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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 15.07.1998
Aktenzeichen: T-155/95
Rechtsgebiete: EGV, EG-Satzung, Verordnung (EG) Nr. 1164/94


Vorschriften:

EGV Art. 173
EG-Satzung Art. 42
Verordnung (EG) Nr. 1164/94
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

15. Juli 1998 (1)

"Unzulässigkeit"

Parteien:

In der Rechtssache T-155/95

LPN - Liga para Protecção da Natureza, Vereinigung portugiesischen Rechts mit Sitz in Lissabon,

GEOTA - Grupo de Estudos do Ordenamento do Território e do Ambiente, Vereinigung portugiesischen Rechts mit Sitz in Lissabon,

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Agostinho Pereira de Miranda, Rui Amendoeira, José Cunhal Sendim und Paula Gomes Freire, Avenida António Augusto de Aguiar, 27, 2° Dto, Lissabon,

Kläger,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater António Caeiro und durch Günter Wilms, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

unterstützt durch

Portugiesische Republik, vertreten durch Luís Fernandes, Leiter des Juristischen Dienstes der Generaldirektion Europäische Angelegenheiten des Außenministeriums, und Angelo Cortesão Seiça Neves, Mitarbeiter in diesem Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Portugiesische Botschaft, 33, allée Scheffer, Luxemburg,

Streithelferin,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1994 über die Gewährung eines finanziellen Beitrags gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1164/94 des Rates vom 16. Mai 1994 zur Errichtung des Kohäsionsfonds (ABl. L 130, S. 1) für das Vorhaben 94/10/65/005 betreffend den Bau einer neuen Straßenbrücke über den Tejo in der Region Lissabon, Portugal,

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Azizi sowie der Richter R. García-Valdecasas und M. Jaeger,

Kanzler: H. Jung

folgenden

Beschluß

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1. Die klagenden Vereinigungen LPN - Liga para Protecção da Natureza (im folgenden: LPN) und GEOTA - Grupo de Estudos do Ordenamento do Território e do Ambiente (im folgenden: GEOTA) haben mit Klageschrift, die am 8. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 21. Dezember 1994 über die Gewährung eines finanziellen Beitrags gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1164/94 des Rates vom 16. Mai 1994 zur Errichtung des Kohäsionsfonds (ABl. L 130, S. 1) für das Vorhaben 94/10/65/005 betreffend den Bau einer neuen Straßenbrücke über den Tejo in der Region Lissabon, Portugal (im folgenden: Entscheidung vom 21. Dezember 1994 oder angefochtene Entscheidung).

2. Mit am 26. September 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger Prozeßkostenhilfe beantragt. Dieser Antrag ist durch Beschluß des Gerichts (Fünfte Kammer) vom 4. Dezember 1995 zurückgewiesen worden.

3. Mit besonderem Schriftsatz, der am 15. November 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit nach Artikel 114 der Verfahrensordnung erhoben und beantragt, über diese Einrede vorab zu entscheiden.

4. Die Kläger haben ihre Stellungnahmen zu der Einrede am 4. Januar 1996 eingereicht.

5. Mit am 26. Januar 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat die Portugiesische Republik beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Der Streithilfeantrag ist den Parteien zugestellt worden, die Gelegenheit erhielten, hierzu Stellung zu nehmen. Mit Beschluß vom 19. März 1996 ist die Portugiesische Republik als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden. Die Portugiesische Republik hat ihren Streithilfeschriftsatz am 3. Mai 1996 eingereicht.

6. Das Gericht hat alle Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 18. November 1996 zur Beantwortung schriftlicher Fragen aufgefordert.

7. Die Portugiesische Republik, die Kommission und die Kläger haben ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts mit Schriftsätzen vom 21., 24. und 28. Januar 1997 eingereicht.

