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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 24.10.1991
Aktenzeichen: T-1/89
Rechtsgebiete: EWG, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages


Vorschriften:

EWG Art. 85 Abs. 1
EWG Art. 190
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages Art. 15
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dies ist der Fall, wenn es zwischen mehreren Unternehmen zu einer Willensübereinstimmung im Hinblick auf Preis- und Verkaufsmengenziele kommt.

2. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, anhand deren sich der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bestimmen lässt, sind im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht.

Die Teilnahme an Sitzungen, deren Zweck es ist, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen, und in denen die Wettbewerber Informationen über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigen, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen oder über ihre Verkaufszahlen austauschen, stellt eine abgestimmte Verhaltensweise dar, denn die an den Sitzungen teilnehmenden Unternehmen berücksichtigen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens zwangsläufig auch die auf diese Weise mitgeteilten Informationen.

3. Da Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag für eine komplexe Zuwiderhandlung, die jedoch einheitlich ist, weil sie in einem durch ein einziges Ziel gekennzeichneten kontinuierlichen Verhalten besteht und sowohl Einzelakte aufweist, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" darstellen, keine spezifische Subsumtion vorschreibt, kann eine solche Zuwiderhandlung als "Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert werden, ohne daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich wäre, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt.

4. Der Kommission ist nicht verboten, über eine Reihe von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag, an denen die einzelnen Unternehmen, die Adressaten der Entscheidung sind, nicht in derselben Weise beteiligt sind, eine einzige Entscheidung zu erlassen, sofern die Entscheidung jedem Adressaten die Möglichkeit bietet, genau festzustellen, welche Vorwürfe gegen ihn erhoben worden sind.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 24. OKTOBER 1991. - RHONE-POULENC SA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - BEGRIFF DER VEREINBARUNG UND DER ABGESTIMMTEN VERHALTENSWEISE - KOLLEKTIVE VERANTWORTLICHKEIT. - RECHTSSACHE T-1/89

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft eine Entscheidung der Kommission, mit der fünfzehn Herstellern von Polypropylen wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag eine Geldbusse auferlegt wurde. Das von der angefochtenen Entscheidung (nachstehend: Entscheidung) erfasste Erzeugnis ist eines der wichtigsten thermoplastischen Polymere. Polypropylen wird von den Herstellern an die Verarbeiter zur Weiterverarbeitung zu Fertig- und Halbfertigerzeugnissen verkauft. Die wichtigsten Hersteller von Polypropylen verfügen über eine Palette von mehr als hundert verschiedenen Sorten für einen breiten Fächer von Verwendungszwecken. Die wichtigsten Polypropylengrundsorten sind Raffia, Homopolymer für Spritzguß, Kopolymer für Spritzguß, hochschlagfestes Kopolymer und Folien. Alle Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, sind grosse Hersteller petrochemischer Erzeugnisse.

2 Der westeuropäische Polypropylenmarkt wird fast ausschließlich von europäischen Produktionsstätten beliefert. Vor 1977 wurde dieser Markt von zehn Herstellern beliefert, nämlich von den Unternehmen Montedison (die spätere Montepolimeri SpA und jetzige Montedipe SpA), Hoechst AG, Imperial Chemical Industries PLC und Shell International Chemical Company Ltd (den sogenannten "vier Grossen"), die zusammen 64 % des Marktes innehatten, Enichem Anic SpA in Italien, Rhône-Poulenc SA in Frankreich, Alcudia in Spanien, Chemische Werke Hüls und BASF AG in Deutschland sowie Chemie Linz AG in Österreich. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente von Montedison traten 1977 in Westeuropa sieben neue Hersteller auf: Amoco und Hercules Chemicals NV in Belgien, ATO Chimie SA und Solvay & Cie SA in Frankreich, SIR in Italien, DSM NV in den Niederlanden und Taqsa in Spanien. Der norwegische Hersteller Saga Petrokjemi AS & Co. und die Petrofina SA nahmen ihre Tätigkeit Mitte 1978 beziehungsweise im Jahre 1980 auf. Das Auftreten neuer Hersteller mit einer nominalen Kapazität von rund 480 000 t bewirkte ein erhebliches Anwachsen der Produktionskapazität in Westeuropa, die mehrere Jahre lang nicht durch einen entsprechenden Anstieg der Nachfrage ausgeglichen wurde. Dies hatte einen geringen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten zur Folge; zwischen 1977 und 1983 soll der Auslastungsgrad jedoch schrittweise von 60 % auf 90 % gestiegen sein. Nach der Entscheidung sollen sich Angebot und Nachfrage von 1982 an im grossen und ganzen im Gleichgewicht befunden haben. Während des grössten Teils des Untersuchungszeitraums (1977-1983) sei der Polypropylenmarkt jedoch durch eine niedrige Rentabilität oder durch erhebliche Verluste gekennzeichnet gewesen, und zwar namentlich wegen der Bedeutung der fixen Kosten und des Anstiegs des Preises des Ausgangsstoffes Propylen. Nach Randnummer 8 der Entscheidung beliefen sich 1983 die europäischen Marktanteile der Montepolimeri SpA auf 18 %, der Imperial Chemical Industries, der Shell International Chemical Company Ltd und Hoechst AG auf jeweils 11 %, der Hercules Chemicals NV auf knapp 6 %, der ATO Chimie SA, der BASF AG, der DSM NV, der Chemische Werke Hüls, der Chemie Linz AG, der Solvay & Cie. SA und der Saga Petrokjemi AS & Co. auf jeweils 3 bis 5 % und der Petrofina SA auf etwa 2 %. Der Polypropylenhandel zwischen Mitgliedstaaten sei groß gewesen, da jeder der damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller in die meisten, wenn nicht in alle Mitgliedstaaten verkauft habe.

3 Die Klägerin gehörte zu den Herstellern, die den Markt vor 1977 belieferten. Sie war ein kleiner Hersteller auf dem Polypropylenmarkt mit einem Marktanteil zwischen 2,8 und 3 %. Ende 1980 verließ sie den Markt, als sie ihr Polypropylengeschäft an die BP Chimie abgab.

4 Am 13. und 14. Oktober 1983 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, S. 204; nachstehend: Verordnung Nr. 17) gleichzeitig Nachprüfungen bei den folgenden, den Markt der Gemeinschaft beliefernden Herstellern von Polypropylen durch:

- ATO Chimie SA, jetzt Atochem (nachstehend: ATO);

- BASF AG (nachstehend: BASF);

- DSM NV (nachstehend: DSM);

- Hercules Chemicals NV (nachstehend: Hercules);

- Hoechst AG (nachstehend: Hoechst);

- Chemische Werke Hüls (nachstehend: Hüls);

- Imperial Chemical Industries PLC (nachstehend: ICI);

- Montepolimeri SpA, jetzt Montedipe (nachstehend: Monte);

- Shell International Chemical Company Ltd (nachstehend: Shell);

- Solvay & Cie. SA (nachstehend: Solvay);

- BP Chimie (nachstehend: BP).

Keine Nachprüfungen erfolgten bei Rhône-Poulenc SA (nachstehend: Rhône-Poulenc oder Klägerin) und bei der Enichem Anic SpA.

5 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 (nachstehend: Auskunftsverlangen) nicht nur an die genannten, sondern auch an folgende Unternehmen:

- Amoco;

- Chemie Linz AG (nachstehend: Linz);

- Saga Petrokjemi AS & Co., jetzt Teil von Statoil (nachstehend: Statoil);

- Petrofina SA (nachstehend: Petrofina);

- Enichem Anic SpA (nachstehend: Anic).

Linz, ein österreichisches Unternehmen, bestritt die Zuständigkeit der Kommission und weigerte sich, dem Auskunftsverlangen nachzukommen. Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 führten Kommissionsbeamte anschließend Nachprüfungen bei Anic und bei der Saga Petrochemicals UK Ltd, der englischen Tochter von Saga, sowie bei den Verkaufsgesellschaften von Linz im Vereinigten Königreich und in der Bundesrepublik Deutschland durch. An die Klägerin erging kein Auskunftsverlangen.

6 Anhand des im Rahmen dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials gelangte die Kommission zu der vorläufigen Auffassung, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag durch eine Reihe von Preisinitiativen regelmässig Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich aufzuteilen. Am 30. April 1984 beschloß die Kommission deshalb, ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten. Im Mai 1984 übermittelte sie den genannten Unternehmen mit Ausnahme von Anic und der Klägerin die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte. Alle Adressaten äusserten sich dazu schriftlich.

7 Am 24. Oktober 1984 traf der von der Kommission ernannte Anhörungsbeauftragte mit den Rechtsberatern der Adressaten der Beschwerdepunkte zusammen, um Vereinbarungen über den Ablauf der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgesehenen Anhörung zu treffen, deren Beginn für den 12. November 1984 vorgesehen war. In dieser Sitzung teilte die Kommission den Unternehmen ausserdem zu den in den Antworten auf die Beschwerdepunkte vorgebrachten Argumenten mit, sie werde ihnen in Kürze ergänzende Unterlagen zu den bereits übermittelten Beweismitteln bezueglich der Durchsetzung der Preisinitiativen zuleiten. Demgemäß übersandte sie den Rechtsberatern der Unternehmen am 31. Oktober 1984 eine Reihe von Unterlagen, die Kopien der einschlägigen Preisinstruktionen der Hersteller für ihre Verkaufsstellen einschließlich der Tabellen enthielten, in denen diese Belege zusammengefasst waren. Um die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses zu gewährleisten, verband die Kommission diese Übermittlung mit bestimmten Auflagen; insbesondere durften die übersandten Unterlagen nicht an die kaufmännischen Abteilungen der Unternehmen weitergegeben werden. Die Anwälte einiger Unternehmen lehnten diese Auflagen ab und schickten die Unterlagen vor der mündlichen Anhörung zurück.

8 Aufgrund der Angaben in den schriftlichen Antworten auf die Beschwerdepunkte beschloß die Kommission, das Verfahren auf Anic und die Klägerin auszudehnen. Demgemäß übersandte sie diesen Unternehmen am 25. Oktober 1984 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die der den anderen fünfzehn Unternehmen übersandten Mitteilung ähnlich war.

9 Eine erste Reihe von Anhörungen fand vom 12. bis zum 20. November 1984 statt. In ihr wurden mit Ausnahme von Shell (die sich geweigert hatte, an einer Anhörung teilzunehmen) sowie Anic, ICI und der Klägerin (die sich nicht in der Lage sahen, ihre Unterlagen vorzubereiten) alle Unternehmen angehört.

10 Bei diesen Anhörungen weigerten sich mehrere Unternehmen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, die in den ihnen am 31. Oktober 1984 übersandten Unterlagen angeschnitten worden waren, da die Kommission die gesamte Bewertung des Falles geändert habe; sie müssten zumindest Gelegenheit erhalten, sich hierzu schriftlich zu äussern. Andere machten geltend, sie hätten nicht genügend Zeit gehabt, die betreffenden Unterlagen vor der Anhörung zu prüfen. Die Anwälte von BASF, DSM, Hercules, Hoechst, ICI, Linz, Monte, Petrofina und Solvay übersandten der Kommission am 28. November 1984 ein gemeinsames Schreiben in diesem Sinne. In einem Schreiben vom 4. Dezember 1984 schloß sich Hüls dieser Linie an.

11 Daraufhin leitete die Kommission den Unternehmen am 29. März 1985 eine neue Serie von Dokumenten zu, die die Preisanweisungen der Unternehmen an ihre Verkaufsbüros wiedergaben, begleitet von Preistabellen, sowie eine Zusammenfassung der Beweise für alle Preisinitiativen, für die Unterlagen verfügbar waren. Die Unternehmen wurden aufgefordert, sich dazu schriftlich und in einer weiteren mündlichen Anhörung zu äussern. Die ursprünglichen Auflagen bezueglich der Weitergabe an die kaufmännischen Abteilungen hob die Kommission auf.

12 In einem weiteren Schreiben gleichen Datums ging die Kommission auf das Vorbringen der Anwälte ein, sie habe die Rechtsnatur des angeblichen Kartells nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht eindeutig definiert. Sie forderte die Unternehmen auf, sich hierzu schriftlich und mündlich zu äussern.

13 Eine zweite Reihe von Anhörungen fand vom 8. bis zum 11. Juli 1985 und am 25. Juli 1985 statt. Dabei äusserten sich Anic, ICI und die Klägerin; die anderen Unternehmen (mit Ausnahme von Shell) nahmen zu den von der Kommission in den beiden Schreiben vom 29. März 1985 angesprochenen Fragen Stellung.

14 Der Entwurf der Niederschrift über die Anhörungen sowie alle anderen entscheidungserheblichen Unterlagen wurden den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen (nachstehend: Beratender Ausschuß) am 19. November 1985 übergeben und den Unternehmen am 25. November 1985 zugesandt. Der Beratende Ausschuß gab seine Stellungnahme in seiner 170. Sitzung vom 5. und 6. Dezember 1985 ab.

