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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 19.06.1996
Aktenzeichen: T-134/94 (1)
Rechtsgebiete: EGKS-Satzung, EGKS, VerfO EGKS


Vorschriften:

EGKS-Satzung Art. 23
EGKS Art. 65
EGKS Art. 47 § 2
VerfO EGKS Art. 64
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes, der die Übersendung der Vorgänge zu der bei dem Gemeinschaftsgericht anhängig gemachten Streitsache durch ein Gemeinschaftsorgan betrifft, soll es dem Gemeinschaftsrichter ermöglichen, die Rechtmässigkeit der angefochtenen Entscheidung unter Beachtung der Verteidigungsrechte zu überprüfen, und kein unbedingtes und unbegrenztes Recht aller Parteien auf Einsicht in die Verwaltungsakten gewährleisten.

Die dem Gericht gemäß Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes übersandten Vorgänge zu der Streitsache, die völlig ausserhalb des Verfahrens bleiben und vom Gericht bei der Entscheidung der Rechtssache nicht berücksichtigt werden, sind von den gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Dienstanweisung für den Kanzler des Gerichts zusammengestellten Akten der Rechtssache zu unterscheiden, die die Parteien unter den in Artikel 5 Absatz 3 der Dienstanweisung vorgesehenen Voraussetzungen einsehen können.

Insbesondere werden interne Unterlagen über den Ablauf des Verwaltungsverfahrens und die Ausarbeitung einer Entscheidung der Kommission auf dem Gebiet der Anwendung der Wettbewerbsregeln des Vertrages nur dann ausnahmsweise zu den Akten der Rechtssache genommen und damit dem Kläger zugänglich gemacht, wenn sie auf den ersten Blick relevante Beweismittel zu enthalten scheinen, die geeignet sind, bereits ernsthaft vorgebrachte Anhaltspunkte zu untermauern, oder wenn sie erforderlich sind, um es dem Gericht zu ermöglichen, gegebenenfalls von Amts wegen zu prüfen, ob die Kommission die ihr nach dem Vertrag obliegenden Pflichten verletzt hat. Diese Beschränkung der Einsichtnahme in interne Unterlagen ist durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Funktionsfähigkeit der Kommission im Bereich der Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages sicherzustellen.

Die Rechtmässigkeitskontrolle des Gerichts erstreckt sich nur auf die endgültige Verwaltungsmaßnahme und nicht auf Entwürfe oder vorbereitende Unterlagen.


Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Zweite erweiterte Kammer) vom 19. Juni 1996. - NMH Stahlwerke GmbH, Eurofer ASBL, Arbed SA, Cockerill-Sambre SA, Thyssen Stahl AG, Unimétal - Société française des aciers longs SA, Krupp Hoesch Stahl AG, Preussag Stahl AG, British Steel plc, Siderurgica Aristrain Madrid SL und Empresa Nacional Siderurgica SA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Verfahren - Artikel 23 des Protokolls über die EGKS-Satzung des Gerichtshofes - Beklagtes Organ - Einschlägige Akten - Übersendung - Vertraulichkeit. - Verbundene Rechtssachen T-134/94, T-136/94, T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und T-157/94.

Entscheidungsgründe:

1 Durch Entscheidung 94/215/EGKS vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1, nachstehend: Entscheidung) stellte die Kommission mehrere insbesondere durch Festsetzung der Preise, Aufteilung der Märkte und Austausch vertraulicher Informationen begangene Verstösse gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag fest und setzte gegen vierzehn auf diesem Gebiet tätige Stahlunternehmen Geldbussen fest.

2 In der Zeit vom 31. März 1994 bis zum 18. April 1994 haben die elf klagenden Unternehmen in den Rechtssachen T-134/94 (nachstehend: NMH), T-136/94 (nachstehend: Eurofer), T-137/94 (nachstehend: ARBED), T-138/94 (nachstehend: Cockerill-Sambre), T-141/94 (nachstehend: Thyssen), T-145/94 (nachstehend: Unimétal), T-147/94 (nachstehend: Krupp Hösch), T-148/94 (nachstehend: Preussag), T-151/94 (nachstehend: British Steel), T-156/94 (nachstehend: Aristrain) und T-157/94 (nachstehend: Ensidesa) jeweils für sich Klagen erhoben, die sich hauptsächlich auf die Nichtigerklärung dieser Entscheidung richten.

3 Auf einige insbesondere von der Klägerin Aristrain in Schreiben vom 7. September und 18. Oktober 1994 in der Rechtssache T-156/94 gestellte Anträge hin hat das Gericht die Beklagte mit Schreiben des Kanzlers vom 25. Oktober 1994 aufgefordert, ihren Verpflichtungen aus Artikel 23 des Protokolls über die EGKS-Satzung des Gerichtshofes (nachstehend: Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes) nachzukommen. Die Beklagte hat bei der Kanzlei zusammen mit einem Schreiben vom 24. November 1994 eine aus 65 Aktenordnern bestehende und 10 563 numerierte Schriftstücke umfassende Akte sowie den Text der Entscheidung und der Mitteilung der Beschwerdepunkte in den verschiedenen verbindlichen Sprachfassungen eingereicht (nachstehend: dem Gericht übersandte Akten).

4 In ihrem Begleitschreiben vom 24. November 1994 an das Gericht hat die Beklagte ausgeführt:

"Einige dieser Schriftstücke können Geschäftsgeheimnisse enthalten. Andere sind interne Unterlagen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichts. Zumindest bei den Unterlagen, die die Kommission von den betroffenen Unternehmen erhalten hat, handelt es sich um Schriftstücke, die unter die in Artikel 47 EGKS-Vertrag vorgesehene Geheimhaltungspflicht fallen. Sie können daher nicht allen Prozessparteien in vollem Umfang zugänglich gemacht werden. Die Kommission hat für das Verwaltungsverfahren eine sogenannte 'Zugangsliste' erstellt, der zu entnehmen war, welche Schriftstücke welchen Parteien ganz oder teilweise zugänglich waren. Diese Liste, von der eine Abschrift im Anhang beigefügt ist, betrifft das gesamte Verfahren vor der Kommission bis zum 11. Januar 1993, dem Termin der Verwaltungsanhörung."

5 Im Rahmen der prozeßleitenden Maßnahmen gemäß Artikel 64 § 2 seiner Verfahrensordnung hat am 14. März 1995 eine informelle Zusammenkunft des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) mit den Parteien stattgefunden, in deren Verlauf insbesondere die Probleme besprochen wurden, die sich vorliegend daraus ergeben, daß die meisten Klägerinnen Einsicht in die dem Gericht übersandten Akten beantragt haben, da einige darin enthaltene Schriftstücke möglicherweise vertraulich sind.

6 Nach dieser informellen Zusammenkunft vom 14. März 1995 hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) folgendes Schreiben des Kanzlers vom 30. März 1995 an die Parteien gesandt:

"1. In bezug auf die Probleme, die sich im Hinblick auf die etwaige Vertraulichkeit bestimmter Schriftstücke bei der Einsicht in die von der Kommission gemäß Artikel 23 der EGKS-Satzung vorgelegten Verwaltungsakten und bei der Heranziehung dieser Akten durch das Gericht in dem Bemühen um möglichst vollständige Beachtung der Grundsätze des kontradiktorischen Verfahrens, der Prozessökonomie und der ordnungsgemässen Rechtspflege ergeben, werden die Parteien ersucht, bis zum 31. Mai 1995 schriftlich zu folgenden Punkten Stellung zu nehmen:

a) Hinsichtlich der von der Kommission im Interesse einer der Klägerinnen als vertraulich eingestuften Schriftstücke der Verwaltungsakten werden die Klägerinnen gebeten, sich dazu zu äussern, ob sie bereit sind, für alle oder einen Teil der Unterlagen gegenseitig die Vertraulichkeit aufzuheben, so daß diese Unterlagen allen Klägerinnen übermittelt werden können.

Falls eine der Klägerinnen gegenüber den anderen Klägerinnen die Vertraulichkeit bestimmter Schriftstücke aufrechterhalten möchte, wird sie gebeten, das fragliche Schriftstück oder die Information, die vertraulich bleiben muß, genau anzugeben und dieses Ersuchen um vertrauliche Behandlung zu begründen.

Falls die Kommission glaubt, bei bestimmten ihrer Schriftstücke gegen eine gegenseitige Aufhebung der Vertraulichkeit durch die Klägerinnen Einwände erheben zu müssen, wird sie aufgefordert, die Schriftstücke oder die in diesen Schriftstücken enthaltenen Informationen, auf die sich ihre Einwände beziehen, genau anzugeben.

b) Hinsichtlich der von der Kommission im Interesse Dritter, die nicht an den vor dem Gericht anhängigen Verfahren beteiligt sind, als vertraulich eingestuften Schriftstücke der Verwaltungsakten wird die Kommission gebeten, die Begründetheit dieser Einstufung zu überprüfen und gegebenenfalls im Hinblick auf eine mögliche Aufhebung der Vertraulichkeit gegenüber den Klägerinnen Kontakt zu den Dritten aufzunehmen.

