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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 10.03.1992
Aktenzeichen: T-15/89
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. In einer an ein Unternehmen gerichteten Entscheidung nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag können gegenüber diesem Unternehmen nur die Schriftstücke als Beweismittel verwendet werden, von denen schon im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte und aufgrund ihrer Erwähnung in dieser Mitteilung oder in deren Anlagen erkennbar war, daß die Kommission sich auf sie berufen wollte, und zu deren Beweiskraft sich das Unternehmen somit rechtzeitig äussern konnte.

2. Hat die Kommission - über das hinausgehend, was die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert - ein Verfahren zur Akteneinsicht in Wettbewerbssachen geschaffen und die entsprechenden Verfahrensregelungen in einem ihrer Berichte über die Wettbewerbspolitik aufgestellt und bekanntgemacht, so kann sie von den selbst auferlegten Regeln nicht abweichen und ist daher verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

3. Der Umstand, daß dem Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen und der Kommission eine vorläufige Anhörungsniederschrift vorgelegen hat, kann nur dann einen Fehler des Verwaltungsverfahrens darstellen, der die Rechtswidrigkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung nach sich ziehen könnte, wenn die Fassung dieser Niederschrift für ihre Adressaten in einem wesentlichen Punkt irreführend war.

4. Die Wahrung der Verteidigungsrechte verlangt nicht, daß die von einem Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Möglichkeit haben, den Bericht des Anhörungsbeauftragten zu kommentieren. Die Wahrung der Verteidigungsrechte ist nämlich rechtlich hinreichend sichergestellt, wenn die bei der Ausarbeitung der endgültigen Entscheidung zusammenwirkenden Stellen korrekt über die Argumentation der Unternehmen informiert worden sind, die diese in Beantwortung der ihnen von der Kommission mitgeteilten Beschwerdepunkte und gegenüber den von der Kommission zur Erhärtung dieser Beschwerdepunkte vorgelegten Beweismitteln vorgetragen haben. Der Bericht des Anhörungsbeauftragten ist jedoch ein rein internes Schriftstück der Kommission, das nur den Wert eines Gutachtens hat und nicht dem Zweck dient, das Vorbringen der Unternehmen zu ergänzen oder zu korrigieren, neue Beschwerdepunkte zu formulieren oder neue Beweismittel gegen die Unternehmen zu liefern.

5. Eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dies ist dann der Fall, wenn es zwischen mehreren Unternehmen eine Willensübereinstimmung zur Erreichung von Preis- und Verkaufsmengenzielen gab.

6. Artikel 85 EWG-Vertrag ist auch auf ausser Kraft getretene Kartelle anwendbar, deren Wirkungen über das formelle Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen.

7. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, anhand deren sich der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bestimmen lässt, sind im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht.

Die Teilnahme an Sitzungen, deren Zweck es ist, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen, und in denen die Wettbewerber Informationen über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigen, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen oder über ihre Verkaufszahlen austauschen, stellt eine abgestimmte Verhaltensweise dar, da die teilnehmenden Unternehmen die so weitergegebenen Informationen zwangsläufig bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

8. Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag sieht keine spezifische Subsumtion für eine Zuwiderhandlung vor, die zwar komplex, aber doch einheitlich ist, weil sie aus einem kontinuierlichen Verhalten besteht, das durch eine einzige Zielsetzung gekennzeichnet ist und sowohl Einzelakte aufweist, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" dargestellt haben. Daher kann eine solche Zuwiderhandlung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert werden, ohne daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt.

9. Die Kommission hat gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, sie braucht jedoch bei einer Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden.

10. Die Einstufung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags als vorsätzlich setzt nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen ein durch diese Regeln festgelegtes Verbot bewusst gewesen ist; es genügt vielmehr, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte.

11. Selbst wenn der Gemeinschaftsrichter die Frage der Existenz des angefochtenen Rechtsakts im Nichtigkeitsverfahren des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen zu prüfen hat, bedeute dies aber nicht, daß in jedem Verfahren nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen Ermittlungen über eine eventuelle Inexistenz des angefochtenen Rechtsakts zu führen sind. Nur soweit die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz des angefochtenen Rechtsakts vortragen, ist der Gemeinschaftsrichter gehalten, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 10. MAERZ 1992. - CHEMIE LINZ AG GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - BEGRIFF DER VEREINBARUNG UND DER ABGESTIMMTEN VERHALTENSWEISE - KOLLEKTIVE VERANTWORTLICHKEIT. - RECHTSSACHE T-15/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft eine Entscheidung der Kommission, mit der fünfzehn Herstellern von Polypropylen wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag eine Geldbusse auferlegt wurde. Das von der angefochtenen Entscheidung (nachstehend: Entscheidung) erfasste Erzeugnis ist eines der wichtigsten thermoplastischen Polymere. Polypropylen wird von den Herstellern an die Verarbeiter zur Weiterverarbeitung zu Fertig- und Halbfertigerzeugnissen verkauft. Die wichtigsten Hersteller von Polypropylen verfügen über eine Palette von mehr als hundert verschiedenen Sorten für einen breiten Fächer von Verwendungszwecken. Die wichtigsten Polypropylengrundsorten sind Raffia, Homopolymer für Spritzguß, Kopolymer für Spritzguß, hochschlagfestes Kopolymer und Folien. Alle Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, sind grosse Hersteller petrochemischer Erzeugnisse.

2 Der westeuropäische Polypropylenmarkt wird fast ausschließlich von europäischen Produktionsstätten beliefert. Vor 1977 wurde dieser Markt von zehn Herstellern beliefert, nämlich von den Unternehmen Montedison (jetzt Montepolimeri SpA), Hoechst AG, Imperial Chemical Industries plc und Shell International Chemical Company Ltd (den sogenannten "vier Grossen"), die zusammen 64 % des Marktes innehatten, Enichem Anic SpA in Italien, Rhône-Poulenc SA in Frankreich, Alcudia in Spanien, Chemische Werke Hüls und BASF AG in Deutschland sowie Chemie Linz AG in Österreich. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente von Montedison traten 1977 in Westeuropa sieben neue Hersteller auf: Amoco und Hercules Chemicals NV in Belgien, ATO Chimie SA und Solvay & Cie SA in Frankreich, SIR in Italien, DSM NV in den Niederlanden und Taqsa in Spanien. Der norwegische Hersteller Saga Petrokjemi AS & Co. und die Petrofina SA nahmen ihre Tätigkeit Mitte 1978 bzw. im Jahre 1980 auf. Das Auftreten neuer Hersteller mit einer nominalen Kapazität von rund 480 000 t bewirkte ein erhebliches Anwachsen der Produktionskapazität in Westeuropa, die mehrere Jahre lang nicht durch einen entsprechenden Anstieg der Nachfrage ausgeglichen wurde. Dies hatte einen geringen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten zur Folge; zwischen 1977 und 1983 soll der Auslastungsgrad jedoch schrittweise von 60 % auf 90 % gestiegen sein. Nach der Entscheidung sollen sich Angebot und Nachfrage von 1982 an im grossen und ganzen im Gleichgewicht befunden haben. Während des grössten Teils des Untersuchungszeitraums (1977-1983) sei der Polypropylenmarkt jedoch durch eine niedrige Rentabilität oder durch erhebliche Verluste gekennzeichnet gewesen, und zwar namentlich wegen der Bedeutung der fixen Kosten und des Anstiegs des Preises des Ausgangsstoffes Propylen. Nach Randnummer 8 der Entscheidung beliefen sich 1983 die europäischen Marktanteile der Montepolimeri SpA auf 18 %, der Imperial Chemical Industries, der Shell International Chemical Company Ltd und Hoechst AG auf jeweils 11 %, der Hercules Chemicals NV auf knapp 6 %, der ATO Chimie SA, der BASF AG, der DSM NV, der Chemische Werke Hüls, der Chemie Linz AG, der Solvay & Cie. SA und der Saga Petrokjemi AS & Co. auf jeweils 3 bis 5 % und der Petrofina SA auf etwa 2 %. Der Polypropylenhandel zwischen Mitgliedstaaten sei groß gewesen, da jeder der damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller in die meisten, wenn nicht in alle Mitgliedstaaten verkauft habe.

3 Die Klägerin gehörte zu den Herstellern, die den Markt vor 1977 belieferten. Sie war ein mittelgrosser Hersteller auf dem westeuropäischen Polypropylenmarkt mit einem Marktanteil zwischen 3,2 und 3,9 %.

4 Am 13. und 14. Oktober 1983 führten Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, S. 204; nachstehend: Verordnung Nr. 17) gleichzeitig Nachprüfungen bei den folgenden, den Markt der Gemeinschaft beliefernden Herstellern von Polypropylen durch:

- ATO Chimie SA, jetzt Atochem (nachstehend: ATO);

- BASF AG (nachstehend: BASF);

- DSM NV (nachstehend: DSM);

- Hercules Chemicals NV (nachstehend: Hercules);

- Hoechst AG (nachstehend: Hoechst);

- Chemische Werke Hüls (nachstehend: Hüls);

- Imperial Chemical Industries plc (nachstehend: ICI);

- Montepolimeri SpA, jetzt Montedipe (nachstehend: Monte);

- Shell International Chemical Company Ltd (nachstehend: Shell);

- Solvay & Cie. SA (nachstehend: Solvay);

- BP Chimie (nachstehend: BP).

Keine Nachprüfungen erfolgten bei Rhône-Poulenc SA (nachstehend: Rhône-Poulenc) und bei der Enichem Anic SpA.

5 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 (nachstehend: Auskunftsverlangen) nicht nur an die genannten, sondern auch an folgende Unternehmen:

- Amoco;

- Chemie Linz AG (nachstehend: Klägerin);

- Saga Petrokjemi AS & Co., jetzt Teil von Statoil (nachstehend: Statoil);

- SA Petrofina (nachstehend: Petrofina);

- Enichem Anic SpA (nachstehend: Anic).

Die Klägerin, ein österreichisches Unternehmen, bestritt die Zuständigkeit der Kommission und weigerte sich, dem Auskunftsverlangen nachzukommen. Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 führten Kommissionsbeamte anschließend Nachprüfungen bei Anic und bei der Saga Petrochemicals UK Ltd, der englischen Tochter von Saga, sowie bei den Verkaufsgesellschaften von Linz im Vereinigten Königreich und in der Bundesrepublik Deutschland durch. An Rhône-Poulenc erging kein Auskunftsverlangen.

6 Anhand des im Rahmen dieser Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials gelangte die Kommission zu der vorläufigen Auffassung, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag durch eine Reihe von Preisinitiativen regelmässig Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich aufzuteilen. Am 30. April 1984 beschloß die Kommission deshalb, ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten. Im Mai 1984 übermittelte sie den genannten Unternehmen mit Ausnahme von Anic und Rhône-Poulenc die schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte. Alle Adressaten äusserten sich dazu schriftlich.

7 Am 24. Oktober 1984 traf der von der Kommission ernannte Anhörungsbeauftragte mit den Rechtsberatern der Adressaten der Beschwerdepunkte zusammen, um Vereinbarungen über den Ablauf der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgesehenen Anhörung zu treffen, deren Beginn für den 12. November 1984 vorgesehen war. In dieser Sitzung teilte die Kommission den Unternehmen ausserdem zu den in den Antworten auf die Beschwerdepunkte vorgebrachten Argumenten mit, sie werde ihnen in Kürze ergänzende Unterlagen zu den bereits übermittelten Beweismitteln bezueglich der Durchsetzung der Preisinitiativen zuleiten. Demgemäß übersandte sie den Rechtsberatern der Unternehmen am 31. Oktober 1984 eine Reihe von Unterlagen, die Kopien der einschlägigen Preisinstruktionen der Hersteller für ihre Verkaufsstellen einschließlich der Tabellen enthielten, in denen diese Belege zusammengefasst waren. Um die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses zu gewährleisten, verband die Kommission diese Übermittlung mit bestimmten Auflagen; insbesondere durften die übersandten Unterlagen nicht an die kaufmännischen Abteilungen der Unternehmen weitergegeben werden. Die Anwälte einiger Unternehmen lehnten diese Auflagen ab und schickten die Unterlagen vor der mündlichen Anhörung zurück.

8 Aufgrund der Angaben in den schriftlichen Antworten auf die Beschwerdepunkte beschloß die Kommission, das Verfahren auf Anic und Rhône-Poulenc auszudehnen. Demgemäß übersandte sie diesen Unternehmen am 25. Oktober 1984 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die der den anderen fünfzehn Unternehmen übersandten Mitteilung ähnlich war.

9 Eine erste Reihe von Anhörungen fand vom 12. bis zum 20. November 1984 statt. In ihr wurden mit Ausnahme von Shell (die sich geweigert hatte, an einer Anhörung teilzunehmen) sowie Anic, ICI und Rhône-Poulenc (die sich nicht in der Lage sahen, ihre Unterlagen vorzubereiten) alle Unternehmen angehört.

10 Bei diesen Anhörungen weigerten sich mehrere Unternehmen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen, die in den ihnen am 31. Oktober 1984 übersandten Unterlagen angeschnitten worden waren, da die Kommission die gesamte Bewertung des Falles geändert habe; sie müssten zumindest Gelegenheit erhalten, sich hierzu schriftlich zu äussern. Andere machten geltend, sie hätten nicht genügend Zeit gehabt, die betreffenden Unterlagen vor der Anhörung zu prüfen. Die Anwälte der Klägerin sowie von BASF, DSM, Hercules, Hoechst, ICI, Monte, Petrofina und Solvay übersandten der Kommission am 28. November 1984 ein gemeinsames Schreiben in diesem Sinne. In einem Schreiben vom 4. Dezember 1984 schloß sich Hüls dieser Linie an.

11 Daraufhin leitete die Kommission den Unternehmen am 29. März 1985 eine neue Serie von Dokumenten zu, die die Preisanweisungen der Unternehmen an ihre Verkaufsbüros wiedergaben, begleitet von Preistabellen, sowie eine Zusammenfassung der Beweise für alle Preisinitiativen, für die Unterlagen verfügbar waren. Die Unternehmen wurden aufgefordert, sich dazu schriftlich und in einer weiteren mündlichen Anhörung zu äussern. Die ursprünglichen Auflagen bezueglich der Weitergabe an die kaufmännischen Abteilungen hob die Kommission auf.

12 In einem weiteren Schreiben gleichen Datums ging die Kommission auf das Vorbringen der Anwälte ein, sie habe die Rechtsnatur des angeblichen Kartells nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht eindeutig definiert. Sie forderte die Unternehmen auf, sich hierzu schriftlich und mündlich zu äussern.

13 Eine zweite Reihe von Anhörungen fand vom 8. bis zum 11. Juli 1985 und am 25. Juli 1985 statt. Dabei äusserten sich Anic, ICI und Rhône-Poulenc; die anderen Unternehmen (mit Ausnahme von Shell) nahmen zu den von der Kommission in den beiden Schreiben vom 29. März 1985 angesprochenen Fragen Stellung.

14 Der Entwurf der Niederschrift über die Anhörungen sowie alle anderen entscheidungserheblichen Unterlagen wurden den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen (nachstehend: Beratender Ausschuß) am 19. November 1985 übergeben und den Unternehmen am 25. November 1985 zugesandt. Der Beratende Ausschuß gab seine Stellungnahme in seiner 170. Sitzung vom 5. und 6. Dezember 1985 ab.

15 Am Ende dieses Verfahrens erließ die Kommission die streitige Entscheidung vom 23. April 1986. Der verfügende Teil dieser Entscheidung lautet wie folgt:

"Artikel 1

Anic SpA, ATO Chemie SA (heute Atochem), BASF AG, DSM NV, Hercules Chemicals NV, Hoechst AG, Chemische Werke Hüls (jetzt Hüls AG), ICI plc, Chemische Werke Linz, Montepolimeri SpA (jetzt Montedipe), Petrofina SA, Rhône-Poulenc SA, Shell International Chemical Co. Ltd, Solvay & Cie und Saga Petrokjemi AG & Co. (jetzt Teil der Statoil) haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen, indem sie

- im Fall von Anic von etwa November 1977 bzw. 1978 bis weit ins Jahr 1982 oder Anfang 1983;

- im Fall von Rhône-Poulenc von etwa November 1977 bis Ende 1980;

- im Fall von Petrofina von 1980 bis mindestens November 1983;

- im Fall von Hoechst, ICI, Montepolimeri und Shell von etwa Mitte 1977 bis mindestens November 1983;

- im Fall von Hercules, Linz, Saga und Solvay von etwa November 1977 bis mindestens November 1983;

- im Fall von ATO von mindestens 1978 bis mindestens November 1983;

- im Fall von BASF, DSM und Hüls von einem Zeitpunkt zwischen 1977 und 1979 bis mindestens November 1983

an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt waren, durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller:

a) miteinander Verbindung hatten und sich regelmässig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen trafen, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;

b) von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EWG Ziel- (oder Mindest-)preise festlegten;

c) verschiedene Maßnahmen trafen, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) unter anderem durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der 'Kundenführerschaft' zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden;

d) gleichzeitige Preiserhöhungen vornahmen, um die besagten Ziele durchzusetzen;

e) den Markt aufteilten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt wurde oder, falls es zu keiner endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr kam, die Hersteller aufgefordert wurden, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum einzuschränken (1981, 1982).

Artikel 2

Die in Artikel 1 genannten Unternehmen sind verpflichtet, die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzueglich abzustellen (falls sie es noch nicht getan haben) und in Zukunft bezueglich ihrer Polypropylengeschäfte von allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Dazu gehört der Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen und durch die die Teilnehmer direkt oder indirekt über Produktion, Absatz, Lagerhaltung, Verkaufspreise, Kosten oder Investitionspläne anderer Hersteller informiert oder aufgrund deren sie in die Lage versetzt werden, die Befolgung ausdrücklicher oder stillschweigender Preis- oder Marktaufteilungsabsprachen innerhalb der Gemeinschaft zu kontrollieren. Ein Verfahren zum Austausch allgemeiner Informationen, dem sich die Hersteller anschließen (wie Fides), muß unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten lässt. Die Unternehmen dürfen insbesondere untereinander keine zusätzlichen wettbewerbsrelevanten Informationen austauschen, die ein solches System nicht erfasst.

Artikel 3

Gegen die in dieser Entscheidung genannten Unternehmen werden wegen des in Artikel 1 festgestellten Verstosses folgende Geldbussen festgesetzt:

i) Anic SpA, eine Geldbusse von 750 000 ECU bzw. 1 103 692 500 LIT;

ii) Atochem, eine Geldbusse von 1 750 000 ECU bzw. 11 973 325 FF;

iii) BASF AG, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 5 362 225 DM;

iv) DSM NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 6 657 640 HFL;

v) Hercules Chemicals NV, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 120 569 620 BFR;

vi) Hoechst AG, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 19 304 010 DM;

vii) Hüls AG, eine Geldbusse von 2 750 000 ECU bzw. 5 898 447,50 DM;

viii) ICI plc, eine Geldbusse von 10 000 000 ECU bzw. 6 447 970 UKL;

ix) Chemische Werke Linz, eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 1 471 590 000 LIT;

x) Montedipe, eine Geldbusse von 11 000 000 ECU bzw. 16 187 490 000 LIT;

xi) Petrofina SA, eine Geldbusse von 600 000 ECU bzw. 26 306 100 BFR;

xii) Rhône-Poulenc SA, eine Geldbusse von 500 000 ECU bzw. 3 420 950 FF;

xiii) Shell International Chemical Co. Ltd, eine Geldbusse von 9 000 000 ECU bzw. 5 803 173 UKL;

xiv) Solvay & Cie, eine Geldbusse von 2 500 000 ECU bzw. 109 608 750 BFR;

xv) Statoil Den Norske Stats Oljeselskap AS (nunmehr einschließlich Saga Petrokjemi), eine Geldbusse von 1 000 000 ECU bzw. 644 797 UKL.

Artikel 4 und 5

(nicht wiedergegeben)"

16 Am 8. Juli 1986 wurde den Unternehmen die endgültige Niederschrift über die Anhörungen mit den von ihnen verlangten Berichtigungen, Zusätzen und Streichungen übermittelt.

Verfahren

17 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 11. August 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Dreizehn der vierzehn übrigen Adressaten dieser Entscheidung haben ebenfalls Nichtigkeitsklage erhoben (Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89 und T-6/89 bis T-14/89).

18 Das gesamte schriftliche Verfahren ist vor dem Gerichtshof abgelaufen.

19 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof diese und die dreizehn übrigen Rechtssachen gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Beschluß des Rates vom 24. Oktober 1988) an das Gericht verwiesen.

20 Gemäß Artikel 2 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 hat der Präsident des Gerichts einen Generalanwalt bestellt.

21 Mit Schreiben vom 3. Mai 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien zur Teilnahme an einer informellen Sitzung aufgefordert, um die Einzelheiten der Durchführung der mündlichen Verhandlung festzulegen. Diese Sitzung hat am 28. Juni 1990 stattgefunden.

22 Mit Schreiben vom 9. Juli 1990 hat der Kanzler des Gerichts die Parteien gebeten, sich zu einer eventuellen Verbindung der Rechtssachen T-1/89 bis T-4/89 und T-6/89 bis T-15/89 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren zu äussern. Keine der Parteien hat hiergegen Einwände erhoben.

23 Mit Beschluß vom 25. September 1990 hat das Gericht die genannten Rechtssachen wegen des zwischen ihnen bestehenden Zusammenhangs nach Artikel 43 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend galt, zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden.

24 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat das Gericht über die von den Klägerinnen in den Rechtssachen T-2/89, T-3/89, T-9/89, T-11/89, T-12/89 und T-13/89 gestellten Anträge auf vertrauliche Behandlung entschieden und ihnen teilweise stattgegeben.

25 Mit Schreiben, die zwischen dem 9. Oktober und dem 29. November 1990 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Parteien die ihnen vom Gericht mit Schreiben des Kanzlers vom 19. Juli 1990 gestellten Fragen beantwortet.

26 In Anbetracht der Antworten auf diese Fragen hat das Gericht auf Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

27 Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung, die vom 10. bis 15. Dezember 1990 stattgefunden hat, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

28 Der Generalanwalt hat seine Schlussanträge in der Sitzung vom 10. Juli 1991 vorgetragen.

Anträge der Parteien

29 Die Klägerin beantragt:

1) Die der Klägerin am 28. Mai 1986 zugestellte Entscheidung der Beklagten vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrages (IV/31.149-Polypropylen) wird für nichtig erklärt, soweit sie die Klägerin betrifft.

2) Hilfsweise: Artikel 3 der im Antrag zu 1 bezeichneten Entscheidung wird insoweit für nichtig erklärt, als die darin festgesetzte Geldbusse eine angemessene, vom Gerichtshof festzusetzende Geldbusse überschreitet.

3) Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen,

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Begründetheit

30 Nach Auffassung des Gerichts sind zuerst die Rügen zu prüfen, mit denen die Klägerin eine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend macht, weil die Kommission ihr Schriftstücke nicht übermittelt habe (1), weil die Kommission sich auf Beweise gestützt habe, die nicht zuverlässig seien (2), weil die Kommission ihr keine vollständige Akteneinsicht gewährt habe (3), weil die Kommission eine Reihe von Vorwürfen zum ersten Mal in der Entscheidung gegen die Klägerin erhoben habe (4), weil die endgültige Fassung der Niederschrift über die Anhörungen weder den Mitgliedern der Kommission noch den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses übermittelt worden sei (5) und weil der Klägerin der Bericht des Anhörungsbeauftragten nicht übermittelt worden sei (6); zweitens die Rügen bezueglich der Feststellung der Zuwiderhandlung, die sich zum einen auf die von der Kommission getroffenen Tatsachenfeststellungen (1) und zum anderen auf die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf diese Tatsachen (2) beziehen, da die Kommission die Zuwiderhandlung nicht richtig qualifiziert habe (A) und deren den Wettbewerb einschränkende Wirkung nicht zutreffend beurteilt habe (B); drittens die Rügen der Klägerin bezueglich der Begründung der Entscheidung; viertens die Rügen bezueglich der Festsetzung der Geldbusse, die teilweise von der Verjährung erfasst werde (1) und weder der Dauer (2) noch der Schwere (3) der behaupteten Zuwiderhandlung angemessen sei.

Zu den Verteidigungsrechten

1. Unterlassene Übermittlung von Schriftstücken anläßlich der Mitteilung der Beschwerdepunkte

31 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe ihr bei der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Reihe von Schriftstücken nicht übersandt, auf die sie ihre Entscheidung gestützt habe, und habe es ihr auf diese Weise unmöglich gemacht, sich zu deren Inhalt zu äussern. Es handele sich um den von einem Hercules-Angestellten angefertigten Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 (Entscheidung, Randnr. 15 b), den von einem ICI-Angestellten angefertigten Bericht über die Sitzung vom 10. März 1982 (Entscheidung, Randnrn. 15 b und 58), eine angeblich bei Solvay gefundene Unterlage vom 6. September 1977 (Entscheidung, Randnr. 16, vorletzter Absatz), die Antwort von Shell auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte (Entscheidung, Randnr. 17), die Antworten von Amoco, ATO, BASF, DSM, Hoechst, Hüls und Monte auf das Auskunftsverlangen (Entscheidung, Randnr. 18), Preisinstruktionen (Entscheidung, Randnrn. 25 und 88), zwei Berichte über Shell-interne Sitzungen vom 5. Juli und 12. September 1979 (Entscheidung, Randnrn. 29 und 31), ein internes Schriftstück von Solvay (Entscheidung, Randnr. 32), eine Erinnerung von Solvay an ihre Verkaufsabteilungen vom 17. Juli 1981 (Entscheidung, Randnr. 35), Berichte der Fachpresse von Ende 1981 (Entscheidung, Randnr. 36), einen internen Vermerk von ICI über "gutes Klima" (Entscheidung, Randnr. 46), ein Shell-Papier mit der Bezeichnung "PP W. Europe-Pricing" und "Market quality report" (Entscheidung, Randnr. 49), Unterlagen von Shell über das Vereinigte Königreich und Frankreich (Entscheidung, Randnr. 49), einen internen Vermerk von ATO vom 28. September 1983 (Entscheidung, Randnr. 51), einen nicht datierten Vermerk von ICI, der als Sprechzettel für eine Sitzung mit Shell im Mai 1983 habe dienen sollen (Entscheidung, Randnr. 63 Absatz 2), ein Arbeitsdokument für das erste Quartal 1983, das bei Shell gefunden worden sei (Entscheidung, Randnr. 63 Absatz 3), und schließlich Unterlagen über die in den Sitzungen erörterten Fragen, die bei ATO, DSM und Shell gefunden worden seien (Entscheidung, Randnr. 70).

32 In diesem Zusammenhang trägt die Klägerin erstens vor, daß das Verfahren der Akteneinsicht die Übermittlung der Schriftstücke nicht ersetzen könne, wenn die Kommission dabei nicht die Schriftstücke bezeichne - was sie nicht getan habe -, auf die sie ihre Entscheidung stützen wolle. Zweitens hätte die Kommission, auch wenn die Fachpresse in der Tat eine allgemein zugängliche Informationsquelle darstelle, noch genau die jeweilige Fundstelle für die belastenden Tatsachen anführen müssen, was nicht geschehen sei. Drittens könne sich die Kommission nicht wirksam darauf berufen, daß bestimmte Unterlagen die Klägerin nicht beträfen oder nur eine Bestätigung bereits bekannter Schriftstücke seien, da es gerade nach Ansicht der Kommission um eine gemeinschaftlich begangene Zuwiderhandlung gehe.

33 Die Kommission hält die Behauptungen der Klägerin zum Teil für sachlich falsch, zum Teil für rechtlich unzutreffend. Der Klägerin sei ein Teil der genannten Schriftstücke zugänglich gewesen, da diese entweder in den Anlagen der gemeinsamen Beschwerdepunkte oder in der Fachpresse zu finden gewesen seien, die nicht zu kennen die Klägerin nicht behaupten könne (selbst wenn die Kommission nicht die genauen Fundstellen angegeben habe), oder im Verfahren der Akteneinsicht vorgelegt worden seien, das gerade den Sinn habe, daß die Unternehmen sich Kenntnis über das der Kommission vorliegende Beweismaterial verschaffen und ihre Verteidigung vorbereiten könnten.

34 Andere Schriftstücke seien der Klägerin nicht zugänglich gemacht worden, weil sie diese nicht beträfen oder nur bereits übermittelte Schriftstücke bestätigten.

35 Die Kommission räumt jedoch ein, daß ein unter Randnummer 63 der Entscheidung erwähnter Vermerk von ICI, der als Sprechzettel für eine Sitzung mit Shell habe dienen sollen, ebenso wie ein anderer, in Randnummer 58 erwähnter Bericht eines Angestellten von ICI über eine Sitzung vom 10. März 1982 versehentlich nicht mitgeteilt worden seien. Der letztgenannte Bericht sei jedoch nur eine Bestätigung eines Berichts über dieselbe Sitzung, der bei Hercules gefunden und der Klägerin mitgeteilt worden sei (Anlage 23 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte, im folgenden: gem. Bpkte., Anl.), und habe nur zur Identifizierung einer Tabelle gedient, die ebenfalls übermittelt worden sei (gem. Bpkte., Anl. 71).

36 Das Gericht stellt fest, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht die Schriftstücke als solche entscheidend sind, sondern die Schlußfolgerungen, die die Kommission daraus gezogen hat. Wenn diese Schriftstücke in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt worden sind, so kann das betroffene Unternehmen zu Recht davon ausgehen, daß sie für das Verfahren bedeutungslos sind. Teilt die Kommission einem Unternehmen nicht mit, daß gewisse Schriftstücke in der Entscheidung verwendet werden sollen, so hindert sie es daran, sich rechtzeitig zur Beweiskraft dieser Schriftstücke zu äussern. Diese Schriftstücke können deshalb nicht als gültige Beweismittel gegen das Unternehmen angesehen werden (Urteil vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG Telefunken/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 27, und zuletzt Urteil vom 3. Juli 1991 in der Rechtssache C-62/86, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1991, I-3339, Randnr. 21).

37 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, daß nur die Schriftstücke, die in den Mitteilungen der gemeinsamen oder der individuellen Beschwerdepunkte oder im Schreiben vom 29. März 1985 erwähnt oder die diesen ohne besondere Erwähnung als Anlagen beigefügt waren, der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens als Beweismittel entgegengehalten werden können. Die den Mitteilungen der Beschwerdepunkte als Anlagen beigefügten, dort aber nicht erwähnten Schriftstücke können in der Entscheidung nur dann gegen die Klägerin verwendet werden, wenn diese den Mitteilungen der Beschwerdepunkte bei vernünftiger Betrachtung entnehmen konnte, welche Schlüsse die Kommission daraus ziehen wollte.

38 Demnach können von den von der Klägerin genannten Schriftstücken nur folgende als Beweismittel gegen die Klägerin verwendet werden: die Preisinstruktionen einzelner Hersteller (Entscheidung, Randnrn. 25 und 88), die in den Punkten 58 und 75 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte erwähnt und dieser im übrigen als Anlagen 19, 42, 46, 50 und 52 und auch dem an die Kläger gerichteten Schreiben vom 29. März 1985 als Anlagen beigefügt worden sind; der interne Vermerk von ICI über "gutes Klima" (Entscheidung, Randnr. 46), der in Punkt 71 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte erwähnt und dieser im übrigen als Anlage 35 beigefügt worden ist; die bei ATO gefundenen Unterlagen (Entscheidung, Randnr. 70), die in den Punkten 94 und 102 der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte erwähnt und dieser im übrigen als Anlagen 60 und 72 beigefügt worden sind. Die übrigen von der Klägerin genannten Schriftstücke können der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht als Beweismittel entgegengehalten werden.