15 Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission die streitige Entscheidung vom 23. April 1986. Der verfügende Teil dieser Entscheidung lautet wie folgt:

"Artikel 1

Anic SpA, ATO Chemie SA (heute Atochem), BASF AG, DSM NV, Hercules Chemicals NV, Hoechst AG, Chemische Werke Hüls (jetzt Hüls AG), ICI PLC, Chemische Werke Linz, Montepolimeri SpA (jetzt Montedipe), Petrofina SA, Rhône-Poulenc SA, Shell International Chemical Co. Ltd, Solvay & Cie und Saga Petrokjemi AG & Co. (jetzt Teil der Statoil) haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie

- im Fall von Anic von etwa November 1977 bzw. 1978 bis weit ins Jahr 1982 oder Anfang 1983;

- im Fall von Rhône-Poulenc von etwa November 1977 bis Ende 1980;

- im Fall von Petrofina von 1980 bis mindestens November 1983;

- im Fall von Hoechst, ICI, Montepolimeri und Shell von etwa Mitte 1977 bis mindestens November 1983;

- im Fall von Hercules, Linz, Saga und Solvay von etwa November 1977 bis mindestens November 1983;

- im Fall von ATO von mindestens 1978 bis mindestens November 1983;

- im Fall von BASF, DSM und Hüls von einem Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 bis mindestens November 1983

an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller:

a) miteinander Verbindung hatten und sich regelmässig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen trafen, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;

b) von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EWG Ziel- (oder Mindest-)preise festlegten;

c) verschiedene Maßnahmen trafen, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) unter anderem durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der 'Kundenführerschaft' zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden;

d) gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen;

e) den Markt aufteilten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt wurde oder, falls es zu keiner endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr kam, die Hersteller aufgefordert wurden, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum einzuschränken (1981, 1982).

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen (falls sie es noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer Polypropylengeschäfte von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die die Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oder aufgrund deren sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum Austausch allgemeiner Informationen, dem sich die Hersteller anschließen (wie FIDES), muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt. Die Unternehmen dürfen insbesondere untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevanten Informationen austauschen, die ein solches System nicht erfasst.

Artikel 3

Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des in Artikel 1 festgestellten Verstosses folgende Geldbussen festgesetzt:

i) Anic SpA, eine Geldbusse von 750 000 ECU bzw. 1 103 692 500 LIT;

ii) Atochem, eine Geldbusse von 1 750 000 ECU bzw. 11 973 325 FF;

iii) BASF AG, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 5 362 225 DM;

iv) DSM NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 6 657 640 HFL;

v) Hercules Chemicals NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 120 569 620 BFR;

vi) Hoechst AG, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 19 304 010 DM;

vii) Hüls AG, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 5 898 447,50 DM;

viii) ICI PLC, eine Geldbusse von 10 000 000 ECU bzw. 6 447 970 UKL;

ix) Chemische Werke Linz, eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 1 471 590 000 LIT;

x) Montedipe, eine Geldbusse von 11 000 000 ECU bzw. 16 187 490 000 LIT;

xi) Petrofina SA, eine Geldbusse von 600 000 ECU bzw. 26 306 100 BFR;

xii) Rhône-Poulenc SA, eine Geldbusse von 500 000 ECU bzw. 3 420 950 FF;

xiii) Shell International Chemical Co. Ltd, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 5 803 173 UKL;

xiv) Solvay & Cie, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 109 608 750 BFR;

xv) Statoil Den Norske Stats Oljeselskap AS (nunmehr einschließlich Saga Petrokjemi), eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 644 797 UKL.

Artikel 4 und 5

[nicht wiedergegeben]"

16 Am 8. Juli 1986 wurde den Unternehmen die endgültige Niederschrift über die Anhörungen mit den von ihnen verlangten Berichtigungen, Zusätzen und Streichungen übermittelt.

Verfahren

17 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 18. Juli 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Dreizehn der vierzehn übrigen Adressaten dieser Entscheidung haben ebenfalls Nichtigkeitsklage erhoben (Rechtssachen T-2/89 bis T-4/89, T-6/89 bis T-15/89).

18 Das gesamte schriftliche Verfahren ist vor dem Gerichtshof abgelaufen.

19 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof diese und die dreizehn übrigen Rechtssachen gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988) an das Gericht verwiesen.

20 Gemäß Artikel 2 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 hat der Präsident des Gerichts einen Generalanwalt bestellt.

21 Mit Schreiben vom 3. Mai 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien zur Teilnahme an einer informellen Sitzung aufgefordert, um die Einzelheiten der Durchführung der mündlichen Verhandlung festzulegen. Diese Sitzung hat am 28. Juni 1990 stattgefunden.

22 Mit Schreiben vom 9. Juli 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien gebeten, sich zu einer eventuellen Verbindung der Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89 und T-6/89 bis T-15/89 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren zu äussern. Keine der Parteien hat hiergegen Einwände erhoben.

23 Mit Beschluß vom 25. September 1990 hat das Gericht die genannten Rechtssachen wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs nach Artikel 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend galt, zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden.

24 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat das Gericht über die von den Klägerinnen in den Rechtssachen T-2/89, T-3/89, T-9/89, T-11/89, T-12/89 und T-13/89 gestellten Anträge auf vertrauliche Behandlung entschieden und ihnen teilweise stattgegeben.

25 Mit Schreiben, die zwischen dem 9. Oktober und dem 29. November 1990 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Parteien die ihnen vom Gericht mit Schreiben des Kanzlers vom 19. Juli 1990 gestellten Fragen beantwortet.

26 In Anbetracht der Antworten auf diese Fragen hat das Gericht auf Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

27 Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung, die vom 10. bis 15. Dezember 1990 stattgefunden hat, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

28 Der Generalanwalt hat seine Schlussanträge in der Sitzung vom 10. Juli 1991 vorgetragen.

Anträge der Parteien

29 Die Klägerin beantragt,

1) die Entscheidung der Beklagten vom 23. April 1986 (IV/31.149 - Polypropylen) für nichtig zu erklären;

2) hilfsweise, diese Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit mit ihr eine Geldbusse gegen die Klägerin festgesetzt worden ist;

3) äusserst hilfsweise, diese Geldbusse herabzusetzen.

Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen,

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

30 Nach Auffassung des Gerichts sind zuerst die Rügen der Klägerin bezueglich der Feststellung der Zuwiderhandlung zu prüfen, die sich zum einen auf die von der Kommission getroffenen Tatsachenfeststellungen (1) und zum anderen auf deren rechtliche Qualifizierung (2) beziehen; zweitens die Rügen der Klägerin bezueglich der Begründung der Entscheidung, die dahin gehen, daß eine gemeinsame Entscheidung für mehrere Unternehmen getroffen worden (1), daß sie unzureichend begründet (2) und daß die Begründung widersprüchlich sei (3); drittens die Rügen der Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und viertens die Rügen bezueglich der Festsetzung der Geldbusse, die weder der Dauer (1) noch der Schwere (2) der behaupteten Zuwiderhandlung angemessen sei.

Zur Feststellung der Zuwiderhandlung

31 Nach Randnummer 80 Absatz 1 der Entscheidung haben sich die Polypropylenhersteller, die die Gemeinschaft beliefern, seit 1977 an einer ganzen Reihe von Plänen, Absprachen und Maßnahmen beteiligt, die im Rahmen eines Systems regelmässiger Sitzungen und ständiger Kontakte beschlossen worden seien. Der allgemeine Plan der Hersteller sei es gewesen, sich über spezifische Angelegenheiten zu einigen (Entscheidung, Randnr. 80 Absatz 2).

32 Unter diesen Umständen ist zunächst zu prüfen, ob der Kommission rechtlich der Beweis für ihre tatsächlichen Feststellungen betreffend die Sitzung eines Fachverbands der Kunden, der European Association for Textile Polyolefins (nachstehend: EATP) vom 22. November 1977 (A), das System der regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller (B), die Preisinitiative von Juli bis Dezember 1979 (C), und die Festsetzung von Absatzzielen und Quoten (D) gelungen ist; dabei sind jeweils zunächst die angefochtene Handlung (a) und das Vorbringen der Parteien (b) darzulegen und sodann zu würdigen (c). Danach ist die von der Kommission vorgenommene rechtliche Qualifizierung dieser Tatsachen zu überprüfen.

1. Die tatsächlichen Feststellungen

A - Die EATP-Sitzung vom 22. November 1977

a) Angefochtene Handlung

33 Die Entscheidung (Randnrn. 17 Absatz 4, 78 Absatz 3 und 104 Absatz 2) wirft der Klägerin vor, ebenso wie Hercules, Hoechst, ICI, Linz, Saga und Solvay erklärt zu haben, die Ankündigung von Monte in einem Bericht der Fachpresse (European Chemical News, nachstehend: ECN) vom 18. November 1977, den Raffiapreis auf 1,30 DM/kg ab dem 1. Dezember anzuheben, zu unterstützen. Aus den bei dem EATP-Treffen vom 22. November 1977 abgegebenen verschiedenen Erklärungen ergebe sich laut Sitzungsprotokoll, daß der von Monte festgesetzte Preis von 1,30 DM/kg von den anderen Herstellern als allgemeiner "Zielpreis" angenommen worden sei.

34 Nach Randnummer 16 Absätze 1 und 2 der Entscheidung ist die Unterstützung unter dem Eindruck der Gespräche erklärt worden, die die Hersteller miteinander aufgenommen hätten, um einen Preisverfall bei Polypropylen und damit verbundene Verluste zu vermeiden. Als Folge dieser Gespräche hätten die Haupthersteller, Monte, Hoechst, ICI und Shell, eine "Mindestpreisvereinbarung" ("floor price agreement") getroffen, die am 1. August 1977 habe in Kraft treten sollen und deren Einzelheiten anderen Herstellern, darunter auch Hercules, mitgeteilt worden seien.

35 In Randnummer 16 Absätze 5 und 6 der Entscheidung heisst es darüber hinaus, daß ICI und Shell einräumten, daß es Kontakte mit anderen Herstellern gegeben habe, um zu prüfen, wie dem Preisverfall habe Einhalt geboten werden können. Die Kommission räumt jedoch ein, daß mit Ausnahme der "grossen Vier" (Hoechst, ICI, Monte und Shell), Hercules und Solvay die Identität der anderen seinerzeit an den Gesprächen beteiligten Hersteller nicht habe festgestellt werden können und Einzelheiten der Handhabung der "Mindestpreisvereinbarung" sich nicht hätten ermitteln lassen.

36 Nach Randnummer 17 Absatz 1 der Entscheidung begannen die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller etwa zum Zeitpunkt der Ankündigung von Monte, ihre Preise zu erhöhen. ICI habe aber selbst eingeräumt, daß es schon davor zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sei, vermutlich auf telefonischem Wege und auf einer "Ad-hoc-Basis".

b) Vorbringen der Parteien

37 Die Klägerin macht geltend, der Bericht über die EATP-Sitzung vom 22. November 1977 (Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte, Anlage 6, nachstehend: gem. Bpkte., Anl.) könne nicht herangezogen werden, weil sich vernünftigerweise nicht behaupten lasse, daß diese Sitzung als Rahmen für den Abschluß einer Preisvereinbarung gedient habe. Zum einen sei nämlich kaum anzunehmen, daß Unternehmen ihre Kühnheit so weit trieben, daß sie in Gegenwart ihrer Kunden eine Vereinbarung träfen, die ein rechtswidriges Kartell darstelle, zum anderen ließen die Erklärungen der Teilnehmer an dieser Sitzung keinerlei Verpflichtung bezueglich der Preise erkennen, sondern zeigten lediglich, daß die Teilnehmer sich der objektiven Notwendigkeit bewusst gewesen seien, angesichts der Schwierigkeiten in dem betreffenden Sektor ihre Preise zu erhöhen. Wenn die Klägerin erklärt habe, die Preiserhöhungsaktion von Monte zu unterstützen, so habe es sich um die Ankündigung einer individuellen Entscheidung gehandelt, die bereits zuvor in eigenständiger Weise getroffen worden sei.

38 Die Kommission führt aus, ihre Feststellung, daß sich die Klägerin an dem zur Last gelegten Kartell seit November 1977 beteiligt habe, stütze sich darauf, daß die Klägerin die von Monte öffentlich angekündigte Initiative zur Anhebung der Preise ab Dezember 1977 unterstützt habe. Diese Initiative und die Unterstützung, die sie gefunden habe, seien kein auf Zufall oder den Marktkräften beruhendes Parallelverhalten, sondern eine abgestimmte Aktion gewesen. Der Bericht über die EATP-Sitzung vom 22. November 1977 belege nämlich, daß die von Monte angekündigte Festsetzung des Raffia-Preises auf 1,30 DM/kg bereits vorher als gemeinsamer Zielpreis akzeptiert worden sei, da die Klägerin laut diesem Bericht erklärt habe:

"1977 saw in France and in Europe the drop in prices of polypropylene for extrusion-stretching speed up, and this drop has influenced in no small way, as one of my colleagues said previously, the price of other polypropylene applications.

