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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 17.09.1992
Aktenzeichen: T-138/89
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Klage gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag ist nur gegen eine beschwerende Maßnahme ° eine Maßnahme, die eine bestimmte Rechtslage beeinträchtigen kann ° gegeben.

Nur der Tenor einer derartigen Maßnahme kann Rechtswirkungen erzeugen und damit eine Beschwer darstellen. Dagegen können die in ihren Gründen vorgenommenen Würdigungen als solche nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein und unterliegen der Überprüfung durch den Gemeinschaftsrichter nur, soweit sie den tragenden Grund des Tenors darstellen.

2. Ein Negativattest, das gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 auf Antrag der beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen erteilt wurde und in dem die Kommission feststellt, daß für sie aufgrund des ihr bekannten Sachverhalts kein Grund bestehe, gemäß den Artikeln 85 oder 86 EWG-Vertrag einzuschreiten, entspricht dem Antrag und kann seiner Natur nach weder die Rechtsstellung des Antragstellers ändern noch eine Beschwer für ihn darstellen. Dagegen kann ein Negativattest die wirtschaftlichen Interessen eines Dritten beeinträchtigen, der, wenn er ein hinreichendes und berechtigtes Interesse nachweist, dagegen unter den Voraussetzungen des Artikels 173 EWG-Vertrag beim Gericht Nichtigkeitsklage erheben kann.

3. Ein Kläger, der ein Interesse betreffend eine zukünftige Rechtssituation geltend machen, aber nicht nachweisen kann, daß die Beeinträchtigung dieser Rechtssituation bereits feststeht, oder der auf eine etwaige Änderung der Sachlage Bezug nimmt, obwohl ihm diese gegebenenfalls nicht die Möglichkeit nehmen würde, seine Rechte geltend zu machen, hat ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse ° wie es Voraussetzung für die Zulässigkeit seiner Nichtigkeitsklage ist ° nicht nachgewiesen.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ZWEITE KAMMER) VOM 17. SEPTEMBER 1992. - NEDERLANDSE BANKIERSVERENIGING UND NEDERLANDSE VERENIGING VAN BANKEN GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - NEGATIVATTEST - VOM BEGUENSTIGTEN NICHT ANFECHTBARER RECHTSAKT. - RECHTSSACHE T-138/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um eine Entscheidung der Kommission, mit der diese den betroffenen Bankenvereinigungen u. a. ein Negativattest erteilte. Sie entschied dabei im Tenor, daß für sie kein Anlaß bestehe, gemäß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag gegen die Vereinbarung der Banken über die "actie-accept"-Überweisungen einzuschreiten, stellt aber zugleich in den Gründen fest, daß diese Vereinbarung den Wettbewerb spürbar einschränke.

2 Die Klägerin zu 1, die Nederlandse Bankiersvereniging (NBV), wurde 1949 mit dem Ziel gegründet, die Interessen der Banken in den Niederlanden im weitesten Sinne zu fördern. Mitglieder können alle Personen, Gesellschaften und Einrichtungen sein, die im amtlichen Register der Kreditinstitute eingetragen sind.

3 Namentlich die in der Rabobank organisierten genossenschaftlichen Banken, die in dem Nederlandse Spaarbankbond zusammengeschlossenen Banken und die Postbank NV erbringen zwar Dienstleistungen, die mit denen der Universalbanken vergleichbar sind, sind aber nicht Mitglieder der Klägerin zu 1. Die meisten Mitglieder der Klägerin zu 1 sind auch der Vereniging van Deviezenbanken (VDB) angeschlossen, deren Ziel es ist, eine optimale Abwicklung des Zahlungsverkehrs zwischen in den Niederlanden ansässigen und nicht ansässigen Personen zu fördern. Im entscheidungserheblichen Zeitraum war das College van Overleg der Gezamenlijke Banken (CVO) das zentrale Abstimmungsgremium für Angelegenheiten, die die Klägerin zu 1, die Rabobank, die dem Nederlandse Spaarbankbond angeschlossenen Banken und die Postbank gemeinsam betreffen.