Die Kommission wird gebeten, den Klägerinnen mitzuteilen, welche dieser Schriftstücke ihnen ihrer Ansicht nach übermittelt werden können und welche gegebenenfalls weiterhin als vertraulich eingestuft werden, und zwar unter Angabe der Gründe für die Vertraulichkeit und mit einer Beschreibung der Natur und des Inhalts jedes der betreffenden Schriftstücke.

Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen werden die Klägerinnen gebeten, sich dazu zu äussern, ob sie ihre Anträge auf Einsicht in bestimmte dieser Schriftstücke, die nach Angaben der Kommission weiterhin als vertraulich eingestuft werden, aufrechterhalten.

Die Kommission und die Klägerinnen werden ersucht, dem Gericht innerhalb der oben genannten Frist mitzuteilen, ob sie sich über den Umfang des Einsichtsrechts der Klägerinnen in die im Interesse Dritter als vertraulich eingestuften Schriftstücke geeinigt haben, oder ihm mitzuteilen, über welche konkreten Punkte sie sich nicht einigen konnten, damit das Gericht bei jedem der betreffenden Schriftstücke über dessen Erheblichkeit und Vertraulichkeit entscheiden kann.

c) Hinsichtlich der von der Kommission als vertraulich eingestuften internen Unterlagen wird die Kommission ersucht, dem Gericht innerhalb der oben genannten Frist von zwei Monaten eine Liste der internen Unterlagen zu übermitteln, die Angaben zur Natur jeder Unterlage und eine kurze Beschreibung ihres Inhalts enthält, die so detailliert sein muß, daß sie den Klägerinnen die Beurteilung der Erheblichkeit eines Antrags auf Einsicht in diese Unterlagen für ihre Verteidigung ermöglicht. Die Kommission wird ferner gebeten, anzugeben, ob sie sich in der Lage sieht, die Vertraulichkeit bei einigen ihrer internen Unterlagen aufzuheben.

Innerhalb derselben oben genannten Frist können die Klägerinnen und die Kommission, wenn sie dies wünschen, schriftlich ihre Rechtsausführungen zu den Grundsätzen vorlegen, die im Rahmen der Anwendung von Artikel 23 des EGKS-Statuts und der Einsicht in die Verfahrensakten des Gemeinschaftsgerichts für die Vertraulichkeit interner Unterlagen gelten.

Die von der Kommission entsprechend dem obigen Ersuchen vorgelegte Liste der internen Unterlagen wird sodann den Klägerinnen übermittelt werden, damit diese innerhalb einer noch zu bestimmenden Frist angeben und begründen können, in welche internen Unterlagen sie weiterhin Einsicht verlangen.

Die genannten Stellungnahmen der Parteien sollten das Gericht in die Lage versetzen, eine Entscheidung über die Behandlung aller Schriftstücke in den Verwaltungsakten zu treffen, deren vertraulicher Charakter oder deren Erheblichkeit für die Verteidigung der Klägerinnen streitig bleibt. Die Schriftstücke, die das Gericht dann als vertraulich ansieht, werden aus den Akten des Gerichts entfernt.

Die Kommission wird ersucht, anhand der Ergebnisse der verschiedenen Stufen des oben dargestellten Verfahrens ihre Verwaltungsakten neu zu ordnen, damit das Gericht den Klägerinnen Einsicht in die Akten gewähren kann, die es heranziehen wird."

7 In ihren Antworten auf das Schreiben des Gerichts vom 30. März 1995 haben sich die Klägerinnen und die Beklagte vorbehaltlich einiger teils von der Kommission, teils von einigen Klägerinnen erhobener Einwände, die nachfolgend erörtert werden, grundsätzlich auf eine gegenseitige Aufhebung der Vertraulichkeit der von den Klägerinnen selbst stammenden Unterlagen einigen können. Bei den von dritten Unternehmen stammenden Unterlagen haben sich die Kommission und die Dritten, an die sie sich gewandt hat, in der Regel mit einer Aufhebung der Vertraulichkeit gegenüber den Klägerinnen einverstanden erklärt, auch hier vorbehaltlich einiger Einwände, die nachfolgend erörtert werden. Die Beklagte hat im übrigen eine detailliertere Liste ihrer internen Unterlagen vorgelegt, die die Kanzlei dann den Klägerinnen übermittelt hat; die Beklagte hielt dabei an ihren grundsätzlichen Einwänden gegen die Bekanntgabe dieser Unterlagen an die Klägerinnen fest. Schließlich haben die Klägerinnen ausführliche rechtliche Erklärungen zur Bedeutung des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes und zu ihrem Recht auf Einsicht in die dem Gericht übersandte Akten, und zwar insbesondere in die internen Unterlagen der Kommission, vorgelegt.

8 In Anbetracht all dieser Antworten hat das Gericht die Klägerinnen mit einem weiteren Schreiben des Kanzlers vom 21. Juli 1995 (25. Juli 1995 in der Rechtssache T-151/94) aufgefordert, sich ° mit Begründung ° insbesondere dazu zu äussern, ob sie ihren Antrag auf Einsicht zum einen in diejenigen Schriftstücke der Akten, deren vertrauliche Behandlung von einer der Klägerinnen selbst, von der Kommission oder von einem Dritten beantragt worden war, und zum anderen in die Schriftstücke der internen Akten der Kommission aufrechterhalten wollten, die mit diesem Antrag zur Einsicht begehrten Unterlagen im einzelnen anzugeben und dies kurz zu begründen. Die Klägerinnen haben auf diese Aufforderung mit Schreiben vom 6. September 1995 (Rechtssache T-157/94), vom 11. September 1995 (Rechtssache T-156/94), vom 13. September 1995 (Rechtssachen T-137/94, T-138/94 und T-151/94), vom 14. September 1995 (Rechtssache T-147/94) und vom 15. September 1995 (Rechtssachen T-134/94, T-141/94, T-145/94 und T-148/94) geantwortet.

9 In der Zwischenzeit hat die Klägerin British Steel mit Schreiben an die Kanzlei vom 14. Juli 1995 gerügt, daß die Kommission entgegen der nach der informellen Zusammenkunft der Parteien vom 14. März 1995 übernommenen Verpflichtung nicht zu allen im Verzeichnis der Aktenstücke aufgeführten Dritten Kontakt aufgenommen habe. Die nicht angesprochenen Dritten seien zum einen private Unternehmen oder Einrichtungen wie das Centre professionnel des statistiques de l' acier (nachstehend: CPS), Darlington & Simpson, DSRM, Inter Trade, LME, Steelinter, ÜS und Valor sowie zum anderen mit Wettbewerbssachen befasste Verwaltungen oder Behörden der Mitgliedstaaten oder von Drittstaaten wie insbesondere das Bundeskartellamt, das Office of Fair Trading, das Prisdirektoratet, das US Department of Commerce, die Direction générale de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes sowie der ständige Vertreter des Großherzogtums Luxemburg bei den Europäischen Gemeinschaften.

10 Das Gericht hat die Beklagte aufgefordert, zu diesem Schreiben der Klägerin British Steel vom 14. Juli 1995 Stellung zu nehmen, was sie mit Schreiben vom 7. September 1995 getan hat. Mit Schreiben des Kanzlers vom 1. April 1996 hat das Gericht die Kommission dann gebeten, zu den Dritten CPS, Darlington & Simpson, DSRM, Inter Trade, LME, Steelinter, ÜS und Valor Kontakt aufzunehmen, um festzustellen, ob diese mit einer Aufhebung der Vertraulichkeit der sie betreffenden Unterlagen einverstanden seien. Mit Schreiben vom 15. Mai 1996 hat die Beklagte unter Beifügung von Kopien der jeweiligen Antwortschreiben mitgeteilt, daß die betreffenden Dritten ihr Verlangen auf vertrauliche Behandlung gegenüber den Klägerinnen nicht aufrechterhielten.

Zum Recht der Klägerinnen auf Einsicht in die dem Gericht gemäß Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes übersandten Akten

11 Wird die Entscheidung eines Organs der Gemeinschaft mit einer Klage angefochten, so hat dieses Organ nach dem Wortlaut des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 5 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der durch den Beschluß 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) und durch den Beschluß 94/149/EGKS/EG des Rates vom 7. März 1994 (ABl. L 66, S. 29) geänderten Fassung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, dem Gerichtshof alle Vorgänge zu der bei dem Gerichtshof anhängig gemachten Streitsache zu übersenden.

