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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 29.01.1998
Aktenzeichen: T-113/96
Rechtsgebiete: EGV, EG-Satzung, Verfahrensordnung, Verordnung Nr. 3632/85


Vorschriften:

EGV Art. 178
EGV Art. 215 Abs. 2
EG-Satzung Art. 19
Verfahrensordnung Art. 44 Abs. 1 c
Verordnung Nr. 3632/85
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

7 Nach Artikel 19 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes und nach Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts muß die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Darstellung muß aus sich selbst heraus hinreichend klar und deutlich sein, um dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Ausübung der richterlichen Kontrolle zu ermöglichen. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemässe Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, daß sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben.

Eine Klage auf Ersatz der von einem Gemeinschaftsorgan verursachten Schäden genügt diesen Erfordernissen nur, wenn sie Angaben enthält, anhand deren sich das dem Organ vom Kläger vorgeworfene Verhalten bestimmen lässt, die Gründe angibt, aus denen nach Auffassung des Klägers ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten und dem angeblich erlittenen Schaden besteht, sowie Art und Umfang dieses Schadens bezeichnet.

8 Eine Klage, mit der die Gemeinschaft für einen Schaden haftbar gemacht werden soll, der auf die Einheitliche Akte zurückgeht, die ein Rechtsakt des primären Gemeinschaftsrechts und somit weder eine Handlung der Gemeinschaftsorgane noch eine Handlung der Bediensteten der Gemeinschaft in Ausübung ihrer Amtstätigkeit ist, ist unzulässig und kann daher keine ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft begründen.

Die Normenhierarchie bedingt im übrigen, daß die Artikel 178 und 215 Absatz 2 des Vertrages, die die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft regeln und zum Primärrecht gehören, nicht auf gleichrangige Rechtsakte wie die Einheitliche Akte angewandt werden können, sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

9 Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane können die Haftung der Gemeinschaft nur dann begründen, wenn die Organe gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstossen haben, die sich aus einer Gemeinschaftsvorschrift ergibt.

Was den Wegfall des Berufszweigs des innergemeinschaftlichen Zollspediteurs infolge der Einheitlichen Akte angeht, ergibt sich eine solche Verpflichtung weder aus der Einheitlichen Akte selbst noch aus irgendeiner anderen ausdrücklichen Bestimmung des geschriebenen Gemeinschaftsrechts noch aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach die Gemeinschaft denjenigen zu entschädigen hätte, gegen den eine enteignende Maßnahme oder eine Maßnahme ergangen ist, durch die seine Freiheit, von seinem Eigentum Gebrauch zu machen, eingeschränkt wird, da die Gemeinschaft keine Pflicht zur Entschädigung für Handlungen treffen kann, die ihr nicht zuzurechnen sind.

Allerdings mag sich eine Entschädigungspflicht gegebenenfalls aus dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats ergeben, in dessen Hoheitsgebiet der innergemeinschaftliche Zollagent oder -spediteur seine Tätigkeit ausgeuebt hat.

10 Die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft für Schäden, die durch von ihren Organen erlassene Rechtsakte oder durch den pflichtwidrigen Nichterlaß solcher Akte verursacht worden sind, kann nur bei Verletzung einer höherrangigen, den einzelnen schützenden Rechtsnorm ausgelöst werden. Wenn das Organ die Handlung in Ausübung eines weiten Ermessens erlassen hat, setzt die Haftung der Gemeinschaft weiter voraus, daß eine qualifizierte, nämlich eine offenkundige und schwerwiegende Verletzung vorliegt.

Die angeblich unzureichenden Maßnahmen der Gemeinschaft zugunsten des Berufszweigs der Zollspediteure anläßlich der Schaffung des Binnenmarktes, unterstellt, die Organe hätten gegen eine gesetzliche Pflicht zum Handeln verstossen, wären nicht geeignet, die Haftung der Gemeinschaft wegen Verstosses gegen den Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte auszulösen, da den Organen beim Erlaß genereller Rechtsnormen, die auf wirtschaftspolitischen Entscheidungen beruhen, ein weites Ermessen zukommt.

Die Verordnung Nr. 3632/85 zur Festlegung der Voraussetzungen, unter denen eine Person eine Zollanmeldung abgeben kann, die die Tätigkeit der Zollagenten und -spediteure nicht gemeinschaftsrechtlich regelt, sondern lediglich die Voraussetzungen harmonisiert, unter denen eine Person eine Zollerklärung abgeben kann, hat den Zollagenten und -spediteuren keinen Vorteil verschafft, der als wohlerworbenes Recht einzustufen wäre. Selbst wenn man im übrigen unterstellt, die Verordnung Nr. 3632/85 habe tatsächlich dem Berufszweig der Zollagenten und -spediteure einen besonderen Vorteil gewährt, können die Angehörigen dieses Berufszweigs gleichwohl nicht mit Erfolg ein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung dieses Vorteils geltend machen, da die Gemeinschaftsorgane berechtigt sind, die Regelungen erforderlichenfalls den Entwicklungen anzupassen, und die Wirtschaftsteilnehmer kein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung eines Vorteils geltend machen können, der ihnen aus einer solchen Regelung zu einem bestimmten Zeitpunkt erwächst.

11 Auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich jeder berufen, bei dem die Gemeinschaftsverwaltung begründete Hoffnungen geweckt hat. Dagegen kann eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht geltend machen, wem die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat.

12 Das Recht der freien Berufsausübung gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Dieser Grundsatz kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern muß im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich kann die freie Berufsausübung Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antastet.

