Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 16.07.1998
Aktenzeichen: T-195/97
Rechtsgebiete: Zollkodex, Verordnung (EWG) Nr. 2913/92, Verordnung (EWG) Nr. 2454/93, EGV


Vorschriften:

Zollkodex Art. 239
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93
EGV Art. 190
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 16. Juli 1998. - Kia Motors Nederland BV und Broekman Motorships BV gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Entscheidung der Kommission, mit der festgestellt wird, daß die Erstattung von Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt ist - Nichtigkeitsklage - Artikel 239 des Zollkodex - Begründungspflicht. - Rechtssache T-195/97.

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im folgenden: Zollkodex) bestimmt: "Die bei Entstehen einer Zollschuld gesetzlich geschuldeten Abgaben stützen sich auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften." In Artikel 20 Absatz 3 heisst es weiter: "Der Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften umfasst:... d) die Zollpräferenzmaßnahmen aufgrund von Abkommen zwischen der Gemeinschaft und bestimmten Ländern oder Ländergruppen, in denen eine Zollpräferenzbehandlung vorgesehen ist."

2 Artikel 66 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1; im folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt: "Bei der Durchführung der Bestimmungen über die von der Gemeinschaft für bestimmte Erzeugnisse mit Ursprung in Entwicklungsländern gewährten allgemeinen Zollpräferenzen gelten als Ursprungserzeugnisse eines präferenzbegünstigten Landes, im folgenden "begünstigtes Land" genannt, sofern sie im Sinne von Artikel 75 unmittelbar in die Gemeinschaft befördert worden sind: a) Erzeugnisse, die vollständig in diesem Land gewonnen oder hergestellt worden sind..."

3 In Artikel 75 der Durchführungsverordnung heisst es weiter: "Als unmittelbar aus dem begünstigten Ausfuhrland in die Gemeinschaft befördert gelten: a) Erzeugnisse, die befördert werden, ohne dabei das Gebiet eines anderen Landes zu berühren oder, wenn Artikel 70 Anwendung findet, ohne dabei das Gebiet eines anderen Landes des gleichen Regionalzusammenschlusses zu berühren; b) Erzeugnisse, die über das Gebiet anderer Länder als des begünstigten Ausfuhrlandes befördert werden, oder, wenn Artikel 70 Anwendung findet, über andere Gebiete als das Gebiet anderer Länder des gleichen Regionalzusammenschlusses, gegebenenfalls auch mit Umladung oder vorübergehender Einlagerung in diesen Ländern, sofern die Beförderung durch diese Länder aus geographischen oder ausschließlich beförderungstechnischen Gründen gerechtfertigt ist und die Erzeugnisse... im Durchfuhr- oder Einlagerungsland unter Zollüberwachung geblieben sind,... dort nicht in den Handel oder freien Verkehr gelangt sind und... dort gegebenenfalls nur ent- oder verladen worden sind oder eine auf die Erhaltung ihres Zustands gerichtete Behandlung erfahren haben."

4 Nach Artikel 76 Absatz 2 der Durchführungsverordnung "[gelten] Ursprungserzeugnisse, die aus einem begünstigten Land in ein anderes Land ausgeführt werden,... bei ihrer Wiedereinfuhr als Erzeugnisse ohne Ursprungseigenschaft, es sei denn, es kann den zuständigen Behörden glaubhaft dargelegt werden,... daß die wiedereingeführten Waren dieselben wie die ausgeführten Waren sind und... daß sie dort nur eine auf die Erhaltung ihres Zustands gerichtete Behandlung erfahren haben".

5 Artikel 77 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 3254/94 der Kommission vom 19. Dezember 1994 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 346, S. 1) bestimmt: "Ursprungserzeugnisse im Sinne dieses Abschnitts erhalten, sofern sie im Sinne des Artikels 78 unmittelbar in die Gemeinschaft befördert worden sind, bei der Einfuhr in die Gemeinschaft die Zollpräferenzbehandlung..."

6 In Artikel 78 Absatz 1 dieser Verordnung heisst es weiter: "Als unmittelbar aus dem begünstigten Ausfuhrland in die Gemeinschaft... befördert gelten:... b) Waren, die eine einzige Sendung bilden und über das Gebiet anderer Länder als des begünstigten Ausfuhrlandes oder der Gemeinschaft befördert werden, gegebenenfalls auch mit einer Umladung oder vorübergehenden Einlagerung in diesen Ländern, sofern sie im Durchfuhr- oder Einlagerungsland unter zollamtlicher Überwachung geblieben und dort nur ent- und verladen worden sind oder eine auf die Erhaltung ihres Zustands gerichtete Behandlung erfahren haben..."

