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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: T-105/99
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 230 Abs. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Da über die Befugnis der Kommission als gemäß Artikel 205 EG-Vertrag (jetzt Artikel 274 EG) für die Ausführung des Haushalts der Gemeinschaft zuständiges Organ, Einrichtungen, die einen Anspruch auf Zahlung von Gemeinschaftsmitteln haben, aber auch Beträge mit gemeinschaftlichem Ursprung schulden, eine Aufrechnung entgegenzuhalten, ausdrückliche Vorschriften nicht vorhanden sind, ist anhand der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über die fragliche Aktion der Kommission und der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu entscheiden, ob eine solche Entscheidung der Kommission über die Aufrechnung eine Rechtsgrundlage hat. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und der Grundsatz des guten Finanzgebarens zu berücksichtigen. Aus dem Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts folgt, dass die Gemeinschaftsmittel gemäß ihrer Zweckbestimmung zur Verfügung zu stellen und zu verwenden sind. Was den Grundsatz des guten Finanzgebarens anbelangt, so kann er keinesfalls auf eine rein rechnerische Definition reduziert werden, die im Wesentlichen in der bloßen Möglichkeit bestuende, eine Verbindlichkeit als formal beglichen zu betrachten. Eine richtige Auslegung dieses Grundsatzes muss vielmehr die Sorge dafür einschließen, wie sich Handlungen der Finanzverwaltung praktisch auswirken, wofür insbesondere der Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts einen Bezugspunkt bildet.

Mangels Erfuellung dieser Anforderungen ist eine Entscheidung der Kommission, eine Aufrechnung zwischen ihrer eigenen Forderung und als Gemeinschaftszuschüsse geschuldeten Beträgen vorzunehmen, für nichtig zu erklären, wenn die Kommission diese Entscheidung erließ, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass die Entscheidung die Verwendung der fraglichen Mittel gemäß ihrer Zweckbestimmung und die Durchführung der fraglichen Aktionen nicht gefährden würde, und wenn sie auch anders hätte vorgehen können, ohne die Einziehung ihrer angeblichen Forderung gegenüber dem Kläger und die ordnungsgemäße Verwendung der streitigen Beträge in Frage zu stellen.

(vgl. Randnrn. 59-60, 73-75)


Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte Kammer) vom 14. Dezember 2000. - Conseil des communes et régions d'Europe (CCRE) gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Gemeinschaftsrecht - Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts - Grundsatz des guten Finanzgebarens - Aufrechnung zwischen einer Forderung der Kommission und als Gemeinschaftszuschüsse geschuldeten Beträgen. - Rechtssache T-105/99.

Parteien:

In der Rechtssache T-105/99

Conseil des communes et régions d'Europe (CCRE) mit Sitz in Paris, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. Herbert und F. Renard, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts K. Manhaeve, 56-58, rue Charles Martel, Luxemburg,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater P. Oliver und K. Simonsson, Juristischer Dienst, sowie W. Neirinck, dem Juristischen Dienst zur Verfügung gestellte nationale Beamtin, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

"wegen Nichtigerklärung der in dem Schreiben vom 15. Februar 1999 enthaltenen Entscheidung der Kommission, dem Kläger eine Aufrechnung ihrer gegenseitigen Forderungen entgegenzuhalten,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Vierte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter R. M. Moura Ramos und P. Mengozzi,

Kanzler: G. Herzig, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Am 11. Februar 1994 und am 25. April 1995 schloss der Conseil des communes et régions d'Europe (CCRE), eine Vereinigung französischen Rechts, in der nationale Verbände kommunaler und regionaler Körperschaften in Europa, die Vereinigung Agence pour les réseaux transméditerranéens (ARTM) und die Vereinigung französischen Rechts Cités unies développement (CUD) zusammengeschlossen sind, mit der Kommission drei Verträge über technische Hilfe.

