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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.1991
Aktenzeichen: C-68/89
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 68/360/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 3
EWGV Art. 48
EWGV Art. 52
EWGV Art. 59
RL Nr. 68/360/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben im allgemeinen ein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten, wenn sie von den verschiedenen Freiheiten Gebrauch machen, die ihnen der Vertrag verleiht, insbesondere von der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, die sowohl dem Dienstleistenden als auch dem Dienstleistungsempfänger zusteht. Die einzige Voraussetzung, von der die Mitgliedstaaten die Einreise dieser Personen abhängig machen dürfen, ist die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses. Daher verstösst ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus den Richtlinien 68/360 und 73/148 zur Aufhebung

der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft sowohl im Hinblick auf Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen als auch auf Personen, die von der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr Gebrauch machen, wenn er Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats verpflichtet, Fragen nach Zweck und Dauer ihrer Reise sowie nach den finanziellen Mitteln, über die sie für ihre Reise verfügen, zu beantworten, bevor ihnen die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat erlaubt wird.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. MAI 1991. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH DER NIEDERLANDE. - FREIZUEGIGKEIT - GRENZKONTROLLEN. - RECHTSSACHE C-68/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 6. März 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich der Niederlande durch die Beibehaltung und die Anwendung von Rechtsvorschriften, aufgrund deren Staatsangehörige eines Mitgliedstaats verpflichtet werden können, Grenzschutzbediensteten Fragen nach Zweck und Dauer ihrer Reise sowie nach den finanziellen Mitteln, über die sie für ihre Reise verfügen, zu beantworten, bevor ihnen die Einreise in die Niederlande erlaubt wird, gegen seine Verpflichtungen aus den Richtlinien 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 13) und 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (ABl. L 172, S. 14) sowie aus Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe c, 48, 52 und 59 EWG-Vertrag verstossen hat.

2 Das Einreiserecht von Ausländern und die Grenzueberwachung sind in den Niederlanden in der Vreemdelingenwet (Ausländergesetz) vom 13. Januar 1965 geregelt. Der Vreemdelingenbesluit (Ausländerverordnung) vom 19. September 1966 enthält Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz. Artikel 23 der Verordnung lautet wie folgt:

"1. Ausländer, die in die Niederlande einreisen, sind auf Verlangen eines Grenzschutzbediensteten verpflichtet,

a) den in ihrem Besitz befindlichen Ausweis für den Grenzuebertritt vorzuzeigen und auszuhändigen;

b) Auskünfte über Zweck und Dauer ihres beabsichtigten Aufenthalts in den Niederlanden zu erteilen;

c) anzugeben, über welche Mittel sie für die Einreise in die Niederlande verfügen oder verfügen können.

2....

3. Absatz 1 Buchstabe c gilt nicht für arbeitsuchende Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft."

3 Die Kommission gelangte zu der Auffassung, daß diese Rechtsvorschriften gegen das Gemeinschaftsrecht verstießen, und leitete gegen das Königreich der Niederlande das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag ein.

4 Der Gerichtshof hat durch Beschluß vom 4. Oktober 1989 das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs der Niederlande zugelassen.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Die Kommission macht geltend, daß Artikel 23 Vreemdelingenbesluit gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse, da nach dem jeweiligen Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinien 68/360 und 73/148 von einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der in einen anderen Mitgliedstaat einreise, nur die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder eines gültigen Reisepasses verlangt werden könne.

7 Die Kommission weist jedoch darauf hin, daß die vorliegende Klage ausschließlich die Kontrolle betreffe, der EWG-Angehörige an der niederländischen Grenze aus anderen Gründen als solchen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit unterzogen würden, und daß es hier auch nicht um die Kontrolle von Reisegepäck oder anderen Waren gehe.

8 Die Fälle, in denen Kontrollen der nationalen Behörden aus einem der genannten Gründe stattfinden oder bei denen es um Reisegepäck oder andere Waren geht, müssen hier somit vollständig ausser Betracht bleiben. Im Rahmen der vorliegenden Vertragsverletzungsklage, die die Kommission gegen das Königreich der Niederlande erhoben hat, kann sich der Gerichtshof daher auch nicht zu den Anliegen der Regierung des Vereinigten Königreiches äussern, nach deren Ansicht es möglich sein muß, im Zusammenhang mit den Erfordernissen der öffentlichen Ordnung Fragen zu stellen.