The lowest prices indicated in our opinion for all producers hardly reach the level of the variable cost of polypropylene, a situation which can no longer be accepted.

On Friday we learnt in the preß, as previously mentioned, that a rise had been announced by one of the main European polypropylene producers.

We think that it is impossible to return, in one go, to the economically acceptable level which is around 3.50 FF, but we, at Rhône-Poulenc have decided to follow this announcement. We have, therefore, informed our commercial agencies of the new price level of Napryl polypropylene, our brand, which as from 28th November, 1977 next will be 3.00 FF."

("1977 verfielen in Frankreich und Europa die Preise für zum Strangpressen bestimmtes Polypropylen zunehmend, und dieser Preisverfall hat, wie einer meiner Kollegen unlängst sagte, einen nicht geringen Einfluß auf den Preis für andere Anwendungen von Polypropylen gehabt.

Die niedrigsten Preise, die nach unserer Meinung für alle Hersteller angezeigt sind, erreichen kaum das Niveau der variablen Kosten bei Polypropylen; diese Situation ist nicht länger tragbar.

Am Freitag haben wir, wie bereits ausgeführt, der Presse entnommen, daß einer der grössten europäischen Polypropylen-Hersteller eine Erhöhung angekündigt hat.

Wir halten es nicht für möglich, in einem Schritt ein wirtschaftlich annehmbares Niveau zu erreichen, das bei 3,50 FF liegt, doch unsere Gesellschaft, Rhône-Poulenc, hat beschlossen, dieser Ankündigung zu folgen. Wir haben daher unseren Verkaufsabteilungen den neuen Preis für Napryl- Polypropylen [unsere Marke] mitgeteilt, der ab 28. November 1977 3,00 FF betragen wird.")

39 Nach Auffassung der Kommission entkräftet der Umstand, daß diese Erklärung vier Tage nach Veröffentlichung der Preiserhöhungen von Monte in den ECN (vom 18. November 1977) erfolgt ist, ihre Schlußfolgerung nicht, weil sich später herausgestellt habe, daß die ECN als Instrument des Kartells benutzt worden seien (dies zeige der Bericht über eine Sitzung der Hersteller vom 1. Juni 1983, in dem es heisse: "Shell was reported to have committed themselves to the move and would lead publicly in ENC" ("Shell soll sich zu diesem Schritt verpflichtet haben und wird in den ECN öffentlich vorangehen", gem. Bpkte., Anl. 40).

40 Berücksichtige man ausserdem den Umstand, daß die ersten Kontakte zwischen den Herstellern zum Zeitpunkt dieser öffentlichen Ankündigung bereits stattgefunden hätten, sei es einfach nicht glaubwürdig, daß die Klägerin sich dieser Initiative ohne vorherige Kontakte angeschlossen habe.

41 Als - mittelbaren - Beweis für ihre Behauptung, daß es vor der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sein müsse, verweist die Kommission auf einen Vermerk über ein Telefongespräch zwischen einem Angestellten von Hercules und einem Angestellten der "grossen Vier" (gem. Bpkte., Anl. 2); denn wenn Hercules von dieser Vereinbarung gewusst habe, müsse dies auch für alle anderen (und damit die Klägerin) gelten.

42 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ausgeführt, daß die Hersteller mit ihren jeweils gleichförmigen Erklärungen in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 bezweckt hätten, gegen ihre Kunden eine gemeinsame Front aufzubauen und sie von der Unvermeidbarkeit einer Preisanhebung in der von Monte angekündigten Grössenordnung zu überzeugen.

c) Würdigung durch das Gericht

43 Das Gericht stellt fest, daß die Erklärungen der Klägerin in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 (gem. Bpkte., Anl. 6) zum einen eine allgemeine Unterstützung der von Monte in die Wege geleiteten Preiserhöhungspolitik zum Ausdruck brachten und zum anderen ein für ihre Wettbewerber bestimmter klarer Hinweis auf das Marktverhalten waren, zu dem sie sich entschlossen hatte. Diese Feststellungen werden durch den Bericht über die folgende EATP-Sitzung vom 26. Mai 1978 (gem. Bpkte., Anl. 7), an der auch die Klägerin teilnahm, bestätigt, in dem wiedergegeben wird, wie die einzelnen Hersteller die nach der Sitzung vom 22. November 1977 erzielten Marktergebnisse beurteilten. Das Eingeständnis der Kommission in der mündlichen Verhandlung, daß sie abgesehen von der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 und einer späteren vom 26. Mai 1978 nicht über unmittelbare Beweise für Kontakte zwischen der Klägerin und den anderen Herstellern verfüge, kann diese Feststellungen nicht erschüttern.

44 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin gegenüber ihren Wettbewerbern ihre allgemeine Unterstützung der von Monte in die Wege geleiteten Preiserhöhungspolitik zum Ausdruck gebracht (Entscheidung, Randnrn. 17 Absatz 4 Satz 1 und 78 Absatz 3 Satz 2) und ihnen einen klaren Hinweis auf das Marktverhalten, zu dem sie sich entschlossen hatte, gegeben hat.

B - Das System der regelmässigen Sitzungen

a) Angefochtene Handlung

45 Nach Randnummer 18 Absatz 1 der Entscheidung haben im Jahr 1978 zwischen den für die Gesamtausrichtung der Polypropylenaktivitäten einiger Hersteller zuständigen Topmanagern ("Chefs") mindestens sechs Sitzungen stattgefunden. Dieses System sei schon bald durch Sitzungen leitender Angestellte einer niedrigeren Führungsebene mit gründlichen Vertriebskenntnissen ("Experten") ergänzt worden (hierzu wird auf die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 Bezug genommen, gem. Bpkte., Anl. 8). In der Entscheidung wird der Klägerin vorgeworfen, an diesen Sitzungen bis zur Übertragung ihres Polyproylengeschäfts auf BP Ende 1980 regelmässig teilgenommen zu haben (Randnrn. 18 Absatz 3 und 19 Absatz 1).

46 Laut Randnummer 21 der Entscheidung waren Zweck dieser regelmässigen Sitzungen insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und Verkaufsmengenzielen sowie die Kontrolle ihrer Einhaltung durch die Hersteller.

b) Vorbringen der Parteien

47 Die Klägerin bringt vor, daß die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) - in der diese behaupte, Rhône-Poulenc, Anic und SIR hätten zwischen 1979 und 1983, als sie im westeuropäischen Polypropylensektor tätig gewesen seien, regelmässig an den Sitzungen teilgenommen - für sich allein ihre Teilnahme an den Sitzungen nicht belegen könne. Der Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) sei ein schwer deutbarer handgeschriebener Vermerk, der die Namen der Sitzungsteilnehmer nicht nenne und mithin ihre Teilnahme nicht beweisen könne.

48 Nach Auffassung der Kommission belegt die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen die Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen zwischen 1979 und 1980. Die Beweiskraft der Antwort von ICI werde dadurch bestärkt, daß die Klägerin ihre Teilnahme an den Sitzungen während dieses Zeitraums niemals ausdrücklich bestritten habe.

49 Mit ihrer Teilnahme an diesen Sitzungen habe sich die Klägerin mit dem Zweck dieser Sitzungen, nämlich insbesondere der Festlegung von Preis- und Mengenzielen, einverstanden erklärt.

50 Zwar beträfen die in ihrem Besitz befindlichen Berichte zum grössten Teil Sitzungen, die ab Mitte 1982 stattgefunden hätten, doch sei es nach ihrer Meinung durchaus zulässig, davon auszugehen, daß die Sitzungen in der Zeit vorher die gleichen Diskussionsthemen gehabt und zu den gleichen Ergebnissen geführt hätten. Insoweit bestätige der Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979, daß die 1979 abgehaltenen Sitzungen den gleichen Zweck wie die späteren Sitzungen gehabt hätten.

c) Würdigung durch das Gericht

51 Das Gericht stellt fest, daß sich aus Randnummer 18 Absatz 1 Satz 1 der Entscheidung in Verbindung mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Klägerin (Randnr. 74, letzter Absatz) ergibt, daß dieser nicht vorgeworfen wird, an den sechs Sitzungen der für die Gesamtausrichtung der Polypropylenaktivitäten einiger Hersteller zuständigen Topmanager ("Chefs") des Jahres 1978 teilgenommen zu haben. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte heisst es nämlich: "Es ist nicht bewiesen, daß Vertreter von Rhône-Poulenc 1978 an diesen Sitzungen teilgenommen haben". Die Klägerin wird mithin erst für den unmittelbar folgenden Zeitraum belastet (Entscheidung, Randnr. 18 Absatz 1 Satz 2), der nach der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8), auf die in der Entscheidung Bezug genommen wird, Ende 1978 oder Anfang 1979 begann, mit anderen Worten für den Zeitraum, in dem das System der "Chef"-Sitzungen durch Sitzungen der "Experten" ergänzt wurde.

52 Die Klägerin wird in der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen im Unterschied zu zwei anderen Herstellern zu den regelmässigen Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zwischen 1979 und der Übertragung ihrer Aktivitäten im Polypropylensektor auf BP gezählt. Diese Antwort ist dahin auszulegen, daß die Klägerin an den Sitzungen seit dem Beginn des Systems der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen teilgenommen hat, das Ende 1978 oder Anfang 1979 eingeführt worden ist.

53 Die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen wird in diesem Punkt dadurch bestätigt, daß in verschiedenen bei ICI und ATO gefundenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61, und Schreiben vom 3. April 1985, Anl.) neben dem Namen der Klägerin deren Verkaufszahlen für verschiedene Monate und Jahre aufgeführt sind, obwohl, wie die meisten Klägerinnen in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts eingeräumt haben, es nicht möglich gewesen wäre, die bei ICI, ATO und Hercules entdeckten Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des Informationsaustauschsystems FIDES zu erstellen. In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen hat ICI im übrigen zu einer dieser Tabellen erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Im übrigen hat die Klägerin im Verfahren vor dem Gericht, nachdem ihr diese gewichtigen Indizien vorgehalten worden sind, ihre Anwesenheit bei den von ihr nicht geleugneten Sitzungen niemals substantiiert bestritten.

54 Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission auf der Grundlage der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, die durch den Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) bestätigt wird, schließlich zu Recht angenommen, daß der Zweck der Sitzungen, die zu der Zeit stattgefunden haben, als die Klägerin noch auf dem Markt vertreten war, insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und von Verkaufsmengenzielen gewesen ist. So heisst es in dieser Antwort: "' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule..." und "A number of proposals for the volume of individual producers were discussed at meetings." ("Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte jeder wichtigen Polypropylen-Kategorie vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt..." und "Eine Reihe von Vorschlägen zum Verkaufsvolumen der einzelnen Hersteller wurde in Sitzungen erörtert.")

55 Darüber hinaus ergibt sich über die Organisation aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, in der von der Abhaltung von Sitzungen von "Experten" für den Vertrieb zusätzlich zu den "Chef"-Sitzungen von Ende 1978 oder Anfang 1979 an die Rede ist, daß die Gespräche über die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen immer konkreter und genauer wurden, während sich 1978 die "Chefs" auf die Entwicklung des Konzepts der Zielpreise selbst beschränkt hatten.

56 Über die vorstehend wiedergegebenen Abschnitte hinaus heisst es in der Antwort von ICI auf das Auskunftsersuchen: "Only 'Bosses' and 'Experts' meetings came to be held on a monthly basis" ("Nur die 'Chef' - und 'Experten' -Sitzungen wurden auf monatlicher Grundlage abgehalten"). Zu Recht hat die Kommission aus dieser Antwort sowie aus der Identität von Art und Zweck der Sitzungen geschlossen, daß diese Teil eines Systems regelmässiger Sitzungen waren.

57 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin regelmässig an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zwischen Ende 1978 oder Anfang 1979 und Ende 1980 teilgenommen hat, daß Zweck dieser Sitzungen namentlich die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen war und daß die Sitzungen Teil eines Systems waren.

C - Die Preisinitiative von Juli bis Dezember 1979

a) Angefochtene Handlung

58 Nach Randnummer 28 der Entscheidung wurde ein System zur Festsetzung von Preiszielen mittels Preisinitiativen angewandt, von denen die erste, die habe festgestellt werden können, die von Juli bis Dezember 1979 gewesen sei.

59 In Randnummer 29 der Entscheidung wird eingeräumt, daß kein eingehendes Beweismaterial über irgendwelche Sitzungen oder Preisinitiativen im ersten Halbjahr 1979 vorliege. Aus einem Vermerk über eine Sitzung vom 26. und 27. September 1979 gehe allerdings hervor, daß eine Preisinitiative auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 1,90 DM/kg ab 1. Juli und von 2,05 DM/kg ab 1. September geplant worden sei. Die Kommission habe Preisinstruktionen einiger Hersteller sichergestellt, die die Anweisungen dieser Hersteller an ihre nationalen Verkaufsbüros zur Anwendung dieses Preises beziehungsweise des entsprechenden Betrags in den anderen nationalen Währungen ab 1. September enthielten; diese Instruktionen seien fast alle erteilt worden, bevor die Fachpresse von der geplanten Preiserhöhung gesprochen habe (Entscheidung, Randnr. 30).

