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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 19.05.1999
Aktenzeichen: T-175/95
Rechtsgebiete: EGV, Entscheidung 95/477/EG, Vereinbarung von 1982


Vorschriften:

EGV Art. 81 Abs. 1
EGV Art. 85
Entscheidung 95/477/EG
Vereinbarung von 1982 § 2 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 In Wettbewerbssachen soll das Verfahren der Akteneinsicht die Empfänger einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzen, die Beweisstücke in der Akte der Kommission zur Kenntnis zu nehmen, damit sie sinnvoll zu den Schlußfolgerungen Stellung nehmen können, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgrund dieser Beweisstücke gelangt ist. Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen und insbesondere eine effektive Ausübung des in Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Anhörungsrechts sicherstellen sollen. Die Kommission ist verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

Wegen des allgemeinen Grundsatzes der Waffengleichheit, der voraussetzt, daß in einer Wettbewerbssache das betroffene Unternehmen die gleiche Kenntnis der im Verfahren herangezogenen Unterlagen hat wie die Kommission, kann diese nicht allein entscheiden, ob Schriftstücke, die im Rahmen der in der Angelegenheit durchgeführten Ermittlungen erlangt worden sind, das betroffene Unternehmen entlasten können. Daher muß die Kommission zumindest ein Verzeichnis der der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht als Anlage beigefügten Unterlagen erstellen, das so detailliert ist, daß das Unternehmen, das Adressat der Mitteilung der Beschwerdepunkte ist, Einsicht in bestimmte Schriftstücke beantragen kann, die für seine Verteidigung nützlich sein könnten.

2 Eine Klausel einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, durch die einem Abnehmer der Weiterverkauf oder die Ausfuhr der erworbenen Ware verboten werden soll, ist ihrem Wesen nach geeignet, die Märkte abzuschotten und damit den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

3 Eine Klausel einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, ist nicht allein deshalb dem Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) entzogen, weil die Vertragspartner sie nicht angewandt haben.

Die Kommission kann daher zu Recht annehmen, daß eine Zuwiderhandlung, die erwiesenermassen der Abschluß und die Beteiligung der Vertragsparteien an einer Alleinvertriebsvereinbarung ist, die eine Klausel enthält, deren Zweck gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstösst, erst mit der Streichung der fraglichen Klausel durch diese Vertragsparteien beendet wird.

4 Für eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages genügt es, wenn dem Unternehmen bewusst war, daß das gerügte Verhalten eine Wettbewerbsbeeinträchtigung bezweckte, gleichviel, ob es sich dabei auch bewusst war, gegen ein in diesen Regeln enthaltenes Verbot zu verstossen. Die Äusserung eines Rechtsberaters, auf die sich der Betreffende beruft, kann ihn insoweit nicht entschuldigen.

5 Die wegen eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln der Vertrages verhängte Geldbusse muß den Umständen und der Schwere der Zuwiderhandlung entsprechen; bei der Beurteilung der Schwere ist insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen.

6 Die Kommission ist bei der Bemessung der Geldbusse nicht verpflichtet, die defizitäre Finanzlage des betroffenen Unternehmens zu berücksichtigen. Eine Bejahung einer solchen Verpflichtung würde letztlich den Unternehmen, die sich den Marktbedingungen am wenigsten angepasst haben, einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschaffen.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 19. Mai 1999. - BASF Lacke + Farben AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Artikel 81 Absatz 1 EG (früher Artikel 85 Absatz 1) - Alleinvertriebsvereinbarung - Paralleleinfuhren. - Rechtssache T-175/95.

Entscheidungsgründe:

Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

Parteien und betroffene Erzeugnisse

1 Die Klägerin, früher: BASF Lacke + Farben AG, eine Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Münster-Hiltrup, stellt u. a. Autoreparaturlacke her, die unter der Marke Glasurit vertrieben werden. Sie erzielte im Jahr 1991 einen Umsatz von 1,668 Mrd. DM; davon entfielen 314 Mio. DM auf Autoreparaturlacke weltweit und 243 Mio. DM auf Autoreparaturlacke innerhalb der Gemeinschaft.

2 Glasurit-Produkte werden vertrieben:

- über BASF-Tochtergesellschaften in den Niederlanden, in Italien, Frankreich und Spanien, im Vereinigten Königreich sowie in Irland, Österreich, Schweden und Finnland,

- durch unabhängige Vertriebshändler im Rahmen von Alleinvertriebsvereinbarungen in Belgien, Luxemburg, Dänemark und Portugal,

- über fünf regionale Alleinvertriebshändler in Deutschland,

- über einen unabhängigen Vertriebshändler ohne Alleinvertriebsrechte in Griechenland.

3 Die Accinauto SA (im folgenden: Accinauto) ist eine Gesellschaft belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel. Sie vertreibt seit 1937 die Autoreparaturlacke des BASF-Konzerns in Belgien und Luxemburg. Seit 1974 ist die Accinauto in diesem Vertragsgebiet Alleinvertriebshändler für Glasurit-Produkte. Ihr Umsatz belief sich im Steuerjahr 1991 auf 738 Mio. BFR, wovon ca. 85 % mit dem Verkauf von BASF-Produkten erzielt wurden.

4 Im Vereinigten Königreich und in Irland werden die Autoreparaturlacke des BASF-Konzerns durch die BASF Coating and Inks Ltd (im folgenden: BASF C & I), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des BASF-Konzerns, vertrieben.

5 Autoreparaturlacke sind von Lacken für Neufahrzeuge zu unterscheiden, obwohl sie die gleiche Zusammensetzung haben und auf den gleichen Produktionslinien hergestellt werden. Lacke für Neufahrzeuge sind für Automobilhersteller, Autoreparaturlacke für Reparaturwerkstätten bestimmt. Deshalb werden Autoreparaturlacke in anderen Aufmachungen und Mengen als Lacke für Neufahrzeuge vertrieben.

6 Im Zeitraum 1985 bis 1992 waren die Endverbraucher-Nettopreise für Autoreparaturlacke einschließlich der Glasurit-Produkte im Vereinigten Königreich durchschnittlich höher als in Belgien.

Ablauf des Verwaltungsverfahrens

7 Die Ilkeston Motor Factories Ltd (im folgenden: IMF) und die Calbrook Cars Ltd (im folgenden: Calbrook), zwei Gesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich und Vertriebshändler für Autoreparaturlacke, reichten am 28. Januar 1991 eine Beschwerde wegen Verstosses der Klägerin und der Accinauto gegen die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln bei der Kommission ein.

8 Die Beschwerdeführerinnen hatten nach eigenem Vortrag seit 1986 bei der Accinauto - die IMF direkt, die Calbrook über die IMF - Glasurit-Produkte bezogen. Auf Veranlassung der Klägerin habe die Accinauto im Sommer 1990 die Belieferung eingestellt. Die Klägerin und die Accinauto hätten sich hierbei abgestimmt, um die Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich durch die Beschwerdeführerinnen zu verhindern.

9 Die Kommission nahm am 26. Juni 1991 Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Klägerin, der BASF C & I, der Accinauto und der Firma Technipaint vor, einer 1982 von den Direktoren der Accinauto gegründeten Gesellschaft mit gleichem Sitz wie diese.

10 Sie erhielt anschließend von den verschiedenen Beteiligten schriftliche Auskünfte gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204).

11 Am 12. Mai 1993 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Klägerin und die Accinauto.

12 Am 23. September 1993 fand in dieser Angelegenheit eine mündliche Anhörung statt.

13 Nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen erließ die Kommission am 12. Juli 1995 die Entscheidung 95/477/EG vom 12. Juli 1995 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/33.802 - BASF Lacke + Farben AG und SA Accinauto) (ABl. L 272, S. 16; im folgenden: angefochtene Entscheidung). Diese Entscheidung wurde der Klägerin am 21. Juli 1995 zugestellt.

Inhalt der angefochtenen Entscheidung

14 Im verfügenden Teil der streitigen Entscheidung stellt die Kommission fest, daß die Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Accinauto, wonach Letztere vom 8. Oktober 1982 bis 31. Dezember 1991 verpflichtet gewesen sei, von ausserhalb des Vertragsgebiets kommende Kundenanfragen an die Klägerin weiterzuleiten, gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) verstosse. Wegen ihrer jeweiligen Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung verhängte die Kommission gegen die Klägerin eine Geldbusse von 2 700 000 ECU und gegen die Accinauto eine Geldbusse von 10 000 ECU.

15 In den Begründungserwägungen dieser Entscheidung stellt die Kommission fest, daß sich die Accinauto nach § 2 Absatz 2 Unterabsatz 1 der im Juni/Oktober 1982 zwischen der Klägerin und der Accinauto rückwirkend zum 1. Januar 1981 geschlossenen Alleinvertriebsvereinbarung (im folgenden: Vereinbarung von 1982) verpflichtet habe, von ausserhalb des Vertragsgebiets kommende "Kundenanfragen" an die Klägerin "weiterzuleiten". Diese Wendung sei in dem Sinne zu verstehen, daß derjenige, an den "weitergeleitet" werde, an die Stelle desjenigen trete, der "weiterleite". Infolgedessen sei es der Accinauto untersagt gewesen, selbständig über die Belieferung von ausserhalb Belgiens oder Luxemburgs ansässigen Kunden zu entscheiden. Vielmehr habe die Klägerin entschieden, ob und unter welchen Bedingungen die Accinauto, sie selbst oder ein Dritter Bestellungen erfuellen dürfe.

16 Ihre Auslegung von § 2 der Vereinbarung werde durch die Art und Weise bestätigt, in der die Parteien der Vereinbarung diese Bestimmung ständig angewendet hätten.

17 Als die IMF im März 1986 zum ersten Mal Kontakt mit der Accinauto aufgenommen habe, habe diese eine "Sondergenehmigung" für die Aufnahme der Belieferung erhalten. Die Klägerin habe diese Genehmigung erteilt, weil sie die Parallelausfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich habe "kanalisieren und normalisieren" wollen. Dies sei im Zusammenhang mit den Maßnahmen zu sehen, die die Klägerin in den Jahren 1985 und 1986 gegen Paralleleinfuhren ergriffen habe. Neun Monate lang habe sie die von den Vertriebshändlern in Belgien, den Niederlanden und Deutschland verkauften Erzeugnisse gekennzeichnet, um zu ermitteln, über welche Kanäle Glasurit-Produkte auf den britischen Markt gelangten.

18 Im Juni 1989 habe die Klägerin die Accinauto aufgefordert, die IMF und die übrigen britischen Kunden nicht mehr zu beliefern. Die Entscheidung, die ursprünglich genehmigten Parallelausfuhren in das Vereinigte Königreich einzustellen, sei also von der Klägerin getroffen worden.

19 Die Accinauto habe sich jedoch über das Verbot der Klägerin hinweggesetzt. Ab Juli 1989 habe sie die Verkäufe an die IMF über Technipaint fakturiert und damit ihre Lieferungen in das Vereinigte Königreich ohne Wissen der Klägerin fortgesetzt.

20 Ende Mai 1990 habe die Accinauto die Lieferungen an die IMF eingestellt, nachdem die Klägerin ihre Kontrolle verstärkt habe. Die BASF C & I habe darauf hingewiesen, daß das Problem der Paralleleinfuhren grösser werde und daß sie Beweise für die Existenz einer belgischen Quelle habe.