In Anbetracht des verfolgten wichtigen Zweckes bringt die Verwirklichung des Binnenmarktes, die ein offensichtlich dem Gemeinwohl dienendes Ziel darstellt, keine unbillige Einschränkung der Ausübung des betreffenden Grundrechts mit sich.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 29. Januar 1998. - Edouard Dubois et Fils SA gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Außervertragliche Haftung - Einheitliche Europäische Akte - Zollspediteur. - Rechtssache T-113/96.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und rechtlicher Rahmen

1 Mit Artikel 13 der Einheitlichen Europäischen Akte (im folgenden: Einheitliche Akte), die am 17. Februar 1986 in Luxemburg und am 28. Februar 1986 in Den Haag unterzeichnet wurde und am 1. Juli 1987 in Kraft trat, wurde in den EWG-Vertrag ein Artikel 8a - aufgrund von Artikel G Nummer 9 des Vertrages über die Europäische Union nunmehr Artikel 7a EG-Vertrag - eingefügt; dieser bestimmt:

"Die Gemeinschaft trifft die erforderlichen Maßnahmen, um bis zum 31. Dezember 1992 gemäß dem vorliegenden Artikel... den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen.

Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist."

2 Die Verwirklichung des Binnenmarktes, die die Schaffung eines "Raumes ohne Binnengrenzen" zwischen den Mitgliedstaaten der EWG gebot, bedingte die Abschaffung der Steuergrenzen und der innergemeinschaftlichen Zollkontrollen mit Ablauf des genannten Zeitraums, also am 1. Januar 1993.

3 Dies führte zu einer erheblichen Einschränkung von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die unmittelbar mit dem Bestehen von Zoll- und Steuerkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen verbunden waren.

4 Besonders waren die Zollagenten und -spediteure betroffen, die für Dritte gegen Entgelt die für den Grenzuebertritt der Waren erforderlichen Zollförmlichkeiten abwickeln. Die Zollagenten wickeln diese Förmlichkeiten für fremde Rechnung und in fremdem Namen, die Zollspediteure für fremde Rechnung, aber im eigenen Namen ab.

5 Nach einer Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß betreffend die strukturelle Anpassung des Gewerbes der Zollagenten und -spediteure (SEK [92] 887 endg.; im folgenden: Mitteilung der Kommission) sind verschiedene flankierende Maßnahmen getroffen worden, um den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Verwirklichung des Binnenmarktes für diesen Berufszweig Rechnung zu tragen.

6 Zum einen haben die Mitgliedstaaten, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß, eine Konzertierung mit den betroffenen Parteien vorgenommen und oftmals soziale Maßnahmen (wie die Gewährung des Vorruhestands, Umschulungsmaßnahmen, Ausgleichsmaßnahmen für Verdienstausfälle, Beihilfen für die geographische Mobilität und technische Hilfe bei der Suche eines Arbeitsplatzes) oder wirtschaftliche Maßnahmen (steuerliche Abzugsfähigkeit von Entlassungsentschädigungen, Staffelung der Zahlung der Mehrwertsteuereinnahmen über einen längeren Zeitraum oder Unternehmensbeihilfen) vorgeschlagen (Mitteilung der Kommission, S. 11 bis 13, Abschnitt III).

7 Zum anderen hat die Gemeinschaft, nachdem die Kommission 1991 eine vom Europäischen Sozialfonds finanzierte Studie hatte erstellen lassen (Mitteilung der Kommission, S. 6 bis 11, Abschnitt II), drei Arten von Maßnahmen beschlossen.

8 Erstens hat der Europäische Sozialfonds die Zollagenten und -spediteure Langzeitarbeitslosen gleichgestellt und ihnen damit Aktionen der Berufsbildung, Beihilfen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und spezifische Aktionen, zu denen Interventionen zur Erleichterung ihrer beruflichen Umstellung gehörten, zugänglich gemacht und finanziert (Mitteilung der Kommission, S. 14 bis 16, Abschnitt IV.1).

9 Zweitens hat die Interreg-Initiative die Umstrukturierung der betreffenden Unternehmen, die Umschulung und anderweitige Verwendung ihres Personals, die Umstellung und Wiederverwendung der Warenabfertigungsanlagen an den Grenzen sowie die Schaffung von alternativen Arbeitsplätzen gefördert (Mitteilung der Kommission, S. 16 f., Abschnitt IV.2).

10 Drittens - und in Ergänzung der vorgenannten Aktionen, die sich im Rahmen der Strukturfonds bewegen - sind Maßnahmen ausserhalb der Strukturfonds vorgeschlagen und verabschiedet worden. In diesem Zusammenhang hat der Rat die Verordnung (EWG) Nr. 3904/92 vom 17. Dezember 1992 über Maßnahmen zur strukturellen Anpassung des Gewerbes der Zollagenten und -spediteure an den Binnenmarkt (ABl. L 394, S. 1) erlassen.

11 Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft französischen Rechts mit einem Kapital von 47 850 000 FF, beschäftigt 1 400 Angestellte und besitzt vierzig Niederlassungen und Repräsentanten. Ihre Haupttätigkeit liegt im Bereich der Spedition und verwandter Gebiete; vor der Vollendung des Binnenmarktes hatte sie in sechzehn Orten in Frankreich Niederlassungen als zugelassener Zollspediteur.

12 Um sich auf die Auswirkungen vorzubereiten, die die Vollendung des Binnenmarktes ab dem 1. Januar 1993 auf diese Tätigkeit haben würde, hat sie ihrer Darstellung zufolge erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihren Betrieb zu entwickeln und auf andere Tätigkeitsbereiche umzustellen.

