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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.10.1996
Aktenzeichen: C-76/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 181
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Im Rahmen der Regelung nach Artikel 5 des zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den Versicherern abgeschlossenen Vertrages über die Kollektivversicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten können die Versicherer, da sie nur bei Streitigkeiten über medizinische Fragen auf ein Beschreiten des Rechtswegs verzichtet haben, immer das Bestehen einer Erstattungspflicht bestreiten, indem sie sich auf andere als medizinische Gründe berufen, selbst wenn die Entscheidung der Anstellungsbehörde über die Feststellung der Geldansprüche des Opfers oder der sonstigen Anspruchsberechtigten mit dem Gutachten des Ärzteausschusses übereinstimmt und der Sachverständige der Versicherer diesem Ärzteausschuß angehört hat.

2. Die in dem zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den Versicherern abgeschlossenen Vertrag über die Kollektivversicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten getroffenen Vereinbarungen können keinesfalls die Verpflichtungen berühren, die ein Organ gegenüber seinen Beamten hat und die in Artikel 73 des Statuts und der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten festgelegt sind. Nach diesem Vertrag haben sich die Versicherer lediglich verpflichtet, die sich aus den Verpflichtungen nach dem Statut ergebenden finanziellen Folgen gemäß den im Vertrag vorgesehenen Bedingungen abzudecken. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß diese Bedingungen die Möglichkeit für ein Organ beschränken können, die aufgrund seiner Verpflichtungen nach dem Statut geschuldeten Beträge durch die Versicherer erstattet zu erhalten.

Es kann jedoch nicht zugelassen werden, daß die Verpflichtungen nach dem Statut durch die Verpflichtungen der Versicherer ersetzt und den Beamten damit die vom Statut gewährten Garantien genommen werden.

Ausserdem ist der Vertrag, der bezueglich der finanziellen Risiken, die abzudecken sich die Versicherer verpflichtet haben, auf die Verpflichtungen der Gemeinschaften nach dem Statut verweist, im Lichte des Artikels 73 des Statuts und der Regelung auszulegen, die diese Verpflichtungen festlegen, sofern die vertraglichen Vereinbarungen eine solche Auslegung nicht ausschließen.

3. Die in Artikel 3 Absatz 3 des Vertrages über die Kollektivversicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten vom 28. Januar 1977 vorgesehene Verpflichtung, die Entscheidungsentwürfe, die eine Leistungspflicht nach sich ziehen können (Leistungen bei Krankheit, Invalidität und Tod), den Versicherern zu übermitteln, bevor sie den Betroffenen zugestellt werden, bezieht sich nicht auf Entscheidungen, die nach Einholung des Gutachtens eines Ärzteausschusses erlassen werden.

4. Die gerichtliche Nachprüfung der Ordnungsmässigkeit der Gutachten von Ärzteausschüssen kann sich nicht auf die eigentlichen ärztlichen Beurteilungen erstrecken, die als endgültig anzusehen sind, wenn sie unter ordnungsgemässen Bedingungen vorgenommen wurden; sie kann sich jedoch auf die Ordnungsmässigkeit der Errichtung und der Tätigkeit des Ärzteausschusses sowie auf die Ordnungsmässigkeit des von ihm abgegebenen Gutachtens beziehen. Insoweit kann der Gerichtshof nachprüfen, ob das Gutachten des Ärzteausschusses eine Begründung enthält, anhand deren die Erwägungen, auf denen die in ihr enthaltenen Schlußfolgerungen beruhen, beurteilt werden können, und ob ein verständlicher Zusammenhang besteht zwischen den medizinischen Feststellungen des Ärzteausschusses und den Schlußfolgerungen, zu denen er gelangt.

Daraus folgt, daß von den Versicherern erhobene Rügen, die sich auf die Ordnungsmässigkeit des Gutachtens eines Ärzteausschusses beziehen, im Rahmen eines Rechtsstreits geprüft werden können, in dem der Gerichtshof aufgrund von Artikel 5 des Vertrages über die Kollektivversicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten angerufen worden ist.

5. Da der Ärzteausschuß, dessen Gutachten im Rahmen des Artikels 23 der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten eingeholt wird, die Aufgabe hat, in voller Objektivität und Unabhängigkeit medizinische Fragen zu beurteilen, muß er in dieser Beurteilung völlig frei sein, so daß es Sache des Ausschusses ist, zu entscheiden, inwieweit zuvor erstellte ärztliche Gutachten zu berücksichtigen sind.

6. Nach Artikel 25 der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten greift die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer dauernden Voll- oder Teilinvalidität gemäß Artikel 73 des Statuts und dieser Regelung der Anwendung von Artikel 78 des Statuts in keiner Weise vor. Der Ärzteausschuß ist durch die Unabhängigkeit dieser beiden Verfahren voneinander jedoch nicht daran gehindert, im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 73 die Schlußfolgerungen zu berücksichtigen, zu denen das Verfahren nach Artikel 78 geführt hat.

7. Im Rahmen des durch Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe b des Statuts und durch die Artikel 12 und 14 sowie den Anhang der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten geschaffenen Systems kann die Entschädigung wegen dauernder Vollinvalidität kumuliert werden mit der Entschädigung wegen einer dauernden Verletzung oder Entstellung, die zwar nicht die Erwerbsfähigkeit des Beamten mindert, aber seine körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und ihn deshalb im gesellschaftlichen Leben benachteiligt.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 24. Oktober 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Royale belge SA. - Beamte - Versicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten. - Rechtssache C-76/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 13. März 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, aufgrund einer Schiedsklausel gemäß Artikel 181 EG-Vertrag Klage erhoben auf Zahlung eines Kapitalbetrags, den die Kommission einem ihrer Beamten wegen einer Berufskrankheit gemäß Artikel 73 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) schulden könnte, durch die Royale belge SA, die im eigenen Namen wie auch im Auftrag von sieben weiteren Versicherern, nämlich der Assurances Générales de France SA, der Caisse nationale de Prévoyance, der Mutülles du Mans, der Assurantie van de Belgische Börenbond SA, der Hannover SA, der Securitas AG und der Condor handelt; alle diese Versicherungsgesellschaften (im folgenden: Versicherer) sind Vertragsparteien eines mit den Organen der Europäischen Gemeinschaften abgeschlossenen Kollektivversicherungsvertrags. Die Kommission verlangt auch Verzugszinsen ab dem Zeitpunkt der Mahnung der Versicherer am 6. Mai 1994.