60 Wegen der Schwierigkeiten einer Preisanhebung hätten die Hersteller jedoch in ihrer Sitzung vom 26. und 27. September 1979 beschlossen, das Datum für die Erreichung des Preisziels um mehrere Monate auf den 1. Dezember 1979 zu verschieben, wobei die seinerzeit geltenden Preise im Oktober beibehalten werden sollten und die Möglichkeit für eine Zwischenerhöhung auf 1,90 oder 1,95 DM/kg im November bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 31 Absätze 1 und 2).

61 In der Entscheidung (Randnr. 83 Absatz 3) wird eingeräumt, daß bei der Klägerin keine Preisinstruktionen hätten gefunden werden können, was aber ohne Belang sei, weil die Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen und ihre Beteiligung an der Festlegung von Preis- und Verkaufsmengenzielen sich aus den schriftlichen Unterlagen nachweisen lasse.

b) Vorbringen der Parteien

62 Die Klägerin legt dar, daß das Fehlen von Beweisen für ihre Teilnahme an den Sitzungen gegen ihre Beteiligung an der Festlegung von Preiszielen spreche, zumal die Kommission in der mündlichen Verhandlung zugegeben habe, vergeblich nach Preisinstruktionen der Klägerin in deren Geschäftsräumen gesucht zu haben.

63 Die Kommission verweist darauf, daß zum einen ICI in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) geäussert habe: "Generally speaking the concept of recommending 'target Prices' was developed during the early meetings which took place in 1978..." (Allgemein wurde der Plan, 'Zielpreise' zu empfehlen, in den ersten Sitzungen entwickelt, die 1978 stattfanden..."), und zum andern der Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) erwähne, daß die Initiative für eine Anhebung auf 2,05 DM/kg zum 1. September 1979 auf den 1. Dezember 1979 verschoben worden sei. Hinzu kämen übereinstimmende Preisinstruktionen verschiedener Hersteller, die belegten, daß die vereinbarten Preisziele tatsächlich ins Werk gesetzt worden seien.

64 Für die Kommission ergibt sich somit die Beteiligung der Klägerin an der Festlegung von Preiszielen aus ihrer Teilnahme an den dazu bestimmten Sitzungen.

c) Würdigung durch das Gericht

65 Das Gericht stellt fest, daß sich aus den übereinstimmenden Preisinstruktionen von ATO, BASF, Hoechst, ICI, Linz und Shell (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. A) ergibt, daß die Initiative für eine Anhebung auf 2,05 DM/kg zum 1. September 1979 Ende Juli beschlossen und bekanntgegeben wurde. Diese Initiative und ihre Verschiebung auf den 1. Dezember 1979 werden durch den Bericht über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) belegt, wo es heisst: "2.05 remains the target. Clearly 2.05 not achievable in Oct., not in Nov. Plan now is 2.05 on 1/12" ("2,05 bleibt das Ziel. 2,05 eindeutig im Oktober nicht erreichbar, auch nicht im November. Geplant ist jetzt 2,05 zum 1. Dezember.")

66 Da bewiesen ist, daß die Klägerin ab Ende 1978 oder Anfang 1979 eine regelmässige Teilnehmerin an den Sitzungen der Polypropylenhersteller gewesen ist und daher an der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 teilgenommen hat, in der dem Sitzungsbericht zufolge die Teilnehmer Etappen der Durchführung der betreffenden Preisinitiative festgelegt haben, kann sie nicht behaupten, dieser Initiative nicht zugestimmt zu haben, ohne Anhaltspunkte für die Erhärtung dieser Behauptung vorzutragen. Fehlen nämlich solche Anhaltspunkte, so gibt es keinen Grund für die Annahme, daß die Klägerin dieser Initiative im Unterschied zu den anderen Teilnehmern der Sitzungen nicht zugestimmt hat. Solche Anhaltspunkte hat die Klägerin aber nicht vorgetragen.

67 Die Kommission konnte zwar keine Preisinstruktionen der Klägerin finden und daher nicht beweisen, daß diese die betreffende Preisinitiative durchgeführt hatte, doch widerlegt dies nicht die Feststellung der Beteiligung der Klägerin an dieser Initiative, denn sie hat an der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 teilgenommen.

68 Zudem hat die Kommission aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, in der es heisst: "' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule..." ("Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte der wichtigsten Polypropylen-Kategorien vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt...") zu Recht abgeleitet, daß diese Initiative Teil eines Systems zur Festsetzung von Preiszielen war.

69 Folglich ist der Kommission rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es in der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 zu einer Willensübereinstimmung gekommen ist, die auf die in der Entscheidung genannte Preisinitiative von Juli bis Dezember 1979 gerichtet war, und daß diese Initiative Teil eines Systems war.

D - Absatzziele und Quoten

a) Angefochtene Handlung

70 Nach Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung wurde in der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 "ein straffes Quotensystem als wesentlich erachtet"; in dem Bericht über diese Sitzung werde eine Regelung erwähnt, die in Zuerich vorgeschlagen beziehungsweise vereinbart worden sei, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken.

71 In Randnummer 52 der Entscheidung heisst es ausserdem, es seien bereits vor August 1982 verschiedene Marktteilungssysteme angewandt worden. Während jeder Hersteller einen prozentualen Anteil an den voraussichtlichen Geschäftsabschlüssen erhalten habe, habe es in dieser Phase noch keine systematische Beschränkung der Gesamtproduktion im voraus gegeben. Marktschätzungen hätten also regelmässig revidiert und die Verkäufe jedes Herstellers in absoluten Tonnen-Zahlen entsprechend dem prozentualen Anteil angepasst werden müssen.

72 Für 1979 seien für jeden Hersteller Absatzziele (in Tonnen) aufgestellt worden, die zumindest teilweise auf den in den drei vorangegangenen Jahren erzielten Absatzergebnissen beruht hätten. Bei ICI sichergestellte Tabellen enthielten Angaben über das "revidierte Ziel" für jeden Hersteller für 1979 im Vergleich zu den tatsächlich in diesem Jahr in Westeuropa erzielten Absatzergebnissen. Das Bestehen eines Marktteilungssystems für 1979 werde durch Unterlagen belegt, die bei ATO gefunden worden seien und Angaben über die Ziele der vier französischen Hersteller ATO, Rhône-Poulenc, Solvay und Hoechst France für die einzelnen nationalen Märkte enthalten hätten (Entscheidung, Randnr. 54).

73 Ende Februar 1980 hätten die Hersteller für 1980 - wiederum in Tonnen ausgedrückte - Ziele auf der Grundlage eines voraussichtlichen Marktes von 1 390 000 Tonnen vereinbart. Nach Randnummer 55 der Entscheidung wurden bei ATO und ICI mehrere Tabellen sichergestellt, die die für jeden Hersteller für 1980 "vereinbarten Ziele" enthielten. Da sich diese ursprüngliche Marktschätzung als zu optimistisch herausgestellt habe, habe die Quote der Hersteller auf eine jährliche Gesamtnachfrage von nur 1 200 000 Tonnen nach unten revidiert werden müssen. Ausser im Falle von ICI und DSM hätten die Verkaufsergebnisse der einzelnen Hersteller weitgehend ihrem Ziel entsprochen.

b) Vorbringen der Parteien

74 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe zu Unrecht als Quoten qualifiziert, was angesichts des Fehlens jeglichen Beweises einer Verpflichtung seitens der Klägerin nur interne "Verkaufsziele" hätten sein können. Der Ausdruck "target", der sich in bestimmten Tabellen finde, bezeichne die Menge, die jedes Unternehmen in dem betreffenden Jahr absetzen zu können geglaubt habe. Das erkläre die im Laufe des Jahres erfolgten "Korrekturen", denn die Unternehmen hätten ihre Bestrebungen den Realitäten des Marktes angepasst. Solche Korrekturen seien in einem Quotensystem ohne jeden Sinn, weil es zum Wesen eines solchen Systems gehöre, daß es sich nicht nach den Realitäten des Marktes richte, sondern sich bei den auf den Markt gebrachten Mengen an den zuvor festgelegten Quoten orientiere.

75 Die Erwähnung ihres Namens in einer Reihe von bei verschiedenen Wettbewerbern aufgefundenen Zahlentabellen (gem. Bpkte., Anl. 56 bis 61 und Schreiben vom 3. April 1985, Anl.), die die Jahre 1979 und 1980 beträfen und für jedes Unternehmen Daten bezueglich seiner Geschäftstätigkeit wiedergäben, könne für sich allein nicht ausreichen, um ihre Beteiligung an einer Quotenabsprache nachzuweisen. Über die Umstände, unter denen diese Tabellen erstellt worden seien, sei nämlich nichts bekannt.

76 Daß Rhône-Poulenc in den Tabellen an der Seite von Unternehmen genannt werde, denen die Kommission keine Zuwiderhandlung vorgeworfen habe, beweise, daß die Beklagte selbst der Auffassung gewesen sei, daß dieser Umstand als Nachweis einer Beteiligung an einem Kartell nicht ausreiche.

77 Die Kommission macht geltend, die Beteiligung der Klägerin an der Festlegung von Verkaufsmengenzielen folge aus der Erwähnung ihres Namens in mehreren Zahlentabellen, in denen für die einzelnen Hersteller frühere Verkaufsmengen und Quoten aufgeführt seien. Von diesen Schriftstücken seien vor allem vier zu erwähnen.

78 Bei dem ersten handele es sich um eine bei ICI sichergestellte, nicht datierte Tabelle mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropas", gem. Bpkte., Anl. 55), in der für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 sowie unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979") und "revised target" ("revidierte Ziele") weitere Zahlen genannt würden. Der Klägerin sei dort ein revidiertes Ziel von 37,3 Kilotonnen zugeteilt worden. Diese Tabelle belege die Beteiligung der Klägerin an einem Plan der Marktteilung für 1979, weil sie die Quoten jedes Herstellers für dieses Jahr festlege.

79 Das zweite Schriftstück bestehe aus einer Reihe von Tabellen, die bei ATO gefunden worden seien (Schreiben vom 3. April 1985, Anl.) und die die Verkaufszahlen der vier französischen Hersteller ATO, Rhône-Poulenc, Solvay und Hoechst France in verschiedenen westeuropäischen Ländern für jeden der vier letzten Monate des Jahres 1979 wiedergäben. Unter einigen dieser Tabellen stehe ein Vergleich zwischen den erreichten Zahlen und den Quoten: "85 % der Quoten" oder "84,7 % der Quoten". Dieses Schriftstück beweise die Beteiligung der Klägerin nicht nur an einem Plan der Marktteilung für 1979, sondern auch an der Kontrolle der Durchführung dieses Plans bei den vier französischen Herstellern.

80 Das dritte Schriftstück sei eine bei ATO gefundene Tabelle vom 26. Februar 1980 mit der Bezeichnung "Polypropylene - Sales target 1980 (kt)" ["Polypropylen - Verkaufsziel 1980 (kt)"; gem. Bpkte., Anl. 60], in der für alle westeuropäischen Hersteller ein "1980 target" ("Ziel 1980"), "opening suggestions" ("Ausgangsvorschläge"), "proposed adjustments" ("vorgeschlagene Berichtigungen") und "agreed targets" ("vereinbarte Ziele") verglichen würden. Dieses Schriftstück zeige, wie die Quoten ausgearbeitet worden seien.

81 Bestätigt würden diese Beweismittel durch ein viertes Schriftstück, eine bei ATO und ICI gefundene Tabelle, in der für alle Hersteller deren Verkäufe in Mengen und Marktanteilen unter folgenden Rubriken verglichen würden: "1979 actual", "1980 target", "[1980] actual" und "1981 aspirations" (gem. Bpkte., Anl. 59 und 61). ICI habe in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu diesem Schriftstück festgestellt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0001.1

82 Diese Schriftstücke zeigten, daß sich die Hersteller schließlich über die jeweiligen Verkaufsmengen geeinigt hätten, wobei als Verhandlungsgrundlage die in Zahlen ausgedrückten Zielvorstellungen jedes einzelnen gedient hätten. Die Schwankung der den verschiedenen Herstellern zugeteilten Mengen sei darauf zurückzuführen, daß infolge einer ursprünglich zu optimistischen Marktschätzung die Mengen, die den in Form von Marktanteilen vereinbarten Quoten entsprochen hätten, der neuen Einschätzung des Gesamtmarktes hätten angepasst werden müssen.

83 Ferner belegten die Zahlen in den verschiedenen Tabellen, daß sich die Klägerin 1980 fast genau an den Marktanteil gehalten habe, der ihr ursprünglich zugeteilt worden sei (2,98 % anstelle der vereinbarten 2,97 %).