13 Insbesondere sei ihr die Verordnung Nr. 3904/92 zugute gekommen; in diesem Zusammenhang seien ihr 100 000 ECU gewährt worden, die ihr die Übernahme einer anderen Gesellschaft (Société Adrien Martin, nunmehr Adrien Martin International) ermöglicht hätten, die sich in Abwicklung befunden habe. Dieser Erwerb habe zu ihrer Umstellung von Tätigkeiten als Zollspediteur auf andere Tätigkeiten, hier: auf Dienstleistungen für Waren, die aus Staaten ausserhalb der Gemeinschaft gestammt hätten oder für diese bestimmt gewesen seien, gehört.

14 Durch die Verwirklichung des Binnenmarktes ab 1. Januar 1993 sei ihre Tätigkeit als Zollspediteur praktisch vollständig und endgültig weggefallen. Der ihr hierdurch entstandene materielle Schaden belaufe sich auf 112 339 703 FF.

Verfahren und Anträge der Parteien

15 Die Klägerin hat am 24. Juli 1996 die vorliegende Schadensersatzklage erhoben.

16 Das Gericht (Fünfte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

17 Die Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 16. September 1997 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

18 Die Klägerin beantragt,

- festzustellen, daß die Beklagten gemäß Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag für den Schaden haften, der ihr durch die Anwendung der Einheitlichen Akte, durch die ab 1. Januar 1993 ein freier Raum für den Waren- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der Grenzen der Mitgliedstaaten geschaffen wurde, auf ihre Tätigkeit als Zollspediteur entstanden ist,

- den Rat und die Kommission als Gesamtschuldner zu verurteilen, Schadensersatz in Höhe von 112 339 702 FF zu zahlen,

- dem Rat und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19 Der Rat beantragt,

- die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen,

- hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen,

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

20 Die Kommission beantragt,

- die Klage als unzulässig oder unbegründet abzuweisen,

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

21 Die Beklagten erheben gegen die Klage drei Einreden der Unzulässigkeit, von denen die ersten beiden von der Kommission und dem Rat, die dritte vom Rat geltend gemacht wird.

22 Mit ihrer ersten Unzulässigkeitseinrede machen die Beklagten geltend, mit der Klage solle die Haftung der Gemeinschaft für einen Schaden festgestellt werden, der durch einen zwischen Mitgliedstaaten geschlossenen Vertrag verursacht worden sei. Nach der Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Februar 1975 in der Rechtssache 169/73, Compagnie Continentale France/Rat, Slg. 1975, 117, Randnr. 16, und vom 28. April 1988 in den verbundenen Rechtssachen 31/86 und 35/86, LAISA und CPC España/Rat, Slg. 1988, 2285, Randnrn. 18 bis 22), seien Schadensersatzklagen, die auf den Ersatz von Schäden gerichtet seien, die durch ein Abkommen zwischen Mitgliedstaaten oder durch die Gründungsverträge selbst verursacht worden seien, unzulässig. Die vorliegende Klage ziele auf den Ersatz eines durch die Anwendung der Einheitlichen Akte verursachten Schadens ab.

23 Mit ihrer zweiten Unzulässigkeitseinrede machen die Beklagten zum einen geltend, die Klageschrift enthalte keine Angaben zum schädigenden Ereignis und erfuelle somit nicht das Erfordernis des Artikels 19 der EG-Satzung des Gerichtshofes und des Artikels 44 Absatz 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts. Der Streitgegenstand sei somit nicht mit ausreichender Eindeutigkeit festgelegt. Zum anderen enthalte die Klageschrift, soweit sie nicht ausschließlich gegen die Einheitliche Akte gerichtet sei, keine Angaben über die Rechtsgrundlage.

24 In einer dritten Unzulässigkeitseinrede macht der Rat geltend, der behauptete Schaden sei den Mitgliedstaaten zuzurechnen. Soweit die Klage nämlich dahin zu verstehen sei, daß den Gemeinschaftsorganen der Vorwurf der Untätigkeit gemacht werde, sei sie unzulässig, da der behauptete Schaden zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil den Mitgliedstaaten zuzurechnen sei und Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage der Klage nur erlaube, die Haftung der Gemeinschaftsorgane und ihrer Bediensteten geltend zu machen.

25 Zur ersten Unzulässigkeitseinrede vertritt die Klägerin die Auffassung, die Klage beziehe sich auf die Einheitliche Akte nicht als Quelle des der Klägerin unmittelbar entstandenen Schadens, sondern als Rechtsnorm, deren Inkrafttreten für die Gemeinschaftsorgane die Grundlage neuer Verpflichtungen zum Tätigwerden, insbesondere zum Erlaß der geeigneten Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen zugunsten des Berufszweiges der Zollspediteure dargestellt habe. Diese Maßnahmen seien nicht oder nur in unzureichendem Umfang getroffen worden.

26 Die zweite Unzulässigkeitseinrede könne nicht ernst gemeint sein. Die Beklagten hätten das schädigende Ereignis durchaus erkannt und seien auf die von der Klägerin erhobenen Rügen erschöpfend eingegangen.

27 Zur dritten Unzulässigkeitseinrede bezieht die Klägerin keine Stellung.

Würdigung durch das Gericht

28 Es ist angebracht, die zweite Unzulässigkeitseinrede vor der ersten und der dritten zu prüfen.

- Zur zweiten Unzulässigkeitseinrede

29 Nach Artikel 19 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung auf das Gericht anwendbar ist, und nach Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts muß die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Darstellung muß aus sich selbst heraus hinreichend klar und deutlich sein, um dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Ausübung der richterlichen Kontrolle zu ermöglichen. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemässe Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage daher erforderlich, daß sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben (Beschluß des Gerichts vom 28. April 1993 in der Rechtssache T-85/92, De Hö/Kommission, Slg. 1993, II-523, Randnr. 20).