7 Die Artikel 235 bis 242 des Zollkodex legen die Bedingungen fest, unter denen eine Erstattung oder ein Erlaß von Einfuhrabgaben erfolgen kann.

8 Artikel 236 Absatz 1 des Zollkodex bestimmt: "Einfuhr[abgaben]... werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, daß der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war..." Nach Absatz 2 dieses Artikels "[erfolgt] die Erstattung... auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen." Artikel 235 Buchstabe a des Zollkodex zufolge gilt als "Erstattung: die Rückzahlung der Gesamtheit oder eines Teils der entrichteten Einfuhr[abgaben]..."

9 Nach Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex kann die Erstattung "in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen... [erfolgen]; diese Fälle... werden nach dem Ausschußverfahren festgelegt...; [sie] ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschußverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlaß kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden." Nach Artikel 239 Absatz 2 ist der Erstattungsantrag in diesen Fällen innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung dieser Abgaben an den Zollschuldner zu stellen.

10 Artikel 899 der Durchführungsverordnung erlaubt der nationalen Zollbehörde, bei der ein Erstattungsantrag gestellt worden ist, die Erstattung zu gewähren, wenn sie feststellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfuellt sind. Im übrigen bestimmt Artikel 905 der Durchführungsverordnung: "Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlaß nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach Artikel 899 zu entscheiden, und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor."

11 Nach Artikel 906 der Durchführungsverordnung muß die Kommission die Prüfung des Falles so bald wie möglich auf die Tagesordnung des Zollkodex-Ausschusses setzen. Artikel 907 dieser Verordnung bestimmt: "Nach Anhörung einer Sachverständigengruppe, die aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und im Rahmen des Ausschusses zur Prüfung des Falles zusammentritt, entscheidet die Kommission, ob die besonderen Umstände die Erstattung... rechtfertigen oder nicht. Diese Entscheidung ist innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der Vorlage nach Artikel 905 Absatz 2 bei der Kommission zu treffen. Sieht sich die Kommission veranlasst, bei dem Mitgliedstaat zusätzliche Auskünfte anzufordern, um eine Entscheidung fällen zu können, so wird die Frist von sechs Monaten um die Zeit verlängert, die zwischen dem Zeitpunkt der Absendung des Auskunftsersuchens der Kommission und dem Zeitpunkt des Eingangs der Auskünfte verstrichen ist."

12 Artikel 908 Absatz 2 der Durchführungsverordnung bestimmt: "Anhand der... bekanntgegebenen Entscheidung der Kommission trifft die Entscheidungszollbehörde ihre Entscheidung über den Antrag des Beteiligten."

13 Nach Artikel 243 des Zollkodex kann jede Person gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts, die sie unmittelbar und persönlich betreffen, einen Rechtsbehelf in dem Mitgliedstaat einlegen, in dem die Entscheidung getroffen wurde.

Sachverhalt

14 Die Klägerin Kia Motors Nederland vertreibt aus Korea stammende Fahrzeuge der Marke Kia in den Niederlanden. Die Klägerin Brökman Motorships ist Zollspediteur; als solcher gibt sie für ihre Kunden Erklärungen ab, die sich vertraglich verpflichten, die von ihr im Namen der Kunden entrichteten Zölle an sie zu zahlen.

15 Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß im streiterheblichen Zeitraum für die Einfuhr von Fahrzeugen aus Südkorea in die Gemeinschaft Zollpräferenzmaßnahmen im Sinne von Artikel 20 des Zollkodex galten.

16 Im Frühjahr 1994 bestellte ein Einführer mit in der Türkei, die IHLAS Industry and Foreign Trade (im folgenden: IHLAS), bei der Kia Motors Corporation (im folgenden: Kia Motors), einem Automobilhersteller mit Sitz in Südkorea, eine Partie von dreihundert gewerblichen Fahrzeugen. Vor Eintreffen der Fahrzeuge stellte IHLAS jedoch fest, daß diese aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in der Türkei unverkäuflich waren. Beim Eintreffen der Fahrzeuge stellte IHLAS sie unter Zollüberwachung und nahm Kontakt mit Kia Motors auf, um eine Lösung zu finden. Die Fahrzeuge verblieben unter Zollüberwachung und sind somit in der Türkei nicht verzollt worden.