2 Diese Verträge betrafen zwei auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 1763/92 des Rates vom 29. Juni 1992 über die finanzielle Zusammenarbeit mit allen Drittländern im Mittelmeerraum (ABl. L 181, S. 5) beschlossene Programme der regionalen Zusammenarbeit mit der Bezeichnung MED-URBS und MED-URBS MIGRATION (im Folgenden: MED-URBS-Verträge). Nach dem Artikel 8 beider Verträge gilt für diese belgisches Recht; für den Fall, dass eine Streitigkeit zwischen den Parteien nicht gütlich beigelegt werden kann, wurde außerdem die Zuständigkeit der Zivilgerichte Brüssel vereinbart.

3 Bei einer Prüfung der Konten des CCRE stellte die Kommission fest, dass sie im Rahmen der MED-URBS-Verträge vom CCRE eine Forderung in Höhe von 195 991 ECU einzuziehen hatte. Sie stellte deshalb am 30. Januar 1997 die Lastschrift Nr. 97002489N in Höhe dieses Betrages aus und ersuchte den CCRE mit Schreiben vom 7. Februar 1997 um Zahlung.

4 In diesem Schreiben, das dem Kläger erst am 23. Februar 1997 zuging, begründete die Kommission die Zahlungsaufforderung allgemein damit, dass Vertragsbestimmungen nicht eingehalten worden seien.

5 Auf Bitte des CCRE erläuterte die Kommission dies mit Schreiben vom 25. Juli 1997 dahin, dass die für die Verträge geltenden Budgets nicht eingehalten worden seien, da die Ausgaben die Budgetgrenzen ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Kommission überschritten hätten.

6 Der Kläger trat dieser Auffassung der Kommission in mehreren Schreiben und bei verschiedenen Besprechungen entgegen und lehnte die Zahlung des geforderten Betrages ab.

7 Mit Einschreiben vom 19. November 1998 forderte die Kommission den CCRE auf, den fraglichen Betrag innerhalb von 15 Tagen nach Zugang des Einschreibens zu begleichen.

8 Mit Mahnschreiben vom 3. Dezember 1998 erinnerte die Kommission den CCRE an die ausstehende Zahlung von 195 991 ECU und wies auf die Möglichkeit hin, dass der Betrag "der Hauptforderung nebst Zinsen auch durch Aufrechnung mit allen [dem CCRE] als Gemeinschaftszuschüsse geschuldeten Beträgen oder im Klagewege" eingezogen werden könne.

9 Mit Antwortschreiben vom 18. Dezember 1998 bestritt der CCRE, dass seine angebliche Geldschuld gewiss sei, und widersprach der Aufrechnung.

10 Mit Schreiben vom 15. Februar 1999 teilte die Kommission dem CCRE mit, dass "die fragliche Forderung... gewiss, einziehbar und fällig... und deshalb eine Aufrechnung zulässig" sei. Sie unterrichtete den Kläger außerdem über ihre Entscheidung (im Folgenden: streitige oder angefochtene Entscheidung), "den Betrag in Höhe von 195 991,00 Euro durch Aufrechnung mit den als Gemeinschaftszuschüsse" für bestimmte Aktionen (im Folgenden: streitige Aktionen) "geschuldeten Beträgen einzuziehen". Weiter führte sie aus: "[D]ie Zahlungen... sind als vom CCRE mit den daraus folgenden Pflichten erhalten anzusehen, gleichviel ob die Zahlung ein Vorschuss, ein Abschlag oder eine endgültige Zahlung ist".

11 Gemäß der Gerichtsstandsklausel in den MED-URBS-Verträgen rief der CCRE das Tribunal de première instance Brüssel an; er machte geltend, dass die angebliche Forderung der Kommission im Rahmen dieser Verträge unbegründet sei und dass damit die nach belgischem Recht erforderlichen Voraussetzungen, um vertragliche Forderungen durch Aufrechnung erlöschen zu lassen, nicht erfuellt seien.