21 Seit diesem Zeitpunkt habe sich die Accinauto ohne jede Einschränkung an die Vereinbarung von 1982 gehalten. Die Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln sei erst am 1. Januar 1992 beendet worden, dem Tag, an dem rückwirkend eine neue Vertriebsvereinbarung in Kraft getreten sei, die von ihren Parteien am 14. Dezember 1992 und 22. Januar 1993 unterzeichnet worden sei. Diese Vereinbarung enthalte nicht mehr die beanstandete Klausel, wonach die Accinauto zur Weiterleitung von nicht aus dem Vertragsgebiet kommenden Kundenanfragen an die Klägerin verpflichtet gewesen sei.

22 Mit § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 sei eine Beschränkung des Wettbewerbs zwischen der Accinauto und anderen Anbietern von Autoreparaturlacken der Marke Glasurit, insbesondere zwischen der Accinauto und der BASF C & I, bezweckt und bewirkt worden. Diese Vereinbarung sei geeignet gewesen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, indem sie für Glasurit-Produkte Parallelausfuhren aus Belgien in das Vereinigte Königreich eingeschränkt habe.

23 Ihre Entscheidung, gegen die Klägerin und gegen die Accinauto Geldbussen zu verhängen, begründet die Kommission damit, das Verbot von Passivverkäufen stehe im Widerspruch zu dem Ziel der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und stelle einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, das in dieser Frage - auch was die betroffenen Erzeugnisse und den betroffenen Markt angehe - eindeutig sei. Die Klägerin und Accinauto hätten diese Zuwiderhandlung auch vorsätzlich begangen.

Verfahren

24 Die vorliegende Klage ist mit am 25. September 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhoben worden.

25 In ihrer Klageschrift beantragt die Klägerin, folgende prozeßleitende Maßnahmen zu beschließen:

- anzuordnen, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Einsicht in die das Verwaltungsverfahren betreffenden Originalakten der Beklagten gewährt wird;

- hilfsweise, anzuordnen, daß dem Gericht zum Zweck der Prüfung entlastender Sachverhalte die vollständigen Akten des Verwaltungsverfahrens von der Beklagten übermittelt werden;

- anzuordnen, daß der Klägerin ein vollständiges Protokoll der Anhörung vom 23. September 1993 in deutscher Sprache überlassen wird.

26 Die ursprünglich der Ersten erweiterten Kammer zugewiesene Rechtssache ist gemäß den Artikeln 14 und 51 der Verfahrensordnung mit Beschluß des Gerichts vom 4. Dezember 1997 an die Erste Kammer verwiesen worden.

27 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Erste Kammer) beschlossen, die von der Klägerin beantragten prozeßleitenden Maßnahmen nicht anzuordnen. Ausserdem hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne weitere prozeßleitende Maßnahmen und ohne vorherige Beweisaufnahme anzuordnen.

28 Die Parteien haben in der Sitzung vom 13. Januar 1998 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

29 Nach dem Amtsantritt eines neuen Mitglieds des Gerichts ist die Zusammensetzung der Ersten Kammer durch Beschluß des Gerichts vom 10. März 1998 geändert worden.

30 Im Hinblick auf Artikel 33 § 2 der Verfahrensordnung hat das Gericht (Erste Kammer) in seiner neuen Zusammensetzung mit Beschluß vom 13. März 1998 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 62 der Verfahrensordnung angeordnet.

31 Die Parteien sind in der Sitzung vom 2. April 1998 nicht erschienen. Auf Vorschlag der Klägerin nach Anhörung der Beklagten hat das Gericht den Parteien erlaubt, sich ohne neue Anhörung auf ihre mündlichen Ausführungen vom 13. Januar 1998 zu beziehen und Abschriften dieser Ausführungen einzureichen; diese sind am 14. April 1998 in das Register der Kanzlei eingetragen worden.

Anträge der Parteien

32 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie sie betrifft;

- hilfsweise, die gegen sie in Artikel 2 dieser Entscheidung festgesetzte Geldbusse aufzuheben oder herabzusetzen;

- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

- der Beklagten aufzugeben, ihr die Kosten der von ihr zur Sicherung der Bußgeldzahlung beigebrachten Bankbürgschaft zu erstatten.

33 Die Beklagte beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung

34 Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Nichtigkeitsgründe. Mit dem ersten Klagegrund macht sie einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften geltend, da die Verteidigungsrechte missachtet worden seien. Dieser Klagegrund gliedert sich in zwei Teile: Verwehrung der Einsicht in die Akten der Kommission und Fehlen einer vollständigen deutschen Übersetzung des Anhörungsprotokolls. Der zweite Klagegrund wird auf einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag gestützt, da die Kommission zu Unrecht festgestellt habe, daß die Vereinbarung von 1982 gegen diese Bestimmung verstosse. Der dritte Klagegrund wird auf einen Ermessensmißbrauch gestützt, da die Kommission ihr Ermessen bei der Bemessung der Geldbusse fehlerhaft ausgeuebt habe.

Zum Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften

Erster Teil des Klagegrunds: Verwehrung der Akteneinsicht

- Vorbringen der Parteien

35 Die Klägerin macht geltend, indem die Kommission ihr die Einsicht in die vollständigen Akten des Verwaltungsverfahrens verwehrt habe, habe sie ihre Verteidigungsrechte in diesem Verfahren verletzt. Um den kontradiktorischen Charakter des in der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Verfahrens zu wahren, müsse die Kommission den Prozeßbevollmächtigten der betroffenen Unternehmen die Möglichkeit einräumen, die Originalakte zu prüfen und zu entscheiden, welche Unterlagen sie zum Nachweis ihres Vorbringens verwenden wollten. Die Kommission dürfe nicht allein entscheiden, welche Schriftstücke der Verteidigung dienlich seien.

36 Die Kommission habe der Mitteilung der Beschwerdepunkte nur Kopien eines Teils der ihr vorliegenden Unterlagen, nämlich eine Liste der Aktenstücke sowie neunzehn Anhänge und drei separate Ordner mit Anlagen, als Anlage beigefügt. Die zusammenfassende Liste habe aber nicht hinreichend die Art der Unterlagen bezeichnet, die nach der alleinigen Beurteilung der Kommission Geschäftsgeheimnisse der Beschwerdeführerinnen enthalten oder interne Unterlagen der Kommission selbst dargestellt hätten. Überdies seien entweder die übermittelten Kopien unpaginiert oder die Paginierung sei unleserlich gewesen, was sie daran gehindert habe, nachzuprüfen, ob die Kopien vollständig gewesen seien und den Originalunterlagen entsprochen hätten.

37 Der Umstand, daß für das Mandat des Anhörungsbeauftragten eine neue Bestimmung gelte, wonach sich die Unternehmen über diesen vergewissern könnten, daß die ihnen zugänglich gemachten Kopien mit den Originalunterlagen übereinstimmten, beweise, daß die Kommission anerkannt habe, daß ihre Akteneinsichtspraxis zu einer Rechtsunsicherheit führe. Wie das ihrer Erwiderung als Anlage beigefügte Dokument der Internationalen Handelskammer, Paris, zeige, werde diese Auffassung auch von der europäischen Wirtschaft geteilt.

38 Indem die Kommission ihren Antrag abgelehnt habe, ihrem Prozeßbevollmächtigten zu erlauben, die Originalunterlagen einzusehen und von den ihr nicht übermittelten Schriftstücken Kopien anzufertigen, habe sie im vorliegenden Fall nicht die ihr nach der Rechtsprechung des Gerichts (Urteile vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 54, vom 18. Dezember 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-10/92, T-11/92, T-12/92 und T-15/92, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2667, Randnr. 38, vom 1. April 1993 in der Rechtssache T-65/89, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1993, II-389, Randnr. 30, und vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-30/91, Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1775, Randnrn. 59 und 81) obliegenden Verpflichtungen beachtet.

39 Unter den ihr mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandten Schriftstücken habe sich kein einziges befunden, das als für sie entlastend hätte angesehen werden können. Es sei daher zu vermuten, daß die Kommission ihr bewusst wesentliche Teile der Akten vorenthalten habe, die für ihre Verteidigung von Bedeutung seien. Dabei dürften einige der nicht mitgeteilten Unterlagen geeignet sein, nachzuweisen, daß die Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in den Jahren 1986 bis 1991 keineswegs verhindert worden seien.

40 Die Kommission vertritt die Auffassung, sie habe im vorliegenden Fall die sich aus der Rechtsprechung von Gerichtshof und Gericht (Urteile Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 54, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Randnr. 41, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Randnr. 31, und, auf das Rechtsmittel hin, Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache C-310/93 P, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1995, I-865) ergebenden Grundsätze über die Akteneinsicht ordnungsgemäß angewendet. Die Klägerin könne dieser Rechtsprechung kein Recht auf Einsicht in die Originalakte entnehmen, um nachzuprüfen, ob die Kopien vollständig seien und den Originalunterlagen entsprächen, und sich zu vergewissern, daß ihr alle belastenden und entlastenden Unterlagen übermittelt worden seien.

41 Für die Übermittlung der Unterlagen sei nicht maßgeblich gewesen, ob diese belastend oder entlastend gewesen seien. Sie habe der Klägerin ein vollständiges Verzeichnis aller Unterlagen der Verfahrensakte sowie Kopien aller Schriftstücke nur mit Ausnahme der vertraulichen Schriftstücke übermittelt. Da in diesem Verzeichnis alle Dokumente verzeichnet gewesen seien, die der Klägerin nicht oder nur zum Teil zugänglich gewesen seien, handele es sich nicht um eine vollständige Ablehnung der Übermittlung wie die, die der Kommission in den Urteilen des Gerichts Solvay/Kommission (Randnrn. 94 und 95) und vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-36/91 (ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847, Randnrn. 100 und 104) zur Last gelegt worden sei.

42 Die Klägerin habe auch keine Einsicht in spezielle im Verzeichnis aufgeführte Unterlagen beantragt, die ihr deshalb nicht übermittelt worden seien, weil sie Geschäftsgeheimnisse der Accinauto und bestimmter dritter Unternehmen enthalten hätten. Wenn die Klägerin einen solchen Antrag gestellt hätte, hätte die Kommission die betreffenden Unternehmen konsultieren und entscheiden können, inwieweit sie die betreffenden Unterlagen hätte zugänglich machen können, ohne das Recht dieser Unternehmen auf Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse zu verletzen.

43 Auch habe die Klägerin nicht von der ihr im Schreiben vom 15. September 1993 angebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich an den Anhörungsbeauftragten zu wenden, um eine Bestätigung dafür zu erhalten, daß dieses Verzeichnis vollständig sei.

44 Die Annahme der Klägerin, daß ihr Unterlagen vorenthalten worden seien, die für ihre Verteidigung erheblich seien, beruhe daher auf blossen Spekulationen und Vermutungen. Die Klägerin trage nichts vor, was den Schluß darauf zuließe, daß solche Unterlagen tatsächlich existierten.

- Würdigung durch das Gericht

45 Nach der Rechtsprechung soll in Wettbewerbssachen das Verfahren der Akteneinsicht die Empfänger einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzen, die Beweisstücke in der Akte der Kommission zur Kenntnis zu nehmen, damit sie sinnvoll zu den Schlußfolgerungen Stellung nehmen können, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgrund dieser Beweisstücke gelangt ist. Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen und insbesondere eine effektive Ausübung des in Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Anhörungsrechts sicherstellen sollen. Die Kommission ist verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen (Urteile Hercules Chemicals/Kommission, Randnr. 54, Cimenteries CBR u. a./Kommission, Randnrn. 38 und 41, BPB Industries und British Gypsum/Kommission vom 1. April 1993, Randnrn. 29 und 30, und Solvay/Kommission, Randnr. 59).