39 Die Frage, ob die letztgenannten Schriftstücke eine unerläßliche Stütze für die tatsächlichen Feststellungen bilden, die die Kommission in der Entscheidung zu Lasten der Klägerin getroffen hat, gehört zur Prüfung der Begründetheit dieser Feststellungen durch das Gericht.

2. Beweiswert der belastenden Schriftstücke

40 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe sich auf Gerüchte oder auf blosse Vermutungen und Unterstellungen oder nicht bestehende Erfahrungssätze gestützt. Die Sitzungsberichte seien keine Protokolle, die gebilligt und unterzeichnet worden seien, sondern lediglich Zusammenfassungen, die ihrem Verfasser Raum für Auslegung, Verzerrungen, Übertreibungen und Wunschdenken gelassen hätten. Der Beweiswert dieser Vermerke sei durch das unterschiedliche Marktverhalten der Unternehmen entkräftet.

41 Die Kommission macht geltend, daß sie mit ihrem gesamten Beweismaterial, das einen Zeitraum von sechseinhalb Jahren abdecke, die den Polypropylenherstellern vorgeworfene Zuwiderhandlung beweisen könne. Ihre Feststellungen beruhten auf Urkundenbeweisen, nicht aber auf Gerüchten oder Zeugenaussagen. Insbesondere bestehe kein Anlaß zu Zweifeln an der Richtigkeit und Verläßlichkeit der Sitzungsberichte.

42 Das Gericht stellt fest, daß die Sitzungsberichte von ICI inhaltlich durch verschiedene Unterlagen bestätigt werden, so etwa durch eine Reihe von Tabellen mit Zahlen über das Absatzvolumen einzelner Hersteller und durch Preisinstruktionen, die bezueglich der Höhe und des Inkrafttretens mit den in diesen Sitzungsberichten genannten Preiszielen übereinstimmen. Ebenso bestätigen die Antworten verschiedener Hersteller auf das Auskunftsverlangen, das die Kommission an sie richtete, in ihrer Gesamtheit den Inhalt dieser Sitzungsberichte.

43 Die Kommission konnte deshalb davon ausgehen, daß die bei ICI gefundenen Sitzungsberichte hinreichend objektiv den Inhalt der Sitzungen wiedergaben, die von verschiedenen Angestellten von ICI geleitet wurden, was diese um so mehr dazu zwang, die Angestellten von ICI, die an der einen oder anderen Sitzung nicht teilnahmen, über diese Sitzungen durch die Erstellung von Sitzungsberichten zutreffend zu unterrichten.

44 Unter diesen Umständen obliegt es der Klägerin, durch die Vorlage konkreter Beweismittel, z. B. der Aufzeichnungen ihrer Angestellten von den Sitzungen, an denen sie teilnahmen, oder durch deren Aussage als Zeugen, eine andere Erklärung für den Inhalt der Sitzungen zu geben, an denen sie beteiligt war. Die Klägerin hat in diesem Verfahren solche Beweismittel weder vorgelegt noch angeboten.

45 Im übrigen ist die Frage, ob die Kommission sich auf Gerüchte oder auf blosse Vermutungen und Unterstellungen oder nicht bestehende Erfahrungssätze gestützt hat, nicht von der Frage zu trennen, ob die tatsächlichen Feststellungen der Kommission in der Entscheidung von den von ihr vorgelegten Beweisen getragen werden. Da es sich dabei um eine Frage der Begründetheit handelt, die mit der Feststellung der Zuwiderhandlung zusammenhängt, ist sie später mit den anderen mit dieser Feststellung zusammenhängenden Fragen zu prüfen.

3. Unzureichende Akteneinsicht

46 Die Kägerin trägt vor, daß ihr nicht alle Unterlagen zugänglich gemacht worden seien, sondern nur solche, auf die die Kommission sich in den Beschwerdepunkten gestützt habe, d. h. also ausschließlich belastende Unterlagen. Ein faires Verfahren und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs seien nicht gewährleistet, wenn die Unternehmen nicht volle Akteneinsicht in alle be- und entlastenden Unterlagen erhielten. Dieser Mangel könne vor dem Gemeinschaftsrichter nicht geheilt werden.

47 In diesem Zusammenhang erklärt die Klägerin, ihr sei bekannt, daß sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, Randnr. 25) ein Recht auf volle Akteneinsicht für die Beteiligten am Verwaltungsverfahren nicht herleiten lasse. Dieses Recht sei aber in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft anerkannt und könne in den Rang eines allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsatzes erhoben werden (unter Hinweis auf Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag). Das Gericht werde somit gebeten, diese Rechtsprechung zu überprüfen.

48 Selbst nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung sei die Kommission unterhalb der von dieser Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen geblieben, da sie der Klägerin keine entlastenden Unterlagen zur Verfügung gestellt habe.

49 Die Kommission hält dem entgegen, sie sei nicht verpflichtet, den Beteiligten den gesamten Akteninhalt bekanntzumachen (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, a. a. O., Randnr. 25). Im vorliegenden Fall habe sie ausserdem - also über ihre Verpflichtungen hinaus - bei der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Übersendung ihres Schreibens vom 29. März 1985 sowie im Rahmen des Akteneinsichtsverfahrens Zugang zu allen in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen gewährt (soweit nicht die Beachtung des Geschäftsgeheimnisses dem entgegengestanden habe). Es sei somit zwecklos, daß die Klägerin den Gemeinschaftsrichter zu einer Änderung seiner Rechtsprechung in dieser Frage auffordere.

50 Im übrigen sei die Behauptung der Klägerin falsch, daß die Kommission ihr ausschließlich belastende Schriftstücke zugänglich gemacht, alle entlastenden Unterlagen aber für sich behalten habe. Die Klägerin habe ausserdem diesen schwerwiegenden Vorwurf durch kein einziges Schriftstück belegen können.

51 Das Gericht weist darauf hin, daß der Klägerin zur Wahrung der Verteidigungsrechte Gelegenheit gegeben werden musste, zur Gesamtheit der Vorwürfe, die die Kommission in den an sie gerichteten Mitteilungen der Beschwerdepunkte erhoben hat, und zu den zur Stützung dieser Vorwürfe herangezogenen und von der Kommission in ihren Mitteilungen der Beschwerdepunkte erwähnten oder diesen als Anlagen beigefügten Beweismittel in der von ihr für angemessen erachteten Weise Stellung zu nehmen (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7).

52 Dagegen erfordert es die Wahrung der Verteidigungsrechte nicht, daß einem von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben wird, alle in den Akten der Kommission enthaltenen Schriftstücke zu kommentieren, da es keine Vorschrift gibt, die die Kommission dazu verpflichtet, den betroffenen Beteiligten den Inhalt ihrer Akten bekanntzugeben (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, a. a. O., Randnr. 25).

53 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Kommission durch die Schaffung eines Verfahrens zur Akteneinsicht in Wettbewerbssachen sich selbst Regeln auferlegt hat, die über die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen hinausgehen. In diesen im Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik (S. 40 und 41) aufgestellten Regeln heisst es:

"[Die Kommission erteilt] den am Verfahren beteiligten Unternehmen Akteneinsicht. Um die Beteiligten über den Inhalt der Verfahrensakte zu informieren, wird ihnen zusammen mit den Beschwerdepunkten oder dem ihre Beschwerde ablehnenden Bescheid eine Liste aller Unterlagen übersandt, die zu dieser Akte gehören. Dabei gibt die Kommission an, in welche Unterlagen oder Teile von ihnen Einsicht gewährt werden kann. Die Unternehmen können die zugänglichen Unterlagen an Ort und Stelle einsehen. Wünscht ein Unternehmen nur wenige Geschäftsunterlagen einzusehen, so kann die Kommission ihm Abschriften übermitteln. Die nachstehenden Schriftstücke werden von der Kommission als vertraulich betrachtet und können folglich nicht eingesehen werden: Schriftstücke oder Teile davon, die Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen enthalten; interne Schriftstücke der Kommission wie Vermerke, Entwürfe und sonstige Arbeitspapiere; andere vertrauliche Angaben, wie solche zur Person von Beschwerdeführern, die ihre Identität nicht gegenüber Dritten preisgeben möchten, oder Auskünfte, die der Kommission mit der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung übermittelt wurden."

Von Regeln, die sie sich auf diese Weise selbst gegeben hat, kann die Kommission somit nicht abweichen (Urteile des Gerichtshofes vom 5. Juni 1973 in der Rechtssache 81/72, Kommission/Rat, Slg. 1973, 575, Randnr. 9, und vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 148/73, Louwage/Kommission, Slg. 1974, 81).

54 Die Kommission ist folglich verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

55 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission kategorisch bestreitet, daß ihre Dienststellen es unterlassen hätten, der Klägerin Schriftstücke mit möglicherweise entlastendem Inhalt zugänglich zu machen.

56 Gegenüber diesem Bestreiten der Kommission hat die Klägerin keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß die Dienststellen der Kommission der Klägerin die sie betreffenden Schriftstücke selektiv zugänglich gemacht hätte, um sie daran zu hindern, die von der Kommission zum Beweis ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung angeführten Beweismittel zu entkräften. Die Klägerin bezieht sich zwar auf Äusserungen des Berichterstatters der Kommission gegenüber dem Rechtsberater der Klägerin, doch hat sie weder bewiesen noch Beweis dafür angeboten, daß diese Äusserungen gefallen sind und die Bedeutung gehabt haben, die sie ihnen beimisst.

57 Die Rüge ist folglich zurückzuweisen.

4. Neue Vorwürfe

58 Die Klägerin trägt vor, die Entscheidung werfe den Unternehmen eine Beteiligung an einer "Rahmenvereinbarung" und an einer "einzigen fortdauernden Vereinbarung" vor. Damit stelle sie eine tatsächliche Behauptung auf und nehme zugleich eine rechtliche Subsumtion des Verstosses vor. Die Kommission habe im Verwaltungsverfahren zu keinem Zeitpunkt behauptet, daß die Unternehmen eine solche "Rahmenvereinbarung" geschlossen hätten oder daß die Klägerin an dem Abschluß einer solchen Vereinbarung beteiligt gewesen sei oder auch nur später davon erfahren hätte. Zur rechtlichen Subsumtion habe die Kommission im Verwaltungsverfahren unklare und widersprüchliche Erklärungen abgegeben.

59 Die Entscheidung stelle keineswegs eine "Ergänzung" oder eine "Neuordnung" der von der Kommission früher erhobenen Vorwürfe dar (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnrn. 91 bis 93, und vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Heintz Van Landewyck/Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 68), sondern einen einfachen Austausch der gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe oder gegebenenfalls einen Austausch der rechtlichen Begründung. Somit werde die Entscheidung auf Vorwürfe gestützt, zu denen die Klägerin sich nicht habe äussern können.

60 Die Kommission bestreitet, daß der Vorwurf einer Rahmenvereinbarung völlig neu und überraschend in der Entscheidung auftauche, da die Kommission schon in der Mitteilung der gemeinsamen Beschwerdepunkte (Punkte 128 und 132) von einer "fortdauernden und institutionalisierten Zusammenarbeit" gesprochen habe, womit die Existenz einer Rahmenvereinbarung bereits hinreichend deutlich umschrieben sei. Darüber hinaus habe die Kommission in ihrem Schreiben vom 29. März 1985 darauf hingewiesen, daß sie die Möglichkeit nicht ausschließe, daß "die vier grössten Hersteller eine Kernvereinbarung getroffen hatten" (S. 3) und, soweit es die übrigen Teilnehmer an den Sitzungen betreffe, die Vereinbarungen einen "so hinreichend detaillierten Plan dar[stellten], daß sie einer 'Vereinbarung' oder 'Vereinbarungen' im Sinne des Artikels 85 gleichkamen" (S. 4).

61 Das Gericht stellt fest, daß die von der Klägerin beanstandeten Stellen in der Entscheidung in ihrer Bedeutung mit dem Tenor der Vorwürfe übereinstimmen, die die Kommission gegen die Klägerin und die anderen Adressaten der Entscheidung in den an diese gerichteten Mitteilungen der Beschwerdepunkte erhoben hat.

62 Entgegen den Behauptungen der Klägerin wird nämlich in Randnummer 81 der Entscheidung nicht lediglich festgestellt, daß die betroffenen Unternehmen "an einer umfassenden Rahmenvereinbarung teilgenommen [haben], die in mehreren von Zeit zu Zeit abgesprochenen Einzelvereinbarungen ihren Niederschlag fand", und daß damit "eine einzige fortdauernde 'Vereinbarung' im Sinne des Artikels 85 Absatz 1" vorgelegen habe. Dem ersten dieser Sätze gehen vielmehr die Worte "Im vorliegenden Fall haben die Hersteller dadurch, daß sie sich zu dem gemeinsamen Plan verbunden haben, die Preise und den Absatz auf dem Polypropylenmarkt zu regeln..." voraus, während der zweite Satz mit den Worten eingeleitet wird "Die Kommission ist der Auffassung, daß die Gesamtheit der Regelungen und Absprachen, die im Rahmen eines regelmässigen, institutionalisierten Sitzungssystems beschlossen wurden...". Folglich kommt den Begriffen "umfassende Rahmenvereinbarung" oder "einzige und fortdauernde 'Vereinbarung' ", die in der Entscheidung gebraucht werden, keine andere Bedeutung als diejenige zu, den Umstand zum Ausdruck zu bringen, daß die Kommission den Adressaten der Entscheidung eine einzige Zuwiderhandlung zur Last gelegt hat, deren verschiedene Einzelakte einen Komplex integrierter Systeme von regelmässigen Sitzungen von Polypropylenherstellern zur Festsetzung von Preis- und Quotenzielen darstellten, der durch eine einzige wirtschaftliche Zielsetzung gekennzeichnet war, nämlich die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen.

63 Genau dies ist jedoch auch der Tenor der gesamten an die Klägerin und die anderen Adressaten der Entscheidung gerichteten gemeinsamen Beschwerdepunkte und insbesondere ihrer Punkte 1, 5, 128, 132 und 151 Buchstabe a. So lautet Punkt 1 wie folgt:

"Diese Mitteilung der Beschwerdepunkte betrifft die Anwendung von Artikel 85 (1) des EWG-Vertrags auf eine Vielzahl von Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, durch die von etwa 1977 bis Oktober 1983 die Erzeuger, die den grössten Teil des thermoplastischen Polypropylens für den Gemeinsamen Markt liefern, ihre Verkaufs- und Preispolitik fortgesetzt und regelmässig durch Festsetzung und Verwirklichung von 'Ziel' - und/oder Mindestpreisen, durch Kontrolle der an den Markt gelieferten Mengen mit Hilfe vereinbarter 'Zielmengen' und/oder Quoten und durch regelmässige Zusammenkünfte zur Überwachung der Realisierung der angeführten restriktiv wirkenden Vereinbarungen koordiniert haben."

Des weiteren wird in Punkt 132 letzter Satz folgendes festgestellt:

"Die Hersteller wollten nämlich tatsächlich den Markt kontrollieren und setzten an die Stelle des normalen Wettbewerbs eine fortgesetzte, institutionalisierte Zusammenarbeit auf höherer Ebene."

64 Dieser Tenor der der Klägerin und den anderen Adressaten der Entscheidung zur Last gelegten Beschwerdepunkte wird im übrigen durch das an sie gerichtete Schreiben vom 29. März 1985 bestätigt, in dem es auf Seite 4 heisst: "Diese Vereinbarungen stellten einen so hinreichend detaillierten Plan dar, daß sie einer 'Vereinbarung' oder 'Vereinbarungen' im Sinne des Artikels 85 gleichkamen, zumindest soweit es die an den Sitzungen beteiligten Hersteller betrifft."

65 Hieraus ist zu schließen, daß die Kommission die Argumentation, auf die sie die gegenüber den Unternehmen festgestellten Vorwürfe stützt, in der Entscheidung nur weiter ausgeführt und rechtlich verdeutlicht hat und daß sie daher die Klägerin nicht daran gehindert hat, vor Erlaß der Entscheidung zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

66 Zu Unrecht wirft die Klägerin daher der Kommission vor, sie habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, indem sie in der Entscheidung neue Vorwürfe gegen sie erhoben habe.

5. Keine Übermittlung der Niederschrift über die Anhörungen

67 Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, da unbestritten weder den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses noch den Mitgliedern der Kommission bei ihrer Entscheidung die Niederschriften über die Anhörungen in ihrer endgültigen Form vorgelegen hätten. Diese Organe hätten sich bei ihrer Meinungsbildung nur auf Entwürfe stützen können, die den Inhalt der Erklärungen der Unternehmen oft nur unvollkommen wiedergäben.

68 Was den Beratenden Ausschuß angehe, so sei das Argument der Kommission, daß die Mitgliedstaaten bei den Anhörungen vertreten gewesen seien, nicht haltbar: Erstens seien zwei Mitgliedstaaten bei einer Anhörung nicht vertreten gewesen; zweitens seien die bei den Anhörungen anwesenden Vertreter der Mitgliedstaaten nicht in allen Fällen mit den Vertretern der Mitgliedstaaten im Beratenden Ausschuß identisch; drittens müssten die Vertreter, selbst wenn es dieselben wären, sich vergewissern können, ob sie das Vorbringen der Unternehmen richtig im Gedächtnis behalten hätten.

69 Den Mitgliedern der Kommission sei es sehr schwer gemacht worden, das Vorbringen der Betroffenen in seinem einschlägigen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen, da sie gezwungen gewesen seien, den ursprünglichen Entwurf der Anhörungsniederschrift und die Änderungswünsche der Unternehmen nebeneinander zu lesen.

70 Die Kommission hält dem entgegen, daß Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268, nachstehend: Verordnung Nr. 99/63) weder Angaben über die Frist enthalte, in der die Niederschrift von den Unternehmen genehmigt werden müsse, noch über die Stellen, denen die vorläufige oder die endgültige Fassung der Niederschrift vorzulegen sei.

71 Ausserdem seien die von der Klägerin verlangten Änderungen an dem Entwurf der Niederschrift unwesentlicher Art gewesen, und die Entscheidung hätte nicht anders ausfallen können, wenn den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses und den Mitgliedern der Kommission die genehmigte Niederschrift vorgelegen hätte. Wenn ein Verfahrensverstoß vorläge, wäre er deshalb vom Gericht nicht zu prüfen (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 30/78, Distillers Company/Kommission, Slg. 1980, 2229, Randnr. 26).

72 Zwar hätten die Mitglieder des Beratenden Ausschusses nur über eine vorläufige Anhörungsniederschrift verfügt, doch seien bei den Anhörungen sämtliche Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Griechenland und Luxemburg, die bei der zweiten Sitzungsperiode abwesend gewesen seien, vertreten gewesen. Für die Behörden der Mitgliedstaaten sei die Niederschrift also nichts anderes als eine Art Gedächtnisstütze. Es sei insoweit ohne Belang, daß der bei den Anhörungen gegenwärtige Beamte von dem Mitglied im Beratenden Ausschuß verschieden sei.

73 Die Mitglieder der Kommission hätten nicht nur über die vorläufige Anhörungsniederschrift, sondern auch über die Bemerkungen der Unternehmen dazu verfügt.

74 Das Gericht stellt fest, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Umstand, daß dem Beratenden Ausschuß und der Kommission eine vorläufige Anhörungsniederschrift vorgelegen hat, nur dann einen Fehler des Verwaltungsverfahrens darstellen kann, der die Rechtswidrigkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung nach sich ziehen könnte, wenn die Fassung dieser Niederschrift für ihre Adressaten irreführend gewesen wäre (Urteil vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 44/69, Buchler/Kommission, Slg. 1970, 733, Randnr. 17).

75 Zu der der Kommission vorgelegten Niederschrift ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission mit der vorläufigen Niederschrift die Bemerkungen und Stellungnahmen der Unternehmen zu dieser Niederschrift erhalten hat und daß daher davon auszugehen ist, daß die Mitglieder der Kommission vor Erlaß der Entscheidung über alle erheblichen Umstände informiert waren.

76 Zu der dem Beratenden Ausschuß zugeleiteten vorläufigen Niederschrift ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nicht dargelegt hat, inwiefern diese Niederschrift den Inhalt der Anhörungen nicht korrekt und genau wiedergeben soll, und daß sie daher nicht nachgewiesen hat, daß dieses Schriftstück so abgefasst war, daß es die Mitglieder des Beratenden Ausschusses in einem wesentlichen Punkt irregeführt hat.

77 Die Rüge ist folglich zurückzuweisen.

6. Keine Übermittlung des Berichts des Anhörungsbeauftragten

78 Die Klägerin macht geltend, daß ihr der Bericht des Anhörungsbeauftragten nicht übermittelt worden sei, obwohl sie an die Kommission einen entsprechenden Antrag gerichtet habe, so daß sie nicht wissen könne, ob der Beauftragte in seinem Bericht belastende Umstände niedergelegt habe, die sich nicht aus der Anhörungsniederschrift selbst ergäben. Ihr sei aufgrund dessen ebenfalls unbekannt, ob die Kommission davon Kenntnis genommen und etwa entlastende Ausführungen des Anhörungsbeauftragten verwertet habe. Das Gericht habe der Kommission die Vorlage dieses Berichts aufzugeben.

79 Nach Ansicht der Kommission geht aus dem Mandat des Anhörungsbeauftragten hervor, daß er in bedeutsamer Weise zur internen Willensbildung der Kommission beitrage; die Unternehmen hätten kein Recht, an diesem Prozeß beteiligt zu werden. Es gebe keine Vorschrift, die eine Mitteilung des Berichts des Anhörungsbeauftragten vorsehe. Die Offenheit und Unabhängigkeit des Anhörungsbeauftragten würden beeinträchtigt, wenn sein Bericht zugänglich gemacht werden müsste. Im übrigen habe der Gerichtshof einem Antrag von ICI, die Vorlage dieses Berichts anzuordnen, nicht stattgegeben (Beschluß vom 11. Dezember 1986 in der Rechtssache 212/86 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 5 bis 8).

80 Die einschlägigen Bestimmungen über das Mandat des Anhörungsbeauftragten im Anhang des Dreizehnten Berichts über die Wettbewerbspolitik lauten wie folgt:

"Artikel 2

Der Anhörungsbeauftragte hat die Aufgabe, für einen geregelten Ablauf der Anhörung Sorge zu tragen und dadurch zur Objektivität sowohl der Anhörung als auch der späteren Entscheidung beizutragen. Er wacht insbesondere darüber, daß alle für die Beurteilung des Falles erheblichen Umstände tatsächlicher Art, gleichgültig, ob sie für die Beteiligten günstig oder ungünstig sind, bei der Ausarbeitung von Entwürfen zu kartellrechtlichen Entscheidungen der Kommission angemessen berücksichtigt werden. Bei der Ausübung seiner Tätigkeit achtet der Anhörungsbeauftragte darauf, daß die Rechte der Verteidigung gewahrt bleiben; er berücksichtigt dabei zugleich die Notwendigkeit, die Wettbewerbsregeln in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften und den vom Gerichtshof entwickelten Rechtsgrundsätzen in wirksamer Weise anzuwenden.

Artikel 5 FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0015.1

Der Anhörungsbeauftragte berichtet dem Generaldirektor für Wettbewerb über den Ablauf der Anhörung und über die Schlußfolgerungen, die er aus ihr zieht. Er äussert sich zu dem weiteren Verlauf des Verfahrens; dabei kann er die Einholung von weiteren Auskünften, den Verzicht auf bestimmte Beschwerdepunkte oder die Mitteilung zusätzlicher Beschwerdepunkte anregen.

Artikel 6

Zur Erfuellung der ihm in Artikel 2 übertragenen Aufgaben kann der Anhörungsbeauftragte seine Bemerkungen unmittelbar dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission vortragen, sobald diesem der für den Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen bestimmte Entscheidungsentwurf unterbreitet worden ist.

Artikel 7

Um zu gewährleisten, daß die Kommission über alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles unterrichtet ist, bevor sie ihre Entscheidung trifft, kann das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission auf Antrag des Anhörungsbeauftragten anordnen, daß dessen abschließende Stellungnahme dem Entscheidungsentwurf beigefügt wird."

81 Schon aus dem Wortlaut der Bestimmungen über das Mandat des Anhörungsbeauftragten ergibt sich, daß der Bericht des Anhörungsbeauftragten weder dem Beratenden Ausschuß noch der Kommission übermittelt werden muß. So sieht keine Bestimmung die Zuleitung dieses Berichts an den Beratenden Ausschuß vor. Zwar muß der Anhörungsbeauftragte dem Generaldirektor für Wettbewerb berichten (Artikel 5) und kann seine Bemerkungen unmittelbar dem für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglied der Kommission vortragen (Artikel 6), das auf Antrag des Anhörungsbeauftragten anordnen kann, daß dessen abschließende Stellungnahme dem Entscheidungsentwurf beigefügt wird (Artikel 7), doch gibt es keine Bestimmung, die den Anhörungsbeauftragten, den Generaldirektor für Wettbewerb oder das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission verpflichtet, der Kommission den Bericht des Anhörungsbeauftragten zu übermitteln.

82 Die Klägerin kann sich daher nicht darauf berufen, daß der Bericht des Anhörungsbeauftragten nicht den Mitgliedern des Beratenden Ausschusses oder den Mitgliedern der Kommission übermittelt worden ist.

83 Nach Auffassung des Gerichts verlangt es die Wahrung der Verteidigungsrechte im übrigen nicht, daß die von einem Verfahren nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Möglichkeit haben, den Bericht des Anhörungsbeauftragten, der ein rein internes Schriftstück der Kommission ist, zu kommentieren. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, daß dieser Bericht für die Kommission den Wert eines Gutachtens hat, daß sie in keiner Weise an ihn gebunden ist und daß der Bericht deshalb kein entscheidender Faktor ist, den der Gemeinschaftsrichter bei seiner Prüfung zu berücksichtigen hätte (bereits genannter Beschluß vom 11. Dezember 1976 in der Rechtssache 212/86 R, Randnrn. 5 bis 8). Die Wahrung der Verteidigungsrechte ist nämlich rechtlich hinreichend sichergestellt, wenn die bei der Ausarbeitung der endgültigen Entscheidung zusammenwirkenden Stellen korrekt über die Argumentation der Unternehmen informiert worden sind, die diese in Beantwortung der ihnen von der Kommission mitgeteilten Beschwerdepunkte und gegenüber den von der Kommission zur Erhärtung dieser Beschwerdepunkte vorgelegten Beweismitteln vorgetragen haben (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, a. a. O., Randnr. 7).

84 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß der Bericht des Anhörungsbeauftragen nicht dem Zweck dient, das Vorbringen der Unternehmen zu ergänzen oder zu korrigieren, neue Beschwerdepunkte zu formulieren oder neue Beweismittel gegen die Unternehmen zu liefern.

85 Folglich können die Unternehmen aus dem Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte keinen Anspruch darauf ableiten, daß ihnen der Bericht des Anhörungsbeauftragten zur Kommentierung übermittelt wird (siehe Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 43/82 und 63/82, a. a. O., Randnr. 25).

86 Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

Zur Feststellung der Zuwiderhandlung

87 Nach Randnummer 80 Absatz 1 der Entscheidung haben sich die Polypropylenhersteller, die die Gemeinschaft beliefern, seit 1977 an einer ganzen Reihe von Plänen, Absprachen und Maßnahmen beteiligt, die im Rahmen eines Systems regelmässiger Sitzungen und ständiger Kontakte beschlossen worden seien. Der allgemeine Plan der Hersteller sei es gewesen, sich über spezifische Angelegenheiten zu einigen (Entscheidung, Randnr. 80 Absatz 2).

88 Unter diesen Umständen ist zunächst zu prüfen, ob der Kommission rechtlich der Beweis für ihre tatsächlichen Feststellungen betreffend die Sitzung eines Fachverbands der Kunden, der European Association for Textile Polyolefins (nachstehend: EATP) vom 22. November 1977 (A), das System der regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller (B), die Preisinitiativen (C), die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen (D) und die Festsetzung von Absatzzielen und Quoten (E) gelungen ist; dabei sind jeweils zunächst die angefochtene Handlung (a) und das Vorbringen der Parteien (b) darzulegen und sodann zu würdigen (c). Danach ist die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag auf diese Tatsachen zu überprüfen.

1. Die tatsächlichen Feststellungen

A - Die EATP-Sitzung vom 22. November 1977

a) Angefochtene Handlung

89 Die Entscheidung (Randnrn. 17 Absatz 4, 78 Absatz 3 und 104 Absatz 2) wirft der Klägerin vor, ebenso wie Hercules, Hoechst, ICI, Rhône-Poulenc, Saga und Solvay erklärt zu haben, die Ankündigung von Monte in einem Bericht der Fachpresse (European Chemical News, nachstehend: ECN) vom 18. November 1977, den Raffiapreis auf 1,30 DM/kg ab dem 1. Dezember anzuheben, zu unterstützen. Aus den bei dem EATP-Treffen vom 22. November 1977 abgegebenen verschiedenen Erklärungen ergebe sich laut Sitzungsprotokoll, daß der von Monte festgesetzte Preis von 1,30 DM/kg von den anderen Herstellern als allgemeiner "Zielpreis" angenommen worden sei.

90 Nach Randnummer 16 Absätze 1 und 2 der Entscheidung ist die Unterstützung unter dem Eindruck der Gespräche erklärt worden, die die Hersteller miteinander aufgenommen hätten, um einen Preisverfall bei Polypropylen und damit verbundene Verluste zu vermeiden. Als Folge dieser Gespräche hätten die Haupthersteller, Monte, Hoechst, ICI und Shell, eine "Mindestpreisvereinbarung" ("floor price agreement") getroffen, die am 1. August 1977 habe in Kraft treten sollen und deren Einzelheiten anderen Herstellern, darunter auch Hercules, mitgeteilt worden seien.

91 In Randnummer 16 Absätze 5 und 6 der Entscheidung heisst es darüber hinaus, daß ICI und Shell einräumten, daß es Kontakte mit anderen Herstellern gegeben habe, um zu prüfen, wie dem Preisverfall habe Einhalt geboten werden können. Die Kommission räumt jedoch ein, daß mit Ausnahme der "grossen Vier" (Hoechst, ICI, Monte und Shell), Hercules und Solvay die Identität der anderen seinerzeit an den Gesprächen beteiligten Hersteller nicht habe festgestellt werden können und Einzelheiten der Handhabung der "Mindestpreisvereinbarung" sich nicht hätten ermitteln lassen.

92 Nach Randnummer 17 Absatz 1 der Entscheidung begannen die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller etwa zum Zeitpunkt der Ankündigung von Monte, ihre Preise zu erhöhen. ICI habe aber selbst eingeräumt, daß es schon davor zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sei, vermutlich auf telefonischem Wege und auf einer "Ad-hoc-Basis".

b) Vorbringen der Parteien

93 Die Klägerin macht geltend, die Kommission könne den Bericht über die EATP-Sitzung vom 22. November 1977 (gem. Bpkte., Anl. 6) nicht als Beweis dafür heranziehen, daß Ende 1977 ein Preiskartell bestanden habe. Dieses Schriftstück lasse nämlich nur die Feststellung zu, daß weder der Preis von 1,30 DM/kg noch das von der Kommission bei der Wiedergabe in Anführungszeichen gesetzte Wort "Zielpreis" in dieser Niederschrift vorkämen. Keine der Ausführungen der Teilnehmer an dieser Sitzung lieferten auch nur den leisesten Anhaltspunkt für eine vorherige Fühlungnahme zwischen den Herstellern. Bei der Zusammenarbeit, von der die Rede sei, handele es sich eindeutig um die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Abnehmern.