Verfahren und Anträge der Parteien

12 Mit Klageschrift, die am 28. April 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

13 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

14 Die Parteien haben in der Sitzung vom 11. Mai 2000 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

15 Der Kläger beantragt,

- die in der Lastschrift Nr. 97002489N vom 15. Februar 1999 enthaltene Entscheidung der Kommission, ihm die Beträge von

- 39 447,39 Euro für "regionale Seminare für die Gebiete des Ziels 2 (GD XVI)",

- 50 000,00 Euro für den "Programmzuschuss 1998 (Generalsekretariat)",

- 82 800,00 Euro für die "Erklärung B4-3040/98/208/jnb/d3 (GD XI)",

- und von 23 743,61 Euro für das "Übereinkommen SOC 98 101185 05D05 (GD V)" (in Gesamthöhe von 31 405,08 Euro)

(im Folgenden: streitige Beträge) nicht auszuzahlen, für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

16 Die Kommission beantragt,

- die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen;

- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

17 Die Kommission macht geltend, die Klage sei unzulässig, da sie sich laut der Klageschrift gegen "die in der Lastschrift Nr. 97002489N vom 15. Februar 1999 enthaltene Entscheidung der Kommission" richte, während die Lastschrift in Wirklichkeit vom 30. Januar 1997 datiere. Dem Kläger sei somit ein offensichtlicher Fehler unterlaufen, da er seine Klage nach Ablauf der Frist gemäß Artikel 173 Absatz 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 230 Absatz 5 EG) erhoben habe.

18 In seiner Erwiderung habe der Kläger seinen Antrag dann dahin geändert, dass dieser "die Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften" zum Gegenstand habe, "die in dem auf die Lastschrift Nr. 97002489N Bezug nehmenden Schreiben vom 15. Februar 1999 enthalten" sei.

19 Wäre die Klage bereits in der Klageschrift so formuliert worden, so hätte die Kommission ihre Zulässigkeit nie bestritten. Der Kläger dürfe aber seine ursprüngliche Antragsformulierung in der Erwiderung nicht mehr ändern.

20 Der Kläger führt aus, das Ziel der vorliegenden Klage sei die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission, die Lastschrift Nr. 97002489N als Zahlungsmodus für die ihm geschuldeten Gemeinschaftszuschüssse im Wege der Aufrechnung einzusetzen.

21 Diese Entscheidung sei in dem Schreiben vom 15. Februar 1999 enthalten, das dem Kläger am 23. Februar 1999 zugegangen sei. Sie habe Rechtswirkungen, die die Interessen des Klägers als Gläubiger von Gemeinschaftszuschüssen unstreitig beeinträchtigten, und sei deshalb eine ihn beschwerende Handlung.

22 Da die Klage am 28. April 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sei, sei die Frist gemäß Artikel 173 Absatz 5 EG-Vertrag gewahrt worden. Die Klage sei deshalb zulässig.

Würdigung durch das Gericht

23 Aus der Klageschrift geht eindeutig hervor, dass die Klage die in dem Schreiben vom 15. Februar 1999 enthaltene Entscheidung der Kommission, eine Aufrechnung vorzunehmen, zum Gegenstand hat. Die Klage wurde somit nach Artikel 173 Absatz 5 EG-Vertrag fristgemäß erhoben und ist deshalb zulässig.

Zur Begründetheit

24 Der Kläger stützt seine Klage auf vier Gründe, nämlich das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die streitige Entscheidung, einen Verstoss gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und einen Verstoss gegen die Begründungspflicht gemäß Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG). Nach den Umständen des Falles ist der erste Klagegrund vorrangig zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

25 Der Kläger macht geltend, dass der für die Rechte und Pflichten der Kommission und der Empfänger von Gemeinschaftszuschüssen maßgebende rechtliche Rahmen durch den Wortlaut der Vereinbarung oder Unterlagen über die Gewährung der fraglichen Zuschüsse und gegebenenfalls durch die ihnen beigefügten Allgemeinen Bedingungen festgelegt werde.