17 Als Kia Motors Nederland hiervon erfuhr, zeigte sie Interesse daran, die fraglichen Fahrzeuge in den Niederlanden zu vertreiben, und kaufte sie. Aus Vereinfachungsgründen wurden die Fahrzeuge von Kia Motors nicht physisch zurückgenommen, bevor sie an Kia Motors Nederland geliefert wurden, sondern sie wurden am 1. Juli 1994 unmittelbar aus der Türkei nach den Niederlanden verschifft. Brökman Motorships übernahm die Abgabe der Einfuhrerklärung für Kia Motors Nederland. In der Erklärung vom 18. Juli 1994 verlangte sie die Anwendung des für Fahrzeuge mit Ursprung in Südkorea geltenden Präferenzzolls. Zu diesem Zweck legte sie ein von den südkoreanischen Behörden ausgestelltes Ursprungszeugnis vor.

18 Am 5. Oktober 1994 erhoben die niederländischen Zollbehörden von Brökman Motorships nichtpräferentielle Einfuhrzölle in Höhe von insgesamt 474 584,30 HFL. Sie lehnten die Gewährung des Präferenzzolls mit der Begründung ab, die fraglichen Fahrzeuge seien nicht im Sinne von Artikel 75 Absatz 1 der Durchführungsverordnung "unmittelbar befördert" worden. Kia Motors Nederland überwies den geforderten Betrag an Brökman Motorships, die ihn an die Zollbehörden entrichtete.

19 Am 10. Juli 1995 stellte Kia Motors Nederland beim Inspecteur van de Belastingdienst/Douane Rotterdam (im folgenden: Zollamt) einen Erstattungsantrag nach Artikel 239 des Zollkodex und den Artikeln 899 ff. der Durchführungsverordnung. In ihrem Antrag trug sie vor, die Fahrzeuge seien in der Türkei weder verzollt noch irgendeiner Verarbeitung unterzogen worden. Der südkoreanische Ursprung der Fahrzeuge sei unstreitig, und die Fahrzeuge seien unmittelbar aus der Türkei nach den Niederlanden befördert worden, um unnötige Transportkosten zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund und im Licht des Zweckes der Präferenzmaßnahmen sei das Erfordernis der "unmittelbaren Beförderung" durchaus erfuellt, auch wenn die Fahrzeuge formal betrachtet nicht unmittelbar aus Südkorea nach den Niederlanden befördert worden seien; somit liege ein besonderer Fall vor, der die Erstattung der erhobenen Abgaben rechtfertige.

20 Mit Schreiben vom 30. November 1995 bat das Zollamt um zusätzliche Auskünfte zwecks Stellung eines Antrags an die Kommission nach Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 der Durchführungsverordnung. Es bat insbesondere um Vorlage einer Bescheinigung der türkischen Behörden darüber, daß an den Fahrzeugen keine Änderungen vorgenommen worden seien, während sie sich in der Türkei befunden hätten. Es äusserte ferner Vorbehalte hinsichtlich des dem Erstattungsantrag beigefügten Ursprungszeugnisses, da der auf diesem Zeugnis angegebene Gesamtwert der Fahrzeuge sich von dem auf den Rechnungen der IHLAS angegebenen Wert unterschied. Für die Beantwortung seines Schreibens setzte es eine Frist von drei Monaten.

21 Mit Schreiben vom 28. März 1996 wurden dem Zollamt zusätzliche Unterlagen vorgelegt, darunter insbesondere Bescheinigungen der Zollbehörden, denen zufolge die Fahrzeuge in der Türkei nicht verzollt worden waren, und eine Bescheinigung von Kia Motors, aus der hervorging, daß das Ursprungszeugnis tatsächlich die dreihundert über die Türkei nach Rotterdam beförderten Fahrzeuge betraf. Die Echtheit und Richtigkeit des Ursprungszeugnisses wurde danach vom Seoul Metropolitan Government bestätigt. IHLAS gab eine schriftliche Erklärung ab, der zufolge an den Fahrzeugen in der Türkei keine Änderung vorgenommen worden war.

22 Mit Schreiben vom 1. Oktober 1996 machte der Direktor der Zolldirektion Rotterdam der Kommission nach Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 905 der Durchführungsverordnung Mitteilung vom Erstattungsantrag der Klägerinnen.