12 Das Vorbringen einiger Klägerinnen, daß Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht ein unbedingtes und unbegrenztes Recht aller Parteien auf Einsicht in die von dem betreffenden Organ an das Gemeinschaftsgericht übersandte Akten gewähre, ist jedoch von vorneherein zurückzuweisen.

13 Artikel 47 EGKS-Vertrag stellt nämlich die Wahrung des vertraulichen Charakters der Auskünfte, die ihrer Natur nach unter das Berufsgeheimnis fallen, und insbesondere des Geschäftsgeheimnisses sicher, das dem Schutz der legitimen Interessen der Unternehmen dient und die Kehrseite der Auskunftspflicht gegenüber der Kommission bildet (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1985 in der Rechtssache 27/84, Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie/Kommission, Slg. 1985, 2385, Randnr. 15).

14 Zur Lösung des mit den vorliegenden Klagen aufgeworfenen Problems sind daher die Erfordernisse des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes und des rechtlichen Gehörs vor Gericht gegen die Erfordernisse des Schutzes des Geschäftsgeheimnisses der einzelnen Unternehmen abzuwägen. Eine solche Abwägung erfordert eine konkrete Prüfung der individuellen Lage der betroffenen Unternehmen (vgl. das Urteil Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, a. a. O., Randnr. 16; vgl. auch, im Rahmen des EG-Vertrags, den Beschluß des Gerichts vom 15. November 1990 in den verbundenen Rechtssachen T-1/89, T-2/89, T-3/89, T-4/89 und T-6/89 bis T-15/89, Rhône-Poulenc u. a./Kommission, Slg. 1990, II-637).

15 Zudem hat der Gerichtshof in einer Entscheidung über die Übersendung von Unterlagen gemäß Artikel 23 der EGKS-Satzung dem beklagten Organ das Recht zuerkannt, auch selbst ° ausnahmsweise ° die Wahrung des vertraulichen Charakters bestimmter, das Organ betreffender Informationen zu verlangen (vgl. das Urteil des Gerichtshofes vom 20. Dezember 1954 in der Rechtssache 2/54, Italien/Hohe Behörde, Slg. 1954, 79, 111 und 112).

16 Nach alledem sind vorliegend bei der Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die dem Gericht übersandten Akten die drei Kategorien von Unterlagen zu unterscheiden, die in den Schreiben des Kanzlers vom 30. März 1995 und vom 21./25. Juli 1995 genannt sind, und zwar i) die von der Kommission im Interesse einer der Klägerinnen als vertraulich eingestuften Schriftstücke, ii) die von der Kommission im Interesse Dritter, die nicht an den vorliegenden Verfahren beteiligt sind, als vertraulich eingestuften Schriftstücke und iii) die von der Kommission als vertraulich eingestuften internen Unterlagen. Jede der drei Kategorien wirft nämlich hinsichtlich der Vertraulichkeit spezifische Probleme auf, die gegebenenfalls bestimmte Einschränkungen des Rechts der Klägerinnen auf Einsicht in die dem Gericht übersandten Akten rechtfertigen können.

Zum Recht der Klägerinnen auf Einsicht in die von den Klägerinnen selbst stammenden, in ihrem eigenen Interesse als vertraulich eingestuften Aktenstücke

Standpunkt der Parteien

17 Die Klägerinnen und die Beklagte sind sich vorbehaltlich einiger von der Kommission bzw. einigen Klägerinnen erhobener Einwände grundsätzlich darüber einig, daß die Klägerinnen uneingeschränkt Einsicht in die von einer von ihnen stammenden Schriftstücke in den dem Gericht übersandten Akten nehmen können.

18 Die Beklagte widerspricht der Bekanntgabe der Schriftstücke Nrn. 5775, 6717 und 6718 (Rechtssache T-148/94), 6789, 6854 und 6855 (Rechtssache T-141/94), 6923 (Rechtssache T-147/94), 6947 und 7022 (Rechtssache T-134/94), 7307 bis 7309, 7322, 7323 und 7337 bis 7339 (Rechtssache T-138/94), 8204, 8345, 8347, 8348 und 8349 (Rechtssache T-137/94), 8777, 8778, 8787 und 8796 (Rechtssache T-151/94), 8860, 9019, 9020, 9021 und 9022 (Rechtssache T-156/94), 9150, 9277 und 9278 (Rechtssache T-157/94) an die Klägerinnen mit der Begründung, sie enthielten Geschäftsgeheimnisse, und zwar einige Umsätze der Klägerinnen in den Jahren 1986 bis 1990 und 1993. Anders als die anderen Aktenstücke, die aus der Zeit stammten, in der die Verstösse begangen worden seien, seien diese Unterlagen in einem späteren Stadium der Verwaltungsverfahren vorgelegt worden und beträfen die Umsätze des relevanten Erzeugnisses der klagenden Unternehmen. Ausserdem könnten die Umsätze des relevanten Erzeugnisses in einem oder mehreren früheren Jahren, insbesondere wenn eine bestimmte Zahl von Jahren angegeben sei, einen Eindruck von dem relevanten derzeitigen Umsatz vermitteln, was hinsichtlich anderer Arten alter Informationen nicht unbedingt der Fall sei.

19 Die Klägerin Unimétal widerspricht in der Rechtssache T-145/94 der Bekanntgabe der Unterlagen Nrn. 2519, 2522 und 2656 bis 2670 aus den Verwaltungsakten der Kommission an die anderen Klägerinnen mit der Begründung, diese Unterlagen hätten rein unternehmensinternen Charakter (Vermerke über interne Vorgänge oder interne Marktanalysen).

20 Die Klägerin British Steel widerspricht in der Rechtssache T-151/94 der Bekanntgabe einiger in den Unterlagen Nrn. 1894 bis 1900, 1922 bis 1936, 1940 bis 1960, 1990 bis 1992, 2179 bis 2180 und 8787 der Verwaltungsakten der Kommission enthaltener Daten an die anderen Klägerinnen mit der Begründung, sie bezögen sich auf Geschäftsgeheimnisse (Namen derzeitiger oder potentieller Kunden, deren Kundschaft Gegenstand eines aktiven Wettbewerbs zwischen ihr und den anderen Klägerinnen sei; zahlenmässige Daten über die Umsätze ab Werk, die bei Trägern in der Zeit vom April 1986 bis Dezember 1993 im Vereinigten Königreich, in den anderen Mitgliedstaaten und in der Europäischen Union insgesamt erzielt worden seien). Die Klägerin British Steel hat in der Anlage zu ihren Schreiben vom 31. Mai und 15. September 1995 an das Gericht sowohl vollständige Kopien der fraglichen Unterlagen als auch Kopien ohne die Passagen beigefügt, die ihrer Ansicht nach Geschäftsgeheimnisse darstellen; in dieser Form möchte sie die Unterlagen an die anderen Parteien weitergeben lassen.

21 Die Klägerin Aristrain widerspricht in der Rechtssache T-156/94 der Bekanntgabe der Unterlage Nr. 8871 an die anderen Klägerinnen mit der Begründung, sie enthalte sehr konkrete Einzelheiten zu einigen Geschäftsgeheimnissen, denen zu entnehmen sei, daß sie in einige Gemeinschaftsmärkte eingedrungen sei und welchen Marktanteil sie dort halte.

22 Die Beklagte hat gegen die Anträge der Klägerinnen Unimétal und Aristrain keine Einwände erhoben. Sie hat jedoch den von der Klägerin British Steel gestellten Anträgen auf vertrauliche Behandlung mit Ausnahme derjenigen widersprochen, die sich auf die mit den Nrn. 1922 bis 1936 versehenen Unterlagen der dem Gericht übersandten Akten beziehen.

Würdigung durch das Gericht

23 Was erstens die Schriftstücke betrifft, deren vertrauliche Behandlung die Beklagte verlangt (vgl. oben, Randnr. 18), so widersprechen die Parteien, von denen diese Schriftstücke stammen, ihrer Bekanntgabe an die anderen Klägerinnen ° mit Ausnahme nur des Schriftstücks Nr. 8787 (vgl. oben, Randnr. 20) ° nicht und zeigen damit, daß sie sie mittlerweile nicht mehr als Unterlagen ansehen, die Geschäftsgeheimnisse enthalten.

