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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.1991
Aktenzeichen: C-87/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 79/7/EWG vom 19.12.1978


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Richtlinie 79/7/EWG vom 19.12.1978 Art. 4 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht daran, von Amts wegen die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den genauen und unbedingten Vorschriften einer Richtlinie, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, zu prüfen, wenn der einzelne sich vor dem Gericht auf diese Richtlinie nicht berufen hat.

2. Der persönliche Geltungsbereich der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist in Artikel 2 festgelegt und kann auf eine Person, die von ihm ausgeschlossen ist, nicht mit der Begründung ausgedehnt werden, daß sie einem nationalen System angeschlossen ist, das nach Artikel 3 in den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

3. Der einzelne kann sich vor einem nationalen Gericht auf die Richtlinie 79/7 berufen, wenn ihn die Folgen einer nationalen Bestimmung treffen, durch die seine nicht am Verfahren beteiligte Ehefrau diskriminiert wird, sofern diese selbst in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

4. Die Richtlinie 79/7 ist so auszulegen, daß sie es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, nach Ablauf der festgesetzten Umsetzungsfrist die Folgen früherer nationaler Rechtsvorschriften aufrechtzuerhalten, die verheiratete Frauen unter bestimmten Voraussetzungen von der Altersversicherung ausschlossen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 11. JULI 1991. - A. VERHOLEN UND ANDERE GEGEN SOCIALE VERZEKERINGSBANK AMSTERDAM. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RAAD VAN BEROEP'S-HERTOGENBOSCH - NIEDERLANDE. - GLEICHHEIT ZWISCHEN MAENNERN UND FRAUEN - SOZIALE SICHERHEIT - RICHTLINIE 79/7/EWG - ZEITLICHE GELTUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-87/90, C-88/90 UND C-89/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der Raad van Beroep Herzogenbusch (Niederlande) hat mit drei Beschlüssen vom 30. Januar und 15. Februar 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979 L 6, S. 24) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in drei Rechtsstreitigkeiten zwischen niederländischen Staatsangehörigen auf der einen und der Sociale Verzekeringsbank Amsterdam auf der anderen Seite über die Anwendung des Gesetzes über die allgemeine Altersversicherung ("Algemene Ouderdomswet", Staatsblad, S. 281, hiernach: AOW).

3 Aus den Akten der Ausgangsverfahren geht hervor, daß die AOW zugunsten von in den Niederlanden ansässigen sowie nichtansässigen Personen, die der Lohnsteuer für eine in den Niederlanden ausgeuebte Erwerbstätigkeit unterlegen haben, bei Vollendung des 65. Lebensjahres ein allgemeines System der Altersrenten vorsieht, in dessen Rahmen Rentenansprüche auf der Grundlage von zurückgelegten Versicherungszeiten erworben werden. Bis zu einer zum 1. April 1985 erfolgten Gesetzesänderung war eine in den Niederlanden wohnende Frau, deren ebenfalls in den Niederlanden wohnender Ehemann nicht nach der AOW versichert war, weil er eine Erwerbstätigkeit im Ausland ausübte und dort versichert war, in den entsprechenden Zeiträume selbst nicht versichert; ein in den Niederlanden wohnender Mann, dessen Ehefrau von der Versicherung ausgeschlossen war, blieb dagegen nach dem niederländischen Rentensystem versichert.

4 Ein Rentenberechtigter, dessen unterhaltsberechtigter Ehegatte jünger als 65 ist, hat Anspruch auf einen Zuschlag. Dieser Zuschlag wird jedoch um die Jahre gekürzt, während deren der Ehegatte nicht versichert war.

5 Nachdem die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-87/90, Frau A. Verholen, in den Niederlanden eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeuebt hatte, trat sie aufgrund einer arbeitsvertraglichen Regelung mit 61 Jahren in den vorgezogenen Ruhestand. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-88/90, Frau T. H. M. van Wetten-van Uden, sowie die Ehefrau des Herrn G. H. Heiderijk, des Klägers des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-89/90, waren nie unselbständig oder selbständig erwerbstätig.

