutscher Strafhaft bis zum 10. November 2009 befinde. Nach den deutschen Strafbestimmungen über die Strafaussetzung zur Bewährung könne Herr Kozlowski jedoch nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe vorzeitig, d. h. am 10. September 2008, aus der Haft entlassen werden. Zwar wäre es rechtlich möglich, dass das vorlegende Gericht zuvor Auslieferungshaft gegen Herrn Kozlowski anordne, doch wäre deren Dauer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit - auch im Hinblick auf die kurze Dauer der in Polen zu vollstreckenden Freiheitsstrafe - begrenzt.

11 Die vorliegende Rechtssache wirft Auslegungsprobleme auf, die einen sensiblen Tätigkeitsbereich des europäischen Gesetzgebers und zentrale Aspekte der Handhabung des Europäischen Haftbefehls betreffen, zu denen sich der Gerichtshof zum ersten Mal äußern soll. Die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung der fraglichen Bestimmung des Rahmenbeschlusses kann allgemeine Auswirkungen sowohl für die im Rahmen des Europäischen Haftbefehls zur Zusammenarbeit aufgerufenen Behörden als auch auf die Rechte der gesuchten Personen haben, die sich in einem Zustand der Ungewissheit befinden.

12 Im vorliegenden Fall würde eine schnelle Beantwortung der Vorlagefragen durch den Gerichtshof der vollstreckenden Justizbehörde ermöglichen, unter den bestmöglichen Umständen über das an sie gerichtete Übergabeersuchen des Ausstellungsmitgliedstaats zu entscheiden, wodurch ihr die Möglichkeit gegeben würde, ihren Verpflichtungen aus dem Rahmenbeschluss umgehend nachzukommen.

13 Unter diesen Umständen ist die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

Aus diesen Gründen hat der Präsident des Gerichtshofs beschlossen:

Die Rechtssache C-66/08 wird dem beschleunigten Verfahren nach Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung unterworfen.

Luxemburg, den 22. Februar 2008



Ende der Entscheidung

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