94 Die Erklärung des Vertreters der Klägerin besage eindeutig, daß er erst am Vortage von Montes Absicht einer Preiserhöhung erfahren habe, daß er den genauen Betrag noch nicht kenne und daß die Klägerin in Anbetracht der verheerenden Ertragslage gezwungen sei, der Preiserhöhung des Marktführers zu folgen.

95 Dem Bericht über die EATP-Sitzung lasse sich nicht entnehmen, daß eine Abstimmung über eine Preiserhöhung stattgefunden habe, da diese von Monte bereits öffentlich angekündigt gewesen sei. Der Umstand, daß die Hersteller gleichlautende Erklärungen über die Markttrends abgegeben hätten, könne nicht als Beweis für eine Absprache angesehen werden, da die Trends für alle Hersteller dieselben gewesen seien.

96 Die Kommission führt aus, ihre Feststellung, daß sich die Klägerin an dem Kartell seit November 1977 beteiligt habe, stütze sich darauf, daß die Klägerin die von Monte öffentlich angekündigte Initiative zur Anhebung der Preise ab Dezember 1977 unterstützt habe. Diese Initiative und die Unterstützung, die sie gefunden habe, seien eine abgestimmte Aktion und kein auf Zufall oder auf den Marktkräften beruhendes Parallelverhalten gewesen. Der Bericht über die EATP-Sitzung vom 22. November 1977 belege nämlich, daß die von Monte angekündigte Festsetzung des Raffia-Preises auf 1,30 DM/kg bereits vorher als gemeinsamer Zielpreis akzeptiert worden sei, da Linz laut diesem Bericht erklärt habe:

"Just yesterday we learnt that one of the important European polymer PP suppliers had already announced in the European Chemical News an increase in his PP polymer prices as from 1st December. At the present time, I do not know exactly how much his price increase will be, but I am hoping this price increase can and will be accepted by his customers. CHEMIE LINZ will have to follow these new prices to be in a better position to give all their customers in all applications all the supplies they require, including help in developing new and additional applications for PP polymers."

("Gerade gestern erfuhren wir, daß einer der grossen europäischen Lieferanten von PP Polymeren bereits in den European Chemical News eine Anhebung seiner Preise für PP Polymere ab 1. Dezember angekündigt hatte. Im Augenblick weiß ich nicht genau, um wieviel der Preis steigen wird, doch hoffe ich, daß diese Preisanhebung von seinen Kunden akzeptiert werden kann und wird. CHEMIE LINZ wird sich diesen neuen Preisen anschließen müssen, um den gesamten Bedarf ihrer Kunden an allen Sorten besser decken und ihnen bei der Entwicklung neuer und zusätzlicher Verwendungsmöglichkeiten für PP Polymere behilflich sein zu können.")

97 Berücksichtige man ausserdem den Umstand, daß die ersten Kontakte zwischen den Herstellern zum Zeitpunkt dieser öffentlichen Ankündigung bereits geknüpft gewesen seien, sei es nicht glaubwürdig, daß die Klägerin sich dieser Initiative ohne vorherige Kontakte angeschlossen habe.

98 Als - mittelbaren - Beweis für ihre Behauptung, daß es vor der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 zu Kontakten zwischen Herstellern gekommen sein müsse, verweist die Kommission auf einen Vermerk (gem. Bpkte., Anl. 2) über ein Telefongespräch zwischen einem Angestellten von Hercules und einem Angestellten der "grossen Vier", denn was für Hercules gelte, gelte entsprechend für alle anderen (und damit die Klägerin).

99 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ausgeführt, daß die Hersteller mit ihren jeweils gleichförmigen Erklärungen in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 bezweckt hätten, gegen ihre Kunden eine gemeinsame Front aufzubauen und sie von der Unvermeidbarkeit einer Preisanhebung in der von Monte angekündigten Grössenordnung zu überzeugen.

c) Würdigung durch das Gericht

100 Das Gericht stellt fest, daß die Erklärungen der Klägerin in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 (gem. Bpkte., Anl. 6) zum einen eine allgemeine Unterstützung der von Monte in die Wege geleiteten Preiserhöhungspolitik zum Ausdruck brachten und zum anderen ein für ihre Wettbewerber bestimmter klarer Hinweis auf das Marktverhalten waren, zu dem sie sich entschlossen hatte. Diese Feststellungen werden durch den Bericht über die folgende EATP-Sitzung vom 26. Mai 1978 (gem. Bpkte., Anl. 7), an der die Klägerin nicht teilnahm, bestätigt, in dem wiedergegeben wird, wie die einzelnen Hersteller die nach der Sitzung vom 22. November 1977 erzielten Marktergebnisse beurteilten. Das Eingeständnis der Kommission in der mündlichen Verhandlung, daß sie abgesehen von der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 nicht über unmittelbare Beweise für Kontakte zwischen der Klägerin und den anderen Herstellern verfüge, kann diese Feststellungen nicht erschüttern.

101 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin gegenüber ihren Wettbewerbern ihre allgemeine Unterstützung der von Monte in die Wege geleiteten Preiserhöhungspolitik zum Ausdruck gebracht (Entscheidung, Randnrn. 17 Absatz 4 Satz 1 und 78 Absatz 3 Satz 2) und ihnen einen klaren Hinweis auf das Marktverhalten, zu dem sie sich entschlossen hatte, gegeben hat.

B - Das System der regelmässigen Sitzungen

a) Angefochtene Handlung

102 Nach Randnummer 18 Absatz 1 der Entscheidung haben im Jahr 1978 zwischen den für die Gesamtausrichtung der Polypropylenaktivitäten einiger Hersteller zuständigen Topmanagern ("Chefs") mindestens sechs Sitzungen stattgefunden. Dieses System sei schon bald durch Sitzungen leitender Angestellte einer niedrigeren Führungsebene mit gründlichen Vertriebskenntnissen ("Experten") ergänzt worden (hierzu wird auf die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 Bezug genommen, gem. Bpkte., Anl. 8). In der Entscheidung wird der Klägerin vorgeworfen, an diesen Sitzungen regelmässig bis mindestens Ende September 1983 teilgenommen zu haben (Randnr. 105 Absatz 4).

103 Laut Randnummer 21 der Entscheidung waren Zweck dieser regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und Verkaufsmengenzielen sowie die Kontrolle ihrer Einhaltung durch die Hersteller.

b) Vorbringen der Parteien

104 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe ihre Beteiligung an einer Rahmenvereinbarung über ein institutionalisiertes System regelmässiger Sitzungen während des gesamten Zeitraums nicht nachgewiesen, da sie nicht bewiesen habe, daß die Polypropylenhersteller sich 1977 durch gegenseitige übereinstimmende Willenserklärungen darauf geeinigt hätten, sich regelmässig zu treffen, um die Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen. Die Kommission räume selbst ein, daß die Sitzungen der Polypropylenhersteller erst im Laufe der Zeit immer stärker strukturiert worden seien (Entscheidung, Randnr. 18).

105 Erst von 1982 an hätten die Sitzungen einigermassen regelmässig stattgefunden. Daraus lasse sich nicht herleiten, daß fünf Jahre vorher ein System von Sitzungen vereinbart worden sei. In Wirklichkeit habe es sich um informelle Treffen gehandelt.

106 Jedenfalls sei die Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen erst ab Anfang 1981 belegt. Die Klägerin habe deshalb an dieser angeblichen Rahmenvereinbarung nicht beteiligt sein können, deren Existenz erstmals in der Entscheidung behauptet worden sei.

107 Die Klägerin könne nicht mehr feststellen, wann sie zum ersten Mal an den Herstellersitzungen teilgenommen habe. Sie habe nicht von Anfang an daran teilgenommen, und ihre Teilnahme an einer Sitzung sei erstmals für Anfang 1981 belegt (gem. Bpkte., Anl. 17). Deshalb könnten ihr vor diesem Zeitpunkt liegende Vorgänge nicht zugerechnet werden.

108 Bei den Zusammenkünften sei die Marktsituation umfassend nur mit dem Ziel erörtert worden, Informationen zu sammeln. Dabei sei über die Preise und über die Verkaufsmengen der einzelnen Teilnehmer sowie über ihre Zielvorstellungen für die Zukunft gesprochen worden.

109 Angesichts der Marktsituation hätten alle Anbieter ein erhebliches Interesse an weitgehender Markttransparenz gehabt. Dieses Informationsbedürfnis habe sich in besonderem Masse für die Klägerin gestellt, die aus einem Drittstaat auf einen ihr weitgehend unbekannten Markt gekommen sei. Sie sei darauf angewiesen gewesen, so viele Marktinformationen wie möglich zu sammeln und sich insbesondere an den Erörterungen der Marktlage durch die Hersteller zu beteiligen. Wenn sie an den Sitzungen teilgenommen habe, so also nur, um ihre Wettbewerber nicht unbeobachtet zu lassen und um wertvolle Erkenntnisse über den Markt zu gewinnen.

110 Es seien keine rechtlich oder moralisch verbindlichen Zusagen für ein bestimmtes Marktverhalten von den Beteiligten erwartet oder abgegeben worden. Den Beweis dafür sieht die Klägerin darin, daß, obwohl die angeblich angestrebten Ziele nicht erreicht worden seien, die Kommission keinen einzigen Fall benennen könne, in dem einem Teilnehmer von den anderen Vorhaltungen gemacht worden wären, sich nicht an abgegebene Erklärungen gehalten zu haben.

111 Die Klägerin habe über ihr Marktverhalten somit jeweils autonom entschieden; das bei den Preisinstruktionen an die Verkaufsabteilungen auch die Informationen verwertet worden seien, die man auf den Sitzungen gesammelt habe, verstehe sich von selbst. Sie seien ebenso verwertet worden wie alle anderen Informationen, die man durch Beobachtung des Marktes oder aus der Fachpresse gewonnen habe.

112 Die Kommission trägt vor, die Klägerin habe schon im November 1977 an Preisinitiativen teilgenommen; ICI habe in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) angegeben, daß die Hersteller sich erstmals im Dezember 1977 getroffen hätten, um ihre Marktstrategien miteinander abzusprechen, und daß vereinbart worden sei, weitere Sitzungen zu veranstalten, zunächst auf einer Ad-hoc-Basis, später in stärker strukturierter Form.

113 Die Rahmenvereinbarung habe ihren Niederschlag in der Absprache über ein institutionalisiertes Sitzungssystem zur Besprechung der Marktstrategien der einzelnen Hersteller gefunden. Diese Vereinbarung sei jeweils durch Einzelvereinbarungen über konkrete Preismaßnahmen sowie gegebenenfalls durch Quotenvereinbarungen und Absprachen über die "account leadership" ergänzt worden.

114 Die Kommission bestreitet, daß die Klägerin erst seit 1981 an den Sitzungen teilgenommen habe. Sie stützt sich dabei auf zwei Beweise. Zum einen handele es sich um die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen. Dort werde die Klägerin (im Gegensatz etwa zu Anic und Rhône-Poulenc, die laut ICI nur eine bestimmte Zeit lang an den Sitzungen teilgenommen hätten, und im Gegensatz zu Hercules, die nur gelegentlich teilgenommen habe) ohne zeitliche Einschränkung als regelmässige Teilnehmerin an den Sitzungen bezeichnet, deren Beginn in den Dezember 1977 zurückreiche. Zum anderen handele es sich um eine nicht datierte Tabelle mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropas") (gem. Bpkte., Anl. 55), die bei ICI gefunden worden sei und die für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 ausweise und unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979") und "revised target" ("revidierte Ziele") weitere Zahlen enthalte. Da diese Tabelle Informationen enthalte, die streng als Geschäftsgeheimnisse gehütet werden müssten, hätte sie nicht ohne Beteiligung der Klägerin erstellt werden können.

115 Auch wenn die regelmässigen Sitzungsteilnehmer gelegentlich abwesend gewesen seien, seien sie wegen des fortgesetzten Charakters der Preisabsprachen und aufgrund der Tatsache, daß sich die Preisinitiativen in der Regel über mehrere Monate erstreckt hätten, trotzdem als an dem Gesamtkomplex der Vereinbarungen Beteiligte anzusehen.

116 Bezueglich des Zwecks der Sitzungen bestreitet sie, daß sie nur einem Informationsaustausch gedient hätten und daß weder die Klägerin noch die anderen Hersteller die Absicht gehabt hätten, ihr Marktverhalten nach den gefassten Beschlüssen zu richten. In Wirklichkeit hätten die Hersteller die Sitzungsbeschlüsse mit ihren regelmässigen Preisinitiativen ausgeführt, was ihren Bindungswillen hinlänglich verdeutliche, der auch in den zahlreichen Sitzungsberichten zum Ausdruck gebracht worden sei.

117 Im Falle der Klägerin habe eine in ihrer Münchner Filiale gefundene Notiz (gem. Bpkte., Anl. 21) unzweideutig erkennen lassen, welche Erwartungen sie an die regelmässigen Kontakte mit den anderen Herstellern geknüpft habe. Im übrigen wäre es unverständlich, daß die Unternehmen sich jahrelang regelmässig getroffen hätten und genaue Berechnungen bis auf die letzte Stelle nach dem Komma in allen wichtigen europäischen Währungen angestellt hätten, wenn es nur darum gegangen wäre, Informationen ohne den geringsten Grad an Verläßlichkeit auszutauschen, ohne Verpflichtungen einzugehen.

118 Schließlich sei die Behauptung der Klägerin, es habe keine Kritik an Sitzungsteilnehmern gegeben, die die vereinbarten Ziele nicht durchgesetzt hätten, durch zahlreiche Beweise widerlegt, so z. B. durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen oder durch verschiedene Sitzungsberichte, in denen Kritik zum Ausdruck komme, etwa die Berichte über die Sitzungen vom 21. September und 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 30 und 33), oder durch einen Vermerk von ICI aus dem Jahre 1981 (gem. Bpkte., Anl. 64), in dem auf die Notwendigkeit hingewiesen werde, auf einige Hersteller Druck auszuüben.

c) Würdigung durch das Gericht

119 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin in der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) im Unterschied zu zwei anderen Herstellern ohne zeitliche Einschränkung zu den regelmässigen Teilnehmern an den "Chef"- und "Experten"-Sitzungen gezählt wird. Diese Antwort ist dahin auszulegen, daß die Klägerin an den Sitzungen seit dem Beginn des Systems der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen teilgenommen hat, das Ende 1978 oder Anfang 1979 eingeführt worden ist.

120 Die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen wird in diesem Punkt dadurch bestätigt, daß in verschiedenen bei ICI und ATO gefundenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61) neben dem Namen der Klägerin deren Verkaufszahlen für verschiedene Monate und Jahre aufgeführt sind. Die meisten Klägerinnen haben in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts aber eingeräumt, daß es nicht möglich gewesen wäre, die bei ICI, ATO und Hercules entdeckten Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des Informationsaustauschsystems Fides zu erstellen. In ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen hat ICI im übrigen zu einer dieser Tabellen erklärt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Im übrigen hat die Klägerin im Verfahren vor dem Gericht, nachdem ihr diese gewichtigen Indizien vorgehalten worden sind, ihre Anwesenheit bei den von ihr nicht geleugneten Sitzungen niemals substantiiert bestritten.

121 Zu der Frage, ob die Klägerin an den Sitzungen des Jahres 1978 teilgenommen hat, weist das Gericht darauf hin, daß sich der gegen sie erhobene Vorwurf, daran teilgenommen zu haben, aus Randnummer 18 der Entscheidung in Verbindung mit den an sie gerichteten individuellen Beschwerdepunkten ergibt.

122 Dazu hat die Klägerin in ihrer Klageschrift vorgetragen, daß "für 1978 zwar sechs Sitzungen behauptet werden, jedoch ohne Angabe des Ortes, Zeitpunktes, der Teilnehmer, des Besprechungsinhalts oder irgendeines Beweismittels für solche Sitzungen. Der Klägerin ist von solchen Sitzungen nichts bekannt."

123 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin, statt ihre Teilnahme an den Sitzungen zwischen 1978 und 1982 zu bestreiten, behauptet, die Kommission habe bezueglich der Abhaltung und des Gegenstands der Sitzungen keine Beweise.

124 Die Abhaltung von Herstellersitzungen im Jahre 1978 wird aber belegt durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, wo es heisst: "During the first year (1978) about six 'ad hoc' meetings took place at about two monthly intervals between the Senior Managers responsible for the polypropylene busineß of some producers." ("Im ersten Jahr (1978) fanden etwa sechs Ad-hoc-Sitzungen jeweils im Abstand von etwa zwei Monaten zwischen den für das Polypropylengeschäft zuständigen Topmanagern einiger Hersteller statt.") Aus der Antwort von ICI ergibt sich weiter, daß diese Sitzungen ungefähr im Dezember 1977 begonnen haben: "Because of the problems facing the polypropylene industry..., a group of producers met in about December 1977 to discuß what, if any, measures could be pursüd in order to reduce the burden of the inevitable heavy losses about to be incurred by them." ("Wegen der Probleme für die Polypropylenindustrie... traf sich eine Gruppe von Herstellern etwa im Dezember 1977, um zu erörtern, ob und wenn ja welche Maßnahmen getroffen werden könnten, um die Last der ihnen unvermeidlich bevorstehenden schweren Verluste zu reduzieren.") Dieser Zeitpunkt liegt unmittelbar nach der EATP-Sitzung vom 22. November 1977, an der die Klägerin teilnahm.

125 Auch angesichts dieses Beweismittels hat die Klägerin ihre Teilnahme an diesen Sitzungen nicht bestritten, sondern in ihrer Erwiderung ausgeführt:

"Die Richtigkeit dieser Angaben [in der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen] einmal unterstellt, erlauben sie nicht den Schluß, daß von Anfang an eine umfassende Rahmenvereinbarung vorgelegen hat..."

126 Das Gericht stellt fest, daß die Sitzungen des Jahres 1978 und der folgenden Jahre darüber hinaus demselben Zweck wie die EATP-Sitzungen dienten, nämlich der Erörterung von Maßnahmen zur Begrenzung der Verluste der Polypropylenhersteller. So heisst es in der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen:

"It was felt to be essential for producers to consider appropriate means of alleviating this impending crisis which could, unleß controlled in some way, lead eventually to the collapse of the polypropylene industry. It was proposed that future meetings of those producers who wished to attend should be called on an 'ad hoc' basis in order to exchange and develop ideas to tackle these problems [...]. Generally speaking however, the concept of recommending 'Target Prices' was developed during the early meetings which took place in 1978...".

("Es wurde als entscheidend angesehen, daß die Hersteller angemessene Maßnahmen ins Auge fassten, um diese drohende Krise abzumildern, die, wenn sie nicht irgendwie unter Kontrolle gehalten würde, unter Umständen zum Zusammenbruch der Polypropylenindustrie führen könnte. Es wurde vorgeschlagen, in Zukunft Sitzungen der teilnahmewilligen Hersteller auf einer Ad-hoc-Basis einzuberufen, um Ideen zur Bewältigung dieser Probleme auszutauschen und zu entwickeln... Allgemein wurde aber der Plan, 'Zielpreise' zu empfehlen, in den ersten Sitzungen entwickelt, die 1978 stattfanden...")

127 In der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 wiesen die einzelnen Hersteller jedoch darauf hin, daß die Preise zu niedrig seien und sie dies nicht ewig hinnehmen könnten, wobei die Klägerin erklärte:

"We are sure that you all know the current low PP price level and we do hope also that you know that such a price level is far below the level needed to break even. There has been no reasonable return for PP polymer producers for too long a period and we at CHEMIE LINZ do not and cannot believe that Polymer manufacturers can and will accept such an extremely low price level any longer".

("Sicherlich ist Ihnen das derzeitige niedrige Preisniveau bei PP bekannt; wir glauben auch, daß Sie wissen, daß solch ein Preisniveau weit unter dem liegt, das zur Deckung der Kosten erforderlich wäre. Für die Hersteller von PP Polymeren hat es schon seit zu langem keinen angemessenen Gewinn gegeben und wir von CHEMIE LINZ glauben nicht und können auch nicht glauben, daß die Polymerhersteller ein so extrem niedriges Preisniveau noch länger akzeptieren werden.")

Die Hersteller betonten ferner die Notwendigkeit, die Preise zu erhöhen, und unterstützten die Ankündigung von Monte, ihre Preise anzuheben.

128 Somit stellten die Sitzungen des Jahres 1978 und der folgenden Jahre für die Hersteller die Weiterführung ihrer Erklärungen in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 dar.

129 Im übrigen zeigt die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, daß diese Sitzungen der Ausgangspunkt für das System der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen waren, an denen die Klägerin sowohl in bezug auf die Organisation als auch in bezug auf die Thematik ab Ende 1978 oder Anfang 1979 beteiligt war. In der Antwort von ICI heisst es nämlich:

"By late 1978/early 1979 it was determined that the 'ad hoc' meetings of Senior Managers [' Bosses' ] [of 1978] should be supplemented by meetings of lower level managers with more marketing knowledge [' Experts' ]."

("Ende 1978/Anfang 1979 wurde beschlossen, die Ad-hoc-Sitzungen der Senior-Manager [' Chefs' ] [von 1978] durch Sitzungen von rangniedrigeren Managern mit mehr Marketingkenntnis [' Experten' ] zu ergänzen.")

Wie bereits festgestellt, wurde zudem der Plan, Zielpreise zu empfehlen, der im Rahmen der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen in die Tat umgesetzt wurde, in den Sitzungen des Jahres 1978 entwickelt.

130 Das Gericht stellt folglich fest, daß die Kommission die Klägerin aufgrund ihrer Teilnahme an der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 und an dem System der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen zu Recht als Teilnehmerin an den Sitzungen des Jahres 1978 angesehen hat, die für die Hersteller die Weiterführung ihrer Erklärungen in der EATP-Sitzung vom 22. November 1977 darstellten und ihnen die Möglichkeit gaben, das System der "Chef"- und "Experten"-Sitzungen einzuführen.

131 Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission auf der Grundlage der Angaben von ICI in deren Antwort auf das Auskunftsverlangen, die durch zahlreiche Sitzungsberichte bestätigt worden sind, zu Recht angenommen, daß der Zweck der Sitzungen insbesondere die Festsetzung von Preiszielen und von Verkaufsmengenzielen gewesen ist. So heisst es in dieser Antwort:

"Generally speaking however, the concept of recommending 'Target Prices' was developed during the early meetings which took place in 1978"; "' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule..." und "A number of proposals for the volume of invidual producers were discussed at meetings."

("Allgemein wurde aber der Plan, 'Zielpreise' zu empfehlen, in den frühen Sitzungen ausgearbeitet, die im Jahr 1978 stattfanden..."; "Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte jeder wichtigen Polypropylen-Kategorie vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt..." und "Eine Reihe von Vorschlägen zum Verkaufsvolumen der einzelnen Hersteller wurde in Sitzungen erörtert.")

132 Darüber hinaus ergibt sich über die Organisation aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, in der von der Abhaltung von Sitzungen von "Experten" für den Vertrieb zusätzlich zu den "Chef"-Sitzungen von Ende 1978 oder Anfang 1979 an die Rede ist, daß die Gespräche über die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen immer konkreter und genauer wurden, während sich 1978 die "Chefs" auf die Entwicklung des Konzepts der Zielpreise selbst beschränkt hatten.

133 Über die vorstehend wiedergegebenen Abschnitte hinaus heisst es in der Antwort von ICI auf das Auskunftsersuchen: "Only 'Bosses' and 'Experts' meetings came to be held on a monthly basis" ("Nur die 'Chef' - und 'Experten' -Sitzungen wurden auf monatlicher Grundlage abgehalten"). Zu Recht hat die Kommission aus dieser Antwort sowie aus der Identität von Art und Zweck der Sitzungen geschlossen, daß diese Teil eines Systems regelmässiger Sitzungen waren.

134 Angesichts dieses Beweismaterials behauptet die Klägerin, daß sie ohne jede wettbewerbsfeindliche Einstellung an den Sitzungen teilgenommen habe. Dazu ist festzustellen, daß die Klägerin - da bewiesen ist, daß sie an diesen Sitzungen teilgenommen hat und daß deren Zweck namentlich die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen war - ihren Wettbewerbern zumindest den Eindruck vermittelt hat, daß sie mit derselben Einstellung wie diese an den Sitzungen teilnahm.

135 Unter diesen Umständen ist es Sache der Klägerin, Indizien dafür anzuführen, daß sie ohne jede wettbewerbsfeindliche Einstellung an den Sitzungen teilgenommen hat, indem sie dartut, daß sie ihre Wettbewerber darauf hingewiesen habe, daß sie mit einer anderen Einstellung als diese an den Sitzungen teilnehme.

136 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß die Argumente, die die Klägerin auf ihr Marktverhalten stützt und mit denen sie beweisen will, daß sie mit ihrer Teilnahme an den Sitzungen nur bezweckt habe, sich Informationen zu verschaffen, kein Indiz dafür bieten, daß sie nicht aus einer wettbewerbsfeindlichen Einstellung heraus gehandelt hat, da hiermit nicht dargetan wird, daß die Klägerin ihre Wettbewerber darauf hingewiesen hat, daß ihr Marktverhalten vom Inhalt der Sitzungen unabhängig sein würde. Selbst wenn ihre Wettbewerber dies gewusst haben sollten, zeigt doch der blosse Umstand, daß sie mit ihnen Informationen ausgetauscht hat, die ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer streng als Betriebsgeheimnisse hütet, daß die Klägerin wettbewerbsfeindlich eingestellt war.

137 Entgegen den Behauptungen der Klägerin ergibt sich ausserdem aus den Sitzungsberichten, daß Hersteller, von denen die Sitzungsteilnehmer den Eindruck hatten, daß sie sich nicht an die Sitzungsergebnisse hielten, kritisiert wurden. So heisst es in dem Bericht über die Sitzung vom 21. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 30):

"Anic were seen as a problem in September... Pressure was needed + Z. was asked to get M. to speak to C. Sales to Italy were a potential problem + pressure was needed on Shell Italy to restrain themselves to the agreed levels for October."

("Anic wurde im September als ein Problemfall angesehen... Es war Druck erforderlich und Z. wurde gebeten, M. zu einem Gespräch mit C. zu veranlassen. Verkäufe nach Italien waren ein mögliches Problem und es war Druck auf Shell Italien notwendig, damit sie sich auf die für Oktober vereinbarten Niveaus beschränkte.")

Im Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) heisst es: "Hercules said that they would not attend in future in view of criticism from the Dutch + Germans" ("Hercules erklärte, sie werde in Zukunft wegen der von den Holländern und den Deutschen geuebten Kritik nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen").

138 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin regelmässig an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zwischen 1978 und September 1983 teilgenommen hat, daß Zweck dieser Sitzungen namentlich die Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen war, daß die Sitzungen Teil eines Systems waren und daß die Klägerin an diesen Sitzungen nicht ohne wettbewerbsfeindliche Einstellung teilgenommen hat.

C - Die Preisinitiativen

a) Angefochtene Handlung

139 Nach den Randnummern 28 bis 51 der Entscheidung wurde ein System zur Festsetzung von Preiszielen mittels Preisinitiativen angewandt, von denen sechs hätten festgestellt werden können; die erste habe von Juli bis Dezember 1979 gedauert, die zweite von Januar bis Mai 1981, die dritte von August bis Dezember 1981, die vierte von Juni bis Juli 1982, die fünfte von September bis November 1982 und die sechste von Juli bis November 1983.

140 Zur ersten dieser Preisinitiativen führt die Kommission (Entscheidung, Randnr. 29) aus, es liege kein eingehendes Beweismaterial über irgendwelche Sitzungen oder Preisinitiativen im ersten Halbjahr 1979 vor. Aus einem Vermerk über eine Sitzung vom 26. und 27. September 1979 gehe allerdings hervor, daß eine Preisinitiative auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 1,90 DM/kg ab 1. Juli und von 2,05 DM/kg ab 1. September geplant worden sei. Die Kommission habe Preisinstruktionen einiger Hersteller, so auch der Klägerin, sichergestellt, die die Anweisungen dieser Hersteller an ihre nationalen Verkaufsbüros zur Anwendung dieses Preises bzw. des entsprechenden Betrags in den anderen nationalen Währungen ab 1. September enthielten; diese Instruktionen seien fast alle erteilt worden, bevor die Fachpresse von der geplanten Preiserhöhung gesprochen habe (Entscheidung, Randnr. 30).

141 Wegen der Schwierigkeiten einer Preisanhebung hätten die Hersteller jedoch in ihrer Sitzung vom 26. und 27. September 1979 beschlossen, das Datum für die Erreichung des Preisziels um mehrere Monate auf den 1. Dezember 1979 zu verschieben, wobei die seinerzeit geltenden Preise im Oktober beibehalten werden sollten und die Möglichkeit für eine Zwischenerhöhung auf 1,90 oder 1,95 DM/kg im November bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 31 Absätze 1 und 2).

142 Zu der zweiten Preisinitiative heisst es in der Entscheidung (Randnr. 32), obwohl für 1980 keine Sitzungsberichte sichergestellt worden seien, stehe es fest, daß in diesem Jahr mindestens sieben Herstellersitzungen stattgefunden hätten (hierfür wird auf Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung verwiesen). Den Presseberichten vom Anfang des Jahres zufolge seien die Hersteller darauf aus gewesen, im Jahr 1980 einen starken Preisauftrieb zu begünstigen. Trotzdem seien die Preise in diesem Jahr drastisch auf 1,20 DM/kg und weniger gefallen, bevor sie sich etwa im September desselben Jahres wieder stabilisiert hätten. Von mehreren Herstellern (die Klägerin, DSM, Hoechst, Monte und Saga, ICI ausgenommen) erteilte Preisinstruktionen wiesen darauf hin, daß zum Zweck der Wiederanhebung der Preise die Ziele für Dezember 1980/Januar 1981 für Raffia auf 1,50 DM/kg, für Homopolymer auf 1,70 DM/kg und für Kopolymer auf 1,95 bis 2,00 DM/kg festgelegt worden seien. Ein internes Schriftstück von Solvay enthalte eine Tabelle, in der die "erzielten Preise" für Oktober und November 1980 mit den sogenannten "Listenpreisen" für Januar 1981 in Höhe von 1,50/1,70/2,00 DM/kg verglichen würden. Ursprünglich sei geplant gewesen, diese Preise ab 1. Dezember 1980 anzuwenden (vom 13. bis 15. Oktober habe in Zuerich eine Sitzung stattgefunden), doch sei diese Preisinitiative auf den 1. Januar 1981 verschoben worden.

143 Nach Randnummer 33 der Entscheidung nahm die Klägerin an einer der beiden Sitzungen vom Januar 1981 teil, in denen beschlossen worden sei, eine im Dezember 1980 für den 1. Februar 1981 festgelegte Preisanhebung auf 1,75 DM/kg für Raffia in zwei Stufen vorzunehmen: Die ab 1. Februar geltenden Zielpreise von 1,75 DM/kg seien aufrechterhalten worden, und die Zielpreise von 2,00 DM/kg hätten "ausnahmslos" ab 1. März eingeführt werden müssen. Für sechs Hauptsorten sei eine Tabelle der Zielpreise in sechs nationalen Währungen aufgestellt worden, die am 1. Februar bzw. 1. März 1981 habe in Kraft treten sollen. Aus Unterlagen der Klägerin werde ersichtlich, daß sie Maßnahmen getroffen habe, um die für Februar und März festgesetzten Zielpreise einzuführen.