46 Wegen des allgemeinen Grundsatzes der Waffengleichheit, der voraussetzt, daß in einer Wettbewerbssache das betroffene Unternehmen die gleiche Kenntnis der im Verfahren herangezogenen Unterlagen hat wie die Kommission, kann diese nicht allein entscheiden, ob Schriftstücke, die im Rahmen der in der Angelegenheit durchgeführten Ermittlungen erlangt worden sind, das betroffene Unternehmen entlasten können. Daher muß die Kommission zumindest ein Verzeichnis der der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht als Anlage beigefügten Unterlagen erstellen, das so detailliert ist, daß das Unternehmen, das Adressat der Mitteilung der Beschwerdepunkte ist, Einsicht in bestimmte Schriftstücke beantragen kann, die für seine Verteidigung nützlich sein könnten (Urteil Solvay/Kommission, Randnrn. 83 und 101).

47 Im vorliegenden Fall hat die Kommission der Klägerin eine Liste der Aktenstücke sowie neunzehn Anhänge und drei Ordner mit Anlagen übermittelt, die Kopien der für die Klägerin zugänglichen Schriftstücke enthielten.

48 Eine Prüfung des Verzeichnisses der 1 336 Seiten der Verfahrensakte der Kommission ergibt, daß die Schriftstücke oder Gruppen von Schriftstücken nach der Art ihres Inhalts in zwölf Kategorien und nach dem Grad ihrer Vertraulichkeit in sechs Kategorien eingestuft worden sind. Die in die Kategorie F eingestuften Schriftstücke waren der Klägerin insgesamt nicht zugänglich. Ein einziges, in die Kategorie D eingestuftes Schriftstück war ihr teilweise zugänglich. Mit Ausnahme der nicht übermittelten Schriftstücke, die den Seiten 97, 103 bis 105, 108 bis 110, 167, 171, 622 bis 626, 690 und 897 bis 899 der Akte entsprachen, enthielt das Verzeichnis für jedes Schriftstück die Zahl der Seiten und das Ausstellungsdatum.

49 Nachdem die Klägerin dieses Verzeichnis erhalten hatte, das ihr zusammen mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt worden war, stellte sie bei der Kommission keinen spezifischen Antrag auf Einsicht in eines oder mehrere der ihr nicht zur Verfügung gestellten Schriftstücke. In ihrem Schreiben vom 16. Juni 1993 hat sie nämlich nur beantragt, die vollständigen Originalakten der Kommission einzusehen, und dabei geltend gemacht, daß sie nur von einem Teil der im Laufe des Untersuchungsverfahrens erhaltenen Schriftstücke eine Kopie erhalten habe und daß es angesichts der schlechten Lesbarkeit der Paginierung für sie schwierig sei, zu überprüfen, ob die Kopien vollständig seien und den Originalschriftstücken entsprächen.

50 Somit ist festzustellen, daß die Entscheidung der Kommission, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin die Einsicht in die Originalakte zu verwehren, in einem anderen Zusammenhang ergangen ist als in den Rechtssachen, die zu den Urteilen Solvay/Kommission und ICI/Kommission geführt haben. Im Gegensatz zu den Klägerinnen in diesen Rechtssachen hat der Klägerin eine von den Kommissionsdienststellen vorbereitete Liste vorgelegen, in der alle Schriftstücke der Akte einschließlich der ihr nicht übermittelten verzeichnet waren. Diese Liste stellte eine ausreichende Grundlage für die Klägerin dar, um von der Existenz der fraglichen Schriftstücke Kenntnis zu nehmen und sich gegebenenfalls dagegen zu wenden, daß die Kommission ihr Schriftstücke bestimmter Art nicht übermittelt habe, insbesondere Anlagen zur Beschwerdeschrift oder bei der Accinauto gefundene Unterlagen, die möglicherweise zu einer Verwendung im Rahmen ihrer Verteidigung geeignet gewesen wären.

51 Da die Klägerin in ihrem Antrag den Ursprung oder die Kategorie der nicht übermittelten Schriftstücke, die sie hätte einsehen wollen, nicht bezeichnet hat, hat sie die Kommission nicht in die Lage versetzt, ihr eine Antwort zu erteilen, die den Methoden entspricht, die die Kommission zu beachten hat, wenn sie dem betreffenden Unternehmen Einsicht in Schriftstücke gewährt, die Geschäftsgeheimnisse dritter oder anderer in das Verfahren verwickelter Unternehmen enthalten. Unter den Umständen des vorliegenden Falles kann das Gericht nicht beanstanden, daß die Kommission keine der in den Randnummern 92 und 93 des Urteils Solvay/Kommission genannten Verfahren - nämlich die Anfertigung nichtvertraulicher Fassungen sämtlicher Schriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse der Beschwerdeführer und der Accinauto enthalten, oder bei Schwierigkeiten die Hinzuziehung dieser Unternehmen, um Schriftstücke zu erhalten, aus denen sensible Daten entfernt wurden - angewandt hat.

52 Folglich konnte sich die Kommission zur Ablehnung des Antrags der Klägerin auf vollständige Akteneinsicht zu Recht auf ihre in bezug auf bestimmte Schriftstücke bestehende Pflicht zur Vertraulichkeit berufen.

53 Da die Klägerin vor dem Gericht auch nicht dargetan hat, welche Schriftstücke zu Unrecht als vertraulich angesehen worden sein sollen und von welchen Schriftstücken sie eine nichtvertrauliche Fassung gewünscht hätte, hat sie die Zweckmässigkeit der von ihr beantragten prozeßleitenden Maßnahmen nicht dargetan.

54 Mit der blossen Behauptung, daß sich unter den mitgeteilten Schriftstücken kein entlastendes befunden habe, kann die Klägerin nämlich nicht dartun, daß sich derartige Schriftstücke tatsächlich unter den Unterlagen befunden hätten, die die Kommission ihr zu Recht unter Hinweis auf deren vertraulichen Charakter nicht übermittelt hat (Urteile BPB Industries und British Gypsum/Kommission vom 1. April 1993, Randnr. 33, und vom 6. April 1995, Randnr. 27).

55 Der Antrag auf prozeßleitende Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, daß der Beklagten aufgegeben wird, der Klägerin die vollständigen Akten zu übermitteln, ist somit zurückzuweisen.

56 Es ist auch nicht Sache des Gemeinschaftsrichters, jedes nicht bekanntgegebene Schriftstück einzusehen, um die Argumente zu prüfen, die die Kommission dafür anführt, daß sie zu deren Übermittlung nicht verpflichtet sei, wenn das Unternehmen keinen substantiierten Gesichtspunkt vorträgt, der die Vertraulichkeit bestimmter Unterlagen in den Akten in Zweifel ziehen könnte (Urteil BPB Industries und British Gypsum/Kommission vom 6. April 1995, Randnr. 30).

57 Infolgedessen ist auch der Hilfsantrag auf prozeßleitende Maßnahmen zurückzuweisen, die darauf gerichtet sind, der Kommission aufzugeben, dem Gericht die vollständigen Akten zu übermitteln.

58 Was das Argument der Klägerin betrifft, die ihr übermittelten Kopien seien nicht paginiert oder diese Paginierung sei unleserlich, was sie daran gehindert habe, zu überprüfen, ob diese Kopien vollständig seien und den Originalunterlagen entsprächen, so ist einzuräumen, daß ein Mangel an Sorgfalt bei der Vervielfältigung der Schriftstücke und der Numerierung der Seiten dem Verständnis der Schriftstücke abträglich sein kann. Die behaupteten Paginierungsmängel lassen sich im vorliegenden Fall jedoch nicht als Eingriff in die Verteidigungsrechte qualifizieren. Die Klägerin trägt nämlich nicht vor, daß die Kommission es abgelehnt habe, ihr leserliche und ordnungsgemäß paginierte Kopien zu übergeben, und sie hat es entgegen dem ihr unterbreiteten Vorschlag vorgezogen, sich nicht an den Anhörungsbeauftragten zu wenden, um überprüfen zu lassen, ob die Kopien gegenüber den Originalakten vollständig waren.

59 Die Argumente, die auf die angebliche, insbesondere von der Internationalen Handelskammer, Paris, geäusserte Kritik an den von der Kommission eingeführten Akteneinsichtsverfahren und darauf gestützt sind, daß diese Kritik beim Erlaß des Beschlusses 94/810/EGKS, EG der Kommission vom 12. Dezember 1994 über das Mandat des Anhörungsbeauftragten in Wettbewerbsverfahren vor der Kommission (ABl. L 330, S. 67) als berechtigt angesehen worden sei, sind ebenfalls zurückzuweisen. Mit diesen Argumenten allgemeiner Natur kann nicht dargetan werden, daß tatsächlich eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorgelegen hat; dies ist vielmehr anhand der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu prüfen (Urteil Solvay/Kommission, Randnr. 60).

60 Demgemäß ist der erste Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

Zweiter Teil: Keine deutsche Übersetzung des vollständigen Anhörungsprotokolls

- Vorbringen der Parteien

61 Die Klägerin macht geltend, dadurch, daß die Kommission ihr keine vollständig in deutscher Sprache abgefasste Fassung des Protokolls der Anhörung vom 23. September 1993 zur Verfügung gestellt habe, habe sie gegen Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) verstossen. Nach dieser Bestimmung sind "Schriftstücke, die ein Organ der Gemeinschaft an einen Mitgliedstaat oder an eine der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehende Person richtet,... in der Sprache dieses Staates abzufassen".

62 Das Protokoll der Anhörung stelle eine Verfahrensunterlage im Sinne von Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) dar. Als beteiligtes Unternehmen habe sie Anspruch darauf, daß ihr das Protokoll in der Sprache des Staates übermittelt werde, dem sie angehöre (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnrn. 48 und 49).

63 Da sie nicht über eine schriftliche Unterlage mit der Übersetzung der Erklärungen der übrigen Beteiligten der Anhörung, die sich hierbei auf französisch oder englisch geäussert hätten - insbesondere derjenigen der Vertreter der Accinauto, der beschwerdeführenden Unternehmen und der Mitgliedstaaten -, verfügt habe, habe sie ihre Verteidigung im Verwaltungsverfahren nicht sachgemäß vorbereiten können. Zwar habe die Kommission in der Sitzung für ein Simultandolmetschen dieser Erklärungen gesorgt; für das Verständnis der der Klägerin zur Last gelegten Rügen sei jedoch eine deutsche Übersetzung des gesamten Protokolls wesentlich, insbesondere um es ihr zu ermöglichen, die hierbei angesprochenen Sachfragen mit ihren Angestellten zu klären, die in der Sitzung nicht anwesend gewesen seien. Ihre Verteidigungsrechte seien daher verletzt worden.

64 Die Kommission vertritt demgegenüber die Ansicht, das Anhörungsprotokoll stelle kein "Schriftstück" im Sinne von Artikel 3 der Verordnung Nr. 1 vom 15. April 1958 dar. In der Rechtsprechung zu Wettbewerbssachen sei diese Bestimmung nur auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und auf die im Verwaltungsverfahren ergangenen Entscheidungen angewandt worden. Das Protokoll diene dazu, die Ausführungen der Vertreter der einzelnen Beteiligten festzuhalten, und werde diesen nur übersandt, damit sie die Richtigkeit der Wiedergabe ihrer eigenen Ausführungen überprüfen könnten (Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549, Randnrn. 72 bis 75). Es handele sich nicht um ein Schriftstück, das für die am Verfahren beteiligten Unternehmen angefertigt werde.