84 Amoco und BP hätten im Gegensatz zur Klägerin nicht an den Sitzungen der Hersteller teilgenommen, was bezueglich ihrer Beteiligung an der Ausarbeitung der vorgenannten Tabellen nicht ohne Folgen geblieben sei. Zahlreiche Beweismittel (gem. Bpkte., Anl. 8, 17, 33, 55, 59, 73 bis 87 und 88) belegten, daß die in den verschiedenen Tabellen für Amoco wiedergegebenen Zahlen grobe Schätzungen ihrer Position darstellten. Amoco habe mithin niemals individuelle Daten an die Mitglieder des Kartells weitergegeben, was durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen bestätigt werde. So bedeute es nicht dasselbe, wenn in den verschiedenen Tabellen zum einen die Klägerin und zum anderen Amoco genannt würden.

c) Würdigung durch das Gericht

85 Das Gericht erinnert daran, daß die Klägerin ab Ende 1978 oder Anfang 1979 an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller, in denen diese die Verkaufsmengen diskutiert und Informationen hierüber ausgetauscht haben, regelmässig teilgenommen hat.

86 Parallel zur Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen wird ihr Name in verschiedenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61, und Schreiben vom 3. April 1985, Anl.) genannt, deren Inhalt eindeutig darauf hinweist, daß sie zur Festlegung von Verkaufsmengenzielen bestimmt waren. Die meisten Klägerinnen haben jedoch in ihren Antworten auf eine schriftliche Frage des Gerichts eingeräumt, daß es nicht möglich gewesen sei, die bei ICI, ATO und Hercules aufgefundenen Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des Fides-Systems zu erstellen, und ICI hat im übrigen in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu einer dieser Tabellen erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Die Kommission ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß die in diesen Tabellen enthaltenen Angaben von der Klägerin selbst im Rahmen der Sitzungen gemacht worden waren, an denen sie teilgenommen hatte.

87 Die in den Tabellen für die Jahre 1979 und 1980 benutzte Terminologie (wie "revised target" ["revidiertes Ziel"], "opening suggestions" ["Ausgangsvorschläge"], "proposed adjustments" ["vorgeschlagene Berichtigungen"] und "agreed targets" ["vereinbarte Ziele"]) lässt den Schluß zu, daß es zwischen den Herstellern zu Willensübereinstimmungen gekommen ist.

88 Für das Jahr 1979 ist auf der Grundlage des gesamten Berichts über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) und der bei ICI sichergestellten, nicht datierten Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 55) mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropa"), in der für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 sowie unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979"), "revised target" und "79" weitere Zahlen genannt werden, festzustellen, daß in dieser Sitzung die Notwendigkeit anerkannt wurde, das für 1979 vereinbarte Quotensystem für die letzten drei Monate dieses Jahres zu verschärfen. Der Ausdruck "tight" ("strikt") in Verbindung mit der Begrenzung auf 80 % von einem Zwölftel der vorgesehenen jährlichen Verkäufe weist darauf hin, daß die für 1979 ursprünglich geplante Regelung für diese letzten drei Monate verschärft werden sollte. Diese Auslegung des Sitzungsberichts wird durch die genannte Tabelle bestätigt, denn diese enthält unter der Überschrift "79" in der letzten Spalte rechts von der Spalte mit der Überschrift "revised target" Zahlen, die den ursprünglich festgelegten Quoten entsprechen müssen. Diese müssen im Sinne einer Verschärfung revidiert worden sein, da sie auf der Grundlage einer zu optimistischen Marktschätzung festgelegt worden waren, wie dies auch 1980 der Fall war. Diese Feststellungen werden nicht dadurch entkräftet, daß in Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung eine Regelung erwähnt wird, "die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart wurde, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken". Dieser Hinweis ist in Verbindung mit Randnummer 54 der Entscheidung so zu verstehen, daß ursprünglich schon für die monatlichen Verkäufe der ersten acht Monate des Jahres 1979 Verkaufsmengenziele festgelegt worden waren.

89 Die französischen Hersteller, unter ihnen die Klägerin, haben ferner systematisch Monat für Monat ihre Verkaufszahlen während der letzten vier Monate des Jahres 1979 ausgetauscht und sie mit den "Quoten" verglichen (Schreiben vom 3. April 1985, Anlage). Dies lässt den Schluß zu, daß die französischen Hersteller zumindest versucht haben, die Einhaltung der vereinbarten Ziele zu überprüfen.

90 Für das Jahr 1980 stellt das Gericht fest, daß die Festlegung von Verkaufsmengenzielen für das gesamte Jahr aus der bei ATO aufgefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 (gem. Bpkte., Anl. 60), die eine Spalte "agreed targets 1980" ("vereinbarte Ziele 1980") enthält, sowie aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17) hervorgeht, in denen Hersteller, unter ihnen die Klägerin, die tatsächlich verkauften Mengen ("Actual kt") mit den festgelegten Zielen ("Target kt") verglichen haben. Diese Schriftstücke werden ferner bestätigt durch eine Tabelle vom 8. Oktober 1980 (gem. Bpkte., Anl. 57), in der in zwei Spalten die "1980 Nameplate Capacity" ("nominale Kapazität 1980") und die "1980 Quota" für die einzelnen Hersteller miteinander verglichen werden.

91 Diese Feststellungen werden nicht durch den Umstand entkräftet, daß die Kommission nicht die gleichen Feststellungen zu Lasten von Amoco getroffen hat, deren Name ebenfalls in den genannten Tabellen auftaucht. Der Fall Amoco unterscheidet sich von dem der Klägerin insofern, als dieses Unternehmen nicht an den Sitzungen der Hersteller teilgenommen hat, die insbesondere die Festlegung von Verkaufsmengenzielen bezweckten. Die Kommission konnte daher davon ausgehen, daß die Zahlen für Amoco in den verschiedenen Tabellen lediglich grobe Schätzungen ihrer Position waren, die die anderen Hersteller angestellt hatten, da ihnen von diesem Unternehmen keine individuellen Daten mitgeteilt worden waren. Die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen bestätigt im übrigen diese Schlußfolgerung; dort heisst es nämlich: "However figures for Amoco/Hercules... would have been estimated from industry figures generally available from FIDES" ("Zahlen für Amoco/Hercules... dürften allerdings anhand von Wirtschaftsdaten geschätzt worden sein, die allgemein über FIDES erhältlich sind.")

92 Zudem ist die Kommission in Anbetracht des Umstands, daß mit den verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung der Verkaufsmengen dasselbe Ziel - Verringerung des von dem Überangebot ausgehenden Drucks auf die Preise - verfolgt wurde, zu Recht zu dem Schluß gelangt, daß diese Maßnahmen Teil eines Quotensystems waren.

93 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die in der Entscheidung genannten Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 gekommen ist, die Teil eines Quotensystems waren.

2. Rechtliche Qualifizierung

A - Angefochtene Handlung

94 Nach Randnummer 81 Absatz 1 der Entscheidung stellt die Gesamtheit der Regelungen und Absprachen, die im Rahmen eines regelmässigen, institutionalisierten Sitzungssystems beschlossen wurden, eine einzige fortdauernde "Vereinbarung" im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 dar.

95 Im vorliegenden Fall hätten die Hersteller dadurch, daß sie sich zu dem gemeinsamen Plan verbunden hätten, die Preise und den Absatz auf dem Polypropylenmarkt zu regeln, an einer umfassenden Rahmenvereinbarung teilgenommen, die in mehreren von Zeit zu Zeit abgesprochenen Einzelvereinbarungen ihren Niederschlag gefunden habe (Entscheidung, Randnr. 81 Absatz 3). Bei der eingehenden Ausarbeitung des Gesamtplans sei es in vielen Bereichen zu einer ausdrücklichen Vereinbarung wie den einzelnen Preisinitiativen und jährlichen Quotensystemen gekommen (Entscheidung, Randnr. 82 Absatz 1).

96 Die Kommission vertritt in Randnummer 82 Absatz 2 der Entscheidung die Auffassung, daß die angeblich von dem einen oder anderen Hersteller geführten und von den anderen Herstellern befolgten verschiedenen Preisinitiativen vor 1979 ebenfalls das Ergebnis einer zwischen ihnen abgeschlossenen Vereinbarung gewesen seien.

97 Zu der Initiative vom Dezember 1977 wird in Randnummer 82 Absatz 3 der Entscheidung ausgeführt, daß Hersteller wie die Klägerin, Hercules, Hoechst, ICI, Linz, Saga und Solvay auf EATP-Sitzungen gegenüber Kunden die Notwendigkeit abgestimmter Preisanhebungsaktionen hervorgehoben hätten. Ausserdem hätten sich die Hersteller ausserhalb der EATP-Sitzungen über Preise abgesprochen. Angesichts dieser von den Herstellern zugegebenen Kontakte vertritt die Kommission die Auffassung, daß hinter dem Vorgehen eines oder mehrerer Hersteller, die sich wegen ungenügender Gewinne beschwert und gemeinsame Aktionen vorgeschlagen hätten, während die anderen hierzu ihre Unterstützung angeboten hätten, eine Preisvereinbarung gestanden habe. Zudem könne auch bei Fehlen weiterer Kontakte ein solches Vorgehen allein einen Hinweis dafür bieten, daß ein ausreichender Konsens für eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 vorgelegen habe.

98 An der Schlußfolgerung, daß eine fortdauernde Vereinbarung vorliege, ändere auch die Tatsache nichts, daß einige Hersteller nicht notwendigerweise an jeder Sitzung teilgenommen hätten. Jede Initiative und die Erarbeitung und Durchführung eines jeden Plans erstreckten sich über mehrere Monate, so daß das gelegentliche Fernbleiben des einen oder anderen Herstellers wenig ausmache (Entscheidung, Randnr. 83 Absatz 1).

99 Das Funktionieren des Kartells auf der Grundlage eines gemeinsamen und ausführlichen Plans stelle eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 dar (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 1).

100 Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise seien unterschiedliche Begriffe, doch gebe es Fälle, in denen Absprachen Elemente beider Formen verbotener Zusammenarbeit enthielten (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 2).

101 Eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise beziehe sich auf eine Form der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die zwar nicht den Grad einer Vereinbarung im eigentlichen Sinne erreicht habe, aber dennoch bewusst die Risiken des Wettbewerbs ausschalte und durch eine praktische Zusammenarbeit ersetze (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 3).

102 In Randnummer 87 Absatz 1 der Entscheidung heisst es, das durch den Vertrag geschaffene getrennte Konzept der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen solle verhindern, daß Unternehmen sich der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 entzögen, indem sie in einer wettbewerbswidrigen Weise ohne eine endgültige Vereinbarung absprächen, sich zum Beispiel gegenseitig im voraus über ihr künftiges Verhalten in Kenntnis zu setzen, so daß jeder seine Geschäftspolitik in der Gewißheit regele, daß sich die Wettbewerber entsprechend verhielten (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619).

103 Der Gerichtshof habe im Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663) festgestellt, daß die in seiner Rechtsprechung niedergelegten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die keineswegs die Ausarbeitung eines eigentlichen Plans voraussetzten, im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen seien, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen habe, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenke. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitige nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es stehe jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 2). Ein Verhalten könne also als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise unter Artikel 85 Absatz 1 fallen, auch wenn sich die Partner vorher nicht über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hätten, sondern lediglich Absprachen träfen oder sich an Absprachen beteiligten, die die Koordinierung kommerziellen Verhaltens erleichterten (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 3 Satz 1).

104 Ausserdem wird in der Entscheidung (Randnr. 87 Absatz 3 Satz 3) darauf hingewiesen, daß es in einem komplexen Kartell möglich sei, daß einige Hersteller zeitweise einem von den anderen Herstellern vereinbarten besonderen Verhalten nicht uneingeschränkt zustimmten, aber dennoch die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. In mancher Hinsicht trügen die fortgesetzte Zusammenarbeit und Absprache der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung Zuege einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 4 Satz 2).

105 Die Bedeutung des Konzepts einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ergebe sich also nicht so sehr aus der Unterscheidung zwischen dieser Verhaltensweise und einer Vereinbarung als vielmehr aus der Unterscheidung zwischen den Formen der Absprache, die unter Artikel 85 Absatz 1 fielen, und einem rein parallelen Verhalten ohne jedwedes Element der Absprache. Nichts hänge daher im vorliegenden Fall von der genauen Form ab, die die abgesprochenen Vereinbarungen angenommen hätten (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 5).

