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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 26.10.2005
Aktenzeichen: T-124/04
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung, EG


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 111
EG Art. 288 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

26. Oktober 2005(*)

"Schadensersatzklage - Außervertragliche Haftung der Gemeinschaft - Von einem Bediensteten in Ausübung seiner Amtstätigkeit verursachter Schaden - Fehlender ursächlicher Zusammenhang"

Parteien:

In der Rechtssache T-124/04

Jamal Ouariachi, wohnhaft in Rabat (Marokko), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte F. Blanmailland und C. Verbrouck, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Dintilhac und G. Boudot als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Ersatz des Schadens, der dem Kläger angeblich aufgrund rechtswidriger Handlungen eines Bediensteten der Delegation der Kommission in Khartum (Sudan) entstanden ist,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter F. Dehousse und D. Sváby,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Kläger, der die marokkanische und die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, und Frau R., eine französische Staatsangehörige, die seinerzeit mit ihren beiden Kindern, die ebenfalls die französische Staatsangehörigkeit besitzen, in Rabat (Marokko) wohnten, wurden am 31. Januar 2000 geschieden. Gemäß dem Scheidungsurteil wurde die elterliche Sorge über die Kinder Frau R. übertragen, jedoch wurde dem Kläger ein Besuchsrecht zugebilligt.

2 Herr C. ist Gemeinschaftsbeamter und übt seine Amtstätigkeit bei der Kommission aus. Vom 8. August 2000 bis zum 16. Mai 2004 war er Leiter der Verwaltung bei der Delegation der Kommission in Khartum (Sudan) (im Folgenden: Delegation). Leiter der Delegation und Dienstvorgesetzter von Herrn C. war Herr M. Da die Herren C. und M. seinerzeit die einzigen in der genannten Delegation diensttuenden Beamten waren, war der Erstgenannte berechtigt, den Letztgenannten im Falle von dessen Verhinderung insbesondere bei Verwaltungsaufgaben zu vertreten.

3 Als Herr C. seinen Dienstposten bei der Delegation bekleidete, wünschte er, seine neue Lebensgefährtin, Frau R., zu sich kommen zu lassen. Aus diesem Anlass übersandte die Delegation dem sudanesischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten eine "Standard-Verbalnote" vom 28. Mai 2002, die von Herrn M. unterzeichnet war, um den Antrag auf ein kurzzeitiges Touristenvisum, den Frau R. für sich und ihre Kinder gestellt hatte, zu unterstützen.

4 Die zuständigen sudanesischen Behörden entschieden, Frau R. und ihren beiden Kindern ein Touristenvisum zu erteilen; die drei Personen verließen am 20. Juni 2002 Marokko und begaben sich nach Khartum.

5 Bei Ablauf des Touristenvisums unternahm Frau R. die Schritte für die Einleitung eines Verfahrens für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sudan. Dieser Antrag war ebenfalls Gegenstand einer "Verbalnote" der Delegation an das sudanesische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. Wegen Abwesenheit des Leiters der Delegation wurde diese "Verbalnote" von Herrn C. unterzeichnet.

6 Die zuständigen sudanesischen Behörden trafen die Entscheidung, Frau R. und ihren beiden Kindern eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

7 Im Schuljahr 2002/03 besuchten die beiden Kinder des Klägers und von Frau R. die französische Schule in Khartum.

8 Mit Urteil der Cour d'appel Rabat vom 3. November 2003 wurde Frau R. die elterliche Sorge über ihre Kinder entzogen und dem Kläger anvertraut.

9 Inzwischen hatten Frau R. und ihre beiden Kinder den Sudan verlassen, um sich nach Belgien zu begeben. Im Schuljahr 2003/04 besuchten die beiden Kinder daraufhin die Schule in Ethe (Belgien).

10 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 25. Februar 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage erhoben auf Ersatz des Schadens, der ihm angeblich aufgrund rechtswidriger Handlungen entstanden ist, die Herr C. in Ausübung seiner Amtstätigkeit vorgenommen haben soll (Rechtssache T-82/04, Ouariachi/Kommission). Nachdem der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist die Rechtssache T-82/04 mit Beschluss des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 1. April 2004 im Register des Gerichts gestrichen worden.

11 Der Kläger erhob im Rahmen seiner Bemühungen, den Kontakt zu seinen Kindern wiederherzustellen und die Vollstreckung des Urteils der Cour d'appel Rabat zu bewirken, mehrere Klagen bei den zuständigen belgischen Gerichten. Daher ordnete die Cour d'appel Lüttich (Belgien) mit zwei Urteilen vom 6. Mai 2004 vorläufig die Rückkehr der Kinder nach Marokko an, damit diese dort wieder mit dem Kläger zusammenleben können.