8. Die Portugiesische Republik hat ihren am 21. Januar 1997 eingereichten Antworten auf die Fragen des Gerichts eine Videokassette mit Auszügen aus Fernseh-Nachrichtensendungen beigefügt. Die Kanzlei des Gerichts hat die Videokassette der Streithelferin mit der Bitte zurückgesandt, eine Niederschrift der einschlägigen Passagen vorzulegen. Mit am 20. März 1997 eingereichtem Schriftsatz hat die Portugiesische Republik eine Niederschrift des Inhalts dieser Videokassette übermittelt.

Anträge der Verfahrensbeteiligten

9. Die Kläger beantragen,

- die Entscheidung vom 21. Dezember 1994 für nichtig zu erklären;

- die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen;

- der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

10. Die Beklagte beantragt,

- die Klage für unzulässig zu erklären;

- den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

11. Die Portugiesische Republik beantragt,

- die Klage für unzulässig zu erklären.

Zur Zulässigkeit

12. Nach Artikel 114 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Unzulässigkeit. Gemäß Artikel 114 § 3 wird über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält das Gericht die Unterlagen und Erklärungen für ausreichend, die die Verfahrensbeteiligten im schriftlichen Verfahren, insbesondere im Anschluß an die Beantwortung der schriftlichen Fragen des Gerichts, eingereicht haben. Das Gericht, dem alle zur Entscheidung erforderlichen Anhaltspunkte vorliegen, beschließt daher, daß es keiner mündlichen Anhörung der Verfahrensbeteiligten bedarf.

13. Die Beklagte macht zwei Unzulässigkeitsgründe geltend. Zum einen sei die Klage nicht innerhalb der in Artikel 173 EG-Vertrag vorgesehenen Zweimonatsfrist erhoben worden. Zum anderen betreffe die angefochtene Entscheidung die Kläger nicht unmittelbar und individuell.

Zum Unzulässigkeitsgrund der Ausschlußwirkung

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

14. Die Kommission weist darauf hin, daß die am 21. Dezember 1994 ergangene angefochtene Entscheidung am selben Tag Gegenstand einer Pressemitteilung gewesen und dem portugiesischen Staat am 30. Dezember 1994 zugestellt worden sei; außerdem seien wichtige Teile dieser Entscheidung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (1994, C 403, S. 116) veröffentlicht worden. Darüberhinaus sei diese Entscheidung Gegenstand einer sofortigen Veröffentlichung in allen portugiesischen Medien (u. a. regionale und überregionale Zeitungen, Radio, Fernsehen) gewesen. Die erst am 8. August 1995 erhobene Klage sei daher unzulässig. Ferner ergebe sich aus Artikeln, die in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht worden seien, daß der Bau der Brücke das ganze Jahr 1995 über von den Klägern diskutiert und beanstandet worden sei, was insbesondere auf einem am 22. Februar 1995 abgehaltenen Symposium über die Frage der verschiedenen möglichen Standorte der Brücke geschehen sei. Die Angelegenheit habe aber auf diesem Symposium nicht besprochen werden können, ohne daß von irgendeiner Seite die Beteiligung des Kohäsionsfonds erwähnt worden wäre. Außerdem hätten verschiedene Zeitungen im März 1995 bekanntgegeben, daß die Klägerin LPN im Zusammenwirken mit anderen Umweltschutzvereinigungen (dem Kläger GEOTA sowie Quercus und l'Instituto Dom Diniz [IDD]) eine Klage gegen die Kommission vorbereite, weil diese dem Bau der Tejo-Brücke zugestimmt habe, und daß die Sache vor den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gebracht werde.

15. Überdies habe der Kläger GEOTA bereits am 13. Januar 1995 den Minister für Raumordnung und Verwaltung des portugiesischen Hoheitsgebiets um Genehmigung ersucht, die Unterlagen über die Gemeinschaftsfinanzierung des Vorhabens sowie alle die Gewährung der Subvention betreffenden Entscheidungen der Organe der Europäischen Union einzusehen. Aufgrund dieses Antrags sei dem Kläger erlaubt worden, die Unterlagen am 9. März 1995 einzusehen; hierbei sei ihm eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung ausgehändigt worden.