Rechtlicher Rahmen

2 Nach Artikel 73 Absatz 1 des Statuts wird der Beamte gemäß einer von den Organen der Gemeinschaften im gegenseitigen Einvernehmen beschlossenen Regelung für den Fall von Berufskrankheiten und Unfällen gesichert. Gemäß Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe b bestehen die garantierten Leistungen bei dauernder Vollinvalidität aus der Zahlung eines Kapitalbetrags in achtfacher Höhe des jährlichen Grundgehalts, bemessen nach den Monatsgrundgehältern des Beamten in den letzten zwölf Monaten vor dem Unfall.

3 Die in Artikel 73 des Statuts genannte Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten (im folgenden: Regelung) schreibt in Artikel 12 Absatz 1 vor, daß der Beamte bei dauernder Vollinvalidität infolge eines Unfalls oder einer Berufskrankheit den in Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe b des Statuts vorgesehenen Kapitalbetrag erhält.

4 Artikel 14 der Regelung sieht vor, daß der Beamte bei einer dauernden Verletzung oder Entstellung, die zwar nicht seine Erwerbsfähigkeit mindert, aber seine körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und ihn deshalb im gesellschaftlichen Leben benachteiligt, eine Entschädigung erhält. Die Höhe der Entschädigung wird entsprechend den Sätzen festgelegt, die sich aus der in Artikel 12 genannten Invaliditätstabelle ergeben.

5 Diese Invaliditätstabelle findet sich im Anhang zur Regelung unter dem Titel "Die gemäß Artikel 12 Absatz 2 der Regelung... im Falle dauernder Teilinvalidität anwendbaren Sätze". Der letzte Absatz dieses Anhangs bestimmt: "Wird durch ein und denselben Unfall eine mehrfache Invalidität ausgelöst, so sind die einzelnen Entschädigungen zusammenzurechnen; doch darf die Gesamtentschädigung weder den vollen Kapitalbetrag übersteigen, der bei dauernder oder Vollinvalidität gewährt wird, noch den Teilbetrag, der bei vollständigem Verlust oder völligem Funktionsausfall des verletzten Körperteils oder Organs gezahlt wird."

6 Gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Regelung hat der Beamte, der die Anwendung der Regelung aus Anlaß einer Berufskrankheit verlangt, dies der Verwaltung des Organs, dem er angehört, anzuzeigen. Gemäß Absatz 2 dieses Artikels leitet die Verwaltung eine Untersuchung ein, um die Tatsachen zu ermitteln, aus denen sich die Art der Krankheit, ihr ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit sowie die Umstände ihres Eintritts ergeben. Anhand des Untersuchungsberichts geben der oder die von den Organen bestellten Ärzte die in Artikel 19 vorgesehene Stellungnahme ab.

7 Artikel 19 der Regelung sieht vor, daß die Anstellungsbehörde die Entscheidung über die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit sowie die Entscheidung über den Grad einer dauernden Invalidität nach dem Verfahren des Artikels 21 aufgrund der Stellungnahme des oder der von den Organen bestellten Ärzte, und, falls der Beamte dies verlangt, nach Einholung eines Gutachtens des in Artikel 23 genannten Ärzteausschusses trifft.

8 Artikel 21 der Regelung verpflichtet die Anstellungsbehörde, dem Beamten vor dem Erlaß ihrer Entscheidung gemäß Artikel 19 einen Entscheidungsentwurf zuzustellen, dem sie die Stellungnahme des oder der von dem Organ bestellten Ärzte beifügt. Der Beamte kann binnen 60 Tagen beantragen, das Gutachten des in Artikel 23 genannten Ärzteausschusses einzuholen. Geht bis zum Ablauf dieser Frist kein Antrag auf Einholung eines Gutachtens des Ärzteausschusses ein, so trifft die Anstellungsbehörde ihre Entscheidung entsprechend dem von ihr zugestellten Entwurf.

Der Kollektivversicherungsvertrag

9 Durch Abschluß des "Vertrages über die Kollektivversicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten" vom 28. Januar 1977 (im folgenden: Vertrag) haben sich die Versicherer verpflichtet, gemäß den Bedingungen dieses Vertrages die finanziellen Folgen der Verpflichtungen abzudecken, die den Gemeinschaften nach dem Statut aus Unfällen und Berufskrankheiten der Personen erwachsen, auf die Artikel 73 des Statuts sowie die Regelung zur Durchführung dieses Artikels anwendbar sind. Anspruchsberechtigt aus diesem Vertrag sind nur die Gemeinschaften, denen die Versicherer die sich aus der Anwendung der Vorschriften dieser Regelung ergebenden Entschädigungen sowohl in Form von Kapitalbeträgen als auch in Form von Verzugszinsen auszahlen (Artikel 1 des Vertrages).

10 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Vertrages vereinbaren die zuständigen Verwaltungsbehörden der Gemeinschaften mit den Versicherern praktische Bestimmungen über die Benachrichtigung beim Eintritt von Unfällen oder Berufskrankheiten sowie über die Bearbeitung der Akten, um es den Versicherern zu ermöglichen, die Entwicklung der Versicherungsfälle zu verfolgen, und um ihnen die Inanspruchnahme haftbarer Dritter sowie die Bildung von Rücklagen zu erleichtern, wozu sie aufgrund der Rechtsvorschriften über die Versicherungsaufsicht verpflichtet sind. Gemäß Artikel 3 Absatz 3 des Vertrages werden die Entscheidungsentwürfe, die eine Leistungspflicht nach sich ziehen können (Kosten bei Krankheit, Invalidität und Tod), nach den in Artikel 3 Absatz 1 genannten praktischen Bestimmungen den Versicherern zur Stellungnahme übermittelt, bevor sie den Betroffenen von der zuständigen Behörde der Gemeinschaften zugestellt werden.

11 In Artikel 5 des Vertrages heisst es:

"Bei allen Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Durchführung des vorliegenden Vertrages sowie seiner Anhänge kann, wenn keine gütliche Einigung erzielt wird, der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften angerufen werden.

Die Versicherer verzichten jedoch darauf, bei Streitigkeiten über medizinische Fragen diesen Rechtsweg zu beschreiten, wenn die Entscheidung der Anstellungsbehörde über die Feststellung der Geldansprüche des Opfers oder der sonstigen Anspruchsberechtigten mit der Stellungnahme des Sachverständigen der Versicherer oder mit dem Gutachten des Ärzteausschusses gemäß Artikel 23 der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Regelung übereinstimmt, sofern der Sachverständige der Versicherer diesem Ärzteausschuß angehört hat; in diesem Fall erstatten die Versicherer den Gemeinschaften den gesamten Betrag, den diese dem Betroffenen oder den sonstigen Anspruchsberechtigten aufgrund der oben genannten Entscheidung der Anstellungsbehörde ausgezahlt haben..."