26 Im vorliegenden Fall sehe aber keine Bestimmung in diesen Texten eine Befugnis der Kommission von, die Verbindlichkeiten, die sie aus von ihr zu gewährenden Gemeinschaftszuschüssen habe, mit einer angeblichen Forderung gegen den CCRE aus einer anderen Rechtsbeziehung aufzurechnen.

27 Da die fragliche Forderung vertraglicher Art sei, die Verbindlichkeiten dagegen auf Rechtsvorschrift beruhten, würden die Forderung und die Verbindlichkeiten aus unterschiedlichen Rechtsgründen gefordert und geschuldet, und sie beruhten daneben auf zwei verschiedenen Rechtsordnungen, nämlich der belgischen und der der Gemeinschaft. Darüber hinaus seien für die fraglichen Verträge und die Zuschüsse verschiedene Dienststellen der Kommission zuständig.

28 Nach dem Verwaltungsrecht bestimmter Mitgliedstaaten, so insbesondere nach französischem und belgischem Verwaltungsrecht, dürfe eine Behörde nicht Verbindlichkeiten mit Forderungen aufrechnen, für die verschiedene Dienststellen zuständig seien und/oder die auf verschiedenen Rechtsordnungen beruhten.

29 Die Kommission könne eine Aufrechnung auch nicht damit begründen, dass diese einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts darstelle. Die allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, die unter allen Umständen anwendbar seien, dienten nämlich dazu, eine Versagung gerichtlichen Rechtsschutzes zu verhindern (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1957 in den verbundenen Rechtssachen 7/56 und 3/57 bis 7/57, Algera u. a./Gemeinsame Versammlung der EGKS, Slg. 1957, 85), den Inhalt eines im Gemeinschaftsrecht nicht definierten und vor Gericht geltend gemachten Rechtsbegriffs zu präzisieren, die dem Geist des Vertrages am besten gerecht werdende Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm zu untermauern oder das Ermessen der Organe und der Mitgliedstaaten einzuschränken.

30 Mit der Aufrechnung werde keiner dieser Zwecke verfolgt, sondern mit ihr solle rechtswidrig die Befugnis der Kommission ausgeweitet werden, die Zahlung unstreitig geschuldeter Beträge zu verweigern. Die Beklagte habe ihre angebliche Forderung auf diese Weise der Prüfung durch die Gerichte eines Mitgliedstaats entzogen, die nach den Gerichtsstandklauseln in den Parteivereinbarungen zuständig seien.

31 Nach der Rechtsprechung sei die Aufrechnung lediglich ein besonderer "Mechanismus" des Erlöschens gegenseitiger Verpflichtungen, der nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen Anwendung fände.

32 Der Gerichtshof habe sich mit der Anwendung des Mechanismus der Aufrechnung zwischen Verpflichtungen, die auf zwei verschiedenen Rechtsordnungen beruhten, nur in seinem Urteil vom 19. Mai 1998 in der Rechtssache C-132/95 (Jensen und Korn- og Foderstofkompagniet, Slg. 1998, I-2975; im Folgenden: Urteil Jensen) befasst. Er habe dort festgestellt, dass bei Beteiligung zweier Rechtsordnungen, von denen eine einschlägige Aufrechnungsbestimmungen nicht enthalte, jedenfalls die Bestimmungen der anderen Rechtsordnung anwendbar seien.

33 Nach diesem Grundsatz sei im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechnung nach belgischem Recht vorlägen, da für die Verträge, aus denen sich die angebliche Forderung der Kommission ergebe, das belgische Recht gelte.

34 Nach belgischem Recht sei eine Aufrechnung zwischen zwei gegenseitigen Verpflichtungen durch die Parteien eines Vertrags nur zulässig, wenn die fraglichen Forderungen gewiss, einziehbar und fällig seien. In keiner ihrer drei Formen - der gesetzlichen, der gerichtlichen oder der vertraglichen Aufrechnung - könne die Aufrechnung automatisch durch nur eine Partei bewirkt werden, wenn nicht strenge Voraussetzungen erfuellt seien.

