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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.02.1994
Aktenzeichen: C-99/92
Rechtsgebiete: EGKS-Vertrag


Vorschriften:

EGKS-Vertrag Art. 41
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 1 der Entscheidung 83/396 über die von der italienischen Regierung vorgesehenen Beihilfen zugunsten italienischer stahlerzeugender Unternehmen erlaubt die Gewährung der Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico nur zugunsten der Unternehmen, die im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung zum Privatsektor gehörten.

2. Eine Entscheidung der Kommission über die Genehmigung einer Beihilfe, die ein Mitgliedstaat ausschließlich zugunsten privater Unternehmen vorsieht, verstösst nicht gegen Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag, der Maßnahmen oder Praktiken verbietet, die eine Diskriminierung zwischen Erzeugern herbeiführen, wenn zum einen andere, ebenfalls genehmigte Beihilfen ausschließlich zugunsten der öffentlichen Unternehmen dieses Mitgliedstaats vorgesehen sind, und wenn zum anderen alle genehmigten Beihilfen nach Maßgabe des von von jedem Empfänger oder jeder Empfängergruppe zugesagten Kapazitätsabbaus beurteilt worden sind.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 24. FEBRUAR 1994. - TERNI SPA UND ITALSIDER SPA GEGEN CASSA CONGUAGLIO PER IL SETTORE ELETTRICO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CONSIGLIO DI STATO - ITALIEN. - STAATLICHE BEIHILFEN - AUSLEGUNG DER ENTSCHEIDUNG 83/396/EGKS - BESTIMMUNG DES EMPFAENGER EINER BEIHILFE - GUELTIGKEIT DER ENTSCHEIDUNG 83/396/EGKS - GRUNDSATZ DER GLEICHBEHANDLUNG VON OEFFENTLICHEN UND PRIVATEN UNTERNEHMEN. - RECHTSSACHE C-99/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der italienische Consiglio di Stato hat mit Entscheidung vom 6. Februar 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 27. März 1992, gemäß Artikel 41 EGKS-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit der Entscheidung 83/396/EGKS der Kommission vom 29. Juni 1983 über die von der italienischen Regierung vorgesehenen Beihilfen zugunsten italienischer stahlerzeugender Unternehmen (ABl. L 227, S. 24; im folgenden: Entscheidung 83/396) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer Anfechtungsklage, die die italienischen Stahlunternehmen Terni SpA und Italsider SpA (im folgenden: Klägerinnen) gegen eine Entscheidung der Cassa conguaglio per il settore elettrico (Ausgleichskasse für die Elektrizitätswirtschaft) erhoben haben, mit der diese unter Berufung auf die genannte Entscheidung der Kommission die Gewährung einer staatlichen Beihilfe an die Klägerinnen ablehnte.

3 Artikel 1 des Decreto-legge Nr. 495 vom 4. September 1981 betreffend Dringlichkeitsmaßnahmen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie und Maßnahmen zur Behebung von Umweltverschmutzungen (GURI Nr. 244 vom 5.9.1981; im folgenden: Decreto-legge) in der Fassung des Umwandlungsgesetzes Nr. 617 vom 4. November 1981 (GURI Nr. 303 vom 4.11.1981) führte eine Beihilfe zugunsten bestimmter Elektrostahlunternehmen in Form einer Herabsetzung des Strompreises ein. Die Beihilfe bestand in einer Rückerstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico - eines Zuschlags zum Strompreis, der eingeführt wurde, um Energieeinsparungen anzuregen, und dessen Höhe vom Interministeriellen Preisausschuß (im folgenden: CIP) regelmässig neu festgesetzt wurde - durch den italienischen Staat.

4 Gemäß Artikel 1 des Ministerialdekrets vom 26. Januar 1982 (GURI Nr. 71 vom 13.3.1982; im folgenden: Ministerialdekret) waren die Empfänger dieser Beihilfe die "Unternehmen der Elektrostahlindustrie..., in deren Betrieben der Energieverbrauch... durch die Elektroöfen für die Stahlproduktion sich im Jahr auf 50 % oder mehr des Gesamtverbrauchs dieser Betriebe an elektrischer Energie beläuft."

5 In Übereinstimmung mit der Entscheidung Nr. 2320/81/EGKS vom 7. August 1981 betreffend gemeinschaftliche Regeln für Beihilfen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie (ABl. L 228, S. 14) unterrichtete die italienische Regierung die Kommission von der nach dem Decreto-legge vorgesehenen Beihilfe.

