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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 23.05.1990
Aktenzeichen: C-72/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 175
EWG-Vertrag Art. 30
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFES VOM 23. MAI 1990. - ASIA MOTOR FRANCE UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - OFFENSICHTLICHE UNZUSTAENDIGKEIT - VERWEISUNG. - RECHTSSACHE C-72/90.

Entscheidungsgründe:

1 Asia Motor France und drei weitere Gesellschaften haben mit Klageschrift, die am 20. März 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen und am darauffolgenden Tag in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist, Klage erhoben auf Feststellung gemäß Artikel 175 Absatz 3 EWG-Vertrag, daß die Kommission es unterlassen hat, den Klägerinnen gegenüber eine Entscheidung nach den Artikeln 30 und 85 EWG-Vertrag zu erlassen, und auf Ersatz des aus dieser Unterlassung entstandenen Schadens gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag

2 Die Klägerinnen betreiben in Frankreich den Import von und den Handel mit Fahrzeugen japanischer Marken, die in anderen Staaten der Gemeinschaft, wie zum Beispiel in Belgien und Luxemburg, zum freien Verkehr zugelassen worden sind.

3 Eine der klagenden Gesellschaften, die sich als Opfer einer unerlaubten Absprache zwischen den - von der französischen Regierung protegierten - fünf grossen japanischen Importeuren in Frankreich sah, reichte am 18. November 1985 auf der Grundlage der Artikel 30 und 85 EWG-Vertrag bei der Kommission eine Beschwerde ein. Dieser Beschwerde folgte am 29. November 1988 eine gegen die fünf grossen Importeure gerichtete weitere Beschwerde, die von den vier klagenden Unternehmen auf der Grundlage von Artikel 85 EWG-Vertrag eingereicht wurde.

4 Die Klägerinnen tragen vor, daß die fünf grossen japanischen Importeure sich gegenüber der französischen Verwaltung verpflichtet hätten, im Laufe eines Jahres nicht mehr als 3 % der zugelassenen Fahrzeuge zu verkaufen. Diese Quote sei zwischen den grossen Importeuren nach vorher aufgestellten Regeln unter Ausschluß der Konkurrenzunternehmen aufgeteilt worden.

5 Zum Ausgleich für diese Selbstbeschränkung habe die französische Verwaltung die Hindernisse für den freien Verkehr mit von der Absprache nicht betroffenen japanischen Fahrzeugen vervielfacht. Erstens sei ein abweichendes Zulassungsverfahren für Fahrzeuge eingeführt worden, die Gegenstand von Parallelimporten seien. Diese Fahrzeuge würden als Gebrauchtfahrzeuge angesehen und seien demnach einer doppelten technischen Überprüfung unterworfen. Zweitens seien von den staatlichen Polizeibehörden Anweisungen erteilt worden, um die Erwerber von japanischen Gebrauchtfahrzeugen, die unter ausländischen Kennzeichen am Verkehr teilnähmen, verfolgen zu lassen. Schließlich würden diese Fahrzeuge bei der Einfuhr nach Frankreich mit einem diskriminierenden Mehrwertsteuersatz von 28 % belastet, der später auf 18,6 % herabgesetzt werde, mit den Nachteilen, die dies für den Händler gegenüber dem Käufer mit sich bringe.

6 Die Kommission habe mit Schreiben vom 9. Juni 1989 die betroffenen Importeure um Auskunft gebeten. Der französische Minister für Industrie und Raumordnung habe mit Schreiben vom 20. Juli 1989 die genannten Importeure angewiesen, die von der Kommission an sie gerichteten Fragen nicht zu beantworten, weil sie die Politik der französischen Behörden in bezug auf die Einfuhr japanischer Fahrzeuge beträfen.

7 Ausserdem habe die Kommission im August 1989 ein Auskunftsersuchen an die französische Regierung gerichtet; die Antwort darauf, sofern es eine gegeben habe, sei den Klägerinnen aber nicht mitgeteilt worden.

8 Da die Kommission ihnen gegenüber schwieg, mahnten die Klägerinnen sie mit Schreiben vom 21. November 1989, zu den gemäß den Artikeln 30 und 85 EWG-Vertrag eingeleiteten Verfahren Stellung zu nehmen. Angesichts des fortdauernden Schweigens der Kommission haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

9 Artikel 92 § 1 der Verfahrensordnung bestimmt : "Ist der Gerichtshof für eine bei ihm gemäß Artikel 38 § 1 erhobene Klage offensichtlich unzuständig, so kann er die Klage durch begründeten Beschluß als unzulässig abweisen. Diese Entscheidung kann bereits vor der Übermittlung der Klageschrift an die beklagte Partei ergehen."

10 Es ist hervorzuheben, daß natürliche und juristische Personen den Gerichtshof gemäß Artikel 175 Absatz 3 EWG-Vertrag nur anrufen können, um feststellen zu lassen, daß ein Organ es unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, Rechtsakte zu erlassen, deren potentielle Adressaten sie sind. Die Beschwerde über die behauptete Verletzung des Artikels 30 durch die französischen Behörden konnte jedoch keinesfalls für die Kommission die Verpflichtung mit sich bringen, einen an die Klägerinnen gerichteten Rechtsakt zu erlassen.