16. Wegen der engen Zusammenarbeit zwischen den beiden Klägern habe an diesem Tag auch die Klägerin LPN von der angefochtenen Entscheidung erfahren müssen. Dazu sei insbesondere festzustellen, daß, wie aus dem Tätigkeitsbericht des Klägers GEOTA für 1994 hervorgehe, im Rahmen der Kampagne für die Tejo-Brücke von den beiden Klägern verschiedene Maßnahmen (Gespräche mit der Generaldirektion Umwelt, nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz der Kommission [GD XI], Anfertigung verschiedener Studien, Erhebung von Klagen bei portugiesischen Gerichten) gemeinsam durchgeführt worden seien.

17. Daraus sei zu schließen, daß die Kläger spätestens am 9. März 1995 von allen Bestandteilen der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erlangt hätten und daß die in Artikel 173 Absatz 5 des Vertrages vorgeschriebene Zweimonatsfrist zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer Klage am 8. August 1995 längst abgelaufen gewesen sei.

18. In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts räumt die Kommission ein, daß es zwar in den Jahren 1994 und 1995 tatsächlich Kontakte zwischen Mitgliedern der Klägerin LPN und Beamten der GD XI und der Generaldirektion Regionalpolitik (GD XVI) gegeben habe, daß sich jedoch kein Beamter dieser Generaldirektionen daran erinnere, der Klägerin LPN Anfang Juli 1995 oder zu irgendeinem anderenZeitpunkt eine Abschrift der Entscheidung vom 21. Dezember 1994 gegeben zu haben.

19. Die Kommission führt weiter aus, die Kläger sowie IDD und Quercus hätten dem Kommissionsmitglied Ritt Bjerregaard am 27. Februar 1995 ein gemeinsames Schreiben übersandt, das von Herrn Palmeirim als Präsident der Klägerin LPN im Namen der vier Vereinigungen unterzeichnet worden sei und aus dem sich klar ergebe, daß diese bereits zu diesem Zeitpunkt gewußt hätten, daß die Kommission beschlossen habe, der Finanzierung des Baus der Tejo-Brücke durch den Kohäsionsfonds zuzustimmen, und daß sie ihre Anwälte damit beauftragt hätten, die Entscheidung vor dem Gerichtshof anzufechten.

20. Daß diese Vereinigungen die Anfechtung der Entscheidung vom 21. Dezember 1994 vor dem Gerichtshof beabsichtigt hätten, sei auch im März 1995 aus der portugiesischen Presse hervorgegangen.

21. Daß der Klägerin LPN die angefochtene Entscheidung bekannt gewesen sei, gehe ferner aus einem gemeinsamen Schreiben der Kläger sowie von Quercus und IDD vom 28. Februar 1995 an das Kommissionsmitglied Monika Wulf-Mathies hervor, das vom Präsidenten der Klägerin LPN, Herrn Palmeirim, im Namen der vier Vereinigungen unterschrieben worden sei. Die Klägerin LPN weise darauf hin, daß dieses Schreiben "Informationen für die Sachdiskussion über den durch den Kohäsionsfonds finanzierten Bau einer Brücke über die Tejo-Mündung" betroffen habe und daß die Unterzeichnervereinigungen darin die Kommission nicht ersucht hätten, den Zuschuß des Kohäsionsfonds abzulehnen, sondern die Finanzierung einzustellen.

22. Der World Wide Fund for Nature (WWF) habe am 11. Mai 1995 ein Schreiben an Monika Wulf-Mathies gerichtet, in dem er diese auf die von den portugiesischen Umweltschutzvereinigungen geäußerte Besorgnis im Hinblick auf den Bau der Brücke über den Tejo hingewiesen und insbesondere ausgeführt habe, daß diese "Vereinigungen behaupten, daß die Brücke teils von der Europäischen Investitionsbank und teils vom Kohäsionsfonds finanziert" worden sei.