12 In Artikel 10 Absatz 2 des Vertrages wird die Aktiengesellschaft J. Van Breda & Co. International (im folgenden: Van Breda) als Vermittlerin benannt.

13 Mit einem Schreiben der Van Breda vom 27. Januar 1989 an die Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Schreiben vom 27. Januar 1989) wurde eine aufgrund des Vertrages zwischen den Versicherern und den Europäischen Gemeinschaften erzielte Einigung über das Verfahren bestätigt, das bei ab dem 1. Februar 1989 eingetretenen Unfällen und Berufskrankheiten angewandt werden sollte.

14 Gemäß Punkt I dieses Schreibens mit der Überschrift "Benennung der Ärzte" wird vereinbart, daß der von der Anstellungsbehörde benannte und von den Versicherern anerkannte Arzt als Sachverständiger im Sinne des Artikels 5 des Vertrages in seiner jeweils geltenden Fassung tätig wird und daß dieser Arzt nicht der Vertrauensarzt des Organs sein darf. Ferner heisst es in diesem Punkt I, daß die Entscheidungen der Anstellungsbehörde, die mit der Stellungnahme des von ihr benannten und von den Versicherern anerkannten Arztes übereinstimmen, daher von den Versicherern nicht gemäß Artikel 5 des Vertrages angefochten werden können, sofern die Versicherer diesen Entscheidungen entsprechend dem in Punkt II des Schreibens geregelten Verfahren zugestimmt haben.

15 Gemäß Punkt II des Schreibens vom 27. Januar 1989 mit der Überschrift "Entscheidungsentwürfe ° Vorherige Übermittlung an die Versicherer ° Antwortfrist" stimmen die Versicherer dem Entscheidungsentwurf, der ihnen entsprechend Artikel 3 Absatz 3 des Vertrages übermittelt wird, innerhalb der kürzestmöglichen Frist ab seiner Übermittlung zu oder lehnen ihn gegebenenfalls ab.

16 Darüber hinaus wird gemäß Punkt II dieses Schreibens vereinbart:

"a) ° Die Versicherer bemühen sich, binnen höchstens einem Monat ab Übermittlung des Entscheidungsentwurfs zur Stellungnahme an den Vermittler mitzuteilen, ob sie dem Entscheidungsentwurf zustimmmen oder gegebenenfalls nicht zustimmen.

° Haben die Versicherer nach Ablauf eines Monats nicht mitgeteilt, ob sie dem Entscheidungsentwurf zustimmen oder gegebenenfalls nicht zustimmen, so teilen sie der Anstellungsbehörde den Grund mit (z. B. wenn sie den Arzt um zusätzliche Angaben gebeten haben, wenn sie noch auf angeforderte Strafakten warten usw.); die Frist verlängert sich dann um einen Monat.

° Stellen die Versicherer fest, daß sie vor Ablauf der verlängerten Frist nicht mitteilen können, ob sie dem Entscheidungsentwurf zustimmen oder gegebenenfalls nicht zustimmen, so schlagen sie der Anstellungsbehörde und dem Vermittler die Einleitung eines Konzertierungsverfahrens vor, um zu bestimmen, wie der Fall weiterbehandelt werden und welche neue Frist gelten soll; diese Frist darf vier Monate nicht überschreiten.

b) Der von der Anstellungsbehörde benannte und von den Versicherern anerkannte Arzt übermittelt seine Stellungnahme gleichzeitig dem Organ und den Versicherern."

Sachverhalt

17 Herr X, Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, beantragte am 26. November 1990, zwei Krankheiten, die er sich im Dienst zugezogen habe, als Berufskrankheiten anzuerkennen. Es handelte sich um Lungenkrebs und eine chronische asthmaähnliche Bronchitis. Seiner Ansicht nach waren diese Krankheiten dadurch ausgelöst worden, daß er im Berlaymont-Gebäude in Brüssel Asbest ausgesetzt gewesen sei.

18 Die Verwaltung leitete eine Untersuchung ein und übermittelte den Antrag sowie andere dazugehörige Unterlagen am 21. Mai 1991 der Van Breda. Am 6. Juni 1991 forderte die Kommission die Van Breda auf, ihr den Namen des Arztes bekanntzugeben, den die Versicherer mit der Untersuchung von Herrn X betrauen wollten. Am 3. Juli 1991 benannte die Van Breda Dr. Dalem. Auf Antrag dieses Arztes, der von der Kommission benannt worden war, beauftragte diese Professor Bartsch mit der Anfertigung eines medizinischen Gutachtens.

19 In seinem Gutachten vom 3. Februar 1992 kam dieser Sachverständige zu dem Ergebnis, daß Herr X nicht an einer Berufskrankheit leide. Unter Berücksichtigung dieses Gutachtens gab Dr. Dalem am 14. Februar 1992 ein Gutachten ab, dem zufolge keine Berufskrankheit vorlag.

20 Aufgrund der Stellungnahme des von ihr benannten Arztes stellte die Anstellungsbehörde Herrn X am 17. Februar 1992 den Entwurf einer Entscheidung zu, mit der sein Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit abgelehnt wurde. Am 23. Februar 1992 beantragte Herr X, das Gutachten des Ärzteausschusses einzuholen, und beauftragte Dr. Cognigni, ihn dort zu vertreten. Die Anstellungsbehörde benannte ihrerseits auf Vorschlag der Versicherer Professor Brochard. Diese beiden Ärzte benannten einvernehmlich Professor Maltoni.

21 Am 25. Februar 1994 gab der Ärzteausschuß mit der Mehrheit seiner Stimmen sein Gutachten ab (Dr. Cognigni und Professor Maltoni stimmten gegen Professor Brochard). Dieses Gutachten kam zu dem Ergebnis, daß das Bronchialkarzinom, an dem Herr X litt, eine Berufskrankheit darstelle. Ausserdem wurde die dauernde Invalidität auf 100 % festgesetzt und Herrn X aufgrund von Artikel 14 der Regelung eine Entschädigung von 30 % für bleibende Symptome und schwere psychische Störungen zugesprochen. Professor Brochard äusserte seine abweichende Meinung in einem Minderheitsgutachten vom gleichen Tag. Seiner Ansicht nach handelte es sich bei der festgestellten Fibrose nicht um eine Asbestose, obwohl die Diagnose Bronchialkarzinom nicht ausgeschlossen werden könne. Darüber hinaus konnte die berufliche Tätigkeit von Herrn X dem Minderheitsgutachten zufolge nicht die Haupt- oder überwiegende Ursache seiner Krankheit sein.