4 Die Klägerin zu 2, die Nederlandse Vereniging van Banken (NVB), wurde am 8. Mai 1989 gegründet, und nahm ihre Geschäftstätigkeit am 1. Juni 1989 auf. Ihr Ziel ist die Förderung der nationalen wie der internationalen Interessen der unter die "Wet tözicht Kredietwezen" (Gesetz über die Bankenaufsicht) fallenden Kreditinstitute und des niederländischen Banksektors im allgemeinen. Mehrere Institute des Banksektors, darunter die der Klägerin zu 1 angeschlossenen Universalbanken, sind in dieser Vereinigung zusammengeschlossen. Die Klägerin zu 2 hat die zuvor vom CVO wahrgenommenen Aufgaben und praktisch die Geschäftstätigkeiten der Klägerin zu 1 und der VDB übernommen.

5 Am 19. März 1985 sowie am 22. Oktober und 27. November 1986 meldete die Klägerin zu 1 Geschäftsbedingungen, Beschlüsse und Rundschreiben (nachstehend: Regelungen), die von ihr selbst und bestimmten anderen im Finanzbereich tätigen niederländischen Organisationen erlassen wurden, sowie eine Reihe von Vereinbarungen bei der Kommission an, an denen sie oder eine dieser Organisationen direkt oder indirekt beteiligt waren. Zugleich beantragte sie die Erteilung eines Negativattests gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, S. 204). Für den Fall, daß ein Negativattest nicht erteilt würde, beantragte sie die Gewährung einer Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag.

6 Am 5. Februar 1987 übermittelte die Kommission der Klägerin zu 1 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die sich auf einen Teil der angemeldeten Regelungen bezog.

7 Nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte und nach Gesprächen mit der Kommission setzten die beteiligten Parteien viele der unter die Mitteilung der Beschwerdepunkte fallenden Regelungen ausser Kraft oder änderten sie. Mit Schreiben vom 6. Mai 1987 teilte die Klägerin zu 1 dies der Kommission förmlich mit.

8 Nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte schlossen die Klägerin zu 1, die Rabobank, der Nederlandse Spaarbankbond und die Postbank in zwei Abschnitten eine aus zwei Teilen bestehende Vereinbarung betreffend die Überweisung mittels "actie-accept"-Formularen (nachstehend: Vereinbarung). Die Vereinbarung regelt u. a., daß die die Überweisung für ihren Kunden (Begünstigten) einziehende Bank diesem für die Bearbeitung durch die Schuldnerbank (Bank, die von ihrem Kunden den Überweisungsauftrag erhält) 1,40 HFL in Rechnung stellt.

9 Die Klägerin zu 1 meldete am 18. September bzw. am 4. Dezember 1987 bei der Kommission den ersten Teil der Vereinbarung zur Regelung der technischen Zusammenarbeit und den zweiten Teil über die gegenseitige Vergütung der Bearbeitungskosten an. Die Klägerin zu 1 beantragte wie bei den anderen Anmeldungen die Erteilung eines Negativattest oder aber einer Freistellung durch die Kommission.

10 Gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 fand am 25. November 1987 die Anhörung zu den von der Kommission im Hinblick auf die 1985 und 1986 angemeldeten Regelungen in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten statt.

11 Mit Schreiben vom 2. Februar 1988 übermittelten die Parteien der Vereinbarung der Kommission ein Schreiben an die betroffenen Banken, nach dem die Gebühr im Bankverkehr in Höhe von 1,10 HFL beibehalten wurde, es den Inkassobanken aber künftig freigestellt wurde, diese Gebühr auf den Kunden abzuwälzen. Nach von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben beträgt die Bearbeitungsgebühr der Banken gegenwärtig 0,55 HFL.

12 Am 5. November 1988 wurde die Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17, die eine Reihe von der Klägerin zu 1 angemeldeter Regelungen, darunter der streitigen Vereinbarung betrifft, im Amtsblatt (C 282, S. 4) veröffentlicht. Die Kommission brachte darin ihre Absicht zum Ausdruck, eine günstige Entscheidung bezueglich der Vereinbarung zu treffen, und forderte betroffene Dritte auf, ihr etwaige Bemerkungen mitzuteilen.