11 Denn auch wenn die Kommission beschlossen hätte, ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag einzuleiten, so folgt doch aus diesem Artikel, daß keiner der Rechtsakte im Rahmen dieses Verfahrens an die Beschwerdeführer hätte gerichtet werden müssen. Dieses Verfahren schloß also das Recht des einzelnen aus, von der Kommission zu verlangen, daß sie durch einen Rechtsakt, der an ihn gerichtet worden wäre, in einem bestimmten Sinn Stellung nimmt ( Urteil vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87, Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, und Beschluß vom 30. März 1990 in der Rechtssache C-371/89, Emrich/Kommission, Slg. 1990, 1555 ).

12 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die Untätigkeitsklage offensichtlich unzulässig ist, soweit sie sich auf die Unterlassung der Kommission in bezug auf die behauptete Verletzung des Artikels 30 EWG-Vertrag durch die französischen Behörden bezieht.

13 Soweit sich die Schadensersatzklage auf die Haftung der Kommission wegen der Unterlassung in bezug auf Artikel 30 EWG-Vertrag stützt, ist festzustellen, daß, da die Kommission nicht zur Einleitung eines Verfahrens gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag verpflichtet ist ( Urteil vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87, a. a. O.), als schadensverursachendes Verhalten nur das des französischen Staates angeführt werden kann.

14 Der Gerichtshof ist jedoch offensichtlich nicht dafür zuständig, im Rahmen eines Verfahrens gemäß Artikel 178 EWG-Vertrag über die Haftung zu entscheiden, die sich aus der Rechtswidrigkeit eines staatlichen Verhaltens ergibt. Eine solche Haftung fällt in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte, gegebenenfalls nach Anwendung von Artikel 177 EWG-Vertrag.

15 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß die Schadensersatzklage offensichtlich unzulässig ist, soweit sie sich auf die Haftung bezieht, die sich aus der Unterlassung der Kommission in bezug auf die behauptete Verletzung des Artikels 30 durch die französischen Behörden ergibt.

16 Soweit die Klage die Unterlassung der Kommission in bezug auf die behauptete Verletzung des Artikels 85 EWG-Vertrag und die sich daraus ergebende Haftung betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften ( ABl. L 319, S. 1 ) das "Gericht... im ersten Rechtszug die Zuständigkeiten aus((übt ))... bei Klagen, die von natürlichen oder juristischen Personen gemäß Artikel 173 Absatz 2 und Artikel 175 Absatz 3 EWG-Vertrag gegen ein Organ der Gemeinschaften erhoben werden und die Anwendung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsvorschriften zum Gegenstand haben ".

17 Artikel 3 Absatz 2 bestimmt : "Erhebt eine natürliche oder juristische Person eine Klage, für die... das Gericht zuständig ist, und eine Klage im Sinne... des Artikels 178 EWG-Vertrag... auf Ersatz des Schadens, den ein Organ der Gemeinschaften durch die Handlung oder die Unterlassung, die Gegenstand der ersten Klage sind, verursacht hat, so ist das Gericht auch für die Entscheidung über die Klage, die auf Ersatz dieses Schadens gerichtet ist, zuständig."

18 Schließlich sieht Artikel 47 der Satzung des Gerichtshofes der EWG in seiner durch Artikel 7 des vorgenannten Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 geänderten Fassung vor, daß, wenn "der Gerichtshof fest((stellt )), daß eine Klage in die Zuständigkeit des Gerichts fällt,... er den Rechtsstreit an das Gericht (( verweist )), das sich dann nicht für unzuständig erklären kann ".

19 Demnach fällt die vorliegende Klage, soweit sie sich auf die Untätigkeit der Kommission in bezug auf Artikel 85 EWG-Vertrag und die sich daraus ergebende Haftung bezieht, in die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz.

20 Die vorliegende Klage ist daher zum Teil für offensichtlich unzulässig zu erklären und im übrigen an das Gericht erster Instanz zu verweisen.

21 Der Gerichtshof hat über den Teil der Kosten zu entscheiden, der auf die Klage entfällt, soweit sie durch diesen Beschluß für unzulässig erklärt wird. Dieser Teil der Kosten ist pauschal auf die Hälfte der gesamten Kosten zu veranschlagen, die den Klägerinnen bis zum Erlaß dieses Beschlusses entstanden sind. Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung sind die Klägerinnen zur Tragung dieses Teils der Kosten zu verurteilen. Das Gericht erster Instanz hat über die sonstigen vor dem Gerichtshof entstandenen Kosten und über die vor ihm selbst entstandenen Kosten zu entscheiden.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

beschlossen :

1 ) Die Klage ist unzulässig, soweit sie die Unterlassung der Kommission in bezug auf Artikel 30 EWG-Vertrag und die sich daraus ergebende Haftung betrifft.

2 ) Im übrigen wird die Klage an das Gericht erster Instanz verwiesen.

3 ) Die Klägerinnen tragen die Hälfte der bis zum Erlaß dieses Beschlusses entstandenen Kosten.

Luxemburg, den 23. Mai 1990.

Ende der Entscheidung

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