22 Am 1. März 1994 übersandte Professor Maltoni der Kommission das Gutachten des Ärzteausschusses. In seinem Begleitschreiben wies er darauf hin, daß die Beurteilung ausschließlich auf klinischer und wissenschaftlicher Basis erfolgt sei. Er bat die Kommission, sich an ihn zu wenden, falls nähere Angaben zum Gutachten benötigt würden. Professor Brochard übersandte der Kommission am 3. März 1994 sein Minderheitsgutachten. Die Kommission übermittelte die beiden Gutachten am 10. bzw. am 18. März 1994 der Van Breda, die sie den Versicherern übermittelte.

23 Mit Schreiben vom 23. März 1994 teilte die Van Breda der Kommission mit, daß die Versicherer dabei seien, die Unterlagen vor allem unter medizinischen Gesichtspunkten zu prüfen. Mit Schreiben vom 29. März 1994 teilte sie dann mit, daß die Versicherer den Ärzten des Ärzteausschusses einige zusätzliche Fragen stellen wollten. In einem Schreiben vom 8. April 1994 gab sie schließlich an, zu welchen Punkten die Versicherer die Mitglieder des Ärzteausschusses nochmals befragen wollten. Diesem Schreiben zufolge wollten die Versicherer die Stellungnahme eines Kollegen von Dr. Dalem einholen, um eine ganz genaue Formulierung der zusätzlichen Fragen zu erhalten, die als Grundlage für eine erneute Befassung des Ärzteausschusses dienen sollten. In den beiden letztgenannten Schreiben gab die Van Breda auch an, daß die im Schreiben von 27. Januar 1989 vorgesehene, um einen Monat verlängerte Frist am 29. März 1994 begonnen habe und am 29. April 1994 ablaufe.

24 Mit Schreiben vom 15. April 1994 teilte die Anstellungsbehörde Herrn X die Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses mit. In diesem Schreiben hieß es, daß die Anstellungsbehörde in der Lage sei, "einen Grad dauernder Vollinvalidität von 130 % anzuerkennen; es handelt sich in diesem Stadium um die endgültige Entscheidung der im Zusammenhang mit der Anerkennung Ihrer Berufskrankheit aufgeworfenen medizinischen Fragen". Am 22. April 1994 wurde Herrn X ein Betrag von 25 794 194 BFR ausgezahlt.

25 Mit Schreiben vom 6. Mai 1994 teilte die Kommission der Van Breda mit, daß sie Herrn X entsprechend der Mehrheitsentscheidung des Ärzteausschusses den oben genannten Betrag ausgezahlt habe. Ihrer Ansicht nach vermittelte die Weigerung der Versicherer, die Entscheidung des Ärzteausschusses zu akzeptieren, sowie das Beharren auf zusätzlichen Fragen an diesen Ausschuß den Eindruck, als wollten sie sich ihrer aufgrund des Vertrages bestehenden Erstattungspflicht entziehen. In ihrem Schreiben vertrat die Kommission ferner die Auffassung, daß die Versicherer ihr ab dem 6. Mai 1994 Zinsen für den an Herrn X ausgezahlten Kapitalbetrag schuldeten.

26 In einem Schreiben vom 28. Juli 1994 an die Van Breda wies die Kommission zunächst darauf hin, daß sie sich niemals ausdrücklich geweigert habe, der Bitte der Versicherer um erneute Befragung der Mitglieder des Ärzteausschusses zu entsprechen, und stellte sodann fest, daß die Versicherer, da sie diese zusätzlichen Fragen nicht übermittelt hätten, nicht mehr die Absicht hätten, den Ärzteausschuß zu befassen, dessen Schlußfolgerungen sie somit akzeptiert hätten.

27 Mit Schreiben vom 12. August 1994 antwortete die Van Breda, daß den Versicherern seit Anfang Juni 1994 eine Reihe von technischen Fragen vorlägen, von denen sie glaubten, daß sie dem Ärzteausschuß unbedingt vorzulegen seien. Angesichts der Entscheidung der Kommission, Herrn X einen Grad dauernder Vollinvalidität von 130 % zuzuerkennen und den entsprechenden Kapitalbetrag auszuzahlen, habe es sich jedoch erübrigt, dem Ärzteausschuß diese Fragen zu schicken.

28 Mit Schreiben vom 16. September 1994 antwortete die Kommission, daß die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 15. April 1994 sowie die Auszahlung des Kapitalbetrags an Herrn X die Versicherer in keiner Weise daran gehindert hätten, alle zusätzlichen Fragen zu stellen, die sie vor einer Entscheidung über die Erstattung des Kapitalbetrags für erforderlich hielten.

29 Mit Schreiben vom 13. Oktober 1994 gab die Van Breda bekannt, daß die Versicherer nicht in der Lage seien, den Erstattungsantrag positiv zu bescheiden. Die Kommission hat daraufhin beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

Anträge der Parteien

30 Die Kommission beantragt, die Versicherer

° zur Zahlung des Kapitalbetrags, den die Kommission Herrn X gemäß Artikel 73 des Statuts schuldet oder schulden könnte,

° zur Zahlung der Verzugszinsen ab der Mahnung der Versicherer durch die Kommission am 6. Mai 1994,

° zur Tragung der Kosten des Verfahrens

zu verurteilen.

31 Die Versicherer beantragen,

° den Antrag der Kommission für unzulässig oder zumindest für unbegründet zu erklären,

° der Kommission die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,

hilfsweise,

° den Antrag der Kommission für unzulässig oder zumindest für unbegründet zu erklären, soweit er darauf gerichtet ist, die Versicherer zur Erstattung eines Kapitalbetrags zu verurteilen, der über dem bei dauernder völliger Arbeitsunfähigkeit geschuldeten Hoechstkapitalbetrag von 100 % liegt;

° über die Kosten des Verfahrens nach Rechtslage zu entscheiden.

Zur Zulässigkeit

32 Die von den Versicherern erhobene Einrede der Unzulässigkeit der Klage ist zurückzuweisen, da sie nicht begründet worden ist und sich aus den Akten keine Anhaltspunkte ergeben, die sie stützen könnten.