6 Nachdem die Klägerinnen in den Rechtssachen C-87/90 und C-88/90, Frau Verholen und Frau van Wetten-van Uden, das 65. Lebensjahr vollendet hatten, weigerte sich die Sociale Verzekeringsbank, ihnen die volle Rente zuzuerkennen, weil ihre in den Niederlanden wohnenden Ehegatten einige Zeit im Ausland eine Erwerbstätigkeit ausgeuebt hätten und dort versichert gewesen seien. Dem Kläger in der Rechtssache C-89/90, Herrn Heiderijk, wurde der Zuschlag zu seiner Altersrente für einen unterhaltsberechtigten Ehegatten, der jünger als 65 ist, um die Jahre gekürzt, in denen seine Ehefrau nicht versichert war, darin eingeschlossen die Zeiträume, in denen der Kläger selbst in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet hatte.

7 Da der Raad van Beroep Herzogenbusch der Ansicht ist, daß die gegen die Bescheide der Sociale Verzekeringsbank erhobenen Klagen eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 79/7 aufwerfen, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

In der Rechtssache C-87/90

Ist es mit Artikel 4 Absatz 1 (und/oder Artikel 5) der Richtlinie 79/7/EWG vereinbar, daß sich die Auswirkung einer nationalen Bestimmung, die ausschließlich verheiratete Frauen von der AOW-Versicherung ausschloß, über den 22. Dezember 1984 hinaus erstreckt, und zwar in dem Sinne, daß die AOW-Rente dieser Frauen auch nach diesem Zeitpunkt noch immer wegen einer Versicherungsvoraussetzung gekürzt werden kann, die nicht für Männer gegolten hat?

In der Rechtssache C-88/90

1) Hindert das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht daran, eine nationale gesetzliche Regelung (von Amts wegen) anhand einer EWG-Richtlinie zu prüfen, für die die Durchführungsfrist abgelaufen ist, wenn der einzelne sich (zum Beispiel wegen Unwissenheit) nicht auf diese Richtlinie beruft?

2) Hindert das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht daran, eine nationale gesetzliche Regelung anhand einer EWG-Richtlinie zu prüfen, für die die Durchführungsfrist abgelaufen ist, wenn der einzelne sich deshalb, weil er nicht in den persönlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, nicht auf diese Richtlinie berufen könnte, obwohl er unter eine durch diese Richtlinie erfasste nationale gesetzliche Regelung fällt?

3) Bezieht sich Artikel 2 der Richtlinie 79/7/EWG auf den persönlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie als solchen, oder ist dieser Artikel als eine Abgrenzung (neben der Abgrenzung des Artikels 3 dieser Richtlinie) der durch diese Richtlinie erfassten nationalen gesetzlichen Regelungen anzusehen?

In der Rechtssache C-89/90

Kann sich der einzelne in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht auf Artikel 4 Absatz 1 (und/oder Artikel 5) der Richtlinie 79/7/EWG berufen, wenn ihn die Folgen einer diskriminierenden nationalen Bestimmung treffen, die auf seine Ehefrau, die in diesem Verfahren kein Verfahrensbeteiligter ist, anwendbar war?

8 Mit Beschluß vom 16. Januar 1991 sind die Rechtssachen C-87/90, C-88/90 und C-89/90 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts der Ausgangsverfahren, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Da sich die vom Raad van Beroep Herzogenbusch in den Rechtssachen C-88/90 und C-89/90 vorgelegten Fragen auf die Bestimmung der Befugnisse nationaler Gerichte zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Modalitäten dieser Anwendung beziehen, sind zunächst diese Fragen zu beantworten, bevor auf die in der Rechtssache C-87/90 vorgelegte Frage nach der zeitlichen Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Richtlinie 79/7 eingegangen wird.

Zu den Vorlagefragen in der Rechtssache C-88/90

11 Mit der ersten Frage in der Rechtssache C-88/90 möchte der Raad van Beroep wissen, ob das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht daran hindert, von Amts wegen die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit einer Richtlinie, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, zu prüfen, wenn der einzelne sich vor dem Gericht auf diese Richtlinie nicht berufen hat.

12 Wie der Gerichtshof entschieden hat, sind die nationalen Gerichte berechtigt und unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, zur Vorabentscheidung vorzulegen, sofern sie von Amts wegen oder auf Anregung der Parteien feststellen, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf eine der in Artikel 177 Absatz 1 genannten Fragen ankommt (Urteil vom 16. Januar 1974 in der Rechtssache 166/73, Rheinmühlen, Slg. 1974, 33, Randnr. 3).

13 Diese Befugnis, von Amts wegen eine gemeinschaftsrechtliche Frage aufzuwerfen, setzt voraus, daß nach Ansicht des nationalen Gerichts entweder das Gemeinschaftsrecht anzuwenden ist - wobei das nationale Recht, wenn nötig, unangewendet bleibt - oder das nationale Recht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht auszulegen ist.