106 In der Entscheidung (Randnr. 88 Absätze 1 und 2) wird festgestellt, daß die meisten Hersteller, die während des Verwaltungsverfahrens behauptet hätten, daß ihr Verhalten in bezug auf die angeblichen Preisinitiativen nicht das Ergebnis irgendeiner Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 gewesen sei (siehe Randnr. 82 der Entscheidung), ausserdem behaupteten, daß dieses Verhalten nicht die Grundlage sein könne, um eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise festzustellen, weil dieses Konzept irgendeinen offenen Akt am Markt voraussetze, der im vorliegenden Fall völlig fehle; Preislisten oder Zielpreise seien den Kunden nie mitgeteilt worden. In der Entscheidung wird dieses Vorbringen mit der Begründung zurückgewiesen, daß, wäre es im vorliegenden Fall notwendig, eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise zu beweisen, dieses Erfordernis für einige Schritte der Teilnehmer zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Zielsetzung tatsächlich gegeben sei. Die verschiedenen Preisinitiativen seien Gegenstand von Aufzeichnungen. Ausserdem sei unbestreitbar, daß die einzelnen Hersteller gleichzeitige Aktionen unternommen hätten, um die Preisinitiativen durchzuführen. Die von den Herstellern sowohl einzeln als auch gemeinsam getroffenen Maßnahmen ergäben sich aus Dokumenten: Sitzungsberichten, internen Vermerken, Anweisungen und Rundschreiben an Verkaufsabteilungen und Schreiben an Kunden. Dabei sei irrelevant, ob sie Preislisten veröffentlicht hätten. Die Preisinstruktionen als solche seien nicht nur das beste verfügbare Beweismittel für die von jedem Hersteller durchgeführte Aktion zur Verwirklichung des gemeinsamen Ziels, sondern erhärteten aufgrund ihres Inhalts und ihrer zeitlichen Abfolge den Beweis der Absprache.

B - Vorbringen der Parteien

107 Die Klägerin wirft der Kommission vor, die Zuwiderhandlung nicht eindeutig als "Vereinbarung" oder "abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert zu haben und die Auffassung zu vertreten, daß es auf die genaue Qualifizierung eines Kartells nicht ankomme, obwohl der Gerichtshof eine genaue Qualifizierung verlange (Urteil vom 3. Juli 1985 in der Rechtsache 243/83, Binon, Slg. 1985, 2015, Randnrn. 14 bis 16). Die Qualifizierung des Kartells sei von wesentlicher Bedeutung, da die Tatbestandsmerkmale, die erfuellt sein müssten, im Fall einer "Vereinbarung" und im Fall einer "abgestimmten Verhaltensweise" verschieden seien. Im Falle der "Vereinbarung" sei der Tatbestand der Zuwiderhandlung erfuellt, sobald die Unternehmen eine Verpflichtung eingegangen seien, selbst wenn diese nur moralischer Art sei oder nicht in ein Verhalten umgesetzt worden sei, durch das der Wettbewerb auf dem Markt beschränkt werde. Die "abgestimmte Verhaltensweise" verlange dagegen auf seiten der Unternehmen ein gemeinsames, gleichgerichtetes oder koordiniertes Vorgehen auf dem Markt. Nur ein solches Marktverhalten könne bei Unternehmen, die keine Verpflichtungen übernommen hätten, die konkrete Umsetzung ihrer wettbewerbswidrigen Abstimmung und damit die eigentliche Verwirklichung des Kartells darstellen.

108 Mangels einer wettbewerbswidrigen Verpflichtung könnten die Unternehmen wegen Beteiligung an einer abgestimmten Verhaltensweise nur bestraft werden, wenn sie sich auf dem Markt selbst wettbewerbswidrig verhalten hätten. Die abgestimmte Verhaltensweise, die eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs bezwecke, sei nämlich zwangsläufig im Bereich des Marktverhaltens anzusiedeln, selbst wenn sie im Gegensatz zu der abgestimmten Verhaltensweise, die eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs bewirke, ihr wettbewerbswidriges Ziel nicht erreiche.

109 Notwendiges Tatbestandsmerkmal der abgestimmten Verhaltensweise sei somit zwangsläufig die tatsächliche Einführung eines koordinierten Marktverhaltens der beteiligten Unternehmen. Beschränkte man den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise auf nur ein Tatbestandsmerkmal (die Abstimmung) und ließe das zweite (das Verhalten) ausser acht, wie es die Kommission tü, so könnte diese ein Unternehmen unter dem Vorwand bestrafen, daß es Kontakt mit seinen Konkurrenten gehabt habe, selbst wenn dieser Kontakt keinerlei Einfluß auf sein Verhalten gehabt und das Unternehmen mit diesem Kontakt ein solches Ziel nie angestrebt hätte. Nach Meinung der Klägerin geht die Rechtsprechung des Gerichtshofes bei zutreffender Analyse in dieselbe Richtung (Urteile vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnr. 65, vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Zuechner, Slg. 1981, 2021, Randnr. 12, vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache 86/82, Hasselblad/Kommission, Slg. 1984, 883, Randnrn. 24 ff., vom 28. März 1984 in den verbundenen Rechtssachen 29/83 und 30/83, CRAM und Rheinzink/Kommission, Slg. 1984, 1679, und vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 243/83, a. a. O., Randnrn. 11 ff.), da der Gerichtshof ein Verhalten am Markt verlange. Dies gelte auch für Randnummer 88 der Entscheidung.

110 Im vorliegenden Fall sei die Frage der Qualifizierung und Definition der Zuwiderhandlung deshalb von Interesse, weil die Kommission weder eine Beteiligung der Klägerin an einer Vereinbarung noch an einer abgestimmten Verhaltensweise nachgewiesen habe, wenn man wie Rhône-Poulenc davon ausgehe, daß diese ein tatsächliches, koordiniertes Marktverhalten voraussetze. Die Definition des Begriffs der "abgestimmten Verhaltensweise" sei somit von besonderer Bedeutung. Diese Bedeutung sei um so grösser, als sich diese Frage in dieser Weise zum erstenmal vor dem Gemeinschaftsrichter stelle. In den bisher vom Gerichtshof entschiedenen Fällen sei nämlich das Marktverhalten tatbestandlich nicht streitig gewesen, und es sei nur darum gegangen, ob es für die Annahme einer Abstimmung ausreichend gewesen sei.

111 Nach Ansicht der Kommission ist dagegen die Frage, ob es sich bei einer Absprache oder einem Kartell rechtlich um eine Vereinbarung oder um eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 EWG-Vertrag handele oder ob die Absprache Elemente einer Vereinbarung sowie einer abgestimmten Verhaltensweise enthalte, von untergeordneter Bedeutung. Die Begriffe "Vereinbarung" und "abgestimmte Verhaltensweise" umfassten nämlich alle Arten von Absprachen, durch die Konkurrenten aufgrund von direkten oder indirekten Kontakten untereinander sich gegenseitig die Aktionsfreiheit am Markt beschnitten, statt völlig unabhängig voneinander ihr künftiges Wettbewerbsverhalten zu bestimmen.

112 Die Verwendung der verschiedenen in Artikel 85 EWG-Vertrag enthaltenen Begriffe verfolge das Ziel, die gesamte Bandbreite wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zu erfassen, ohne für die verschiedenen Tatbestandsmerkmale unterschiedliche Rechtsfolgen vorzusehen. Es sei deshalb belanglos, wo genau die Grenze zwischen diesen Begriffen verlaufe, deren Sinn allein darin liege, in ihrer Gesamtheit die ganze Skala verbotener Wettbewerbsbeschränkungen zu erfassen. Der mit der Aufnahme des Begriffs "abgestimmte Verhaltensweise" in Artikel 85 verfolgte Gesetzeszweck sei nämlich, neben den Vereinbarungen Arten der Absprachen zu erfassen, die lediglich als tatsächliche Koordinierung oder als praktische Zusammenarbeit in Erscheinung träten, aber dennoch geeignet seien, den Wettbewerb zu verfälschen (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnrn. 64 bis 66).

113 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174) gehe es darum, jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Unternehmen zu verhindern, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe. Eine abgestimmte Verhaltensweise liege also immer schon dann vor, wenn zwischen den Mitbewerbern eine Fühlungnahme stattfinde, die ihrem Verhalten auf dem Markt vorangehe.

114 Eine abgestimmte Verhaltensweise sei gegeben, wenn die Unabhängigkeit der Unternehmen voneinander durch eine Abstimmung eingeschränkt werden solle, selbst wenn sich auf dem Markt kein tatsächliches Verhalten feststellen lasse. Der Streit drehe sich in Wirklichkeit um den Begriff "Verhalten". Die Kommission widerspricht der Ansicht der Klägerin, daß dieser Begriff in dem engen Sinne von "Verhalten am Markt" zu verstehen sei. Der Begriff könne die blosse Beteiligung an Kontakten erfassen, sofern mit diesen eine Beschränkung der Selbständigkeit der Unternehmen bezweckt werde.

115 Verlangte man wie die Klägerin für eine abgestimmte Verhaltensweise beides, Abstimmung und Marktverhalten, so fiele ein ganzes Spektrum von Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des Artikels 85 heraus, die eine Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckten, aber nicht unbedingt bewirkten. Insoweit würde Artikel 85 unanwendbar. Ausserdem stehe diese Auffassung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff der abgestimmten Verhaltensweise (Urteil vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnr. 66; Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnr. 26; Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, a. a. O., Randnr. 14). Wenn in dieser Rechtsprechung immer von Verhaltensweisen am Markt die Rede sei, so handele es sich dabei nicht um ein Tatbestandsmerkmal der Zuwiderhandlung, wie die Klägerin meine, sondern um einen tatsächlichen Umstand, der den Schluß auf eine Abstimmung zulasse. Nach dieser Rechtsprechung sei ein tatsächliches Verhalten am Markt nicht erforderlich. Erforderlich sei nur die Fühlungnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern als wesentliches Merkmal für ihren Verzicht auf die notwendige Selbständigkeit.

116 Somit sei es für einen Verstoß gegen Artikel 85 nicht erforderlich, daß die Unternehmen in der Praxis auch durchgeführt hätten, worüber sie sich abgestimmt hätten. Der Tatbestand des Artikels 85 Absatz 1 sei in vollem Umfang erfuellt, wenn die Absicht, den mit Risiken verbundenen Wettbewerb durch eine Zusammenarbeit zu ersetzen, in einer Abstimmung zutage trete, auch wenn sich anschließend nicht unbedingt Verhaltensweisen am Markt feststellen ließen.

117 Die Kommission stellt abschließend fest, daß sie berechtigt gewesen sei, den Verstoß in erster Linie als Vereinbarung und hilfsweise, soweit notwendig, als abgestimmte Verhaltensweise zu bezeichnen.

C - Würdigung durch das Gericht

118 Vorab ist festzustellen, daß die Frage, ob die Kommission verpflichtet war, jeden der Klägerin zur Last gelegten tatsächlichen Einzelakt entweder unter den Begriff der Vereinbarung oder den der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zu subsumieren, nicht erheblich ist. Wie sich nämlich aus Randnummer 80 Absatz 2 in Verbindung mit den Randnummern 81 Absatz 3 und 82 Absatz 1 der Entscheidung ergibt, hat die Kommission jeden dieser verschiedenen Einzelakte in erster Linie als "Vereinbarung" gewertet.

119 Ebenso ergibt sich aus Randnummer 86 Absätze 2 und 3 in Verbindung mit Randnummer 87 Absätze 3 und 4 und Randnummer 88 der Entscheidung, daß die Kommission die Einzelakte der Zuwiderhandlung hilfsweise unter den Begriff der "abgestimmten Verhaltensweise" subsumiert hat, wenn sie entweder nicht den Schluß zuließen, daß sich die Partner vorher über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hatten, sondern nur, daß sie Absprachen getroffen oder sich an Absprachen beteiligt hatten, die die Koordinierung ihrer Geschäftspolitik erleichterten, oder wenn sie wegen des komplexen Charakters des Kartells nicht die Feststellung erlaubten, daß einige Hersteller einem von den anderen Herstellern vereinbarten Verhalten uneingeschränkt zugestimmt hatten, sondern nur, daß diese die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. Daraus wird in der Entscheidung der Schluß gezogen, daß die fortgesetzte Zusammenarbeit und Kollusion der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung in mancher Hinsicht Zuege einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise trügen.

120 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (siehe Urteil vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 112, und Urteil vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck/Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 86). Das Gericht stellt deshalb fest, daß die Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen der Klägerin und anderen Polypropylenherstellern, für die sie den Beweis erbracht hat und die auf Preisziele für den Zeitraum Juli bis Dezember 1979 und auf Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 gerichtet waren, zu Recht als Vereinbarungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen hat.

121 Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise ist anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu bestimmen. Hiernach sind die von ihr zuvor aufgestellten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174).

122 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin an Sitzungen teilgenommen, deren Zweck es war, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen; in diesen Sitzungen tauschten die Wettbewerber Informationen über die Preise aus, die nach ihren Wünschen auf dem Markt praktiziert werden sollten, über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigten, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen und über ihre Verkaufszahlen. Durch ihre Teilnahme an diesen Sitzungen hat sich die Klägerin mit ihren Wettbewerbern an einer Abstimmung beteiligt, deren Zweck es war, deren Marktverhalten zu beeinflussen und offenzulegen, welches Marktverhalten die einzelnen Hersteller selbst in Erwägung zogen.

123 Damit hat die Klägerin nicht nur das Ziel verfolgt, im voraus die Ungewißheit über das künftige Verhalten ihrer Wettbewerber zu beseitigen, sondern sie musste bei der Festlegung der Politik, die sie auf dem Markt verfolgen wollte, zwangsläufig auch unmittelbar oder mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen Informationen berücksichtigen. Auch ihre Wettbewerber mussten bei der Festlegung der Politik, die sie verfolgen wollten, zwangsläufig unmittelbar oder mittelbar die Informationen berücksichtigen, die ihnen die Klägerin über das Marktverhalten gegeben hatte, das sie selbst für sich beschlossen hatte oder in Erwägung zog.