Zur Begründetheit

33 Die Kommission stützt ihren Erstattungsantrag auf Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages, wonach die Versicherer immer dann, wenn die Entscheidung der Anstellungsbehörde über die Feststellung der Geldansprüche des Betroffenen oder der sonstigen Anspruchsberechtigten mit dem Gutachten des Ärzteausschusses übereinstimme und der Sachverständige der Versicherer diesem Ausschuß angehört habe, verpflichtet seien, den Gemeinschaften den gesamten Betrag zu erstatten, den sie dem Betroffenen oder den sonstigen Anspruchsberechtigten gemäß der Entscheidung der Anstellungsbehörde ausgezahlt hätten.

34 Nach Ansicht der Kommission geht aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Klausel hervor, daß sich die Versicherer auf keinerlei Rechtfertigungsgrund für ihre Weigerung berufen könnten, den an Herrn X ausgezahlten Betrag zu erstatten, wenn die darin vorgesehenen Voraussetzungen erfuellt seien. Das sei hier der Fall: Der Kapitalbetrag sei aufgrund einer Entscheidung der Anstellungsbehörde ausgezahlt worden, die mit dem Gutachten des Ärzteausschusses übereingestimmt habe; eines der Mitglieder dieses Ausschusses sei der Sachverständige der Versicherer gewesen. Da sie selbst keine Klage beim Gerichtshof erhoben hätten, könnten sie sich nicht auf die in dieser Klausel angeblich getroffene Unterscheidung zwischen "Streitigkeiten über medizinische Fragen" und "Streitigkeiten über rechtliche Fragen" stützen und sich so auf rechtliche Gründe berufen, um sich dem Erstattungsantrag zu widersetzen.

35 Dagegen sind die Versicherer der Auffassung, daß Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages mit dem vorliegenden Rechtsstreit gar nichts zu tun habe, der rein rechtlicher Natur sei. Zur Begründung ihrer Weigerung, den Betrag zu erstatten, berufen sie sich auf drei Rechtsgründe. Erstens habe die Kommission mit dem Erlaß ihrer Entscheidung vom 15. April 1994, Herrn X zu entschädigen, gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen verstossen, da sie sich nicht an das im Vertrag und in dem Schreiben vom 27. Januar 1989 vorgesehene Verfahren gehalten habe. Zweitens sei das Gutachten des Ärzteausschusses fehlerhaft; dadurch sei auch die auf diesem Gutachten gründende Entscheidung der Kommission, Herrn X die Entschädigung zu zahlen, fehlerhaft. Drittens tragen die Versicherer hilfsweise vor, daß die Herrn X gewährte Gesamtentschädigung keinesfalls den Hoechstbetrag von 100 % hätte überschreiten dürfen.

36 Zunächst ist festzustellen, daß die im Schreiben der Anstellungsbehörde vom 15. April 1994 enthaltene Entscheidung mit dem Gutachten des Ärzteausschusses übereinstimmt und daß der Sachverständige der Versicherer Mitglied dieses Ärzteausschusses war.

37 Dennoch ist es den Versicherern entgegen der Auffassung der Kommission unbenommen, sich auf Rechtsgründe zu berufen, um die Erstattung des Betrages von 25 794 194 BFR zu verweigern, den die Kommission Herrn X gemäß der Entscheidung vom 15. April 1994 über die Anerkennung seiner Berufsinvalidität ausgezahlt hat.

38 Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages, der sich auf Streitigkeiten über medizinische Fragen bezieht, stellt nämlich eine Ausnahme von der in Absatz 1 aufgestellten allgemeinen Regel dar, wonach bei jeder Streitigkeit über die Durchführung des Vertrages und seiner Anhänge der Gerichtshof angerufen werden kann, sofern keine gütliche Einigung erzielt wird.

39 Daraus ergibt sich, daß die Versicherer, da sie nur bei Streitigkeiten über medizinische Fragen auf ein Beschreiten des Rechtswegs verzichtet haben, immer das Bestehen einer Erstattungspflicht bestreiten können, indem sie sich auf andere als medizinische Gründe berufen, selbst wenn ° wie im vorliegenden Fall ° die in Randnummer 36 beschriebenen Voraussetzungen erfuellt sind.

40 Entgegen der Auffassung der Kommission ist die Unterscheidung zwischen "Streitigkeiten über medizinische Fragen" und "Streitigkeiten über rechtliche Fragen" im vorliegenden Fall also erheblich, und zwar unabhängig davon, welche Vertragspartei den Gerichtshof anruft. Es ist nämlich undenkbar, daß die Vertragsparteien die Absicht gehabt hätten, den Versicherern im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Gerichtshof zu erlauben, als Beklagte medizinische Fragen aufzuwerfen, während ihnen dieses Recht als Kläger nicht zustuende.

41 Daher sind die drei von den Versicherern für ihre Weigerung angeführten Gründe zu prüfen.

42 Der Vertrag bezweckt nach seinem Artikel 1, gemäß den im Vertrag vorgesehenen Bedingungen die finanziellen Folgen aus den Verpflichtungen abzudecken, die den Gemeinschaften gemäß Artikel 73 des Statuts und der Regelung aus Unfällen und Berufskrankheiten ihrer Beamten erwachsen (im folgenden: Verpflichtungen nach dem Statut).

43 Die in dem Vertrag getroffenen Vereinbarungen können jedoch keinesfalls die Verpflichtungen berühren, die ein Organ nach dem Statut gegenüber seinen Beamten hat.

44 Zwar haben sich die Versicherer lediglich verpflichtet, die sich aus den Verpflichtungen nach dem Statut ergebenden finanziellen Folgen gemäß den im Vertrag vorgesehenen Bedingungen abzudecken, so daß nicht ausgeschlossen ist, daß diese Bedingungen die Möglichkeit für ein Organ beschränken können, die aufgrund seiner Verpflichtungen nach dem Statut geschuldeten Beträge durch die Versicherer erstattet zu erhalten.

45 Wie sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, kann nicht zugelassen werden, daß die Verpflichtungen nach dem Statut durch die Verpflichtungen der Versicherer ersetzt und den Beamten damit die vom Statut gewährten Garantien genommen werden (vgl. in diesem Sinne die Urteile vom 16. Juni 1971 in der Rechtssache 18/70, Duraffour/Rat, Slg. 1971, 515, Randnr. 15, und vom 16. März 1978 in der Rechtssache 115/76, Leonardini/Kommission, Slg. 1978, 735, Randnr. 11).