65 Jedenfalls liege ein Verfahrensfehler nicht vor, da die Ausführungen der Klägerin in der Sitzung in deutscher Sprache wiedergegeben worden seien und sie nicht behauptet habe, daß das Protokoll wesentliche Unrichtigkeiten oder Auslassungen enthalte, die sie beträfen.

- Würdigung durch das Gericht

66 Nach Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung Nr. 99/63 vom 25. Juli 1963 wird "über die wesentlichen Erklärungen jeder angehörten Person... eine Niederschrift angefertigt. Die Niederschrift wird verlesen und von der angehörten Person genehmigt."

67 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die Klägerin von ihren wesentlichen Erklärungen in der Sitzung vom 23. September 1993, die in der Niederschrift in deutscher Sprache festgehalten wurden, in zweckdienlicher Weise Kenntnis nehmen konnte und daß sie nicht behauptet, daß diese Niederschrift in bezug auf sie wesentliche Unrichtigkeiten oder Auslassungen enthalte.

68 Die Klägerin bestreitet auch nicht, daß es ihr aufgrund des Simultandolmetschens möglich gewesen sei, den Ausführungen der übrigen angehörten Personen zu folgen.

69 Sie kann sich nicht auf das Fehlen einer Übersetzung der Teile des Protokolls berufen, die in einer anderen Sprache als der des Mitgliedstaats abgefasst wurden, dem sie angehört, um eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte darzutun. Das Fehlen einer Übersetzung kann nämlich im vorliegenden Fall keine nachteiligen Folgen haben, die das Verwaltungsverfahren fehlerhaft machen könnten (Urteile ACF Chemiefarma/Kommission, Randnr. 52, und Parker Pen/Kommission, Randnr. 74).

70 Eine andere Beurteilung kann sich auch nicht aus angeblichen Schwierigkeiten der Klägerin bei der Vorbereitung ihrer Verteidigung ergeben, da sie in der Sitzung vertreten war und die Kommission ihr eine schriftliche Unterlage zur Verfügung gestellt hat, die die Erklärungen der übrigen Beteiligten in deren Originalsprache enthielt.

71 Der zweite Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen. Demgemäß ist der Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften insgesamt zurückzuweisen.

Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag, soweit die Kommission zu Unrecht festgestellt habe, daß die Vereinbarung von 1982 gegen diese Bestimmung verstosse

72 Die Klägerin wendet sich in erster Linie gegen die Behauptung, daß die Vereinbarung von 1982 eine gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstossende Absprache zur Verhinderung von Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich dargestellt habe. Die Kommission habe Beurteilungsfehler begangen erstens bei ihrer Auslegung von § 2 Absatz 2 dieser Vereinbarung, zweitens bei ihrer Schlußfolgerung, daß die Durchführung der Vereinbarung durch deren Parteien (im folgenden: Vertragsparteien) ihre Auslegung dieser Vereinbarung bestätige, drittens bei ihrer Beurteilung der Wirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb und auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten und viertens, was den Zeitpunkt der Abstellung des angeblichen Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln angehe.

Erster Teil: Auslegung von § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982

- Vorbringen der Parteien

73 Die Klägerin trägt vor, mit der Wendung, "Kundenanfragen weiterzuleiten" in § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 sei ausschließlich die Weiterleitung von Informationen gemeint gewesen, die es ihr erlaubt habe, ihre Vertriebsorganisation und ihre Handelsstrategie besser zu planen sowie ihre Verpflichtung zu erfuellen, den Markt im Fall von Lieferschwierigkeiten gleichmässig zu versorgen.

74 Sowohl in § 2 Absatz 1 als auch in § 2 Absatz 2 bedeute "weiterleiten" "informieren". In § 2 sei nämlich keine Verpflichtung zur Weiterleitung von Bestellungen vorgesehen gewesen, da sich diese Verpflichtung implizit aus dem der Accinauto nach § 1 eingeräumten Recht zum Alleinvertrieb im Vertragsgebiet ergebe. § 2 beziehe sich auch nur auf "Anfragen" von Kunden, die nur auf die Erteilung von Auskünften über die Liefermöglichkeiten und -bedingungen gerichtet seien. Er gelte also nicht für Bestellungen der Kunden.

75 Mit keinem Wort werde in § 2 Absatz 2 der Vereinbarung erwähnt, daß für Verkäufe ausserhalb des Vertragsgebiets von Accinauto ihre Zustimmung erforderlich wäre. Hierzu genüge es, die Formulierung der beanstandeten Klausel mit derjenigen des Zustimmungsvorbehalts des Fabrikanten in einer Vertriebsvereinbarung für die Region Nigeria zu vergleichen, die die Klägerin ebenfalls 1982 geschlossen habe.

76 Nach § 4 Absätze 1 und 2 der Vereinbarung von 1982 habe sich die Accinauto verpflichtet, sie regelmässig über die allgemeine Marktsituation zu unterrichten und einen Jahresbericht über den Absatz zu erstellen. Da § 4 jedoch nur auf Informationen über die Tätigkeit im Vertragsgebiet anwendbar gewesen sei, würden Informationen über von ausserhalb dieses Gebietes kommende Anfragen an die Accinauto nur von § 2 Absatz 2 der Vereinbarung gedeckt. Auch die Informationen über die Verkäufe ausserhalb des Vertragsgebiets seien für sie von grosser Bedeutung, insbesondere um zu vermeiden, daß diese Verkäufe bei den von jedem einzelnen Vertriebshändler in seinem Alleinvertriebsgebiet erzielten Umsätzen mitberücksichtigt würden. Der Umfang bestimmter Unterstützungsleistungen, die sie ihren Vertriebshändlern gewähre, wie z. B. Werbekostenzuschüssen, werde nämlich nach dem vom jeweiligen Vertriebshändler in seinem Vertriebsgebiet erzielten Umsatz festgelegt.

77 Auch die Entstehungsgeschichte der Vereinbarung sei von Bedeutung, um zu verstehen, mit welcher Sensibilität die Beteiligten die Frage der Vereinbarkeit der Vereinbarung mit den Wettbewerbsregeln in der Gemeinschaft behandelt hätten. Der frühere Alleinvertriebsvertrag zwischen der Accinauto und dem Rechtsvorgänger der Klägerin sei der Kommission 1969 mitgeteilt worden. Auf Beanstandungen der Kommission hin hätten die Vertragsparteien 1970 auf eine Klausel verzichtet, wonach der Accinauto die Ausfuhr von zum Vertragsgegenstand gehörenden Waren aus dem Vertragsgebiet in andere Länder nicht gestattet sei.

78 Unter Berücksichtigung dieses Vertragsvorgängers habe die Klägerin zur Zeit der zu der Vereinbarung von 1982 führenden Verhandlungen vom Leiter ihrer Rechtsabteilung die Versicherung erhalten, daß der neue § 2 Absatz 2 mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Da die Vertragsparteien keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmässigkeit dieser Klausel gehabt hätten, hätten sie es nicht für notwendig gehalten, die Vereinbarung von 1982 der Kommission mitzuteilen.

79 Die Kommission hält die von der Klägerin vorgebrachten Gründe für diese Auslegung der in § 2 Absatz 2 der Vereinbarung vorgesehenen Weiterleitungsverpflichtung für nicht überzeugend. Sie bekräftigt, daß diese Bestimmung ein verdecktes Verbot nicht zuvor genehmigter passiver Ausfuhrverkäufe und keine blosse Verpflichtung zur Weiterleitung von Informationen enthalte.

- Würdigung durch das Gericht

80 § 2 der Vereinbarung von 1982 ist mit "Alleinvertriebsrecht und Wettbewerbsverbot" überschrieben. § 2 Absatz 2 Satz 1 lautet: "Der Vertragshändler verpflichtet sich, von ausserhalb des Vertragsgebietes kommende Kundenanfragen an [die Klägerin] weiterzuleiten und ausserhalb des Vertragsgebietes weder Kunden zu werben noch Niederlassungen oder Auslieferungsläger für den Vertrieb von Vertragsprodukten zu unterhalten."

81 Zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens ist unstreitig, daß der letzte Teil dieser Vertragsklausel ein nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft zulässiges Verbot aktiver Verkaufsmaßnahmen des Vertragshändlers ausserhalb des Vertragsgebiets enthält. Der Streit über die zutreffende Auslegung dieser Klausel bezieht sich daher nur auf den Teil, der die Passivverkäufe an ausserhalb des Vertragsgebiets ansässige Kunden betrifft.

82 Bei der Prüfung der Frage, ob die Parteien der Vereinbarung von 1982 eine Beschränkung der Freiheit des Vertragshändlers, Passivverkäufe der Erzeugnisse, die Gegenstand des Alleinvertriebsvertrags sind, an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Kunden zu tätigen, vereinbart haben und ob sie damit eine nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verbotene Vereinbarung geschlossen haben, hat das Gericht mehrere Auslegungskriterien zu berücksichtigen. Zu diesen Kriterien gehören neben der Prüfung des Wortlauts von § 2 Absatz 2 und des Anwendungsbereichs der übrigen Klauseln des Vertrages, die mit der in § 2 Absatz 2 vorgesehenen Verpflichtung des Vertragshändlers in Zusammenhang stehen, auch die Prüfung der den Abschluß und die Durchführung dieser Vereinbarung betreffenden rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die Aufschluß über deren Zweck geben können.

83 Der Wortlaut von § 2 Absatz 2 weist klar darauf hin, daß die Vertragsparteien eine Sonderregelung für die Behandlung von Anfragen vereinbart haben, die von ausserhalb des Vertragsgebiets ansässigen Kunden stammen. Die Klausel schweigt jedoch dazu, zu welchem Zweck diese Anfragen dem Hersteller zu übermitteln sind und welche Folgen sich daraus für die Freiheit des Vertragshändlers, die gewünschten Passivverkäufe zu tätigen, insbesondere dann ergeben, wenn die Anfragen von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Kunden stammen.

84 Im Rahmen einer wörtlichen Auslegung dieser Klausel kommt es darauf, daß die Weiterleitungsverpflichtung für Anfragen, mit denen nur die Liefermöglichkeiten und -bedingungen der Accinauto in Erfahrung gebracht werden sollten, und nicht für die Bestellungen galt, die von ausserhalb des Vertragsgebiets ansässigen Kunden aufgegeben wurden, nicht an. Wie die Kommission hervorgehoben hat, hätte der Kunde bei einer negativen Beantwortung einer gemäß dieser Klausel weitergeleiteten Anfrage gar nicht erst bei der Accinauto zu bestellen brauchen. Daraus, daß der Vertragshändler verpflichtet war, die den Bestellungen vorausgehenden Anfragen weiterzuleiten, kann nicht geschlossen werden, daß seine Entscheidungsfreiheit in vollem Umfang aufrechterhalten blieb und er bei der Ausführung der Bestellungen keinen Beschränkungen unterworfen war.

