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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.06.1993
Aktenzeichen: C-90/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 1739/85 vom 24.06.1985


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 1739/85 vom 24.06.1985 Art. 1 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine auslegungsbedürftige Bestimmung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts ist nach Möglichkeit so auszulegen, daß sie mit den Vorschriften des EWG-Vertrags vereinbar ist. Ausserdem ist eine Durchführungsverordnung so auszulegen, daß sie mit den Bestimmungen der Grundverordnung vereinbar ist.

2. Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf Einfuhren bestimmter Kugellager und Kegelrollenlager mit Ursprung in Japan ist dahin auszulegen, daß er Kugelbuchsen nicht einbezieht. In dieser Auslegung ist die Vorschrift nicht rechtswidrig; sie wäre aber rechtswidrig, wenn sie entgegen den Artikeln 7 und 12 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 2176/84, wonach Antidumpingzölle nur auf Erzeugnisse anwendbar sind, die Gegenstand von im Laufe der Untersuchung festgestellten Dumpingpraktiken sind, die betreffenden Erzeugnisse einbezogen hätte, da diese im Antidumpingverfahren nicht berücksichtigt worden waren.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 24. JUNI 1993. - DR TRETTER GMBH & CO. GEGEN HAUPTZOLLAMT STUTTGART-OST. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT BADEN-WUERTTEMBERG - DEUTSCHLAND. - ANTIDUMPINGZOELLE - KUGELBUCHSEN MIT URSPRUNG IN JAPAN. - RECHTSSACHE C-90/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland) hat mit Beschluß vom 13. März 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 19. März 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1739/85 des Rates vom 24. Juni 1985 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf Einfuhren bestimmter Kugellager und Kegelrollenlager mit Ursprung in Japan (ABl. L 167, S. 3) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen einer von der Firma Dr. Tretter (im folgenden: Tretter) beim Finanzgericht Baden-Württemberg erhobenen Klage gegen die Entscheidung, mit der das Hauptzollamt Stuttgart-Ost Kugelbuchsen mit einem grössten äusseren Durchmesser von mehr als 30 mm, die Tretter aus Japan eingeführt hatte, der Tarifnummer 84.62 des Gemeinsamen Zolltarifs (Nimexe -Kennziffer 84.62-09) zugewiesen hat. Aufgrund dieser Tarifierung wurden die genannten Waren ° ausser einem Zollsatz von 9 % ° gemäß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1739/85 einem Antidumpingzoll von 21,7 % unterworfen.

3 Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 lautet:

"Auf die Einfuhren von Kugellagern mit einem grössten äusseren Durchmesser von mehr als 30 mm und von Kegelrollenlagern der Tarifnummer ex 84.62 des Gemeinsamen Zolltarifs, entsprechend den NIMEXE-Kennziffern 84.62-09 und 84.62-17, mit Ursprung in Japan mit Ausnahme der von Inoü Jikuuke Kogyo Co. Ltd, Mäkawa Bearing MFG Co. Ltd, Matsuo Bearing Co. Ltd und Minamiguchi Bearing MFG Co. Ltd hergestellten Wälzlager wird ein endgültiger Antidumpingzoll erhoben."

4 Mit ihrer Klage macht Tretter geltend, die fraglichen Waren seien keine Kugellager der Nimexe-Kennziffer 84.62-09, sondern Teile von Wälzlagern, "andere" als Rollkörper, die unter die Nimexe-Kennziffer 84.62-33 fielen, oder allenfalls andere Wälzlager, die zur Nimexe-Kennziffer 84.62-26 gehörten. Daher würden diese Waren nicht von Artikel 1 der Verordnung Nr. 1739/85 erfasst, und es falle kein Antidumpingzoll an.

5 Das vorlegende Gericht bemerkt, falls Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 so auszulegen sei, daß er Kugelbuchsen einbeziehe, sei er insoweit ungültig, wenn feststehe, daß das Antidumpingverfahren diese Waren nicht betroffen habe.

6 Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof über folgende Frage vorab entschieden hat:

Ist Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1739/85 des Rates vom 24. Juni 1985 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf Einfuhren bestimmter Kugellager und Kegelrollenlager mit Ursprung in Japan (Amtsblatt der EG Nr. L 167 vom 27. Juni 1985, S. 3) ungültig oder dahin auszulegen, daß unter "Kugellagern entsprechend den NIMEXE-Kennziffern 84.62-09..." nur Kugellager im technischen Sinn, also nur radial drehende Lager, nicht aber auch sogenannte Kugelbuchsen (nur linear bewegliche Führungen) zu verstehen sind?

