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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 21.05.2008
Aktenzeichen: T-18/07
Rechtsgebiete: Akt von 1976


Vorschriften:

Akt von 1976 Art. 12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte Kammer)

21. Mai 2008

"Nichtigkeitsklage - Akt zur Einführung von Wahlen zum Europäischen Parlament - Klagefrist - Unzuständigkeit des Gerichts - Unzulässigkeit"

Parteien:

In der Rechtssache T-18/07

Hans Kronberger, wohnhaft in Wien (Österreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt W. Weh,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück, N. Lorenz und M. Windisch als Bevollmächtigte,

Beklagter,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 28. April 2005, mit der die gemäß Art. 12 des Akts vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments erfolgte Anfechtung der Wahl von Andreas Mölzer zum Abgeordneten des Europäischen Parlaments durch den Kläger als unbegründet zurückgewiesen wurde,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Richter N. J. Forwood, E. Moavero Milanesi und L. Truchot (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments

1 In Art. 1 des dem Beschluss des Rates vom 20. September 1976 beigefügten Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung (ABl. L 278, S. 5) in der zuletzt durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (ABl. L 283, S. 1) geänderten und umnummerierten Fassung (im Folgenden: Akt von 1976) heißt es:

"(1) In jedem Mitgliedstaat werden die Mitglieder des Europäischen Parlaments nach dem Verhältniswahlsystem auf der Grundlage von Listen oder von übertragbaren Einzelstimmen gewählt.

(2) Die Mitgliedstaaten können Vorzugsstimmen auf der Grundlage von Listen nach den von ihnen festgelegten Modalitäten zulassen.

..."

2 Art. 2 des Akts von 1976 lautet:

"Entsprechend ihren nationalen Besonderheiten können die Mitgliedstaaten für die Wahl des Europäischen Parlaments Wahlkreise einrichten oder ihre Wahlgebiete auf andere Weise unterteilen, ohne das Verhältniswahlsystem insgesamt in Frage zu stellen."

3 Art. 8 des Akts von 1976 bestimmt:

"Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften.

Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen."

4 Art. 12 des Akts von 1976 lautet:

"Das Europäische Parlament prüft die Mandate seiner Mitglieder. Zu diesem Zweck nimmt das Europäische Parlament die von den Mitgliedstaaten amtlich bekanntgegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis und befindet über die Anfechtungen, die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften dieses Akts - mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird - vorgebracht werden könnten."

Geschäftsordnung des Parlaments

5 Die zur maßgeblichen Zeit geltende Geschäftsordnung des Parlaments bestimmt in Art. 3 ("Prüfung der Mandate"):

"1. Auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses prüft das Parlament unverzüglich die Mandate und entscheidet über die Gültigkeit der Mandate jedes seiner neu gewählten Mitglieder sowie über etwaige Anfechtungen, die aufgrund der Bestimmungen des Akts [von] 1976 geltend gemacht werden, nicht aber über diejenigen, die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden.

2. Der Bericht des zuständigen Ausschusses stützt sich auf die offizielle Mitteilung sämtlicher Mitgliedstaaten über die Gesamtheit der Wahlergebnisse unter genauer Angabe der gewählten Kandidaten sowie ihrer etwaigen Stellvertreter einschließlich ihrer Rangfolge aufgrund des Wahlergebnisses.

Das Mandat eines Mitglieds kann nur für gültig erklärt werden, wenn das Mitglied die schriftlichen Erklärungen abgegeben hat, zu denen es aufgrund von Artikel 7 des Akts [von] 1976 sowie Anlage I dieser Geschäftsordnung verpflichtet ist.

Das Parlament kann sich jederzeit auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses zu etwaigen Anfechtungen der Gültigkeit des Mandats eines Mitglieds äußern.

..."