85 Was die Einfügung von § 2 Absatz 2 in die Vereinbarung und die Feststellung seines Zweckes im Vergleich zu dem anderer Klauseln betrifft, die einen Informationsaustausch zwischen den Vertragsparteien vorsehen, so ist erstens die Auffassung der Klägerin zurückzuweisen, wonach die Weiterleitungsverpflichtungen des § 2 Absätze 1 und 2 den Auskunftsverpflichtungen nach § 4 der Vereinbarung wesensgleich seien. Zwar war die Accinauto nach § 4 Absätze 1 und 2 verpflichtet, die Klägerin regelmässig über den Absatz und die Marktsituation im Vertragsgebiet zu unterrichten; diese Auskünfte waren jedoch allgemeiner Natur und nach jedem Kalenderjahr durch zusammenfassende Berichte aufzuschlüsseln. Im Gegensatz dazu sieht § 2 Absätze 1 und 2 vor, daß entweder der Vertragshändler oder der Hersteller unverzueglich über den Eingang von Anfragen unterrichtet wird, je nachdem, ob diese von im Vertragsgebiet oder von ausserhalb des Vertragsgebiets ansässigen Kunden ausgehen. Es ist somit festzustellen, daß die Weiterleitungsverpflichtungen nach § 2, soweit sie die gegenseitige Unterrichtung über spezifische Lieferanfragen vorsehen, von anderer Art sind als die Auskunftsverpflichtungen nach § 4.

86 Zweitens ist festzustellen, daß die Verpflichtung der Klägerin aus § 2 Absatz 1, an den Vertragshändler alle Anfragen und Informationen weiterzuleiten, die geeignet sind, den Verkauf der betreffenden Produkte im Vertragsgebiet zu ermöglichen, auf das an die Klägerin gerichtete Verbot folgt, sich im Vertragsgebiet anderer Vertriebswege zu bedienen. Die in dieser Klausel vorgesehene Weiterleitungsverpflichtung gehört damit ebenso wie das Verbot, sich anderer Vertriebswege zu bedienen, insoweit zum Kerngehalt des der Accinauto gewährten Ausschließlichkeitsrechts, als sie zu dessen tatsächlicher Ausübung notwendig ist. Folglich ist die Auslegung der Klägerin, wonach der Begriff "weiterleiten" sowohl in Absatz 1 als auch in Absatz 2 des § 2 nur bedeute, daß die andere Vertragspartei vom Bestehen von Lieferanfragen "unterrichtet" werde, zurückzuweisen.

87 Da sich die Weiterleitungsverpflichtung des Vertragshändlers nach § 2 Absatz 2 der Vereinbarung nur auf von ausserhalb des Vertragsgebiets kommende Anfragen bezieht, kann nicht angenommen werden, daß der einzige Zweck dieser Klausel darin besteht, es der Klägerin zu ermöglichen, ihre Vertriebsorganisation und ihre Handelsstrategie besser zu planen. Die Kommission hat zu Recht darauf hingewiesen, daß, wenn die Klägerin über Menge und Art der Erzeugnisse hätte informiert werden wollen, die Gegenstand der an die Accinauto gerichteten Anfragen gewesen seien, die Weiterleitungsverpflichtung in gleichem Umfang auch für Anfragen von im Vertragsgebiet ansässigen Kunden hätte gelten müssen. Ausserdem hätten diese Informationen der Klägerin statt vor jeder einzelnen Lieferung regelmässig in allgemeiner Form oder im Rahmen zusammenfassender Berichte, wie sie in § 4 der Vereinbarung vorgesehen sind, erteilt werden können. Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, sie habe im voraus wissen müssen, wohin die bei der Accinauto bestellten Waren gingen, um begrenzte Liefermengen gleichmässig auf ihre Vertragshändler aufzuteilen. Ihr Interesse daran, Informationen über den Exportabsatz zu erhalten, um insbesondere die Werbezuschüsse, die sie jedem Vertragshändler gewährt habe, berechnen zu können, hätte auch durch eine Verpflichtung, zusammenfassende Berichte über diesen Absatz zu erstellen, befriedigt werden können.

88 Folglich können die Erklärungen der Klägerin über den Zweck der Weiterleitungsverpflichtung aus § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 nicht die Auffassung der Kommission widerlegen, daß diese Klausel ein verdecktes Verbot nicht vorher genehmigter passiver Ausfuhrverkäufe enthalte.

89 Die mehrdeutige Abfassung der beanstandeten Klausel der Vereinbarung von 1982 durch deren Parteien und der Umstand, daß es sich bei dem darin enthaltenen Ausfuhrverbot um ein verdecktes Verbot gehandelt hat, lassen sich überdies aus der Entstehungsgeschichte der Vereinbarung erklären. Die Klägerin kann nicht den impliziten Inhalt dieser Klausel bestreiten, indem sie sich darauf beruft, daß in der von ihr ebenfalls 1982 getroffenen Alleinvertriebsvereinbarung für Nigeria ein ausdrückliches Ausfuhrverbot vorgesehen gewesen sei. Da nämlich diese Vereinbarung nicht den Anforderungen der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln unterlag, konnten die Vertragsparteien ihre Absichten deutlicher zum Ausdruck bringen.

90 Mithin ist zu prüfen, ob, wie die Kommission vorträgt, ihre Auslegung von § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 weiter dadurch bestätigt wird, daß die Vertragsparteien eine Absprache durchgeführt haben, mit der Parallelausfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich verhindert werden sollten.

Zweiter Teil: Durchführung der Vereinbarung

- Vorbringen der Parteien

91 Nach Ansicht der Klägerin zeigt die Durchführung der streitigen Vereinbarung, daß die Kommission den Begriff "weiterleiten" irrig ausgelegt habe. Die Tatsachen bestätigten vielmehr ihre eigene Auslegung dieser Vereinbarung.

92 Als die IMF im März 1986 erstmals eine Anfrage an die Accinauto gerichtet habe, habe deren Direktor Dudoüt nur zu dem Zweck Kontakt mit der Klägerin aufgenommen, sich über die Marktlage und die Verfügbarkeit der nachgefragten Erzeugnisse zu erkundigen. Herr Dudoüt sei nur ausnahmsweise im Export tätig gewesen und habe den Anfragen entnommen, daß es sich bei den Bestellungen für den britischen Markt voraussichtlich um grössere Mengen handeln würde. Da es sich bei den von der IMF nachgefragten Erzeugnissen um "Selbstläufer" gehandelt habe und bestellte Mengen nach den Gepflogenheiten des Autoreparaturmarktes kurzfristig auszuliefern gewesen seien, hätten Lieferverzögerungen zu erheblichen Problemen bei den Kunden führen können. Entgegen der Auffassung der Kommission habe die Accinauto somit weder im Hinblick auf die Durchführung von Lieferungen an die IMF noch im Hinblick auf die Festlegung der Bedingungen für diese Verkäufe um eine Genehmigung der Klägerin nachgesucht.

93 Die Accinauto habe der IMF die gewünschten Mengen geliefert, und die Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Firmen hätten sich in der Folgezeit erfolgreich entwickelt. Bis 1990 hätten sich das Aufkommen der ausgeführten Bestellungen und die Rabatte, die der IMF von der Accinauto gewährt worden seien, ständig erhöht.

94 Anschließend hätten die Schwäche des Pfund Sterling sowie Preiserhöhungen in Belgien und den Niederlanden zu einem Rückgang der Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich beigetragen. Aus diesem Grund habe die Klägerin die von der BASF C & I in einem Telefax vom 28. März 1990 geäusserte Sorge hinsichtlich der Paralleleinfuhren nicht geteilt.

95 Wegen einer Verknappung bei bestimmten Glasurit-Produkten sei Herr Dudoüt jedoch aufgefordert worden, das verfügbare Glasurit-Angebot vorzugsweise zur Bedienung der Kunden in seinem Alleinvertriebsgebiet zu verwenden.

96 Die Verkäufe der Accinauto an die IMF seien ab Juni 1989 nur zu dem Zweck unter der Firma Technipaint fakturiert worden, die Exportgeschäfte vom belgischen Umsatz zu trennen. Diese Trennung sei nach der Inbetriebnahme einer neuen EDV-Anlage im Jahr 1989 möglich geworden. Hierdurch habe die Accinauto die Transparenz ihrer Geschäftstätigkeit erhöhen und die Zahlung der ihren Mitarbeitern geschuldeten Prämien begrenzen können. Der Klägerin sei an einer getrennten Ausweisung dieser Geschäfte auch deshalb gelegen gewesen, weil sie sich an den Werbekosten für die Absätze im Vertragsgebiet beteiligt habe.

97 Entgegen den Ausführungen in den Randnummern 75 und 76 der angefochtenen Entscheidung habe die Accinauto die Belieferung der IMF nicht Ende Mai 1990, sondern erst im Dezember 1990 eingestellt. Die erste Bestellung, die bei der Accinauto nach der Lieferung von Ende Mai 1990 eingegangen sei, trage das Datum des 4. Dezember 1990. Zwischen diesen beiden Zeitpunkten habe die IMF trotz des Hinweises auf eine künftige Bestellung im Schreiben der Anwälte der IMF vom 3. Juli 1990 an die Accinauto keine neue Bestellung aufgegeben.

98 Die Entscheidung, die IMF nicht mehr zu beliefern, habe die Accinauto wegen deren Unzuverlässigkeit und bedrohlichen Haltung selbständig getroffen. Seit August 1989 habe die IMF die Rechnungen nicht mehr fristgerecht bezahlt. Bei einem Gespräch mit der Accinauto am 5. Juni 1990 habe sie auf zusätzlichen Lieferungen bestanden, obwohl bei einer Vielzahl von Glasurit-Produkten Lieferengpässe bestanden hätten. Sie habe angedroht, die Accinauto wegen Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln zu verklagen und eine eigene Niederlassung in Belgien zu errichten, um Direktausfuhren in das Vereinigte Königreich zu tätigen.

99 Die Accinauto habe die Klägerin erstmals durch Schreiben vom 7. Februar 1991, mit dem sie ihr eine Kopie ihres Schreibens vom 19. Dezember 1990 an die IMF übersandt habe, über den endgültigen Abbruch ihrer Lieferbeziehungen zu dieser unterrichtet.

100 Die Klägerin wirft der Kommission vor, nicht die genannten Lieferschwierigkeiten berücksichtigt zu haben, zu deren Nachweis sie im Verwaltungsverfahren überzeugende Beweismittel beigebracht habe. Aus verschiedenen Gründen hätten sich während des genannten Zeitraums erhebliche Engpässe bei ihrer Lieferkapazität ergeben. Hiervon seien die Produkthauptgruppen, besonders die am meisten verwendeten Basisfarben, betroffen gewesen.

101 Um in einer Verknappungssituation eine gleichmässige Versorgung des europäischen Marktes sicherzustellen, habe sie ein Informationsnetz zu ihren Vertriebshändlern, darunter die Accinauto, errichtet. Um nämlich ihre Lieferverpflichtungen gegenüber Glasurit-Kunden zu erfuellen, habe sie Kenntnis von den Warenströmen und der Absatzlage auf den einzelnen nationalen Märkten erhalten wollen.

102 Ausserdem habe sie von ihren Alleinvertriebshändlern erwarten dürfen, daß diese für eine bestmögliche Versorgung ihrer bisherigen Kunden in ihren jeweiligen Vertragsgebieten sorgten und die knappen Ressourcen nicht dazu verwendeten, neue Aufträge anzunehmen oder Lieferungen ausserhalb dieser Gebiete auszuführen.

103 Die Rechtmässigkeit ihres Vorgehens sei in den Begründungserwägungen der Verordnung (EWG) Nr. 1983/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. L 173, S. 1) anerkannt worden, wie sie auch schon zuvor in den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 67/67/EWG der Kommission vom 22. März 1967 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABl. 1967, Nr. 57, S. 849) anerkannt worden sei. Es sei daher zulässig, wenn die Parteien einer Alleinvertriebsvereinbarung in deren Rahmen Absprachen träfen, die es dem Hersteller erlaubten, zu überprüfen, ob das vordringliche Ziel einer solchen Vereinbarung, im Vertragsgebiet eine intensive Tätigkeit zu entfalten, vom Vertriebshändler beachtet werde.