9 Die niederländische Regierung führt aus, daß die Richtlinien 68/360 und 73/148 nur auf Personen Anwendung fänden, die nach dem Vertrag über ein Aufenthaltsrecht verfügten. Daher seien die Mitgliedstaaten befugt, an den Grenzen stichprobenartige Kontrollen vorzunehmen, um zu prüfen, ob Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten ein solches Aufenthaltsrecht zustehe.

10 Wie die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, haben die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft im allgemeinen ein Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten, wenn sie von den verschiedenen Freiheiten Gebrauch machen, die ihnen der Vertrag verleiht, insbesondere von der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, die nach nunmehr ständiger Rechtsprechung sowohl dem Dienstleistenden als auch dem Dienstleistungsempfänger zusteht (so zuletzt das Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87, Cowan, Slg. 1989, 195).

11 Die einzige Voraussetzung, von der die Mitgliedstaaten die Einreise der in den genannten Richtlinien bezeichneten Personen abhängig machen dürfen, ist, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 27. April 1989 in der Rechtssache 321/87 (Kommission/Belgien, Slg. 1989, 997) entschieden hat, die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses.

12 Es kann nicht über diese nach Artikel 3 der Richtlinien 68/360 und 73/148 einzige Voraussetzung hinaus zusätzlich von dem Betroffenen der Nachweis verlangt werden, daß er einer der Personengruppen, für die die Richtlinien gelten, angehört. Aus der Systematik dieser Richtlinien, insbesondere aus Artikel 4 der Richtlinie 68/360 und Artikel 6 der Richtlinie 73/148, folgt, daß die Behörden eines Mitgliedstaats nur bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung unter den in diesen Artikeln aufgestellten Voraussetzungen von den Betroffenen den Nachweis ihres Aufenthaltsrechts verlangen können.

13 Die Verpflichtung, Grenzschutzbediensteten Fragen zu beantworten, kann allgemein gesagt keine Voraussetzung für die Einreise eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sein.

14 Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch nachdrücklich darauf hingewiesen, daß Fragen gestellt werden müssten, um zu prüfen, ob die vorgelegten Ausweispapiere gültig seien.

15 In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, daß sich die Rechtmässigkeit von Kontrollen der Gültigkeit der vorgelegten Papiere daraus ergibt, daß der vorgelegte Personalausweis oder Reisepaß gemäß Artikel 3 der beiden Richtlinien "gültig" sein muß.

16 Nach alledem hat das Königreich der Niederlande durch die Beibehaltung und die Anwendung von Rechtsvorschriften, aufgrund deren Staatsangehörige eines Mitgliedstaats verpflichtet werden können, Grenzschutzbediensteten Fragen nach Zweck und Dauer ihrer Reise sowie nach den finanziellen Mitteln, über die sie für ihre Reise verfügen, zu beantworten, bevor ihnen die Einreise in die Niederlande erlaubt wird, gegen seine Verpflichtungen aus den Richtlinien 68/360 und 73/148 verstossen.

17 Es ist jedoch kein Verstoß gegen die im Klageantrag der Kommission genannten Bestimmungen des Vertrages festzustellen. Zum einen war nämlich von diesen Bestimmungen nur Artikel 3 Buchstabe c in der mit Gründen versehenen Stellungnahme aufgeführt, und zum anderen hat die Kommission keinen besonderen Grund für die Feststellung eines Verstosses gegen die genannten Bestimmungen geltend gemacht.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich der Niederlande mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat seine eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich der Niederlande hat durch die Beibehaltung und die Anwendung von Rechtsvorschriften, aufgrund deren Staatsangehörige eines Mitgliedstaats verpflichtet werden können, Grenzschutzbediensteten Fragen nach Zweck und Dauer ihrer Reise sowie nach den finanziellen Mitteln, über die sie für ihre Reise verfügen, zu beantworten, bevor ihnen die Einreise in die Niederlande erlaubt wird, gegen seine Verpflichtungen aus den Richtlinien 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft und 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs verstossen.

2) Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten des Verfahrens. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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