144 In der Entscheidung (Randnr. 34) heisst es, daß die Absicht, die Preise ab 1. März auf 2,00 DM/kg anzuheben, jedoch anscheinend nicht zum Erfolg geführt habe. Die Hersteller hätten ihre Erwartungen ändern müssen und nun gehofft, bis März auf 1,75 DM/kg zu kommen. Am 25. März 1981 habe in Amsterdam eine "Experten-"Sitzung stattgefunden, über die Berichte nicht erhalten seien, doch hätten unmittelbar danach jedenfalls BASF, DSM, ICI, Monte und Shell Anweisungen zur Anhebung der Ziel- bzw. "Listenpreise" auf 2,15 DM/kg für Raffia mit Wirkung vom 1. Mai gegeben. Hoechst habe die gleichen Anweisungen für den 1. Mai, allerdings etwa vier Wochen später als die anderen erteilt. Einige Hersteller hätten ihren Verkaufsabteilungen die flexible Anwendung von "Mindest"-bzw. "Tiefst"-Preisen erlaubt, die etwas unter den vereinbarten Preiszielen gelegen hätten. Anfang 1981 sei es zu einem starken Preisauftrieb gekommen, der jedoch trotz der Tatsache, daß die Hersteller die Preisanhebung ab 1. Mai entschieden unterstützt hätten, nicht angehalten habe. Gegen Mitte des Jahres hätten die Hersteller eine Stabilisierung der Preise oder sogar eine gewisse Abwärtsbewegung der Preise verhindert, als die Nachfrage im Sommer zurückgegangen sei.

145 Zur dritten Preisinitiative heisst es in der Entscheidung (Randnr. 35), daß Shell und ICI eine weitere Preisinitiative für September/Oktober 1981 bereits im Juni dieses Jahres vorgesehen hätten, als ein Abklingen des Preisanstiegs des ersten Quartals deutlich geworden sei. Shell, ICI und Monte hätten sich am 15. Juni 1981 getroffen, um in Gesprächen festzulegen, wie höhere Preise auf dem Markt hätten durchgesetzt werden können. Einige Tage nach dieser Sitzung hätten ICI und Shell ihre Verkaufsabteilungen angewiesen, den Markt für eine erhebliche Erhöhung im September auf der Grundlage einer Raffiapreisanhebung auf 2,30 DM/kg vorzubereiten. Solvay habe ebenfalls seine Verkaufsabteilungen in den Benelux-Ländern am 17. Juli 1981 an die Notwendigkeit erinnert, die Abnehmer über eine wesentliche Preiserhöhung mit Wirkung vom 1. September zu unterrichten, deren genauer Betrag in der letzten Juli-Woche habe beschlossen werden sollen, für die, nämlich zum 28. Juli 1981, eine "Experten"-Sitzung angesetzt worden sei. Die geplante Anhebung auf 2,30 DM/kg im September 1981 sei wahrscheinlich in dieser Sitzung revidiert und für August auf 2,00 DM/kg für Raffia zurückgenommen worden. Der September-Preis habe 2,20 DM/kg betragen. Ein bei Hercules gefundener handschriftlicher Vermerk vom 29. Juli 1981 (einen Tag nach der Sitzung, an der Hercules wahrscheinlich nicht teilgenommen habe) enthalte diese Preise als "offizielle" Preise für August und September und verweise in verschlüsselter Form auf die Informationsquelle. Weitere Sitzungen hätten am 4. August in Genf und am 21. August 1981 in Wien stattgefunden. Nach diesen Sitzungen hätten die Hersteller neue Anweisungen erteilt, ab 1. Oktober einen Preis von 2,30 DM/kg zu praktizieren. BASF, DSM, Hoechst, ICI, Monte und Shell hätten fast identische Preisinstruktionen erteilt, um diese Preise im September und Oktober durchzugeben.

146 Nach der Entscheidung (Randnr. 36) war es nun beabsichtigt, sich im September und Oktober 1981 auf ein "Grundpreis"-Niveau für Raffia von 2,20 bis 2,30 DM/kg zuzubewegen. In einem Schriftstück von Shell sei der Hinweis enthalten, daß ursprünglich eine weitere Erhöhung auf 2,50 DM/kg ab 1. November zur Debatte gestanden habe. Berichte der verschiedenen Hersteller zeigten, daß die Preise im September 1981 bis in den folgenden Monat hinein gestiegen seien und die Preise für Raffia etwa 2,00 bis 2,10 DM/kg erreicht hätten. In einem Vermerk von Hercules stehe, daß das Preisziel von 2,30 DM/kg im Dezember auf einen etwas realistischeren Preis von 2,15 DM/kg zurückgeführt worden sei, daß aber "allgemeine Entschlossenheit die Preise auf 2,05 DM brachte und man noch nie so nah an die veröffentlichten (sic!) Zielpreise herangekommen ist". Ende 1981 habe die Fachpresse von Preisen auf dem Polypropylenmarkt gesprochen, die für Raffia bei 1,95 bis 2,10 DM/kg und somit etwa 20 Pfennig unter den Herstellerzielen gelegen hätten. Die Kapazitätsauslastung habe angeblich "gesunde" 80 % betragen.

147 Die vierte Preisinitiative (Juni bis Juli 1982) habe im Kontext einer Rückkehr des Marktes zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gestanden. Diese Initiative sei in der Herstellersitzung vom 13. Mai 1982 beschlossen worden, an der die Klägerin teilgenommen habe und in der eine ausführliche Tabelle der Preisziele zum 1. Juni für verschiedene Polypropylensorten in verschiedenen nationalen Währungen (2,00 DM/kg für Raffia) erarbeitet worden sei (Entscheidung, Randnrn. 37 bis 39 Absatz 1).

148 Auf die Sitzung vom 13. Mai 1982 seien Preisinstruktionen der Klägerin, von ATO, BASF, Hoechst, Hercules, Hüls, ICI, Monte und Shell erfolgt, die, von einigen unerheblichen Ausnahmen abgesehen, den in dieser Sitzung festgelegten Zielpreisen entsprochen hätten (Entscheidung, Randnr. 39 Absatz 2). In der Sitzung vom 9. Juni 1982 hätten die Hersteller nur von bescheidenen Preisanhebungen berichten können.

149 Nach Randnummer 40 der Entscheidung nahm die Klägerin auch an der fünften Preisinitiative (September bis November 1982) teil, die in der Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 beschlossen worden sei und mit der ein Preis von 2,00 DM/kg zum 1. September und von 2,10 DM/kg zum 1. Oktober habe erreicht werden sollen, denn sie sei in den meisten, wenn nicht allen Sitzungen anwesend gewesen, die zwischen Juli und November 1982 stattgefunden hätten, als diese Initiative geplant und kontrolliert worden sei (Entscheidung, Randnr. 45). In der Sitzung vom 20. August 1982 sei die für den 1. September geplante Preisanhebung auf den 1. Oktober verschoben worden; dieser Beschluß sei in der Sitzung vom 2. September 1982 bestätigt worden (Entscheidung, Randnr. 41).

150 Nach den Sitzungen vom 20. August und 2. September 1982 hätten die Klägerin, ATO, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Shell Preisinstruktionen erteilt, die dem in diesen Sitzungen festgelegten Zielpreis entsprochen hätten (Entscheidung, Randnr. 43).

151 In der Sitzung vom 21. September 1982, an der die Klägerin teilgenommen habe, seien die Maßnahmen zur Erreichung des zuvor gesetzten Ziels geprüft worden, und die Unternehmen hätten generell einen Vorschlag zur Anhebung des Preises auf 2,10 DM/kg für November-Dezember 1982 unterstützt. Diese Anhebung sei in der Sitzung vom 6. Oktober 1982 bestätigt worden (Entscheidung, Randnr. 44).

152 Nach der Sitzung vom 6. Oktober 1982 hätten die Klägerin, BASF, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Monte, Shell und Saga Preisinstruktionen erteilt, um die beschlossene Anhebung durchzusetzen (Entscheidung, Randnr. 44 Absatz 2).

153 Wie ATO, BASF, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Saga habe auch die Klägerin der Kommission Preisinstruktionen vorgelegt, die sie ihren lokalen Verkaufsabteilungen für Oktober und November erteilt habe. Diese seien nicht nur in bezug auf Betrag und Zeit identisch, sondern entsprächen auch der Zielpreisliste, die dem Bericht von ICI über die "Experten-"Sitzung vom 2. September beigefügt sei (Entscheidung, Randnr. 45 Absatz 2).

154 Die Sitzung vom Dezember 1982 habe zu einer Vereinbarung geführt, der zufolge der November/Dezember-Stand von 2,10 DM/kg bis Ende Januar 1983 habe erreicht werden müssen (Entscheidung, Randnr. 46 Absatz 2).

155 Nach Randnummer 47 der Entscheidung hat die Klägerin schließlich auch an der sechsten Preisinitiative (Juli bis November 1983) teilgenommen. In der Sitzung vom 3. Mai 1983 sei vereinbart worden, nach Möglichkeit im Juni 1983 das Preisziel 2,00 DM/kg zu erreichen. In der Sitzung vom 20. Mai 1983 seien die Erreichung des festgelegten Ziels jedoch auf September verschoben und ein Zwischenziel für den 1. Juli (1,85 DM/kg) festgelegt worden. In einer Sitzung vom 1. Juni 1983 hätten die anwesenden Hersteller, darunter die Klägerin, sodann ihr Engagement zur Erhöhung auf 1,85 DM/kg bekräftigt. Bei dieser Gelegenheit sei vereinbart worden, daß Shell in den ECN öffentlich vorangehen werde.

156 Unmittelbar nach der Sitzung vom 20. Mai 1983 hätten die Klägerin, ICI, DSM, BASF, Hoechst, Shell, Hercules, ATO, Petrofina und Solvay ihren Verkaufsabteilungen Anweisungen erteilt, ab 1. Juli eine Preistabelle anzuwenden, in der Raffia mit 1,85 DM/kg ausgezeichnet gewesen sei (Entscheidung, Randnr. 49). Bei ATO und Petrofina hätten nur bruchstückhafte Preisanweisungen gefunden werden können, die allerdings bestätigten, daß diese Hersteller - Petrofina und Solvay etwas später - die neuen Preise praktiziert hätten. Mit Ausnahme von Hüls, für die für Juli 1983 keine Preisinstruktionen vorlägen, hätten also alle Hersteller, die an den Sitzungen teilgenommen bzw. ihre Unterstützung für das neue Preisziel von 1,85 DM/kg zugesagt hätten, Instruktionen erteilt, damit die neuen Preise praktiziert würden.

157 Weitere Sitzungen fanden nach Randnummer 50 der Entscheidung am 16. Juni, 6. und 21. Juli, 10. und 23. August sowie 5., 15. und 29. September 1983 statt; an ihnen hätten die üblichen Teilnehmer teilgenommen. Ende Juli und Anfang August 1983 hätten die Klägerin, BASF, DSM, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Solvay, Monte und Saga ihren verschiedenen nationalen Verkaufsabteilungen Preisinstruktionen mit Wirkung vom 1. September (auf der Grundlage eines Raffia-Preises von 2,00 DM/kg) erteilt, während ein interner Vermerk von Shell vom 11. August über die Preise des Unternehmens im Vereinigten Königreich den Hinweis enthalte, daß die britische Tochter die ab 1. September geltenden Grundpreise "unterstützte", die den Preiszielen der anderen Hersteller entsprochen hätten. Ende des Monats habe Shell jedoch die britische Verkaufsabteilung angewiesen, mit der Erhöhung so lange zu warten, bis die anderen Hersteller die gewünschten Grundpreise aufgestellt hätten. Diese Instruktionen seien, abgesehen von einigen unerheblichen Ausnahmen, für jeden Typ und jede Währung identisch.

158 Die von den Herstellern erhaltenen Preisinstruktionen zeigten, daß später beschlossen worden sei, die Preisbewegung vom September aufrechtzuerhalten und für Raffia mit 2,10 DM/kg ab 1. Oktober und 2,25 DM/kg ab 1. November weitere Erhöhungen durchzuführen (Entscheidung, Randnr. 50, letzter Absatz). Die Klägerin, BASF, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Solvay hätten ihren Verkaufsabteilungen für die Monate Oktober und November identische Preise übermittelt, während Hercules zunächst etwas niedrigere Preise festgesetzt habe (Entscheidung, Randnr. 51 Absatz 1).

159 Ein bei ATO sichergestellter interner Vermerk vom 28. September 1983 enthalte eine Tabelle mit der Überschrift "Erinnerung des Cota-Preises (sic)", die für verschiedene Länder Preise für die drei Hauptpolypropylensorten im September und Oktober angebe, die mit den Preisen der Klägerin und denen von BASF, DSM, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Solvay übereinstimmten. Während der Nachprüfungen bei ATO im Oktober 1983 hätten die Vertreter des Unternehmens bestätigt, daß diese Preise den Verkaufsbüros mitgeteilt worden seien (Entscheidung, Randnr. 51 Absatz 3).

160 Die Zuwiderhandlung habe, wann immer die letzte Sitzung stattgefunden haben möge, bis zum November 1983 angedauert, da die Vereinbarung mindestens bis zu diesem Zeitpunkt ihre Wirkungen entfaltet habe; der November sei der letzte Monat, für den nachweislich Zielpreise vereinbart und Preisinstruktionen erteilt worden seien (Entscheidung, Randnr. 105 Absatz 4).

161 Abschließend wird in der Entscheidung (Randnr. 51, letzter Absatz) darauf hingewiesen, daß sich die Polypropylenpreise Ende 1983 laut Berichten der Fachpresse stabilisiert haben sollen, wobei für Raffia ein Preis von 2,08 bis 2,15 DM/kg (gegenüber dem Ziel 2,25 DM/kg) erreicht worden sei. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0015.2

b) Vorbringen der Parteien

162 Die Klägerin macht geltend, daß die Kommission den Unternehmen zwar den Abschluß von Vereinbarungen vorwerfe, aber nicht hinreichend genau darlege, was vereinbart worden sei. Durch die Verwendung des Begriffs "Preisinitiativen" in der Entscheidung wolle sie sich somit einer Bestimmung des Zwecks der angeblichen Vereinbarungen entziehen. In Wirklichkeit sei die Kommission davon ausgegangen, daß die Unternehmen sich auf ein erhofftes oder für ereichbar gehaltenes Preisniveau geeinigt hätten, das sie dann auf verschiedene Weise durch ein abgestimmtes Verhalten zu erreichen versucht hätten, denn die Kommission sei sich bewusst gewesen, daß die auf dem Markt erzielten Preise in keiner Weise mit den angeblich in den Sitzungen vereinbarten Preisen übereingestimmt hätten.

163 Wenn es schon an der Feststellung des Inhalts der angeblichen Vereinbarungen fehle, so nicht weniger an dem Beweis, daß die Teilnehmer an den Sitzungen solche Vereinbarungen geschlossen hätten. Die von den Angestellten von ICI verfassten Sitzungsberichte, auf die sich die Kommission beziehe, könnten nämlich auch anders ausgelegt werden, als die Kommission es tü. In Wirklichkeit gäben diese Berichte den subjektiven Eindruck ihres Verfassers wieder, wie die Tatsache belege, daß sie von allen Unternehmen bestritten würden, und die dort wiedergegebenen Vorstellungen seien niemals in der angegebenen Form durchgeführt worden. Die Kommission messe dem Begriff "agreed" ("vereinbart"), der sich in einigen dieser Sitzungsberichte, z. B. den Berichten über die Sitzungen vom 12. August 1982 (gem. Bpkte., Anl. 27) und vom 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29) finde, zu Unrecht eine besondere Bedeutung bei. Dieser Begriff drücke nämlich eine einheitliche Auffassung über eine Feststellung und nicht eine Vereinbarung aus. Ebenso besitze der Begriff "commitment" ("Verpflichtung"), der in den Berichten über die Sitzungen vom 2. September 1982 und vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 29 und 40) verwendet werde, nicht die Bedeutung, die die Kommission ihm beilege, da er offenlasse, wem gegenüber eine Verpflichtung bestehe. Jedenfalls habe die Klägerin sich niemals gegenüber ihren Wettbewerbern zu irgendeinem bestimmten Preisverhalten verpflichtet.

164 Im übrigen seien die Vorwürfe, die die Kommission gegen die Adressaten der Entscheidung wegen deren Verhalten erhoben habe, nicht hinreichend bestimmt und hätten sich im Laufe des Verfahrens gewandelt. Die Kommission habe den Unternehmen zunächst vorgeworfen, die angeblich vereinbarten Zielpreise auf dem Markt angewendet zu haben; später habe sie die Unternehmen beschuldigt, interne Preisinstruktionen an ihre Verkaufsabteilungen mitgeteilt zu haben, und zum Schluß habe sie gerügt, daß regelmässig Sitzungen abgehalten worden seien.

165 Das Fehlen einer Preisvereinbarung werde auch durch die erheblichen Unterschiede zwischen den von den Herstellern am Markt erzielten Preise und den angeblich vereinbarten Preisen belegt. Die fehlende Übereinstimmung zwischen dem Verhalten der Hersteller und den angeblichen Vereinbarungen spreche eher gegen als für die Existenz solcher Vereinbarungen. Im übrigen hätten die Hersteller angesichts des Verhaltens ihrer Wettbewerber von solchen Vereinbarungen schnell Abstand genommen.

166 Bei den Preisinstruktionen habe es sich um rein interne Anweisungen gehandelt, da sie den Kunden nicht bekanntgegeben worden seien; sie könnten also nicht als marktrelevantes Verhalten angesehen werden, wenn nicht feststehe, daß ihre Adressaten sie durchgesetzt hätten. Die Verkaufsabteilungen der Klägerin hätten die einzelnen Preisinstruktionen, die sie von der Geschäftsleitung erhalten hätten, nicht an die Kunden weitergeleitet. Die Geschäftsleitung habe unter Zugrundelegung ihrer selbständigen und unabhängigen Einschätzung der Marktverhältnisse, selbstverständlich vor dem Hintergrund des Meinungsaustauschs mit den anderen Herstellern, die Hoechstpreise festgelegt, die als am Markt erreichbar angesehen worden seien. Diese Ziele hätten von den Verkaufsabteilungen nicht erreicht werden können, wie die Randbemerkung "Spaßvögel" auf einer Anweisung vom 19. Oktober 1983 (Anlage 19 der an die Klägerin gerichteten Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte, nachstehend: Bpkte. Linz, Anl.) zeige, und hätten im übrigen angesichts der starken Konkurrenz oft nach unten korrigiert werden müssen (Bpkte. Linz, Anl. 10 und 14).

167 Entgegen den Behauptungen der Kommission seien die Preislisten der Klägerin den Kunden nicht bekanntgegeben worden. Die Kommission könne sich zur Begründung ihrer Behauptung nicht auf ein Fernschreiben der Klägerin vom 31. August 1983 an eine ihrer Verkaufsabteilungen (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Linz I2) berufen, da dieses Fernschreiben keineswegs auf die Mitteilung der dort enthaltenen Preise an die Kunden Bezug nehme, sondern lediglich auf folgendes hinweise:

"bedauerlicherweise sind wir mit der vorangegangenen liste bereits bei unseren kunden vorgegangen, müssen jedoch auf basis der konkurrenzsituation entsprechende korrekturen anbringen und ersuche dies in entsprechend vorsichtiger weise bei den schon, insbesondere skandinavien copo-preise, kontaktierten kunden durchzuführen."

Dem lasse sich lediglich entnehmen, daß die Klägerin die vorangegangene Preisliste zur Grundlage ihres Vorgehens bei den Kunden gemacht habe, nicht aber, daß die Liste den Kunden zur Kenntnis gegeben worden sei. Im übrigen lasse sich aus der Formulierung "Wir bitten in gewohnter Weise um Umsetzung der Zielfunktion" keine bindende Anweisung zur Anwendung der Preisliste herleiten. Vielmehr habe es sich lediglich um Preisziele gehandelt, die die Vorstellungen der Geschäftsleitung über das am Markt maximal Erreichbare wiedergegeben hätten. Selbstverständlich sei damit dem Aussendienst aufgetragen gewesen, bei den einzelnen Vertragsabschlüssen möglichst nahe an diese Zielvorstellungen heranzukommen.

168 Selbst wenn man unterstellte, daß die Zielpreise den Kunden von bestimmten Teilnehmern bekanntgegeben worden seien, wäre dies jedenfalls nur dann vorwerfbar, wenn die Kunden mit der alsbaldigen tatsächlichen Durchsetzung dieser Zielpreise hätten rechnen müssen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, da die Hersteller aufgrund der Marktverhältnisse von den Kunden nicht die in den Preisinstruktionen festgelegten Preise hätten verlangen können. Diese seien somit rein theoretisch geblieben und hätten allenfalls rechnerische Bezugsgrössen für die zu gewährenden Rabatte dargestellt.

169 Wenn die Kommission behaupte, daß die Zielpreise sich jahrelang parallel zum tatsächlichen Preisniveau bewegt hätten, so sei eine so allgemeine Aussage über einen so langen Zeitraum bedeutungslos, da eine solche Entwicklung selbstverständlich sei, wenn die Hersteller auch nur in Grundzuegen mit ihrem Markt vertraut seien. Von Bedeutung sei nämlich der kurzfristige Zeitraum. Die Kommission räume selbst ein, daß die Preisinitiativen manchmal sogar zu einem starken Preisverfall geführt hätten.

170 Selbst wenn man einmal die Existenz der von der Kommission behaupteten Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen unterstelle, hätten sich diese nur auf die Grundsorten und die "commodities" bezogen, jedoch in keinem Fall auf die Spezialerzeugnisse, die zwischen 63 und 80 % des Absatzes der Klägerin in der Gemeinschaft ausmachten. Die Kommission habe nicht den geringsten Beweis dafür vorlegen können, daß die Preisdiskussionen sich auf die Spezialsorten bezogen hätten, denn in den den Berichten über die Sitzungen vom 13. Mai und 2. September 1982 beigefügten Preistabellen (gem. Bpkte., Anl. 24 und 29) seien zwar tatsächlich viele Preise aufgeführt, doch nur, weil derselbe Preis in zahlreichen nationalen Währungen ausgedrückt sei. Im Unterschied vielleicht zu anderen Herstellern seien bei der Klägerin die Preisaufschläge für Spezialsorten nicht standardisiert worden. Das Argument der Kommission, die angeblichen Preisabsprachen über die Grundsorten hätten den Preis der Spezialsorten beeinflusst, sei nicht haltbar, denn ihm liege derselbe Denkfehler zugrunde, wie wenn man die OPEC für die Erhöhung der Gas- oder Kohlepreise als Folge der Erhöhung der Ölpreise verantwortlich machen wollte.

171 Die Kommission macht dagegen geltend, sie verfüge über zahlreiche Beweise für die Preisabsprachen, die ihren Niederschlag in den verschiedenen in der Entscheidung aufgeführten Preisinitiativen gefunden hätten.

172 Sie sei im Besitz zahlreicher Berichte über Sitzungen, an denen die Klägerin teilgenommen habe und die belegten, daß sie insbesondere der Festlegung der Zielpreise gedient hätten, deren Hauptziel es gewesen sei, eine gewisse Stabilität auf einem höheren Niveau als dem der Wettbewerbspreise zu erreichen, selbst wenn dieses Niveau schließlich unter dem ursprünglich in den Sitzungen beschlossenen gelegen habe.

173 Die Behauptung der Klägerin, daß es für alle Sitzungsteilnehmer klar gewesen sei, daß der Informationsaustausch während dieser Sitzungen völlig unverbindlich sei, werde durch die Tatsache widerlegt, daß den Verkaufsabteilungen im Anschluß an die Sitzungen Preisinstruktionen erteilt worden seien, die den in den Sitzungen gefassten Beschlüssen bis ins kleinste Detail entsprochen hätten. Die Einhaltung der Zielpreise sei ständiges Gesprächsthema während der Sitzungen gewesen, wie die in den Berichten über die Sitzungen von August bis November 1982 (gem. Bpkte., Anl. 28 bis 32) wiedergegebenen Vergleiche zwischen den Zielpreisen und den von den Teilnehmern tatsächlich verlangten Preisen bewiesen.

174 Die Übermittlung mit den Zielpreisen übereinstimmender Preisinstruktionen an die nationalen Verkaufsstellen beweise, daß die Hersteller ihre Absprachen ernst genommen und in die Tat umgesetzt hätten. Die Kommission räumt jedoch ein, daß die Preisabsprachen sicherlich nicht immer ihr Ziel ereicht hätten und die Zielpreise deshalb in verschiedenen Fällen nach unten hätten korrigiert werden müssen, da die Kunden von Überkapazitäten bei der Produktion gewusst hätten und nicht bereit gewesen seien, die von den Herstellern vereinbarten Preiserhöhungen zu akzeptieren. Der Vorwurf an die Klägerin gehe dahin, sich mit den anderen Polypropylenherstellern im Rahmen der Preisinitiativen über die Festlegung der von ihren Verkaufsabteilungen anzustrebenden Zielpreise verständigt zu haben.

175 Wenn schließlich einige Preisinitiativen nicht ganz erfolgreich gewesen seien, so hätten andere doch zu einem deutlichen Anstieg der Preise auf dem Markt geführt.

176 Die Preisinstruktionen seien erteilt worden, um am Markt durchgesetzt zu werden, und hätten zumindest als Verhandlungsgrundlage mit den Kunden gedient. Dies werde belegt durch den Wortlaut verschiedener Preisinstruktionen (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Linz, G1 und I2), wonach die Verkaufsabteilungen bei den Verhandlungen mit den Kunden diese Preise als Ausgangspunkt hätten nehmen und bei den Verträgen möglichst nahe an diese Preise hätten herankommen sollen.

177 Im übrigen hätten sich die Preisinitiativen entgegen den Behauptungen der Klägerin sowohl auf die Spezialerzeugnisse als auch auf die Grundsorten bezogen. In den Berichten über die Sitzungen vom 13. Mai und 2. September 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24 und 29) seien nämlich die Preise für zehn verschiedene Sorten aufgeführt. Darüber hinaus ergebe sich aus den Preisinstruktionen verschiedener Hersteller wie der Klägerin (Schreiben vom 29. März 1985, Anl. Linz C), daß die Preiserhöhungen bei den Grundsorten regelmässig auch mit gleichzeitigen Preiserhöhungen bei den Spezialsorten verbunden gewesen seien. Schließlich stehe ausser Frage, daß die Preisabsprachen über die Grundsorten auch Auswirkungen auf die Preise der Spezialerzeugnisse gehabt hätten.

c) Würdigung durch das Gericht

178 Das Gericht stellt zunächst fest, daß die Klägerin der Kommission vorwirft, nicht hinreichend bestimmt zu haben, was sie unter "Preisinitiativen" verstehe, und daß sie der Auffassung widerspricht, die von Angestellten von ICI erstellten Sitzungsberichte könnten ihre Verpflichtung im Hinblick auf diese Initiativen beweisen.

179 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung in Randnummer 21 Buchstabe a "die Festsetzung der Preise, die die Hersteller für einen künftigen Zeitpunkt anstreben sollten (Zielpreise), gegebenenfalls durch eine abgestimmte Preisinitiative, die sich manchmal auf einen Zeitraum von mehreren Monaten erstreckte und mehrere getrennte Stufen der Preiserhöhung umfasste", als Ziel der Sitzungen angibt und damit hinreichend klar bestimmt, was sie unter Preisinitiativen versteht. Zudem wird dieses Begriffsverständnis in den Randnummern 28 bis 51 der Entscheidung ausführlich veranschaulicht.

180 Sodann ist festzustellen, daß die von ICI-Angestellten erstellten Sitzungsberichte hinreichend objektiv den Inhalt der Sitzungen wiedergaben, und zwar sowohl die Verpflichtungen, die die dort teilnehmenden Unternehmen eingegangen sind, als auch den Gegenstand dieser Verpflichtungen.

181 Zwar sind die Begriffe "agreed" ("vereinbart") und "commitment" ("Verpflichtung") allein kein Beweis für die Verpflichtung der Hersteller zur Teilnahme an einer Preisinitiative, doch lässt sich von diesen Begriffen, wenn man sie im Zusammenhang aller Sitzungsberichte sieht, in denen sie vorkommen, auf eine solche Verpflichtung schließen.

182 Das Gericht stellt fest, daß die Berichte über die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zeigen, daß die Hersteller, die an diesen Sitzungen teilgenommen haben, dort die in der Entscheidung genannten Preisinitiativen vereinbart haben. So heisst es in dem Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24):

"Everyone felt that there was a very good opportunity to get a price rise through before the holidays + after some debate settled on DM 2.00 from 1st June (UK 14th June). Individual country figures are shown in the attached table."

("Alle glaubten, daß die Gelegenheit für die Durchsetzung einer Preiserhöhung vor den Ferien günstig war und einigten sich nach Diskussion auf 2,00 DM mit Wirkung vom 1. Juni [14. Juni für das Vereinigte Königreich]. Die Zahlen nach Ländern finden sich in der beigefügten Tabelle.")

183 Da bewiesen ist, daß die Klägerin an diesen Sitzungen teilgenommen hat, kann sie nicht behaupten, den dort beschlossenen, organisierten und kontrollierten Preisinitiativen nicht zugestimmt zu haben, ohne Anhaltspunkte für die Erhärtung dieser Behauptung vorzutragen. Fehlen nämlich solche Anhaltspunkte, so gibt es keinen Grund für die Annahme, daß die Klägerin diesen Initiativen im Unterschied zu den anderen Teilnehmern der Sitzungen nicht zugestimmt hat.

184 Die Klägerin hat zwei Argumente angeführt, um allgemein darzutun, daß sie den vereinbarten Preisinitiativen in den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller nicht zugestimmt habe. Erstens habe sie an den Sitzungen ohne jede wettbewerbsfeindliche Einstellung teilgenommen, und zweitens habe sie die Ergebnisse der Sitzungen in keiner Weise für die Festlegung ihres Marktverhaltens im Preisbereich berücksichtigt, wie die erheblichen Unterschiede zwischen den in den Sitzungen angeblich vereinbarten Preisen und den von ihr praktizierten Marktpreisen belegten.

185 Diesen beiden Argumenten lässt sich nichts entnehmen, was die Behauptung der Klägerin erhärten könnte, daß sie den vereinbarten Preisinitiativen nicht zugestimmt habe. Wie das Gericht nämlich bereits festgestellt hat, ist der Kommission rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin an den Sitzungen nicht ohne wettbewerbsfeindliche Einstellung teilgenommen hat, so daß das erste Argument der Klägerin nicht auf die Tatsachen gestützt werden kann.

186 Selbst wenn das zweite Argument durch Tatsachen untermauert würde, könnte es nämlich die Beteiligung der Klägerin an der Festlegung der Zielpreise in den Sitzungen nicht in Frage stellen, sondern diente höchstens dem Nachweis, daß die Klägerin das Ergebnis dieser Sitzungen nicht in die Tat umgesetzt hat. In der Entscheidung wird an keiner Stelle behauptet, daß die Klägerin Preise verlangt habe, die stets den in den Sitzungen vereinbarten Zielpreisen entsprochen hätten; dies zeigt, daß die angefochtene Handlung auch nicht auf die Durchführung der Sitzungsergebnisse durch die Klägerin gestützt wird, um deren Beteiligung an der Festlegung der Zielpreise zu beweisen.

187 Ausserdem ist die Frage, ob die Klägerin ihren Kunden ihre Preisinstruktionen bekanntgegeben hat, ohne Bedeutung. Die Klägerin kann sich nämlich nicht darauf berufen, daß ihre Preisinstruktionen rein interner Natur gewesen seien: Auch wenn sie sicherlich insofern rein interner Natur waren, als sie vom Hauptsitz an die Verkaufsabteilungen gerichtet waren, wurden sie doch erteilt, um ausgeführt zu werden und somit unmittelbar oder mittelbar Aussenwirkungen zu erzeugen, was ihnen ihren internen Charakter nimmt, selbst wenn sie nur als Berechnungsgrundlage für die zu gewährenden Rabatte dienten, wie die Klägerin behauptet.

