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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 04.07.1994
Aktenzeichen: T-13/94
Rechtsgebiete: Richtlinie 67/227/EWG, Richtlinie 77/388/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 67/227/EWG Art. 2
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Untätigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person auf Feststellung, daß die Kommission es dadurch, daß sie gegen einen Mitgliedstaat kein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung eingeleitet hat, unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, einen Beschluß zu fassen, ist unzulässig.

Die Kommission ist nämlich nicht verpflichtet, ein Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages einzuleiten, sondern sie verfügt über ein Ermessen, das ein Recht einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließt.

Ausserdem können natürliche und juristische Personen den Gemeinschaftsrichter nach Artikel 175 Absatz 3 des Vertrages nur anrufen, um feststellen zu lassen, daß ein Gemeinschaftsorgan es unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, Akte zu erlassen, deren Adressaten sie sein können. Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 169 des Vertrages zur Feststellung einer Vertragsverletzung kann die Kommission aber nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind.

Schließlich begehrt eine natürliche oder juristische Person, die die Kommission um Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 169 des Vertrages ersucht, in Wirklichkeit die Vornahme von Handlungen, die sie nicht unmittelbar und individuell im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 betreffen würden und die sie daher jedenfalls nicht mit der Nichtigkeitsklage anfechten könnte.

2. Nach den Artikeln 169 und 170 des Vertrages steht die Befugnis, den Gemeinschaftsrichter zum Zweck der Feststellung anzurufen, daß ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstossen hat, nicht natürlichen oder juristischen Personen, sondern ausschließlich der Kommission und den Mitgliedstaaten zu.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 4. JULI 1994. - CENTURY OILS HELLAS AE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - ZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-13/94.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Im Steuerjahr 1981 verkaufte die Klägerin eine bestimmte Menge von Fertigschmierölen, die nach Ansicht der griechischen Steuerbehörden der Verbrauchsteuer nach Artikel 57 Absätze 1 und 3 des griechischen Gesetzes Nr. 12/1975 unterlag. Aufgrund dessen erließen die genannten Behörden gegen die Klägerin einen Bescheid über die entsprechende Steuer in Höhe von 5 097 016 DR zuzueglich eines Zuschlags von 7 645 524 DR (150 % der Steuer, für die keine Steuererklärung abgegeben worden war).

2 Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage bei den zuständigen nationalen Gerichten. Im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens vor dem Symvoulio tis Epikrateias machte sie u. a. geltend, die zum maßgeblichen Zeitpunkt geltende nationale Regelung sei unter Verstoß gegen Artikel 2 der Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1301) in Verbindung mit Artikel 17 Absatz 2 Buchstaben a und b der Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) erlassen worden. Der Symvoulio tis Epikrateias wies den Rechtsbehelf der Klägerin mit der Entscheidung Nr. 3043/1992 vom 23. September 1992 zurück.

3 In der Zwischenzeit hatte die Klägerin mit Schreiben vom 11. April 1992 bei der Kommission beantragt, gegen die Griechische Republik das Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages wegen Verletzung der Verpflichtungen dieses Mitgliedstaats u. a. aus den oben genannten Richtlinien einzuleiten.

4 In Beantwortung eines anderen Schreibens der Klägerin vom 4. November 1993 teilte die Kommission dieser mit Schreiben vom 30. November 1993 mit, sie habe keinen Grund zur Einleitung des genannten Verfahrens, weil der fragliche Mitgliedstaat die beanstandete Praxis eingestellt habe und weil die Steuer, auf die sich die Beschwerde der Klägerin bezog, eine Verbrauchsteuer sei, für deren Bemessungsgrundlage nicht die Vorschriften und Grundsätze gälten, denen die Mehrwertsteuer nach den Gemeinschaftsrichtlinien unterliege.

5 Mit Klageschrift, die am 18. Januar 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

6 Mit gesondertem Schriftsatz, der am 16. Februar 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission aufgrund des Artikels 114 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben und beantragt, über diese Einrede vorab zu entscheiden. Die Klägerin hat ihre Erklärungen zur Einrede der Unzulässigkeit am 24. März 1994 eingereicht.

7 Die Klägerin beantragt,

° festzustellen, daß die Griechische Republik gegen die oben angeführten Vorschriften des innerstaatlichen griechischen Rechts und des Gemeinschaftsrechts verstossen hat,

° festzustellen, daß die Kommission dadurch ihre Verpflichtungen aus Artikel 175 des Vertrages verstossen hat, daß sie nicht das Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages eingeleitet hat, und

° diese Unterlassung der Kommission für nichtig zu erklären, damit die Kommission so zu entsprechendem Handeln verpflichtet wird.