13 Die Kommission erließ nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen am 19. Juli 1989 die im Amtsblatt (L 253, S. 1) veröffentlichte Entscheidung 89/512/EWG (nachstehend: Entscheidung). Mit dieser Entscheidung erteilte die Kommission für die Vereinbarung ein Negativattest mit der Begründung, diese sei zwar wettbewerbsbeschränkend, beeinträchtige aber den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht spürbar. Die Kommission entschied auch über die anderen Regelungen, für die sie ein Negativattest oder aber eine Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag erteilte.

14 Daraufhin haben die Klägerinnen zu 1 und 2 mit Schriftsatz, der am 2. Oktober 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben, soweit darin festgestellt wird, daß die Vereinbarung den Wettbewerb beschränke.

15 Der Gerichtshof hat die Rechtssache mit Beschluß vom 15. November 1989 gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an dieses verwiesen.

16 Das schriftliche Verfahren ist demgemäß ordnungsgemäß vor dem Gericht abgelaufen.

17 Das Gericht (Zweite Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

18 Die mündliche Verhandlung hat am 21. Januar 1992 stattgefunden. Die Parteien haben zur Sache verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

19 Die Klägerinnen beantragen,

° die ihnen am 28. Juli 1989 mitgeteilte Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als darin festgestellt wird, daß die Vereinbarung betreffend "actie-accept"-Überweisungen den Wettbewerb spürbar einschränkt, und entsprechende weitere Anordnungen oder Maßregeln zu treffen, die dem Gericht angemessen erscheinen;

° der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

20 Die Kommission beantragt,

° die Klage für unzulässig zu erklären;

° hilfsweise, die Klage abzuweisen;

° den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch aufzuerlegen.

Zulässigkeit

Die Entscheidung

21 Aus der Entscheidung ergibt sich, daß die Vereinbarung eine einheitliche Provision vorschreibt, die der Schuldnerbank von der einziehenden Bank für die Bearbeitung der sogenannten "actie-accept"-Überweisungen gutgeschrieben wird. Diese überwiegend freiwilligen Überweisungen dienen hauptsächlich karitativen Zwecken (Nr. 43). Die Kommission stellt zunächst fest, es handele sich bei den Parteien der Vereinbarung um Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag. Sie kommt dann zu dem Ergebnis, die Vereinbarung schränke den Wettbewerb spürbar ein. Die Vereinbarung schränke die Möglichkeiten der beteiligten Banken, die mehr als 90 % der Einlagen und der Bilanzsummen der in den Niederlanden tätigen Banken aufwiesen, ein, bilateral günstigere Kostenerstattungen zu vereinbaren und sie ihren Kunden zugute kommen zu lassen (Ziffern 56 und 57). Die Entscheidung kommt zu dem Ergebnis, die Vereinbarung beeinträchtige den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht spürbar, weil die betroffenen Dienstleistungen ausschließlich von in den Niederlanden niedergelassenen Banken erbracht werden könnten. Diese Dienstleistungen würden nur in unbedeutendem Masse durch Zweigstellen der Banken aus anderen Mitgliedstaaten verrichtet und die fraglichen Überweisungen hätten keine oder nur eine geringfügige Verbindung zu dem Handels- und übrigen Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Auch gehörten zu den Instituten, die letztlich die betreffenden Bankdienstleistungen in Anspruch nähmen, kaum Institute, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen seien (Ziffer 59). Abschließend wird in Artikel 1 des Tenors der Entscheidung festgestellt:

"Aufgrund des ihr bekannten Sachverhalts besteht für die Kommission kein Anlaß, gemäß Artikel 85 Absatz 1 gegen die nachstehenden, von der Nederlandse Bankiersvereniging angemeldeten Regelungen einzuschreiten:...

° Vereinbarung betreffend 'actie-accept' -Überweisungen."

Vorbringen der Parteien

22 Die Kommission macht in ihrer Klagebeantwortung die Unzulässigkeit der Klage geltend. Sie stützt sich hierfür auf zwei Gründe: a) Die angefochtene Handlung beschwere die Klägerinnen nicht, die kein Rechtschutzinteresse nachwiesen; b) die nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehörende Klägerin zu 2 sei durch diese nicht unmittelbar und individuell betroffen.