30 Eine Klage auf Ersatz der von einem Gemeinschaftsorgan verursachten Schäden genügt diesen Erfordernissen nur, wenn sie Angaben enthält, anhand deren sich das dem Organ vom Kläger vorgeworfene Verhalten bestimmen lässt, die Gründe angibt, aus denen nach Auffassung des Klägers ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten und dem angeblich erlittenen Schaden besteht, sowie Art und Umfang dieses Schadens bezeichnet (Urteile des Gerichts vom 18. September 1996 in der Rechtssache T-387/94, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1996, II-961, Randnr. 107, vom 6. Mai 1997 in der Rechtssache T-195/95, Guérin automobiles/Kommission, Slg. 1997, II-679, Randnr. 21, und vom 10. Juli 1997 in der Rechtssache T-38/96, Guérin automobiles/Kommission, Slg. II-1223, Randnr. 42).

31 Die vorliegende Klageschrift genügt diesen Mindestanforderungen. Die Klage ist offenkundig auf Feststellung der ausservertraglichen Haftung der Gemeinschaft für den behaupteten Schaden - Verlust des Tätigkeitsbereichs "Zollspediteur" der Klägerin, der als Firmenwert zu qualifizieren wäre - und die mit diesem Verlust verbundenen ausserordentlichen betrieblichen Aufwendungen, gerichtet. Dieser angeblich durch den Verlust des Tätigkeitsbereichs "innergemeinschaftlicher Zollspediteur" entstandene Schaden sei der Gemeinschaft zuzurechnen. Diese habe den behaupteten Schaden verursacht, indem sie zum einen aufgrund der Einheitlichen Akte die Steuer- und Zollgrenzen abgeschafft und es zum anderen unterlassen habe, geeignete Entschädigungs- und flankierende Maßnahmen zu treffen, um die Auswirkungen dieser Abschaffung auf den fraglichen Berufszweig zu mildern.

32 Die Gemeinschaft habe damit die Gleichheit vor den öffentlichen Lasten verletzt, einen entschädigungspflichtigen enteignungsgleichen Eingriff begangen und schließlich höherrangige, dem Schutz des einzelnen dienende Rechtsnormen, nämlich den Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte und den Grundsatz des Vertrauensschutzes, in hinreichend qualifizierter Weise verletzt.

33 Entgegen dem Vorbringen der Beklagten enthält die Klageschrift somit in formaler Hinsicht ausreichende Angaben zum schädigenden Ereignis und zur Rechtsgrundlage der Klage, so daß diese Unzulässigkeitseinrede nicht begründet ist.

- Zur ersten und zur dritten Unzulässigkeitseinrede

34 Diese beiden Unzulässigkeitseinreden werfen im wesentlichen die Frage auf, ob der behauptete Schaden den Mitgliedstaaten oder aber den Gemeinschaftsorganen zuzurechnen ist. Sie beziehen sich somit auf die Voraussetzungen der Haftung der Gemeinschaft, d. h. den haftungsbegründenden Tatbestand und den Kausalzusammenhang zwischen diesem Tatbestand und dem behaupteten Schaden. Ihre Prüfung ist daher mit der Prüfung der Begründetheit der Klage verbunden.

Zur Begründetheit

35 Die Klägerin stützt ihre Klage in erster Linie auf die verschuldensunabhängige Haftung der Gemeinschaft, hilfsweise auf die Verschuldenshaftung der Gemeinschaft.

Zur verschuldensunabhängigen Haftung

Vorbringen der Parteien

36 Zur Stützung ihres Hauptvorbringens zur verschuldensunabhängigen Haftung der Gemeinschaft bringt die Klägerin zwei Klagegründe vor.

37 Der erste Klagegrund ist auf das Rechtsinstitut des Verstosses gegen die Gleichheit vor den öffentlichen Lasten (rupture de l'égalité devant les charges publiques) gestützt, das im französischen Verwaltungsrecht anerkannt sei. Danach könne demjenigen, der den Nachweis erbringe, daß er einen anomalen, spezifischen und unmittelbaren Schaden erlitten habe, ohne daß ein rechtswidriges Verhalten vorliege, Entschädigung gewährt werden. Die Anwendung der Einheitlichen Akte habe zum Nachteil der Klägerin gegen den Grundsatz der Gleichheit vor den öffentlichen Lasten verstossen und ihr einen anomalen, spezifischen und unmittelbaren Schaden zugefügt. Die Anwendung der Einheitlichen Akte habe nämlich zum Wegfall der spezifischen Tätigkeit des Zollspediteurs im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr und damit zu einem unwiderruflichen Verlust des Firmenwerts der Klägerin sowie zu ausserordentlichen betrieblichen Aufwendungen im sozialen, technischen und administrativen Bereich geführt. Ein unmittelbarer Kausalzusammenhang sei nach der Mitteilung der Kommission (S. 1 Absatz 3) und der Verordnung Nr. 3904/92 schwerlich zu bestreiten, in deren fünfter Begründungserwägung es heisse: "Mit der Beseitigung der Zollförmlichkeiten an den innergemeinschaftlichen Grenzen wird der innergemeinschaftlichen Tätigkeit dieses Gewerbes ein jähes Ende bereitet."

38 Der zweite Klagegrund geht auf den Begriff des enteignungsgleichen Eingriffs nach deutschem Recht zurück. Die Anwendung der Einheitlichen Akte stelle der Klägerin gegenüber einen enteignungsgleichen Eingriff dar. Generalanwalt Sir Gordon Slynn habe in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache 59/83 (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Dezember 1984, Biovilac/EWG, Slg. 1984, 4057, 4091) festgestellt: "Sofern die Gemeinschaft überhaupt rechtmässig Enteignungen vornehmen könnte, [bestuende] ein Anspruch des Eigentümers auf Entschädigung; eine solche Entschädigung könnte dann aufgrund einer Klage gemäß Artikel 215 Absatz 2 zugesprochen werden." Dieser Grundsatz sei auf die Klägerin anwendbar.