23. Außerdem habe der WWF am 9. Juni 1995 ein Schreiben an die GD XI gerichtet, dem ein von der Klägerin LPN erarbeitetes Memorandum vom 25. Mai 1995 mit dem Titel "Die neue Brücke über die Tejo-Mündung" beigefügt gewesen sei, in dem es nicht nur heiße, "der Kohäsionsfonds und die Europäische Investitionsbank werden jeweils einen Beitrag von etwa 300 000 000 ECU leisten", sondern in dem darüber hinaus ausdrücklich auf ein als Anlage beigefügtes Schreiben, nämlich die "Entscheidung der Kommission" Bezug genommen werde, bei dem es sich nur um die Entscheidung vom 21. Dezember 1994 handeln könne.

24. Man frage sich, wie die Klägerin LPN es wagen könne, zu behaupten, erst Anfang Juli 1995 von der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erhalten zu haben, obwohl sie doch am 28. Juni 1995 ein Schreiben an Ritt Bjerregaard gerichtet habe, in demsie die Entscheidung der Kommission über das Vorhaben 94/10/65/005 über die Finanzierung des Baus der Tejo-Brücke ausdrücklich genannt habe.

25. Es sei fast sicher, daß die Klägerin LPN bereits in den ersten Tagen nach Erlaß der Entscheidung vom 21. Dezember 1994 von deren Bestehen Kenntnis gehabt habe. Jedenfalls zeigten die vorgenannten Angaben, ohne daß ein Zweifel möglich sei, daß die Klägerin LPN viel früher, als von den Klägern behauptet, und spätestens am 25. Mai 1995 eindeutig umfassende Kenntnis von der angefochtenen Entscheidung gehabt habe.

26. Nach Ansicht der Kläger ist die Klage innerhalb der in Artikel 173 des Vertrages vorgesehenen Zweimonatsfrist eingereicht worden. Da die Entscheidung vom 21. Dezember 1994 ihnen nicht zugestellt worden sei und nur eine kurze Zusammenfassung, die nicht einmal ihren verfügenden Teil enthalten habe, veröffentlicht worden sei, sei die Frist für die Erhebung der Klage von dem Zeitpunkt an zu berechnen, zu dem sie Kenntnis von der Entscheidung erhalten hätten. Für eine Zulässigkeit der Klage genüge es schon, daß einer der beiden Kläger innerhalb von zwei Monaten vor dem 8. August 1995, dem Tag der Klageerhebung, von der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erhalten habe.

27. Die Klägerin LPN habe erst Anfang Juli 1995 im Rahmen der von ihr damals zu Beamten der Kommission hergestellten Kontakte informell vom Wortlaut der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erhalten. Vorher habe sie zwar gerüchteweise davon gehört, daß die Kommission beschlossen habe, den Bau der neuen Tejo-Brücke zu finanzieren, sie habe jedoch nie Zugang zum Wortlaut der Entscheidung gehabt. Es sei aber nicht möglich, eine Klage gegen eine Entscheidung zu erheben, deren Wortlaut man nicht kenne.

28. Daß die angefochtene Entscheidung Gegenstand einer sofortigen Verbreitung durch sämtliche Medien in Portugal gewesen sei, sei offensichtlich ohne Belang, da die Fristen für Klagen gegen Handlungen von Gemeinschaftsorganen nicht mit deren Nennung in der Presse oder Fernseh-Nachrichtensendungen beginnen könnten.

29. Das Argument der Beklagten, daß die enge Zusammenarbeit zwischen dem Kläger GEOTA und der Klägerin LPN vermuten lasse, daß diese von den Vorkehrungen Kenntnis gehabt habe, die der Kläger getroffen habe, um eine Abschrift der Entscheidung vom 21. Dezember 1994 zu erhalten, gehe fehl. Diese Vermutung sei geeignet, die Beweislast umzukehren. Es bestehe im Gemeinschaftsrecht auch keine Vermutung dafür, daß zwei Rechtssubjekte, die die gleichen Ziele hätten, sich gegenseitig über die Maßnahmen unterrichten müßten, die sie in Ausübung ihrer jeweiligen Tätigkeiten ergriffen. Daher obliege der Beklagten der Beweis dafür, daß die Klägerin LPN von der Entscheidung vom 21. Dezember 1994 früher als zwei Monate vor dem 8. August 1995 Kenntnis erlangt habe.