14 Eine solche Frage kann insbesondere eine von den nationalen Stellen nicht innerhalb der festgesetzten Frist umgesetzte Richtlinie betreffen, die für die Mitgliedstaaten verbindlich ist und deren genaue und unbedingte Vorschriften der Rechtsprechung des Gerichtshofes zufolge von einem nationalen Gericht unmittelbar angewendet werden können.

15 Das dem einzelnen zuerkannte Recht, sich vor dem nationalen Gericht unter bestimmten Umständen auf eine Richtlinie zu berufen, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, schließt daher die Befugnis des nationalen Gerichts nicht aus, diese Richtlinie auch dann zu berücksichtigen, wenn sich der einzelne nicht auf sie berufen hat.

16 Daher ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-88/90 zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht ein nationales Gericht nicht daran hindert, von Amts wegen die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den genauen und unbedingten Vorschriften einer Richtlinie, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, zu prüfen, wenn der einzelne sich vor dem Gericht auf diese Richtlinie nicht berufen hat.

17 Mit seiner zweiten Frage in der Rechtssache C-88/90 möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob es die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit einer Richtlinie in dem Fall prüfen kann, daß der einzelne nicht in den persönlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, wohl aber unter eine von dieser Richtlinie erfasste nationale gesetzliche Regelung.

18 Diese Frage wirft dasselbe Problem auf wie die konkret formulierte dritte Frage, mit der das vorlegende Gericht wissen will, ob sich Artikel 2 der Richtlinie 79/7 auf den persönlichen Geltungsbereich der Richtlinie oder ob er sich wie Artikel 3 auf die Abgrenzung der von der Richtlinie erfassten nationalen Systeme der sozialen Sicherheit bezieht.

19 Im Urteil vom 27. Juni 1989 in den verbundenen Rechtssachen 48/88, 106/88 und 107/88 (Achterberg-te Riele u. a., Slg. 1989, 1963, Randnr. 9) hat der Gerichtshof entschieden, daß der persönliche Geltungsbereich der Richtlinie in Artikel 2 festgelegt wird, wonach diese auf die Erwerbsbevölkerung, die Arbeitsuchenden sowie die Arbeitnehmer Anwendung findet, deren Erwerbstätigkeit durch eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a aufgezählten Risiken unterbrochen worden ist.

20 Wenn im übrigen in einer Richtlinienbestimmung wie in Artikel 2 der Richtlinie 79/7 genau bestimmt wird, auf welche Personengruppen die Richtlinie anwendbar ist, kann das nationale Gericht ihren persönlichen Geltungsbereich nicht mit der Begründung ausdehnen, daß die einzelnen unter ein nationales System wie die AOW fallen, das von einer anderen Bestimmung der Richtlinie erfasst wird, die wie Artikel 3 der Richtlinie 79/7 ihren sachlichen Geltungsbereich betrifft.

21 Daher ist auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C-88/90 zu antworten, daß Artikel 2 der Richtlinie 79/7 so auszulegen ist, daß er sich auf den persönlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie bezieht, der nicht nach Maßgabe des in Artikel 3 der Richtlinie festgelegten sachlichen Geltungsbereichs veränderlich ist.

Zur Vorlagefrage in der Rechtssache C-89/90

22 Die in der Rechtssache C-89/90 aufgeworfene Frage geht dahin, ob sich der einzelne vor einem nationalen Gericht auf die Richtlinie 79/7 berufen kann, wenn ihn die Folgen einer nationalen Vorschrift treffen, durch die seine nicht am Verfahren beteiligte Ehefrau diskriminiert wird.

23 Zunächst ist festzustellen, daß das Recht, sich auf die Richtlinie 79/7 zu berufen, nicht auf diejenigen beschränkt ist, die in den persönlichen Geltungsbereich der Richtlinie fallen, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß andere Personen ein unmittelbares Interesse daran haben können, daß das Diskriminierungsverbot zugunsten der geschützten Personen beachtet wird.

24 Zwar ist es grundsätzlich Sache des nationalen Rechts, die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des einzelnen zu bestimmen, doch verlangt das Gemeinschaftsrecht, daß die nationalen Rechtsvorschriften das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, und vom 15. Oktober 1987 in der Rechtssache 222/86, Heylens, Slg. 1987, 4097) und daß die Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften nicht dazu führt, daß sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich macht (Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595).