104 Die angeführte Verknappungssituation lasse den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen und ermögliche damit eine andere Erklärung des Sachverhalts als die, die in der angefochtenen Entscheidung gegeben werde (Urteile des Gerichtshofes vom 29. Juni 1978 in der Rechtssache 77/77, BP/Kommission, Slg. 1978, 1513, Randnrn. 32 und 33, und vom 28. März 1984 in den verbundenen Rechtssachen 29/83 und 30/83, CRAM und Rheinzink/Kommission, Slg. 1984, 1679, Randnr. 16).

105 Die Kommission wiederholt ihre Schlußfolgerung, daß die Durchführung der Vereinbarung durch deren Parteien, insbesondere ab 1986, bestätige, daß ihr § 2 Absatz 2 tatsächlich einen Genehmigungsvorbehalt des Herstellers für Passivverkäufe enthalte. Die Ausführungen der Klägerin seien nicht überzeugend und nicht geeignet, die rechtliche Beurteilung der in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Verhaltensweisen zu widerlegen. Ausserdem habe sich die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren auf ihre Lieferschwierigkeiten berufen, die in diesem Verfahren eingehend untersucht worden seien.

106 Die Akten widerlegten die Sachverhaltsdarstellung der Klägerin. Die in den Randnummern 43 und 52 der angefochtenen Entscheidung angeführte interne Notiz vom 5. Juni 1990 zeige, daß die Klägerin Herrn Dudoüt nach der ersten von der IMF bei der Accinauto im März 1986 aufgegebenen Bestellung eine "Sondergenehmigung" zur Belieferung der IMF erteilt habe. Aus weiteren Schriftstücken gehe hervor, daß die Einstellung der Belieferung der IMF tatsächlich auf Veranlassung der Klägerin erfolgt sei und daß die Accinauto diese Verkäufe ab Juni 1989 über die Technipaint fakturiert habe, um sie zu verschleiern. Schließlich habe die Accinauto die Ausfuhren im Mai 1990 nach einer strengeren Kontrolle durch die Klägerin eingestellt.

107 Die von der Klägerin angeführten Lieferschwierigkeiten könnten das Verhalten der Parteien der Vereinbarung nicht erklären, da sich der Verknappungszeitraum nur von 1988 bis Ende 1990 erstreckt habe. Ausserdem lasse die Korrespondenz zwischen der Klägerin und ihren Vertragshändlern über die Paralleleinfuhren in das Vereinigte Königreich nicht die Spur einer Sorge erkennen, daß die übrigen nationalen Märkte unzureichend versorgt werden könnten. Der Widerruf der der Accinauto gewährten Sondergenehmigung sei nicht durch die Lieferschwierigkeiten der Klägerin, sondern dadurch zu erklären, daß die Paralleleinfuhren der BASF C & I geschadet hätten und zu einem Rückgang der Preise im Vereinigten Königreich geführt hätten.

108 Jedenfalls seien die Schlußfolgerungen, die die Klägerin aus dem Urteil BP/Kommission und den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1983/83 zu ziehen meine, unzutreffend. Ein Hersteller dürfe dem Alleinvertriebshändler nicht durch einen entsprechenden Liefervorbehalt vorschreiben, in einer "Verknappungssituation" nur noch an im Vertragsgebiet ansässige Abnehmer weiterzuverkaufen. Eine solche Klausel wäre mit der Anwendung der Verordnung Nr. 1983/83 unvereinbar. Die Klägerin habe sowohl die Vorteile dieser Verordnung als auch deren Nachteile zu tragen.

- Würdigung durch das Gericht

109 Der in der angefochtenen Entscheidung festgestellte Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln betrifft den Abschluß einer Vereinbarung durch die Vertragsparteien, der bezweckte, Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich zu verhindern. Bei der Prüfung der Frage der Durchführung der Vereinbarung von 1982 geht es also nur darum, zu bestätigen, ob die Kommission § 2 Absatz 2 dieser Vereinbarung zutreffend ausgelegt hat.

110 Insoweit verneint die Klägerin das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Tatsachen und der Durchführung einer angeblich gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstossenden Vereinbarung. Das Verhalten der Parteien der Vereinbarung von 1982 erkläre sich aus den Lieferschwierigkeiten, denen sich die Klägerin im Bezugszeitraum gegenübergesehen habe, sowie aus von der Accinauto selbständig getroffenen kaufmännischen Entscheidungen.

111 Die Kommission hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß die Lieferungen der Klägerin nur von 1988 bis 1990 durch Engpässe beeinträchtigt gewesen seien, während die beanstandete Vereinbarung von 1982 bis 1991 in Kraft gewesen sei.

112 Die angeführten Lieferschwierigkeiten können somit nicht die von der Klägerin in den Jahren 1985 bis 1986 durchgeführte Markierungsaktion erklären, bei der sie die von den Vertriebshändlern in Belgien, den Niederlanden und Deutschland verkauften Erzeugnisse gekennzeichnet hat, um zu ermitteln, über welche Kanäle Glasurit-Produkte auf den britischen Markt gelangten.

113 Diese Schwierigkeiten können auch nicht die Darstellung bestätigen, mit der die Klägerin ihren Kontakt mit der Accinauto im März 1986, vor der ersten Lieferung an die IMF, erklärt. Es ist nämlich kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, daß Herr Dudoüt sich zunächst nach der Verfügbarkeit der bestellten Erzeugnisse hätte erkundigen müssen.

114 Ausserdem haben sich die Geschäftsbeziehungen zwischen der Accinauto und der IMF ungeachtet der ernsten Schwierigkeiten, denen sich die Klägerin im ganzen Jahr 1989 gegenübergesehen hatte, in eben diesem Jahr intensiviert. Als diese Beziehungen im Juni 1990 abgebrochen wurden, hatte sich die von der Klägerin angeführte Verknappungssituation bereits weitgehend entspannt.

115 Überdies geht aus den internen Notizen der Klägerin sowie aus den Schreiben der BASF C & I und der Accinauto an sie hervor, daß sich das Problem der Paralleleinfuhren unter dem Gesichtspunkt ihrer Wirkungen auf die Tätigkeit der britischen Tochtergesellschaft und nicht im Zusammenhang mit den Lieferschwierigkeiten stellte, die möglicherweise die Versorgung der belgischen und luxemburgischen Kunden beeinträchtigten.

116 Daher haben sich die Lieferschwierigkeiten der Klägerin im vorliegenden Fall nicht wesentlich auf die Durchführung der Vereinbarung von 1982 ausgewirkt. Somit kommt es im Rahmen der Prüfung der vorliegenden Rechtssache nicht auf die Argumente an, die die Klägerin zur Rechtfertigung ihres Verhaltens in einer Verknappungssituation insbesondere unter Berufung auf das Urteil BP/Kommission und die Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1983/83 vorgetragen hat.

117 Die Accinauto hatte nach einer internen Notiz der Klägerin vom 5. Juni 1990 eine "Sondergenehmigung" zur Belieferung der IMF erhalten:

"[Der] Inhaber [der] Fa. [IMF], Derby[,] besteht auf weitere AL-Produkt-Lieferung durch Accinauto (1989 ca. 10 to). Für diesen Kunden... hatte Herr Dudoüt seinerzeit eine Sondergenehmigung zur Belieferung durch Herrn Kunath. Seinerzeit erfolgte Freigabe unter dem Aspekt, eine begrenzte Liefermenge ex Brüssel zuzulassen. Hintergrund: keine Volumenausweitung durch andere Händler aus Belgien. Sollte einer weiteren Belieferung keine Zustimmung gegeben werden, wird Rechtsklage angedroht... Herr Dudoüt wartet auf Information, wie es weitergehen soll!"

118 In einem Schreiben vom 7. Juni 1989 an die Klägerin bezieht sich Herr Dudoüt auf den Zusammenhang, in dem diese Genehmigung erteilt und bis zu diesem Zeitpunkt aufrechterhalten wurde:

"Vor drei oder vier Jahren hat GLASURIT aufgrund des grossen Volumens paralleler Einfuhr in England beschlossen, mit unserer Hilfe alle Verkäufe aus unseren Lägern jeweils mit einer jedem Kunden eigenen Markierung zu versehen, um den Ursprung der Belieferung leicht nachzuweisen... Angesichts dieses Handels haben wir mit GLASURIT abgesprochen, zu versuchen, diese Einkäufe zu kanalisieren und zu normalisieren, um den Abnahmemengen unserer Kunden unabhängig des Verkaufs ausserhalb des Verkaufsgebietes zu folgen... Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß, wenn wir dieses Netz abbrechen, wir Ihnen nicht mehr gewähren können, daß unsere 70 Händler oder grosse Karosseriebetriebe nicht in Versuchung kommen oder gefragt werden, Geschäfte mit Großbritannien zu führen, und so unseren Binnenmarkt erheblich stören."

119 Aus diesen besonders deutlichen Schriftstücken ergibt sich, daß die Accinauto entgegen der Behauptung der Klägerin im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehungen zur IMF nicht selbständig gehandelt hat. Die Intensität der von der Klägerin auf die Ausfuhren der Accinauto ausgeuebten Kontrolle wird in einer weiteren internen Notiz vom Juni 1990 bestätigt:

"Anbei die Antwort von Accinauto auf unsere Frage, wieviel Gt-Material ex Belgien nach GB geht. Wir sollten unterstellen, daß Dudoüt die Wahrheit sagt. Er weiß genau, daß er von uns abhängig ist, und wird nichts riskieren wollen."

120 Demgemäß ist der zweite Teil des Klagegrundes, mit dem geltend gemacht wird, daß die Kommission bei der Beurteilung der Durchführung der Vereinbarung von 1982 einen Irrtum begangen habe, zurückzuweisen.

Dritter Teil: Auswirkungen der Vereinbarung auf den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten

- Vorbringen der Parteien

121 Die Klägerin rügt, die Kommission habe die Besonderheiten des britischen Marktes für Autoreparaturlacke nicht hinreichend berücksichtigt.

122 Sie legt dar, die Kosten für den Vertrieb ihrer Erzeugnisse seien im Vereinigten Königreich nach wie vor höher als auf anderen europäischen Märkten. Dadurch, daß die Erzeugnisse der "neuen Technologie" verhältnismässig spät auf dem britischen Markt eingeführt worden seien, entstuenden der BASF C & I aussergewöhnlich hohe Kosten dabei, die Verbraucher mit dieser Technologie bekannt zu machen und die Serviceleistungen gegenüber den Werkstätten sicherzustellen. Mehrmarkenhändler und Parallelimporteure, die weder eine technische Unterstützung noch ein vollständiges Produktsortiment anböten, hängten sich ohne eigenen Aufwand an die Leistungen des Herstellers oder seines Alleinvertriebshändlers an.

123 Die Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten hätten sich wegen des auf dem Markt für Autoreparaturlacke bestehenden Preisgefälles zwischen dem Vereinigten Königreich und den übrigen Ländern der Gemeinschaft entfaltet. Dieses Preisgefälle sei vor allem durch die höheren Vermarktungskosten im Vereinigten Königreich, jedoch auch durch das in Belgien seit Beginn der achtziger Jahre geltende Preiskontrollsystem zu erklären, das vom belgischen Staat eingeführt worden sei, um eine Erhöhung der Endverbraucherpreise zu verhindern.

