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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 08.03.1995
Aktenzeichen: T-2/93 DEPE
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Da das Gemeinschaftsrecht keine Gebührenordnung kennt, hat der Gemeinschaftsrichter bei der Kostenfestsetzung nach Artikel 92 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts die Gegebenheiten des Einzelfalls frei zu würdigen und dabei dem Gegenstand und der Art des Rechtsstreits, seiner Bedeutung aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht sowie seinem Schwierigkeitsgrad, dem Arbeitsaufwand der tätig gewordenen Bevollmächtigten oder Beistände im Zusammenhang mit dem Verfahren und dem wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten am Ausgang des Rechtsstreits Rechnung zu tragen, ohne daß er hierbei eine nationale Gebührenordnung für Rechtsanwälte oder eine eventuelle Gebührenvereinbarung zwischen dem betroffenen Beteiligten und seinen Bevollmächtigten oder Beiständen zu berücksichtigen braucht.

Da das Gericht bei der Festsetzung der erstattungsfähigen Kosten alle Umstände der Rechtssache bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung berücksichtigt, ist über die Kosten der Beteiligten im Kostenfestsetzungsverfahren nicht gesondert zu entscheiden.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ZWEITE ERWEITERTE KAMMER) VOM 8. MAERZ 1995. - AIR FRANCE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - KOSTENFESTSETZUNG. - RECHTSSACHE T-2/93 DEPE.

Entscheidungsgründe:

Verfahren

1 Mit Klageschrift, die am 5. Januar 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Société anonyme à participation ouvrière Compagnie nationale Air France (im folgenden: Klägerin oder Air France) gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 27. November 1992 (IV/M.259 ° British Airways/TAT; im folgenden: Entscheidung) betreffend ein Verfahren der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (berichtigte Fassung veröffentlicht im ABl. 1990, L 257, S. 13). Der fragliche Zusammenschluß betraf den Erwerb von 49,9 % des Kapitals der Gesellschaft TAT European Airlines durch British Airways, wobei die restlichen 50,1 % des Kapitals weiterhin von der TAT SA (im folgenden: TAT) gehalten wurden.

2 Mit Beschluß vom 15. Juli 1993 hat das Gericht das Vereinigte Königreich sowie British Airways und TAT als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.

3 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahmen zu eröffnen.

4 Die Beteiligten sind in der Sitzung vom 23. Februar 1994 mit ihren mündlichen Ausführungen und ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts angehört worden.

5 Mit Urteil vom 19. Mai 1994 hat das Gericht die Klage abgewiesen und Air France ihre eigenen Kosten sowie u. a. die Kosten der Streithelferin TAT auferlegt.

6 Mit Schreiben vom 1. Juni 1994 an Air France verlangte die Rechtsanwaltskanzlei, die TAT vertreten hatte, von Air France die Erstattung eines Gesamtbetrags von 328 000 FF. Dieser Betrag setzt sich aus Auslagen (Telefongespräche, Faxe, Vorlage von Schriftstücken, Fotokopien, Porto, Kosten des Zustellungsbevollmächtigten und Reisekosten) in Höhe von insgesamt 19 908 FF und einem Honorar von insgesamt 308 092 FF zusammen.

7 Vor diesem Hintergrund hat Air France mit Antragsschrift, die am 4. Juli 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt, mit dem sie beantragt, die erstattungsfähigen Kosten von TAT auf 65 600 FF festzusetzen.

8 Am 5. September 1994 hat TAT seine Stellungnahme zu dem Kostenfestsetzungsantrag eingereicht. Die anderen Beteiligten des Rechtsstreits haben keine Stellungnahme abgegeben.

Zur Kostenfestsetzung

9 Zur Begründung ihres Kostenfestsetzungsantrags bringt Air France folgendes vor:

° TAT habe sich in ihrem Streithilfeschriftsatz bezueglich der Zulässigkeit der Klage darauf beschränkt, sich auf amerikanische Gerichtsentscheidungen zu berufen und deren Inhalt wiederzugeben.

° Bezueglich der Begründetheit habe TAT sich darauf beschränkt, sich die Auffassung der Kommission zu eigen zu machen.

° In der mündlichen Verhandlung habe TAT rein politische Ausführungen gemacht, die mit dem Gegenstand der Erörterung nichts zu tun gehabt hätten, da sie lediglich Fragen staatlicher Beihilfen betroffen hätten.

° Unter diesen Umständen sei es nicht erforderlich gewesen, daß TAT sich von zwei Rechtsanwälten habe vertreten lassen.

10 Air France macht ferner geltend, die Auslagen erschienen angesichts der objektiven Notwendigkeiten der Streithilfe von TAT ebenfalls als erstaunlich hoch.

11 In ihrer Entgegnung auf das Vorbringen von Air France gibt TAT einen kurzen Überblick über den Inhalt ihres Streithilfeschriftsatzes und ihrer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung. Sie widerspricht der Ansicht von Air France, daß letztere nicht sachbezogen gewesen seien. Sie macht geltend, der Kostenfestsetzungsantrag von Air France sei nur ein Beweis mehr für deren ständiges Bestreben, sich den Folgen des geltenden Rechts und der Entscheidungen der europäischen Gerichte zu widersetzen.