30. In ihrer Antwort auf die schriftlichen Fragen des Gerichts trägt die Klägerin LPN vor, sie habe von der Entscheidung der Gemeinschaft, sich an der Finanzierung des Baus der neuen Brücke zu beteiligen, erstmalig zwischen Ende Juni und Anfang Juli 1995 - ein genaues Datum könne sie nicht nennen - gehört. Von diesem Zeitpunkt an habe sie versucht, eine Abschrift dieser Entscheidung zu erhalten, die ihr schließlich vom Kläger GEOTA verschafft worden sei.

31. Auf die Frage, was den Kläger GEOTA im einzelnen veranlaßt habe, beim Minister für Raumordnung und Verwaltung des portugiesischen Hoheitsgebiets am 13. Januar 1995 Einsicht in die Unterlagen über die Gemeinschaftsfinanzierung des Vorhabens zu beantragen, hat der Kläger GEOTA geantwortet, unmittelbarer Grund für diesen Antrag sei das Genehmigungsverfahren für das Vorhaben der neuen Brücke im Jahr 1994 gewesen, da dieses Vorhaben nur mit Unterstützung der Gemeinschaft Aussicht auf Verwirklichung gehabt habe.

32. Der Kläger GEOTA bestätigt zwar, daß seine zuständigen Mitarbeiter und diejenigen der Klägerin LPN während des ganzen Jahres 1995 rege Kontakte im Hinblick auf die neue Brücke unterhalten hätten und daß hierzu verschiedene Initiativen entwickelt worden seien, meint jedoch, daß keine der in den ersten Monaten des Jahres 1995 von den beiden Vereinigungen gemeinsam unternommenen Aktionen speziell die angefochtene Entscheidung betroffen habe.

33. Schließlich trägt der Kläger GEOTA vor, er habe der Klägerin LPN Ende Juni 1995 eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung überreicht.

Würdigung durch das Gericht

34. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Klage von zwei portugiesischen Umweltschutzvereinigungen, dem GEOTA und der LPN, gemeinsam eingereicht worden ist.

35. Aus den Akten ergibt sich, daß der Kläger GEOTA am 9. März 1995 bei der Einsichtnahme in die Unterlagen über die Gemeinschaftsfinanzierung des Baus der neuen Tejo-Brücke beim Ministerium für Raumordnung und Verwaltung des Hoheitsgebiets eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung erhalten hat. Daraus folgt, daß die am 8. August 1995 eingereichte Klage, soweit sie den Kläger GEOTA betrifft, offensichtlich verspätet erhoben worden ist.

36. Was die Klägerin LPN angeht, so muß sie entgegen ihrer Behauptung früher als zwei Monate vor Einreichung der Klage von der Existenz der angefochtenen Entscheidung Kenntnis erlangt haben.

37. Hierzu ist erstens festzustellen, daß die Klägerin LPN die Entwicklung der Angelegenheit aufmerksam verfolgte. So begaben sich im November 1994, kurz vor Erlaß der Entscheidung vom 21. Dezember 1994, verschiedene portugiesische Umweltschutzvereinigungen, darunter auch die Klägerin LPN, zur Kommissionnach Brüssel, um zu versuchen, die Kommission von der Gewährung des Zuschusses abzubringen. Dabei erklärten sie u. a. folgendes: "Die Europäische Gemeinschaft hat die Finanzierung dieses Vorhaben noch nicht beschlossen. Dies kann sie nicht vor morgen (Freitag) auf der Sitzung des Kollegiums der Kommissare tun. Es steht also noch nicht fest, daß die Entscheidung für die portugiesische Regierung günstig ausfällt."

38. Zweitens steht fest, daß die angefochtene Entscheidung sofort über alle portugiesischen Medien verbreitet worden ist.