23 Bezueglich des ersten Grundes weist die Kommission erstens darauf hin, daß die Klage nicht den Tenor der Entscheidung, sondern einen Entscheidungsgrund betreffe, der als solcher keine Handlung im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag darstelle. Zwar stelle ein Negativattest eine Entscheidung im Sinne von Artikel 189 EWG-Vertrag dar, doch könne dieses niemals Gegenstand einer Nichtigkeitsklage des Begünstigten, sondern nur eines betroffenen Dritten sein.

24 Zweitens sei die Auffassung der Klägerinnen, die Entscheidung zerfalle in "Zwischenergebnisse", unzutreffend. Im Gemeinschaftsrecht müssten häufig eine Reihe von Voraussetzungen vorliegen, bevor ein Organ eine beschwerende Maßnahme erlasse. Letzlich komme es auf den Gegenstand der Entscheidung an. Könnte gegen das, was die Klägerinnen als Zwischenergebnisse bezeichneten, Klage erhoben werden, verlöre die Entscheidung ihren Gegenstand.

25 Drittens ändere sich durch die Erteilung des Negativattests die Rechtslage der Klägerinnen nicht. Im Gegensatz zur Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag binde diese das nationale Gericht nicht. Komme im vorliegenden Fall ein nationales Gericht zu dem Ergebnis, die Vereinbarung sei mit Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag unvereinbar und spreche demgemäß ihre Nichtigkeit nach Artikel 85 Absatz 2 aus, so sei diese Sanktion nicht Folge der Entscheidung der Kommission, sondern der Feststellungen des nationalen Gerichts. Das Negativattest könne folglich den Klägerinnen gegenüber keine zwingende Rechtswirkung entfalten.

26 Abschließend macht die Kommission viertens geltend, die Klägerinnen hätten, wie von ihnen beantragt, ein Negativattest erhalten. Aus welchen Gründen ihnen dieses Attest erteilt worden sei, habe keine Auswirkung auf ihre Rechtslage. Wesentlich sei allein die Tatsache, daß sie es erhalten hätten; sie hätten folglich kein Rechtsschutzinteresse.

27 Gegenüber der Argumentation der Kommission machen die Klägerinnen erstens geltend, das Negativattest stelle seiner Form nach eine im Rahmen von Artikel 85 ergehende Entscheidung im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag dar. Dies ergebe sich unmittelbar aus der Verordnung Nr. 17, in deren Artikel 19 von einer "Entscheidung" aufgrund des Artikels 2 dieser Verordnung die Rede sei. Jedenfalls stelle ein Negativattest seiner Natur nach eine materielle Entscheidung im Sinne der vom Gerichtshof im Hinblick auf Artikel 173 EWG-Vertrag gegebenen Definition dar. Ferner habe der Gerichtshof entschieden, daß ein Dritter, dessen berechtigte Interessen durch ein Negativattest beeinträchtigt würden, gegen dieses gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag Klage erheben könne. Die Lage der Klägerinnen könne folglich nicht weniger günstig sein als die eines Dritten.

28 Die Klägerinnen räumen zweitens ein, daß sie sich nicht gegen den Tenor der Entscheidung wendeten. Jedoch sei die Auffassung der Kommission, ihre Klage sei unzulässig, da ein "Grund" keine Handlung im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag darstelle, unzutreffend. Die Kommission verkenne, daß sie nicht den "Grund", sondern ein Zwischenergebnis im Hinblick auf Artikel 85 EWG-Vertrag anföchten. Artikel 85 sei nämlich in der Form eines Syllogismus aufgebaut, so daß aus mehreren Prämissen (Vereinbarung, Einschränkung des Wettbewerbs, Beeinträchtigung des Handels) auf ein Ergebnis hinsichtlich der Vereinbarkeit der fraglichen Vereinbarung mit Artikel 85 EWG-Vertrag geschlossen werde. Ein Zwischenergebnis sei demnach eine Feststellung eines Tatbestandsmerkmals, die auf eine zu diesem Ergebnis führende Argumentation gestützt werde und auf einer tatsächlichen Feststellung beruhe. Ein Zwischenergebnis sei damit keine vorbereitende Maßnahme, sondern stelle eine abschließende Beurteilung der Frage durch die Kommission dar, ob die Vereinbarung wettbewerbsbeschränkend sei. Diese Beurteilung entfalte verbindliche Rechtswirkungen und ändere die Rechtslage der Adressaten.