23 Mit an die Niederlande gerichteter Entscheidung vom 8. April 1997 (im folgenden: streitige Entscheidung) erklärte die Kommission die beantragte Erstattung der Einfuhrabgaben für nicht gerechtfertigt. Die streitige Entscheidung erging nach Anhörung "einer aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden Sachverständigengruppe". In ihrer Entscheidung führt die Kommission zunächst aus, die Niederlande hätten sie um Entscheidung über den streitigen Erstattungsantrag ersucht, und sie habe diesen Antrag am 14. Oktober 1996 erhalten. Der Präferenzzoll habe auf die streitige Einfuhr nicht angewandt werden können, da "die fraglichen Erzeugnisse über die Türkei befördert" worden seien und da "die Präferenzregelung in Anbetracht dessen, daß die Beförderung durch dieses Land nicht aus geographischen oder ausschließlich beförderungstechnischen Gründen im Sinne von Artikel 75 Absatz 1 der [Durchführung-]Verordnung gerechtfertigt" gewesen sei, nicht habe gewährt werden können. Diesem Ergebnis stehe nicht entgegen, daß kurz nach der Einfuhr der fraglichen Fahrzeuge in die Niederlande die Verordnung Nr. 3254/94 in Kraft getreten sei, da diese keine Rückwirkung habe.

24 Mit Schreiben vom 9. April 1997 hat die Kommission die streitige Entscheidung der Ständigen Vertretung der Niederlande bei der Europäischen Union mitgeteilt. Auf der Grundlage der Entscheidung der Kommission hat das Zollamt den Antrag von Kia Motors Nederland am 28. April 1997 zurückgewiesen. Dieser Entscheidung war eine Abschrift der Entscheidung der Kommission beigefügt.

Verfahren und Anträge der Parteien

25 Aufgrund dessen haben die Klägerinnen mit Klageschrift, die am 27. Juni 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

26 Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 12. Mai 1998 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

27 Die Klägerinnen beantragen,

- die streitige Entscheidung aufzuheben;

- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

28 Die Beklagte beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Gründe

29 Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages geltend gemacht. Der zweite Klagegrund ist auf einen Verstoß gegen Artikel 75 der Durchführungsverordnung gestützt. Mit dem dritten Klagegrund wird ein Verstoß gegen Artikel 76 der Durchführungsverordnung geltend gemacht. Der vierte Klagegrund stützt sich auf einen Verstoß gegen Artikel 239 des Zollkodex.

Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 190 des Vertrages

Vorbringen der Parteien

30 Die Klägerinnen tragen vor, die streitige Entscheidung sei auf die blosse Behauptung gestützt, die Anforderungen des Artikels 75 der Durchführungsverordnung seien nicht erfuellt. Die Kommission habe nicht nachgeprüft, u. a. anhand der dem Erstattungsantrag beigefügten Nachweise, ob besondere Umstände vorgelegen hätten, die eine Erstattung rechtfertigen könnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes obliege es der Kommission, in jedem Einzelfall anzuzeigen, ob solche Umstände vorlägen, und ihre Entscheidung insoweit zu begründen (Urteil des Gerichtshofes vom 13. November 1984 in den verbundenen Rechtssachen 98/83 und 230/83, Van Gend & Loos u. a./Kommission, Slg. 1984, 3763).

31 Nach Auffassung der Beklagten entspricht die streitige Entscheidung den in der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Begründung. Insbesondere habe die Kommission alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte angegeben, auf die sie ihre Beurteilung gestützt habe. In der Entscheidung werde insbesondere erklärt, daß die fraglichen Waren nicht im Sinne von Artikel 75 der Durchführungsverordnung "unmittelbar befördert" worden seien, da sie durch die Türkei befördert worden seien, ohne daß dies aus geographischen oder beförderungstechnischen Gründen gerechtfertigt gewesen sei. Angesichts dessen hätten die Klägerinnen von den Gründen der Entscheidung Kenntnis nehmen und ihre Rechte verteidigen können.

32 Die Entscheidung entspreche im übrigen genau dem Erstattungsantrag, wie dieser vom Direktor der Zolldirektion Rotterdam formuliert worden sei. So hätten sich die in diesem Antrag vorgetragenen Argumente auf die Anwendung des Artikels 75 der Durchführungsverordnung durch die niederländischen Zollbehörden bezogen.