Österreichisches Wahlrecht

6 § 77 Abs. 7 des Bundesgesetzes über die Wahl der von Österreich zu entsendenden Abgeordneten zum Europäischen Parlament (Europawahlordnung - EuWO) lautet:

"Die zu vergebenden Mandate werden zunächst der Reihe nach jenen Bewerbern zugewiesen, die im Bundesgebiet Vorzugsstimmen im Ausmaß von mindestens 7 % der auf ihre Parteiliste entfallenden gültigen Stimmen erzielt haben. Die Reihenfolge der Zuweisung der Mandate richtet sich hierbei nach der Reihenfolge der Vorzugsstimmenzahlen eines jeden Bewerbers, wobei die Reihenfolge mit der Höchstzahl der Vorzugsstimmen beginnt, der jeweils die nächstniedrigere Anzahl der Vorzugsstimmen folgt. Hätten Bewerber auf die Zuweisung eines Mandats den gleichen Anspruch, so sind die Reihungsvermerke der Bewerber auf der Parteiliste maßgebend."

Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

7 Am 13. Juni 2004 fanden in Österreich die Wahlen der österreichischen Mitglieder des Parlaments statt.

8 Der Kläger Hans XX war Spitzenkandidat auf der Liste der Gruppe Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ); Herr Mölzer wurde darauf an dritter Stelle geführt.

9 Das Wahlergebnis wurde am 30. Juni 2004 im Amtsblatt der Wiener Zeitung veröffentlicht.

10 Der FPÖ stand mit einer Gesamtzahl von 157 722 Stimmen nur ein Sitz im Parlament zu. Diesen Sitz teilte die Bundeswahlbehörde Herrn Mölzer zu, auf den 21 980 Vorzugsstimmen entfallen waren. Der Kläger, der 8 965 Vorzugsstimmen erhalten hatte, wurde zum Ersatzmann erklärt.

11 Mit seinem am 15. September 2005 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Beschluss über die Prüfung der Mandate vom 14. Dezember 2004 (ABl. 2005, C 226 E, S. 51) erklärte das Parlament die Mandate mehrerer Mitglieder, darunter das von Herrn Mölzer, für gültig.

12 Zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt führte der Kläger gegen die Entscheidung der Bundeswahlbehörde über die Zuteilung des auf die FPÖ entfallenden Mandats Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Diese Beschwerde wurde mit Beschluss vom 18. August 2004 als verspätet zurückgewiesen.

13 Mit Schreiben an den Präsidenten des Parlaments vom 20. Dezember 2004 focht der Kläger die Wahl von Herrn Mölzer an. Er beantragte, das Mandat von Herrn Mölzer für ungültig zu erklären und ihn selbst für gewählt und zum Mandatsträger zu erklären.

14 Der Präsident des Parlaments leitete diese Anfechtung an den Rechtsausschuss des Parlaments weiter. Dieser prüfte die Anfechtung in seiner Sitzung vom 21. April 2005 und unterrichtete den Präsidenten des Parlaments mit Schreiben vom 22. April 2005 über das Ergebnis seiner Prüfung. Der Ausschuss schlug dem Parlament vor, die Anfechtung als unbegründet zu verwerfen, weil zum einen die Republik Österreich mit der Festlegung der vom Kläger beanstandeten Wahlmodalitäten nicht den ihr mit Art. 1 Abs. 2 des Akts von 1976 eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe und zum anderen der Kläger nicht dargetan habe, inwieweit der geltend gemachte Verstoß gegen Art. 2 des Akts von 1976 im konkreten Fall erheblich sei.

15 In seinem Protokoll der Sitzung vom 28. April 2005 stellte das Parlament fest, dass der Rechtsausschuss ihm empfohlen habe, die Wahlanfechtung des Klägers für unbegründet zu erachten.

16 Mit Schreiben vom 23. Juni 2005 übermittelte der Generalsekretär des Parlaments dem Kläger einen Auszug aus diesem Protokoll.

17 Mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 forderte der Kläger das Parlament gemäß Art. 232 Abs. 2 EG auf, tätig zu werden. Er beantragte, eine Entscheidung zu treffen, die darstelle, wie letztendlich mit seiner Anfechtung verfahren worden sei und welche Gründe dafür maßgeblich gewesen seien.