35 Im vorliegenden Fall sei die angebliche Forderung der Kommission im Rahmen der Erfuellung der MED-URBS-Verträge nicht gewiss, da der Kläger sie bestritten und aus diesem Grunde das Tribunal de première instance Brüssel angerufen habe.

36 Die einzige andere Rechtsordnung, für die sich im vorliegenden Fall ein Anknüpfungspunkt ergebe, sei wegen des Sitzes des CCRE das französische Recht. Das französische Recht sehe aber für die Anwendung des Aufrechnungsmechanismus die gleichen Voraussetzungen wie das belgische Recht vor.

37 Selbst wenn also im Rahmen des Gemeinschaftsrechts eine Aufrechnung zulässig sein sollte, um zwei auf verschiedenen Rechtsordnungen beruhende Verpflichtungen zum Erlöschen zu bringen, seien jedenfalls die erforderlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung im vorliegenden Fall nicht gegeben.

38 In der mündlichen Verhandlung hat der CCRE ergänzend darauf hingewiesen, dass die Kommission ihm auf sein Schreiben vom 22. Januar 1999, mit dem er sie über die durch die verspätete Zahlung der Gemeinschaftsmittel verursachten Probleme für die ordnungsgemäße Durchführung der streitigen Aktionen unterrichtet habe, lediglich mit Antwortschreiben vom 3. Februar 1999 den Eingang seines Schreibens bestätigt habe.

39 Die Kommission macht geltend, das Recht zur Erklärung der Aufrechnung sei ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der auch ohne eine ausdrückliche Vorschrift gelte.

40 Die Unterscheidung zwischen "Mechanismus" und "Grundsatz" sei rein semantischer Art. Unabhängig davon, ob man die Aufrechnung als Mechanismus oder als Zahlungsmodus betrachte, bleibe das Recht zur Aufrechnung ein allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz.

41 Diese Auffassung werde durch Urteile des Gerichtshofes zu Fragen der Aufrechnung gestützt. So habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. März 1983 in der Rechtssache 250/78 (DEKA/EWG, Slg. 1983, 421, Randnr. 13) festgestellt, dass gemeinschaftsrechtliche Vorschriften "zwischen den Behörden und den Wirtschaftsteilnehmern gegenseitige und miteinander im Zusammenhang stehende Forderungen begründen [können], die sich zur Aufrechnung eignen". Das Recht, eine Aufrechnung zu erklären, bestehe somit im Gemeinschaftsrecht selbst bei Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung.

42 Der Kläger interpretiere ausserdem das Urteil DEKA/Kommission zu Unrecht so, als ob es die Anwendung des Grundsatzes betreffe, dass betrügerische Handlungen des Schuldners dem Gläubiger nicht entgegengehalten werden könnten. In jenem Fall sei aber nicht die Abtretung des Anspruchs betrügerisch gewesen, sondern der Versuch, die Aufrechnung zu vermeiden.

43 Auch in seinem Urteil vom 15. Oktober 1985 in der Rechtssache 125/84 (Continental Irish Meat, Slg. 1985, 3441) habe der Gerichshof die dort fragliche Aufrechnung durch eine nationale Behörde für zulässig erklärt.

44 Schließlich habe der Gerichtshof im Urteil Jensen (Randnr. 54) festgestellt, dass "das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, gegen einen Zahlungsanspruch, der einem Beihilfeempfänger aufgrund eines Gemeinschaftsrechtsakts zusteht, mit Forderungen dieses Staates aufzurechnen", und Generalanwalt Fennelly habe in seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache (Slg. 1998. I-2977, Nr. 39) ausgeführt:

"Vollstreckung vor Zahlung des Geldes unterscheidet sich, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der Freiheit des Begünstigten betrachtet, über sein Vermögen zu verfügen, recht wenig von jeder anderen Form der Vollstreckung nach Zahlung."