124 Folglich hat die Kommission die EATP-Sitzung vom 22. November 1977, an der die Klägerin teilgenommen hat, und die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller, an denen die Klägerin zwischen Ende 1978 oder Anfang 1979 und Ende 1980 teilgenommen hat, wegen ihres Zwecks zu Recht hilfsweise als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen.

125 Zu der Frage, ob die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß eine einzige, in Artikel 1 der Entscheidung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" bezeichnete Zuwiderhandlung vorliegt, weist das Gericht darauf hin, daß die verschiedenen abgestimmten Verhaltensweisen und Vereinbarungen, die von den Beteiligten eingehalten und abgeschlossen wurden, wegen ihres übereinstimmenden Zwecks Teil von Systemen regelmässiger Sitzungen zur Festsetzung von Preis- und Quotenzielen waren.

126 Diese Systeme waren wiederum Teil einer Reihe von Bemühungen der betroffenen Unternehmen, mit denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt wurde, nämlich die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen. Es wäre daher gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und aus ihm mehrere selbständige Zuwiderhandlungen zu konstruieren. Tatsächlich hat sich die Klägerin - jahrelang - an einem Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen. Diese einheitliche Zuwiderhandlung hat sich nach und nach sowohl durch rechtswidrige Vereinbarungen als auch durch rechtswidrige abgestimmte Verhaltensweisen entwickelt.

127 Die Kommission hat diese einheitliche Zuwiderhandlung auch zu Recht als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert, da diese Zuwiderhandlung sowohl Einzelakte aufwies, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" dargestellt haben. Angesichts einer komplexen Zuwiderhandlung ist die von der Kommission in Artikel 1 der Entscheidung vorgenommene doppelte Subsumtion nicht so zu verstehen, daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt. Sie bezieht sich vielmehr auf einen Komplex von Einzelakten, von denen einige als Vereinbarungen und andere als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag anzusehen sind, der ja für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine spezifische Subsumtion vorschreibt.

128 Hieraus ergibt sich insgesamt, daß sämtliche Rügen der Klägerin gegenüber der Feststellung der Zuwiderhandlung und ihrer von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung vorgenommenen rechtlichen Qualifizierung zurückzuweisen sind.

Zur Begründung

1. Erlaß einer einzigen Entscheidung

129 Die Klägerin beanstandet, daß die Kommission eine gemeinsame Entscheidung für alle betroffenen Unternehmen erlassen habe. Zwar dürfe die Kommission eine einzige Entscheidung erlassen, aber nur, wenn jedes Unternehmen in der Entscheidung den Beweis für die Berechtigung der gegen es erhobenen Vorwürfe finden könne (Urteile vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnr. 111, und vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, a. a. O., Randnr. 77). Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da durch die Verallgemeinerung der Vorwürfe die besondere Lage der Klägerin verdeckt werde, die im wesentlichen dadurch gekennzeichnet sei, daß sie den Polypropylensektor zu dem Zeitpunkt (Ende 1980) verlassen habe, zu dem nach der Entscheidung die Bildung des angeblichen Kartells begonnen habe. Mit dieser Verallgemeinerung sei somit das Fehlen stichhaltiger Beweise gegen die Klägerin vertuscht worden, da fast alle Beweismittel sich auf die Zeit nach dem Marktausstieg von Rhône-Poulenc bezögen.

130 Die Kommission erwidert, die Klägerin habe nicht nachweisen können, daß sie sich anhand der einzigen Entscheidung kein eindeutiges Bild davon habe verschaffen können, welche Vorwürfe gegen sie erhoben worden seien. Im übrigen sei die Behauptung falsch, daß das Kartell sich erst gebildet habe, nachdem die Klägerin den Markt verlassen habe. Die Kommission habe in Wirklichkeit höchstens anerkannt, daß der Verstoß Mitte 1977 begonnen habe, der Mechanismus aber bis etwa Anfang 1979 noch nicht völlig funktioniert habe (Entscheidung, Randnr. 105 letzter Absatz).

131 Nach Auffassung des Gerichts zeigt die Tatsache, daß das Gericht in der Lage ist, die Begründetheit der in der Entscheidung gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe zu prüfen, daß die Klägerin sich - ebenso wie das Gericht - ein eindeutiges Bild davon verschaffen konnte, welche Vorwürfe gegen sie erhoben werden. Die Einheitlichkeit der Entscheidung hat weder bezweckt noch bewirkt, über ein Fehlen stichhaltiger Beweise gegen die Klägerin hinwegzutäuschen. Wenn von den in Randnummer 15 der Entscheidung aufgezählten wichtigsten Beweismitteln, auf die sich die Entscheidung gründet, auch nur ganz wenige die Klägerin betreffen, wie von ihr vorgetragen wird, waren diese aber gleichwohl geeignet, die von der Kommission gegenüber der Klägerin getroffenen tatsächlichen Feststellungen rechtlich ausreichend zu stützen. Zudem hat die Klägerin vor Gericht in ihren Schriftsätzen diese Beweismittel genau erkannt und erörtert. Dieser Rüge kann demnach nicht stattgegeben werden.

2. Unzureichende Begründung

132 Die Klägerin wirft der Kommission vor, in der Entscheidung auf ihr Vorbringen nicht hinreichend eingegangen zu sein. Gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag sei die Kommission zum einen verpflichtet, ihre Entscheidungen ausreichend zu begründen, um dem Gemeinschaftsrichter zu ermöglichen, die Rechtmässigkeit der Entscheidung zu überprüfen, und zum anderen, dem Betroffenen ausreichende Hinweise für die Feststellung zu geben, ob die Entscheidung unter einem Mangel leide, aufgrund dessen ihre Rechtmässigkeit in Frage gestellt werden könne (Urteile vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Anseau, Slg. 1983, 3369, Randnr. 37, vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 42/84, Remia/Kommission, Slg. 1985, 2545, Randnr. 26, vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, Randnr. 22, und vom 21. Februar 1973 in der Rechtssache 6/72, Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Randnr. 6). Im vorliegenden Fall habe die Kommission gegen dieses Erfordernis verstossen, da sie durch ihre allgemeine Stellungnahme zum Vorbringen der Hersteller der besonderen Lage der Klägerin nicht Rechnung getragen habe. So sei sie auf die Argumente der Klägerin bezueglich des Fehlens von Preisinstruktionen von ihrer Seite, der Entwicklung des Kartells und der Marktlage, des Fehlens einer wirklichen Analyse der Marktpreise vor Ende 1980 und der Unanwendbarkeit der von ihr herangezogenen Beweismittel auf die Klägerin nicht besonders eingegangen.

133 Die Kommission meint, sie müsse nicht alle Argumente der betroffenen Unternehmen widerlegen und nicht auf solche eingehen, die ihrer Meinung nach neben der Sache lägen (Urteil vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, a. a. O., Randnr. 66).

134 Das Gericht weist zunächst darauf hin, daß die Klägerin in ihrer Klageschrift beanstandet hat, in der Entscheidung sei zu einer Reihe von Rügen und Argumenten Stellung genommen worden, die sie nicht beträfen, wie etwa denen zur Richtigkeit der Sitzungsberichte, zum Gutachten über den deutschen Markt und zur Untersuchung von Coopers & Lybrand zu den angewandten Preisen.

135 Diese Rüge ist zurückzuweisen, denn es kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie auf die verschiedenen Rügen und Argumente anderer Unternehmen eingegangen ist, die sie für erheblich hielt, zumal sie berechtigt war, eine einzige, für mehrere Unternehmen geltende Entscheidung zu treffen.

136 Das Gericht stellt sodann fest, daß auch die Rüge der Klägerin zurückgewiesen werden muß, derzufolge die Kommission in ihrer Entscheidung nicht begründet habe, warum es auf das Argument der Klägerin, daß keine Preisinstruktionen vorlägen, nicht ankomme. Die jeweils letzten Absätze der Randnummern 77 und 83 der Entscheidung begründen nämlich hinreichend, warum dieses Argument zurückgewiesen worden ist, denn in ihnen wird dargelegt, daß die Kommission sich zur Feststellung der Zuwiderhandlung im Falle der Klägerin auf andere Beweismittel gestützt hat. Auch hier hat die Klägerin diese Beweismittel in ihren bei Gericht eingereichten Schriftsätzen genau erkannt und erörtert.

137 Zu dem Argument, die Kommission habe die Entwicklung des Kartells verkannt, das sich erst nach dem Marktausstieg der Klägerin eingespielt habe, und habe daher, um die Klägerin mit einzubeziehen, zu einer rückwirkenden Vermutung Zuflucht nehmen müssen, indem sie aus Beweisen für einen Zeitraum nach dem Marktausstieg der Klägerin auf den Zweck des behaupteten Kartells während ihrer Marktpräsenz geschlossen habe, ist zum einen festzustellen, daß die Berichte über Sitzungen, die später als 1980 stattgefunden haben, von der Kommission nach Randnummer 70 letzter Absatz der Entscheidung nur herangezogen wurden, um die Beweismittel für die Jahre 1979 und 1980 zu erhärten, und zum anderen, daß Randnummer 18 Absatz 1 in Verbindung mit Randnummer 105 letzter Absatz der Entscheidung unzweifelhaft entnommen werden kann, daß der Mechanismus der Zuwiderhandlung zu Beginn des Jahres 1979, das heisst zwei Jahre vor dem Marktausstieg der Klägerin, vollkommen funktionierte. Somit ist dieses Argument unerheblich und muß zurückgewiesen werden.

138 Bezueglich des angeblich unwiderlegten Arguments der Klägerin, daß die Kommission ihr die aktuellen Marktverhältnisse aufgrund der Entwicklung der Marktlage nicht hätte entgegenhalten können, ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin der Kommission zu Unrecht vorwirft, ihr die aktuellen Marktverhältnisse entgegengehalten zu haben, weil die Entscheidung (Randnrn. 11 bis 13) eine Analyse der Entwicklung des Marktes vorgenommen hat, die die Marktlage zur Zeit der Tätigkeit der Klägerin mit der nach ihrem Marktausstieg nicht etwa vermengt, sondern auseinandergehalten hat. Bezueglich dieses ersten Zeitraums hat die Kommission die Klägerin aber genauso wie die übrigen Hersteller behandelt. Diese Rüge ist folglich nicht begründet.

139 Bezueglich des angeblich unwiderlegten Arguments der Klägerin, daß die Kommission keine wirkliche Analyse der Marktpreise für den sie betreffenden Zeitraum vorgenommen habe, weil sich die Tabelle 9 im Anhang der Entscheidung lediglich auf die Jahre 1981 bis 1983 beziehe, stellt das Gericht fest, daß in Randnummern 17 letzter Absatz und 31 letzter Absatz für die Jahre 1977 bis 1979 dieselbe Analyse wie in Tabelle 9 im Anhang der Entscheidung vorgenommen wird und die Klägerin dieser Analyse der seinerzeit angewandten Preise nicht ausdrücklich widersprochen hat. Diese Rüge ist demnach nicht begründet.

3. Widersprüchliche Begründung

140 Nach Ansicht der Klägerin stehen die Gründe der Entscheidung erstens deswegen in Widerspruch zueinander, weil die Entscheidung an zwei Stellen (zum einen Randnrn. 74 Absatz 2 und 90 Absatz 33, zum anderen Randnr. 18 a. E.) Behauptungen bezueglich "aller" Hersteller aufstelle, während sie an anderer Stelle (zum einen Randnrn. 77 letzter Absatz und 83 letzter Absatz, zum anderen Randnr. 14, e contrario) die Klägerin ausdrücklich von der Gesamtheit der Hersteller ausnehme. Zweitens widersprächen die Gründe dem verfügenden Teil der Entscheidung, weil sie von Vereinbarungen zwischen Unternehmen ausgingen, während im verfügenden Teil zwischen "Vereinbarungen" und "abgestimmten Verhaltensweisen" unterschieden werde, die sodann einander gleichgestellt und der Klägerin vorgeworfen würden.

141 Die Kommission führt dieses Argument darauf zurück, daß die Klägerin die Entscheidung falsch oder unvollständig gelesen habe und das streitige Kartell rechtlich anders qualifiziere.

142 Das Gericht stellt fest, daß das Argument der Klägerin auf einem Verständnis der Entscheidung beruht, das in künstlicher Weise einzelne ihrer Gründe herausgreift, obwohl jeder einzelne Grund der Entscheidung, da sie ein Ganzes bildet, im Lichte der anderen Gründe betrachtet werden muß, um scheinbare Widersprüche in der Entscheidung aufzulösen. So verdeutlicht in der Entscheidung der jeweils letzte Absatz der Randnummern 77 und 83 lediglich die Randnummern 74 Absatz 2 und 90 Absatz 3 der Entscheidung. Ebenso verdeutlicht Randnummer 14 der Entscheidung deren Randnummer 18 (a. E.).