39 Die Beklagten halten den Hauptantrag für unbegründet.

Würdigung durch das Gericht

40 Nach Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag ersetzt die Gemeinschaft im Bereich der ausservertraglichen Haftung den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden.

41 Das Primärrecht der Gemeinschaft besteht aus den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft sowie den Abkommen, die diese Gründungsverträge ergänzt oder geändert haben, wie das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften, die Verträge über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten, die Einheitliche Akte und der Vertrag über die Europäische Union. Diese Verträge wurden von den Mitgliedstaaten geschlossen, um die Europäischen Gemeinschaften zu errichten oder zu ändern. Die Einheitliche Akte ist somit weder eine Handlung der Organe noch eine Handlung ihrer Bediensteten. Demzufolge kann sie auch keine ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen (Urteile Compagnie Continentale France/Rat, zitiert in Randnr. 22, Randnr. 16, und LAISA und CPC España/Rat, zitiert in Randnr. 22, Randnrn. 18 bis 22). Auch die Artikel 178 und 215 Absatz 2 EG-Vertrag, die die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft regeln, gehören zum Primärrecht. Die Normenhierarchie bedingt jedoch, daß diese Bestimmungen nicht auf gleichrangige Rechtsakte angewandt werden können, sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

42 Es kann somit dahinstehen, ob die ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Gemeinschaftsrecht ohne Verschulden ausgelöst werden kann. Soweit die Klage nämlich auf diese Grundlage gestützt ist, geht sie ungeachtet des Vorbringens der Klägerin, der von ihr geltend gemachte Schaden habe seine Grundlage nicht in der Einheitlichen Akte, sondern in der Untätigkeit der Gemeinschaftsorgane im Zusammenhang mit dem Erlaß angemessener Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen, der Sache nach dahin, die Haftung der Gemeinschaft aus der Einheitlichen Akte selbst abzuleiten.

43 Nur die Verwirklichung des Binnenmarktes mit der daraus folgenden Abschaffung der Zoll- und Steuergrenzen, die zum faktischen Wegfall des fraglichen Berufszweiges führt, konnte der Klägerin nämlich gegebenenfalls einen anomalen, spezifischen und unmittelbaren Schaden zufügen; nur die Einführung des Binnenmarktes konnte einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit vor den öffentlichen Lasten oder einen enteignungsgleichen Eingriff darstellen und faktisch zum völligen, endgültigen Wegfall dieses Tätigkeitsbereichs sowie zu den mit diesem Wegfall verbundenen ausserordentlichen betrieblichen Aufwendungen führen.

44 Dafür spricht entscheidend, daß das Hauptvorbringen als Ursache für den geltend gemachten Schaden die Abschaffung der Zoll- und Steuergrenzen aufgrund der Einheitlichen Akte ansieht.

45 Die Klagegründe zur Stützung des - auf die verschuldensunabhängige Haftung der Gemeinschaft gestützten - Hauptvorbringens beruhen somit auf dem Wegfall der Zoll- und Steuergrenzen, der zum Wegfall des innergemeinschaftlichen Tätigkeitsbereichs der Zollspediteure geführt hat. Dieser Kausalzusammenhang ist umstritten. Er wird sowohl von der Klägerin in ihrer Klageschrift ausdrücklich geltend gemacht als auch von der Kommission anerkannt und vom Rat in der fünften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3904/92 festgestellt, der zufolge die Beseitigung der Zollförmlichkeiten an den innergemeinschaftlichen Grenzen der innergemeinschaftlichen Tätigkeit dieses Gewerbes ein jähes Ende bereitet.

46 Die Abschaffung der Zoll- und Steuergrenzen folgt unmittelbar aus Artikel 13 der Einheitlichen Akte, nunmehr Artikel 7a EG-Vertrag, in dem es heisst: "Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen." Sie ist daher eine unmittelbare und notwendige Folge dieser Bestimmung. Der durch die Abschaffung der Zoll- und Steuergrenzen bewirkte Schaden hat daher seine unmittelbare und entscheidende Ursache in Artikel 13 der Einheitlichen Akte. Die gemeinschaftlichen oder staatlichen Maßnahmen zur Durchführung der einheitlichen Akte, durch die die Zoll- und Steuergrenzen abgeschafft wurden, stellen hingegen keine selbständige Ursache des behaupteten Schadens dar.

47 Das auf eine verschuldensunabhängige Haftung der Gemeinschaft gestützte Vorbringen ist folglich darauf gerichtet, deren Haftung für einen Schaden geltend zu machen, der auf die Einheitliche Akte, einen Rechtsakt des primären Gemeinschaftsrechts, zurückgeht. Diese Akte ist somit weder eine Handlung der Gemeinschaftsorgane noch eine Handlung der Bediensteten der Gemeinschaft in Ausübung ihrer Amtstätigkeit, so daß sie keine ausservertragliche, verschuldensunabhängige Haftung der Gemeinschaft begründen kann.

48 Das auf die verschuldensunabhängige Haftung der Gemeinschaft gestützte Hauptvorbringen ist daher unzulässig.

Zur Verschuldenshaftung

Vorbringen der Parteien

49 Das auf die Verschuldenshaftung gestützte Hilfsvorbringen der Klägerin geht dahin, die Beklagten hätten bei der Anwendung der Einheitlichen Akte sowie bei der Prüfung der Maßnahmen, die wegen der Auswirkungen dieser Akte oder zur Kontrolle einiger ihrer Folgen getroffen wurden, höherrangige, den einzelnen schützende Rechtsnormen in hinreichend qualifizierter Weise verletzt. Die Ausgleichsmaßnahmen der Gemeinschaft nach der Verordnung Nr. 3904/92 seien unzureichend.