45 Aus den Schlussanträgen der Generalanwälte Mancini und Fennelly in den Rechtssachen DEKA/EWG (Slg. 1983, 433), Continental Irish Meat (Slg. 1985, 3442) und Jensen ergebe sich weiter, dass die Aufrechnung ein völlig gängiger Zahlungsmodus sei, da der Gegner der Aufrechnung diese immer vor dem zuständigen Gericht anfechten könne.

46 Würde einem Gäubiger das Aufrechnungsrecht gegenüber einem säumigen Schuldner einfach versagt, so würde ihm eine Möglichkeit der raschen und wirksamen Einziehung seiner Forderung genommen, was einer vernünftigen Betrachtungsweise und dem Grundsatz der Verfahrensökonomie offenkundig widerspräche.

47 Um die Anwendungsvoraussetzungen der Aufrechung im Rahmen der Gemeinschaftsrechtsordnung zu bestimmen, seien die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten heranzuziehen. Hierfür sei "ein wertendes Vorgehen [angezeigt], bei dem insbesondere die speziellen Vertragsziele und die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur berücksichtigt werden" müssten (Schlussanträge von Generalanwalt Roemer vom 13. Juli 1971 in der Rechtssache 5/71, Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 987, 990).

48 Einer vergleichenden Studie über das Recht von sechs Mitgliedstaaten und der vorgenannten Rechtsprechung sei zu entnehmen, dass für eine Aufrechnung folgende Voraussetzungen erfuellt sein müssten: Beide Verbindlichkeiten müssten Geld oder vertretbare Sachen der gleichen Art zum Gegenstand haben und außerdem einziehbar und fällig sein. Diese drei Voraussetzungen lägen hier vor, da beide Verbindlichkeiten Geldschulden und der Höhe nach bestimmt sowie fällig seien, da sie im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zu erfuellen gewesen seien.

49 Zwar sei nach manchen nationalen Rechten darüber hinaus erforderlich, dass die Verbindlichkeit nicht ernstlich bestritten werde. Diese Anforderung entspreche aber nicht den Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts, da sie die eine Partei dazu verpflichte, der anderen das ihr Geschuldete zu leisten und anschließend zur Einziehung ihrer eigenen Forderung das zuständige Gericht anzurufen.

50 Dass für die fraglichen Verträge und Zuschüsse verschiedene Dienststellen desselben Organs zuständig seien, sei unerheblich, da diese Dienststellen keine autonomen Einheiten bildeten, sondern jede Rechtshandlung von der Kommission - und nicht von den Generaldirektionen - beschlossen oder vorgenommen werde.

51 Würde dem Umstand Bedeutung beigemessen, dass die beiden fraglichen Forderungen auf verschiedenen Rechtsordnungen beruhten, so hätte dies eine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Aufrechnung zur Folge.

52 Auch gegenüber der Kommission selbst könne eine Aufrechnung erklärt werden.

53 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission hervorgehoben, dass nur diese Rechtsauffassung der praktischen Wirksamkeit des Vertrags bei der Ausführung des Gemeinschaftshaushalts im Einklang mit dem Grundsatz des guten Finanzgebarens gerecht werde.

Würdigung durch das Gericht

54 Mit der vorliegenden Klage wird die Nichtigerklärung der in dem Schreiben vom 15. Februar 1999 enthaltenen Entscheidung der Kommission begehrt, gegenüber dem Kläger eine Aufrechnung ihrer gegenseitigen Forderungen zu erklären. Ferner wurde zwischen den Parteien vereinbart, dass für Rechtsstreitigkeiten wegen der MED-URBS-Verträge die Zivilgerichte in Brüssel zuständig sein sollen. Das Gericht hat deshalb die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nur zu prüfen, so weit sie sich dahin auswirkt, dass die streitigen Beträge dem Kläger nicht tatsächlich ausbezahlt wurden.