24 Daher kann die Kommission ° wie einige Klägerinnen zu Recht geltend gemacht haben ° der Bekanntgabe dieser Unterlagen an die Klägerinnen nur widersprechen, falls diese Bekanntgabe selbst einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrages darstellen sollte. Die Kommission hat aber weder dargetan noch auch nur vorgetragen, daß dies vorliegend der Fall sei. Jedenfalls kann diese Möglichkeit ausgeschlossen werden, da es hier um veraltete (vgl. den Beschluß Rhône-Poulenc u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 23) und globale Informationen geht. Sie betreffen nämlich im wesentlichen Daten über den Umsatz bei "Trägern" (alle Kategorien zusammengenommen) und "EGKS-Erzeugnissen" der Klägerinnen in der gesamten Gemeinschaft in der Zeit von 1986 bis 1990. Was dieselben globalen Daten für das Jahr 1993 angeht, so stellen diese, obwohl sie jüngeren Datums sind, nur Prognosen, aber keine endgültigen Ergebnisse dar. Unter diesen Umständen ist dem Antrag der Beklagten vorbehaltlich der noch folgenden Ausführungen zur Unterlage Nr. 8787 (Randnrn. 30 und 31) nicht stattzugeben.

25 Was zweitens die Unterlagen Nrn. 2519 bis 2522 und 2656 bis 2670 angeht, auf die sich der Antrag der Klägerin Unimétal in der Rechtssache T-145/94 bezieht (vgl. unten, Randnr. 19), so stammen sie von Dritten, die nicht am vorliegenden Verfahren beteiligt sind, nämlich von Usinor Sacilor/Valor und CPS, die keine vertrauliche Behandlung beantragt haben, obwohl die Kommission zu diesem Zweck ordnungsgemäß Kontakt zu ihnen aufgenommen hat (vgl. oben, Randnr. 10). Soweit sie Unimétal betreffen, enthalten diese Unterlagen, soweit ersichtlich, keine weiteren Informationen als diejenigen, die den Berufs- und Zollstatistiken zu entnehmen sind. Was insbesondere die Unterlagen Nrn. 2656 bis 2668 angeht, so liegen die Lieferungen der Unimétal auf dem französischen Markt in der Zeit von 1989 bis 1990, auf die sie sich beziehen, inzwischen so weit zurück, daß man sie nicht mehr als Geschäftsgeheimnisse betrachten kann. Daher ist dem Antrag der Klägerin Unimétal nicht stattzugeben.

26 Was drittens den Antrag der Klägerin British Steel in der Rechtssache T-151/94 (vgl. oben, Randnr. 20) angeht, so richtet er sich zunächst auf die vertrauliche Behandlung zweier Sätze, die in einem Schreiben vom 4. Januar 1991 an Ferdofin enthalten sind (Nrn. 1894 und 1895 der dem Gericht übersandten Akten), in denen die Beziehungen beschrieben werden, die die beiden Unternehmen 1990/91 unterhielten. Die Beklagte macht geltend, daß das fragliche Schreiben in Randnummer 176 der angefochtenen Entscheidung als Beweis für eine Vereinbarung über die Aufteilung der Märkte zwischen British Steel und Ferdofin herangezogen werde, führt aber nicht aus, warum diese Umstände, die ihrer Meinung nach den Kontext der Feststellung eines Verstosses bilden, den anderen Klägerinnen verborgen bleiben sollten, was den Fortgang des Verfahrens komplizieren würde.

27 Der erste der beiden Sätze, auf die sich der Antrag der Klägerin British Steel bezieht, und zwar der Satz, der auf der ersten Seite ihres genannten Schreibens vom 4. Januar 1991 an Ferdofin steht, ist in der Fassung dieser Unterlage, die das Schriftstück Nr. 1894 der dem Gericht übersandten Akten bildet, bereits gestrichen. Insoweit ist der Antrag der Klägerin British Steel also gegenstandslos. Der zweite Satz, der auf Seite 2 des genannten Schreibens steht (Schriftstück 1895 der Akten der Kommission), bezieht sich auf Tatsachen, die über fünf Jahre zurückliegen und deren Relevanz für die Beurteilung des Verstosses, von dem in Randnummer 176 der Entscheidung die Rede ist, nicht ausgeschlossen werden kann. Ausserdem wird der fragliche Satz in der Unterlage Nr. 1899 der dem Gericht übersandten Akten, deren vertrauliche Behandlung die Klägerin British Steel nicht beantragt hat, wörtlich wiederholt. Unter diesen Umständen ist dem Antrag der Klägerin British Steel nicht stattzugeben.

28 Zu der Unterlage, die die Nrn. 1940 bis 1960 der Akten trägt, macht die Klägerin British Steel geltend, daß darin die Namen einiger angeblicher Kunden eines anderen Produzenten genannt seien. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Namen noch eine geschäftliche Bedeutung haben, obwohl die betreffenden Daten aus den Jahren 1987 und 1988 stammen. Das gleiche gilt für die Unterlagen Nrn. 1990 bis 1992 und 2179 und 2180, die vom 5. Dezember 1988 bzw. vom 8. September 1989 datieren. Hinsichtlich dieser Unterlagen ist dem Antrag der Klägerin British Steel daher stattzugeben.

29 Ebenso bezieht sich die Unterlage mit den Nrn. 1922 bis 1936, die im wesentlichen die Geschäftsbeziehungen der Klägerin British Steel und die Analyse ihrer Geschäftsstrategie auf dem deutschen Markt betrifft, obwohl auch sie schon mehrere Jahre alt ist, auf bestimmte Daten, die noch unter das Berufsgeheimnis des Artikels 47 § 2 EGKS-Vertrag fallen könnten. Da die Beklagte im Grunde dem Antrag auf vertrauliche Behandlung einiger in dieser Unterlage enthaltener Daten zustimmt, ist dem Antrag stattzugeben.

30 Das gleiche gilt für die Unterlage Nr. 8787, bei der die Klägerin British Steel der von der Kommission beantragten vertraulichen Behandlung zustimmt (vgl. ihr Schreiben vom 15. September 1995, S. 8), soweit sie namentlich Daten über ihren Umsatz ab Werk bei Trägern enthält, den sie von 1990 bis 1993 im Vereinigten Königreich, in den anderen Mitgliedstaaten und in der Europäischen Union insgesamt erzielt hat.

31 Da die Klägerin British Steel der Kanzlei einen Satz Unterlagen übermittelt hat, die von 1922 bis 1936, 1940 bis 1960, 1990 bis 1992, 2179 bis 2180 und 8787 numeriert sind und in denen einige Daten gestrichen wurden, die ihrer Ansicht nach für die vorliegende Rechtssache unerhebliche Geschäftsgeheimnisse darstellen, sind diese Unterlagen den anderen Klägerinnen in dieser Form zugänglich zu machen, da der Beklagten ° wie sie selbst ausgeführt hat ° offenkundig nach wie vor das Recht zusteht, sich in der Rechtssache T-151/94 gegenüber der British Steel auf den vollständigen Text der einzelnen Schriftstücke zu berufen, aus denen sich ihre Akten zusammensetzen.

32 Was viertens die Unterlage Nr. 8871 angeht, auf die sich der Antrag der Klägerin Aristrain in der Rechtssache T-156/94 bezieht (vgl. oben, Randnr. 21), so handelt es sich dabei um eine Tabelle, aus der die Preise hervorgehen, die sie im Lauf der beiden ersten Vierteljahre des Jahres 1989 für verschiedene Kategorien von Stahlerzeugnissen auf dem deutschen und dem französischen Markt erwartete oder erzielte. Da es sich dabei um veraltete Daten handelt, braucht den anderen Klägerinnen die Einsichtnahme in diese Tabelle nicht verwehrt zu werden.

Zum Recht der Klägerinnen auf Einsicht in diejenigen Aktenstücke, die von Dritten stammen, die nicht an den vorliegenden Verfahren beteiligt sind, und die im Interesse dieser Dritten als vertraulich eingestuft worden sind

Standpunkt der Parteien

33 Die Beklagte und die Dritten, an die sie sich auf Aufforderung des Gerichts gewandt hat, haben sich vorbehaltlich einiger von der Kommission oder bestimmten Dritten erhobener Einwände mit dem grundsätzlich freien Zugang aller Klägerinnen zu den von einem dieser Dritten stammenden Schriftstücken der an das Gericht übersandten Akten einverstanden erklärt.

34 Die Kommission widerspricht der Bekanntgabe der Schriftstücke Nrn. 6883 und 6917 (Saarstahl), 7777 bis 7778 und 7782 (Usinor-Sacilor), 7864 bis 7873 und 8001 (Ferdofin), 8013, 8017 und 8028 (Stefana), 9313 (Norsk Jernwerk), 9387 und 9388 (Ovako Profiler AB) und 9461 (Fundia), in denen bestimmte "Träger"-Umsätze in den Jahren 1986 bis 1990 und 1993 genannt sind, an die Klägerinnen aus den in Randnummer 18 dargestellten Gründen. Vorbehaltlich des Schriftstücks Nr. 8028 (vgl. unten, Randnr. 37) widersprechen die betroffenen Dritten einer solchen Bekanntgabe jedoch nicht.