50 Bei den von den Beklagten missachteten höherrangigen, den einzelnen schützenden Rechtsnormen handele es sich um die Grundsätze des Schutzes wohlerworbener Rechte und des Vertrauensschutzes.

51 Der Berufszweig der Zollspediteure sei gemeinschaftsrechtlich in der Verordnung (EWG) Nr. 3632/85 des Rates vom 12. Dezember 1985 zur Festlegung der Voraussetzungen, unter denen eine Person eine Zollanmeldung abgeben kann (ABl. L 350, S. 1), als solcher anerkannt worden. Diese wohlerworbenen Rechte seien nicht unmittelbar durch das Primärrecht der Gemeinschaft, sondern durch Vorschriften des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts zur Änderung u. a. der Förmlichkeiten für die Mehrwertsteueranmeldung beeinträchtigt worden, die zur Folge gehabt hätten, daß die berufliche Tätigkeit des Zollspediteurs im innergemeinschaftlichen Handelsverkehr faktisch weggefallen sei.

52 Im vorliegenden Fall gebe es drei Verstösse gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Erstens sei das Grundrecht der Klägerin auf Ausübung ihres Berufes verletzt worden. Zweitens sei der Grundsatz durch das Fehlen von Übergangsmaßnahmen verletzt worden, die es dem Berufszweig der Zollspediteure erlaubt hätten, sich auf die Errichtung des Binnenmarktes ab 1. Januar 1993 vorzubereiten und umzustellen. Diese Unterlassung wiege besonders schwer, weil der Berufszweig gesetzlich verpflichtet gewesen sei, seine Tätigkeit bis zu diesem Zeitpunkt uneingeschränkt fortzusetzen. Drittens hätten die Gemeinschaftsorgane es unter Missachtung der berechtigten Erwartungen der Betroffenen unterlassen, geeignete Maßnahmen zum Ersatz des dem Berufszweig entstandenen besonderen Schadens zu treffen. Es habe nämlich keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Gemeinschaftsorgane beim Erlaß der für die Vollendung des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen keine spezifischen Entschädigungs- und flankierenden Maßnahmen treffen würden.

53 Die Beklagten halten den zweiten Klagegrund für unbegründet.

Würdigung durch das Gericht

54 Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Haftung der Gemeinschaft die Rechtswidrigkeit des dem Organ vorgeworfenen Verhaltens, das Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden voraus (Urteile des Gerichtshofes vom 29. September 1982 in der Rechtssache 26/81, Oleifici Mediterranei/EWG, Slg. 1982, 3057, Randnr. 16, und des Gerichts vom 13. Dezember 1995 in den verbundenen Rechtssachen T-481/93 und T-484/93, Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2941, Randnr. 80, vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache T-175/94, International Procurement Services/Kommission, Slg. 1996, II-729, Randnr. 44, vom 16. Oktober 1996 in der Rechtssache T-336/94, Efisol/Kommission, Slg. 1996, II-1343, Randnr. 30, sowie vom 11. Juli 1997 in der Rechtssache T-267/94, Oleifici Italiani/Kommission, Slg. 1997, II-1239, Randnr. 20).

55 Im vorliegenden Fall fehlt es unter zwei Gesichtspunkten am rechtswidrigen Verhalten.

56 Zum einen können Unterlassungen der Gemeinschaftsorgane die Haftung der Gemeinschaft nur dann begründen, wenn die Organe gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstossen haben, die sich aus einer Gemeinschaftsvorschrift ergibt (Urteil des Gerichtshofes vom 15. September 1994 in der Rechtssache C-146/91, KYDEP/Rat und Kommission, Slg. 1994, I-4199, Randnr. 58, und Urteil Oleifici Italiani/Kommission, zitiert in Randnr. 54, Randnr. 21).

57 Somit stellt sich die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage und inwieweit die Gemeinschaft zum Handeln, d. h. zur Entschädigung der Klägerin verpflichtet sein sollte. Eine solche Verpflichtung ergibt sich weder aus der Einheitlichen Akte selbst noch aus irgendeiner anderen ausdrücklichen Bestimmung des geschriebenen Gemeinschaftsrechts. Dahinstehen kann im vorliegenden Fall auch, ob es einen allgemeinen, im Wege der Klage nach Artikel 215 Absatz 2 EG-Vertrag zu erzwingenden Rechtsgrundsatz gibt, daß die Gemeinschaft denjenigen zu entschädigen hat, gegen den eine enteignende Maßnahme oder eine Maßnahme ergangen ist, durch die seine Freiheit, von seinem Eigentum Gebrauch zu machen, eingeschränkt wird. Eine solche Entschädigungspflicht ist nämlich nur im Hinblick auf enteignende Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane selbst vorstellbar; die Gemeinschaft kann keine Pflicht zur Entschädigung für Handlungen treffen, die ihr nicht zuzurechnen sind. Wie bereits ausgeführt, ist der Wegfall des Berufszweigs des innergemeinschaftlichen Zollspediteurs ein Ergebnis der Einheitlichen Akte, eines von den Mitgliedstaaten ausgehandelten und gebilligten völkerrechtlichen Vertrages. Die Voraussetzungen einer Haftung der Gemeinschaft sind daher nicht erfuellt. Allerdings mag sich eine Entschädigungspflicht gegebenenfalls aus dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats ergeben, in dessen Hoheitsgebiet der innergemeinschaftliche Zollagent oder -spediteur seine Tätigkeit ausgeuebt hat.