Würdigung durch das Gericht

33 Zunächst ist festzustellen, daß Artikel 239 des Zollkodex eine "auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel" im Sinne der Rechtsprechung zu der früher geltenden, entsprechenden Bestimmung des Artikels 13 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1), geändert durch Artikel 1 Absatz 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 286, S. 1), ist, in dem es hieß: "Die Eingangsabgaben können ausser in den in den Abschnitten A bis D genannten Fällen bei Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat" (vgl. zu dieser Rechtsprechung Urteil des Gerichtshofes vom 26. März 1987 in der Rechtssache 58/86, Coopérative agricole d'approvisionnement des Avirons, Slg. 1987, 1525, Randnr. 22, und zuletzt Urteil des Gerichts vom 19. Februar 1998 in der Rechtssache T-42/96, Eyckeler und Malt/Kommission, Slg. 1998, II-0000, Randnr. 132). Die Ähnlichkeit zwischen Artikel 239 des Zollkodex und Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 ergibt sich insbesondere daraus, daß diese Vorschrift "in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 [des Zollkodex] genannten Fällen" Anwendung findet, bei denen es sich nach Artikel 905 der Durchführungsverordnung um "besondere Fälle" handeln muß. Auch die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits gehen davon aus, daß Artikel 239 des Zollkodex in der gleichen Weise auszulegen ist wie Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79.

34 Nach ständiger Rechtsprechung muß die nach Artikel 190 des Vertrages vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. Ferner brauchen nach dieser Rechtsprechung in der Begründung eines Rechtsakts nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 190 des Vertrages genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnr. 86, und Urteil des Gerichts vom 30. April 1998 in der Rechtssache T-214/95, Vlaams Gewest/Kommission, Slg. 1998, II-0000, Randnrn. 62 f.).

35 Aus der Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die die Erstattung von Einfuhrzöllen regeln (siehe oben, Randnrn. 1 bis 13), verleiht allein Artikel 905 der Kommission eine Entscheidungsbefugnis. Er ermächtigt sie, zu den aufgrund von Artikel 239 des Zollkodex gestellten Erstattungsanträgen, die ihr von den nationalen Zollbehörden vorgelegt werden, Stellung zu nehmen. Wie der Gerichtshof im Zusammenhang mit Verfahren festgestellt hat, die auf der Grundlage des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 geführt wurden, obliegt es jedoch der Kommission nach dieser Bestimmung, in jedem Einzelfall anzuzeigen, ob besondere Umstände vorliegen, und ihre Entscheidung insoweit zu begründen (zitiertes Urteil Van Gend & Loos u. a./Kommission, Randnr. 18)

36 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, daß die Kommission zu der Auffassung gelangt ist, hier lägen keine besonderen Umstände vor, jedoch nicht die Gründe angegeben hat, die sie zu dieser Annahme führten. In ihrer Entscheidung stellte die Kommission nämlich fest, die fragliche Einfuhr erfuelle nicht die in Artikel 75 der Durchführungsverordnung aufgestellte Voraussetzung der unmittelbaren Beförderung, so daß der Erstattungsantrag nicht begründet sei. Wie die Beklagte jedoch selbst in ihren Schriftsätzen ausgeführt hat, geht es bei den aufgrund von Artikel 239 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 905 der Durchführungsverordnung an die Kommission gerichteten Anträgen nicht um die Frage, ob Vorschriften des materiellen Zollrechts, wie Artikel 75 der Durchführungsverordnung, von den nationalen Zollbehörden richtig angewandt worden sind. Eine solche Frage gehört nämlich nach Artikel 236 des Zollkodex in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Zollbehörden, deren Entscheidungen nach Artikel 243 des Zollkodex vor den nationalen Gerichten angefochten werden können, die ihrerseits den Gerichtshof aufgrund von Artikel 177 des Vertrages anrufen können.