55 Das Gemeinschaftsrecht enthält nach seinem gegenwärtigen Stand keine ausdrücklichen Vorschriften über die Befugnis der Kommission als gemäß Artikel 205 EG-Vertrag (jetzt Artikel 274 EG) für die Ausführung des Haushalts der Gemeinschaft zuständiges Organ, Einrichtungen, die einen Anspruch auf Zahlung von Gemeinschaftsmitteln haben, aber auch Beträge mit gemeinschaftlichem Ursprung schulden, eine Aufrechnung entgegenzuhalten.

56 Allerdings ist die Aufrechnung von Gemeinschaftsmitteln ein rechtlicher Mechanismus, dessen Anwendung nach den Urteilen DEKA/Kommission, Continental Irish Meat und Jensen des Gerichtshofes mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht.

57 Diese Rechtsprechung des Gerichtshofes umfasst jedoch nicht alle Erwägungen, die für die Entscheidung des vorliegenden Falles zu berücksichtigen sind.

58 Im übrigen wäre es vorzugswürdig, wenn die mit der Aufrechnung zusammenhängenden Fragen in allgemeinen Vorschriften durch den Gesetzgeber und nicht im Wege einzelner Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte in den bei ihnen anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten geregelt würden.

59 Da ausdrückliche Vorschriften in diesem Bereich nicht vorhanden sind, ist anhand der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über die fragliche Aktion der Kommission und der zitierten Rechtsprechung zu entscheiden, ob die streitige Entscheidung eine Rechtsgrundlage hat. In diesem Zusammenhang sind insbesondere der in dieser Rechtsprechung (Urteil Jensen, Randnrn. 54 und 67) genannte Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und der Grundsatz des guten Finanzgebarens zu berücksichtigen.

60 Aus dem Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts folgt, dass die Gemeinschaftsmittel gemäß ihrer Zweckbestimmung zur Verfügung zu stellen und zu verwenden sind.

61 Im vorliegenden Fall hatte die Kommission deshalb vor Erklärung der Aufrechnung zu prüfen, ob trotz der Aufrechnung gewährleistet blieb, dass die fraglichen Mittel für die vorgesehenen Zwecke verwendet und die Aktionen, für die streitigen Beträge vergeben worden waren, durchgeführt werden würden.

62 Die Aufrechnung ist ein Modus des Erlöschens zweier gegenseitiger Forderungen. Im vorliegenden Fall brachte die Aufrechnung nach Ansicht der Kommission die von ihr gegen den CCRE geltend gemachte Forderung aus den MED-URBS-Verträgen und, zumindest teilweise, die Forderung des CCRE gegen die Kommission wegen ihm im Rahmen der streitigen Aktionen zu zahlender gemeinschaftlicher Zuschüsse zum Erlöschen. Mit Schreiben vom 15. Februar 1999 stellte die Kommission außerdem klar, dass die im Wege der Aufrechnung vorgenommenen Zahlungen "als von dem CCRE mit den sich daraus ergebenden Verpflichtungen erhalten" anzusehen seien. Die Kommission brachte damit zum Ausdruck, dass sie vom Kläger verlangte, dass er seine Verpflichtung zur Durchführung der streitigen Aktion erfuellen werde.

63 Da jedoch die für die Erfuellung dieser Verpflichtung bestimmten Beträge nicht tatsächlich ausgezahlt wurden, ist offensichtlich, dass diese Beträge nicht entsprechend ihrer Zweckbestimmung verwendet und aus diesem Grund möglicherweise die streitigen Aktionen nicht durchgeführt werden würden, was der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der praktischen Wirksamkeit der Entscheidungen über die Bewilligung der streitigen Beträge zuwiderläuft.

64 Der Standpunkt der Kommission impliziert, dass dem CCRE noch immer die aufgrund der MED-URBS-Verträge gewährten und von ihr eingeforderten Beträge zur Verfügung stuenden und dass er nach der Aufrechnung diese für die Durchführung der streitigen Aktionen einsetzen könne.

65 Wenn diese Mittel dem CCRE jedoch nicht mehr zur Verfügung standen, so konnte er die Durchführung der streitigen Aktionen offensichtlich nicht mehr finanzieren.