58 Selbst wenn zum anderen im vorliegenden Fall gegen eine gesetzliche Pflicht zum Handeln verstossen worden wäre, wäre dieser Verstoß unter den gegebenen Umständen gewiß nicht geeignet, die Haftung der Gemeinschaft auszulösen.

59 Betrifft der vorgeworfene Rechtsverstoß eine generelle Rechtsnorm, so haftet die Gemeinschaft nur bei Verletzung einer höherrangigen, den einzelnen schützenden Rechtsnorm. Wenn das Organ die Handlung in Ausübung eines weiten Ermessens erlassen hat, setzt die Haftung der Gemeinschaft weiter voraus, daß eine qualifizierte, nämlich eine offenkundige und schwerwiegende Verletzung vorliegt (vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 2. Dezember 1971 in der Rechtssache 5/71, Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975, Randnr. 11, vom 25. Mai 1978 in den verbundenen Rechtssachen 83/76 und 94/76, 4/77, 15/77 und 40/77, HNL u. a./Rat und Kommission, Slg. 1978, 1209, Randnr. 6, vom 19. Mai 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-104/89 und C-37/90, Mulder u. a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061, Randnr. 12, und Urteile des Gerichts vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache T-572/93, Odigitria/Rat und Kommission, Slg. 1995, II-2025, Randnr. 34, Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 54, Randnr. 81, und Oleifici Italiani/Kommission, zitiert in Randnr. 54, Randnr. 22).

60 Diese Kriterien gelten auch im Fall einer rechtswidrigen Unterlassung (Urteile des Gerichtshofes vom 8. Dezember 1987 in der Rechtssache 50/86, Grands Moulins de Paris/EWG, Slg. 1987, 4833, Randnrn. 9 und 16, und des Gerichts vom 14. September 1995 in der Rechtssache T-571/93, Lefebvre u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2379, Randnr. 39).

61 Die vorliegende Klage ist auf Ersatz eines Schadens gerichtet, der mit angeblich unzureichenden Maßnahmen der Gemeinschaft zugunsten des Berufszweigs der Zollspediteure anläßlich der Schaffung des Binnenmarktes in Zusammenhang steht. Sie betrifft also offensichtlich generelle Rechtsnormen, die auf wirtschaftspolitischen Entscheidungen beruhen und bei denen den Gemeinschaftsorganen ein weites Ermessen zukommt.

62 Daher ist zunächst zu prüfen, ob die Beklagten eine höherrangige, den einzelnen schützende Rechtsnorm verletzt haben, und sodann gegebenenfalls, ob diese Verletzung hinreichend qualifiziert war.

63 Was den Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte angeht, so harmonisiert die von der Klägerin angeführte Verordnung Nr. 3632/85 lediglich die Voraussetzungen, unter denen eine Person eine Zollerklärung abgeben kann. In der Verordnung heisst es zum einen, die Voraussetzungen, unter denen eine Person diese Zollanmeldung abgeben könne, seien von einem Mitgliedstaat zum anderen sehr verschieden, vor allem hinsichtlich der Möglichkeit, eine Zollanmeldung für fremde Rechnung abzugeben (zweite Begründungserwägung), zum anderen, daß in bestimmten Mitgliedstaaten eine Regelung bestehe, die die Ausübung des Berufes, Zollanmeldungen entweder in fremdem Namen oder im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung abzugeben, nur Personen gestatte, die bestimmte Voraussetzungen erfuellten (sechste Begründungserwägung); die Verordnung stehe dieser Regelung nicht entgegen, soweit diese den Zugang zu einem bestimmtem Beruf und seine Ausübung betreffe (sechste Begründungserwägung).

64 Die Verordnung Nr. 3632/85 regelt somit keineswegs die Tätigkeit der Zollagenten und -spediteure gemeinschaftsrechtlich, sondern lässt nur die einschlägigen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen. Ein etwaiges wohlerworbenes Recht beruht also nicht auf der Verordnung Nr. 3632/85, sondern allenfalls auf den einschlägigen Regelungen einiger Mitgliedstaaten, die es durch die Unterzeichnung und gegebenenfalls durch die Ratifikation der Einheitlichen Akte beeinträchtigt haben. So hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß ihr aufgrund des französischen Zollgesetzbuchs in Frankreich die ministerielle Erlaubnis erteilt worden sei, das - zuletzt durch französischen Erlaß vom 24. Dezember 1986 geregelte - Gewerbe des zugelassenen Zollspediteurs auszuüben.

65 Die Verordnung Nr. 3632/85 hat demgemäß der Klägerin keinen Vorteil verschafft, der als wohlerworbenes Recht einzustufen wäre.

66 Zum anderen können die Wirtschaftsteilnehmer in Fällen, in denen die Gemeinschaftsbehörden über einen weiten Ermessensspielraum verfügen, kein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung eines Vorteils geltend machen, der ihnen aus der fraglichen Gemeinschaftsregelung zu einem bestimmten Zeitpunkt erwächst (vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 27. September 1979 in der Rechtssache 230/78, Eridania, Slg. 1979, 2749, Randnr. 22, Biovilac/EWG, zitiert in Randnr. 38, Randnr. 23, vom 21. Mai 1987 in den verbundenen Rechtssachen 133/85, 134/85, 135/85 und 136/85, Rau, Slg. 1987, 2289, Randnr. 18, und vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-69/89, Nakajima All Precision/Rat, Slg. 1991, I-2069, Randnr. 119).

