Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 23.03.1993
Aktenzeichen: T-115/92 R
Rechtsgebiete: Beamtenstatut


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 91
Beamtenstatut Art. 90
Beamtenstatut Art. 67
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung im Sinne von Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist danach zu beurteilen, ob es notwendig ist, durch eine vorläufige Entscheidung einen dem Antragsteller entstehenden schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verhindern.

Ein bloß finanzieller Schaden kann grundsätzlich dann nicht als irreparabel oder kaum wiedergutzumachen angesehen werden, wenn ein späterer finanzieller Ausgleich möglich ist. Gleichwohl hat der Richter im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu prüfen, ob unter den Umständen des Einzelfalls Anhaltspunkte dafür bestehen, daß ohne die begehrte einstweilige Anordnung für den Antragsteller die Gefahr bestuende, einen Nachteil zu erleiden, der nicht behoben werden könnte, auch wenn die angefochtenen Rechtsakte im Verfahren zur Hauptsache aufgehoben werden müssten.


BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 23. MAERZ 1993. - ANNE HOGAN GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - VORLAEUFIGER RECHTSSCHUTZ - VORLAEUFIGE MASSNAHMEN. - RECHTSSACHE T-115/92 R.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Mit Klageschrift, die am 31. Dezember 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin gemäß Artikel 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) Klage auf Aufhebung der von der Anstellungsbehörde am 13. August 1992 erlassenen Entscheidung erhoben, mit der die Beschwerde der Antragstellerin gegen eine Verfügung vom 22. April 1992 zurückgewiesen worden war. Mit dieser Verfügung hatte es die Anstellungsbehörde abgelehnt, ihre beiden Eltern jeweils einem unterhaltsberechtigten Kind gleichzustellen und dadurch einen Anspruch auf die in Artikel 2 des Anhangs VII des Statuts geregelte Zulage zu begründen. Die Antragstellerin hat gleichfalls Klage auf Aufhebung der hiermit zusammenhängenden Rechtsakte erhoben, die die Grundlage oder die Folge der angefochtenen Entscheidung sind, unter ihnen insbesondere die Entscheidung vom 7. Dezember 1992, mit der ihre "Erwiderung" vom 27. August 1992 ausdrücklich zurückgewiesen wurde.

2 Mit besonderem Schriftsatz, der am 2. Februar 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat das Europäische Parlament (im folgenden: Parlament) eine Einrede der Unzulässigkeit gegenüber der von der Antragstellerin eingereichten Klage mit der Begründung erhoben, daß die Klage nicht innerhalb der in Artikel 91 Absatz 3 des Statuts bestimmmten Frist von drei Monaten seit dem Tag der Mitteilung der auf die Beschwerde hin ergangenen Entscheidung anhängig gemacht worden sei.

3 Mit besonderem Schriftsatz, der am 19. Februar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, mit dem unter dem Vorbehalt einer möglichen Rückzahlung die Fortzahlung der "Unterhaltszulage für ihre Eltern" ab April 1992, hilfsweise ab Mai 1992, höchst hilfsweise ab August 1992, begehrt wird.

4 Das Parlament hat seine schriftliche Stellungnahme zum vorliegenden Antrag auf einstweilige Anordnung am 9. März 1993 eingereicht.

5 Vor Prüfung der Begründetheit des Antrags auf einstweilige Anordnung ist auf den Kontext der vorliegenden Rechtssache und insbesondere auf die wesentlichen Tatsachen hinzuweisen, die dem Rechtsstreit zugrunde liegen, so wie sie sich aus den Schriftsätzen der Parteien ergeben.

6 Mit Schreiben vom 16. März 1992 beantragte die Antragstellerin, ihre beiden Eltern wiederum einem unterhaltsberechtigten Kind gleichzustellen. Die Antragstellerin hatte vom 1. April 1990 bis zum 31. März 1991 und vom 1. April 1991 bis zum 31. März 1992 die aufgrund einer solchen Gleichstellung gezahlte Zulage erhalten.