124 Gleichwohl habe die Kommission zu Unrecht angenommen, daß die Stellung der Glasurit-Produkte auf dem britischen Markt und das bestehende Preisgefälle zwischen Belgien und dem Vereinigten Königreich geeignet seien, eine erhebliche Paralleleinfuhrtätigkeit zu begünstigen, die angeblich durch die Vereinbarung von 1982 verhindert worden sei.

125 Die Klägerin bestreitet, daß die in Randnummer 16 der angefochtenen Entscheidung angeführten Marktanteile die Anteile der Paralleleinfuhren von Glasurit-Produkten in das Vereinigte Königreich an den gesamten Verkäufen von Glasurit-Produkten auf dem britischen Markt des Vereinigten Königreichs in den Jahren 1986 bis 1990 zutreffend wiedergäben. Tatsächlich sei der Gesamtwert der Paralleleinfuhren in jedem Jahr deutlich unter 2 Mio. DM geblieben, wobei die Gesamtverkäufe der Accinauto an die IMF selbst in den Spitzenjahren deutlich weniger als 500 000 DM pro Jahr ausgemacht hätten.

126 Im Wettbewerb seien die Nettoabgabepreise des Vertriebshändlers entscheidend, die den "Listenpreisen" abzueglich des dem Abnehmer gewährten Rabatts entsprächen. Die Differenzen zwischen dem Preisniveau Belgiens und dem des Vereinigten Königreichs schrumpften jedoch deutlich, wenn man statt auf die "Listenpreise" auf die Nettoabgabepreise abstelle. Als Beispiel seien die Unterschiede zwischen den "Listenpreisen" und den Nettopreisen zu nennen, die von der Accinauto und der BASF C & I im Jahr 1988 bei den Produkten der Reihen 21 und 54 angewandt worden seien. Daraus ergebe sich, daß Paralleleinfuhren nur bei Gewährung ausreichender Rabatte an die Importeure lohnend gewesen seien.

127 Hinsichtlich des Preisgefälles legt die Klägerin neues Zahlenmaterial vor. Die von ihr zur Akte gereichten Anlagen 55 und 56 belegten, daß die von der BASF C & I gewährten Rabatte tatsächlich bis zu 52 % erreicht hätten, weshalb die Nettoabsatzpreise im Vereinigten Königreich trotz der Unterschiede bei den "Listenpreisen" dem Niveau der von der Accinauto in Belgien angewandten Nettopreise sehr nahe gekommen seien. Mit ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte habe sie der Kommission eine Übersicht mit einem Preisvergleich für den Zeitraum 1988 bis 1991 überreicht. Diese Übersicht zeige, daß ein Teil der Ware billiger in das Vereinigte Königreich als nach Belgien geliefert worden sei, und erkläre, warum die IMF ständig höhere Rabatte von der Accinauto verlangt habe.

128 Ausserdem habe die Kommission nicht berücksichtigt, daß neben der Accinauto auch Händler in anderen Mitgliedstaaten als Bezugsquelle für Paralleleinfuhren in das Vereinigte Königreich hätten in Frage kommen können. Nach ihrem gegenwärtigen Kenntnisstand hätten im Bezugszeitraum neben der Accinauto noch zahlreiche andere Unternehmen Glasurit-Produkte zur Ausfuhr in das Vereinigte Königreich verkauft. Die Parallelimporteure seien über die jeweiligen Bezugsquellen in den einzelnen EG-Ländern bestens informiert gewesen und hätten gemeinsam bei den Vertriebshändlern mit den für die jeweilige Produktreihe günstigsten Preisen Waren bezogen. Dies werde dadurch bestätigt, daß die IMF bei der Accinauto bestimmte Produkte für Rechnung der Calbrook bezogen habe, während die Calbrook wiederum andere Erzeugnisse zu besseren Konditionen in den Niederlanden und in Deutschland bezogen habe.

129 Die von der Accinauto ausgeführten Mengen hätten nur einen Bruchteil der Parallelausfuhren aller Zweikomponentenprodukte der Marke Glasurit in das Vereinigte Königreich ausgemacht, deren Gesamtumfang sich auf höchstens 1 % der auf dem britischen Markt verkauften Glasurit-Produkte belaufen habe. Die Schlußfolgerung der Kommission, daß sich die beanstandete Vereinbarung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar ausgewirkt habe, treffe somit nicht zu.

130 Die Kommission erwidert, die bei der Klägerin aufgefundenen Dokumente belegten die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Preisunterschiede, die geeignet gewesen seien, einen Anreiz für Parallelausfuhren aus Belgien in das Vereinigte Königreich zu schaffen. Daß die BASF C & I die von der Klägerin behaupteten hohen Rabatte gewährt habe, die angeblich die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Nettoabgabepreisen für Glasurit-Produkte der Reihen 21 und 54 gemindert hätten, sei nicht belegt. Wenn sich diese Rabatte tatsächlich auf durchschnittlich 50 % belaufen hätten, wären sie deutlich höher gewesen als die in den anderen Vertragsgebieten gewährten Rabatte. Jedenfalls räume die Klägerin in ihrer Klageschrift selbst ein, daß das zwischen dem Vereinigten Königreich und anderen Mitgliedstaaten bestehende Preisgefälle eine der Ursachen für die Paralleleinfuhren gewesen sei.

131 Sie habe bereits dargetan, daß die fragliche Vereinbarung geeignet gewesen sei, sich spürbar auf den innergemeinschaftlichen Handel auszuwirken, und daß sie nicht verpflichtet sei, nachzuweisen, daß eine spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich eingetreten sei (Urteil des Gerichtshofes vom 1. Februar 1978 in der Rechtssache 19/77, Miller/Kommission, Slg. 1978, 131, Randnr. 15). Sie habe die erforderlichen Untersuchungen durchgeführt und in der angefochtenen Entscheidung ihre Feststellungen zur Marktstellung der betreffenden Unternehmen, zum Umfang von Produktion und Ausfuhren dieser Unternehmen sowie zu deren Preispolitik getroffen.

132 Die von der Klägerin vorgelegten neuen Übersichten über die Rabatte, die die BASF C & I in den Jahren 1988 und 1989 vier ihrer Hauptabnehmer gewährt habe, seien nicht schlüssig. Auch die Anlage 54 könne nicht belegen, daß die Preisunterschiede zwischen Belgien und dem Vereinigten Königreich unbedeutend gewesen seien. Zwar habe sie anerkannt, daß sich die 1985 bis 1986 bei den Produktreihen 21 und 54 bestehenden erheblichen Preisunterschiede in den Jahren 1989 bis 1990 deutlich verringert hätten. Gerade unter dem Druck der Paralleleinfuhren habe sich die Klägerin jedoch bemüht, die Preise in diesen beiden Ländern einander anzugleichen, was ein Beleg dafür sei, wie wichtig die ungehinderte Möglichkeit von Paralleleinfuhren sei.

- Würdigung durch das Gericht

133 Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verbietet alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, sofern sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Klausel, durch die einem Abnehmer der Weiterverkauf oder die Ausfuhr der erworbenen Ware verboten werden soll, ihrem Wesen nach geeignet, die Märkte abzuschotten und damit den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (Urteile des Gerichtshofes Miller/Kommission, Randnr. 7, und vom 31. März 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeythiö u. a./Kommission - "Zellstoff", Slg. 1993, I-1307, Randnr. 176). Wenn sich herausstellt, daß die Verkäufe zumindest einer Partei der wettbewerbswidrigen Vereinbarung einen nicht unbeachtlichen Teil des relevanten Marktes ausmachen, ist Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag anzuwenden (Urteile Miller/Kommission, Randnr. 10, und Parker Pen/Kommission, Randnr. 44).

134 Im vorliegenden Fall stellt die Klägerin nicht die von der Kommission vorgenommene Definition des relevanten Produktmarkts, nämlich des britischen Marktes der Autoreparaturlacke, in Frage und bestreitet auch nicht, daß sich ihr Anteil an diesem Markt 1991 auf 16 % belief, von denen 12 % auf Glasurit-Produkte entfielen. Sie beanstandet vielmehr nur die von der Kommission in Randnummer 16 der angefochtenen Entscheidung angeführten Volumina der Paralleleinfuhren. Angesichts der Stellung der Klägerin auf dem relevanten Markt sowie des von ihr selbst bestätigten Umstands, daß die zwischen 1986 und 1991 auf diesem Markt angewandten Preise für Glasurit-Produkte durchschnittlich höher waren als die Preise auf den Märkten anderer Mitgliedstaaten, insbesondere Belgiens, ist die Kommission zu Recht zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die beanstandete Vereinbarung geeignet war, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen.

135 Somit ist festzustellen, daß die Vereinbarung ihrem Zweck nach eine nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verbotene Beschränkung des Wettbewerbs darstellt, ohne daß zu prüfen wäre, ob, wie die Klägerin vorträgt, spürbare Wirkungen dieser Vereinbarung auf den fraglichen Markt ausgeblieben sind (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 in den verbundenen Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 429, und Urteil des Gerichts vom 7. Juli 1994 in der Rechtssache T-43/92, Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441, Randnr. 127).

136 Folglich gehen die weiteren Rügen, die die Klägerin gegenüber der Feststellung eines Verstosses gegen diese Bestimmung des Vertrages durch die Kommission erhoben hat, ins Leere, da eine Begründetheit dieser Rügen jedenfalls nicht zu der Schlußfolgerung führen kann, daß eine Vereinbarung, die den gleichen Gegenstand und die gleiche Tragweite wie die Vereinbarung hat, um die es im vorliegenden Fall geht, nicht gegen die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln verstösst.

Vierter Teil: Zeitpunkt der Abstellung des Verstosses

- Vorbringen der Parteien

137 Die Klägerin trägt vor, selbst wenn tatsächlich ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorgelegen haben sollte, sei dieser spätestens Ende Juni 1990 beendet worden. Die Kommission hätte feststellen müssen, daß es im Schreiben der Klägerin vom 21. Juni 1990 an die Accinauto klar geheissen habe, daß diese in ihren Verkaufsentscheidungen frei sei. Jedenfalls habe die Kommission selbst eingeräumt, daß das Schreiben der Klägerin vom 22. Juni 1990 an die Anwälte der IMF, von dem eine Kopie an die Accinauto gesandt worden sei, insoweit hinreichend verständlich und eindeutig sei.

138 Die Kommission wiederholt ihre Schlußfolgerung, daß die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung erst mit der Streichung der beanstandeten Klausel durch die Vertragsparteien beendet gewesen sei. Die Accinauto habe unter den gegebenen Umständen die Kopie des im Juni 1990 an die Anwälte der Beschwerdeführerin gesandten Schreibens nicht dahin auslegen können, daß die Klägerin damit auf ihren Genehmigungsvorbehalt nach § 2 Absatz 2 der Vereinbarung von 1982 verzichte. Zweck dieses Schreibens sei es allein gewesen, mögliche Ansprüche der IMF abzuwehren.

- Würdigung durch das Gericht

139 Da die mit der angefochtenen Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung der Abschluß und die Beteiligung der Vertragsparteien an einer Alleinvertriebsvereinbarung war, die eine Klausel enthielt, deren Zweck gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstieß, nimmt die Kommission zu Recht an, daß diese Zuwiderhandlung erst mit der Streichung dieser Klausel durch die beiden Vertragsparteien beendet wurde. Nach der Rechtsprechung ist eine Klausel, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt, nicht allein deshalb dem Verbot des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag entzogen, weil die Vertragspartner sie nicht angewandt haben (Urteile Miller/Kommission, Randnr. 7, und "Zellstoff", Randnr. 175). Im vorliegenden Fall belegen die von der Klägerin angeführten Schreiben nicht, daß die Vertragsparteien tatsächlich die Absicht hatten, auf die beanstandete Klausel zu verzichten. Mit der Kommission ist nämlich davon auszugehen, daß die im Schreiben vom 22. Juni 1990 verwendeten eindeutigeren Formulierungen tatsächlich bezweckten, die den Vertragsparteien von der Beschwerdeführerin IMF zur Last gelegten Vorwürfe eines wettbewerbswidrigen Verhaltens abzuschwächen.