46 Ausserdem ist der Vertrag, der bezueglich der finanziellen Risiken, die abzudecken sich die Versicherer verpflichtet haben, auf die Verpflichtungen der Gemeinschaften nach dem Statut verweist, im Lichte des Artikels 73 des Statuts und der Regelung auszulegen, die diese Verpflichtungen festlegen, sofern die vertraglichen Vereinbarungen eine solche Auslegung nicht ausschließen.

47 Die drei von den Versicherern angeführten Gründe sind daher im Lichte dieser Erwägungen zu prüfen.

Zum angeblichen Verstoß gegen das vertraglich vorgesehene Verfahren

48 Die Versicherer werfen der Kommission erstens vor, als Anstellungsbehörde die Entscheidung vom 15. April 1994 erlassen zu haben, ohne sich an die vertraglichen Bestimmungen, insbesondere an Artikel 3 Absätze 1 und 3 des Vertrages, oder an die im Schreiben vom 27. Januar 1989 beschriebenen Verfahren und praktischen Bestimmungen gehalten zu haben.

49 Entgegen diesen Bestimmungen und Verfahren habe die Kommission den Versicherern den streitigen Entscheidungsentwurf nicht vorher vorgelegt. Darüber hinaus habe sie Herrn X die Entscheidung schon am 15. April 1994 zugestellt und sie anschließend durchgeführt, ohne die Versicherer vorher davon zu informieren.

50 Dieses Vorbringen wirft die Frage auf, ob und inwieweit Artikel 3 Absätze 1 und 3 des Vertrages sowie das im Schreiben vom 27. Januar 1989 geregelte Verfahren im vorliegenden Fall anwendbar sind.

51 Unstreitig ist die Kommission ihrer Verpflichtung gemäß Artikel 3 Absatz 1, den Versicherern die Auskünfte zu geben, anhand deren sie die Bearbeitung des betreffenden Falles verfolgen können, nachgekommen.

52 Dagegen machen die Versicherer geltend, daß die Kommission gegen ihre Verpflichtung aus Artikel 3 Absatz 3 des Vertrages verstossen habe, gemäß dem im Schreiben vom 27. Januar 1989 vereinbarten Verfahren einen auf dem Gutachten des Ärzteausschusses vom 25. Februar 1994 gründenden Entscheidungsentwurf zu übermitteln.

53 Diese Auffassung der Versicherer beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der Bestimmungen des Vertrages und des Schreibens vom 27. Januar 1989.

54 Aus dem Wortlaut von Punkt I als auch von Punkt II Buchstabe a zweiter Gedankenstrich und von Punkt II Buchstabe b des betreffenden Schreibens ergibt sich nämlich, daß der Entscheidungsentwurf, von dem dort die Rede ist, derjenige ist, den die Anstellungsbehörde aufgrund der Stellungnahme des von ihr bestellten und von den Versicherern anerkannten Arztes erstellt.

55 Für diese Auslegung spricht auch die Ausgestaltung des in den Artikeln 19 und 21 der Regelung vorgesehenen Verfahrens.

56 Aus Artikel 19 ergibt sich, daß die Anstellungsbehörde die Entscheidung über die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit entweder aufgrund der Stellungnahme des oder der von den Organen bestellten Ärzte oder, falls der Beamte dies verlangt, nach Einholung des Gutachtens eines Ärzteausschusses trifft.

57 Nur für den ersten Fall sieht Artikel 21 einen Entscheidungsentwurf vor, den die Anstellungsbehörde, bevor sie eine Entscheidung gemäß Artikel 19 trifft, dem Beamten zustellen muß, damit dieser gegebenenfalls binnen 60 Tagen die Einholung des Gutachtens eines Ärzteausschusses beantragen kann; dieser Entscheidungsentwurf kann den Versicherern zur Stellungnahme übermittelt werden und, falls diese nicht damit einverstanden sind, Gegenstand des in Punkt II des Schreibens vom 27. Januar 1989 vorgesehenen Vermittlungsverfahrens sein.

58 Ist dagegen der Ärzteausschuß eingeschaltet worden, dessen ärztliche Beurteilungen im eigentlichen Sinne, wenn sie unter ordnungsgemässen Bedingungen vorgenommen wurden, im übrigen als endgültig zu betrachten sind und nur beanstandet werden können, wenn eine neue Tatsache eingetreten ist (vgl. insbesondere Urteile vom 12. Juni 1980 in der Rechtssache 107/79, Schürer/Kommission, Slg. 1980, 1845, Randnr. 10, vom 19. Januar 1988 in der Rechtssache 2/87, Biedermann/Rechnungshof, Slg. 1988, 143, Randnr. 8, und vom 18. Februar 1993 in der Rechtssache T-1/92, Tallarico/Parlament, Slg. 1993, II-107, Randnr. 67), dann sieht die Regelung keine Zustellung eines Entscheidungsentwurfs durch die Anstellungsbehörde vor, da die Entscheidung in diesem Fall aufgrund des Gutachtens dieses Ausschusses ergehen muß.

59 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der in Artikel 3 Absatz 3 des Vertrages und im Schreiben vom 27. Januar 1989 genannte Entscheidungsentwurf derjenige ist, den die Anstellungsbehörde aufgrund der Stellungnahme des oder der von ihr bestellten Ärzte erstellt, und daß daher das dort vorgesehene vertragliche Verfahren im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung vom 15. April 1994 aufgrund des Gutachtens des Ärzteausschusses getroffen wurde, nicht befolgt werden musste.

60 Der Kommission kann auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie dem Betroffenen am 15. April 1994 die Entscheidung zugestellt hat, bevor sie die Fragen erhalten hatte, die die Versicherer dem Ärzteausschuß stellen wollten.

61 Der Kommission, die den Versicherern am 18. März 1994 das Gutachten des Ärzteausschusses übermittelt hatte, lag nämlich am 15. April 1994 nur das Schreiben vom 8. April 1994 vor, in dem die Van Breda die verschiedenen Punkte angegeben hatte, zu denen die Versicherer die Mitglieder des Ärzteausschusses befragen wollten, und in dem sie die Übermittlung der entsprechenden Fragen bis zum 28. April 1994 ankündigte.

62 Unter diesen Umständen hätte die Kommission in Anbetracht der Zeit, die die Bearbeitung des Falles bereits beansprucht hatte, und angesichts des Gesundheitszustands des Betroffenen gegen ihre Verpflichtungen verstossen, die sie nach dem Statut diesem gegenüber hatte, wenn sie ihre Entscheidung hinausgeschoben hätte, um auf die Fragen und die eventuellen Antworten des Ärzteausschusses zu warten.