7 Mit Schreiben der Personalabteilung des Parlaments vom 22.April 1992 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, daß sie nicht alle Voraussetzungen nach den allgemeinen Durchführungsbestimmungen zu Artikel 2 Absatz 2 des Anhangs VII des Statuts erfuelle, da aus den zu den Akten gereichten Unterlagen hervorgehe, daß die in Betracht kommenden "Unterhaltskosten" weniger als 20 % ihrer steuerpflichtigen Bezuege ausmachten und daher keine "erheblichen Ausgaben" im Sinne des Statuts darstellten.

8 Am 12. Mai 1992 legte die Antragstellerin gegen die Verfügung, die ihr gegenüber ergangen war, bei der Anstellungsbehörde Beschwerde nach Artikel 90 des Statuts ein. Mit Schreiben des Generalsekretärs des Parlaments vom 13. August 1992 wies die Anstellungsbehörde die Beschwerde zurück, erachtete jedoch den Antrag auf Erteilung einer genauen Auskunft über die Berechnung der "Unterhaltskosten" und der "steuerpflichtigen Bezuege", auf die sich die Verfügung vom 22. April 1992 bezogen hatte, für begründet.

9 Nachdem ihr die Berechnungsgrundlagen, wie beantragt, bekanntgegeben worden waren, leitete die Antragstellerin der Anstellungsbehörde am 27. August eine "Erwiderung" zu, mit der sie im wesentlichen die bei der Berechnung der "Unterhaltskosten" und der "steuerpflichtigen Bezuege" berücksichtigten Faktoren bestritt und die unverzuegliche Wiederaufnahme der Zahlungen beantragte. Mit Schreiben vom 7. Dezember 1992 erwiderte der Generalsekretär des Parlaments der Antragstellerin, daß er die getroffene Entscheidung nur bestätigen könne, da er auf die im Schreiben vom 27. August 1992 erhobenen Einwendungen bereits in seinem Schreiben vom 13. August 1992 ausdrücklich eingegangen sei.

Gründe

10 Gemäß den Artikeln 185 und 186 EWG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für notwendig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

11 Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts bestimmt, daß Anträge auf einstweilige Anordnungen im Sinne der Artikel 185 und 186 EWG-Vertrag die Umstände anführen müssen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen. Die beantragten Maßnahmen müssen eine einstweilige Regelung in dem Sinne darstellen, daß sie der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorgreifen (vgl. zuletzt Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 15. Dezember 1992 in der Rechtssache T-96/92 R, CCE de la Sociètè Gènèrale des Grandes Sources u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2579).

Vorbringen der Parteien

12 In ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung beschränkt sich die Antragstellerin auf das Vorbringen, daß die Zulage für eine Person, die einem unterhaltsberechtigten Kind gleichgestellt ist, ein dringlicher Aufwand sei, der, da die Zulage den Charakter einer Unterhaltsleistung habe, nicht ausgesetzt werden dürfe. Die Antragstellerin ist im übrigen der Ansicht, daß zum einen der Fumus boni iuris, die durch die Verzögerung entstehende Gefahr und die Gefahr weiterer schwerer und nicht wiedergutzumachender Schäden dargetan seien und daß andererseits die Anstellungsbehörde gemäß Artikel 85 des Statuts ohne weiteres die Erstattung von nicht geschuldeten Zahlungen erreichen könne, falls ihre Anträge im Verfahren zur Hauptsache zurückgewiesen würden.

13 Das Parlament meint einleitend, daß angesichts des weit fortgeschrittenen Stadiums des Verfahrens über die Einrede der Unzulässigkeit in der Hauptsache verhindert werden müsse, daß die Antragstellerin über den Umweg eines nach Erhebung der Einrede der Unzulässigkeit gestellten Antrags auf einstweilige Anordnung den Richter im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes veranlassen könne, etwas, und sei es auch nur dem ersten Anschein nach, zu prüfen, dessen Prüfung durch das Gericht mit der Einrede der Unzulässigkeit gerade verhindert werden solle.