140 Nach alledem ist der Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zurückzuweisen.

Zum Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs bei der Bemessung der Geldbusse

Vorbringen der Parteien

141 Die Klägerin wirft der Kommission vor, ihr Ermessen mißbräuchlich ausgeuebt zu haben, da sie bei der Bemessung der Geldbusse nicht berücksichtigt habe, daß die angebliche Zuwiderhandlung von minderer Schwere und von kurzer Dauer gewesen sei, daß die wirtschaftliche Lage der Klägerin schwierig gewesen sei und daß ein Vorsatz gefehlt habe.

142 Die Schwere der Zuwiderhandlung sei nach Maßgabe der Auswirkungen der angeblich wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung auf den Handel zu beurteilen. Die beanstandete Vereinbarung habe aber keine Auswirkungen gehabt, da ihre Parteien sie nicht durchgeführt hätten. Selbst wenn die Vereinbarung durchgeführt worden wäre, hätte sie doch nicht den Warenstrom der Paralleleinfuhren aus Belgien in das Vereinigte Königreich berührt. Es habe eine einzige Lieferverweigerung - im Dezember 1990 - gegeben, die nicht auf die Vereinbarung, sondern auf einen selbständigen Entschluß der Accinauto zurückzuführen sei. Überdies sei der Umfang der von der Vereinbarung von 1982 betroffenen Paralleleinfuhren im Vergleich zum gesamten Absatz von Glasurit-Produkten im Vereinigten Königreich unbedeutend gewesen.

143 Zu Unrecht habe die Kommission für die Ermittlung der Dauer der Zuwiderhandlung auf die gesamte Laufzeit der Vereinbarung - zwischen ihrem Abschluß am 8. Oktober 1982 und dem Inkrafttreten der neuen Vereinbarung am 1. Januar 1992 - abgestellt. Zum einen habe die Kommission selbst eingeräumt, daß Auswirkungen der Vereinbarung überhaupt erst ab 1986 in Betracht kämen. Zum anderen habe die Accinauto nur ein einziges Mal eine Lieferung verweigert, und die Klägerin habe ihr spätestens im Juni 1990 klar zu erkennen gegeben, daß sie frei sei, Passivverkäufe in Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu tätigen. Die Berücksichtigung der gesamten Laufzeit der Vereinbarung sei daher unangemessen und verletze in grober Weise den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.

144 Zwar solle eine Geldbusse einen Rechtsverstoß ahnden und abschreckende Wirkung haben; es könne jedoch nicht ihre Funktion sein, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Unternehmens nachhaltig zu verschärfen. Die Kommission dürfe bei der Bemessung der Geldbusse nicht völlig ausser acht lassen, daß die BASF C & I in der Zeit von 1985 bis 1995 erhebliche Verluste erlitten habe und daß die Klägerin selbst für 1995 Verluste erwarte. Insoweit wäre die Verhängung einer nur symbolischen Geldbusse angemessen gewesen.

145 Ausserdem hätten die bei Abschluß der Vereinbarung hinzugezogenen Juristen die fragliche Klausel für gemeinschaftsrechtskonform gehalten. Den Vertragsparteien und ihren Mitarbeitern sei daher während der Laufzeit der Vereinbarung nicht bewusst gewesen, daß sie einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages begangen hätten.

146 Die Kommission erinnert daran, daß Ausfuhrverbote ihrem Wesen nach schwere Wettbewerbsverstösse seien, da sie dazu führten, daß Preisunterschiede zwischen den Märkten der Mitgliedstaaten künstlich aufrechterhalten würden, und da sie den freien innergemeinschaftlichen Handelsverkehr beeinträchtigten (Urteil vom 7. Juni 1983 in den verbundenen Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 107). Der Marktanteil der von der Zuwiderhandlung betroffenen Paralleleinfuhren sei für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ohne Belang. Im übrigen habe sie das Vorbringen der Klägerin, daß die Vereinbarung von 1982 keine wirtschaftlichen Auswirkungen - insbesondere auf Paralleleinfuhren aus Belgien in das Vereinigte Königreich - und keinen Einfluß auf die Entscheidungen der Accinauto gehabt habe, bereits zurückgewiesen.

147 Die Zuwiderhandlung habe mit dem Abschluß der den Genehmigungsvorbehalt des Herstellers enthaltenden Alleinvertriebsvereinbarung begonnen und habe sich über die gesamte Laufzeit dieser Vereinbarung erstreckt (Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 59). Das blosse Schweigen der Accinauto auf die Schreiben der Klägerin vom 21. Juni und 22. Juni 1990 habe die Vereinbarung von 1982 nicht wirksam ändern können. Nach § 12 Absatz 2 hätten Änderungen der Vereinbarung der Schriftform bedurft.

148 Die Geldbusse sei nicht nach Maßgabe der von der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaft BASF C & I erlittenen Verluste herabzusetzen, da die Kommission die defizitäre Finanzlage des Adressaten der Entscheidung nicht zu berücksichtigen brauche. Jedenfalls seien die der britischen Tochtergesellschaft zwischen 1985 und 1989 entstandenen Verluste durch die von der Klägerin im selben Zeitraum erzielten Gewinne aus dem Verkauf von Autoreparaturlacken in das Vereinigte Königreich ausgeglichen worden.

149 Das Vorbringen der Klägerin, eine vorsätzliche Wettbewerbsbeschränkung habe deshalb nicht vorgelegen, weil den Parteien der Vereinbarung nicht bewusst gewesen sei, gegen Gemeinschaftsrecht zu verstossen, sei zurückzuweisen. Der Umstand, daß die Juristen der Klägerin möglicherweise einem Rechtsirrtum erlegen seien, ändere nichts daran, daß die Klägerin den Vorsatz gehabt habe, der Accinauto eine Weiterleitungsverpflichtung aufzuerlegen und damit die Parallelausfuhren in das Vereinigte Königreich zu kontrollieren.

150 Im übrigen sei sie mit der Festsetzung der Geldbusse auf 2 700 000 ECU weit unter dem Satz von 10 % des von der Klägerin im letzten Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes geblieben, der die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehene Obergrenze darstelle.

Würdigung durch das Gericht

151 Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission durch Entscheidung gegen Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag begangen haben, Geldbussen in Höhe von eintausend bis einer Million ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Innerhalb dieser Grenzen wird die Höhe der Geldbusse unter Berücksichtigung von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung festgesetzt (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 118, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-327/94, SCA Holding/Kommission, Slg. 1998, II-1373, Randnr. 175).

152 Für eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages genügt es, wenn dem Unternehmen bewusst war, daß das gerügte Verhalten eine Wettbewerbsbeeinträchtigung bezweckte, gleichviel, ob es sich dabei auch bewusst war, gegen ein in diesen Regeln enthaltenes Verbot zu verstossen (Urteil IAZ u. a./Kommission, Randnr. 45, und Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T-66/92, Herlitz/Kommission, Slg. 1994, II-531, Randnr. 45). Wie sich aus den obigen Feststellungen des Gerichts ergibt, konnte sich die Klägerin nicht in Unkenntnis darüber befinden, daß die beanstandete Klausel der Vereinbarung von 1982 bezweckte, Paralleleinfuhren zu beschränken und damit durch die Abschottung der einzelnen nationalen Märkte dem vom Vertrag angestrebten Ziel der Verwirklichung des einheitlichen Marktes zuwiderzulaufen. Die Äusserung eines Rechtsberaters, auf die sie sich beruft, kann sie insoweit nicht entschuldigen (Urteil Miller/Kommission, Randnr. 18).

153 Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, daß die Kommission die in der Verordnung Nr. 17 vorgesehene Obergrenze, die auf den Gesamtumsatz des betreffenden Unternehmens Bezug nimmt, beachtet hat (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 119, und Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 247). Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, daß der Betrag von 2 700 000 ECU unter Anwendung eines Koeffizienten von 7,5 % auf den Umsatz von 36 Mio. ECU errechnet worden sei, der nach den Angaben der Klägerin 1991 mit dem Verkauf von Glasurit-Produkten im Vereinigten Königreich, in Belgien und in Luxemburg erzielt worden ist. Die Höhe der Geldbusse entspricht damit nur 0,3 % des von der Klägerin im Jahr 1991 erzielten Gesamtumsatzes, der etwa 834 Mio. ECU (1,668 Mrd. DM; vgl. oben, Randnr. 1) erreicht hat.

154 Nach ständiger Rechtsprechung muß die Geldbusse den Umständen und der Schwere der Zuwiderhandlung entsprechen; bei der Beurteilung der Schwere ist insbesondere die Art der Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen (Urteile des Gerichts Parker Pen/Kommission, Randnr. 92, und vom 22. Oktober 1997 in den verbundenen Rechtssachen T-213/95 und T-18/96, SCK und FNK/Kommission, Slg. 1997, II-1739, Randnr. 246).

155 Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht die festgestellte Zuwiderhandlung angesichts des Wesens der fraglichen Wettbewerbsbeschränkung und der starken Stellung der Klägerin auf dem Markt für Autoreparaturlacke in Europa als besonders schwerwiegend angesehen.

156 Auch die Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung durch die Kommission ist nicht fehlerhaft, da diese Zuwiderhandlung durch den Abschluß einer Vereinbarung durch die Vertragsparteien gekennzeichnet war, die eine Klausel enthielt, deren Zweck gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstieß. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß das Gericht nicht hat feststellen können, daß diese Klausel auch angewandt wurde, ist doch zu betonen, daß bereits ihr Vorhandensein ein "optisches und psychologisches" Klima schaffen konnte, das zu einer Aufteilung der Märkte beiträgt (Urteile Miller/Kommission, Randnr. 7, und Herlitz/Kommission, Randnr. 40). Die mit dem Abschluß der Vereinbarung von 1982 begonnene Zuwiderhandlung wurde somit erst mit der tatsächlichen Beseitigung der beanstandeten Klausel beendet.

157 Weiter ist festzustellen, daß die Kommission als mildernden Umstand berücksichtigt hat, daß die Vertragsparteien die Zuwiderhandlung am 1. Januar 1992 abgestellt haben, d. h., bevor ihnen mit Schreiben vom 12. Mai 1993 die Beschwerdegründe mitgeteilt wurden.

158 Schließlich kann der Kommission auch nicht vorgeworfen werden, die möglicherweise schwierige finanzielle Situation der Klägerin nicht als mildernden Umstand berücksichtigt zu haben. Hierdurch würde dieser nämlich letztlich gegenüber den Unternehmen, die sich den Marktbedingungen besser angepasst haben, ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil verschafft (Urteil IAZ u. a./Kommission, Randnr. 55).

159 Daraus ist zu folgern, daß die Kommission das ihr bei der Bemessung von Geldbussen zustehende Ermessen nicht überschritten hat, indem sie die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse auf 2 700 000 ECU festgesetzt hat.

160 Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen, ohne daß der Antrag geprüft zu werden braucht, mit denen die Klägerin die Erstattung der Kosten der Bankbürgschaft zur Sicherung der Bußgeldzahlung begehrt.

Kostenentscheidung:

Kosten

161 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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