18 Mit Schreiben vom 28. November 2006 teilte der stellvertretende Generalsekretär des Parlaments dem Kläger mit, dass das Parlament in seiner Plenarsitzung vom 28. April 2005 auf der Grundlage der Stellungnahme seines Rechtsausschusses beschlossen habe, die Wahlanfechtung des Klägers für unbegründet zu erachten. Diesem Schreiben waren eine Kopie des Auszugs aus dem Protokoll der Sitzung des Parlaments vom 28. April 2005 sowie die im Schreiben des Vorsitzenden des Rechtsausschusses an den Präsidenten des Parlaments vom 22. April 2005 enthaltene Begründung beigefügt.

Verfahren und Anträge der Parteien

19 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 29. Januar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

20 Das Parlament hat mit besonderem Schriftsatz, der am 14. Mai 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, eine Einrede der Unzulässigkeit nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.

21 Der Kläger hat am 9. Juli 2007 seine Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit eingereicht.

22 Mit Beschluss vom 21. Mai 2007, Kronberger/Parlament (T-18/07 R, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), hat der Präsident des Gerichts den Antrag des Klägers auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten.

23 Das Parlament beantragt,

- die Klage als unzulässig abzuweisen;

- dem Kläger die Kosten dieses Verfahrens sowie die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen.

24 Der Kläger beantragt,

- die definitive Entscheidung vom 28. April 2005, mit der das Parlament das Europaabgeordneten-Mandat von Herrn Mölzer trotz der Anfechtung für gültig erklärt hat, für nichtig zu erklären;

- dem Parlament die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Begründetheit

25 Will eine Partei vorab eine Entscheidung des Gerichts über die Unzulässigkeit herbeiführen, so wird nach Art. 114 der Verfahrensordnung mündlich über den Antrag verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall sieht sich das Gericht durch die Akten ausreichend unterrichtet und beschließt, dass die mündliche Verhandlung nicht eröffnet zu werden braucht.

Vorbringen der Parteien

26 Das Parlament weist darauf hin, dass der Kläger nach den in der Klageschrift enthaltenen Anträgen die Nichtigerklärung der Entscheidung, mit der das Mandat von Herrn Mölzer für gültig erklärt werde, beantrage. Die Klage sei deshalb so zu verstehen, dass sie sich gegen den Beschluss des Parlaments vom 14. Dezember 2004 richte.

27 Soweit die Klage gegen diesen Beschluss gerichtet sei, müsse sie erstens als verspätet abgewiesen werden, da die Klagefrist mit der Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. September 2005 zu laufen begonnen und folglich am 12. Dezember 2005 geendet habe. Zweitens sei die Klage unzulässig, da der Kläger in Wirklichkeit die Vereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht in Frage stelle. Drittens sei der Kläger von dem Beschluss weder unmittelbar noch individuell betroffen.

28 Die Klage sei auch dann unzulässig, wenn sie so auszulegen sein sollte, dass sie sich, wie vom Kläger in der Klageschrift eingangs angegeben, gegen die seine Anfechtung verwerfende Entscheidung vom 28. April 2005 richte.

29 Zum einen könne nämlich die Vereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere dem Akt von 1976 im Rahmen des Art. 230 EG nicht einmal inzident geprüft werden. Die Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Norm mit dem Gemeinschaftsrecht, auf die der Kläger hinauswolle, könne allenfalls im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage oder eines Vorabentscheidungsersuchens anlässlich eines nationalen Rechtsstreits erfolgen. Insoweit hätte der Kläger im Rahmen seiner Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof anregen können, dem Gerichtshof eine Frage nach der Vereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht zur Vorabentscheidung vorzulegen. Auch komme dem Parlament nach den ihm mit dem Akt von 1976, insbesondere dessen Art. 12, zugewiesenen Befugnissen nicht die Prüfung zu, ob das mit der Europawahlordnung errichtete Wahlsystem mit dem Gemeinschaftsrecht etwa unvereinbar sei. Nach Art. 12 des Akts von 1976 sei das Parlament nur befugt, die auf diesen Akt gestützten Anfechtungen zu prüfen. Für alle auf die nationalen Bestimmungen gestützten Anfechtungen seien somit die nationalen Gerichte zuständig, was dem Kläger im Übrigen auch bewusst sei, da er den Verfassungsgerichtshof mit einer solchen Anfechtung befasst habe, die allerdings als verspätet zurückgewiesen worden sei.