Verfahren und Anträge der Parteien

12 Unter diesen Umständen hat der Kläger mit Klageschrift, die am 1. April 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

13 Mit besonderem Schriftsatz, der am 18. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit nach Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben. Der Kläger hat seine Stellungnahme zu dieser Einrede am 25. August 2004 eingereicht.

14 In der Klageschrift und der Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit beantragt der Kläger,

- vorab, erforderlichenfalls jede Beweiserhebung anzuordnen, die es ermöglicht, die "falsche Angabe" nachzuweisen, die Herr C. gemacht hat, um die "Entführung" der Kinder zu ermöglichen, insbesondere

- das persönliche Erscheinen von Herrn,

- die Einholung von Auskünften bei der Delegation,

- die Vorlegung der Unterlagen, die Frau R. beim Konsulat der Republik Sudan in Rabat eingereicht hat, um ein Visum für sich und ihre Kinder zu erhalten

- die Klage für zulässig und begründet zu erklären

- die Kzu verurteilen, ihm eine pauschale Entschädigung in Höhe von insgesamt Euro als Ersatz des ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schadens zu zahlen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

15 In ihrer Einrede der Unzulässigkeit beantragt die Kommission,

- die Klage als offensichtlich unbegründet und unzulässig abzuweisen oder festzustellen, dass das Gericht in der vorliegenden Rechtssache nicht zuständig ist;

- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

16 Nach Artikel 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht über eine Klage, der offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist. Im vorliegenden Fall hält das Gericht die in den Akten enthaltenen Angaben für ausreichend und beschließt gemäß diesem Artikel, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

17 Nach Artikel 288 Absatz 2 EG ersetzt die Gemeinschaft im Bereich der außervertraglichen Haftung den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

18 Im Bereich der außervertraglichen Haftung unterwirft der Vertrag die Gemeinschaft einer eigenständigen gemeinschaftlichen Regelung, kraft deren sie die von ihren Organen und Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schäden nach einer einheitlichen Rechtsnorm zu ersetzen hat. Der Vertrag stellt die einheitliche Anwendung dieser Bestimmung und die Unabhängigkeit der Organe der Gemeinschaft dadurch sicher, dass er die Zuständigkeit des Gerichtshofes für Rechtsstreitigkeiten auf diesem Gebiet vorsieht. Indem Artikel 288 EG die von den Organen und die von den Bediensteten der Gemeinschaft verursachten Schäden nebeneinander aufführt, lässt er erkennen, dass die Gemeinschaft nur für diejenigen Handlungen ihrer Bediensteten haftet, die sich aufgrund einer unmittelbaren inneren Beziehung notwendig aus den Aufgaben der Organe ergeben. In Anbetracht ihrer Besonderheit wäre es daher unstatthaft, diese rechtliche Regelung auf Handlungen außerhalb der hiermit bezeichneten Fälle auszudehnen (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1969 in der Rechtssache 9/69, Sayag, Slg. 1969, 329, Randnrn. 5 bis 8).

19 Im vorliegenden Fall hat der Kläger zur Stützung seines Schadensersatzantrags in der Klageschrift erstens gerügt, dass Herr C. die "Standard-Verbalnote" vom 28. Mai 2002 erstellt und an das sudanesische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten gerichtet habe (siehe oben, Randnr. 3), aufgrund deren die sudanesischen Behörden das Touristenvisum für Frau R. und ihre beiden Kinder ausgestellt hätten.

20 In seiner Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit hat der Kläger jedoch ausgeführt, dass er nicht die erwähnte "Verbalnote" in Frage stelle, die im Übrigen vom Leiter der Delegation, Herrn M., unterzeichnet worden sei, sondern die zweite "Verbalnote", die die Delegation vor der Entscheidung der sudanesischen Behörden, auf Antrag von Frau R. dieser und ihren beiden Kindern eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, an das sudanesische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten gerichtet habe (siehe oben, Randnrn. 5 und 6). Die in Rede stehende Note, die in Abwesenheit des Leiters der Delegation von Herrn C. unterzeichnet worden sei, stelle eine falsche Angabe dar und habe es Frau R. und ihren Kindern erlaubt, sich ohne sein Einverständnis im Sudan niederzulassen. Herr C. habe sich auf diese Weise zum Mittäter einer "internationalen Kindesentführung" gemacht und eine unerlaubte Handlung begangen, die die Haftung der Gemeinschaft auslösen könne.