29 Drittens hätten die Klägerinnen nicht erhalten, was sie beantragt hätten, da ihnen ein Negativattest erteilt worden sei, in dessen Gründen festgestellt werde, daß der Wettbewerb spürbar eingeschränkt werde. Sie hätten ein Rechtsschutzinteresse, weil die Feststellung der Kommission, die Vereinbarung schränke den Wettbewerb ein, zivilrechtliche Auswirkungen für sie haben könne. Obwohl ein nationales Gericht im Hinblick auf die Anwendung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag frei sei, könne eine derartige Feststellung eine gewichtige Rolle für die Begründung des nationalen Gerichts spielen. Komme das nationale Gericht in der Frage der Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels zu einem anderen Ergebnis als die Kommission, so sei die Vereinbarung gemäß Artikel 85 Absatz 2 EWG-Vertrag automatisch nichtig und die Parteien könnten ihre Vereinbarung folglich vor Gericht nicht durchsetzen.

Würdigung durch das Gericht

30 Die Klägerinnen wenden sich nicht gegen den Tenor der Entscheidung, in der ihnen die Kommission aufgrund des ihr mitgeteilten Sachverhalts ein Negativattest mit der Begründung erteilte, es bestehe kein Anlaß, gemäß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag gegen die Vereinbarung betreffend "actie-accept"-Überweisungen einzuschreiten. Dagegen beantragen die Klägerinnen die Nichtigerklärung der in den Ziffern 56 und 57 der Entscheidung enthaltenen rechtlichen Würdigung, wonach die Vereinbarung den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt spürbar einschränke. Ein derartiger Antrag wirft die Frage auf, ob der Begünstigte eines Negativattests den oder die Gründe der Entscheidung anfechten kann, ohne deren Tenor in Frage zu stellen.

31 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Klage gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag nur gegen eine beschwerende Maßnahme ° eine Maßnahme, die eine bestimmte Rechtslage beeinträchtigen kann ° gegeben (vgl. z. B. das Urteil des Gerichtshofes vom 11. November 1981 in der Rechtssache 60/81, IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639). Unabhängig davon, auf welchen Gründen eine derartige Maßnahme beruht, kann jedoch nur ihr Tenor Rechtswirkungen erzeugen und damit eine Beschwer darstellen. Was die von der Kommission in den Gründen der angefochtenen Entscheidung vorgenommenen Würdigungen angeht, so können sie, selbst wenn man unterstellt, daß sie nicht völlig der Auffassung der Klägerinnen entsprechen, als solche nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. Sie unterlägen der Überprüfung durch den Gemeinschaftsrichter nur, soweit sie als Begründung für eine beschwerende Maßnahme den tragenden Grund ihres Tenors darstellten. Im vorliegenden Fall stellt die Maßnahme jedoch keine Beschwer dar; zudem trägt der angefochtene Grund den Tenor nicht. Stellt die Kommission nämlich fest, daß die angemeldete Vereinbarung den innergemeinschaftlichen Handel nicht spürbar beeinträchtigen könne, so kann sie nur zu dem Ergebnis kommen, daß für sie unabhängig davon, wie sie den Gegenstand oder die Wirkung der Vereinbarung auf den Wettbewerb beurteilt, kein Anlaß zum Einschreiten bestehe.