30 Zum anderen habe der Kläger kein Rechtsschutzinteresse, weil die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 28. April 2005 nicht bewirke, dass das gegenwärtig von Herrn Mölzer ausgeübte Mandat ihm zufallen würde. Das Parlament wäre in diesem Fall gehalten, die österreichischen Behörden über das Freiwerden des Sitzes zu unterrichten, und diese müssten ihm denjenigen benennen, der für Herrn Mölzer nachrücke und dessen Mandant nach dem im Akt von 1976 vorgesehenen Verfahren für gültig erklärt werde. Herr Mölzer würde deshalb nicht automatisch durch den Kläger ersetzt.

31 Der Kläger macht zunächst geltend, der Beschluss vom 14. Dezember 2004 sei ein vorläufiger Beschluss bis zu einer abschließenden Entscheidung über seine Anfechtung der Wahl von Herrn Mölzer. Eine solche abschließende Entscheidung sei am 28. April 2005 ergangen und ihm erst am 30. November 2006 zugestellt worden.

32 Er macht weiter geltend, dass er in einem direkten Wettbewerbsverhältnis mit Herrn Mölzer stehe, dessen Mandat vom Parlament für gültig erklärt worden sei. Außerdem habe er als erster Ersatzmann auf der Liste seiner Partei ein unmittelbares Interesse an der Erklärung der Ungültigkeit des Mandats von Herrn Mölzer. Er rücke nämlich automatisch für Herrn Mölzer nach, wenn dessen Mandat für ungültig erklärt würde und wenn das Schreiben des österreichischen Parlamentspräsidenten über die Ergebnisse der Wahlen vom Juni 2004 den Hinweis enthalte, dass der Parlamentssitz, falls Herr Mölzer sein Mandat verlöre, ihm zufalle. Um diese Frage beurteilen zu können, ersucht der Kläger das Gericht, dem Parlament aufzutragen, das betreffende Schreiben des österreichischen Parlamentspräsidenten zu den Akten zu bringen.

33 Der Kläger rücke aber auch dann automatisch für Herrn Mölzer nach, wenn das Schreiben des österreichischen Parlamentspräsidenten den ersten Ersatzmann für Herrn Mölzer nicht ausdrücklich benenne.

34 Was die Zuständigkeit des Parlaments in diesem Bereich betreffe, so sei es zur Prüfung der Mandate seiner Mitglieder befugt und es komme ihm zu, über die Wahlanfechtungen zu befinden. Da die Anfechtung durch den Kläger nicht auf das österreichische Recht gestützt werde, dessen ordnungsgemäße Anwendung im vorliegenden Fall er nicht bestreite, sondern auf die Unvereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Akt von 1976, sei das Parlament für ihre Prüfung zuständig gewesen. Das Parlament hätte somit feststellen müssen, dass die Zuteilung des auf die FPÖ entfallenden Sitzes an Herrn Mölzer auf der Grundlage der Europawahlordnung, die hinsichtlich der Vorzugsstimmen einen lächerlich niedrigen Schwellenwert festsetze und damit die Ernennung von Wahlwerbern, die einen winzigen Bruchteil der für ein Mandat erforderlichen Stimmen erreicht hätten, gestatte, gegen den Akt von 1976 und den elementaren Grundsatz der demokratischen Vertretung verstoße.

35 Schließlich behauptet der Kläger, dass ihm ungeachtet des Ausgangs der aus formalen Gründen zurückgewiesenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof kein Rechtsbehelf vor den nationalen Gerichten offen stehe, mit dem er die Zuteilung des auf die FPÖ entfallenden Mandats an Herrn Mölzer anfechten könne.