67 Folglich kann die Klägerin - unterstellt, die Verordnung Nr. 3632/85 habe tatsächlich dem Berufszweig der Zollagenten und -spediteure einen besonderen Vorteil gewährt - gleichwohl nicht mit Erfolg ein wohlerworbenes Recht auf Beibehaltung dieses Vorteils geltend machen, da die Gemeinschaftsorgane berechtigt sind, die Regelungen erforderlichenfalls den Entwicklungen anzupassen. Diese Anpassungsbefugnis der Organe liegt im vorliegenden Fall besonders klar zu Tage, weil die Vollendung des Binnenmarktes - wie sich aus der ersten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3904/92 ergibt - ein grundlegendes Ziel im Hinblick auf die Entwicklung der Gemeinschaft darstellt.

68 Auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich jeder berufen, bei dem die Gemeinschaftsverwaltung begründete Hoffnungen geweckt hat (vgl. z. B. Urteil Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 54, Randnr. 148). Dagegen kann eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht geltend machen, wem die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat (vgl. z. B. Urteil Lefebvre u. a./Kommission, zitiert in Randnr. 60, Randnr. 72).

69 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keinen Anhaltspunkt vorgetragen, der belegen würde oder auch nur dafür spräche, daß die Gemeinschaftsorgane bei ihr begründete Hoffnungen auf geeignete Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen geweckt hätten.

70 Die Klägerin verweist lediglich in der Klageschrift auf die berechtigte Erwartung des gesamten Berufszweigs und in der Erwiderung darauf, daß es keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, daß die Gemeinschaftsorgane beim Erlaß der für die Vollendung des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen nicht die besonderen Entschädigungs- und flankierenden Maßnahmen treffen würden. Sie kann also offensichtlich nicht nachweisen, daß die Beklagten bei ihr begründete Hoffnungen darauf geweckt hätten, daß sie die zur Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen nicht ergreifen oder Ausgleichs- oder flankierende Maßnahmen erlassen würden.

71 Das auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gestützte Vorbringen ist daher unbegründet.

72 Unbegründet ist auch das Vorbringen der Klägerin, das Grundrecht auf freie Berufsausübung sei verletzt worden, was einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes begründe.

73 Die Grundrechte gehören zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die die Gemeinschaftsgerichte zu wahren haben. Bei der Gewährleistung dieser Rechte haben sie von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszugehen, so daß in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als rechtens anerkannt werden können, die mit den von den Verfassungen dieser Staaten geschützten Grundrechten unvereinbar sind. Auch die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, die die Mitgliedstaaten gschlossen haben oder denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1979 in der Rechtssache 44/79, Hauer, Slg. 1979, 3727, Randnr. 15, und Gutachten 2/94 des Gerichtshofes vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33).

74 Das Recht der freien Berufsausübung gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Dieser Grundsatz kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern muß im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich kann die freie Berufsausübung Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antastet (Urteile des Gerichtshofes vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr. 15, vom 30. Juli 1996 in der Rechtssache C-84/95, Bosphorus, Slg. 1996, I-3953, Randnr. 21, und des Gerichts vom 15. April 1997 in der Rechtssache T-390/94, Schröder u. a./Kommission, Slg. 1997, II-504, Randnr. 125).

75 Im vorliegenden Fall tastet die Verwirklichung des Binnenmarktes die Existenz des Unternehmens der Klägerin oder den Wesensgehalt ihrer freien Berufswahl nicht an. Sie beeinträchtigt ein entsprechendes Recht nur mittelbar, nicht unmittelbar, da die Abschaffung bestimmter Zoll- und Steuerformalitäten, die sie mit sich bringt, sich zunächst darauf auswirkt, ob die Klägerin ihr Unternehmen betreiben kann, und nur auf diesem Wege auch auf ihre Berufsausübung. Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist ein Ziel, das offensichtlich dem Gemeinwohl dient. In Anbetracht dessen bringt sie keine unbillige Einschränkung der Ausübung des betreffenden Grundrechts mit sich.

76 Nach alledem ist keiner der von der Klägerin angeführten höherrangigen Rechtsgrundsätze verletzt.

77 Schließlich stellte die angebliche Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Erlaß von Ausgleichs- und flankierenden Maßnahmen - unterstellt, sie läge vor und wäre rechtswidrig - gleichwohl zweifelsfrei keine schwerwiegende und offensichtliche Verletzung der fraglichen Grundsätze dar. Zum einen haben die Beklagten nämlich bei der Durchführung des Binnenmarktes und damit bei der Berücksichtigung der mit ihm möglicherweise verbundenen nachteiligen Auswirkungen ein weites Ermessen, zum anderen haben sie mit der Verordnung Nr. 3904/92 vielfältige Maßnahmen getroffen. Zudem wird in der achten Begründungserwägung dieser Verordnung eigens darauf hingewiesen, daß es sich hierbei lediglich um ergänzende Gemeinschaftsmaßnahmen handelt, die die Bemühungen der Mitgliedstaaten wirkungsvoll unterstützen sollen. Wie sich nämlich aus der sechsten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3632/85 ergibt, hatten einige Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, eine besondere Regelung für den Berufszweig des Zollagenten oder -spediteurs, die das Gemeinschaftsrecht, in diesem Fall die Verordnung Nr. 3632/85, nur bestehen ließ. Ohne daß die Frage der Subsidiarität angesprochen werden müsste, ergibt sich hieraus klar, daß es in erster Linie Sache der betreffenden Mitgliedstaaten ist, die durch die Annahme der Einheitlichen Akte den angeblichen Schaden verursacht haben, gegebenenfalls Ausgleichs- oder flankierende Maßnahmen zu treffen. Im Licht der Rolle, die die Mitgliedstaaten hier gespielt haben, ist die Gemeinschaft in ausreichendem Umfang tätig geworden, selbst wenn sie zum Handeln verpflichtet war.

78 Das auf die Verschuldenshaftung gegründete Hilfsvorbringen ist folglich unbegründet. Aufgrund all dessen ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

79 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission und des Rates die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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