39. Drittens hat die Klägerin LPN am 27. Februar 1995 an Frau Bjerregaard, Mitglied der Kommission, ein Schreiben gerichtet, in dem sie u. a. schrieb: "Wie Sie wissen, schickt sich die Kommission an, den Bau einer sehr großen Brücke über die Tejo-Mündung zu finanzieren ... Auf unsere Beschwerde [eingelegt 1992 unter der Nummer P4008192] hatte die GD XI die Verwendung der Gemeinschaftsmittel für dieses Vorhaben vorübergehend gestoppt. Aus uns noch unbekannten Gründen hat die Kommission dieses Hindernis Ende des letzten Jahres beseitigt ..." Es ist klar, daß der Hinweis auf die "[Beseitigung des] Hindernis[ses] Ende letzten Jahres" auf die Entscheidung vom 21. Dezember 1994 anspielt. Außerdem hat die Klägerin LPN bereits im Schreiben vom 27. Februar 1995 darauf hingewiesen, daß sie ihre "Anwälte damit beauftragt [habe], eine Klage gegen diese Vereinbarung beim Europäischen Gerichtshof zu erheben".

40. Viertens hat die Klägerin LPN dem Kommissionsmitglied Monika Wulf-Mathies am 28. Februar 1995 ein Schreiben in bezug auf "Informationen über die Sachdiskussion betreffend den vom Kohäsionsfonds finanzierten Bau einer Brücke über die Tejo-Mündung ..." übersandt. Somit geht bereits aus der Überschrift des Schreibens hervor, daß die Klägerin LPN zu diesem Zeitpunkt bereits wußte, daß die Kommission die Finanzierung des Vorhabens beschlossen hatte. In demselben Schreiben hat die Klägerin außerdem die Kommission ersucht, nicht etwa die Beteiligung des Kohäsionsfonds abzulehnen, sondern "die Beteiligung der Gemeinschaft an dem Vorhaben zu stoppen".

41. Fünftens hat die portugiesische Presse bereits im März 1995 über die Erklärungen der portugiesischen Umweltschutzvereinigungen, darunter die der Klägerin LPN, berichtet, wonach diese Vereinigungen in den nächsten Tagen eine Klage gegen die Kommission auf Nichtigerklärung der von der Kommission mit der portugiesischen Regierung geschlossenen Vereinbarung beim Gerichtshof einreichen würden.

42. Folglich erlangte die Klägerin LPN entgegen der Behauptung der Kläger Kenntnis von der Entscheidung offensichtlich schon kurz nach ihrem Erlaß durch die Kommission, spätestens aber am 28. Februar 1995.

43. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes obliegt es jedoch demjenigen, der vom Vorliegen einer ihn betreffenden Handlung erfährt, deren vollständigen Wortlautbinnen angemessener Frist anzufordern (Urteil des Gerichtshofes vom 5. März 1986 in der Rechtssache 59/84, Tezi und Textiel/Kommission, Slg, 1986, 887, Randnr. 11; Beschluß des Gerichtshofes vom 5. März 1993 in der Rechtssache C-102/92, Ferriere Acciaierie Sarde/Kommission, Slg, 1993, I-801, Randnr. 18).

44. Daher war die Klägerin LPN verpflichtet, von der Kommission oder gegebenenfalls vom zuständigen portugiesischen Minister die Übersendung des vollständigen Wortlauts der Entscheidung vom 21. Dezember 1994 zu verlangen. Selbst wenn sich also die Klägerin LPN, wie sie behauptet, im Juli 1995 um die Übersendung der Entscheidung bemüht hat, ist doch davon auszugehen, daß dieser Antrag außerhalb jeder angemessenen Frist im Sinne der in Randnummer 43 angeführten Rechtsprechung gestellt wurde. Mithin ist die Klage, soweit sie von der Klägerin LPN eingereicht worden ist, offensichtlich verspätet.

45. Jedenfalls ist festzustellen, daß die Klägerin LPN unabhängig davon, daß sie es unterlassen hat, den Wortlaut der angefochtenen Entscheidung binnen angemessener Frist nach Kenntniserlangung von der Existenz dieser Entscheidung anzufordern, ihre Klage nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Tag erhoben hat, an dem ihr der Wortlaut der Entscheidung tatsächlich vorlag.