8 Die Kommission beantragt,

° die Klage als unzulässig abzuweisen und

° der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

9 Nach Artikel 114 § 3 der Verfahrensordnung wird über die Einrede der Unzulässigkeit mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht (Erste Kammer) aufgrund der Aktenlage für ausreichend unterrichtet und beschließt, keine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

10 Mit ihrer Einrede der Unzulässigkeit macht die Beklagte geltend, daß die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen sei. Sie trägt vor, nach ständiger Rechtsprechung und nach dem Wortlaut des Artikels 175 Absatz 3 des Vertrages könne eine Privatperson gegen sie keine Untätigkeitsklage wegen der Weigerung erheben, gegen einen Mitgliedstaat das Verfahren nach Artikel 169 einzuleiten (siehe z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache 247/87, Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Randnrn. 11 und 13).

11 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe es dadurch, daß sie keine mit Gründen versehene Stellungnahme nach Artikel 169 des Vertrages abgegeben habe, unterlassen, im Sinne von Artikel 175 des Vertrages "einen Beschluß zu fassen". Die Abgabe einer solchen mit Gründen versehenen Stellungnahme im Anschluß an die Ausübung des individuellen Rechts der Klägerin, eine Beschwerde an die Kommission zu richten, hätte bedeutet, daß die Kommission entschieden hätte, daß die Griechische Republik das individuelle Recht der Klägerin auf Schutz ihres Vermögens verletzt habe. Dieses Recht werde durch Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet und ausserdem durch Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union anerkannt. Eine solche mit Gründen versehene Stellungnahme wäre somit ein an sie zu richtender Akt im Sinne von Artikel 175 Absatz 3 des Vertrages gewesen. Die Kommission habe durch ihre Weigerung, eine solche mit Gründen versehene Stellungnahme nach Artikel 169 des Vertrages abzugeben, gegen Artikel F des Vertrages über die Europäische Union verstossen.

Beurteilung durch das Gericht

12 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Kommission nicht verpflichtet, ein Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages einzuleiten, sondern sie verfügt insoweit über ein Ermessen, das ein Recht einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließt (siehe z. B. Urteil Star Fruit/Kommission, a. a. O., Randnr. 11, Urteil des Gerichtshofes vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-87/89, Sonito u. a./Kommission, Slg. 1990, I-1981, Randnrn. 6 und 7, und Beschluß des Gerichts vom 14. Dezember 1993 in der Rechtssache T-29/93, Calvo Alonso-Cortés/Kommission, Slg. 1993, II-1389, Randnr. 55).

13 Soweit die Klage auf Artikel 175 Absatz 3 des Vertrages gestützt ist, ergibt sich ferner aus der ständigen Rechtsprechung, daß natürliche und juristische Personen das Gericht nach dieser Vorschrift nur anrufen können, um feststellen zu lassen, daß ein Gemeinschaftsorgan es unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, Akte zu erlassen, deren Adressaten sie sein können. Im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 169 des Vertrages zur Feststellung einer Vertragsverletzung kann die Kommission aber nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind (Beschlüsse des Gerichtshofes vom 30. März 1990 in der Rechtssache C-371/89, Emrich/Kommission, Slg. 1990, I-1555, Randnrn. 5 und 6, und vom 23. Mai 1990 in der Rechtssache C-72/90, Asia Motor France/Kommission, Slg. 1990, I-2181, Randnrn. 10 und 11, sowie Beschluß des Gerichts vom 4. März 1994 in der Rechtssache T-5/94, J./Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 12).

14 Obwohl schon allein deswegen feststeht, daß die vorliegende Klage unzulässig ist, ist vorsorglich hinzuzufügen, daß die Klägerin mit ihrem an die Kommission gerichteten Ersuchen, ein Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages einzuleiten, in Wirklichkeit die Vornahme von Handlungen begehrt, die sie nicht unmittelbar und individuell im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag betreffen würden und die sie daher jedenfalls nicht mit der Nichtigkeitsklage anfechten könnte (Urteil Star Fruit/Kommission, a. a. O., Randnr. 13).

15 Das Gericht ist der Ansicht, daß die Grundsätze der oben wiedergegebenen Rechtsprechung durch die Art der im vorliegenden Fall behaupteten Verletzung des Gemeinschaftsrechts nicht geändert werden können. Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage ist es ohne Belang, daß die Klägerin geltend macht, es liege ein Verstoß gegen ihr Eigentumsrecht vor, wie es durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und durch Artikel F des Vertrages über die Europäische Union geschützt sei.

16 Somit ist die Klage unzulässig, soweit sie auf die Feststellung gerichtet ist, daß die Kommission pflichtwidrig untätig geblieben ist und zu Unrecht nicht das Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages eingeleitet hat.

17 Schließlich ist insoweit, als die Klage auf die Feststellung eines Verstosses der Griechischen Republik gegen bestimmte Rechtsvorschriften gerichtet ist, darauf hinzuweisen, daß die Befugnis, den Gemeinschaftsrichter zum Zweck der Feststellung anzurufen, daß ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen verstossen hat, nach den Artikeln 169 und 170 EWG-Vertrag nicht natürlichen oder juristischen Personen, sondern ausschließlich der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten zusteht.

18 Nach alledem ist die Klage insgesamt als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihren Anträgen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten.

Luxemburg, den 4. Juli 1994.

Ende der Entscheidung

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