37 Auf die in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage, ob - unabhängig davon, daß die Klägerinnen die in Artikel 75 der Durchführungsverordnung aufgestellten spezifischen Voraussetzungen nicht erfuellt haben - besondere Umstände vorlagen, die unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Erstattung hätten rechtfertigen können, und insbesondere zu der in der streitigen Entscheidung von ihr auf diese Frage gegebenen Antwort hat die Beklagte auf die in dieser Entscheidung enthaltene Begründungserwägung verwiesen, in der es heisst: "Das wenige Monate nach der fraglichen Einfuhr vom 18. Juli 1994 erfolgte Inkrafttreten der flexibleren Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 3254/94 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 ist nicht von der Art, daß es zu einer Situation im Sinne des Artikels 239 der Verordnung (EWG)) Nr. 2913/92 führen würde, da diese Vorschriften nur der Ausdruck einer neuen Handelspolitik der Gemeinschaft gegenüber den Ländern ist, für die das allgemeine Präferenzsystem gilt. Da diese neue Handelspolitik keine Rückwirkung hat, ist die von den Gemeinschaftsbehörden bis zu ihrem Inkrafttreten verfolgte Politik hiervon nicht betroffen." Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission mit dieser Begründungserwägung lediglich klarstellen wollen, daß die spezifischen Voraussetzungen des Artikels 75 der Durchführungsverordnung auf die fragliche Einfuhr angewandt werden müssten, ungeachtet des späteren Inkrafttretens flexiblerer Kriterien (zu diesen Kriterien siehe oben, Randnr. 6). In diesem Teil der Begründung der streitigen Entscheidung geht es somit, wie in allen anderen Teilen dieser Entscheidung, um die Frage, ob die Einfuhr der fraglichen Fahrzeuge in die Niederlande das Erfordernis der "unmittelbaren Beförderung" erfuellte. Diese Frage steht jedoch nicht im Zusammenhang mit Artikel 239 des Zollkodex.

38 Daraus folgt, daß die Kommission tatsächlich in den Gründen der streitigen Entscheidung dargelegt hat, warum sie der Auffassung war, daß die Zölle, die die niederländische Zollbehörde von den Klägerinnen verlangte, rechtmässig waren, während der verfügende Teil dieser Entscheidung, durch den der aufgrund von Artikel 239 des Zollkodex gestellte Antrag zurückgewiesen wurde, die Frage beantwortet, ob der Umstand, daß die Fahrzeuge in der Türkei unter Zollüberwachung gestellt worden waren und somit bei ihrer Einfuhr in die Niederlande weiterhin koreanischen Ursprungs waren, es aufgrund der allgemeinen Billigkeitsklausel erlaubte, die Klägerinnen von der Zahlung der Abgaben, die nach den zolltechnischen Vorschriften gesetzlich geschuldet waren, zu befreien (vgl. hierzu Urteil des Gerichtshofes vom 12. März 1987 in den verbundenen Rechtssachen 244/85 und 245/85, Cerealmangimi und Italgrani/Kommission, Slg. 1987, 1303, Randnr. 11). Somit ist festzustellen, daß die Kommission - unter Berücksichtigung sämtlicher einschlägiger Rechtsvorschriften - ihre Entscheidung nicht begründet hat.

39 Das Vorbringen der Beklagten, die streitige Entscheidung sei hinreichend begründet, da die Ausführungen im Erstattungsantrag sich ebenfalls auf Artikel 75 der Durchführungsverordnung bezogen hätten, steht dieser Feststellung nicht entgegen. Insoweit ist daran zu erinnern, daß eine Entscheidung stets so begründet werden muß, daß der Gemeinschaftsrichter seine Rechtmässigkeitskontrolle ausüben kann. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfuellt. Die Kommission hat die Zurückweisung des Erstattungsantrags nämlich auf Erwägungen gestützt, die das Gericht nicht überprüfen kann. Die Beklagte hat im schriftlichen Verfahren selbst darauf hingewiesen, daß es nicht Sache des Gerichts ist, sich zu den das Erfordernis der "unmittelbaren Beförderung" betreffenden Fragen zu äussern, da gegen Entscheidungen betreffend die Auslegung und Anwendung von Artikel 75 der Durchführungsverordnung nationale Rechtsbehelfe gegeben sind.

40 Aus alledem ergibt sich, daß der Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 190 des Vertrages begründet ist. Folglich ist die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne daß zu den übrigen Klagegründen Stellung bezogen werden muß.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei die Kosten, wenn dies beantragt ist. Da die Kommission unterlegen ist, ist sie entsprechend dem Antrag der Klägerinnen in die Kosten zu verurteilen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

42 Die an das Königreich der Niederlande gerichtete Entscheidung der Kommission vom 8. April 1997 betreffend den Erlaß von Einfuhrabgaben wird für nichtig erklärt.

43 Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück