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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.07.1996
Aktenzeichen: C-84/95
Rechtsgebiete: Verordnung 990/93/EWG


Vorschriften:

Verordnung 990/93/EWG Art. 8
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 8 der Verordnung Nr. 990/93 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien, der vorsieht, daß "[a]lle Wasserfahrzeuge, Lastkraftwagen, Eisenbahnwagen und Luftfahrzeuge, die sich mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) befinden oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert werden,... von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beschlagnahmt [werden]", findet auf ein Luftfahrzeug Anwendung, das im Eigentum eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien steht, wenn ein anderes Unternehmen, das dort weder seinen Sitz noch seinen Tätigkeitsort hat und das sich nicht mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in dieser Republik befindet oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert wird, dieses Luftfahrzeug vom Eigentümer für einen Zeitraum von vier Jahren geleast hat.

Sowohl aus dem Wortlaut dieser Vorschrift als auch aus dem Kontext und den Zielen der genannten Verordnung, mit der in der Gemeinschaft bestimmte Aspekte der Sanktionen verwirklicht werden, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verhängt hat, sowie aus dem Wortlaut und dem Ziel der vom Sicherheitsrat aufgrund von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolutionen geht hervor, daß diese Vorschrift auf jedes Luftfahrzeug Anwendung findet, das im Eigentum einer natürlichen oder juristischen Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien steht, ohne daß diese Person auch die tatsächliche Kontrolle über das Luftfahrzeug ausüben muß.

2. Grundrechte wie das Recht auf Respektierung der Vermögensgüter und das Recht auf freie wirtschaftliche Betätigung können keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen; ihre Ausübung kann Beschränkungen unterworfen werden, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind.

Diese Beschränkungen können erheblich sein, wenn die verfolgten Ziele selbst erhebliche Bedeutung haben.

Dies ist bei der Verordnung Nr. 990/93 der Fall, die zur Durchführung der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien auf Gemeinschaftsebene beitragen soll, da diese Verordnung einem für die internationale Völkergemeinschaft grundlegenden, dem Gemeinwohl dienenden Ziel dient, das dahin geht, den Kriegszustand in der Region und die massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in der Republik Bosnien-Herzegowina zu beenden.

Daher kann die in Anwendung dieser Verordnung erfolgende Beschlagnahme eines Luftfahrzeugs, das Eigentum eines Unternehmens mit Sitz in der Bundesrepublik Jugoslawien ist, das aber ein anderes Unternehmen, das dort weder seinen Sitz noch seinen Tätigkeitsort hat und sich nicht mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in dieser Republik befindet oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert wird, für einen Zeitraum von vier Jahren geleast hat, nicht als unangemessen oder unverhältnismässig angesehen werden.


Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juli 1996. - Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret AS gegen Minister for Transport, Energy and Communications und andere. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Supreme Court - Irland. - Embargo gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) - Beschlagnahme eines Luftfahrzeugs. - Rechtssache C-84/95.

Entscheidungsgründe:

1 Der Supreme Court of Ireland hat mit Beschluß vom 12. Februar 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 8 der Verordnung (EWG) Nr. 990/93 des Rates vom 26. April 1993 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) (ABl. L 102, S. 14) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret AS (im folgenden: Bosphorus Airways) und dem Minister for Transport, Energy and Communications u. a. (im folgenden: Minister). Bosphorus Airways ist eine türkische Gesellschaft, die hauptsächlich als Charterer von Flugzeugen und als Reiseveranstalter tätig ist. Mit Leasingvertrag vom 17. April 1992 leaste sie zwei Flugzeuge der staatlichen jugoslawischen Fluggesellschaft (JAT) für einen Zeitraum von vier Jahren. Dieser als "dry lease" bezeichnete Vertrag sah vor, daß nur die Flugzeuge geleast wurden, nicht aber die Kabinen- und Flugbesatzung, die aus Angestellten von Bosphorus Airways bestand. Letztere konnte daher für diesen Zeitraum allein über den laufenden Betrieb der Flugzeuge bestimmen. JAT blieb jedoch Eigentümerin der Flugzeuge.

3 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß die Transaktion zwischen Bosphorus Airways und JAT in völlig lauterer Absicht vorgenommen wurde und in keiner Weise der Umgehung der durch die Resolutionen der Vereinten Nationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verhängten und mit der Verordnung Nr. 990/93 in der Gemeinschaft durchgeführten Sanktionsmaßnahmen dienen sollte. Darüber hinaus wurden die nach dem Leasingvertrag geschuldeten Raten in Anwendung dieser Maßnahmen auf Sperrkonten überwiesen und somit nicht an JAT gezahlt. Schließlich wurden die Flugzeuge von Bosphorus Airways ausschließlich für Flüge zwischen der Türkei und verschiedenen Mitgliedstaaten sowie der Schweiz genutzt.

4 Als eines der Flugzeuge nach Instandhaltungsarbeiten auf dem Flughafen von Dublin von dort starten wollte, ordnete der Minister seine Beschlagnahme gemäß Artikel 8 der Verordnung Nr. 990/93 an und begründete dies damit, daß es sich um ein Luftfahrzeug handele, das sich mehrheitlich im Eigentum einer Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien befinde oder von einer solchen Person kontrolliert werde.

5 Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 lautet:

"Alle Wasserfahrzeuge, Lastkraftwagen, Eisenbahnwagen und Luftfahrzeuge, die sich mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) befinden oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert werden, werden von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beschlagnahmt."

6 Der Supreme Court hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 8 der Verordnung (EWG) Nr. 990/93 dahin auszulegen, daß er auf ein Luftfahrzeug Anwendung findet, das im Eigentum eines Unternehmens steht, das mehrheitlich im Eigentum eines Unternehmens mit Sitz in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) steht oder von einem solchen Unternehmen kontrolliert wird, wenn ein Unternehmen, das nicht mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) steht oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert wird, dieses Luftfahrzeug vom Eigentümer ab dem 22. April 1992 für einen Zeitraum von vier Jahren geleast hat?

7 In Anbetracht des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits ist diese Frage so zu verstehen, daß sie dahin geht, ob Artikel 8 der Verordnung Nr. 990/93 auf ein Luftfahrzeug Anwendung findet, das im Eigentum eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) steht, wenn ein anderes Unternehmen, das dort weder seinen Sitz noch seinen Tätigkeitsort hat und das sich nicht mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in dieser Republik befindet oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert wird, dieses Luftfahrzeug vom Eigentümer für einen Zeitraum von vier Jahren geleast hat.

Zur Verordnung Nr. 990/93 und den Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

8 Bosphorus Airways macht erstens geltend, Artikel 8 der Verordnung Nr. 990/93 finde keine Anwendung auf Luftfahrzeuge, deren laufende Nutzung und Kontrolle während eines Zeitraums von vier Jahren aufgrund einer "dry lease" durch ein Unternehmen erfolge, dessen Sitz und Tätigkeitsort sich nicht in der Bundesrepublik Jugoslawien befinde, selbst wenn ein Unternehmen, dessen Sitz oder Tätigkeitsort sich in dieser Republik befinde, als Eigentümer des Luftfahrzeugs einen Rückgabeanspruch habe.

9 Zur Stützung ihrer Auffassung trägt sie vor, die fragliche Regelung solle der Bestrafung der Bundesrepublik Jugoslawien und ihrer Staatsangehörigen sowie der Anwendung von Sanktionen gegen sie dienen, aber sicher nicht der unnötigen Erstreckung dieser Sanktionen auf völlig Unschuldige, die von einem Nachbarstaat aus tätig seien, zu dem die Gemeinschaft im übrigen freundschaftliche Beziehungen unterhalte.

10 Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden.

11 Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung betont hat, sind bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift sowohl ihr Wortlaut als auch ihr Kontext und ihre Ziele zu berücksichtigen (Urteile vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache 337/82, St. Nikolaus Brennerei, Slg. 1984, 1051, Randnr. 10, und vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache C-83/94, Leifer u. a., Slg. 1995, I-3231, Randnr. 22).

12 Der Wortlaut von Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß dieser Bestimmung eine Unterscheidung zwischen dem Eigentum an einem Luftfahrzeug einerseits und seiner laufenden Nutzung und Verwaltung andererseits zugrunde liegt. Überdies ist in dieser Bestimmung nirgends vorgesehen, daß sie keine Anwendung auf ein Luftfahrzeug findet, das im Eigentum einer Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien steht, wenn diese nicht die laufende Nutzung und Verwaltung des Luftfahrzeugs übernimmt.

13 Was den Kontext und die Ziele der Verordnung Nr. 990/93 angeht, so hat der Rat mit dieser Regelung dem im Rahmen der politischen Zusammenarbeit gefassten Beschluß der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten Folge geleistet, ein Gemeinschaftsinstrument einzusetzen, um in der Gemeinschaft bestimmte Aspekte der Sanktionen zu verwirklichen, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der aufgrund von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolutionen 713 (1991), 752 (1992) und 787 (1992) angenommen und diese Sanktionen durch die Resolution 820 (1993) verschärft hat, gegen die Bundesrepublik Jugoslawien verhängt hat.

14 Zur Bestimmung der Tragweite von Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 sind daher auch der Wortlaut und der Gegenstand dieser Resolutionen und insbesondere Abschnitt 24 der Resolution 820 (1993) zu berücksichtigen, der vorsieht, daß "alle Staaten alle Wasserfahrzeuge, Lastkraftwagen, Eisenbahnwagen und Luftfahrzeuge beschlagnahmen, die sich in ihrem Gebiet befinden und mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) stehen oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert werden".

15 Der Wortlaut des Abschnitts 24 der Resolution 820 (1993) bestätigt somit, daß Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 auf jedes Luftfahrzeug Anwendung findet, das im Eigentum einer natürlichen oder juristischen Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien steht, ohne daß diese Person auch die tatsächliche Kontrolle über das Luftfahrzeug ausüben muß. Das in der englischen Fassung dieses Abschnitts 24 verwendete Wort "interest" kann nämlich das Eigentum als entscheidendes Kriterium für die Durchführung der Beschlagnahme jedenfalls nicht ausschließen. Hinzu kommt, daß dieses Wort in Abschnitt 24 in Verbindung mit dem Wort "majority" verwendet wird, das eindeutig auf den Eigentumsbegriff Bezug nimmt.

16 Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, daß in der Mehrzahl der Sprachfassungen von Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 Worte verwendet werden, die ausdrücklich den Eigentumsgedanken einschließen. Ferner sieht Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung in Umsetzung von Abschnitt 26 der Resolution 820 (1993) vor, daß Unkosten im Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Luftfahrzeugen den Eigentümern auferlegt werden können.

17 Darüber hinaus trägt jede Beschlagnahme eines Luftfahrzeugs, das im Eigentum einer Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien steht, selbst dann, wenn ein Unternehmen wie Bosphorus Airways dessen laufende Nutzung und Verwaltung übernommen hat, dazu bei, der Bundesrepublik Jugoslawien und ihren Staatsangehörigen die Ausübung ihrer Eigentumsrechte zu erschweren, und steht damit im Einklang mit dem Ziel der Sanktionen, Druck auf diese Republik auszuüben.

18 Wenn statt des Eigentumsbegriffs der Begriff der laufenden Nutzung und Verwaltung als entscheidendes Kriterium für die Anwendung der in Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 vorgesehenen Maßnahmen verwendet würde, würde dagegen die Wirksamkeit der Verschärfung der Sanktionen gefährdet, die in der Beschlagnahme aller Transportmittel der Bundesrepublik Jugoslawien und ihrer Staatsangehörigen einschließlich der Luftfahrzeuge bestehen, damit der Druck auf diese Republik noch erhöht wird. Die blosse Übertragung der laufenden Nutzung und Verwaltung der Transportmittel, nicht aber des Eigentums, durch einen Leasingvertrag oder auf andere Weise würde es dann nämlich dieser Republik oder ihren Staatsangehörigen ermöglichen, sich der Anwendung dieser Sanktionen zu entziehen.

Zu den Grundrechten und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit

19 Bosphorus Airways macht zweitens geltend, wenn Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 990/93 dahin ausgelegt werde, daß ein Luftfahrzeug, dessen laufende Nutzung und Verwaltung aufgrund eines Leasingvertrags durch eine Person erfolge, die weder ihren Sitz noch ihren Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien habe, trotzdem beschlagnahmt werden müsse, weil es einem Unternehmen mit Sitz in dieser Republik gehöre, würden ihre Grundrechte und insbesondere ihr Recht auf Respektierung ihrer Vermögensgüter und auf freie wirtschaftliche Betätigung beeinträchtigt, da dies den Ruin und die Zerschlagung ihres Flugzeugcharter- und Reiseveranstaltungsunternehmens zur Folge haben würde.