Würdigung durch das Gericht

36 Es ist festzustellen, dass der Klagegegenstand den Schriftsätzen des Klägers nicht klar zu entnehmen ist. Nachdem dieser nämlich in der Klageschrift zunächst ausführt, dass sich die vorliegende Klage gegen die vom Parlament in seiner Plenarsitzung vom 28. April 2005 getroffene Entscheidung, seine Wahlanfechtung zu verwerfen, richte, beantragt er im selben Schriftsatz die Nichtigerklärung der Entscheidung des Parlaments, das Mandat von Herrn Mölzer für gültig zu erklären. Dann führt er in seiner Stellungnahme zu der vom Parlament erhobenen Einrede der Unzulässigkeit aus, dass sich seine Klage gegen die Entscheidung des Parlaments vom 28. April 2005 in der Form des ihm am 30. November 2006 zugestellten Schreibens vom 28. November 2006 richte, bevor er die Nichtigerklärung der definitiven Entscheidung des Parlaments, das Mandat von Herrn Mölzer für gültig zu erklären, in Form des Beschlusses vom 28. April 2005 in seiner schriftlichen Begründung vom 28. November 2006 beantragt.

37 Auf jeden Fall ist die Zulässigkeit der Klage angesichts dessen zu prüfen, dass sie zugleich gegen den Beschluss des Parlaments vom 14. Dezember 2004 und gegen das Schreiben vom 28. November 2006, mit dem der Kläger über die Verwerfung seiner Anfechtung in der Sitzung des Parlaments vom 28. April 2005 als unbegründet unterrichtet wurde, gerichtet sein soll.

38 Was erstens den Beschluss vom 14. Dezember 2004, mit dem das Mandat von Herrn Mölzer für gültig erklärt wurde, angeht, so erging dieser im Anschluss an die Prüfung der Mandate durch das Parlament gemäß Art. 12 des Akts von 1976. Nach Nr. 1 dieses Beschlusses werden die Mandate der in Anlage aufgeführten Mitglieder des Parlaments "vorbehaltlich etwaiger rechtsgültiger Entscheidungen der zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten, in denen ein Wahlergebnis angefochten wurde," für gültig erklärt.

39 Insoweit ist ersichtlich, dass der Verfassungsgerichtshof die Anfechtung des Wahlergebnisses durch den Kläger am 18. August 2004 zurückgewiesen hatte. Auch wird nicht geltend gemacht, dass die zuständigen österreichischen Stellen die Wahl von Herrn Mölzer für ungültig erklärt hätten.

40 Der Beschluss des Parlaments über die Prüfung der Mandate vom 14. Dezember 2004, mit dem also, ohne dass er materiell durch eine Entscheidung der zuständigen österreichischen Stellen berührt würde, das Mandat von Herrn Mölzer für gültig erklärt wurde, wurde am 15. September 2005 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Die Frist für eine Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss lief deshalb nach Art. 230 Abs. 5 EG in Verbindung mit den Art. 101 und 102 der Verfahrensordnung am 9. Dezember 2005 ab. Die am 29. Januar 2007 eingereichte Klage ist daher, soweit sie gegen diesen Beschluss gerichtet ist, verspätet.

41 Was zweitens das Schreiben vom 28. November 2006 angeht, so ergibt sich zum einen aus Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 des Akts von 1976, dass es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das Wahlverfahren für die Wahlen der Mitglieder des Parlaments festzulegen. Außerdem nimmt das Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976, wenn es die Mandate seiner Mitglieder prüft, die von den Mitgliedstaaten bekanntgegebenen Wahlergebnisse nur zur Kenntnis, und es kann nur über Anfechtungen befinden, die auf die Vorschriften des Akts von 1976 - mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird - gestützt werden.

42 Das Parlament war deshalb nicht befugt, die ihm von der Republik Österreich im Anschluss an die Wahlen vom Juni 2004 übermittelte Liste zu ändern.

43 Somit kann die etwaige Unvereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht unter keinen Umständen die Gültigkeit der Entscheidung berühren, mit der das Parlament nach der Feststellung, dass die im Akt von 1976 vorgesehenen Erfordernisse beachtet wurden, die Wahlanfechtung des Klägers gemäß Art. 12 des Akts von 1976 zurückgewiesen hat (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 3. Dezember 1992, Oleificio Borelli/Kommission, C-97/91, Slg. 1992, I-6313, Randnr. 12).