35 Das Unternehmen Allied Steel and Wire Ltd widerspricht der Bekanntgabe des Schriftstücks Nr. 5261 an die Klägerinnen mit der Begründung, es enthalte ihre Tätigkeit betreffende Geschäftsgeheimnisse.

36 Das Unternehmen SSAB Svenskt Staal AB widerspricht der Bekanntgabe der Schriftstücke Nrn. 9435, 9440 bis 9455, 9456, 9608 bis 9610 und 9612 bis 9621 an die Klägerinnen mit der Begründung, es handele sich um Schriftverkehr zwischen seinen Anwälten und der Kommission, aus dem seine Verfahrensstrategie hervorgehe und/oder der detaillierte Informationen über die Grundsätze und Methoden seiner Geschäftsstrategie auf dem Markt enthalte.

37 Das Unternehmen Stefana widerspricht der Bekanntgabe der Schriftstücke Nrn. 8027 und 8028 an die Klägerinnen mit der Begründung, sie enthielten Geschäftsgeheimnisse (genaue Umsätze bestimmter Erzeugnisse).

38 Die Beklagte erhebt keine Einwände gegen diese drei Anträge. Was die Klägerinnen betrifft, so halten einige ihren Antrag auf Einsicht in die betreffenden Unterlagen aufrecht, während andere darauf verzichten.

Würdigung durch das Gericht

39 Aus den in den Randnummern 23 und 24 angeführten Gründen ist das Gericht erstens der Auffassung, daß die Kommission zu Unrecht der Bekanntgabe von Unterlagen an die Klägerinnen widerspricht, deren Vertraulichkeit die von ihr zu diesem Zweck ordnungsgemäß angesprochenen Dritten nicht mehr beanspruchen.

40 Zweitens enthält die von dem Unternehmen Allied Steel and Wire Ltd stammende Unterlage Nr. 5261 nur einen Hinweis auf die Teilnahme nicht näher bezeichneter Vertreter dieses Unternehmens an Sitzungen der in der Zeit von 1987 bis 1989 im Rahmen der Klägerin Eurofer oder der Gruppe Eurofer/Skandinavien gebildeten Träger-Kommission. In Anbetracht der regelmässigen Teilnahme der meisten Klägerinnen an diesen Sitzungen und des ° jedenfalls innerhalb des betreffenden Sektors ° relativ öffentlichen Charakters dieser Sitzungen sowie der Tatsache, daß die Allied Steel und Wire Ltd zum maßgeblichen Zeitpunkt mit der British Steel eine wirtschaftliche Einheit bildete, und da die betreffenden Daten veraltet sind, können diese Unterlagen den Klägerinnen ohne Verstoß gegen das Berufsgeheimnis mitgeteilt werden.

41 Drittens betreffen die Unterlagen Nrn. 9435, 9440 bis 9455, 9456, 9608 bis 9610 und 9612 bis 9621, auf die sich der Antrag des Unternehmens SSAB Svenskt Staal AB bezieht, zum einen einen vom Anwalt dieses Unternehmens im Namen seiner Mandantin gestellten Antrag auf getrennte Anhörung und zum anderen die Niederschrift dieser vom Anhörungsbeauftragten durchgeführten Anhörung sowie die bei dieser Gelegenheit vorgelegten Schriftstücke.

42 Zunächst enthalten diese Unterlagen keine Daten, die als Geschäftsgeheimnisse betrachtet werden könnten. Dagegen hat sich die Beklagte in Randnummer 296 a. E. der angefochtenen Entscheidung insbesondere auf die vom Vertreter der Unternehmen SSAB Svenskt Staal AB und Ovako Profiler AB in dieser Anhörung abgegebenen Erklärungen gestützt, um bei allen betroffenen Klägerinnen und nicht nur bei diesen beiden Unternehmen den Verstoß der Preisfestsetzung im Rahmen der Vereinbarungen von Eurofer/Skandinavien für erwiesen zu erklären.

43 Ausserdem hat der Vertreter der Unternehmen SSAB Svenskt Staal AB und Ovako Profiler AB in der fraglichen Anhörung bestimmte Erklärungen abgegeben und eine Unterlage vorgelegt, die für die Beurteilung der Begründetheit bestimmter Nichtigkeitsgründe nicht offensichtlich unerheblich sind, die einige Klägerinnen insbesondere auf das Vorbringen gestützt haben, daß diese Unternehmen nach Kontakten, die ihre Regierung mit den Generaldirektionen I und III der Kommission unterhalten habe, von dieser dazu ermutigt worden seien, an den in den Sitzungen der Gruppe Eurofer/Skandinavien verabredeten Vereinbarungen oder Praktiken teilzunehmen.

44 Schließlich sind die anläßlich dieser Anhörung erteilten Auskünfte im wesentlichen dieselben, die sich schon in dem Schreiben des Anwalts der SSAB Svenskt Staal AB vom 28. Juli 1992 an die Kommission zur Beantwortung der Mitteilung der Beschwerdepunkte finden, und auf dieses bezieht sich der jetzige Antrag dieses Unternehmens auf vertrauliche Behandlung nicht.

45 Nach alledem ist es den Klägerinnen unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles zu gestatten, von den Unterlagen Kenntnis zu nehmen, deren vertrauliche Behandlung von dem Unternehmen SSAB Svenskt Staal AB beantragt worden ist.

46 Viertens handelt es sich bei den Unterlagen Nrn. 8027 und 8028, auf die sich der Antrag des Unternehmens Stefana bezieht, um einen Standardfragebogen der Kommission, der keine das Empfängerunternehmen betreffende Zahlenangabe enthält. Dagegen enthält auch die Unterlage Nr. 8028, obwohl sie nicht so detailliert ist wie die von der Klägerin British Steel stammende Unterlage Nr. 8787 (vgl. oben, Randnrn. 20 und 30) bestimmte Daten über den von dem betreffenden Unternehmen 1993 erzielten Umsatz. Die Bekanntgabe einer derart neuen Unterlage, die von einem dritten Unternehmen stammt, das nicht am vorliegenden Verfahren beteiligt ist und ihre vertrauliche Behandlung ausdrücklich verlangt hat, an die Klägerinnen ist nicht zu gestatten, zumal sie auf den ersten Blick als für die Prüfung ihrer Klagen nicht erheblich erscheint.

Zum Recht der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als interne Unterlagen eingestuften Aktenstücke

Standpunkt der Parteien

47 In ihrem Antwortschreiben auf das Schreiben des Kanzlers vom 30. März 1995 an das Gericht vom 27./29. Juni 1995 hat die Beklagte daran festgehalten, daß sie der Bekanntgabe ihrer internen Unterlagen an die Klägerinnen grundsätzlich widerspricht. Die Kommission sehe sich in Anbetracht der bisherigen Rechtsprechung und ihrer Verwaltungspraxis nicht in der Lage, die Vertraulichkeit bezueglich dieser Unterlagen aufzuheben.

48 Die Beklagte hat auch Widerspruch dagegen eingelegt, den Klägerinnen Unterlagen bekanntzugeben, die sie in ihren Verwaltungsakten als vertraulich eingestuft hat und die von bestimmten nationalen, mit Wettbewerbssachen befassten Verwaltungen oder Behörden wie insbesondere dem Bundeskartellamt, dem Office of Fair Trading, dem Prisdirektoratet, dem US Department of Commerce, der Direction générale de la concurrence, de la consommation et de la répression des fraudes sowie dem ständigen Vertreter des Großherzogtums Luxemburg bei den Europäischen Gemeinschaften stammen oder an diese gerichtet sind. Die Kommission hat zu diesen Behörden ° anders als zu den nicht an dem vorliegenden Verfahren beteiligten Drittunternehmen ° keinen Kontakt aufgenommen; sie ist der Auffassung, daß der Schriftverkehr mit diesen Behörden als vertraulich zu betrachten sei, und zwar aus ähnlichen Gründen wie denen, die ihrer Ansicht nach die vertrauliche Behandlung interner Unterlagen der Organe rechtfertigen.