6 Mit Schreiben vom 1. Oktober, 20. November und 3. Dezember 1981 sowie vom 30. September 1982 hat sie darüber hinaus von weiteren Beihilfevorhaben Mitteilung gemacht, die ausschließlich für zwei Mitglieder der öffentlichen Holdinggesellschaft Istituto per la Ricostruzione Industriale (Institut für den Wiederaufbau der Industrie) vorgesehen waren, nämlich die Finsider-Gruppe, zu der die Klägerinnen gehörten, einerseits und die Firma Sisma andererseits.

7 Nach Einholung der Äusserungen der italienischen Regierung und nach Änderung verschiedener Beihilfen durch diese genehmigte die Kommission am 29. Juni 1983 die verschiedenen zugunsten der Finsider-Gruppe, der Firma Sisma und der anderen Stahlunternehmen vorgesehenen Beihilfen durch eine einzige Entscheidung, nämlich die Entscheidung 83/396.

8 Artikel 1 dieser Entscheidung bestimmt:

"Die Beihilfen, die die italienische Regierung an die Finsider-Gruppe, das Unternehmen Sisma und an Stahlunternehmen, deren jährlicher Elektrönergieverbrauch zu über 50 % auf die Verwendung von Elektroöfen entfällt, zu gewähren beabsichtigt, sind vorbehaltlich der in den Artikeln 2 bis 5 genannten Auflagen und Bedingungen mit dem ordnungsgemässen Funktionieren des Gemeinsamen Marktes vereinbar:

1. An Finsider:

- Investitionsbeihilfen:

-...

- Betriebsbeihilfen:

- Zinsvergütung und staatliche Bürgschaft für eine vom IRI aufzulegende Anleihe in Höhe von 2 000 Mrd. LIT für Finsider;

- Deckung von Verlusten ehemaliger Werke der EGAM-Gruppe: 494,4 Mrd. LIT;

- Deckung von sogenannten 'indirekten' oder 'unbereinigten' Lasten: 313 Mrd. LIT;

- Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen bis zu 57 Mrd. LIT;

- Ausstattung des IRI im Hinblick auf die Kapitalzuführung an die Finsider: 5 937,9 Mrd. LIT;

2. Ausstattung des IRI zwecks Kapitalzuführung an Sisma: 49,007 Mrd. LIT;

3. An private Unternehmen:

- Aufkommen der Staatskasse für die vom interministeriellen Preisausschuß mit Wirkung vom 31. März 1981 bis 31. Dezember 1982 festgesetzten Erhöhungen des sovrapprezzo termico;

-..."

9 Unter Berufung auf diese Entscheidung der Kommission beschloß die nach italienischem Recht für die Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico zuständige Cassa conguaglio per il settore elettrico am 21. März 1984, zukünftig keine Erstattungen mehr an die Klägerinnen zu leisten. Sie beschloß weiter, die Beträge, die bisher an die Klägerinnen aufgrund des Decreto-legge und des Ministerialdekrets gezahlt worden waren, nämlich 82 814 829 LIT bzw. 293 833 262 LIT, zurückzufordern. Die Kommission habe derartige Beihilfen nämlich nur zugunsten der privaten Unternehmer zugelassen, zu denen die Klägerinnen aufgrund der Beteiligung der öffentlichen Hand an ihrem Gesellschaftskapital nicht gehörten.

10 Nachdem das Tribunale Amministrativo Regionale del Lazio die von den Klägerinnen gegen die Entscheidung der Cassa conguaglio per il settore elettrico erhobene Anfechtungsklage abgewiesen hatte, legten diese beim Consiglio di Stato Berufung ein. Da dieser der Auffassung ist, die Entscheidung über den Rechtsstreit hänge von der Tragweite der Entscheidung der Kommission ab, hat er den Gerichtshof ersucht, festzustellen,

"ob die genannte Entscheidung bei der Genehmigung der nach den betreffenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Beihilfen und bei der Festlegung ihrer Grenzen die Klägerinnen aufgrund ihrer Rechtsform nach innerstaatlichem Recht oder aufgrund der Beteiligung der öffentlichen Hand an ihrem Gesellschaftskapital als private oder als öffentliche Unternehmen angesehen hat und deshalb die Übernahme der erwähnten Erhöhungen des sovrapprezzo termico durch die Staatskasse in ihrem Fall genehmigt hat" und

"ob die Klägerinnen, wenn sie in dieser Entscheidung als öffentliche Unternehmen angesehen werden, an den für Finsider und Sisma genehmigten verschiedenen Beihilfen aber nicht teilhaben, bezueglich der Übernahme der Erhöhungen des sovrapprezzo termico durch die Staatskasse im Verhältnis zu den privaten Unternehmen ungleich behandelt worden sind".