63 Im übrigen stehen der Erlaß der Entscheidung vom 15. April 1994 und die Auszahlung des Kapitalbetrags an Herrn X der weiteren Prüfung des Falles im Rahmen des Vertragsverhältnisses zwischen den Versicherern und den Gemeinschaften keineswegs entgegen; insbesondere sind die Versicherer nicht daran gehindert, das Bestehen einer Erstattungspflicht zu bestreiten.

64 Nach alledem ist der erste von den Versicherern angeführte Grund zurückzuweisen.

Zur Fehlerhaftigkeit des Gutachtens des Ärzteausschusses

65 Die Versicherer beanstanden zweitens die Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses als fehlerhaft. Die Entscheidung vom 15. April 1994, die auf diesen fehlerhaften Schlußfolgerungen gründe, sei ebenfalls fehlerhaft. Dadurch habe sich die Kommission ausserhalb des Anwendungsbereichs des Vertrages gestellt und so ihren Erstattungsanspruch aufgrund dieses Vertrages verloren.

66 Wie sich aus Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages ergibt, haben die Versicherer bei Streitigkeiten über medizinische Fragen auf ein Beschreiten des Rechtswegs verzichtet. Da der Vertrag auf die Verpflichtungen der Gemeinschaften gegenüber den Beamten verweist, die einen Unfall erleiden oder sich eine Berufskrankheit zuziehen, ist der Umfang dieses Verzichts anhand der Rechtsprechung zur gerichtlichen Nachprüfung der Ordnungsmässigkeit der Gutachten von Ärzteausschüssen auszulegen.

67 Nach dieser Rechtsprechung kann sich die Prüfung durch den Gerichtshof nicht auf die eigentlichen ärztlichen Beurteilungen erstrecken, die als endgültig anzusehen sind, wenn sie unter ordnungsgemässen Bedingungen vorgenommen wurden. Die gerichtliche Kontrolle kann sich nur auf die Ordnungsmässigkeit der Errichtung und der Tätigkeit des Ärzteausschusses sowie auf die Ordnungsmässigkeit des von ihm abgegebenen Gutachtens beziehen. Insoweit kann der Gerichtshof nachprüfen, ob das Gutachten eine Begründung enthält, anhand deren die Erwägungen, auf denen die in ihr enthaltenen Schlußfolgerungen beruhen, beurteilt werden können (Urteil vom 12. Januar 1983 in der Rechtssache 257/81, K./Rat, Slg. 1983, 1, Randnr. 17), und ob ein verständlicher Zusammenhang besteht zwischen den in ihr enthaltenen medizinischen Feststellungen und den Schlußfolgerungen, zu denen der Ärzteausschuß gelangt (Urteile vom 10. Dezember 1987 in der Rechtssache 277/84, Jänsch/Kommission, Slg. 1987, 4923, Randnr. 15, und vom 27. Februar 1992 in der Rechtssache T-165/89, Plug/Kommission, Slg. 1992, II-367, Randnr. 75).

68 Daraus folgt, daß Rügen, die sich auf die Ordnungsmässigkeit des Gutachtens des Ärzteausschusses vom 25. Februar 1994 beziehen, im Rahmen eines Rechtsstreits geprüft werden können, in dem der Gerichtshof aufgrund von Artikel 5 des Vertrages angerufen worden ist.

69 Im vorliegenden Fall geht jedoch aus den Akten hervor, daß die Versicherer Gelegenheit hatten, die Mitglieder des Ärzteausschusses von der Kommission erneut zu bestimmten Aspekten der Erwägungen und der Begründung des Gutachtens befragen zu lassen, die sie für bedenklich hielten. Sie haben es jedoch bei einer entsprechenden Absichtserklärung bewenden lassen und haben damit die Gelegenheit ungenutzt gelassen, nähere Angaben und Aufklärung über die Punkte des Gutachtens zu erhalten, die sie für zweifelhaft oder fehlerhaft hielten.

70 Unter diesen Umständen hat die Kommission Anspruch auf die Erstattung des Kapitalbetrags, den sie Herrn X aufgrund ihrer auf das Gutachten des Ärzteausschusses gegründeten Entscheidung ausgezahlt hat, sofern dieses Gutachten keine offensichtlichen Fehler aufweist.

71 Die drei Rügen, die die Versicherer gegen das Gutachten des Ärzteausschusses erheben, sind anhand dieser Erwägungen zu prüfen.

72 Mit der ersten Rüge machen die Versicherer geltend, daß das vom Ärzteausschuß abgegebene Gutachten die früheren Gutachten von Dr. Dalem und Professor Bartsch sowie das Minderheitsgutachten von Professor Brochard nicht widerlege und somit keinerlei Erklärung für den krassen Widerspruch zwischen den eigenen Schlußfolgerungen und denen der genannten Gutachten enthalte, obwohl letztere auf wissenschaftlich gesicherten und ausführlich dargestellten Erwägungen beruhten. Die Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses seien daher unzureichend begründet und folglich fehlerhaft.

73 Die Aufgabe des Ärzteausschusses, in voller Objektivität und Unabhängigkeit medizinische Fragen zu beurteilen, erfordert es nach ständiger Rechtsprechung, daß er in dieser Beurteilung völlig frei ist. Es ist folglich Sache des Ausschusses, zu entscheiden, inwieweit zuvor erstellte ärztliche Gutachten zu berücksichtigen sind (Urteil Biedermann/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 19).

74 Im vorliegenden Fall geht aus dem Gutachten des Ärzteausschusses nicht hervor, daß er die Ansichten der drei Sachverständigen nicht berücksichtigt hätte. Abgesehen davon, daß das Gutachten im Gegenteil ausdrücklich Bezug auf die Akte der Kommission nimmt, die die Stellungnahmen Dr. Dalems und Professor Bartschs enthält, bestätigt die Mitwirkung von Professor Brochard selbst im Ärzteausschuß, wie der Generalanwalt in Nummer 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Auffassung der Kommission, daß der Ärzteausschuß die Ansicht von Professor Brochard sowie die früheren Gutachten der beiden anderen Sachverständigen berücksichtigt habe. Aus den Akten ergibt sich darüber hinaus, daß das Minderheitsgutachten von Professor Brochard teilweise auf Erwägungen beruht, die denen der beiden anderen Sachverständigen ähneln.