49 Die meisten Klägerinnen beanstanden die ihrer Ansicht nach zu kurze und unzureichende Beschreibung des Inhalts der verschiedenen Schriftstücke ihrer internen Akten durch die Kommission. Sie sind der Auffassung, daß diese Beschreibung weder der in dem Schreiben der Kanzlei vom 30. März 1995 enthaltenen Aufforderung noch den Anforderungen an die Genauigkeit genüge, die das Gericht in seinen Urteilen vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91 (Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1775, Randnr. 94) und T-36/91 (ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847) aufgestellt habe, und es ihnen nicht ermögliche, von Fall zu Fall zu beurteilen, ob ein Antrag auf Einsicht in diese Unterlagen zur Sicherstellung ihrer Verteidigung sachdienlich sei.

50 Die meisten Klägerinnen halten daher ihren Antrag auf Einsicht in die gesamten internen Akten der Komission im wesentlichen aufrecht, den sie nach Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes in Verbindung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht für begründet halten. Die Klägerinnen bzw. einige von ihnen tragen dazu sechs Hauptargumente vor.

51 Erstens stützen sich die Klägerinnen auf den Wortlaut des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes und verweisen darauf, daß es weder im Protokoll über die EWG-Satzung des Gerichtshofes noch im Protokoll über die EAG-Satzung des Gerichtshofes eine entsprechende Vorschrift gebe. Sein Wortlaut sei unzweideutig und sehe ° anders als Artikel 47 EGKS-Vertrag für Unterlagen, die unter das Berufsgeheimnis fallende Auskünfte enthielten ° keine Ausnahme für interne Unterlagen des betreffenden Organs vor. Die Auffassung der Klägerinnen entspreche im übrigen dem Urteil des Gerichtshofes Italien/Hohe Behörde, a. a. O.

52 Zweitens stützen sich die Klägerinnen auf den Grundsatz der "Verwaltungstransparenz", der den gesamten EGKS-Vertrag und insbesondere die darin vorgesehenen Verfahren der gerichtlichen Kontrolle kennzeichne. Die Klägerin Unimétal beruft sich dabei auf Paul Reuter, La Communauté européenne charbon acier (Paris, LGJD, 1953, S. 76 und 77). Anders als andere Parteien oder die Mitgliedstaaten könnten sich die Organe der Gemeinschaft nicht hinter einem Grundsatz des Verwaltungsgeheimnisses verschanzen, den es auf diesem Gebiet nicht gebe. In diesem Sinne habe der EGKS-Vertrag besondere Neuerungen gebracht und stehe den fortschrittlichsten Rechten der Mitgliedstaaten nicht nach.

53 Drittens leiten einige Klägerinnen ein Recht auf Einsicht in die internen Akten des betroffenen Organs gemäß Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes daraus her, daß die EGKS-Satzung das gerichtliche Verfahren vor dem Gerichtshof und nicht das Verwaltungsverfahren vor der Kommission betreffe. Obwohl es ihrer Ansicht nach ein recht offensichtliches Interesse an der Wahrung der Vertraulichkeit der Unterlagen und des zum Erlaß einer Entscheidung führenden Verfahrens geben könnte, insbesondere aus Gründen einer leistungsfähigen Verwaltung (vgl. Lenz/Grill, Zum Recht auf Akteneinsicht im EG-Kartellverfahrensrecht, Festschrift für Arved Deringer, 1993, S. 310, 318), sei die Lage nach Erlaß dieser Entscheidung im Stadium der Überprüfung ihrer Rechtmässigkeit durch den Gerichtshof anders. In diesem Stadium entspräche ein Grundsatz der Vertraulichkeit interner Unterlagen der Kommission keinem berechtigten Interesse gegenüber den am Verfahren beteiligten Unternehmen mehr. Im Gegenteil sei es für eine geordnete Rechtspflege und den Schutz der Grundrechte der Parteien erforderlich, daß der Gerichtshof über sämtliche Tatsachen und im Besitz des Organs befindliche Unterlagen der Rechtssache informiert und in der Lage sei, alle von den Parteien in bezug auf den Erlaß der Entscheidung oder ihre Begründung aufgeworfenen Fragen zu prüfen. Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes diene diesem Ziel.

54 In diesem Zusammenhang wird geltend gemacht, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts auf dem Gebiet des EG-Vertrags zu Beschränkungen der Einsicht in die internen Akten der Kommission im wesentlichen das Stadium vor dem Erlaß einer Entscheidung aufgrund von Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, 13, S. 204) betreffe und sich hauptsächlich auf die Beschreibung der Verwaltungspraxis der Kommission in § 35 des Zwölften Berichts über die Wettbewerbspolitik stütze (vgl. das Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules/Kommission, Slg. 1991, II-1711). Im Stadium des gerichtlichen Verfahrens gelte dagegen die allgemeine Regel, daß alle ° internen oder anderen ° Unterlagen dem Gerichtshof und den Klägerinnen zu übermitteln seien, wenn sie für die Lösung der streitigen Fragen von Bedeutung seien.

55 Viertens tragen einige Klägerinnen ergänzend vor, daß der Gerichtshof, wenn er wie im vorliegenden Fall über eine Klage im Verfahren mit unbeschränkter Ermessensnachprüfung gemäß Artikel 36 Absatz 2 EGKS-Vertrag zu entscheiden habe, seine Kontrolle auf alle Aspekte der Ermessensausübung durch das betreffende Organ und insbesondere auf die Zweckmässigkeit und Billigkeit der getroffenen Entscheidung erstrecken müsse (Gröben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Anm. 10 zu Artikel 172). Die für diese Nachprüfung erforderlichen Anhaltspunkte fänden sich aber hauptsächlich in den internen Unterlagen des Organs; es bestehe insoweit kein Bedürfnis, ihre angebliche Vertraulichkeit zu schützen. Solange die Verwaltung ausschließlich rechtsstaatliche Verfahrensweisen und sachliche Erwägungen anwende, brauche sie die Kenntnis der Beteiligten nicht zu fürchten. Soweit sie von diesen Grundsätzen abweichen sollte, liege die Aufdeckung derartiger Sachverhalte im allgemeinen Interesse; die Behörde verdiene insoweit keinen Schutz.

56 Zudem sei der im Bereich des EG-Vertrags ergangene Beschluß des Gerichtshofes vom 18. Juni 1986 in den verbundenen Rechtssachen 142/84 und 156/84 (BAT und Reynolds/Kommission, Slg. 1986, 1899, Randnr. 11), der eine Prüfung der internen Unterlagen der Kommission durch den Gerichtshof im Rahmen der Beweiserhebung nur ausnahmsweise erlaube, in einem Fall wie dem vorliegenden nicht anwendbar, da der Gerichtshof nicht über eine Klage im Verfahren mit unbeschränkter Nachprüfung entschieden habe und da, wie der Gerichtshof selbst festgestellt habe, keine der Klägerinnen einen Ermessensmißbrauch geltend gemacht habe.

57 Fünftens sehen einige Klägerinnen Artikel 23 als Ausfluß der Struktur und der Funktionsweise des EGKS-Vertrags. Die Kommission übe im Rahmen dieses Vertrages die Rolle eines mit weitreichenden wirtschaftlichen Eingriffsbefugnissen ausgestatteten politischen Verwalters aus, die sich von ihrer Rolle im Rahmen des EG-Vertrags stark unterscheide. Diese Funktionen und Befugnisse bei der Verwaltung des Kohle- und Stahlsektors, die ihren Ausdruck vor allem in der Durchführung der Artikel 5, 46, 47, 48, 57, 60 und 65 EGKS-Vertrag fänden, machten eine weitreichende richterliche Kontrolle der Tätigkeiten der Kommission erforderlich.

58 Schließlich berufen sich die Klägerinnen in Verbindung mit den vorstehenden Argumenten auf die Wahrung der Verfahrensrechte, auf den Grundsatz der Waffengleichheit und den Anspruch auf rechtliches Gehör. Hieraus ergebe sich, daß allen Parteien der gleiche Zugang zu den Akten der Gemeinschaftsgerichte einzuräumen sei, damit sie ihr Vorbringen auf eben die Informationen und Unterlagen, die dem beklagten Organ und dem Gerichtshof selbst zugänglich seien, stützen und damit das Vorbringen der gegnerischen Partei widerlegen könnten. Die Klägerinnen stützen sich vor allem auf die Urteile des Gerichtshofes Italien/Hohe Behörde, a. a. O., vom 22. März 1961 in den verbundenen Rechtssachen 42/59 und 49/59 (Snupat/Hohe Behörde, Slg. 1961, 109, 114) und vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76 (Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 9) sowie auf die Urteile Solvay/Kommission und ICI/Kommission, a. a. O.