66 Die streitige Entscheidung bewirkte damit eine Verlagerung des Problems von der Einziehung der Forderung, die die Kommission im Zusammenhang mit der Abwicklung der MED-URBS-Verträge geltend machte, zur Durchführung der streitigen Aktionen, an denen ein gemeinschaftliches Interesse bestand, das infolge der Aufrechnung seither gefährdet ist.

67 Die streitigen Beträge waren aber nicht für die Begleichung der Verbindlichkeiten des CCRE, sondern für die Durchführung der Aktionen bestimmt, für die sie bereitgestellt worden waren. Anders als in dem Ausgangssachverhalt des Urteils Jensen (Randnrn. 38 und 59), wo die dort fragliche Verordnung den Landwirten ein bestimmtes Einkommen gewährleisten sollte, durften die hier streitigen Beträge nur für die Durchführung der Aktionen verwendet werden, für die diese Beträge bestimmt waren.

68 Trotz der Ausführungen ihres Vertreters in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission jedoch nicht nachweisen können, dass sie vor der Erklärung der Aufrechnung zumindest die Gefahr geprüft hatte, die sich daraus, dass die streitigen Beträge dem Kläger nicht tatsächlich ausgezahlt wurden, für die Durchführung der streitigen Aktionen ergab.

69 Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man im vorliegenden Fall den Grundsatz des guten Finanzgebarens anwendet, den die Kommission bei der Ausführung des Gemeinschaftshaushalts gemäß Artikel 205 EG-Vertrag zu beachten hat.

70 Was nämlich die Einziehung der angeblichen Forderung der Kommission gegenüber dem Kläger angeht, so hätte die Kommission, da der CCRE nicht zahlungsunfähig war, die Zahlung vor dem zuständigen belgischen Gericht einklagen können.

71 Um die ordnungsgemäße Verwendung der streitigen Beträge zu gewährleisten, hätte die Kommission außerdem, falls ihr die Verwaltung der Gemeinschaftsmittel durch den CCRE zweifelhaft erschien, eine vorsorgliche Aussetzung der Zahlung dieser Beträge an den CCRE erwägen können, wie sie dies auch hinsichtlich anderer dem CCRE geschuldeter Beträge tat.

72 Somit hätte die Kommission sowohl die Erfuellung der Verbindlichkeit aus den MED-URBS-Verträgen durchsetzen als auch sicherstellen können, dass die streitigen Beträge im Falle ihrer Zahlung an den CCRE tatsächlich für die Durchführung der streitigen Aktionen verwendet werden würden.

73 Der Grundsatz des guten Finanzgebarens kann nämlich keinesfalls auf eine rein rechnerische Definition reduziert werden, die im Wesentlichen in der bloßen Möglichkeit bestuende, eine Verbindlichkeit als formal beglichen zu betrachten. Eine richtige Auslegung dieses Grundsatzes muss vielmehr die Sorge dafür einschließen, wie sich Handlungen der Finanzverwaltung praktisch auswirken, wofür insbesondere der Grundsatz der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts einen Bezugspunkt bildet.

74 Nach alledem durfte die Kommission die streitige Entscheidung nicht erlassen, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass die Entscheidung die Verwendung der fraglichen Mittel gemäß ihrer Zweckbestimmung und die Durchführung der streitigen Aktionen nicht gefährden würde, solange sie auch anders vorgehen konnte, ohne die Einziehung ihrer angeblichen Forderung gegenüber dem Kläger und die ordnungsgemäße Verwendung der streitigen Beträge in Frage zu stellen.

75 Da der erste Klagegrund somit durchgreift, ist die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne dass die weiteren Klagegründe und Argumente des Klägers geprüft zu werden brauchen.

Kostenentscheidung:

Kosten

76 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die in dem Schreiben vom 15. Februar 1999 enthaltene Entscheidung der Kommission, dem Kläger eine Aufrechnung ihrer gegenseitigen Forderungen entgegenzuhalten, wird für nichtig erklärt.

2. Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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