46. Insoweit trifft die Behauptung der Kläger, daß die Klägerin LPN den Wortlaut der Entscheidung erst Anfang Juli 1995 erhalten habe, offensichtlich nicht zu.

47. Erstens hat die Klägerin LPN auf die Aufforderung des Gerichts, die genauen Umstände darzulegen, unter denen sie den Wortlaut der angefochtenen Entscheidung erhalten habe, kein genaues Datum nennen können und sich außerdem insoweit selbst widersprochen, als sie behauptet hat, dieser Wortlaut sei ihr vom Kläger GEOTA übermittelt worden, während sie in ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit erklärt hat, sie habe im Rahmen ihrer Kontakte mit der Kommission Anfang Juli 1995 vom Wortlaut der Entscheidung Kenntnis erlangt.

48. Zweitens geht aus einem von der Klägerin LPN selbst vorgelegten Schriftstück hervor, daß sie spätestens am 25. Mai 1995 tatsächlich über den Wortlaut der angefochtenen Entscheidung verfügte. Die Kommission hat nämlich mit ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts ein von der Klägerin ausgearbeitetes und unterzeichnetes Memorandum mit dem Titel "Die neue Brücke über die Tejo-Mündung" vorgelegt. Auf den Seiten 1, 2, 10 und 11 dieses Memorandums, das vom 25. Mai 1995 datiert, heißt es: "Der Kohäsionsfonds und die Europäische Investitionsbank werden jeweils einen Beitrag von etwa 300 000 000 ECU leisten. ... Der Kohäsionsfonds wird einen Beitrag von 311 211 212 ECU leisten (Dokument 1, Entscheidung der Kommission). ... In der Entscheidung der Kommission (Dokument 1) wird auch darauf hingewiesen, daß das Vorhaben zum transeuropäischen Netz beiträgt." Mehrere weitere Passagen des Memorandums beziehen sich ausdrücklich auf die Entscheidung der Kommission. So heißt es auf Seite 10: "Im Antrag auf Zuschuß des Kohäsionsfonds (Dokument 4, Nr. 19) hatsich die portugiesische Regierung .verpflichtet, die Transparenz und den Zugang zu den von der Öffentlichkeit verlangten Informationen zu gewährleisten'. Dies ist auch eine Forderung in der Entscheidung der Kommission (Dokument 1, Entscheidung der Kommission)." Daraus ergibt sich somit klar, daß die Klägerin LPN nicht nur von der angefochtenen Entscheidung und ihrem Inhalt eindeutig Kenntnis hatte, sondern daß sie darüber hinaus auch über den Wortlaut dieser Entscheidung verfügte, wie die Verweisung auf das "Dokument 1, Entscheidung der Kommission" beweist.

49. Daher ist festzustellen, daß die Klägerin LPN spätestens am 25. Mai 1995 tatsächlich über den Wortlaut der angefochtenen Entscheidung verfügt hat.

50. Die am 8. August 1995 eingereichte Klage ist also, soweit sie von der Klägerin LPN erhoben worden ist, nach Ablauf der in Artikel 173 des Vertrages vorgesehenen Zweimonatsfrist zuzüglich einer Entfernungsfrist von 10 Tagen nach Artikel 42 der EG-Satzung des Gerichtshofes eingereicht worden.

51. Nach alledem ist die Klage sowohl hinsichtlich des Klägers GEOTA als auch der Klägerin LPN als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die angefochtene Entscheidung die Kläger unmittelbar und individuell betrifft.

Kostenentscheidung:

Kosten

52. Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger mit ihrem Vorbringen unterlegen sind und die Beklagte einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind den Klägern ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

53. Gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung, wonach die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten tragen, hat die Portugiesische Republik ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

2. Die Kläger tragen ihre eigenen Kosten sowie als Gesamtschuldner die Kosten der Kommission.

3. Die Portugiesische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 15. Juli 1998

Ende der Entscheidung

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