75 Da in dem Gutachten des Ärzteausschusses ausserdem unter Hinweis auf Laboruntersuchungen ausgeführt wird, daß Herr X an einem Bronchialkarzinom leide und daß die Untersuchung seines Brustfell-Lungen-Gewebes die Präsenz einiger Asbestarten in bestimmten Mengen nachgewiesen habe, geht der Vorwurf fehl, das Gutachten enthalte keine Erklärung dafür, daß seine Schlußfolgerungen von denen der anderen beteiligten Sachverständigen abweichen.

76 Diese Rüge ist daher zurückzuweisen.

77 Mit ihrer zweiten Rüge machen die Versicherer geltend, daß der Ärzteausschuß die Schlußfolgerung, daß Herr X an einer durch Asbest verursachten Krankheit leide, nicht ausreichend begründet habe, da er sich lediglich auf die Tatsache gestützt habe, daß der Betroffene Asbestfasern ausgesetzt gewesen sei und daß solche Fasern in seiner Lunge festgestellt worden seien, obwohl diese Feststellungen beim gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft eine solche Schlußfolgerung nicht zuließen.

78 Auch diese Rüge ist zurückzuweisen.

79 Der Ärzteausschuß hat nämlich in seinem Gutachten ausgeführt, daß Herr X an einem mit einer Fibrose der Scheidewände einhergehenden Bronchialkarzinom leide, das aufgrund detailliert geschilderter Umstände als Berufskrankheit zu betrachten sei.

80 Der Ärzteausschuß hat aufgrund der Ergebnisse einer früher durchgeführten Untersuchung und seiner eigenen erneuten Untersuchung des Gewebes ein Bronchialkarzinom diagnostiziert und hat sich neben anderen ausführlichen tatsächlichen Erwägungen auf die Präsenz verschiedener Asbestarten im Brustfell-Lungen-Gewebe sowie darauf gestützt, daß Herr X Asbest ausgesetzt gewesen war, um daraus auf eine berufliche Ursache seiner Krankheit zu schließen; damit hat der Ärzteausschuß seine Schlußfolgerungen ausreichend begründet.

81 Die Versicherer sind der Auffassung, daß diese Schlußfolgerung des Ärzteausschusses beim gegenwärtigen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht mit den von ihm getroffenen Feststellungen begründet werden könne.

82 Die Fragen nach der Ursache einer Krankheit sind jedoch ihrem Wesen nach medizinischer Natur (Urteil vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-185/90 P, Kommission/Gill, Slg. 1991, I-4779, Randnr. 25).

83 Folglich kann der Gerichtshof seine Prüfung nicht auf diese Beurteilungen des Ärzteausschusses erstrecken, die als endgültig anzusehen sind, wenn sie unter ordnungsgemässen Bedingungen vorgenommen wurden.

84 Mit ihrer dritten Rüge beanstanden die Versicherer das Gutachten des Ärzteausschusses insoweit, als dieser eine dauernde Invalidität von 100 % angenommen habe, ohne anzugeben, ob er auf die Tabelle im Anhang zur Regelung Bezug genommen habe bzw. auf welcher Berechnungsgrundlage er zu diesem Satz gelangt sei.

85 Hierzu ist festzustellen, daß die dauernde Vollinvalidität im Rahmen des gemäß Artikel 78 des Statuts vorgesehenen Verfahrens bereits vom Invaliditätsausschuß festgestellt worden war und daß in dem Verfahren nach Artikel 73 bestimmt werden sollte, ob Herr X an einer Berufskrankheit litt.

86 Zwar trifft es zu, daß nach Artikel 25 der Regelung die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer dauernden Voll- oder Teilinvalidität gemäß Artikel 73 des Statuts und der Regelung der Anwendung von Artikel 78 des Statuts in keiner Weise vorgreift, doch ist der Ärzteausschuß ° wie der Generalanwalt in Nummer 29 seiner Schlussanträge ausgeführt hat ° durch die Unabhängigkeit dieser beiden Verfahren voneinander nicht daran gehindert, im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 73 die Schlußfolgerungen zu berücksichtigen, zu denen das Verfahren nach Artikel 78 geführt hat.

87 Auch diese Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur Gewährung einer Entschädigung von 130 %

88 Drittens machen die Versicherer unter Berufung auf den letzten Absatz der Tabelle im Anhang der Regelung hilfsweise geltend, daß die Herrn X gewährte Gesamtentschädigung keinesfalls den Hoechstsatz von 100 % überschreiten dürfe und daß die Entscheidung der Kommission daher rechtswidrig sei, soweit sie eine Entschädigung von 130 % gewähre.

89 Diese Rüge beruht auf einer fehlerhaften Auslegung des letzten Absatzes dieser Tabelle.

90 Dieser Absatz bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf den Fall, daß ein und derselbe Unfall zu einer mehrfachen Invalidität geführt hat, also auf die Kumulierung mehrerer sich aus Artikel 12 Absatz 2 der Regelung ergebender Entschädigungen, und betrifft demnach nicht die Entschädigung, die dem Beamten gemäß Artikel 14 der Regelung bei einer dauernden Verletzung oder Entstellung gewährt werden kann, die zwar nicht seine Erwerbsfähigkeit mindert, aber seine körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und ihn deshalb im gesellschaftlichen Leben benachteiligt. Artikel 14 Absatz 2 verweist nur entsprechend auf die Sätze, die sich aus der in Artikel 12 Absatz 2 genannten Invaliditätstabelle ergeben.

91 Nach alledem ist festzustellen, daß die Versicherer sich zu Unrecht weigern, der Kommission den Betrag zu erstatten, den sie Herrn X aufgrund von Artikel 73 des Statuts ausgezahlt hat.

92 Folglich sind die Versicherer zu verurteilen, an die Kommission den Betrag von 25 794 194 BFR zuzueglich 8 % Zinsen seit dem 6. Mai 1994, dem Zeitpunkt ihrer Mahnung durch das Organ, zu zahlen.

Kostenentscheidung:

Kosten

93 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Beklagten mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die SA Royale belge, die Assurances Générales de France SA, die Caisse nationale de Prévoyance, die Mutülles du Mans, die Assurantie van de Belgische Börenbond SA, die Hannover SA, die Securitas AG und die Condor werden verurteilt, an die Kommission 25 794 194 BFR zuzueglich 8 % Zinsen seit dem 6. Mai 1994 zu zahlen.

2. Die SA Royale belge, die Assurances Générales de France SA, die Caisse nationale de Prévoyance, die Mutülles du Mans, die Assurantie van de Belgische Börenbond SA, die Hannover SA, die Securitas AG und die Condor tragen die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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