Zur Frage der Beihilfeempfänger

11 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Entscheidung 83/396 die Gewährung der Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico an die Klägerinnen erlaubt.

12 Zunächst ist festzustellen, daß Artikel 1 der Entscheidung 83/396 bei den Beihilfeempfängern zwischen der Finsider-Gruppe, dem Unternehmen Sisma und den privaten Unternehmen unterscheidet, daß er für jeden Empfänger oder jede Empfängergruppe die genehmigten Beihilfen aufführt und daß er die Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico ausdrücklich nur zugunsten der privaten Unternehmen erlaubt.

13 Ferner ergibt sich aus der zehnten Begründungserwägung der Entscheidung 83/396, daß die Kommission davon ausgegangen ist, daß die ihr zur Prüfung vorgelegte Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico ausschließlich den Privatsektor betraf.

14 Da die Klägerinnen im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung 83/396 zur öffentlichen Holdinggesellschaft Finsider gehörten, hat diese Entscheidung die Gewährung der Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico an die Klägerinnen nicht erlaubt.

15 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 1 der Entscheidung 83/396/EGKS der Kommission vom 29. Juni 1983 über die von der italienischen Regierung vorgesehenen Beihilfen zugunsten italienischer stahlerzeugender Unternehmen die Gewährung der Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico an die Terni SpA und die Italsider SpA nicht erlaubt.

Zur Frage der Gültigkeit der Entscheidung

16 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Entscheidung 83/396 in dem Fall, daß die Klägerinnen nicht in den Genuß der Beihilfe in der Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico gelangen könnten, ungültig wäre, da sie zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der privaten Stahlunternehmen und derjenigen Stahlunternehmen führen würde, die zu öffentlichen Konzernen gehören.

17 Zunächst ist festzustellen, daß die Entscheidung 83/396 die Gewährung der Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico an die Klägerinnen zwar nicht erlaubt, die im übrigen von ihr erlaubten Investitions- und Betriebsbeihilfen jedoch nach italienischem Recht nur zugunsten der Finsider-Gruppe vorgesehen sind, und daß sich aus den Antworten der italienischen Regierung, der Kommission und der Klägerinnen auf die Fragen des Gerichtshofes ergibt, daß den Klägerinnen tatsächlich diese Beihilfen gewährt wurden.

18 Zweitens ergibt sich aus den Begründungserwägungen der Entscheidung 83/396, daß die Kommission die zugunsten der Finsider-Gruppe, des Unternehmens Sisma und der privaten Unternehmen jeweils vorgesehenen Beihilfen nach Maßgabe des von jedem Empfänger oder jeder Empfängergruppe zugesagten Kapazitätsabbaus beurteilt hat.

19 Unter diesen Umständen ist das Vorbringen, die Entscheidung 83/396 sei ungültig, weil die Kommission gegen Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag verstossen habe, der Maßnahmen oder Praktiken verbietet, die eine Diskriminierung zwischen Erzeugern herbeiführen, indem sie die Gewährung der Beihilfe in der Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico an die Klägerinnen nicht erlaubt habe, unbegründet.

20 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß sich bei ihrer Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Entscheidung 83/396/EGKS der Kommission beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Consiglio di Stato mit Entscheidung vom 6. Februar 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 1 der Entscheidung 83/396/EGKS der Kommission vom 29. Juni 1983 über die von der italienischen Regierung vorgesehenen Beihilfen zugunsten italienischer stahlerzeugender Unternehmen erlaubt die Gewährung der Beihilfe in Form der Erstattung der Erhöhungen des sovrapprezzo termico an die Terni SpA und die Italsider SpA nicht.

2) Bei der Prüfung der zweiten Frage hat sich nichts ergeben, was die Gültigkeit der Entscheidung 83/396/EGKS der Kommission beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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