188 Die Frage, ob die Preisinitiativen auch die Spezialerzeugnisse umfassten, ist nach Auffassung des Gerichts bei der Prüfung der Beteiligung der Klägerin an der Festlegung von Absatzzielen und Quoten (nachstehend unter E) zu prüfen, die sich unter anderem auf die Frage erstreckt, welche Palette von Produkten von den in der Entscheidung festgestellten Quotenvereinbarungen erfasst wurde. Im übrigen gilt das, was für die Quoten gilt, zumindest mittelbar auch für die Preisinitiativen, die durch die Quotenvereinbarungen gestützt werden sollten.

189 Zudem hat die Kommission aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8), in der es heisst:

"' Target prices' for the basic grade of each principal category of polypropylene as proposed by producers from time to time since 1 January 1979 are set forth in Schedule..."

("Die 'Zielpreise' , die von den Herstellern seit dem 1. Januar 1979 regelmässig für die Grundsorte der wichtigsten Polypropylen-Kategorien vorgeschlagen worden sind, sind im Anhang aufgeführt..."),

zu Recht abgeleitet, daß diese Initiativen Teil eines Systems zur Festsetzung von Preiszielen waren.

190 Das Gericht stellt schließlich fest, daß die letzte Herstellersitzung, die die Kommission nachgewiesen hat, zwar die Sitzung vom 29. September 1983 ist, daß jedoch verschiedene Hersteller (die Klägerin, BASF, Hercules, Hoechst, Hüls, ICI, Monte, Solvay und Saga) zwischen dem 20. September und dem 25. Oktober 1983 übereinstimmende Preisinstruktionen (Schreiben vom 29. März 1985, Anlage I) versandt haben, die am 1. November 1983 in Kraft treten sollten, und daß die Kommission deshalb vernünftigerweise davon ausgehen durfte, daß die Herstellersitzungen ihre Wirkungen bis zum November 1983 weiter entfaltet haben.

191 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zur Stützung der vorstehenden tatsächlichen Feststellungen nicht auf Schriftstücke zurückzugreifen brauchte, die sie in ihren Mitteilungen der Beschwerdepunkte nicht erwähnt oder der Klägerin nicht übermittelt hatte.

192 Folglich ist der Kommission rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen gekommen ist, die auf die in der Entscheidung genannten Preisinitiativen gerichtet waren, daß diese Preisinitiativen Teil eines Systems waren und daß deren Wirkungen bis zum November 1983 angehalten haben.

D - Die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen

a) Angefochtene Handlung

193 In der Entscheidung (Artikel 1 Buchstabe c und Randnr. 27; siehe auch Randnr. 42) wird der Klägerin vorgeworfen, sie habe mit den anderen Herstellern verschiedene Maßnahmen getroffen, um die Durchsetzung der Zielpreise zu erleichtern, wie vorübergehende Absatzeinschränkungen, Austausch von Einzelangaben über ihre Verkäufe, Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab September 1982 ein System des "Kundenmanagements" zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden.

194 Im System des "Kundenmanagements", das später (seit Dezember 1982) in weiterentwickelter Form als "Kundenführung" (account leadership) bezeichnet worden sei, sei die Klägerin wie alle Hersteller für mindestens einen Großkunden zum Koordinator oder Führer ernannt worden mit dem Auftrag, dessen Geschäfte mit seinen Lieferanten heimlich zu koordinieren. In Anwendung dieses Systems seien in Belgien, Italien, Deutschland und im Vereinigten Königreich Kunden bestimmt worden, für die jeweils ein "Koordinator" ernannt worden sei. Im Dezember 1982 sei eine umfassendere Annahme dieses Systems vorgeschlagen worden, wonach für jeden Großkunden ein Kundenführer ernannt worden sei, der "die Preisbewegungen [habe] lenken, erörtern und organisieren" sollen. Andere Hersteller, die in regelmässigen Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden gestanden hätten, seien als "Wettbewerber" bezeichnet worden und hätten mit dem Kundenführer bei der Preisfestsetzung für den betreffenden Kunden zusammenarbeiten sollen. Zum "Schutz" des Kundenführers und der Wettbewerber hätten andere Hersteller, an die sich die Kunden gewandt hätten, einen Preis fordern sollen, der über dem gewünschten Niveau gelegen habe. Entgegen den Behauptungen von ICI, das System sei nach nur wenigen Monaten, in denen es nur teilweise und ineffizient funktioniert habe, zusammengebrochen, werde aus dem Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983 deutlich, daß zu dieser Zeit über Einzelkunden und Preisangebote jedes einzelnen Herstellers an sie sowie Lieferungen und Bestellungen eingehend diskutiert worden sei.

b) Vorbringen der Parteien

195 Die Klägerin macht geltend, entgegen der Behauptung der Kommission, die diese auf die dem Sitzungsbericht vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) beigefügte Tabelle 3 stütze, könne sie nicht als "Kundenführer" der Firma Billermann bezeichnet werden, da sie nur gelegentlich einige Spotlieferungen an dieses Unternehmen ausgeführt habe und daher die ihm gegenüber angewandten Preise nicht habe beeinflussen können. Ausserdem besage das von der Kommission vorgelegte Schriftstück nichts darüber, ob es sich bei ihm um einen blossen Vorschlag handele oder ob es Gegenstand einer Vereinbarung gewesen sei.

196 Ebensowenig könne die Kommission in dem Umstand, daß die Klägerin möglicherweise gelegentlich ihre von einigen Kunden verlangten Preise bekanntgegeben habe, ein Indiz für ihre Beteiligung an dem System der Kundenführung sehen, da solche Informationen normalerweise am Markt zugänglich seien. In diesem Zusammenhang habe sie erwähnt, daß ihre Lieferungen an die Firma Adolff zu einem hohen Preis erfolgt seien. Die Kommission sehe darin zu Unrecht den Beweis für ihre Teilnahme an dem angeblichen System der Kundenführerschaft, da die von diesem Unternehmen verlangten Preise deshalb höher gewesen seien, weil es sich um eine punktülle, begrenzte Lieferung gehandelt habe.

197 Der Umstand, daß in den Sitzungen vom Frühjahr 1983 (gem. Bpkte., Anl. 37 und 38) über Lieferungen an einzelne Kunden und die diesen eingeräumten Rabattkonditionen gesprochen worden sei, sei kein Beweis für das System der Kundenführerschaft, da es sich dabei um den Austausch von auf dem Markt verfügbaren Informationen gehandelt habe.

198 Die Kommission hält dem entgegen, daß sich aus dem Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 29) eindeutig ergebe, daß das System der Kundenführerschaft in dieser Sitzung unter allgemeiner Zustimmung angenommen worden sei. Der Vertreter von BASF habe die anderen Sitzungsteilnehmer davor gewarnt, allen Kunden gegenüber ein und denselben Preis zu nennen. Die anwesenden Hersteller, darunter die Klägerin, hätten diesen Standpunkt akzeptiert, und es sei vorgeschlagen und vereinbart worden, daß andere Hersteller als der Hauptlieferant eines bestimmten Kunden einige Pfennige mehr verlangen sollten.

199 Aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) sowie dem Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983 (gem. Bpkte., Anl. 38) ergebe sich, daß das System habe verwirklicht werden können. In diesem Zusammenhang verweist die Kommission darauf, daß die Klägerin in zwei Sitzungsberichten als Lieferant der Firmen Adolff, Billermann und Teufelberger genannt werde (gem. Bpkte., Anl. 37 und 38).

200 Die Klägerin, die an den entsprechenden Sitzungen teilgenommen habe, sei somit an diesem System beteiligt gewesen, auch wenn sie nicht als "Kundenführer" bezeichnet worden sei, da sie neben einem "Kundenführer" die Rolle des "Wettbewerbers" gespielt haben könne.

c) Würdigung durch das Gericht

201 Das Gericht ist der Ansicht, daß Randnummer 27 der Entscheidung im Lichte der Randnummer 26 Absatz 2 so auszulegen ist, daß dort nicht jedem einzelnen Hersteller vorgeworfen wird, sich individuell verpflichtet zu haben, alle dort genannten Maßnahmen zu treffen, sondern daß jedem einzelnen dieser Hersteller der Vorwurf gemacht wird, in den Sitzungen zu verschiedenen Zeiten mit den anderen Herstellern einen Komplex von in der Entscheidung aufgeführten Maßnahmen vereinbart zu haben, mit denen insbesondere durch eine künstliche Verknappung des Polypropylenangebots günstige Voraussetzungen für eine Preisanhebung geschaffen werden sollten, wobei die Durchführung der einzelnen Maßnahmen einvernehmlich auf die verschiedenen Hersteller nach Maßgabe ihrer spezifischen Lage verteilt worden sei.

202 Festzustellen ist, daß sich die Klägerin durch die Teilnahme an den Sitzungen, in denen dieser Komplex von Maßnahmen beschlossen worden ist (insbesondere den Sitzungen vom 13. Mai, 2. und 21. September 1982; gem. Bpkte., Anl. 24, 29, 30), an diesen Maßnahmen beteiligt hat, da sie nichts zum Beweis des Gegenteils vorträgt.

203 Zur Kundenführerschaft stellt das Gericht fest, daß die Klägerin an vier Sitzungen (jenen vom 2. September 1982, vom 2. Dezember 1982, vom März 1983 und vom 3. Mai 1983) teilgenommen hat, in denen dieses System von den Herstellern erörtert wurde, und daß die Klägerin laut den Berichten über diese Sitzungen dabei bestimmte Informationen über ihre Kunden mitgeteilt hat (gem. Bpkte., Anl. 29, 33, 37 und 38). Die Vereinbarung des Systems der Kundenführerschaft ergibt sich aus folgender Stelle des Sitzungsberichts vom 2. September 1982:

"About the dangers of everyone quoting exactly DM 2.00 A.' s point was accepted but rather than go below DM 2.00 it was suggested & generally agreed that others than the major producers at individual accounts should quote a few pfs higher. Whilst customers tourism was clearly to be avoided for the next month or two it was accepted that it would be very difficult for companies to refuse to quote at all when, as was likely, customers tried to avoid paying higher prices to the regular suppliers. In such cases producers would quote but at above the minimum levels for October."

("Dem Hinweis von A. auf die Gefahren, die sich ergäben, wenn alle genau 2,00 DM verlangten, wurde zugestimmt, doch wurde vorgeschlagen und allgemein vereinbart, daß, statt unter 2,00 DM zu gehen, andere als die Hauptlieferanten eines bestimmten Kunden einige Pfennige mehr verlangen sollten. Während klargestellt wurde, daß das Abwandern von Kunden im nächsten oder in den nächsten beiden Monaten zu vermeiden sei, wurde akzeptiert, daß es für die Unternehmen sehr schwer sein würde, überhaupt keine Preise zu nennen, wenn die Kunden, womit zu rechnen sei, versuchen würden, den höheren Preisen der regelmässigen Lieferer auszuweichen. In solchen Fällen sollten die Hersteller ein Preisangebot machen, das allerdings über den Mindestpreisen für Oktober liegen sollte.")

Ebenso wurde in der Sitzung vom 21. September 1982, an der die Klägerin teilgenommen hat, folgendes erklärt: "In support of the move BASF, Hercules and Hoechst said they would be taking plant off line temporarily" ("BASF, Hercules und Hoechst sagten, daß sie diesen Schritt durch eine zeitweilige Unterbrechung der Produktion bestimmter Anlagen unterstützen würden"), und in der Sitzung vom 13. Mai 1982 versicherte Fina: "Plant will be shut down for 20 days in August" ("Der Betrieb bleibt im August für 20 Tage geschlossen").

204 Die zumindest teilweise Durchführung dieses Systems wird belegt durch den Bericht über die Sitzung vom 3. Mai 1983, in dem es heisst:

"A long discussion took place on Jacob Holm who is asking for quotations for the 3rd quarter. It was agreed not to do this and to restrict offers to the end of June. April/May levels were at DKR 6.30 (DM 1.72). Hercules were definitely in and should not habe been so. To protect BASF, it was agreed that CWH[üls] + ICI would quote DKR 6.75 from now to end June (DM 1.85)..."

("Es wurde lang über Jacob Holm diskutiert, der Preisangebote für das dritte Quartal wünscht. Es wurde vereinbart, dies nicht zu tun und Angebote auf Ende Juni zu beschränken. Das April/Mai-Niveau lag bei 6,30 DKR (1,72 DM). Hercules war klar dabei und hätte es nicht sein sollen. Zum Schutz von BASF wurde vereinbart, daß CWH[üls] und ICI ab sofort bis Ende Juni 6,75 DKR (1,85 DM) verlangen sollen...")

Diese Durchführung wird durch die Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) bestätigt, in der zu diesem Sitzungsbericht ausgeführt wird:

"In the Spring of 1983 there was a partial attempt by some producers to operate the 'Account Leadership' scheme [...] Since Hercules had not declared to the 'Account Leader' its interest in supplying Jacob Holm, the statement was made at this meeting in relation to Jacob Holm that 'Hercules were definitely in and should not habe been so'. It should be made clear that this statement refers only to the Jacob Holm account and not to the Danish market. It was because of such action by Hercules and others that the 'Account Leadership' scheme collapsed after at most two months of partial and ineffective operation.

The method by which Hüls and ICI should have protected BASF was by quoting a price of DKR 6.75 for the supply of raffia grade polypropylene to Jacob Holm until the end of June."

("Im Frühjahr 1983 versuchten einige Hersteller das System der Kundenführerschaft teilweise in Gang zu bringen... Da Hercules dem Kundenführer sein Interesse an einer Belieferung von Jacob Holm nicht mitgeteilt hatte, wurde in dieser Sitzung zu Jacob Holm festgestellt: 'Hercules war klar dabei und hätte es nicht sein sollen.' Es wurde klargestellt, daß diese Feststellung sich nur auf den Kunden Jacob Holm und nicht auf den dänischen Markt bezieht. Aufgrund dieses Verhaltens von Hercules und anderer brach das System der Kundenführerschaft nach höchstens zwei Monaten, in denen es nur teilweise und ineffizient funktionierte, zusammen. Das Vorgehen von Hüls und ICI, durch das sie BASF hätten schützen sollen, bestand darin, einen Preis von 6,75 DKR für die Lieferung von Polypropylen der Sorte Raffia an Jacob Holm bis Ende Juni zu verlangen.")

205 Die Beteiligung der Klägerin an diesem System folgt zum einen aus ihrer Teilnahme an den Sitzungen, in denen dieses System entworfen und seine Durchführung geprüft wurde, und zum anderen aus der Tatsache, daß ihr Name in den den Sitzungsberichten vom 2. September (gem. Bpkte., Anl. 29) und vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) beigefügten Tabellen neben dem Namen einiger ihrer Kunden steht. In der ersten Tabelle wird die Klägerin nämlich unter den "present suppliers + leaders" ihres deutschen Kunden Billermann und in der zweiten Tabelle als "account leader" dieses Kunden sowie ihres österreichischen Kunden Teufelberger und anderer Kunden in der Schweiz und in Schweden genannt.

206 Das Gericht stellt fest, daß die Klägerin nichts vorgetragen hat, womit sich der Nachweis führen ließe, daß sie nicht zum Kundenführer dieser Kunden - mit Ausnahme von Billermann - ernannt worden ist. Selbst wenn sie nicht zum Kundenführer von Billermann ernannt worden sein sollte, bleibt somit die Tatsache bestehen, daß die Klägerin zum Kundenführer anderer ausserhalb der Gemeinschaft niedergelassener Kunden ernannt worden ist. Der Ort der Niederlassung dieser Kunden spricht nicht gegen die Feststellung, daß die Klägerin an dem System der Kundenführerschaft innerhalb des Gemeinschaftsmarktes teilgenommen hat, da dieses System eine Einheit bildete, in dem der Vorteil, den die Klägerin sich als Kundenführer eines bestimmten, gegebenenfalls ausserhalb der Gemeinschaft niedergelassenen Kunden erhoffte, durch die Verpflichtung ausgeglichen wurde, gegenüber anderen in der Gemeinschaft niedergelassenen Kunden, zu deren Kundenführer andere Hersteller ernannt worden waren, nicht als Wettbewerber aufzutreten.

207 Folglich ist der Kommission rechtlich der Beweis gelungen, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehört, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen gekommen ist, die auf die Maßnahmen gerichtet waren, mit denen die Durchführung der in der Entscheidung genannten Preisinitiativen gefördert werden sollte.

E - Absatzziele und Quoten

a) Angefochtene Handlung

208 Nach Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung wurde in der Sitzung vom 26. und 27. September 1979 "ein straffes Quotensystem als wesentlich erachtet"; in dem Bericht über diese Sitzung werde eine Regelung erwähnt, die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart worden sei, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken.

209 In Randnummer 52 der Entscheidung heisst es ausserdem, es seien bereits vor August 1982 verschiedene Marktteilungssysteme angewandt worden. Während jeder Hersteller einen prozentualen Anteil an den voraussichtlichen Geschäftsabschlüssen erhalten habe, habe es in dieser Phase noch keine systematische Beschränkung der Gesamtproduktion im voraus gegeben. Marktschätzungen hätten also regelmässig revidiert und die Verkäufe jedes Herstellers in absoluten Tonnen-Zahlen entsprechend dem prozentualen Anteil angepasst werden müssen.

210 Für 1979 seien für jeden Hersteller Absatzziele (in Tonnen) aufgestellt worden, die zumindest teilweise auf den in den drei vorangegangenen Jahren erzielten Absatzergebnissen beruht hätten. Bei ICI sichergestellte Tabellen enthielten Angaben über das "revidierte Ziel" für jeden Hersteller für 1979 im Vergleich zu den tatsächlich in diesem Jahr in Westeuropa erzielten Absatzergebnissen (Entscheidung, Randnr. 54).

211 Ende Februar 1980 hätten die Hersteller für 1980 - wiederum in Tonnen ausgedrückte - Ziele auf der Grundlage eines voraussichtlichen Marktes von 1 390 000 Tonnen vereinbart. Nach Randnummer 55 der Entscheidung wurden bei ATO und ICI mehrere Tabellen sichergestellt, die die für jeden Hersteller für 1980 "vereinbarten Ziele" enthielten. Da sich diese ursprüngliche Marktschätzung als zu optimistisch herausgestellt habe, habe die Quote der Hersteller auf eine jährliche Gesamtnachfrage von nur 1 200 000 Tonnen nach unten revidiert werden müssen. Ausser im Falle von ICI und DSM hätten die Verkaufsergebnisse der einzelnen Hersteller weitgehend ihrem Ziel entsprochen.

212 Nach Randnummer 56 der Entscheidung war die Marktteilung für 1981 Gegenstand langer, komplizierter Verhandlungen. In den Sitzungen vom Anfang des Jahres sei vereinbart worden, daß jeder Hersteller als einstweilige Maßnahme zur Durchsetzung der Preisinitiative im Februar und März seine monatlichen Verkäufe auf ein Zwölftel von 85 % des Ziels von 1980 habe beschränken sollen. Um ein längerfristiges System vorzubereiten, habe jeder Hersteller in der Sitzung mitgeteilt, wieviel Tonnen er 1981 habe verkaufen wollen. Diese "Zielvorstellungen" sämtlicher Hersteller hätten die voraussichtliche Gesamtnachfrage weit überschritten. Obwohl Shell und ICI verschiedene Kompromißformeln vorgeschlagen hätten, habe keine endgültige Quotenvereinbarung für 1981 geschlossen werden können. Als Notbehelf hätten die Hersteller auf ihre Vorjahresquote zurückgegriffen und in der Sitzung über ihre tatsächlichen monatlichen Absatzergebnisse berichtet. So seien die tatsächlichen Verkäufe vor dem Hintergrund einer theoretischen Teilung des verfügbaren Marktes auf der Grundlage der Quoten von 1980 überwacht worden (Entscheidung, Randnr. 57).

213 Nach Randnummer 58 der Entscheidung unterbreiteten die Hersteller für 1982 komplizierte Quotenvorschläge, bei denen versucht worden sei, unterschiedliche Faktoren wie frühere Leistungen, Marktziele und vorhandene Kapazität in Einklang zu bringen. Der aufzuteilende Gesamtmarkt sei auf 1 450 000 Tonnen geschätzt worden. Einige Hersteller hätten ausgeklügelte Pläne für eine Marktteilung vorgelegt, während sich andere damit zufriedengegeben hätten, lediglich ihre Zielvorstellungen mitzuteilen. In der Sitzung vom 10. März 1982 hätten Monte und ICI versucht, eine Einigung zu erzielen. Wie 1981 sei es jedoch auch 1982 nicht zu einer endgültigen Vereinbarung gekommen, so daß im ersten Halbjahr die monatlichen Verkäufe der Hersteller in den Sitzungen mitgeteilt und anhand der Vorjahresanteile überwacht worden seien (Entscheidung, Randnr. 58, letzter Absatz). In der Sitzung vom August 1982 seien die Gespräche zur Erreichung einer Vereinbarung über die Quoten für 1983 fortgesetzt worden; ICI habe mit jedem Hersteller bilaterale Gespräche über das neue System geführt. Bis zur Einführung eines solchen Quotensystems hätten die Hersteller jedoch im zweiten Halbjahr 1982 versuchen sollen, ihre monatlichen Verkäufe auf dieselben prozentualen Anteile am Gesamtmarkt zu beschränken, die jeder von ihnen im ersten Halbjahr 1982 erreicht habe. So hätten sich 1982 die Marktanteile in einem relativen Gleichgewicht befunden und seien für die meisten Hersteller im Vergleich zu den Vorjahren stabil geblieben.

214 Nach Randnummer 60 der Entscheidung forderte ICI für 1983 die Hersteller auf, ihre Quotenvorstellungen mitzuteilen und Vorschläge für die prozentualen Zuteilungen an die anderen Hersteller zu unterbreiten. Monte, Anic, ATO, DSM, die Klägerin, Saga und Solvay sowie die deutschen Hersteller (letztere durch BASF) hätten ausführliche Vorschläge gemacht. Die verschiedenen Vorschläge seien in einen Rechner eingegeben worden, um einen Durchschnitt zu ermitteln, der mit den durchschnittlichen Bestrebungen ("aspirations") der einzelnen Hersteller verglichen worden sei. Anhand dieser Vorarbeiten habe ICI Leitlinien für eine neue Rahmenvereinbarung für 1983 angeregt. Diese Vorschläge seien in den Sitzungen vom November und Dezember 1982 diskutiert worden. Ein zunächst auf das erste Quartal des Jahres beschränkter Vorschlag sei in der Sitzung vom 2. Dezember 1982 erörtert worden. Aus dem von ICI erstellten Bericht über diese Sitzung gehe hervor, daß ATO, DSM, Hoechst, Hüls, ICI, Monte und Solvay sowie Hercules die ihnen zugeteilte Quote als "akzeptabel" angesehen hätten (Entscheidung, Randnr. 63). Dies werde durch den Vermerk über ein Telefongespräch zwischen ICI und Hercules vom 3. Dezember 1982 bestätigt.

215 Nach Randnummer 63 Absatz 3 der Entscheidung bestätigt ein bei Shell gefundenes Schriftstück, daß eine Vereinbarung zustande gekommen sei, da sich dieses Unternehmen bemüht habe, seine Quote nicht zu überschreiten. Dieses Dokument bestätige auch, daß ein Mengenkontrollsystem im zweiten Quartal 1983 fortgesetzt worden sei, denn die nationalen Verkaufsunternehmen in der Shell-Gruppe seien angewiesen worden, ihre Verkäufe zu reduzieren, um ihre Marktanteile im zweiten Quartal bei 11 % zu halten. Das Bestehen dieser Vereinbarung werde durch den Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 bestätigt, der zwar keinen besonderen Hinweis auf Quoten enthalte, aber erwähne, daß die Experten Einzelheiten über die von ihnen im Vormonat verkauften Mengen ausgetauscht hätten, was darauf hindeuten würde, das irgendeine Quotenregelung bestanden habe (Entscheidung, Randnr. 64).

216 Obwohl zu keiner Zeit ein System zur Sanktionierung von Quotenüberschreitungen eingeführt worden sei, habe die Regelung, wonach jeder Hersteller in den Sitzungen die im vorangegangenen Monat verkaufte Menge habe melden müssen - wobei das Risiko bestanden habe, daß die übrigen Hersteller Kritik äusserten, wenn diese Menge als unangemessen angesehen worden sei -, dazu geführt, daß das dem Hersteller zugewiesene Ziel eingehalten worden sei (Entscheidung, Randnr. 65).

b) Vorbringen der Parteien

217 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe nicht den Nachweis erbringen können, daß ein Quotensystem durchgeführt worden sei, und noch weniger, daß die Klägerin sich daran beteiligt habe. Die Feststellungen der Kommission zur Festsetzung von Verkaufsmengenzielen ließen in besonderem Masse eine Konkretisierung vermissen; fest stehe allein, daß die Kommission einräume, daß die Unternehmen für die Jahre 1981 und 1982 nicht zu einer endgültigen Vereinbarung gekommen seien.

218 Die von der Kommission vorgelegten Beweise seien im wesentlichen Vorschläge oder nachträglich erstellte Tabellen, aus denen sich weder ergebe, wer sie aufgestellt habe, noch, wie sie zustande gekommen seien. Es sei unredlich, wenn die Kommission versuche, aus der Verwendung des Begriffs "agreed targets" ("vereinbarte Ziele") in einer dieser Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 60) Nutzen für sich zu ziehen, da sie verschweige, daß unter dieser Tabelle bei vier der genannten Unternehmen der Zusatz "to be rechecked" ("zu überprüfen") stehe. Aus diesem Zusatz ergebe sich, daß es nicht zu einer Vereinbarung gekommen sein könne.

219 Auch könne der Entscheidung wegen ihres Mangels an Klarheit nicht entnommen werden, ob den Unternehmen die Verwirklichung der Verkaufsmengenziele vorgeworfen werde. In Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe e der Entscheidung werde den Unternehmen jedenfalls nur vorgeworfen, sich Quoten zugeteilt oder sich zu Beschränkungen ihrer monatlichen Verkäufe verpflichtet zu haben, ohne daß von irgendeiner Durchführung die Rede sei.

220 In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, daß zum einen die Verkaufsmengenziele keineswegs allgemein eingehalten worden seien und zum anderen keine Kritik an den Unternehmen geäussert worden sei, die die ihnen angeblich zugeteilten Quoten nicht beachtet hätten. Diese Nichteinhaltung der Quoten lege den Schluß nahe, daß die in einigen Schriftstücken genannten Ziele nicht das Ergebnis von Vereinbarungen, sondern nur Planspiele oder Wunschdenken gewesen sei, da die Kommission den Beweis schuldig geblieben sei, daß sich die Unternehmen zur Einhaltung dieser Ziele verpflichtet hätten. Die Kommission räume selbst ein, daß die Einhaltung dieser Ziele freiwillig gewesen sei, so daß es unstreitig an dem für den Tatbestand der Vereinbarung erforderlichen Willen, sich rechtlich oder moralisch zu binden, gefehlt habe.

221 Bezueglich der Umsetzung der angeblichen Quoten belege im übrigen die Tabelle 8 im Anhang der Entscheidung selbst, daß die tatsächlich gelieferten Mengen erheblich von diesen Quoten abgewichen seien. Im Fall der Klägerin hätten die Abweichungen bis zu 20 % gegenüber den angeblich zugeteilten Quoten betragen.

222 Die Klägerin geht sodann die einzelnen Jahre durch, für die nach der Entscheidung ein System von Verkaufsmengenzielen aufgestellt worden sein soll.

223 Sie führt aus, die Kommission behaupte für 1979, daß Verkaufsmengenziele in Tonnen aufgestellt worden seien, doch erkläre sie nicht, von wem, und führe nicht den Nachweis, daß irgend jemand sich zu ihrer Einhaltung verpflichtet hätte.

224 Für 1980 fehle ebenfalls jeder Hinweis, daß es eine Vereinbarung gegeben habe und daß die Unternehmen sich zur Einhaltung der festgesetzten Ziele verpflichtet hätten. Die Feststellung der Kommission, daß lediglich ein Hersteller mit seinen Verkäufen hinter dem für 1980 gesteckten Ziel zurückgeblieben sei, besage zudem nichts über die Einhaltung der von den Unternehmen angeblich vereinbarten Quoten. Wie bereits vorgetragen, habe die Kommission die Teilnahme der Klägerin an den Herstellersitzungen vor 1981 nicht nachgewiesen; dem sei bei der Prüfung der Beweise, die die Kommission für 1979 und 1980 angeführt habe, Rechnung zu tragen.

225 Für 1981 und 1982 sei die einzige Tatsache, die bewiesen sei, das Fehlen einer endgültigen Vereinbarung, was auch in der Entscheidung ausdrücklich anerkannt werde. Ausserdem sei nicht bewiesen, daß die in den Sitzungen der Jahre 1981 und 1982 ausgetauschten Zahlen richtig gewesen seien, und die Kommission habe sich nicht dazu geäussert, ob die Zahlen mit den Lieferzielen übereinstimmten. Im übrigen lasse sich die besondere Bedeutung, die der neue Vorsitzende der Herstellersitzungen der Einführung eines Quotensystems beigemessen habe, zu dessen Einhaltung die Beteiligten sich hätten verpflichten müssen, nur damit erklären, daß man sich bis dahin nicht an die erörterten oder vereinbarten Quoten gehalten habe.

226 Hilfsweise führt die Klägerin aus, wenn zwischen den Verkaufsmengenzielen und den tatsächlichen Verkäufen eine gewisse Übereinstimmung bestanden habe, so beruhe dies darauf, daß die Unternehmen bei der Ausarbeitung ihrer Strategie am Ende des Jahres für das nächste Jahr Projektionen anstellten, die nicht sehr stark von der Wirklichkeit abweichen könnten, weil Polypropylen ein Produkt sei, dessen besondere Eigenschaften Marktpflege beim Kunden verlange, und deshalb sprunghafte Veränderungen der Marktanteile kaum möglich seien.

227 Für das Jahr 1983 enthalte die Entscheidung eine ausführliche Schilderung der Bemühungen einiger Unternehmen um Einführung eines Quotensystems. In der Entscheidung werde jedoch nicht klar ausgesprochen, ob diese Bemühungen von Erfolg gekrönt gewesen seien. Die von der Kommission angeführten Beweise ließen nicht den Schluß zu, daß diese Bemühungen zu einer Vereinbarung geführt hätten.

228 Dazu trägt die Klägerin zunächst vor, die Gespräche zwischen Shell und ICI im Mai 1983, auf die die Kommission in der Entscheidung hinweise, seien ihr völlig unbekannt; die Kommission behaupte zu Unrecht, daß die Klägerin einen eigenen ausführlichen Quotenvorschlag unterbreitet habe. Der von der Kommission angeführte Vermerk von ICI (gem. Bpkte., Anl. 80) könne diese Behauptung nicht belegen, da es dort lediglich heisse, daß die Klägerin auf eine telefonische Anfrage nach ihren Vorstellungen für das Jahr 1983 die Zahl 5 % genannt habe. Diese Zahl sei natürlich nicht akzeptiert worden.

229 Der von der Kommission als Beweis für die tatsächliche Einhaltung der vereinbarten Quoten herangezogene Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40) sei ebenfalls nicht beweiskräftig, da er überhaupt keinen Vergleich zwischen den tatsächlichen Verkäufen und den angeblichen Quoten enthalte. Der Bericht gebe nämlich nur die tatsächlichen Verkäufe der einzelnen Hersteller wieder.