25 In bezug auf die vorliegende Situation ist jedoch festzustellen, daß ein einzelner, den die Folgen einer diskriminierenden nationalen Vorschrift treffen, sich nur dann auf die Richtlinie 79/7 berufen kann, wenn seine diskriminierte Ehefrau selbst in ihren Geltungsbereich fällt.

26 Somit ist auf die Vorlagefrage in der Rechtssache C-89/90 zu antworten, daß der einzelne sich vor einem nationalen Gericht auf die Richtlinie 79/7 berufen kann, wenn ihn die Folgen einer nationalen Bestimmung treffen, durch die seine nicht am Verfahren beteiligte Ehefrau diskriminiert wird, sofern seine Ehefrau selbst in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

Zur Vorlagefrage in der Rechtssache C-87/90

27 Die Vorlagefrage in der Rechtssache C-87/90 geht dahin, ob die Artikel 4 Absatz 1 und 5 der Richtlinie 79/7 es ausschließen, daß nach Ablauf der Umsetzungsfrist die Folgen früherer nationaler Rechtsvorschriften aufrechterhalten werden, die verheiratete Frauen unter bestimmten Voraussetzungen von der Altersversicherung ausschlossen.

28 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 24. Juni 1987 in der Rechtssache 384/85 (Borrie Clarke, Slg. 1987, 2865) hervorgehoben hat, sieht die Richtlinie keine Ausnahme von dem in Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz vor, die die Verlängerung der diskriminierenden Wirkungen früherer innerstaatlicher Vorschriften erlauben würde. Daraus hat er im Urteil vom 8. März 1988 in der Rechtssache 80/87 (Dik u. a., Slg. 1988, 1601) geschlossen, daß ein Mitgliedstaat nach dem 23. Dezember 1984 keine Ungleichbehandlungen fortbestehen lassen darf, die darauf zurückzuführen sind, daß die Voraussetzungen für das Entstehen des Leistungsanspruchs bereits vor diesem Datum galten.

29 Die niederländische Regierung und die Sociale Verzekeringsbank vertreten zu Unrecht die Auffassung, daß sich diese Rechtsprechung auf sogenannte Risikosysteme beziehe und deshalb nicht auf sogenannte Beitragssysteme wie die AOW übertragen werden könne. Aus dem Text der Richtlinie 79/7 ebenso wie aus den Urteilen Borrie Clarke vom 24. Juni 1987 und Dik u. a. vom 8. März 1988 ergibt sich nämlich unmißverständlich der Grundsatz des Verbots jeglicher Diskriminierung nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie, ohne daß zwischen den verschiedenen Versicherungssystemen unterschieden würde.

30 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage in der Rechtssache C-87/90 zu antworten, daß die Richtlinie 79/7 so auszulegen ist, daß sie es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, nach Ablauf der in Artikel 8 festgelegten Umsetzungsfrist die Folgen früherer nationaler Rechtsvorschriften aufrechtzuerhalten, die verheiratete Frauen unter bestimmten Voraussetzungen von der Altersversicherung ausschlossen.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Raad van Beroep Herzogenbusch mit Beschlüssen vom 30. Januar und 15. Februar 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht daran, von Amts wegen die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den genauen und unbedingten Vorschriften einer Richtlinie, für die die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, zu prüfen, wenn der einzelne sich vor dem Gericht auf diese Richtlinie nicht berufen hat.

2) Artikel 2 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist so auszulegen, daß er sich auf den persönlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie bezieht, der nicht nach Maßgabe des in Artikel 3 der Richtlinie festgelegten sachlichen Geltungsbereichs veränderlich ist.

3) Der einzelne kann sich vor einem nationalen Gericht auf die Richtlinie 79/7/EWG berufen, wenn ihn die Folgen einer nationalen Bestimmung treffen, durch die seine nicht am Verfahren beteiligte Ehefrau diskriminiert wird, sofern seine Ehefrau selbst in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

4) Die Richtlinie 79/7/EWG ist so auszulegen, daß sie es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, nach Ablauf der in Artikel 8 festgelegten Umsetzungsfrist die Folgen früherer nationaler Rechtsvorschriften aufrechtzuerhalten, die verheiratete Frauen unter bestimmten Voraussetzungen von der Altersversicherung ausschlossen.

Ende der Entscheidung

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