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Mit der Vorabentscheidungsfrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 dahin auszulegen ist, daß er Kugelbuchsen einbezieht, und, wenn ja, ob diese Vorschrift gültig ist.

9 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß sich insbesondere aus den Artikeln 7 und 12 der Verordnung (EWG) Nr. 2176/84 des Rates vom 23. Juli 1984 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 201, S. 1) ° der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Grundverordnung ° ergibt, daß Antidumpingzölle nur auf Erzeugnisse anwendbar sind, die Gegenstand von im Laufe der nach Artikel 7 eingeleiteten und durchgeführten Untersuchung festgestellten Dumpingpraktiken sind. Wäre also Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 dahin auszulegen, daß er Kugelbuchsen einbezieht, so wäre er insoweit ungültig.

10 Wie der Rat und die Kommission nämlich vortragen, bezog sich das Antidumpingverfahren, das zur Einführung der fraglichen Antidumpingzölle führte, nicht auch auf Kugelbuchsen, ungeachtet des Wortlauts der 25. Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1739/85, wonach "im Falle der kleineren Hersteller... die Ausfuhren aller Kugellagertypen nach der Gemeinschaft in die Untersuchung einbezogen [wurden]".

11 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist eine auslegungsbedürftige Bestimmung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts nach Möglichkeit so auszulegen, daß sie mit den Vorschriften des Vertrages vereinbar ist (vgl. unter anderem Urteil vom 13. Dezember 1983 in der Rechtssache 218/82, Kommission/Rat, Slg. 1983, 4063, Randnr. 15). Ausserdem ist eine Durchführungsverordnung, wenn möglich, so auszulegen, daß sie mit den Bestimmungen der Grundverordnung vereinbar ist (in diesem Sinne Urteil vom 10. März 1971 in der Rechtssache 38/70, Tradax, Slg. 1971, 145, Randnr. 10).

12 Somit ist zu prüfen, ob Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 so ausgelegt werden kann, daß er Kugelbuchsen nicht einbezieht.

13 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß sich schon aus dem Wortlaut von Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 und insbesondere aus der Wendung "der Tarifnummer ex 84.62 des Gemeinsamen Zolltarifs" die Schlußfolgerung ziehen lässt, daß die etwaige Einreihung eines Erzeugnisses in diese Tarifnummer nicht ohne weiteres dazu führt, daß das Erzeugnis dem Antidumpingzoll nach dieser Vorschrift unterliegt.

14 Sodann ist festzustellen, daß, wie der Rat und die Kommission zu Recht bemerkt haben, nur Kugellager im eigentlichen Sinn, also radial drehende Lager, notwendigerweise einen Durchmesser haben. Der Querschnitt von Kugelbuchsen, deren Funktion grundsätzlich darin besteht, Schiebebewegungen zu ermöglichen und jede Drehbewegung zu verhindern, ist oft rechteckig.

15 Hätte aber der Gemeinschaftsgesetzgeber Kugelbuchsen dem Antidumpingzoll unterwerfen wollen, so hätte er jedenfalls für sie andere Unterscheidungskriterien aufgestellt. Denn dafür, daß nur Buchsen mit kreisförmigem Querschnitt, deren grösster äusserer Durchmesser mehr als 30 mm beträgt, dem Antidumpingzoll unterworfen werden, gäbe es keine Rechtfertigung.

16 Daraus folgt, daß, ohne der Einreihung der Kugelbuchsen innerhalb der Tarifnummer ex 84.62 in irgendeiner Weise vorzugreifen, Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 dahin auszulegen ist, daß der mit ihm eingeführte Antidumpingzoll auf Kugelbuchsen nicht anwendbar ist.

17 Daher ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1739/85 dahin auszulegen ist, daß er Kugelbuchsen nicht einbezieht.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht Baden-Württemberg mit Beschluß vom 13. März 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1739/85 des Rates vom 24. Juni 1985 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf Einfuhren bestimmter Kugellager und Kegelrollenlager mit Ursprung in Japan ist dahin auszulegen, daß er Kugelbuchsen nicht einbezieht.

Ende der Entscheidung

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