230 Entscheidend sei letztlich, daß die Kommission selbst einräume, die Einhaltung der Ziele sei freiwillig gewesen, so daß es unstreitig an dem für den Tatbestand der Vereinbarung erforderlichen Bindungswillen gefehlt habe.

231 Selbst wenn man annehme, daß von den Herstellern Quoten festgesetzt worden seien, hätten diese sich nur auf die Grundsorten und die "commodities" bezogen, keinesfalls aber auf die Spezialerzeugnisse, die zwischen 63 und 80 % der Verkäufe der Klägerin in der Gemeinschaft ausmachten.

232 Die Kommission macht geltend, daß entgegen dem Vorbringen der Klägerin die Entscheidung in den Punkten 54 ff. sehr klar einen allgemeinen Überblick über das Quotensystem gebe, wie es während einer Reihe von Jahren angewandt worden sei.

233 Für das Jahr 1979 lasse eine nicht datierte Tabelle mit der Überschrift "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropa"), die bei ICI gefunden worden sei (gem. Bpkte., Anl. 55) und für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Absatzzahlen in Kilotonnen für die Jahre 1976, 1977 und 1978 sowie unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979") und "revised target 79" ("revidiertes Ziel 79") Zahlen enthalte, deren Auslegung nicht zweifelhaft sein könne, klar eine Beteiligung der Klägerin an einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr erkennen. Die in diesem Schriftstück enthaltenen genauen Angaben seien den Wettbewerbern in einer "normalen" Wettbewerbssituation nicht bekannt und setzten somit eine Beteiligung der Klägerin an der Ausarbeitung dieses Schriftstücks voraus.

234 Auch für 1980 ergebe sich die Beteiligung der Klägerin an dem Kartell klar aus den der Kommisison vorliegenden Unterlagen. Dabei handele es sich um eine bei ATO gefundene Tabelle vom 26. Februar 1980 mit der Bezeichnung "Polypropylene - Sales target 1980 (kt)" ("Polypropylen-Verkaufsziel 1980 (kt)"), in der für alle westeuropäischen Hersteller ein "1980 target" ("Ziel 1980"), "opening suggestions" ("Ausgangsvorschläge"), "proposed adjustments" ("vorgeschlagene Berichtigungen") und "agreed targets" ("vereinbarte Ziele") (gem. Bpkte., Anl. 60) verglichen würden. Dieses Schriftstück zeige, wie die Quoten ausgearbeitet worden seien. Bestätigt werde dieses Beweismittel durch eine bei ATO und ICI gefundene Tabelle, in der für alle Hersteller deren Verkäufe in Mengen und Marktanteilen unter folgenden Rubriken verglichen würden: "1979 actual", "1980 target", "[1980] actual" ("tatsächliche Zahlen 1980") und "1981 aspirations" ("Bestrebungen 1981") (gem. Bpkte., Anl. 59 und 61). ICI habe in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu diesem Schriftstück festgestellt: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein.")

235 Für 1981 räumt die Kommission ein, daß eine Quotenvereinbarung für das ganze Jahr nicht erreicht worden sei; die für 1980 vorgesehene Quote sei jedoch als ein theoretischer Anspruch angesehen worden, und die Verkäufe seien monatlich kontrolliert worden. So ergebe sich aus dem Bericht über die genannten Sitzungen vom Januar 1981, daß die Hersteller ihre tatsächlichen Lieferungen mit den festgelegten Zielen verglichen hätten (gem. Bpkte., Anl. 17), und eine bei ICI gefundene Tabelle, die aber von einem italienischen Hersteller stamme, zeige, daß die Hersteller ihre Verkäufe für das Jahr 1981 mit denen des Vorjahres verglichen hätten (gem. Bpkte., Anl. 65). Die Kommission schließt daraus, daß für 1981 mangels einer allgemeinen Vereinbarung über die Aufteilung der Mengen vorläufige Maßnahmen getroffen worden seien. Dies werde durch weitere Unterlagen bestätigt (gem. Bpkte., Anl. 66 bis 68).

236 Aus den den Berichten über die Sitzungen vom 9. Juni 1982 und 20. August 1982 beigefügten Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 25 und 28) ergebe sich, daß die Hersteller im ersten Halbjahr 1982 ihre monatlichen Verkäufe mit denen des Jahres 1981 verglichen hätten. Für das zweite Halbjahr folge aus dem zweiten dieser Berichte, daß die Hersteller ihre monatlichen Verkäufe auf dem Niveau ihres im ersten Halbjahr erzielten Absatzes hätten beschränken sollen. Die den Berichten über die Sitzungen vom 6. Oktober, 2. November und 2. Dezember 1982 beigefügten Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 31 bis 33) zeigten, daß die Hersteller ihre Verkäufe des zweiten Halbjahres mit denen des ersten Halbjahres verglichen hätten. FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM : 689A0015.3

237 Für das Jahr 1983 verfüge die Kommission über die Quotenvorstellungen und Vorschläge, die einzelne Hersteller, darunter die Klägerin (gem. Bpkte., Anl. 80), für sich selbst und die anderen Hersteller auf Anfrage von ICI gemacht und dieser im Hinblick auf den Abschluß einer Quotenvereinbarung für 1983 übermittelt hätten (gem. Bpkte., Anl. 74 bis 84). Die Klägerin habe nichts Konkretes dafür vorgetragen, daß der Vermerk von ICI nicht den Inhalt ihres Vorschlags wiedergebe. Die Vorschläge seien in einen Rechner eingegeben worden, um einen Durchschnitt zu ermitteln, der dann mit den Bestrebungen der einzelnen Hersteller verglichen worden sei (gem. Bpkte., Anl. 85). Neben diesen Schriftstücken legt die Kommission einen internen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene framework 1983" ("Polypropylen-Rahmen 1983") (gem. Bpkte., Anl. 86) vor, in der ICI die Leitlinien für eine künftige Quotenvereinbarung darlege.

238 Schließlich ergebe sich aus einem bei Shell gefundenen internen Vermerk (gem. Bpkte., Anl. 90) der Abschluß einer Quotenvereinbarung für das zweite Quartal 1983. Diesem Vermerk zufolge habe Shell ihre nationalen Verkaufsgesellschaften nämlich angewiesen, ihre Verkäufe zu reduzieren, um die ihr zugeteilte Quote einzuhalten. Ausserdem zeige der Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40), daß über die Verkaufsmengen des Monats Mai Informationen ausgetauscht worden seien und die Klägerin die ihr zugeteilten Quoten eingehalten habe.

239 Unter diesen Umständen sei es deshalb ohne Belang, daß für Quotenüberschreitungen keine Sanktion vorgesehen worden sei.

240 Die Kommission meint schließlich, die Quoten hätten sich entgegen den Behauptungen der Klägerin auf sämtliche Polypropylensorten bezogen.

c) Würdigung durch das Gericht

241 Das Gericht erinnert daran, daß die Klägerin von Anfang an an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller teilgenommen hat, in denen die Verkaufsmengen der verschiedenen Hersteller diskutiert und Informationen hierüber ausgetauscht worden sind.

242 Parallel zur Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen wird ihr Name in verschiedenen Tabellen (gem. Bpkte., Anl. 55 bis 61) genannt, deren Inhalt eindeutig darauf hinweist, daß sie zur Festlegung von Verkaufsmengenzielen bestimmt waren. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die meisten Klägerinnen in ihren Antworten auf eine schriftliche Frage des Gerichts eingeräumt haben, daß es nicht möglich gewesen sei, die bei ICI, ATO und Hercules aufgefundenen Tabellen auf der Grundlage der Statistiken des Fides-Systems zu erstellen, und daß ICI im übrigen in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen (gem. Bpkte., Anl. 8) zu einer dieser Tabellen erklärt hat: "The source of information for actual historic figures in this table would have been the producers themselves" ("Die Quelle für die in dieser Tabelle genannten tatsächlich erzielten Zahlen müssen die Hersteller selbst gewesen sein"). Die Kommission ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß die in diesen Tabellen enthaltenen Angaben, die die Klägerin betreffen, von ihr selbst im Rahmen der Sitzungen gemacht worden waren, an denen sie teilgenommen hatte.

243 Die in den Tabellen für die Jahre 1979 und 1980 benutzte Terminologie (wie "revised target" ["revidiertes Ziel"], "opening suggestions" ["Ausgangsvorschläge"], "proposed adjustments" ["vorgeschlagene Berichtigungen"] und "agreed targets" ["vereinbarte Ziele"]) lässt den Schluß zu, daß es zwischen den Herstellern zu Willensübereinstimmungen gekommen ist.

244 Für das Jahr 1979 ist auf der Grundlage des gesamten Berichts über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 (gem. Bpkte., Anl. 12) und der bei ICI sichergestellten, nicht datierten Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 55) mit der Bezeichnung "Producers' Sales to West Europe" ("Verkäufe der Hersteller innerhalb Westeuropa"), in der für alle westeuropäischen Polypropylenhersteller die Verkaufszahlen in Kilotonnen für 1976, 1977 und 1978 sowie unter den Rubriken "1979 actual" ("tatsächliche Zahlen 1979"), "revised target" und "79" weitere Zahlen genannt werden, festzustellen, daß in dieser Sitzung die Notwendigkeit anerkannt wurde, das für 1979 vereinbarte Quotensystem für die letzten drei Monate dieses Jahres zu verschärfen. Der Ausdruck "tight" ("strikt") in Verbindung mit der Begrenzung auf 80 % von einem Zwölftel der vorgesehenen jährlichen Verkäufe weist darauf hin, daß die für 1979 ursprünglich geplante Regelung für diese letzten drei Monate verschärft werden sollte. Diese Auslegung des Sitzungsberichts wird durch die genannte Tabelle bestätigt, denn diese enthält unter der Überschrift "79" in der letzten Spalte rechts von der Spalte mit der Überschrift "revised target" Zahlen, die den ursprünglich festgelegten Quoten entsprechen müssen. Diese müssen im Sinne einer Verschärfung revidiert worden sein, da sie auf der Grundlage einer zu optimistischen Marktschätzung festgelegt worden waren, wie dies auch 1980 der Fall war. Diese Feststellungen werden nicht dadurch entkräftet, daß in Randnummer 31 Absatz 3 der Entscheidung eine Regelung erwähnt wird, "die in Zuerich vorgeschlagen bzw. vereinbart wurde, um die monatlichen Verkäufe auf 80 % der in den ersten acht Monaten des Jahres getätigten durchschnittlichen Verkäufe zu beschränken". Dieser Hinweis ist in Verbindung mit Randnummer 54 der Entscheidung so zu verstehen, daß ursprünglich schon für die monatlichen Verkäufe der ersten acht Monate des Jahres 1979 Verkaufsmengenziele festgelegt worden waren.

245 Für das Jahr 1980 stellt das Gericht fest, daß die Festlegung von Verkaufsmengenzielen für das gesamte Jahr in erster Linie aus der bei ATO aufgefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 (gem. Bpkte., Anl. 60) hervorgeht, die eine Spalte "agreed targets 1980" enthält. Der Beweiswert dieser Tabelle wird nicht durch den neben dem Namen von vier Unternehmen stehenden Zusatz "to be rechecked" ("zu überprüfen") in Frage gestellt, denn zwei andere Beweismittel belegen, daß diese Überprüfung zu einer Einigung aller Beteiligten geführt hat. Es handelt sich zum einen um den Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981 (gem. Bpkte., Anl. 17), in denen Hersteller, unter ihnen die Klägerin, die tatsächlich verkauften Mengen ("actual kt") mit den festgelegten Zielen ("target kt") verglichen haben, und zum anderen um eine Tabelle vom 8. Oktober 1980 (gem. Bpkte., Anl. 57), in der in zwei Spalten die "1980 Nameplate Capacity" ("nominale Kapazität 1980") und die "1980 Quota" für die einzelnen Hersteller miteinander verglichen werden.

246 Für 1981 weist das Gericht darauf hin, daß den Herstellern vorgeworfen wird, daß sie an den Verhandlungen teilgenommen hätten, um zu einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr zu kommen, sowie daß sie in diesem Rahmen ihre "Bestrebungen" mitgeteilt hätten und in Erwartung einer solchen Vereinbarung übereingekommen seien, ihre monatlichen Verkäufe während der Monate Februar und März 1981 vorübergehend auf ein Zwölftel von 85 % des für 1980 vereinbarten "Ziels" zu reduzieren, daß sie sich für den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen hätten, daß sie jeden Monat in den Sitzungen ihre Verkäufe bekanntgegeben hätten und daß sie schließlich überprüft hätten, ob ihre Verkäufe die zugeteilte theoretische Quote einhielten.

247 Daß zwischen den Herstellern Verhandlungen im Hinblick auf die Einführung einer Quotenregelung stattgefunden haben und daß die Hersteller in diesen Verhandlungen ihre "Bestrebungen" mitgeteilt haben, wird durch verschiedene Beweismittel belegt, wie Tabellen, die für jeden Hersteller dessen Zahlen für die Jahre 1979 und 1980 als "actual" und "targets" sowie seine "aspirations" für 1981 ausweisen (gem. Bpkte., Anl. 59 und 61), eine in italienischer Sprache abgefasste Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 62), die für jeden Hersteller dessen Quote für 1980, die Vorschläge anderer Hersteller bezueglich der ihm für 1981 zuzuteilenden Quoten und seine eigenen "Bestrebungen" für 1981 ausweist, sowie einen internen Vermerk von ICI (gem. Bpkte., Anl.63) über den Verlauf dieser Verhandlungen, in dem es heisst:

"Taking the various alternatives discussed at yesterday' s meeting we would prefer to limit the volume to be shared to no more than the market is expected to reach in 1981, say 1.35 million tons. Although there has been no further discussion with Shell, the four majors could set the lead by accepting a reduction in their 1980 target market share of about 0.35 % provided the more ambitious smaller producers such as Solvay, Saga, DSM, Chemie Linz, Anic/SIR also tempered their demands. Provided the majors are in agreement the anomalies could probably be best handled by individual discussions at Senior level, if possible before the meeting in Zuerich."

("Unter den verschiedenen in der gestrigen Sitzung erörterten Möglichkeiten bevorzugen wir diejenige, die aufzuteilende Menge auf das Volumen zu begrenzen, das der Markt 1981 voraussichtlich erreichen wird, also etwa 1,35 Millionen Tonnen. Obwohl keine weitere Diskussion mit Shell stattgefunden hat, könnten die vier Grossen die Richtung weisen, indem sie ihren Zielmarktanteil für 1980 um etwa 0,35 % reduzieren, sofern die ehrgeizigeren kleineren Hersteller wie Solvay, Saga, DSM, Chemie Linz, Anic/SIR ihre Forderungen ebenfalls zuegeln. Vorausgesetzt, die Grossen sind sich einig, könnten die Anomalien möglicherweise durch individuelle Diskussionen auf Chefebene möglichst vor der Sitzung in Zuerich bewältigt werden.")

Diesem Dokument ist ein bezifferter Kompromißvorschlag beigefügt, in dem das von jedem Hersteller erzielte Ergebnis mit 1980 verglichen wird ("% of 1980 target").

248 Die Annahme vorläufiger Maßnahmen in Form einer Reduzierung der monatlichen Verkäufe in den Monaten Februar und März 1981 auf ein Zwölftel von 85 % des für das Vorjahr vereinbarten Ziels ergibt sich aus dem Bericht über die Sitzungen vom Januar 1981, in dem es heisst:

"In the meantime (february-march) monthly volume would be restricted to 1/12 of 85 % of the 1980 target with a freeze on customers."

("In der Zwischenzeit [Februar/März] soll die monatliche Menge auf 1/12 von 85 % des Ziels 1980 mit einem Einfrieren der Kunden reduziert werden.")

249 Die Tatsache, daß sich die Hersteller für den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen und durch den monatlichen Austausch ihrer Verkaufszahlen überprüft haben, ob die Verkäufe diese Quote einhielten, wird durch drei im Zusammenhang zu sehende Schriftstücke bewiesen. Es handelt sich erstens um eine Tabelle vom 21. Dezember 1989 (gem. Bpkte., Anl. 67), in der für jeden Hersteller die nach Monaten aufgeschlüsselten Verkäufe angegeben werden und deren letzte drei Spalten bezueglich der Monate November und Dezember sowie für das gesamte Jahr handschriftlich hinzugefügt worden sind. Zweitens handelt es sich um eine bei ICI gefundene, in italienischer Sprache abgefasste Tabelle ohne Datum mit der Bezeichnung "Scarti per società" ("Abweichungen, aufgeschlüsselt nach Gesellschaften") (gem. Bpkte., Anl. 65), in der für jeden Hersteller für die Zeit von Januar bis Dezember 1981 die Verkaufszahlen "actual" mit den Zahlen "theoretic[al]" ("theoretisch") verglichen werden. Es handelt sich drittens um eine bei ICI gefundene, nicht datierte Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 68), in der für jeden Hersteller für die Zeit von Januar bis November 1981 die Verkaufszahlen und die Marktanteile mit denjenigen von 1979 und von 1980 verglichen werden, wobei eine Vorausberechnung für das Jahresende vorgenommen wird.

250 Die erste Tabelle zeigt, daß die Hersteller ihre monatlichen Verkaufszahlen ausgetauscht haben. Verbindet man sie mit den - in den beiden anderen, auf denselben Zeitraum bezogenen Tabellen angestellten - Vergleichen zwischen diesen Zahlen und denjenigen von 1980, so erhärtet ein solcher Austausch von Informationen, die ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer streng als Betriebsgeheimnisse hütet, die Schlußfolgerungen, zu denen die Kommission in der Entscheidung gekommen ist.

251 Die Teilnahme der Klägerin an diesen verschiedenen Aktivitäten ergibt sich zum einen aus ihrer Teilnahme an den Sitzungen, in denen diese Aktionen stattgefunden haben, namentlich an den Sitzungen vom Januar 1981, und zum anderen daraus, daß ihr Name in den erwähnten Schriftstücken genannt wird. Diese Schriftstücke enthalten im übrigen, wie bereits festgestellt wurde, Zahlen, die nach der Antwort von ICI auf eine schriftliche Frage des Gerichts - auf die andere Klägerinnen in ihrer eigenen Antwort Bezug nehmen - nicht auf der Grundlage der Statistiken des Fides-Systems hätten erstellt werden können.

252 Für 1982 weist das Gericht darauf hin, daß den Herstellern vorgeworfen wird, daß sie an den Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluß einer Quotenvereinbarung für dieses Jahr teilgenommen hätten, daß sie in diesem Rahmen ihre Bestrebungen im Hinblick auf die Verkaufsmengen mitgeteilt hätten, daß sie in Ermangelung einer endgültigen Vereinbarung in den Sitzungen ihre monatlichen Verkaufszahlen für das erste Halbjahr mitgeteilt und mit dem im Vorjahr erzielten prozentualen Anteil verglichen hätten und daß sie sich während des zweiten Halbjahrs bemüht hätten, ihre monatlichen Verkäufe auf den prozentualen Anteil des Gesamtmarkts zu beschränken, den sie in der ersten Hälfte dieses Jahres erzielt hätten.

253 Daß zwischen den Herstellern Verhandlungen im Hinblick auf die Einführung einer Quotenregelung stattgefunden haben und daß die Hersteller in diesem Rahmen ihre Bestrebungen mitgeteilt haben, wird belegt erstens durch ein Schriftstück mit der Bezeichnung "Scheme for discussions 'quota system 1982' " ("Diskussionsschema für ein Quotensystem 1982") (gem. Bpkte., Anl. 69), in dem für alle Adressaten der Entscheidung mit Ausnahme von Hercules die Menge, auf die jeder Anspruch zu haben glaubte, und ausserdem für einige (alle ausser Anic, Linz, Petrofina, Shell und Solvay) die Menge angegeben wird, die ihrer Ansicht nach den anderen Herstellern zugeteilt werden sollte; zweitens durch einen Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "Polypropylene 1982, Guidelines" ("Polypropylen 1982, Leitlinien") (gem. Bpkte., Anl. 70, a), in dem ICI die laufenden Verhandlungen analysiert; drittens durch eine Tabelle vom 17. Februar 1982 (gem. Bpkte., Anl. 70, b), in der verschiedene Vorschläge zur Aufteilung der Verkäufe verglichen werden, von denen einer mit der Bezeichnung "ICI Original Scheme" ("ursprüngliches Schema ICI") in einer anderen, handgeschriebenen Tabelle von Monte in einer Spalte mit der Überschrift "Milliavacca 27/1/82" (es handelt sich um den Namen eines Angestellten von Monte) geringfügig angepasst worden ist (gem. Bpkte., Anl. 70, c); schließlich durch eine in italienischer Sprache abgefasste Tabelle (gem. Bpkte., Anl. 71), die einen komplexen Vorschlag darstellt (beschrieben in der Entscheidung, Randnr. 58 Absatz 2 am Ende).

254 Die für das erste Halbjahr getroffenen Maßnahmen werden durch den Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 (gem. Bpkte., Anl. 24) bewiesen, in dem es u. a. heisst:

"To support the move a number of other actions are needed a) limit sales volume to some agreed prop. of normal sales."

("Zur Unterstützung dieses Schritts ist eine Reihe weiterer Maßnahmen erforderlich a) Begrenzung des Verkaufsvolumen auf einen bestimmten, vereinbarten Teil der üblichen Verkäufe.")

255 Die Durchführung dieser Maßnahmen wird bewiesen durch den Bericht über die Sitzung vom 9. Juni 1982 (gem. Bpkte., Anl. 25), dem eine Tabelle beigefügt ist, in der für jeden Hersteller die Verkaufszahlen "actual" für die Monate Januar bis April 1982, verglichen mit einer als "theoretical based on 1981 av[erage] market share" ("theoretisch, gestützt auf den durchschnittlichen Marktanteil 1981") bezeichneten Zahl genannt wird, sowie durch den Bericht über die Sitzung vom 20. und 21. Juli 1982 (gem. Bpkte., Anl. 26) für den Zeitraum Januar bis Mai 1982 und durch den Bericht über die Sitzung vom 20. August 1982 (gem. Bpkte., Anl. 28) für den Zeitraum Januar bis Juli 1982.

256 Die für das zweite Halbjahr getroffenen Maßnahmen werden bewiesen durch den Bericht über die Sitzung vom 6. Oktober 1982 (gem. Bpkte., Anl. 31), in dem es zum einen heisst: "In October this would also mean restraining sales to the Jan/June achieved market share of a market estimated at 100 kt" ("im Oktober würde dies auch eine Begrenzung der Verkäufe auf den Anteil bedeuten, der im Zeitraum Januar/Juni bei einem auf 100 kt geschätzten Markt erzielt wurde") und zum anderen: "Performance against target in September was reviewed" ("Das Verhältnis zwischen erreichtem Ergebnis und Ziel im September wurde geprüft"). Diesem Bericht ist eine Tabelle mit der Bezeichnung "September provisional sales versus target (based on Jan-June market share applied to demand est[imated] at 120 kt)" ("voraussichtliche Verkäufe im September im Verhältnis zum Ziel (auf der Grundlage des Marktanteils Januar/Juni bei einer geschätzten Nachfrage von 120 kt")) beigefügt. Die Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen wird durch den Bericht über die Sitzung vom 2. Dezember 1982 (gem. Bpkte., Anl. 33) bestätigt, dem eine Tabelle beigefügt ist, in der für den November 1982 die Verkäufe "Actual" mit den Zahlen "Theoretical", berechnet auf der Basis "J-June % of 125 Kt" ("J-Juni Prozentsatz von 125 kt"), verglichen werden.

257 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission für das Jahr 1981 und für die beiden Halbjahre des Jahres 1982 aus der Tatsache, daß in den regelmässigen Sitzungen eine gegenseitige Überwachung der Durchführung eines Systems zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum stattgefunden hat, zu Recht gefolgert hat, daß dieses System von den Teilnehmern an den Sitzungen angenommen worden war.

258 Für das Jahr 1983 stellt das Gericht fest, daß sich aus den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken (gem. Bpkte., Anl. 33, 85 und 87) ergibt, daß die Polypropylenhersteller Ende 1982 und Anfang 1983 eine Quotenregelung für das Jahr 1983 erörtert haben, daß die Klägerin an den Sitzungen, in denen diese Diskussionen stattgefunden haben, teilgenommen hat und daß sie bei dieser Gelegenheit Angaben über ihre Verkäufe gemacht hat; aus einem Vermerk von ICI mit der Bezeichnung "1983 - C. Linz proposal" ("1983 - Vorschlag von C. Linz") (gem. Bpkte., Anl. 80) ergibt sich, daß die Klägerin einen Vorschlag für eine Marktteilung zwischen den einzelnen Herstellern nach Tonnen unterbreitet hat, der in Marktanteile umgerechnet von ICI in die von ihr erstellte Übersichtstabelle (gem. Bpkte., Anl. 85, S. 2) übernommen worden ist.

259 Folglich hat die Klägerin an den Verhandlungen zur Erreichung einer Quotenregelung für 1983 teilgenommen.

260 Zu der Frage, ob diese Verhandlungen für die ersten beiden Quartale des Jahres 1983 erfolgreich waren, wie in der Entscheidung behauptet wird (Randnrn. 63 Absatz 3 und 64), weist das Gericht darauf hin, daß sich aus dem Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 (gem. Bpkte., Anl. 40) ergibt, daß die Klägerin wie auch neun andere Unternehmen in dieser Sitzung ihre Verkaufszahlen für den Monat Mai genannt hat. Ferner heisst es in dem Bericht über eine interne Sitzung der Shell-Gruppe vom 17. März 1983 (gem. Bpkte., Anl. 90):

"... and would lead to a market share of approaching 12 % and well above the agreed Shell target of 11 %. Accordingly the following reduced sales targets were set and agreed by the integrated companies".

("... und würde zu einem Marktanteil führen, der nahe bei 12 % und damit deutlich über dem vereinbarten Shell-Ziel von 11 % läge. Demgemäß wurden die folgenden reduzierten Verkaufsziele von den Unternehmen der Gruppe festgelegt und vereinbart.")

Nach Angabe der neuen Mengen heisst es weiter:

"This would be 11.2 Pct of a market of 395 kt. The situation will be monitored carefully and any change from this agreed plan would need to be discussed beforehand with the other PIMS members."

("Das wären 11,2 % eines Marktes von 395 kt. Die Lage wird aufmerksam beobachtet, und jede Abweichung von diesem vereinbarten Plan muß im voraus mit den anderen PIMS-Mitgliedern erörtert werden.")

261 Hierzu stellt das Gericht fest, daß die Kommission aus diesen beiden, im Zusammenhang miteinander gesehenen Schriftstücken zu Recht gefolgert hat, daß die Verhandlungen zwischen den Herstellern zur Einführung einer Quotenregelung geführt haben. So zeigt der interne Vermerk der Shell-Gruppe, daß dieses Unternehmen seine nationalen Verkaufsgesellschaften aufgefordert hat, ihre Verkäufe zu reduzieren, und zwar nicht, um das Gesamtverkaufsvolumen der Shell-Gruppe zu verringern, sondern um den Gesamtmarktanteil dieser Gruppe auf 11 % zu begrenzen. Eine solche Begrenzung auf einen bestimmten Marktanteil lässt sich nur im Rahmen einer Quotenregelung erklären. Darüber hinaus stellt der Bericht über die Sitzung vom 1. Juni 1983 einen zusätzlichen Anhaltspunkt für das Bestehen einer solchen Regelung dar, denn ein Austausch von Informationen über die monatlichen Verkäufe der einzelnen Hersteller dient in erster Linie der Kontrolle der Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen.

262 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Zahl von 11 % als Marktanteil für Shell nicht nur in dem internen Vermerk von Shell, sondern auch in zwei anderen Schriftstücken genannt wird, nämlich zum einen in einem internen Vermerk von ICI, in dem diese darauf hinweist, daß Shell diese Zahl für sich selbst, für Hoechst und für ICI vorschlägt (gem. Bpkte., Anl. 87), und zum anderen in dem von ICI verfassten Bericht über ein Treffen vom 29. November 1982 zwischen ICI und Shell, bei dem an diesen Vorschlag erinnert worden ist (gem. Bpkte., Anl. 99).

263 Das Gericht stellt fest, daß die Quoten sämtliche Polypropylensorten betrafen (Grundsorten und Spezialerzeugnisse). Die Klägerin hat nämlich in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte angegeben, daß ihr Absatz für 1980 und 1983 in Westeuropa für alle Sorten zusammen 50 600 Tonnen bzw. 55 100 Tonnen betragen habe und daß die Spezialerzeugnisse zwischen 63 und 80 % ihres Absatzes ausgemacht hätten. Die Quote, die der Klägerin für Westeuropa zugeteilt worden war, belief sich 1980 auf 55 000 Tonnen (gem. Bpkte., Anl. 60), später berichtigt auf 48 000 Tonnen (gem. Bpkte., Anl. 17), und lag 1983 bei 54 000 Tonnen (errechnet aufgrund der Quote für das erste Quartal des Jahres, gem. Bpkte., Anl. 33, Tabelle 2).

264 Da mit den verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung der Verkaufsmengen dasselbe Ziel verfolgt wurde, nämlich den durch das Überangebot hervorgerufenen Druck auf die Preise zu mindern, konnte die Kommission diese Maßnahmen zu Recht als Teil einer Quotenregelung ansehen.

265 Das Gericht stellt im übrigen fest, daß die Klägerin durch ihre Teilnahme an den Sitzungen, in denen verschiedene Hersteller kritisiert wurden, wenn sie sich nicht an die Vereinbarungen gehalten hatten, diese Kritik unterstützt und damit Druck auf diese Hersteller ausgeuebt hat.

266 Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission zur Stützung der vorstehenden tatsächlichen Feststellungen nicht auf Schriftstücke zurückzugreifen brauchte, die sie in ihren Mitteilungen der Beschwerdepunkte nicht erwähnt oder der Klägerin nicht übermittelt hatte.

267 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, daß der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Klägerin zu den Polypropylenherstellern gehörte, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die in der Entscheidung genannten Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 sowie für die erste Hälfte des Jahres 1983 und über die dort genannte Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gekommen ist, die Teil eines Quotensystems waren.

F - Ergebnis

268 Nach alldem ist der Kommission für sämtliche tatsächlichen Feststellungen, die sie in der angefochtenen Entscheidung zu Lasten der Klägerin getroffen hat, rechtlich der Beweis gelungen; demzufolge hat sie sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht auf Gerüchte oder blosse Vermutungen und Unterstellungen oder nicht bestehende Erfahrungssätze gestützt.

2. Die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag

A - Rechtliche Qualifizierung

a) Angefochtene Handlung

269 Nach Randnummer 81 Absatz 1 der Entscheidung stellt die Gesamtheit der Regelungen und Absprachen, die im Rahmen eines regelmässigen, institutionalisierten Sitzungssystems beschlossen wurden, eine einzige fortdauernde "Vereinbarung" im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 dar.

270 Im vorliegenden Fall hätten die Hersteller dadurch, daß sie sich zu dem gemeinsamen Plan verbunden hätten, die Preise und den Absatz auf dem Polypropylenmarkt zu regeln, an einer umfassenden Rahmenvereinbarung teilgenommen, die in mehreren von Zeit zu Zeit abgesprochenen Einzelvereinbarungen ihren Niederschlag gefunden habe (Entscheidung, Randnr. 81 Absatz 3).