20 Diese Auslegung verstosse auch gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, da der Eigentümer des fraglichen Luftfahrzeugs bereits durch das Einfrieren der Leasingraten auf Sperrkonten bestraft worden und die Beschlagnahme des Luftfahrzeugs deshalb eine gegen einen völlig Unschuldigen gerichtete offensichtlich unnötige und unverhältnismässige Sanktion sei.

21 Die von Bosphorus Airways geltend gemachten Grundrechte können nach ständiger Rechtsprechung keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen; ihre Ausübung kann Beschränkungen unterworfen werden, die durch dem Gemeinwohl dienende Ziele der Gemeinschaft gerechtfertigt sind (vgl. Urteile vom 13. Dezember 1979 in der Rechtssache 44/79, Hauer, Slg. 1979, 3727, vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 5/88, Wachauf, Slg. 1989, 2609, und vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973).

22 Zunächst hat jede Sanktionsmaßnahme definitionsgemäß Auswirkungen, die die Eigentumsrechte und die freie Berufsausübung beeinträchtigen, und schädigt dadurch Parteien, die für die Situation, die zum Erlaß der Sanktionen geführt hat, nicht verantwortlich sind.

23 Ferner kann die Bedeutung der mit der streitigen Regelung verfolgten Ziele selbst erhebliche negative Konsequenzen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen.

24 Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 990/93 tragen u. a. zur Durchführung der in mehreren Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beschlossenen und später verschärften Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien auf Gemeinschaftsebene bei. In der dritten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 990/93 wird ausgeführt, daß die "anhaltenden direkten und indirekten Eingriffe der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) in der und in bezug auf die Republik Bosnien-Herzegowina... die Hauptursache der dramatischen Ereignisse in der Republik Bosnien-Herzegowina [sind]", und in der vierten Begründungserwägung heisst es, daß die "Fortdauer dieser Eingriffe... zu unvertretbaren weiteren Verlusten an Menschenleben und Sachschäden führen und den internationalen Frieden und die Sicherheit in der Region weiterhin verletzen [wird]". Ferner wird in der siebten Begründungserwägung der Verordnung festgestellt, daß die "serbische Volksgruppe in Bosnien... bisher den Friedensplan der internationalen Konferenz über das ehemalige Jugoslawien trotz der Appelle des Sicherheitsrates nicht in vollem Umfang akzeptiert [hat]".

25 In Anbetracht dieser Umstände besitzt das mit den Sanktionen verfolgte Ziel eine erhebliche Bedeutung, die nach dem Wortlaut der Verordnung Nr. 990/93 und insbesondere ihrer achten Begründungserwägung u. a. darin besteht, die Bundesrepublik Jugoslawien "von einer weiteren Verletzung der Integrität und Sicherheit der Republik Bosnien-Herzegowina abzuhalten und die serbische Volksgruppe in Bosnien dazu zu veranlassen, bei der Wiederherstellung des Friedens in dieser Republik mitzuarbeiten".

26 Angesichts eines für die internationale Völkergemeinschaft derart grundlegenden, dem Gemeinwohl dienenden Zieles, das dahin geht, den Kriegszustand in der Region und die massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in der Republik Bosnien-Herzegowina zu beenden, kann die Beschlagnahme des fraglichen Luftfahrzeugs, das Eigentum einer Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien ist, nicht als unangemessen oder unverhältnismässig angesehen werden.

27 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß Artikel 8 der Verordnung Nr. 990/93 auf ein Luftfahrzeug Anwendung findet, das im Eigentum eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) steht, wenn ein anderes Unternehmen, das dort weder seinen Sitz noch seinen Tätigkeitsort hat und das sich nicht mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in dieser Republik befindet oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert wird, dieses Luftfahrzeug vom Eigentümer für einen Zeitraum von vier Jahren geleast hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

28 Die Auslagen der dänischen und der österreichischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Supreme Court of Ireland mit Beschluß vom 12. Februar 1995 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 8 der Verordnung (EWG) Nr. 990/93 des Rates vom 26. April 1993 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) findet auf ein Luftfahrzeug Anwendung, das im Eigentum eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) steht, wenn ein anderes Unternehmen, das dort weder seinen Sitz noch seinen Tätigkeitsort hat und das sich nicht mehrheitlich im Eigentum einer Person oder eines Unternehmens mit Sitz oder Tätigkeitsort in dieser Republik befindet oder von solchen Personen oder Unternehmen kontrolliert wird, dieses Luftfahrzeug vom Eigentümer für einen Zeitraum von vier Jahren geleast hat.

Ende der Entscheidung

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