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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 04.11.1992
Aktenzeichen: T-14/89 REV
Rechtsgebiete: EWG-Satzung Gerichtshof


Vorschriften:

EWG-Satzung Gerichtshof Art. 41 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Wie sich aus Artikel 41 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes ergibt, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens kein Rechtsmittel, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Rechtskraft eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt voraus, daß vor dem Erlaß des Urteils liegende Umstände tatsächlicher Art entdeckt werden, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt waren und die das Gericht, wenn es sie hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits, als sie ergangen ist, hätten veranlassen können.

Ein Wiederaufnahmeantrag, der auf eine dem Antragsteller vor dem Erlaß des Urteils bekannte Tatsache gestützt wird, ist daher unzulässig.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 4. NOVEMBER 1992. - MONTECATINI SPA (VORMALS MONTEDIPE SPA) GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - ANTRAG AUF WIEDERAUFNAHME DES VERFAHRENS - ZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-14/89 REV.

Entscheidungsgründe:

1 Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz, der am 11. Juni 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 41 der EWG-Satzung des Gerichtshofes (im folgenden: Satzung des Gerichtshofes) und Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts (im folgenden: Verfahrensordnung) einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-14/89 (Montedipe/Kommission, Slg. 1992, II-1155, im folgenden: Urteil vom 10. März) abgeschlossenen Verfahrens gestellt.

2 Mit diesem Urteil hat das Gericht die Klage der Antragstellerin auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.149 ° Polypropylen, ABl. L 230, S. 1) abgewiesen.

3 Die Antragstellerin beantragt,

1) den Antrag für zulässig zu erklären und zur Prüfung der Begründetheit überzugehen;

2) der Kommission im Rahmen der Beweisaufnahme aufzugeben, das Sitzungsprotokoll über den Erlaß der Entscheidung vom 23. April 1986 sowie die an diesem Tag gegenüber der Firma Montedipe getroffene Entscheidung selbst vorzulegen;

3) dem Wiederaufnahmeantrag in der Sache stattzugeben und das angefochtene Urteil in der Weise abzuändern, daß die gegenüber der Montedipe SpA getroffene Entscheidung vom 23. April 1986 für inexistent und folglich die von dieser Firma gegen die Entscheidung erhobene Klage für unzulässig erklärt wird;

4) der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

4 Die Antragsgegnerin beantragt,

1) den Antrag auf Wiederaufnahme des mit Urteil vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-14/89 (Montedipe/Kommission) abgeschlossenen Verfahrens für unzulässig zu erklären, da in ihm nicht angegeben wird, auf welche neue Tatsache er sich stützt, und da die geltend gemachte Tatsache jedenfalls nicht neu ist;

2) der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

5 Zur Begründung ihres Antrags trägt die Antragstellerin vor, aus der Financial Times vom 28. Februar 1992 und dem Corriere della Sera vom 29. Februar 1992 habe sie von den Reaktionen erfahren, die das Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1992 in den Rechtssachen T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315; im folgenden: PVC-Urteil) bei der Kommission hervorgerufen habe. Bestimmte Erklärungen der Kommission hätten die Befürchtung geweckt, daß die im genannten Urteil des Gerichts mißbilligte Praxis von der Kommission in weitem Umfang, insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts, angewandt worden sei und sich folglich nicht nur auf den Erlaß der Entscheidungen in den PVC- und LDPE-Rechtssachen erstrecke, sondern auch auf zahlreiche andere von der Kommission erlassene Entscheidungen, zu denen die Entscheidung gehöre, die Gegenstand des Urteils vom 10. März 1992 gewesen sei. Diese Praxis bestehe darin, Entscheidungen als vom Kommissionskollegium "getroffen" anzusehen, deren Wortlaut noch nicht vollständig sei, die noch geändert werden könnten oder die noch nicht einmal in allen verbindlichen Sprachen zur Verfügung stuenden.

6 Diese von verschiedenen Presseorganen wiedergegebenen Erklärungen der Kommission bildeten eine neue Tatsache, aufgrund deren der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Urteil vom 10. März 1992 abgeschlossenen Verfahrens zulässig sei.

7 Die Kommission erhebt gegen den Wiederaufnahmeantrag eine Einrede der Unzulässigkeit. Sie weist darauf hin, daß die Wiederaufnahme eines Verfahrens nach Artikel 41 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes nur dann beantragt werden könne, wenn eine Tatsache von entscheidender Bedeutung bekannt werde, die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt gewesen sei.

8 Im vorliegenden Fall trage die Antragstellerin vor, daß sie ihren Antrag auf die Erklärungen der Kommission stütze, über die in den Zeitungen vom 28. Februar 1992 und den folgenden Tagen berichtet worden sei. Die Antragstellerin mache keineswegs geltend, daß diese Tatsache dem Gericht und ihr selbst vor Verkündung des Urteils unbekannt gewesen sei, sondern führe vielmehr aus, daß sie im Anschluß an diese Erklärungen vor Verkündung des Urteils einen Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gestellt habe, den das Gericht in seinem Urteil zurückgewiesen habe. Mangels einer neuen Tatsache sei der Wiederaufnahmeantrag daher für unzulässig zu erklären.

9 Für die Beurteilung der Zulässigkeit des vorliegenden Antrags ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 41 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt,

"[die] Wiederaufnahme des Verfahrens... beim Gerichtshof nur dann beantragt werden [kann], wenn eine Tatsache von entscheidender Bedeutung bekannt wird, die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war".

10 Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens kein Rechtsmittel ist, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Rechtskraft eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt voraus, daß vor dem Erlaß des Urteils liegende Umstände tatsächlicher Art endeckt werden, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bis dahin unbekannt waren und die das Gericht, wenn es sie hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits, als sie ergangen ist, hätten veranlassen können (vgl. zuletzt Beschluß des Gerichtshofes vom 25. Februar 1992 in der Rechtssache C-185/90 P-REV, Gill/Kommission, Slg. 1992, I-993, und Beschluß des Gerichts vom 26. März 1992 in der Rechtssache T-4/89 REV, BASF/Kommission, Slg. 1992, II-1591).

11 Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, daß die einzige Tatsache, die die Antragstellerin zur Stützung ihres Wiederaufnahmeantrags anführt, die in der Presse am 28. und 29. Februar 1992 wiedergegebenen Erklärungen der Kommission sind, und zum anderen, daß sich die Antragstellerin auf dieselbe Tatsache zur Begründung eines Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung berufen hat, den sie beim Gericht am 6. März 1992 und damit vor Verkündung des Urteils vom 10. März 1992 gestellt hat, dessen Abänderung sie verlangt und gegen das sie beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt hat.

12 Daraus folgt nicht nur, daß die Tatsache, auf die sich die Antragstellerin beruft, ihr selbst und dem Gericht vor Verkündung des Urteils bekannt war, sondern auch, daß das Gericht in den Randnummern 389 bis 391 seines Urteils die Gründe angegeben hat, aus denen diese Tatsache die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht rechtfertigte.

13 Nach alledem kann die von der Antragstellerin angeführte Tatsache keinesfalls eine Tatsache darstellen, die der die Wiederaufnahme beantragenden Partei und dem Gericht vor Verkündung des Urteils vom 10. März 1992 unbekannt war, und daher nicht zu einer Wiederaufnahme des mit diesem Urteil abgeschlossenen Verfahrens führen.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission beantragt hat, ihr die Kosten aufzuerlegen, hat die Antragstellerin die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird als unzulässig zurückgewiesen.

2) Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 4. November 1992.

Ende der Entscheidung

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