271 Bei der eingehenden Ausarbeitung des Gesamtplans sei es in vielen Bereichen zu einer ausdrücklichen Vereinbarung wie den einzelnen Preisinitiativen und jährlichen Quotensystemen gekommen (Entscheidung, Randnr. 82 Absatz 1). In einigen Fällen hätten die Hersteller möglicherweise keinen Konsens über ein endgültiges Schema - wie über die Quoten für 1981 und 1982 - erzielt. Doch die Verabschiedung von flankierenden Maßnahmen, einschließlich des Informationsaustauschs und der Überwachung der tatsächlichen monatlichen Verkäufe im Verhältnis zum Verkaufsergebnis in einigen vorausgegangenen Referenzperioden, sei nicht nur ein Zeichen für eine ausdrückliche Vereinbarung darüber, derartige Maßnahmen zu konzipieren und durchzuführen, sondern auch ein Zeichen für eine stillschweigende Vereinbarung darüber, die jeweilige Stellung der Hersteller nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten.

272 Die Kommission vertritt in Randnummer 82 Absatz 2 der Entscheidung die Auffassung, daß die angeblich von dem einen oder anderen Hersteller geführten und von den anderen Herstellern befolgten verschiedenen Preisinitiativen vor 1979 ebenfalls das Ergebnis einer zwischen ihnen abgeschlossenen Vereinbarung gewesen seien.

273 Zu der Initiative vom Dezember 1977 wird in Randnummer 82 Absatz 3 der Entscheidung ausgeführt, daß Hersteller wie die Klägerin, Hercules, Hoechst, ICI, Rhône-Poulenc, Saga und Solvay auf EATP-Sitzungen gegenüber Kunden die Notwendigkeit abgestimmter Preisanhebungsaktionen hervorgehoben hätten. Ausserdem hätten sich die Hersteller ausserhalb der EATP-Sitzungen über Preise abgesprochen. Angesichts dieser von den Herstellern zugegebenen Kontakte vertritt die Kommission die Auffassung, daß hinter dem Vorgehen eines oder mehrerer Hersteller, die sich wegen ungenügender Gewinne beschwert und gemeinsame Aktionen vorgeschlagen hätten, während die anderen hierzu ihre Unterstützung angeboten hätten, eine Preisvereinbarung gestanden habe. Zudem könne auch bei Fehlen weiterer Kontakte ein solches Vorgehen allein einen Hinweis dafür bieten, daß ein ausreichender Konsens für eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 vorgelegen habe.

274 An der Schlußfolgerung, daß eine fortdauernde Vereinbarung vorliege, ändere auch die Tatsache nichts, daß einige Hersteller nicht notwendigerweise an jeder Sitzung teilgenommen hätten. Jede Initiative und die Erarbeitung und Durchführung eines jeden Plans erstreckten sich über mehrere Monate, so daß das gelegentliche Fernbleiben des einen oder anderen Herstellers wenig ausmache (Entscheidung, Randnr. 83 Absatz 1).

275 Das Funktionieren des Kartells auf der Grundlage eines gemeinsamen und ausführlichen Plans stelle eine Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 dar (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 1).

276 Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise seien unterschiedliche Begriffe, doch gebe es Fälle, in denen Absprachen Elemente beider Formen verbotener Zusammenarbeit enthielten (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 2).

277 Eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise beziehe sich auf eine Form der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die zwar nicht den Grad einer Vereinbarung im eigentlichen Sinne erreicht habe, aber dennoch bewusst die Risiken des Wettbewerbs ausschalte und durch eine praktische Zusammenarbeit ersetze (Entscheidung, Randnr. 86 Absatz 3).

278 In Randnummer 87 Absatz 1 der Entscheidung heisst es, das durch den Vertrag geschaffene getrennte Konzept der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen solle verhindern, daß Unternehmen sich der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 entzögen, indem sie in einer wettbewerbswidrigen Weise ohne eine endgültige Vereinbarung absprächen, sich z. B. gegenseitig im voraus über ihr künftiges Verhalten in Kenntnis zu setzen, so daß jeder seine Geschäftspolitik in der Gewißheit regele, daß sich die Wettbewerber entsprechend verhielten (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619).

279 Der Gerichtshof habe im Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663) festgestellt, daß die in seiner Rechtsprechung niedergelegten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die keineswegs die Ausarbeitung eines eigentlichen Plans voraussetzten, im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrags zu verstehen seien, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen habe, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenke. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitige nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Wettbewerber mit wachem Sinn anzupassen; es stehe jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 2). Ein Verhalten könne also als aufeinander abgestimmte Verhaltensweise unter Artikel 85 Absatz 1 fallen, auch wenn sich die Partner vorher nicht über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hätten, sondern lediglich Absprachen träfen oder sich an Absprachen beteiligten, die die Koordinierung kommerziellen Verhaltens erleichterten (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 3 Satz 1).

280 Ausserdem wird in der Entscheidung (Randnr. 87 Absatz 3 Satz 3) darauf hingewiesen, daß es in einem komplexen Kartell möglich sei, daß einige Hersteller zeitweise einem von den anderen Herstellern vereinbarten besonderen Verhalten nicht uneingeschränkt zustimmten, aber dennoch die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. In mancher Hinsicht trügen die fortgesetzte Zusammenarbeit und Absprache der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung Zuege einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise (Entscheidung Nr. 87 Absatz 4 Satz 2).

281 Die Bedeutung des Konzepts einer aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ergebe sich also nicht so sehr aus der Unterscheidung zwischen dieser Verhaltensweise und einer Vereinbarung als vielmehr aus der Unterscheidung zwischen den Formen der Absprache, die unter Artikel 85 Absatz 1 fielen, und einem rein parallelen Verhalten ohne jedwedes Element der Absprache. Nichts hänge daher im vorliegenden Fall von der genauen Form ab, die die abgesprochenen Vereinbarungen angenommen hätten (Entscheidung, Randnr. 87 Absatz 5).

282 In der Entscheidung (Randnr. 88 Absätze 1 und 2) wird festgestellt, daß die meisten Hersteller, die während des Verwaltungsverfahrens behauptet hätten, daß ihr Verhalten in bezug auf die angeblichen Preisinitiativen nicht das Ergebnis irgendeiner Vereinbarung im Sinne des Artikels 85 gewesen sei (siehe Randnr. 84 der Entscheidung), ausserdem behaupteten, daß dieses Verhalten nicht die Grundlage sein könne, um eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise festzustellen, weil dieses Konzept irgendeinen offenen Akt am Markt voraussetze, der im vorliegenden Fall völlig fehle; Preislisten oder Zielpreise seien den Kunden nie mitgeteilt worden. In der Entscheidung wird dieses Vorbringen mit der Begründung zurückgewiesen, daß, wäre es im vorliegenden Fall notwendig, eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise zu beweisen, dieses Erfordernis für einige Schritte der Teilnehmer zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Zielsetzung tatsächlich gegeben sei. Die verschiedenen Preisinitiativen seien Gegenstand von Aufzeichnungen. Ausserdem sei unbestreitbar, daß die einzelnen Hersteller gleichzeitige Aktionen unternommen hätten, um die Preisinitiativen durchzuführen. Die von den Herstellern sowohl einzeln als auch gemeinsam getroffenen Maßnahmen ergäben sich aus Dokumenten: Sitzungsberichten, internen Vermerken, Anweisungen und Rundschreiben an Verkaufsabteilungen und Schreiben an Kunden. Dabei sei irrelevant, ob sie Preislisten veröffentlicht hätten. Die Preisinstruktionen als solche seien nicht nur das beste verfügbare Beweismittel für die von jedem Hersteller durchgeführte Aktion zur Verwirklichung des gemeinsamen Ziels, sondern erhärteten aufgrund ihres Inhalts und ihrer zeitlichen Abfolge den Beweis der Absprache.

b) Vorbringen der Parteien

283 Nach Ansicht der Klägerin ist die Auffassung der Kommission nicht haltbar, daß es nicht darauf ankomme, ob im vorliegenden Fall eine Vereinbarung oder bloß aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vorlägen. Die Frage, ob es sich bei der der Klägerin vorgeworfenen Absprache rechtlich um eine Vereinbarung oder um eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 EWG-Vertrag handele oder ob die Absprache Elemente sowohl einer Vereinbarung als auch einer abgestimmten Verhaltensweise enthalte, könne nicht offengelassen werden.

284 Die Auffassung der Kommission beruhe auf einer fehlerhaften Definition des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweise, nach der das Tatbestandsmerkmal "Verhaltensweise" bereits durch die unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen den Unternehmen erfuellt sei, da die Verhaltensweise der Unternehmen am Markt aus dieser Sicht lediglich noch die Funktion eines Indizes habe, das eine Fühlungnahme belegen solle, wenn andere Beweismittel fehlten.

285 Die Auffassung der Kommission sei mit dem Wortlaut des Artikels 85 nicht vereinbar, wo nicht "Vereinbarung" und "Abstimmung" gleichgesetzt seien - wozu die Auffassung der Kommission führe -, sondern "Vereinbarung" und "abgestimmte Verhaltensweise". Die Auffassung der Kommission stehe aber auch nicht im Einklang mit der von dieser angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 172 bis 180, und vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Zuechner, Slg. 1981, 2021) und den Schlussanträgen der Generalanwälte in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78 (Van Landewyck, Urteil vom 29. Oktober 1980, a. a. O.) und in den verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80 (Musique Diffusion Français/Kommission, Urteil vom 7. Juni 1983, Slg. 1983, 1825). Eine gründliche Analyse des Urteils Suiker Unie (vom 16. Dezember 1975, verbundene Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 bis 180) ergebe, daß nach der Ansicht des Gerichtshofes für die Feststellung einer abgestimmten Verhaltensweise zwei Voraussetzungen zusammen erfuellt sein müssten: die Abstimmung und eine dieser Abstimmung entsprechende Verhaltensweise. Die von der Kommission zur Stützung ihrer Auffassung genannten Randnummern 173 und 174 dieses Urteils enthielten nämlich keine Definition des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweise, sondern bezögen sich nur auf eines der beiden Elemente, nämlich die Abstimmung. Zu diesem Element müsse das tatsächliche Element der "abgestimmten Verhaltensweise" hinzukommen, nämlich ein tatsächliches koordiniertes Marktverhalten, dessen Vorliegen der Gerichtshof in Randnummer 180 dieses Urteils untersucht habe.

286 Die Ausräumung des wettbewerblichen Risikos stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Verhalten. Zwar werde durch jede zusätzliche Marktinformation das Wettbewerbsrisiko irgendwie reduziert, doch sei die Grenze, ab der die Verminderung dieses Risikos unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag falle, erst erreicht, wenn die Reaktion der Wettbewerber auf marktrelevantes Vorgehen berechenbar werde.

287 Im vorliegenden Fall sei keine der beiden Voraussetzungen erfuellt, die für das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise erforderlich seien: Durch die Erörterungen verschiedener Marktfragen sei weder die Unsicherheit hinsichtlich des Verhaltens der Wettbewerber ausgeräumt worden, noch habe sich ein Verhalten am Markt feststellen lassen, das eventuellen abgestimmten Verhaltensweisen entsprochen hätte.

288 Die Auffassung der Kommission beruhe auf einer Auslegung des Artikels 85, die, wenn man sie als zulässig ansehen wollte, neu wäre und somit nicht rückwirkend auf Situationen in der Vergangenheit angewendet werden könnte, ohne daß gegen den Grundsatz "nulla pöna sine lege" verstossen würde.

289 Die Kommission habe in der Entscheidung das Vorliegen einer Vereinbarung bezueglich der Zeit, des Gegenstands und der Beteiligten nicht hinreichend genau belegt. Da die Kommission den Vorwurf bestimmter Vereinbarungen gegenüber den Betroffenen nicht substantiiert habe, könne das Gericht den Sachverhalt nicht einmal daraufhin prüfen, inwieweit ein solcher Vorwurf, wenn er erhoben würde, begründet wäre, da den betroffenen Unternehmen nicht zugemutet werden könne, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, die die Kommission nicht erhoben habe.

290 Somit obliegt der Kommission nach Ansicht der Klägerin der Nachweis, daß in ihrem Fall die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt seien; die Kommission sei diesen Nachweis schuldig geblieben, indem sie von einer "Absprache" ausgehe, die Merkmale des einen und des anderen Begriffs enthalte.

291 Nach Ansicht der Kommission ist dagegen die Frage, ob es sich bei einer Absprache oder einem Kartell rechtlich um eine Vereinbarung oder um eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne des Artikels 85 EWG-Vertrag handele oder ob die Absprache Elemente einer Vereinbarung sowie einer abgestimmten Verhaltensweise enthalte, von untergeordneter Bedeutung. Die Begriffe "Vereinbarung" und "abgestimmte Verhaltensweise" umfassten nämlich alle Arten von Absprachen, durch die Konkurrenten aufgrund von direkten oder indirekten Kontakten untereinander sich gegenseitig die Aktionsfreiheit am Markt beschnitten, statt völlig unabhängig voneinander ihr künftiges Wettbewerbsverhalten zu bestimmen.

292 Die Verwendung der verschiedenen in Artikel 85 EWG-Vertrag enthaltenen Begriffe verfolge das Ziel, die gesamte Bandbreite wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zu erfassen, ohne für die verschiedenen Tatbestandsmerkmale unterschiedliche Rechtsfolgen vorzusehen. Es sei deshalb belanglos, wo genau die Grenze zwischen diesen Begriffen verlaufe, deren Sinn allein darin liege, in ihrer Gesamtheit die ganze Skala verbotener Wettbewerbsbeschränkungen zu erfassen. Der mit der Aufnahme des Begriffs "abgestimmte Verhaltensweise" in Artikel 85 verfolgte Gesetzeszweck sei nämlich, neben den Vereinbarungen Arten der Absprachen zu erfassen, die lediglich als tatsächliche Koordinierung oder als praktische Zusammenarbeit in Erscheinung träten, aber dennoch geeignet seien, den Wettbewerb zu verfälschen (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnrn. 64 bis 66).

293 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174) gehe es darum, jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Unternehmen zu verhindern, die bezwecke oder bewirke, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Wettbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Wettbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen sei oder in Erwägung ziehe. Eine abgestimmte Verhaltensweise liege also immer schon dann vor, wenn zwischen den Wettbewerbern eine Fühlungnahme stattfinde, die ihrem Verhalten auf dem Markt vorangehe.

294 Eine abgestimmte Verhaltensweise sei gegeben, wenn die Unabhängigkeit der Unternehmen voneinander durch eine Abstimmung eingeschränkt werden solle, selbst wenn sich auf dem Markt kein tatsächliches Verhalten feststellen lasse. Der Streit drehe sich in Wirklichkeit um den Begriff "Verhalten". Die Kommission widerspricht der Ansicht der Klägerin, daß dieser Begriff in dem engen Sinne von "Verhalten am Markt" zu verstehen sei. Der Begriff könne die blosse Beteiligung an Kontakten erfassen, sofern mit diesen eine Beschränkung der Selbständigkeit der Unternehmen bezweckt werde.

295 Verlangte man für eine abgestimmte Verhaltensweise beides, Abstimmung und Marktverhalten, so fiele ein ganzes Spektrum von Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des Artikels 85 heraus, die eine Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckten, aber nicht unbedingt bewirkten. Insoweit würde Artikel 85 unanwendbar. Ausserdem stehe diese Auffassung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Begriff der abgestimmten Verhaltensweise (Urteile vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, a. a. O., Randnr. 66, vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O. Randnr. 26, und vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Zuechner, a. a. O., Randnr. 14). Wenn in dieser Rechtsprechung immer von Verhaltensweisen am Markt die Rede sei, so handele es sich dabei nicht um ein Tatbestandsmerkmal der Zuwiderhandlung, wie die Klägerin meine, sondern um einen tatsächlichen Umstand, der den Schluß auf eine Abstimmung zulasse. Nach dieser Rechtsprechung sei ein tatsächliches Verhalten am Markt nicht erforderlich. Erforderlich sei nur die Fühlungnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern als wesentliches Merkmal für ihren Verzicht auf die notwendige Selbständigkeit.

296 Somit sei es für einen Verstoß gegen Artikel 85 nicht erforderlich, daß die Unternehmen in der Praxis auch durchgeführt hätten, worüber sie sich abgestimmt hätten. Der Tatbestand des Artikels 85 Absatz 1 sei in vollem Umfang erfuellt, wenn die Absicht, den mit Risiken verbundenen Wettbewerb durch eine Zusammenarbeit zu ersetzen, in einer Abstimmung zutage trete, auch wenn sich anschließend nicht unbedingt Verhaltensweisen am Markt feststellen ließen.

297 Folglich könnten die Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise sowohl durch direkte Beweise als auch durch Indizienbeweise bewiesen werden. Im vorliegenden Fall brauche die Kommission nicht auf Indizienbeweise wie das Parallelverhalten auf dem Markt zurückzugreifen, da sie insbesondere mit den Sitzungsberichten über unmittelbare Beweise für die Absprache verfüge.

298 Die Kommission stellt abschließend fest, daß sie berechtigt gewesen sei, den Verstoß in erster Linie als Vereinbarung und hilfsweise, soweit notwendig, als abgestimmte Verhaltensweise zu bezeichnen.

c) Würdigung durch das Gericht

299 Es ist festzustellen, daß die Kommission entgegen den Behauptungen der Klägerin jeden der Klägerin zur Last gelegten tatsächlichen Einzelakt entweder unter den Begriff der Vereinbarung oder den der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag subsumiert hat. Wie sich nämlich aus Randnummer 80 Absatz 2 in Verbindung mit den Randnummern 81 Absatz 3 und 82 Absatz 1 der Entscheidung ergibt, hat die Kommission jeden dieser verschiedenen Einzelakte in erster Linie als "Vereinbarung" gewertet.

300 Ebenso ergibt sich aus Randnummer 86 Absätze 2 und 3 in Verbindung mit Randnummer 87 Absätze 3 und 4 und Randnummer 88 der Entscheidung, daß die Kommission die Einzelakte der Zuwiderhandlung hilfsweise unter den Begriff der "abgestimmten Verhaltensweise" subsumiert hat, wenn sie entweder nicht den Schluß zuließen, daß sich die Partner vorher über einen gemeinsamen Plan für ihr Marktverhalten geeinigt hatten, sondern nur, daß sie Absprachen getroffen oder sich an Absprachen beteiligt hatten, die die Koordinierung ihrer Geschäftspolitik erleichterten, oder wenn sie wegen des komplexen Charakters des Kartells nicht die Feststellung erlaubten, daß einige Hersteller einem von den anderen Herstellern vereinbarten Verhalten uneingeschränkt zugestimmt hatten, sondern nur, daß diese die betreffende Regelung generell unterstützten und sich entsprechend verhielten. Daraus wird in der Entscheidung der Schluß gezogen, daß die fortgesetzte Zusammenarbeit und Kollusion der Hersteller bei der Durchführung der Gesamtvereinbarung in mancher Hinsicht Zuege einer aufeinander abgestimmten Vehaltensweise trügen.

301 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (siehe Urteile vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, a. a. O., Randnr. 112, und vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, a. a. O., Randnr. 86). Das Gericht stellt deshalb fest, daß die Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen der Klägerin und anderen Polypropylenherstellern, für die sie den Beweis erbracht hat und die auf Preisinitiativen, auf Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen, auf Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 sowie für das erste Halbjahr 1983 und auf Maßnahmen zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe für die Jahre 1981 und 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum gerichtet waren, zu Recht als Vereinbarungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen hat.

302 Da der Kommission rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Wirkungen der Preisinitiativen bis November 1983 angehalten haben, ist sie auch zu Recht davon ausgegangen, daß die Zuwiderhandlung mindestens bis November 1983 angedauert hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist Artikel 85 nämlich auch auf ausser Kraft getretene Kartelle anwendbar, deren Wirkungen über das formelle Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen (Urteil vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 243/83, Binon, Slg. 1985, 2015, Randnr. 17).

303 Der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise ist anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu bestimmen. Hiernach sind die von ihr zuvor aufgestellten Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, a. a. O., Randnrn. 173 und 174).

304 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin an Sitzungen teilgenommen, deren Zweck es war, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen; in diesen Sitzungen tauschten die Wettbewerber Informationen über die Preise aus, die nach ihren Wünschen auf dem Markt praktiziert werden sollten, über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigten, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen, über ihre Verkaufszahlen oder über die Identität ihrer Kunden. Durch ihre Teilnahme an diesen Sitzungen hat sich die Klägerin mit ihren Wettbewerbern an einer Abstimmung beteiligt, deren Zweck es war, deren Marktverhalten zu beeinflussen und offenzulegen, welches Marktverhalten die einzelnen Hersteller selbst in Erwägung zogen.

305 Damit hat die Klägerin nicht nur das Ziel verfolgt, im voraus die Ungewißheit über das künftige Verhalten ihrer Wettbewerber zu beseitigen, sondern sie musste bei der Festlegung der Politik, die sie auf dem Markt verfolgen wollte, zwangsläufig auch unmittelbar oder mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen Informationen berücksichtigen. Auch ihre Wettbewerber mussten bei der Festlegung der Politik, die sie verfolgen wollten, zwangsläufig unmittelbar oder mittelbar die Informationen berücksichtigen, die ihnen die Klägerin über das Marktverhalten gegeben hatte, das sie selbst für sich beschlossen hatte oder in Erwägung zog.

306 Folglich hat die Kommission die EATP-Sitzung vom 22. November 1977, an der die Klägerin teilgenommen hat, und die regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller, an denen die Klägerin ab 1978 bis September 1983 teilgenommen hat, wegen ihres Zwecks zu Recht hilfsweise als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag angesehen.

307 Zu der Frage, ob die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, daß eine einzige, in Artikel 1 der Entscheidung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" bezeichnete Zuwiderhandlung vorliegt, weist das Gericht darauf hin, daß die verschiedenen abgestimmten Verhaltensweisen und Vereinbarungen, die von den Beteiligten eingehalten und abgeschlossen wurden, wegen ihres übereinstimmenden Zwecks Teil von Systemen regelmässiger Sitzungen zur Festsetzung von Preis- und Quotenzielen waren.

308 Diese Systeme waren wiederum Teil einer Reihe von Bemühungen der betroffenen Unternehmen, mit denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt wurde, nämlich die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen. Es wäre daher gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und aus ihm mehrere selbständige Zuwiderhandlungen zu konstruieren. Tatsächlich hat sich die Klägerin - jahrelang - an einem Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen. Diese einheitliche Zuwiderhandlung hat sich nach und nach sowohl durch rechtswidrige Vereinbarungen als auch durch rechtswidrige abgestimmte Verhaltensweisen entwickelt.

309 Die Kommission hat diese einheitliche Zuwiderhandlung auch zu Recht als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert, da diese Zuwiderhandlung sowohl Einzelakte aufwies, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" dargestellt haben. Angesichts einer komplexen Zuwiderhandlung ist die von der Kommission in Artikel 1 der Entscheidung vorgenommene doppelte Subsumtion nicht so zu verstehen, daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt. Sie bezieht sich vielmehr auf einen Komplex von Einzelakten, von denen einige als Vereinbarungen und andere als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag anzusehen sind, der ja für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine spezifische Subsumtion vorschreibt.

310 Die von der Klägerin erhobene Rüge ist daher zurückzuweisen.

B - Wettbewerbsbeschränkende Wirkung

a) Angefochtene Handlung

311 In Randnummer 90 Absätze 1 und 2 der Entscheidung heisst es, daß es für die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 nicht unbedingt notwendig sei, die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Vereinbarung nachzuweisen, da die Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt habe. Im vorliegenden Fall zeige aber das Beweismaterial, daß sich die Vereinbarung auf die Wettbewerbsbedingungen tatsächlich spürbar ausgewirkt habe.

b) Vorbringen der Parteien

312 Die Klägerin macht geltend, sie habe ihre Preis- und Absatzpolitik völlig unabhängig vom Inhalt der Sitzungen, an denen sie teilgenommen habe, geführt. Sie verweist dazu auf eine Untersuchung der unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Coopers & Lybrand (nachstehend: Untersuchung Coopers & Lybrand) sowie auf ein ökonometrisches Gutachten über den deutschen Markt von Professor Albach von der Universität Bonn, die zeigten, daß die Sitzungen keinen Einfluß auf den Markt gehabt und sich nicht zum Schaden der Kunden ausgewirkt hätten.

313 Die Kommission hält dem entgegen, daß jedenfalls der wettbewerbswidrige Zweck der Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die die Zuwiderhandlung bildeten, bewiesen sei und sich deshalb der Nachweis einer wettbewerbsbeschränkenden Wirkung erübrige. Im übrigen verweist die Kommission auf ihre Entscheidung.

c) Würdigung durch das Gericht

314 Das Gericht stellt fest, daß die Argumentation der Klägerin im Kern dahin geht, daß ihre Teilnahme an den regelmässigen Sitzungen der Polypropylenhersteller nicht unter Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag falle, da sowohl ihr eigenes Verhalten auf dem Markt als auch das der anderen Hersteller zeigten, daß diese Teilnahme keine wettbewerbswidrige Wirkung gehabt habe.

315 Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verbietet als unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise und sonstiger Geschäftsbedingungen und die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen.

316 Das Gericht weist darauf hin, daß die Würdigung der von der Kommission vorgenommenen tatsächlichen Feststellungen ergeben hat, daß die regelmässigen Sitzungen, an denen die Klägerin mit Wettbewerbern teilgenommen hat, die Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes namentlich durch die Festlegung von Preis- und Verkaufsmengenzielen bezweckten und daß ihre Teilnahme an diesen Sitzungen folglich eines wettbewerbswidrigen Zwecks im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht entbehrte.

317 Die Rüge ist daher zurückzuweisen.

3. Ergebnis

318 Aus alldem ergibt sich, daß sämtliche Rügen der Klägerin gegen die von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und gegen die dort vorgenommene Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag zurückzuweisen sind.

Zur Begründung

319 Die Klägerin macht geltend, daß die Kommission nach Artikel 190 EWG-Vertrag ihre Entscheidungen begründen müsse. Diese Pflicht diene sowohl dem Schutz des Betroffenen als auch der ordnungsgemässen Rechtspflege (Urteil des Gerichtshofes vom 20. März 1959 in der Rechtssache 18/57, Nold/Hohe Behörde der EGKS, Slg. 1959, 89). So müsse die Begründung ausführlich und genau die die Entscheidung tragenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen wiedergeben, um dem Gemeinschaftsrichter die Nachprüfung in vollem Umfang zu gestatten. Auch wenn die Kommission nicht verpflichtet sei, sich mit jedem Argument der Betroffenen auseinanderzusetzen, müsse sie doch klar darlegen, weshalb begründete und relevante Einwendungen ihrer Meinung nach zurückzuweisen seien.

320 Im vorliegenden Fall habe die Kommission dadurch gegen ihre Begründungspflicht verstossen, daß sie das gesamte tatsächliche Vorbringen der Klägerin und der anderen Unternehmen unberücksichtigt gelassen habe, das aufgrund umfassender, unanfechtbarer Gutachten bewiesen habe, daß die angeblichen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen keinen spürbaren Einfluß auf die Marktentwicklung gehabt hätten. So habe sich die Kommission ihrer Pflicht entzogen, das Gutachten von Professor Albach zu widerlegen, das für den deutschen Markt, auf dem die Klägerin tätig sei, ein wichtiges Mittel der Information darstelle; auch die Untersuchung von Coopers & Lybrand habe sie nicht widerlegt.

321 Da die Kommission sich in ihrer Entscheidung auf entgegengesetzte Schlußfolgerungen gestützt habe, könne sie nicht behaupten, daß die Ergebnisse dieser Untersuchung unerheblich seien. Sie hätte deshalb die Ergebnisse im Rahmen der Beweiswürdigung untersuchen und darlegen müssen, aufgrund welcher tatsächlichen Feststellungen sie sie für widerlegt halte.

322 Die Klägerin wirft der Kommission ausserdem vor, nicht auf ihr Vorbringen zu ihrer besonderen Lage eingegangen zu sein. Der die Klägerin betreffende Hinweis der Kommission in Randnummer 95 der Entscheidung sei völlig unzureichend.

323 Die Kommission trägt dazu zunächst vor, sie sei nicht verpflichtet, sich mit jedem Argument der Betroffenen auseinanderzusetzen oder auf jedes der von diesen vorgelegten Gutachten mit ähnlich eingehenden Gegenargumenten zu reagieren, soweit die in einigen dieser Gutachten enthaltenen Gesichtspunkte für die Entscheidung der Streitigkeit irrelevant seien (Urteil des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der Rechtssache 24/62, Bundesrepublik Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 141).

324 Jedenfalls habe sie aber dargelegt, weshalb sie die Untersuchung von Coopers & Lybrand über die Auswirkungen der Vereinbarung auf den Markt im Rahmen der Feststellung eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag für unerheblich halte.

325 Sie sei in den Randnummern 72 und 73 der Entscheidung hinreichend auf das Gutachten von Professor Albach eingegangen, das nur den deutschen Markt betreffe und nicht von der Klägerin in Auftrag gegeben worden sei.

326 Schließlich habe sie in der Entscheidung der besonderen Lage der Klägerin durchaus Rechnung getragen, die einzig darin bestehe, daß sie ihren Sitz ausserhalb der Gemeinschaft habe (Entscheidung, Randnr. 95).

327 Mithin sei die Entscheidung hinreichend begründet.

328 Das Gericht verweist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes (siehe u. a. die Urteile vom 29. Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, a. a. O., Randnr. 66, und vom 10. Dezember 1985 in den verbundenen Rechtssachen 240/82 bis 242/82, 261/82, 262/82, 268/82 und 269/82, Stichting Sigarettenindustrie/Kommission, Slg. 1985, 3831, Randnr. 88), wonach die Kommission gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag zwar ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen hat, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, jedoch nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen braucht, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden. Folglich ist die Kommission nicht verpflichtet, auf die Fragen einzugehen, die sie für völlig unerheblich hält.

329 Das Gericht stellt fest, daß sich aus seiner Würdigung der tatsächlichen Feststellungen, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung getroffen hat, und der dort vorgenommenen Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ergibt, daß die Kommission die Argumente der Klägerin bezueglich der Auswirkungen des Kartells auf den Markt voll berücksichtigt und in der Entscheidung (Randnrn. 72 bis 74 und 89 bis 92) überzeugend dargelegt hat, weshalb sie die Schlußfolgerungen der Klägerin aus der Untersuchung von Coopers & Lybrand und dem Gutachten von Professor Albach für unbegründet hält.

330 Im übrigen hat die Kommission im Fall der Klägerin die einzige Besonderheit, auf die in der Entscheidung ausdrücklich einzugehen war, zu Recht darin gesehen, daß sie ihren Sitz ausserhalb der Gemeinschaft hat. Das Gericht stellt fest, daß Randnummer 95 der Entscheidung eine hinreichende und überzeugende Antwort auf die Argumente der Klägerin zu ihrer besonderen Lage darstellt. Im übrigen hat die Klägerin nicht dargetan, inwiefern diese Antwort unzureichend ist.

331 Die Rüge ist somit zurückzuweisen.

Zur Geldbusse

332 Die Klägerin rügt, daß die Entscheidung Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 verletze, weil die Dauer und die Schwere der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht zutreffend gewürdigt worden seien.

1. Die Verjährung

333 Die Klägerin macht geltend, daß die Ermittlungen der Kommission am 13. Oktober 1983 begonnen hätten und eventuelle Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag, die vor dem 13. Oktober 1978 begangen worden seien, somit verjährt seien. Nur um der Verjährung zu entgehen, behaupte die Kommission - zu Unrecht -, daß es eine einzige fortdauernde Vereinbarung gegeben habe, die ihren Niederschlag in einer 1977 geschlossenen Rahmenvereinbarung gefunden habe.

334 Nach Ansicht der Kommission liegt eine fortgesetzte Zuwiderhandlung vor, deren Verjährung erst mit dem Tag beginne, an dem die Zuwiderhandlung beendet sei.