32 Da es sich ferner um ein Negativattest handelt, das gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 auf Antrag der beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen erteilt wurde, und in dem die Kommission feststellt, daß für sie aufgrund des ihr bekannten Sachverhalts kein Grund bestehe, gemäß den Artikeln 85 oder 86 EWG-Vertrag einzuschreiten, entspricht diese Entscheidung dem Antrag und kann ihrer Natur nach weder die Rechtsstellung des Antragstellers ändern noch eine Beschwer für ihn darstellen. Dagegen kann ein Negativattest die wirtschaftlichen Interessen eines Dritten beeinträchtigen, der, wenn er ein hinreichendes und berechtigtes Interesse nachweist, dagegen unter den Voraussetzungen des Artikels 173 EWG-Vertrag beim Gericht Nichtigkeitsklage erheben kann. Für dieses Ergebnis spricht auch, daß Artikel 19 Absätze 1 und 3 der Verordnung Nr. 17 die Rechte Dritter für den Fall wahrt, daß die Kommission dem Antrag entsprechen will. Zwar kann ein Dritter, der ein berechtigtes Interesse nachweist, eine Entscheidung betreffend ein Negativattest anfechten, jedoch ergibt sich unmittelbar aus dem Sinn und Zweck von Artikel 19, daß hieraus keineswegs geschlossen werden kann, daß für den Begünstigten dieser Entscheidung dieser Rechtsweg ebenfalls eröffnet wäre.

33 Schließlich muß ein Wirtschaftsteilnehmer ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung nachweisen. Dies ist im vorliegenden Fall aus zwei Gründen nicht gegeben. Erstens muß der Kläger, wenn das von ihm geltend gemachte Interesse eine zukünftige Rechtssituation betrifft, nachweisen, daß die Beeinträchtigung dieser Rechtssituation bereits feststeht. Hier führen die Klägerinnen zur Rechtfertigung ihres Interesses an einer Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung nur zukünftige und unsichere Situationen an, nämlich den Fall, daß ein nationales Gericht bei der Entscheidung über die Vereinbarkeit der Vereinbarung mit den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag in der Frage der Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels zu einer anderen Beurteilung komme als die Kommission, während es deren Beurteilung hinsichtlich des wettbewerbsbeschränkenden Charakters der Vereinbarung berücksichtige. Dieses Argument muß folglich ohne weiteres zurückgewiesen werden, ohne daß darauf eingegangen zu werden brauchte, welche Auswirkungen die angefochtene Entscheidung für die nationalen Gerichte hat. Zudem könnten diese Gerichte bei Zweifeln über die Tragweite der Entscheidung der Kommission den Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag anrufen, so daß den Klägerinnen im Falle eines Rechtsstreits jedenfalls nicht die Möglichkeit genommen wäre, ihre Rechte unter den im Urteil des Gerichtshofes vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache C-234/89 (Delimitis, Slg. 1991, I-935) angegebenen Voraussetzungen vor dem nationalen Gericht geltend zu machen.

34 Zweitens führen die Klägerinnen den Fall an, daß sich eine Änderung der in Ziffer 59 der Entscheidung festgestellten Umstände ergäbe, unter denen "actie-accept"-Überweisungen verwendet werden, so daß eine spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten entstuende. Eine solche Änderung könnte eine erneute Prüfung der Sache durch die Kommission rechtfertigen. Diese erteilt nämlich gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 das Negativattest "nach den ihr bekannten Tatsachen". Würde die Kommission das zunächst erteilte Negativattest aufgrund dieser erneuten Überprüfung wieder in Frage stellen, so könnten die Klägerinnen die zum Abschluß eines erneuten Verwaltungsverfahrens getroffene Entscheidung dem Gericht vorlegen. Folglich können sich die Klägerinnen, die somit weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Rechte unter den genannten Voraussetzungen geltend zu machen, nicht darauf berufen, daß eine etwaige Änderung der Sachlage die Zulässigkeit der vorliegenden Klageanträge herbeiführen könnte.

35 Nach alledem ist eine Klage, mit der die Klägerinnen die Nichtigerklärung des ihnen von der Kommission antragsgemäß erteilten Negativattests, allein deshalb erstreben, weil diese in den Gründen ihrer Entscheidung festgestellt habe, daß die angemeldete Vereinbarung den Wettbewerb einschränke, nicht zulässig. Die Klage ist demgemäß als unzulässig abzuweisen, ohne daß über den zweiten von der Kommission angeführten Unzulässigkeitsgrund, die fehlende Klagebefugnis der Klägerin zu 2, entschieden zu werden brauchte.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2) Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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