143 Ferner ergibt die Würdigung des Gerichts bezueglich der rechtlichen Qualifizierung der tatsächlichen Feststellungen durch die Kommission, daß die Gründe der Entscheidung ihrem verfügenden Teil nicht widersprechen.

144 Diese Rüge ist mithin zurückzuweisen.

Zum Grundsatz der Gleichbehandlung

145 Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstossen, weil sie gegen die Firmen Amoco und BP keine Geldbusse verhängt habe, obwohl ihr gegen diese Unternehmen ebensoviele, wenn nicht sogar mehr Beweise als gegen die Klägerin vorgelegen hätten. Die Kommission weise in der Entscheidung nämlich darauf hin, daß sie über mehr Beweise gegen diese Unternehmen als gegen die Klägerin verfüge (Kontakte wegen Preisen und Quoten, Unterstützung von ICI und eine gewisse Anpassung ihres Verhaltens an das der Kartellteilnehmer), diese Beweise jedoch nicht als ausreichend ansehe (Entscheidung, Randnr. 78 letzter Absatz). Ausserdem habe die Kommission die Bedeutung desselben Beweismittels, nämlich die Erwähnung in den Quotentabellen (Entscheidung, Tabelle 8), in Bezug auf die Klägerin einerseits und Amoco und BP andererseits unterschiedlich beurteilt, ohne einen Grund hierfür anzugeben.

146 Die Kommission bemerkt vorweg, daß die Klägerin sich zur Rechtfertigung einer ihr nachgewiesenen Zuwiderhandlung nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen könne. Bei Amoco und BP habe sie im Zweifel zu deren Gunsten entschieden, da diese Unternehmen an keiner regelmässigen Sitzung der Polypropylenhersteller teilgenommen hätten (Entscheidung, Randnr. 78 letzter Absatz letzter Satz). Der blosse Umstand, daß diese beiden Unternehmen telefonische Kontakte zu mehreren Kartellteilnehmern gehabt hätten, sei nicht als ausreichend angesehen worden, da nicht jeder "Kontakt" an sich schon eine abgestimmte Verhaltensweise sei. Im vorliegenden Fall seien die "Kontakte", die eine abgestimmte Verhaltensweise darstellten, die Teilnahme an den Sitzungen über wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen. Es gebe keinen Beweis für eine Teilnahme von Amoco und BP an diesen Sitzungen. Im übrigen seien die Tabellen, in denen die Quoten für die Unternehmen aufgeführt seien, nicht allein als Beweis für eine Beteiligung an einer abgestimmten Verhaltensweise herangezogen worden. Deshalb genüge das Marktverhalten von Amoco und BP, in dem gelegentlich die Beachtung der Quoten und die Angleichung ihrer Preise an die der anderen Hersteller zum Ausdruck gekommen sei, nicht für die Festsetzung einer Geldbusse gegen diese Unternehmen nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, da der entscheidende Beweis für ihre Beteiligung an der Abstimmung fehle.

147 Das Gericht stellt fest, daß eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes voraussetzt, daß vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt worden sind. Im vorliegenden Fall waren die Situation von Rhône-Poulenc und die von Amoco und BP nicht vergleichbar, denn die Kommission konnte, weil die letztgenannten Unternehmen an keiner regelmässigen Sitzung der Polypropylenhersteller teilgenommen hatten, zu Recht davon ausgehen, daß im Gegensatz zur Klägerin keine ausreichenden Beweise für ihre Beteiligung an einer wettbewerbswidrigen Abstimmung vorlagen. Auf einer solchen Abstimmung beruht aber das der Entscheidung zugrundeliegende Beweissystem. Das Gericht stellt daher fest, daß die aufgezeigte unterschiedliche Situation der beiden Unternehmen und der Klägerin ihre unterschiedliche Behandlung rechtfertigt.

148 Das von der Klägerin unter anderem vorgetragene Argument, daß Amoco in den Tabellen über die Verkaufsmengenziele genannt sei, hat das Gericht bereits zurückgewiesen.

149 Dieser Rüge kann daher kein Erfolg beschieden sein.

Zur Geldbusse

150 Die Klägerin trägt vor, daß die Entscheidung Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verletze, weil die Dauer und die Schwere der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht zutreffend gewürdigt worden seien.

1. Die Dauer der Zuwiderhandlung

151 Die Klägerin rügt, die Kommission habe bei der Bemessung der gegen sie verhängten Geldbusse die Dauer der Zuwiderhandlung nicht zutreffend festgestellt, da sie als deren Beginn das Jahr 1977 angesehen habe, obwohl die Beteiligung der Klägerin bis höchstens 1979 zurückreiche.

152 Die Kommission erwidert, daß sie der Klägerin die Teilnahme an einer einzigen, fortdauernden Rahmenvereinbarung, die bis 1977 zurückreiche, vorgeworfen habe, daß sie aber trotzdem bei der Bemessung der Geldbusse berücksichtigt habe, daß der Mechanismus erst etwa Anfang 1979 richtig funktioniert habe.

153 Das Gericht hat bereits festgestellt, daß die Kommission den Zeitraum, in dem die Klägerin gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen hat, zutreffend beurteilt hat.

154 Diese Rüge ist daher zurückzuweisen.

2. Die Schwere der Zuwiderhandlung

A - Fehlende Differenzierung zwischen den Unternehmen

155 Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission bei der Bemessung der Geldbusse die unterschiedliche Schwere der Verstösse der einzelnen Unternehmen nicht hinreichend berücksichtigt, weil sie die Entwicklung des Kartells, die in immer häufigeren Sitzungen (1979 eine, 1980 sechs und von 1981 bis 1983 insgesamt 48) und in einer immer klareren Zielsetzung zum Ausdruck gekommen sei, nicht beachtet habe.

156 Die Kommission entgegnet, sie habe eine Entwicklung des Kartells niemals bestätigt und nirgendwo eingeräumt, daß es 1979 nur eine Sitzung gegeben habe. Daß sie Zeit und Ort der Sitzungen im Jahre 1979 nicht habe feststellen können, bedeute nämlich nicht, daß sie nicht stattgefunden hätten. Ferner sei auch die Zielsetzung der Sitzungen in der Anfangszeit keineswegs unklar gewesen.

157 Das Gericht weist darauf hin, daß der Umstand, daß die Kommission Zeit und Ort nur einer beschränkten Anzahl von Sitzungen hat feststellen können, ohne Bedeutung für die Würdigung der Schwere der Zuwiderhandlung ist, da bewiesen ist, daß die Klägerin an einem System regelmässiger Sitzungen der Polypropylenhersteller beteiligt war, deren wettbewerbswidriger Zweck feststeht. Zudem ergibt sich aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8), daß Ende 1978 oder Anfang 1979 ein "System" von "Chef"- und "Experten"-Sitzungen eingeführt worden ist.

158 Dieser Rüge kann folglich nicht stattgegeben werden.

B - Ungenügende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Krisensituation

159 Die Klägerin wirft der Kommission weiter vor, bei der Bemessung der Geldbussen den wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem die Zuwiderhandlung zu sehen sei, nämlich die über lange Zeit verlustreiche Produktion von Polypropylen, nicht ausreichend berücksichtigt zu haben, während sie in früheren Entscheidungen, namentlich in ihrer Entscheidung vom 19. Juli 1984 (IV/30.863 - BPCL/ICI, ABl. L 212, S. 1, Randnr. 36.2) eingeräumt habe, daß die strukturelle Überkapazität eines Sektors Preiserhöhungen zugleich notwendig und unvermeidbar machen könne.

160 Die Kommission entgegnet, der Hinweis auf den wirtschaftlichen Zusammenhang sei unerheblich, da das Kartell nichts mit einem sogenannten "Krisenkartell" zu tun habe.

161 Das Gericht stellt zunächst fest, daß der Hinweis der Klägerin auf frühere Entscheidungen der Kommission unerheblich ist, weil diese sich auf die Freistellung eines sogenannten "Krisenkartells" nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag beziehen. Vorliegend ist indessen bezueglich der festgestellten Zuwiderhandlung keine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag beantragt worden.

162 Weiter ist zur Beurteilung dieser Rüge vorab die Art und Weise zu prüfen, wie die Kommission die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse bemessen hat.

163 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission zum einen die Kriterien für die Bestimmung des allgemeinen Niveaus der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 108) und zum anderen die Kriterien für die gerechte Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 109) festgelegt hat.

164 Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen die in Randnummer 108 der Entscheidung aufgeführten Kriterien bei weitem das allgemeine Niveau der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen. Insoweit ist besonders die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und insbesondere seine Buchstaben a, b und c hervorzuheben, die den vorsätzlich und unter grösster Geheimhaltung handelnden Polypropylenherstellern nicht unbekannt war.

165 Das Gericht hält auch die in Randnummer 109 der Entscheidung genannten vier Kriterien für sachgerecht und genügend, um zu einer gerechten Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen zu gelangen.

166 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Kommission weder individuell darzulegen noch zu erläutern brauchte, wie sie die erheblichen Verluste, die die verschiedenen Hersteller des Polypropylensektors ihren eigenen Angaben zufolge erlitten haben, berücksichtigt hat, da es sich dabei um einen der in Randnummer 108 der Entscheidung erwähnten Gesichtspunkte handelt, die bei der Festlegung des vom Gericht für gerechtfertigt befundenen allgemeinen Niveaus der Geldbussen herangezogen wurden.

167 Der Rüge der Klägerin kann demzufolge nicht stattgegeben werden.

C - Das Fehlen jeglichen Beweises für die wirkliche Politik von Rhône-Poulenc

168 Die Klägerin beanstandet, die Entscheidung habe bei der Bemessung der Geldbusse das Fehlen jeglichen Beweises für ihre wirkliche Politik insbesondere bezueglich der Preise nicht berücksichtigt.

169 Die Kommission trägt vor, daß sie auf dieses Argument bereits mit dem Hinweis geantwortet habe, daß die Verkaufszahlen der Klägerin 1980 fast genau den ihr zugeteilten Quoten entsprochen hätten. Diese Art von "Verhalten" zeige, daß die Klägerin die in den Sitzungen erreichten Vereinbarungen ernst genommen habe.

170 Nach Auffassung des Gerichts ist die Tatsache, daß die Kommission keine Beweise für die Preispolitik der Klägerin hat vorlegen können, darauf zurückzuführen, daß die Klägerin keine Belege für diese Politik aufbewahrt hat. Die Kommission hat hingegen nachweisen können, daß im Jahr 1980 die Politik der Klägerin bezueglich ihrer Verkaufsmengen, in Marktanteilen ausgedrückt, dem Ergebnis der Sitzungen der Polypropylenhersteller entsprach, an denen sie teilgenommen hatte. Eine Tabelle, in der die Verkäufe der einzelnen Hersteller für die Jahre 1979 und 1980 festgehalten und mit den für die gleichen Jahre vereinbarten Verkaufsmengenzielen verglichen werden (gem. Bpkte., Anl. 59), zeigt nämlich, daß der Marktanteil der Klägerin der ihr ursprünglich zugeteilten Quote entsprach, wenn man diese in Marktanteilen ausdrückt, auch wenn Rhône-Poulenc mengenmässig wegen einer von den Herstellern erwarteten Marktschrumpfung unterhalb dieser Quote geblieben ist (1207,9 kt statt 1382 kt). Unter diesen Umständen verfügte die Kommission nach Auffassung des Gerichts über ausreichende Beweise für die wirkliche Politik der Klägerin. Diese Rüge muß folglich zurückgewiesen werden.

D - Das Maß der Zusammenarbeit der Klägerin

171 Die Klägerin rügt, daß die Kommission das Maß der Zusammenarbeit der einzelnen Unternehmen bei ihren Ermittlungen für die Bemessung der Geldbussen berücksichtigt habe, vorher aber nicht um eine solche Zusammenarbeit gebeten habe.

172 Das Gericht weist darauf hin, daß es keiner besonderen Aufforderung an die Klägerin bedurfte, im Verwaltungsverfahren von sich aus mit der Kommission zusammenzuarbeiten, daß sie sich während dieses Verfahrens in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte auf die Erklärung beschränkt hat, sie beschäftige keinen Angestellten mehr, dem die streitigen Tatsachen bekannt seien, und besitze auch kein Schriftstück und keine Unterlage mehr, die den Polypropylensektor beträfen, weil sie zum Zeitpunkt dieser Mitteilung diesen Sektor bereits seit mehreren Jahren verlassen habe, und daß sie nicht die geringste Anstrengung unternommen hat, um ehemalige Angestellte zu befragen oder sich diese Schriftstücke wieder zu beschaffen.

173 Diese Rüge muß daher zurückgewiesen werden.

174 Hieraus folgt, daß die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse der Dauer und Schwere des zu Lasten der Klägerin festgestellten Verstosses gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln angemessen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

175 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission beantragt hat, der Klägerin die Kosten aufzuerlegen, hat diese die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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