335 Das Gericht stellt fest, daß nach Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1974, L 319, S. 1) die fünfjährige Verjährungsfrist für die Befugnis der Kommission zur Festsetzung von Geldbussen bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen erst mit dem Tag beginnt, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist.

336 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der vom Gericht vorgenommenen Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung, daß die Klägerin ohne Unterbrechung von November 1977 bis November 1983 an einer einzigen "dauernden" Zuwiderhandlung beteiligt gewesen ist.

337 Deshalb kann die Klägerin sich gegenüber der Festsetzung der Geldbusse nicht auf Verjährung berufen.

2. Die Dauer der Zuwiderhandlung

338 Die Klägerin macht zunächst geltend, die Kommission habe ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung vor 1981 nicht nachweisen können; für die Zeit danach könnten nur die Zeiträume der besonderen Preisinitiativen berücksichtigt werden. Die Dauer der Zuwiderhandlung verkürze sich somit erheblich.

339 Nach Ansicht der Kommission rechtfertigt die im Fall der Klägerin festgestellte verhältnismässig lange Dauer der Zuwiderhandlung schwere Sanktionen.

340 Die Zuwiderhandlung sei auch fortgesetzt worden, als ihre Auswirkungen auf den Markt nicht spürbar gewesen seien; deshalb bestehe kein Grund, sich bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung auf die Dauer der einzelnen Preisinitiativen zu beschränken.

341 Das Gericht hat bereits festgestellt, daß die Kommission den Zeitraum, in dem die Klägerin gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen hat, zutreffend beurteilt hat.

342 Diese Rüge ist deshalb zurückzuweisen.

3. Die Schwere der Zuwiderhandlung

A - Die Rolle der Klägerin

343 Die Klägerin bestreitet, an den in der Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlungen beteiligt gewesen zu sein; sollte das Gericht zu der Auffassung gelangen, daß sie gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossen habe, so sei ihr dieser Verstoß entgegen den Behauptungen der Kommission nicht bewusst gewesen. Die Klägerin sei sich zu keinem Zeitpunkt bewusst gewesen, daß eine Teilnahme an den Sitzungen zu Informationszwecken und zur Erhöhung der Markttransparenz unter Artikel 85 EWG-Vertrag falle, da die Kommission eine Zuwiderhandlung im Fall der Klägerin aufgrund einer neuen Auslegung des Begriffs der abgestimmten Verhaltensweise festgestellt habe. Ein Verhalten wie das der Klägerin sei in Österreich, wo sie ihren Sitz habe, nicht verbotswidrig; deshalb habe sie wegen ihrer begrenzten Möglichkeiten, sich über das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zu informieren, nicht gewusst, daß ihr Verhalten rechtswidrig gewesen sei und sie deshalb mit erheblichen Geldbussen habe rechnen müssen.

344 In der Sitzung hat die Klägerin darauf hingewiesen, daß sie ein kleines Staatsunternehmen sei, das einen enormen Bedarf an Information gehabt habe und dessen Mitarbeitern, deren Berufsbild das von Beamten sei, völlig unbekannt gewesen sei, daß ihnen die blosse Teilnahme an den Sitzungen der Polypropylenhersteller wettbewerbsrechtlich zum Vorwurf gemacht werden könnte.

345 Ferner habe die Kommission zu Unrecht als erschwerenden Umstand berücksichtigt, daß die Sitzungen unter grösster Geheimhaltung stattgefunden hätten. Die Klägerin habe keine Maßnahmen zur Geheimhaltung der Sitzungen getroffen, und ihre Abnehmer hätten von diesen Sitzungen gewusst. Im übrigen sei fraglich, ob die Geheimhaltung einer Zuwiderhandlung erschwerend berücksichtigt werden dürfe.

346 Die Kommission macht geltend, die Klägerin könne sich nicht im Unklaren darüber befunden haben, daß es bei den Sitzungen nicht nur um einen Informationsaustausch gegangen sei; der Klägerin sei bekannt gewesen, daß dort Entscheidungen getroffen worden seien.

347 Die Klägerin könne sich auch nicht mit der Begründung, sie habe ihren Sitz ausserhalb der Gemeinschaft, auf ihre angebliche Unkenntnis des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft berufen. Im übrigen handele es sich bei den horizontalen Preisabsprachen um einen klassischen Verstoß gegen das Kartellrecht überall dort, wo es ein solches gebe.

348 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission, Slg. 1978, 131, Randnr. 18, und vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ/Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 45) sei das fehlende Bewusstsein, gegen Artikel 85 EWG-Vertrag zu verstossen, ohne Bedeutung, wenn sich die Klägerin darüber klar sei, daß ihre Handlungsweise eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecke.

349 Im übrigen sei die Geheimhaltung der Sitzungen ein Indiz für ein vorsätzliches Handeln der Teilnehmer. Wären sich die Teilnehmer nicht des deliktischen Charakters ihres Verhaltens bewusst gewesen, hätten sie kaum bestimmte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, wie etwa die Hinzufügung des Vermerks "personnel - no copy to file" ("Persönlich - keine Kopien aufbewahren") auf verschiedenen Sitzungsunterlagen. Zudem habe die Klägerin durch ihre Weigerung, auf das von der Kommission an sie gerichtete Auskunftsverlangen zu antworten, nicht dazu beigetragen, den über den Sitzungen liegenden Schleier zu lüften. Schließlich habe die Geheimhaltung des Kartells zu dessen Bestandteilen gehört, und die Klägerin müsse dafür wie die anderen einstehen.

350 Das Gericht stellt fest, daß die Schwere, die die festgestellten Handlungen charakterisiert - insbesondere die Festsetzung von Zielpreisen und Verkaufsmengen -, zeigt, daß die Klägerin nicht leichtfertig oder auch nur fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt hat. Insoweit ist besonders die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und insbesondere seine Buchstaben a, b und c hervorzuheben, die auch den ausserhalb der Gemeinschaft niedergelassenen Polypropylenherstellern nicht unbekannt war. Jedenfalls kann sich die Klägerin, auch wenn sie sich eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht bewusst gewesen sein sollte, ihrer Verantwortung nicht entziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt nämlich die Einstufung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages als vorsätzlich nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen diese Regeln bewusst gewesen ist; es genügt vielmehr, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte (Urteile vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco/Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnr. 41, und vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache 279/87, Tipp-Ex/Kommission, Slg. 1990, I-261). Angesichts des Zwecks der in Rede stehenden Sitzungen muß dies vorliegend offenkundig der Fall gewesen sein.

351 Im übrigen ist das Argument der Klägerin bezueglich des Informationsflusses kategorisch zurückzuweisen, da, wenn ihm gefolgt würde, den Wettbewerbsbestimmungen des EWG-Vertrags letztlich jede praktische Wirksamkeit genommen würde.

352 Folglich ist die Rüge zurückzuweisen.

B - Keine Individualisierung der Kriterien für die Festsetzung der Geldbussen

353 Die Klägerin räumt ein, daß die Kommission bei der Festsetzung der Geldbussen über ein Ermessen verfüge, doch müsse sie davon sorgfältig und gerecht Gebrauch machen, um nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit zu verstossen und willkürliche Geldbussen zu verhängen. Die Geldbussen, die die Kommission mit der Entscheidung verhängt habe, seien um ein Vielfaches höher als die bisher von ihr verhängten Geldbussen, ohne daß sie diese plötzliche Erhöhung begründet hätte.

354 Die Kommission hätte zudem erkennbar machen müssen, welches Gewicht sie den einzelnen Faktoren, die sie für die Bemessung der Geldbusse berücksichtigt habe, im Falle jedes einzelnen Unternehmens beigemessen habe. Da die Kommission die von ihr für die Festsetzung der Geldbussen berücksichtigten Faktoren nicht einzeln dargelegt habe, sei die Art, in der sie die Geldbussen für jedes einzelne Unternehmen festgesetzt habe, nicht nachvollziehbar und damit willkürlich.

355 Die Kommission scheine mit der Art ihres Vorgehens und mit der dafür gegebenen Begründung, daß die Geldbussen eine abschreckende Wirkung haben müssten, eine Politik der "Abschreckung durch Willkür" zu verfolgen. Zwar müsse der Verwaltungsbehörde und dem Richter ein Ermessensspielraum bei der Festsetzung der Geldbussen verbleiben, doch müsse ihr Handeln im Grundsatz berechenbar sein, und jedem Vergehen müsse eine gerechte Strafe entsprechen, wenn man den Kern der Rechtsstaatsidee nicht aufgeben wolle. Die Abschreckungswirkung der Geldbussen könne dadurch erreicht werden, daß die Höhe der verwirkten Geldbusse klar angegeben werde.

356 Die Kommission weist darauf hin, daß sie im vorliegenden Fall bei der Festsetzung der Geldbussen in Übereinstimmung mit ihrer ständigen Praxis und mit den vom Gerichtshof entwickelten Grundsätzen für die Bußgeldfestsetzung gehandelt habe. Seit 1979 sei es ihre Praxis, die Beachtung des Wettbewerbsrechts durch die Festsetzung höherer Geldbussen zu erreichen - insbesondere bei solchen Zuwiderhandlungen, die offenkundig gegen das Wettbewerbsrecht verstießen, und bei besonders schwerwiegenden Verstössen wie im vorliegenden Fall -, um namentlich die abschreckende Wirkung der Geldbussen zu erhöhen. Der Gerichtshof habe dieser Praxis zugestimmt (Urteile vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80, a. a. O., Randnrn. 106 und 109) und auch wiederholt anerkannt, daß die Festsetzung von Geldbussen die Würdigung eines komplexen Sachverhalts voraussetze (Urteil vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80, a. a. O., Randnr. 120, und vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 108/82, a. a. O., Randnr. 52).

357 Die Kommission sei besonders qualifiziert, eine solche Würdigung vorzunehmen, von der nur abgewichen werden könne, wenn in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Irrtum von wesentlicher Bedeutung vorliege. Der Gerichtshof habe ebenfalls bestätigt, daß die Kommission die von ihr für notwendig gehaltenen Sanktionen von Fall zu Fall unterschiedlich bemessen könne, selbst wenn die betreffenden Fälle ähnliche Gegebenheiten aufwiesen (Urteile vom 12. Juli 1979 in den verbundenen Rechtssachen 32/78, 36/78 bis 82/78, BMW Belgium/Kommission, Slg. 1979, 2435, Randnr. 53, und vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, a. a. O., Randnr. 111 f.).

358 Zum vorliegenden Fall führt die Kommission noch aus, sie habe die Höhe der Geldbussen unter Berücksichtigung allgemeiner, in Randnummer 108 der Entscheidung beschriebener und spezifischer, in Randnummer 109 der Entscheidung beschriebener Erwägungen bestimmt. Erstere hätten bei der Festsetzung eines Gesamtbetrags der Geldbusse eine Rolle gespielt, letztere hätten der Kommission dazu gedient, diese Geldbusse gerecht und verhältnismässig auf die betroffenen Hersteller aufzuteilen. Die allgemeinen Erwägungen seien ihrem Wesen nach nicht individualisierbar. Im übrigen habe sie den von der Klägerin vorgebrachten Gesichtspunkten Rechnung getragen. Auf die Argumente der Klägerin zu den spezifischen Erwägungen habe sie bereits geantwortet. Diese Vorgehensweise sei vom Gerichtshof gebilligt worden (Urteil vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 45/69, Böhringer Mannheim/Kommission, Slg. 1970, 769, Randnr. 55).

359 Die Kommission habe die gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen ausführlich begründet, wobei sie auch die von ihr berücksichtigten erschwerenden und mildernden Umstände aufgezählt habe. Sie brauche keine mathematische Berechnung der belastenden und der entlastenden Gesichtspunkte vorzunehmen, da sonst die Abschreckungswirkung der Geldbussen verlorenginge. So dürfe das Ermessen der Kommission nicht mathematisch überprüfbar sein, da die Unternehmen sonst die Höhe der zu erwartenden Geldbusse in die Berechnung der Rentabilität ihres Kartellvorhabens einbezögen. Die Kommission verwahrt sich gegen den Vorwurf, die Geldbusse willkürlich bemessen und gegen rechtsstaatliche Verpflichtungen verstossen zu haben.

360 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission bei der Bemessung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbusse zum einen die Kriterien für die Bestimmung des allgemeinen Niveaus der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 108) und zum anderen die Kriterien für die gerechte Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen (Entscheidung, Randnr. 109) festgelegt hat.

361 Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen die in Randnummer 108 der Entscheidung aufgeführten Kriterien bei weitem das allgemeine Niveau der gegen die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, verhängten Geldbussen. Insoweit ist noch einmal auf die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und insbesondere seine Buchstaben a, b und c hinzuweisen, die den vorsätzlich und unter grösster Geheimhaltung handelnden Polypropylenherstellern nicht unbekannt war.

362 Das Gericht hält auch die in Randnummer 109 der Entscheidung genannten vier Kriterien für sachgerecht und genügend, um zu einer gerechten Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen zu gelangen.

363 Zu den ersten beiden in Randnummer 109 der Entscheidung genannten Kriterien, der Rolle jedes Unternehmens bei den geheimen Absprachen sowie der Dauer seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung, ist festzustellen, daß die Gründe für die Bemessung der Geldbusse im Lichte der Entscheidungsbegründung insgesamt zu sehen sind und daß die Kommission somit die Berücksichtigung dieser Kriterien in bezug auf die Klägerin hinreichend individualisiert hat.

364 Zu den letzten beiden Kriterien, dem jeweiligen Polypropylenabsatz der einzelnen Hersteller in der Gemeinschaft sowie ihrem jeweiligen Gesamtumsatz, ist auf der Grundlage der Zahlen, die das Gericht von der Kommission angefordert hat und deren Richtigkeit von der Klägerin nicht bestritten worden ist, festzustellen, daß diese Kriterien bei der Bestimmung der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse im Verhältnis zu den gegen andere Hersteller verhängten Geldbussen nicht unbillig angewandt worden sind.

365 Folglich ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

C - Die Abgrenzung des relevanten Marktes

366 Die Klägerin verweist darauf, daß die in der Entscheidung gerügten Verhaltensweisen sich nur auf die Grundsorten von Polypropylen und auf die "commodities" bezögen. Den grössten Teil der Produktion der Klägerin hätten aber die Spezialsorten ausgemacht. Somit sei der Marktanteil der Klägerin, der für die Festsetzung der Geldbusse berücksichtigt worden sei, eindeutig überzeichnet.

367 Ausserdem habe die Kommission sich bei der Bemessung der Geldbusse auf den Marktanteil der Klägerin in Westeuropa und nicht auf den in der Gemeinschaft gestützt, was ebenfalls zu einer Überzeichnung ihres Marktanteils geführt habe, da die Klägerin ausserhalb der Gemeinschaft niedergelassen sei und ihre Lieferungen deshalb im wesentlichen nicht für den Markt der Gemeinschaft bestimmt gewesen seien.

368 Die Kommission verweist darauf, daß das Kartell sich sowohl auf die Spezial- als auch auf die Grundsorten bezogen habe und sie deshalb insoweit den Marktanteil der Klägerin zutreffend beurteilt habe.

369 Wie sie in Randnummer 109 der Entscheidung angegeben habe, habe sie bei der Bemessung der Geldbusse den Absatz der Klägerin in der Gemeinschaft und nicht in Westeuropa berücksichtigt, was auch durch den Unterschied zwischen den Tabellen 1 und 2 der Entscheidung sowie durch die Tatsache belegt werde, daß gegen die Klägerin eine niedrigere Geldbusse als gegen ATO festgesetzt worden sei, obwohl die Klägerin, bezogen auf den westeuropäischen Markt, einen grösseren Marktanteil innehabe.

370 Das Gericht stellt fest, daß sich die Zuwiderhandlung auf sämtliche Polypropylensorten bezog und daß die Kommission deshalb für die Bemessung der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse zu Recht deren Marktanteil bei allen Sorten zusammen zugrundegelegt hat.

371 Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß die Tabelle 1 der Entscheidung, in der die Marktanteile der einzelnen Hersteller in Westeuropa wiedergegeben sind, nicht als Grundlage für die Berechnung der Geldbussen gedient hat, die gegen die einzelnen Unternehmen verhängt worden sind, an die die Entscheidung gerichtet ist. Weder in Randnummer 108 noch in Randnummer 109 der Entscheidung wird nämlich auf die "Marktanteile der einzelnen Hersteller in Westeuropa" abgestellt. In Randnummer 109 der Entscheidung hat die Kommission auf die Grösse der Unternehmen auf dem Polypropylenmarkt in der Gemeinschaft abgestellt, indem sie unter den Kriterien für eine gerechte Zumessung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbussen deren jeweiligen Polypropylenabsatz in der Gemeinschaft aufgeführt hat.

372 Im übrigen ergibt sich aus einem Vergleich der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse mit den gegen andere Hersteller verhängten Geldbussen, daß die Kommission für die Bemessung der gegen die Klägerin verhängten Geldbusse deren Marktanteil in der Gemeinschaft und nicht den in Westeuropa zugrundegelegt hat.

373 Folglich ist die Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

D - Die Berücksichtigung der Verlustsituation auf dem Markt

374 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe nicht die beträchtlichen Verluste im Polypropylensektor berücksichtigt und auch ausser Betracht gelassen, daß die verheerenden Betriebsergebnisse der Hersteller die Folge eines erbarmungslosen Wettbewerbs gewesen seien, der dazu geführt habe, daß die Polypropylenpreise in Westeuropa wahrscheinlich die niedrigsten in der ganzen Welt gewesen seien.

375 Die Klägerin bestreitet, daß der Polypropylenmarkt sich in rascher Expansion befunden habe, wie es in Randnummer 108 der Entscheidung heisse. In Wirklichkeit habe sich der Polypropylenmarkt entgegen allen Erwartungen aufgrund einer erheblich abgeflachten Bedarfsentwicklung nicht in dem erhofften Masse entwickelt. Deshalb sei es falsch, daß die Kommission eine solche günstige Entwicklung des Marktes als erschwerenden Umstand berücksichtigt und von einem Sektor gesprochen habe, der "durch eine niedrige Rentabilität oder durch erhebliche Verluste gekennzeichnet" gewesen sei. Dieser Sektor sei niemals durch eine - auch nur niedrige - Rentabilität gekennzeichnet gewesen. Die Klägerin habe in dem gesamten von der angeblichen Zuwiderhandlung erfassten Zeitraum erhebliche Verluste erlitten.

376 Die Kommission macht geltend, sie habe die den Unternehmen im Polypropylenbereich während eines sehr langen Zeitraums entstandenen erheblichen Verluste als mildernden Umstand bei der Bußgeldbemessung anerkannt, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen sei.

377 Zu den Verlusten und der verheerenden Preisentwicklung trägt die Kommission vor, daß nach den Sitzungsberichten selbst die Nachfrage ab 1982 spürbar gestiegen sei. Aufgrund dessen habe Solvay vorgeschlagen, keine Sitzungen mehr abzuhalten, da sie überfluessig geworden seien (gem. Bpkte., Anl. 24). Somit sei die Behauptung falsch, daß in dem gesamten Zeitraum, in dem Sitzungen stattgefunden hätten, Angebot und Nachfrage auf dem Polypropylenmarkt nicht im Gleichgewicht gewesen seien. Wenn die Klägerin in diesem ganzen Zeitraum Verluste erlitten habe, beruhe dies nicht allein auf der schlechten Marktlage.

378 Das Gericht weist darauf hin, daß entgegen den Behauptungen der Klägerin die Kommission in Randnummer 108 letzter Gedankenstrich der Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß sie dem Umstand Rechnung getragen habe, daß die Unternehmen für einen grossen Zeitraum erhebliche Verluste im Polypropylensektor hätten hinnehmen müssen; dies zeigt, daß die Kommission nicht nur den Verlusten, sondern damit auch den ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen des Sektors Rechnung getragen hat (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, a. a. O., Randnr. 111 f.), um bei gleichzeitiger Berücksichtigung der anderen in Randnummer 108 aufgeführten Kriterien das allgemeine Niveau der gegen die beteiligten Unternehmen zu verhängenden Geldbussen festzusetzen.

379 Auch wenn die Kommission in der Vergangenheit die Auffassung vertreten hat, daß angesichts der tatsächlichen Umstände die Krisensituation zu berücksichtigen sei, in der sich der betreffende Wirtschaftssektor befand, ist sie dadurch nicht gezwungen, eine solche Situation im vorliegenden Fall in gleicher Weise zu berücksichtigen, da ihr rechtlich der Beweis gelungen ist, daß die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, einen besonders schweren Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag begangen haben.

380 Folglich ist die Rüge zurückzuweisen.

E - Die Berücksichtigung der Auswirkungen der Zuwiderhandlung

381 Die Klägerin trägt vor, die Verhaltensweisen, die ihr in der Entscheidung vorgeworfen würden, hätten keinen, jedenfalls keinen spürbaren Einfluß auf die Marktverhältnisse gehabt und den Abnehmern sei dadurch kein Schaden entstanden. Die Klägerin habe mehrere Untersuchungen, wie die Untersuchung von Coopers & Lybrand und die Gutachten von Professor Albach, vorgelegt, die in unangreifbarer Weise belegten, daß weder die Preisinitiativen noch die Maßnahmen zur Förderung ihrer Durchführung, noch die angeblichen Quoten irgendeine Auswirkung auf den Markt gehabt hätten. Diesen Unständen müsse bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und der Höhe der Geldbussen Rechnung getragen werden. Statt dessen sei die Kommission bei der Festsetzung der Geldbusse davon ausgegangen, daß das angebliche Kartell im wesentlichen sein Ziel erreicht habe (Entscheidung, Randnr. 108).

382 Nach Ansicht der Kommission sind die Darlegungen der Klägerin zur angeblichen Wirkungslosigkeit des Kartells unerheblich. Zum einen habe sich das Kartell tatsächlich auf die Preise ausgewirkt. Zum anderen habe die Kommission bei der Bemessung der Geldbussen berücksichtigt, daß die Preisinitiativen gewöhnlich ihr Ziel nicht voll erreicht hätten (Entscheidung, Randnr. 108). Damit habe die Kommission mehr als nur ihre Pflicht getan, da nach Artikel 85 nicht nur Kartelle mit wettbewerbswidrigen Wirkungen, sondern auch solche mit wettbewerbswidrigem Zweck geahndet werden müssten.

383 Das Gericht stellt fest, daß die Kommission zwei Arten von Wirkungen der Zuwiderhandlung unterschieden hat. Die erste habe darin bestanden, daß sämtliche Hersteller, nachdem sie in den Sitzungen Zielpreise vereinbart hätten, ihre Verkaufsabteilungen angewiesen hätten, dieses Preisniveau durchzusetzen; die Ziele hätten so als Unterlage für die Preisverhandlungen mit den Kunden gedient. Daraus hat die Kommission den Schluß gezogen, im vorliegenden Fall deute alles darauf hin, daß sich die Vereinbarung auf die Wettbewerbsbedingungen tatsächlich spürbar ausgewirkt habe (Entscheidung, Randnr. 74 Absatz 2 und Randnr. 90). Die zweite Art von Wirkungen der Zuwiderhandlung habe darin bestanden, daß die Entwicklung der Preise gegenüber Einzelkunden im Vergleich zu den im Laufe besonderer Preisinitiativen aufgestellten Zielpreisen mit der Darstellung übereinstimme, die hiervon in den bei ICI und anderen Herstellern über die Durchsetzung der Preisinitiativen gefundenen Schriftstücken gegeben werde (Entscheidung, Randnr. 74 Absatz 6).

384 Es ist darauf hinzuweisen, daß der Kommission rechtlich der Beweis für den Eintritt der Wirkungen der ersten Art aufgrund der zahlreichen von den einzelnen Herstellern erteilten Preisinstruktionen gelungen ist, die miteinander und mit den in den Sitzungen festgelegten Preiszielen übereinstimmen, die ihrerseits offenkundig dazu bestimmt waren, als Grundlage für die Preisverhandlungen mit den Kunden zu dienen.

385 Zu den Wirkungen der zweiten Art ist zum einen darauf hinzuweisen, daß die Kommission keinen Anlaß hatte, an der Richtigkeit der von den Herstellern selbst in ihren Sitzungen vorgenommenen Analysen (siehe insbesondere die Berichte über die Sitzungen vom 21. September, 6. Oktober, 2. November und 2. Dezember 1982, gem. Bpkte., Anl. 30 bis 33) zu zweifeln, aus denen hervorgeht, daß die in den Sitzungen festgelegten Preisziele auf dem Markt weitgehend umgesetzt wurden. Wenn zum anderen die Untersuchung von Coopers & Lybrand sowie die im Auftrag einiger Hersteller durchgeführten wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen ergeben sollten, daß die von den Herstellern selbst in ihren Sitzungen vorgenommenen Analysen unrichtig waren, so wäre diese Feststellung nicht geeignet, zu einer Herabsetzung der Geldbusse zu führen, da die Kommission in Randnummer 108, letzter Gedankenstrich, der Entscheidung darauf hingewiesen hat, daß sie bei der Festsetzung der Geldbussen mildernd berücksichtigt habe, daß die Preisinitiativen im allgemeinen nicht ihr ganzes Ziel erreicht hätten und daß keine Maßnahmen vorgesehen gewesen seien, um die Befolgung der Quoten bzw. anderer Maßnahmen zu erzwingen.

386 Da die Begründung der Entscheidung bezueglich der Festsetzung der Geldbussen im Lichte der übrigen Begründung der Entscheidung zu sehen ist, ergibt sich, daß die Kommission zu Recht die Wirkungen der ersten Art in vollem Umfang berücksichtigt und der begrenzten Natur der Wirkungen der zweiten Art Rechnung getragen hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin nicht dargetan hat, inwieweit im Hinblick auf eine Milderung der Geldbussen nicht ausreichend berücksichtigt worden sein soll, daß diese Wirkungen der zweiten Art begrenzt waren.

387 Die Rüge ist folglich zurückzuweisen.

F - Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise

388 Die Klägerin macht geltend, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen seien wettbewerbspolitisch weit weniger gefährlich als rechtlich oder moralisch bindende Vereinbarungen, deren wettbewerbsverfälschende Wirkung weit über die von abgestimmten Verhaltensweisen hinausgehe. Da die Kommission keine Vereinbarungen habe nachweisen können, sei das Verhalten der Klägerin als abgestimmte Verhaltensweise einzustufen und somit nicht so schwerwiegend wie der behauptete Verstoß.

389 Die Kommission widerspricht der Meinung der Klägerin, daß Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen ihrem Wesen nach unterschiedlich schwere Verstösse seien. Der Unrechtsgehalt eines Kartells und damit die Schwere der Zuwiderhandlung hänge vom Inhalt der Absprache und nicht von ihrer rechtlichen Form ab. Es sei durchaus denkbar, daß eine abgestimmte Verhaltensweise weit schädlichere Wirkungen auf den Wettbewerb entfalte als eine Vereinbarung.

390 Das Gericht ist aufgrund seiner Würdigung der Feststellung der Zuwiderhandlung zu der Auffassung gelangt, daß die Kommission die Zuwiderhandlung zu Recht als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert hat, da sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt, daß die beobachteten verschiedenen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen ein einheitliches System bildeten, dem sich die Klägerin durch ihre Teilnahme an diesen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen angeschlossen hat. Infolgedessen ist die Kommission bei der Festsetzung der Höhe der gegen die Klägerin zu verhängenden Geldbusse von dieser zutreffenden Qualifizierung der Zuwiderhandlung ausgegangen.

391 Somit ist diese Rüge zurückzuweisen.

392 Aus alldem ergibt sich, daß die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse der Dauer und der Schwere des zu Lasten der Klägerin festgestellten Verstosses gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln angemessen ist.

Zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

393 Mit gesondertem Schriftsatz vom 28. Februar 1992 hat die Klägerin beantragt, die mündliche Verhandlung für eine Beweisaufnahme wiederzueröffnen. Sie trägt vor, in seinem Urteil vom 27. Februar 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, nachfolgend "PVC", Slg. 1992, II-315) habe das Gericht erster Instanz festgestellt, die Entscheidungen der Beklagten in den PVC-Verfahren seien inexistent. Die Klägerin sei in diesem Verfahren nicht Partei gewesen. Sie habe aber erfahren, daß die Vertreter der Kommission dort in der mündlichen Verhandlung erklärt hätten, die Kommission verfahre immer in der gleichen Weise wie in den PVC-Verfahren. Es bestehe daher die hohe Wahrscheinlichkeit, daß die angefochtene Entscheidung ebenfalls inexistent sei. Dies werde ausdrücklich gerügt und sei im übrigen von Amts wegen zu prüfen. Erst aus der von der Kommission vorzulegenden Urschrift der Entscheidung werde sich entnehmen lassen, ob die Kommission auch in diesem Verfahren nachträgliche Änderungen an der Entscheidung vorgenommen habe, entsprechende Rügen blieben vorbehalten.

394 Das Gericht hält es nach erneuter Anhörung des Generalanwalts weder für angezeigt, gemäß Artikel 62 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, noch, in eine Beweisaufnahme einzutreten.

395 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das zitierte Urteil vom 27. Februar 1992 als solches keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren rechtfertigt. Im übrigen hat die Klägerin in diesem Verfahren bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht einmal andeutungsweise vorgetragen, daß die angebliche Entscheidung wegen der Mängel inexistent sei, die in dem angeführten Urteil vom 27. Februar 1992 festgestellt worden sind. Es fragt sich daher schon, ob die Klägerin hinreichend dargelegt hat, warum sie die angeblichen Mängel, die ja vor der Klageerhebung bestanden haben sollen, nicht eher in dieses Verfahren eingeführt hat. Selbst wenn der Gemeinschaftsrichter die Frage der Existenz der angefochtenen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen zu prüfen hat, bedeutet dies aber nicht, daß in jedem Verfahren nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen Ermittlungen über eine eventuelle Inexistenz der angefochtenen Entscheidung zu führen sind. Nur soweit die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz der angefochtenen Entscheidung vortragen, ist das Gericht gehalten, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen. Im vorliegenden Fall ergibt das Vorbringen der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine derartige Inexistenz der Entscheidung: Aus der Erklärung der Vertreter der Kommission in der mündlichen Verhandlung in den verbundenen Rechtssachen T-79/89 u. a., auf die sich die Klägerin bezogen hat, soll hervorgehen, daß auch im vorliegenden Verfahren eine ordnungsgemäß unterzeichnete Urschrift der angefochtenen Entscheidung fehlt. Dieser angebliche Mangel, selbst wenn er bestehen sollte, führt jedoch für sich genommen noch nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung. Die Klägerin hat nämlich keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, warum die Kommission auch im Jahr 1986, also in einer normalen Situation, die sich von den besonderen Umständen der PVC-Verfahren beim Ablauf ihres Mandats im Januar 1988 erheblich unterschied, nachträgliche Änderungen an der Entscheidung vorgenommen haben soll. Hierfür genügt die Ankündigung entsprechender Rügen nicht. Dann aber ist nichts dafür ersichtlich, daß nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung der Grundsatz der Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts verletzt worden ist und damit die angefochtene Entscheidung - zugunsten der Klägerin - die Vermutung ihrer Rechtmässigkeit verloren hat, die ihr aufgrund des Anscheins zukommt. Das blosse Fehlen einer ausgefertigten Urschrift führt mithin noch nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung. Die mündliche Verhandlung braucht daher nicht für eine Beweisaufnahme wiedereröffnet zu werden. Da das Vorbringen der Klägerin im übrigen auch keine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen würde, war ihrer Anregung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, nicht stattzugeben.

Kostenentscheidung:

Kosten

396 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission beantragt hat, der Klägerin die Kosten aufzuerlegen, hat diese die Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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