21 Diese Rüge ist zurückzuweisen.

22 Hierzu ist auszuführen, dass die in Rede stehende "Verbalnote", wie dies im Übrigen die Kommission geltend gemacht hat, einer einfachen Praxis entspricht, die insbesondere in Drittländern verfolgt wird, in denen die Verwaltung etwas schwerfällig ist, und die angewandt wird, wenn ein Bediensteter der Delegation der Kommission in diesen Staaten seine Angehörigen zu sich kommen lassen möchte. In Anbetracht dieser Umstände, die im Übrigen vom Kläger nicht bestritten worden sind, kann die Erstellung der in Rede stehenden "Verbalnote" nicht als Handlung betrachtet werden, die sich im Sinne der oben in Randnummer 18 angeführten Rechtsprechung aus den Aufgaben der Organe, im vorliegenden Fall den Aufgaben der Delegation, ergibt.

23 Daher kann nicht angenommen werden, dass Herr C. bei der Unterzeichnung der "Verbalnote" im Sinne von Artikel 288 Absatz 2 EG in Ausübung seiner Amtstätigkeit gehandelt hat.

24 Auf alle Fälle fehlt es, selbst unterstellt, dass dies der Fall sein könnte, offensichtlich an einem unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen dem beanstandeten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden.

25 Der nach Artikel 288 Absatz 2 EG erforderliche Kausalzusammenhang setzt voraus, dass ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem beanstandeten Verhalten des betreffenden Organs und dem geltend gemachten Schaden besteht, d. h., dass sich der Schaden unmittelbar aus dem genannten Verhalten ergibt (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Oktober 1979 in den Rechtssachen 64/76, 113/76, 167/78, 239/78, 27/79, 28/79 und 45/79, Dumortier frères u. a./Rat, Slg. 1979, 3091, Randnr. 21, und vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 51; Urteile des Gerichts vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache T-175/94, International Procurement Services/Kommission, Slg. 1996, II-729, Randnr. 55, und vom 17. Dezember 2003 in der Rechtssache T-146/01, DLD Trading/Rat, Slg. 2003, II-6005, Randnr. 72). Für einen solchen unmittelbaren Zusammenhang trägt der Kläger die Beweislast (Urteil des Gerichts vom 18. September 1995 in der Rechtssache T-168/94, Blackspur u. a./Rat und Kommission, Slg. 1995, II-2627, Randnr. 40).

26 Im vorliegenden Fall hat es die Entscheidung der zuständigen sudanesischen Behörden, Frau R. und ihren Kindern auf ihren Antrag eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, diesen erlaubt, sich im Sudan niederzulassen. Die Note, die die Delegation bei dieser Gelegenheit dem sudanesischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten übersandt hat, diente lediglich im Rahmen der erwähnten Praxis der Unterstützung des Antrags der Betroffenen und der Beschleunigung der Behandlung ihres Verwaltungsfalls. In ihr kann keine Anordnung an die zuständigen sudanesischen Behörden gesehen werden, denen es aufgrund ihrer Souveränität freistand, eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der einschlägigen nationalen Regelung zu erteilen oder abzulehnen.

27 Somit hat der Kläger auf alle Fälle nicht den Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem beanstandeten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden erbracht.

28 Zur Stützung seiner Klage erhebt der Kläger ferner eine zweite Rüge, wonach sich Herr C. dadurch seine Identität angemaßt habe, dass er in dem den Eltern vorbehaltenen Kästchen der Schulzeugnisse, wie sie von der französischen Schule in Khartum und der belgischen Schule in Ethe, die die beiden Kinder besucht hätten, neben die Unterschrift von Frau R. seine Unterschrift gesetzt habe. Herr C. sei mit den Kindern nicht verwandt und verfüge über keine Genehmigung des Klägers, an seiner Stelle diese Dokumente zu unterzeichnen. Dem Kläger sei durch diese Handlungen damit seine Eigenschaft als Vater abgesprochen worden, was Herr C. bewusst zu dem Zweck getan habe, ihm zu schaden.

29 Hierzu genügt die Bemerkung, dass die auf diese Weise Herrn C. zur Last gelegten Handlungen offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Ausübung von dessen Amtstätigkeit stehen. Sie können daher nicht im Sinne von Artikel 228 Absatz 2 EG die Haftung der Gemeinschaft auslösen.

30 Das bloße Vorbringen des Klägers, dass das Gericht im vorliegenden Fall wegen der angeblichen Schwierigkeit, gegen Herrn C., der über Immunität verfüge, gerichtlich vorzugehen, die Haftung der Gemeinschaft als ausgelöst ansehen müsse, kann die in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung nicht entkräften. Es obliegt gegebenenfalls dem Kläger, die Aufhebung der angeblichen Immunität von Herrn C. zu beantragen.

31 Somit ist die zweite Rüge als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

32 Nach allem ist die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen, ohne dass über die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zu entscheiden ist oder die Beweiserhebungen vorgenommen oder die prozessleitenden Verfügungen erlassen zu werden brauchen, die der Kläger beantragt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 auf Antrag Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

beschlossen:

Tenor:

1. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.



Ende der Entscheidung

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