14 Der Beklagte bestreitet im übrigen, daß die Zulage für eine einem unterhaltsberechtigten Kind gleichgestellte Person den Charakter einer Unterhaltsleistung habe, und macht geltend, daß die in Frage stehende Zulage eine in Artikel 67 des Statuts vorgesehene Familienzulage sei, die in der Regel ausschließlich an den betreffenden Beamten gezahlt werde und nicht dazu diene, diesem in finanzieller Hinsicht die Erfuellung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber Dritten zu erleichtern.

15 Das Parlament meint schließlich, daß die Antragstellerin in keiner Weise begründet habe, weshalb der Schaden, den sie nach ihrer Behauptung erlitten habe oder erleiden werde, schwer und nicht wiedergutzumachen sei, und macht hierzu geltend, daß die Antragstellerin und ihr Ehegatte über völlig ausreichende Einkünfte verfügten, die ihnen erlaubten, ihren gesetzlichen Unterhaltspflichten nachzukommen.

Rechtliche Würdigung

16 Die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung im Sinne von Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist danach zu beurteilen, ob es notwendig ist, durch eine vorläufige Entscheidung einen dem Antragsteller entstehenden schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zu verhindern.

17 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 23. November 1990 in der Rechtssache T-45/90 R, Speybrouck/Parlament, Slg. 1990, II-705) kann ein bloß finanzieller Schaden grundsätzlich dann nicht als irreparabel oder kaum wiedergutzumachen angesehen werden, wenn ein späterer finanzieller Ausgleich möglich ist. Gleichwohl hat der Richter im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu prüfen, ob unter den Umständen des Einzelfalls Anhaltspunkte dafür bestehen, daß ohne die begehrte einstweilige Anordnung für die Antragstellerin die Gefahr bestuende, einen Nachteil zu erleiden, der nicht behoben werden könnte, auch wenn die angefochtenen Rechtsakte im Verfahren zur Hauptsache aufgehoben werden müssten.

18 Aus den zu den Akten gereichten Unterlagen ergibt sich, daß sich die monatlichen Nettobezuege der Antragstellerin vor der Ende 1992 vorgenommenen Angleichung der Bezuege auf 126 356 BFR beliefen und daß ihre regelmässigen Zuwendungen an ihre Eltern 37 000 BFR betrugen.

19 Gemäß Artikel 1 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 3761/92 des Rates vom 21. Dezember 1992 zur Angleichung ° mit Wirkung vom 1. Juli 1992 ° der Dienst- und Versorgungsbezuege der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften sowie der Berichtigungsköffezienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezuege anwendbar sind (ABl. 1992, L 383, S. 1), wurde der Betrag der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder auf 7 959 BFR monatlich festgesetzt. Hieraus folgt, daß die Antragstellerin bei Gleichstellung beider Eltern mit einem unterhaltsberechtigten Kind eine monatliche Zulage in Höhe von 15 918 BFR beanspruchen könnte.

20 Angesichts des Vorstehenden und mangels weiteren Vorbringens der Antragstellerin zur Begründung der Dringlichkeit ist festzustellen, daß die zusätzliche finanzielle Belastung, die die Antragstellerin wegen der Zurückweisung des Antrags auf Zulage bis zur Entscheidung des Gerichts im Verfahren zur Hauptsache zu tragen haben wird, nämlich monatlich 15 918 BFR, nicht zu einem schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden führen kann, und zwar unabhängig von den Einkünften ihres Ehegatten.

21 Daher ist festzustellen, daß die rechtlichen Voraussetzungen für die begehrte einstweilige Anordnung nicht gegeben sind und der Antrag folglich zurückzuweisen ist, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die Klage dem ersten Anschein nach begründet ist.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1) Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 23. März 1993

Ende der Entscheidung

Zurück