59 Für den Fall, daß das Gericht trotz des Wortlauts des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes zu der Auffassung gelangen sollte, daß die Übermittlung interner Unterlagen der Kommission wegen ihrer Vertraulichkeit grundsätzlich bestimmten Beschränkungen unterliege, führen die meisten Klägerinnen hilfsweise aus, es sei dann Sache der Kommission, in jedem Einzelfall zu begründen, warum das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit der fraglichen Unterlagen dem Interesse der Klägerinnen und des Gerichts an einer geordneten Rechtspflege vorgehe. In diesem Zusammenhang gehen einige Klägerinnen hilfsweise auf drei wichtige Einschränkungen des Grundsatzes des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes ein.

60 Zunächst könne der Schutz der Vertraulichkeit bestimmter Unterlagen dem Zweck dienen, für einen geordneten und ordnungsgemässen Ablauf des Verwaltungsverfahrens zu sorgen. Da dieser Zweck nach Abschluß dieses Verfahrens nur noch in geringem Masse beeinträchtigt werden könne, sei den Verfahrensgrundrechten bei der Interessenabwägung der Vorrang einzuräumen. In diesem Zusammenhang gestehen einige Klägerinnen zu, daß man die Namen der Verfasser interner Vermerke oder Stellungnahmen sowie die Namen darin erwähnter Personen streichen könne. Diese Einschränkung habe der Gerichtshof ausnahmsweise in der Rechtssache Italien/Hohe Behörde, a. a. O., vorgenommen. Eine solche Lösung verhindere die Personalisierung der Erörterungen, ohne die Rechte der Parteien wirklich zu berühren, da es dabei nicht um das Verhalten bestimmter Einzelpersonen, sondern um das Verhalten des Organs gehe. Auf sie dürfe allerdings nur unter wirklich aussergewöhnlichen Umständen zurückgegriffen werden, wie der Gerichtshof im Urteil Italien/Hohe Behörde, a. a. O., ausgeführt habe.

61 Eine zweite Einschränkung des Grundsatzes des Artikels 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes könne sich aus einer indirekten Anwendung des Artikels 47 EGKS-Vertrag ergeben. So machen einige Klägerinnen geltend, wenn eine von einem Dritten erteilte Auskunft als unter den Grundsatz der Vertraulichkeit nach Artikel 47 fallend anzusehen sei, dann wäre es sinnwidrig, ihre Übermittlung an die Klägerinnen nur deshalb zu erlauben, weil sie Eingang in eine interne Unterlage der Kommission gefunden habe.

62 Schließlich könne eine dritte Einschränkung nach Ansicht einiger Klägerinnen darin bestehen, daß offensichtlich unerhebliche interne Unterlagen nicht übermittelt würden. So habe der Gerichtshof in seinem Beschluß vom 10. März 1966 in der Rechtssache 28/65 (Fonzi/Kommission der EAG, Slg. 1966, 759), der allerdings mit dem EGKS-Vertrag nichts zu tun gehabt habe, beschlossen, eine Unterlage mit der Begründung aus den Akten zu entfernen, daß ihre Belassung in den Akten das Beratungsgeheimnis der EAG-Kommission verletzen könnte, weil diese Unterlage offenbar eine Angelegenheit betroffen habe, die mit dem ihm vorliegenden Rechtsstreit "nichts zu tun hat" (vgl. auch den Beschluß des Gerichtshofes vom 6. Juli 1989 in der Rechtssache 352/88, Kommission/Irland, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht). Die Klägerinnen, die diese Einschränkung anerkennen, tragen jedoch vor, das Gericht dürfe nur diejenigen Schriftstücke aus den Akten entfernen, die dem ersten Anschein nach für die Entscheidung in der ihm vorliegenden Rechtssache offenbar keine Bedeutung hätten.

63 Ebenfalls hilfsweise haben neun der elf Klägerinnen ihrer Antwort auf die Fragen des Gerichts eine Liste der internen Unterlagen der Kommission beigefügt, denen ihrer Ansicht nach besondere Bedeutung zukommt und deren Übermittlung sie beantragen, wobei sie sich nicht nur auf Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes stützen, sondern auch auf die Rechtsprechung des Gerichts im Rahmen des EG-Vertrags und insbesondere auf die Urteile Solvay/Kommission und ICI/Kommission, a. a. O. Die meisten von ihnen haben ihren Antrag auf Übermittlung dieser Unterlagen entweder ausdrücklich mit dem Hinweis auf die verschiedenen Nichtigkeitsgründe, auf die sie ihre Klage stützen, oder mit bestimmten Erwägungen begründet, die sich aus der Auflistung der Schriftstücke der internen Akten der Kommission ergäben. Diese Anträge beziehen sich im wesentlichen auf Unterlagen, die folgende Punkte betreffen:

° die Beziehungen zwischen der Kommission und den nationalen Behörden oder den skandinavischen Trägerherstellern, die Aufschluß über die Gründe geben könnten, aus denen letztere den erheblichen Sanktionen entgangen seien, die den Klägerinnen auferlegt worden seien, obwohl die Entscheidung ihre Teilnahme an mindestens einem der behaupteten Verstösse einräume; in diesem Zusammenhang haben einige Klägerinnen auf Erklärungen verwiesen, die einige skandinavische Unternehmen vor dem Anhörungsbeauftragten abgegeben hätten; demnach seien sie von ihrer Regierung sowie von der Generaldirektion I der Kommission zur Teilnahme an den Sitzungen der Eurofer/Skandinavien-Gruppe ermutigt worden;

° die mögliche Teilnahme einiger Beamte der Generaldirektion III bzw. anderer Generaldirektionen der Kommission an der Ein- und Durchführung von Absprachen, die in der Entscheidung als wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen oder Praktiken gewertet worden seien, und die vom Anhörungsbeauftragten nach der Verwaltungsanhörung vom 11., 12., 13. und 14. Januar 1993 durchgeführte Untersuchung dieser Angelegenheit;

° die Umstände, unter denen die gegen die Klägerinnen verhängten Geldbussen der Höhe nach festgesetzt worden seien, sowie die Art und Weise der Berechnung dieser Geldbussen, insbesondere in Verbindung mit den Nichtigkeitsgründen des Verstosses gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismässigkeit;

° die Phase des endgültigen Erlasses der Entscheidung in ihren verschiedenen Sprachfassungen durch die Beklagte und die dabei möglicherweise begangene Verletzung wesentlicher Formvorschriften; die Klägerinnen tragen vor, sie hätten im Inhaltsverzeichnis der internen Akten der Beklagten bestimmte Indizien für eine solche Verletzung gefunden.

64 Abgesehen von diesen Haupt- und Hilfsanträgen rügen mehrere Klägerinnen, daß die Beklagte dem Gericht unter Verstoß gegen ihre Verpflichtung aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes nicht sämtliche Vorgänge zu den vorliegenden Rechtssachen übersandt habe. Sie beantragen beim Gericht, die Beibringung der fehlenden Unterlagen anzuordnen und ihre Übermittlung an die Parteien zu genehmigen.

65 So führen einige Klägerinnen aus, daß in den dem Gericht übersandten Akten einige interne Aufzeichnungen oder Vermerke fehlten, die zwischen der Generaldirektion III und der Generaldirektion IV ausgetauscht worden seien, die jedoch den von der Kommission in den vorliegenden Rechtssachen eingereichten Klagebeantwortungen beigefügt seien. Die Klägerinnen sind allgemeiner der Auffassung, daß die Beklagte dem Gericht die die vorliegenden Rechtssachen betreffenden Verwaltungsakten nicht nur der Generaldirektion IV, sondern auch der Generaldirektion III hätte übersenden müssen, insbesondere die internen Berichte und Vermerke, die die Beamten der Generaldirektion III über ihre Kontakte zu den Trägerherstellern und die Politik der Kommission auf diesem Gebiet in dem Zeitraum, auf den sich die Entscheidung beziehe, angefertigt hätten.

66 Andere Klägerinnen machen geltend, daß die dem Gericht übersandten Akten anscheinend weder das Protokoll der Sitzung des Kollegiums der Kommission vom 16. Februar 1994 enthalte, in der es um den Erlaß der angefochtenen Entscheidung gegangen sei, noch die ordnungsgemäß datierte und ausgefertigte endgültige Fassung dieser Entscheidung in allen verbindlichen Sprachfassungen.

Würdigung durch das Gericht

67 Wird die Entscheidung eines Organs der Gemeinschaft mit einer Klage angefochten, so hat dieses Organ dem Gerichtshof gemäß Artikel 23 seiner EGKS-Satzung alle Vorgänge zu der bei dem Gerichtshof anhängig gemachten Streitsache zu übersenden.

68 Diese Vorschrift, für die es weder im Protokoll über die EWG-Satzung des Gerichtshofes noch im Protokoll über die EAG-Satzung des Gerichtshofes eine Entsprechung gibt, ist eine Verfahrensvorschrift, die immer dann anwendbar ist, wenn bei einem Gemeinschaftsgericht ein Verfahren gegen eine Entscheidung eines EGKS-Organs anhängig ist.