44 An dieser Feststellung kann auch der Umstand nichts ändern, dass sich die Europawahlordnung in den gemeinschaftlichen Entscheidungsprozess einfügt, da sich aus der in dem betreffenden Bereich mit dem Akt von 1976 vorgenommenen Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Behörden und den Gemeinschaftsorganen eindeutig ergibt, dass die auf der Grundlage der Europawahlordnung ergangene Handlung der nationalen Behörde die gemeinschaftliche Beschlussinstanz bindet und demzufolge den Inhalt der späteren Gemeinschaftsentscheidung bestimmt (vgl. entsprechend Urteil Oleificio Borelli/Kommission, Randnr. 10).

45 Zum anderen ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaftsgerichte außerhalb von Vertragsverletzungsverfahren nicht befugt sind, über die Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden. Hierfür sind, erforderlichenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs über Bedeutung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die nationalen Gerichte zuständig (Urteil des Gerichtshofs vom 22. März 1990, Triveneta Zuccheri u. a./Kommission, C-347/87, Slg. 1990, I-1083, Randnr. 16).

46 Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger aber die Feststellung der Unvereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht durch das Gericht. In der Klageschrift führt er nämlich aus, dass es vor dem Gericht "nur darum gehen [kann], ob eine Vorzugsstimmenregelung wie die österreichische gemeinschaftsrechtlich zulässig ist. Wenn nein, wäre sie durch das vorrangige Gemeinschaftsrecht verdrängt und damit unanwendbar."

47 Das Gericht ist also nicht dafür zuständig, über die Vereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden.

48 Was die Behauptungen des Klägers betrifft, dass die Zuteilung des Mandats an Herrn Mölzer dem offenkundigen Willen der FPÖ-Wähler zuwiderlaufe, die mit der Stimmabgabe für die Liste dieser Partei den Kläger als Spitzenkandidaten hätten wählen wollen, und dass es undemokratisch sei und gegen die elementaren Grundsätze des Wahlrechts verstoße, das auf die FPÖ entfallende Mandat Herrn Mölzer zuzuteilen, so ist festzustellen, dass die Fragen nach der Repräsentativität des Mandats von Herrn Mölzer wie nach der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der österreichischen Behörden, dieses Mandat ihm zuzuteilen, nur im Wege der Einreichung einer Klage beim zuständigen nationalen Gericht geklärt werden können. Ausweislich der Akten ist aber die Beschwerde des Klägers an den Verfassungsgerichtshof als verspätet zurückgewiesen worden.

49 Selbst wenn es zuträfe, dass dem Kläger, wie er in seiner Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit behauptet, kein gerichtlicher Rechtsbehelf offen steht, mit dem er die Vereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht in einem Fall wie dem vorliegenden überprüfen lassen könnte, haben doch nach ständiger Rechtsprechung die nationalen Gerichte aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht nach Art. 10 EG den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen (Urteile des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1976, Rewe-Zentralfinanz und Rewe-Zentral, 33/76, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, Slg. 1978, 629, Randnr. 21, und vom 13. März 2007, Unibet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Randnr. 38). Zu diesem Zweck sind sie gehalten, die Verfahrensmodalitäten, die für die bei ihnen anhängigen Klagen gelten, so weit wie möglich so auszulegen, dass diese Modalitäten in einer Weise angewandt werden können, die zur Erreichung des Ziels beiträgt, einen effektiven gerichtlichen Schutz der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten (Urteil Unibet, Randnr. 44).

50 Somit ist es Sache der nationalen Gerichte, erforderlichenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof gemäß Art. 234 EG, über die Vereinbarkeit der Europawahlordnung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden.

51 Da der Kläger sonst nichts für die Rechtswidrigkeit der Verwerfung seiner Anfechtung durch das Parlament vorgebracht hat, ist die Klage, auch soweit sie sich gegen das Schreiben vom 28. November 2006 richtet, für unzulässig zu erklären.

52 Da die Klage aus einem anderen Grund als dem vom Parlament eingewandten Fehlen des Rechtsschutzinteresses für unzulässig erklärt wird, ist über die vom Kläger in seiner Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit beantragten prozessleitenden Maßnahmen im Zusammenhang mit diesem Unzulässigkeitseinwand nicht zu entscheiden.

Kostenentscheidung:

Kosten

53 Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Parlaments die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Herr Hans Kronberger trägt die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

Luxemburg, den 21. Mai 2008



Ende der Entscheidung

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