69 Wie sich aus dem Urteil Italien/Hohe Behörde (a. a. O., S. 112 und 113) ergibt, hat das betroffene Organ seine Pflichten aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes auch ohne einen entsprechenden Beweisbeschluß des Gerichtshofes zu erfuellen; diese Pflichten erstrecken sich in der Regel auf alle einschlägigen Verwaltungsakten, ohne daß in diesem Stadium eine grundsätzliche Ausnahme für interne Unterlagen vorzusehen wäre. Bereits die Garantie des Rechtsschutzes gegen Handlungen der Verwaltung verbietet es in einer Rechtsgemeinschaft, einen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsgeheimnisses gegenüber dem Gerichtshof anzuwenden.

70 Dabei müssen die dem Gerichtshof oder dem Gericht gemäß Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes übersandten Akten grundsätzlich allen Prozessparteien zugänglich gemacht werden. Es wäre nämlich ein Verstoß gegen einen grundlegenden Rechtsgrundsatz, wenn eine gerichtliche Entscheidung aufgrund von Tatsachen und Unterlagen erginge, von denen die Parteien oder eine von ihnen nicht Kenntnis nehmen und zu denen sie sich daher nicht äussern konnten (Urteil Snupat/Hohe Behörde, a. a. O., S. 105).

71 Die Beklagte kann daher in diesem Stadium der Bekanntgabe ihrer internen Unterlagen an die Klägerinnen nicht ohne jede weitere Begründung nur unter Berufung auf ihre Verwaltungspraxis und auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Prüfung der internen Unterlagen der Kommission im Rahmen der Prüfung der Rechtmässigkeit eines Verfahrens zur Anwendung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags (vgl. den Beschluß BAT und Reynolds/Kommission, a. a. O., Randnr. 11) widersprechen.

72 Wie der Gerichtshof jedoch in seinem Beschluß vom 6. November 1954 in der Rechtssache 2/54 (Italien/Hohe Behörde, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) entschieden hat, "können die Vorschriften des Vertrages nur so ausgelegt werden, daß das ordnungsgemässe Funktionieren der Organe der Gemeinschaft möglichst gefördert wird". Diese Erwägung, die nach Auffassung des Gerichtshofes auch für Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes gilt, rechtfertigt es insbesondere, einem Antrag auf Übersendung interner Unterlagen zu einer Rechtssache nicht stattzugeben, wenn die schon vorgelegten Unterlagen zur Unterrichtung des Gerichtshofes genügen (vgl. neben dem Urteil Italien/Hohe Behörde, a. a. O., die Urteile des Gerichtshofes vom 11. Februar 1955 in der Rechtssache 3/54, Assider/Hohe Behörde, Slg. 1955, 133, und in der Rechtssache 4/54, ISA/Hohe Behörde, Slg. 1955, 191).

73 Ebenso lässt sich nicht von vorneherein ausschließen, daß eine unbedachte Bekanntgabe bestimmter Unterlagen, die wegen ihrer Natur oder ihres Inhalts besonderen Schutz verdienen, das ordnungsgemässe Funktionieren der Organe in einer für die Verwirklichung der Ziele des EGKS-Vertrags nachteiligen Weise beeinträchtigt. So war der Gerichtshof etwa im Urteil Italien/Hohe Behörde, a. a. O., darauf bedacht, den Schutz des Beratungsgeheimnisses der Hohen Behörde und des Beratenden Ausschusses zu gewährleisten, und hat im Rahmen des EG-Vertrags im Urteil vom 7. November 1985 in der Rechtssache 145/83 (Adams/Kommission, Slg. 1985, 3539) eine Pflicht des betroffenen Organs zur Geheimhaltung der Identität eines Informanten angenommen, der um die Wahrung seiner Anonymität gebeten hatte.

74 Bei der Prüfung, ob es sich so verhält, hat das Gericht unter Beachtung der Verfahrensrechte und des rechtlichen Gehörs den Grundsatz der Wirksamkeit des Verwaltungshandelns und die Garantie des Rechtsschutzes gegen Handlungen der Verwaltung gegeneinander abzuwägen.

75 Beim derzeitigen Stand der vorliegenden Verfahren sieht sich das Gericht nicht hinreichend unterrichtet, um diese Abwägung vorzunehmen. Zwar haben die Klägerinnen klar dargelegt, aus welchen Gründen sie ihre Anträge auf Einsicht in die internen Akten der Kommission und namentlich in die Unterlagen, auf die sich ihre Hilfsanträge beziehen (vgl. oben, Randnrn. 51 bis 63), insbesondere in Anbetracht ihrer Klagegründe für erheblich halten. Die Beklagte hat jedoch nicht näher dargelegt, aus welchen Gründen es im vorliegenden Fall geboten sein sollte, sie ausnahmsweise von ihren Pflichten aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes zu entbinden.

76 Die Beklagte ist daher aufzufordern, innerhalb einer ihr zu setzenden Frist die von ihr als intern eingestuften Unterlagen in den dem Gericht übersandten Akten im einzelnen anzugeben, von denen sie glaubt, daß sie den Klägerinnen wegen ihrer besonderen Natur oder ihres besonderen Inhalts nicht übermittelt werden können, und zu jeder einzelnen Unterlage ausführlich und konkret darzulegen, aus welchen Gründen dieses Vorgehen ihrer Ansicht nach ausnahmsweise gerechtfertigt ist, sowie gegebenenfalls eine nicht vertrauliche Fassung dieser Unterlagen einzureichen. Da die Beklagte vorgetragen hat, der Schriftverkehr mit den nationalen Behörden müsse ebenso behandelt werden wie ihre internen Unterlagen (vgl. oben, Randnr. 48), hat sie weiter zu begründen, aus welchen konkreten Gründen sie der Übermittlung dieses Schriftverkehrs an die Klägerinnen im vorliegenden Fall widerspricht.

77 Die Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als interne Unterlagen eingestuften Schriftstücke in den dem Gericht übermittelten Akten sowie über ihre Anträge auf Beibringung von Unterlagen, die nicht in diesen Akten enthalten sind, bleibt bis dahin vorbehalten. Das Gericht wird später gegebenenfalls auch darüber entscheiden, ob es zweckmässig ist, in diesem Zusammenhang eine Beweisaufnahme oder prozeßleitende Maßnahmen gemäß den Artikeln 64 und 65 der Verfahrensordnung anzuordnen.

78 Da die Kommission die dem Gericht übersandten Akten im Hinblick auf eine Einsichtnahme der Parteien gemäß Punkt 1 a. E. des Schreibens des Kanzlers an die Parteien vom 30. März 1995 erst nach einer Entscheidung über alle noch ausstehenden Fragen neu ordnen kann, ist im Interesse eines geordneten Verfahrensablaufs weiter vorzusehen, daß der Kanzler den Klägern zu gegebener Zeit mitteilt, in welcher Form sie diese Akten einsehen können.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

beschlossen:

1. Die Unterlagen Nrn. 1922 bis 1936, 1940 bis 1960, 1990 bis 1992, 2179, 2180 und 8787 der dem Gericht mit Schreiben der Beklagten vom 24. November 1994 übersandten Akten sind in ihrer vollständigen Fassung nur der Klägerin in der Rechtssache T-151/94 und der Kommission zugänglich. Gegenüber den anderen Klägerinnen in den vorliegenden Rechtssachen werden sie durch die dem Gericht mit Schreiben der Klägerin in der Rechtssache T-151/94 vom 31. Mai 1995 und vom 15. September 1995 übermittelte, nicht vertrauliche Fassung ersetzt.

2. Die von dem Unternehmen Stefana stammende Unterlage Nr. 8028 der dem Gericht übersandten Akten wird aus den Akten entfernt.

3. Die Beklagte gibt innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses ausführlich und konkret an, aus welchen Gründen bestimmte, von ihr als "intern" eingestufte Unterlagen in den Akten, die sie dem Gericht übersandt hat, ihrer Ansicht nach den Klägerinnen nicht übermittelt werden können. Sie übermittelt dem Gericht gegebenenfalls innerhalb derselben Frist eine nicht vertrauliche Fassung dieser Unterlagen.

4. Die Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Beklagten als interne Unterlagen eingestuften Schriftstücke in den dem Gericht übersandten Akten sowie über ihre Anträge auf Beibringung der in diesen Akten nicht enthaltenen Unterlagen bleibt vorbehalten.

5. Der Kanzler teilt den Parteien zu gegebener Zeit mit, in welcher Form sie die dem Gericht übersandten Akten einsehen können.

6. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 19. Juni 1996

Ende der Entscheidung

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