12 Zum Inhalt ihres Streithilfeschriftsatzes führt TAT ferner aus, die Frage der Zulässigkeit von Klagen von Drittkonkurrenten gegen Entscheidungen der Kommission über Unternehmenszusammenschlüsse sei neu gewesen, weshalb es gerechtfertigt gewesen sei, eine Analyse des amerikanischen Rechts auf diesem Gebiet vorzunehmen.

13 Zum Arbeitsaufwand trägt TAT vor, die Rechtssache habe eingehende Nachforschungen in der rechts- und der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, eine Untersuchung des gesamten Akteninhalts und eine ständige Koordinierung sowie zahlreiche Zusammenkünfte mit der Kommission und British Airways erfordert. Unter diesen Umständen sei es legitim gewesen, daß sie sich sowohl von einem Teilhaber einer Rechtsanwaltskanzlei als auch ° zu einem niedrigeren Tarif ° von einem Mitarbeiter dieser Anwaltskanzlei habe vertreten lassen, damit die Arbeit effizienter erledigt werde. Überdies habe die Anwaltskanzlei für die Abfassung des Streithilfeschriftsatzes und die Vertretung von TAT in der Sitzung insgesamt rund 168 Stunden in Rechnung gestellt.

14 TAT macht ferner geltend, angesichts des wirtschaftlichen Interesses, das der Rechtsstreit für sie gehabt habe, sei ein hohes Honorar gerechtfertigt. TAT verweist insoweit auf die deutsche Rechtsanwaltsgebührenordnung, bei deren Anwendung weitaus höhere Gebühren angefallen wären, als ihre Rechtsanwälte sie verlangten.

15 Schließlich weist TAT darauf hin, daß es sich bei den in Rechnung gestellten Auslagen um die Aufwendungen im Rahmen der Streithilfe handele. Abschließend beantragt sie daher, die Kosten in Höhe der Beträge festzusetzen, die die Rechtsanwaltskanzlei, die sie vertreten hat, in ihrem Schreiben vom 1. Juni 1994 an Air France angegeben hat.

16 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht, da das Gemeinschaftsrecht keine Gebührenordnung kennt, die Gegebenheiten des Einzelfalls frei zu würdigen und dabei dem Gegenstand und der Art des Rechtsstreits, seiner Bedeutung aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht sowie seinem Schwierigkeitsgrad, dem Arbeitsaufwand der tätig gewordenen Bevollmächtigten oder Beistände im Zusammenhang mit dem Verfahren und dem wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten am Ausgang des Rechtsstreits Rechnung zu tragen hat und daß es zu diesem Zweck weder eine nationale Gebührenordnung für Rechtsanwälte noch eine eventuelle Gebührenvereinbarung zwischen dem betroffenen Beteiligten und seinen Bevollmächtigten oder Beiständen zu berücksichtigen braucht (Beschluß des Gerichtshofes vom 26. November 1985 in der Rechtssache 318/82, Leeuwarder Papierwarenfabriek/Kommission, Slg. 1985, 3727, und Beschluß des Gerichts vom 25. Februar 1992 in den Rechtssachen T-18/89 und T-24/89, Tagaras/Gerichtshof, Slg. 1992, II-153, Randnr. 13).

17 Im vorliegenden Fall erforderte die Rechtssache eine Untersuchung von wirtschaftlichen wie rechtlichen Fragen sowie die Prüfung eines vielschichtigen Sachverhalts. Daher war es nach der Art des Rechtsstreits gerechtfertigt, daß TAT sich sowohl von einem Teilhaber als auch von einem Mitarbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei vertreten ließ. Dies gilt auch für die Vertretung von TAT in der mündlichen Verhandlung.

18 Zum Inhalt des Streithilfeschriftsatzes von TAT ist festzustellen, daß diese sich entgegen der Ansicht von Air France nicht darauf beschränkt hat, sich zur Begründung des Vorbringens, mit dem sie die Unzulässigkeit der Klage dartun wollte, auf die amerikanische Rechtsprechung auf diesem Gebiet zu berufen. Die in dem Schriftsatz enthaltene kurze Untersuchung des amerikanischen Rechts kann unter den Umständen des vorliegenden Falles auch nicht als nicht sachdienlich angesehen werden.

19 Ausserdem hat TAT in ihrem Schriftsatz zwar vor allem die Frage der Zulässigkeit der Klage behandelt, darüber hinaus aber auch eigenständige sachdienliche Ausführungen zur Begründetheit gemacht, die sich von denen in den Schriftsätzen der Kommission unterschieden.

20 Ferner ist auch das Vorbringen von Air France zum Ablauf der mündlichen Verhandlung nicht begründet. Zwar können einige der Bemerkungen von TAT in der mündlichen Verhandlung tatsächlich als politische Bemerkungen qualifiziert werden, doch stellten diese nur einen Teil ihrer Ausführungen dar.

21 Schließlich sieht das Gericht auch keinen Anlaß dafür, den Betrag der von den Anwälten von TAT gemäß den Darlegungen im oben erwähnten Schreiben vom 1. Juni 1994 geltend gemachten Auslagen herabzusetzen, da diese ihm angesichts der Art des Rechtsstreits als angemessen erscheinen.

22 Wenngleich aber die konkreten Einwände von Air France gegen die Höhe der Kosten, deren Erstattung TAT beantragt, zurückzuweisen sind, hat das Gericht doch, wie oben ausgeführt, frei zu würdigen, bis zu welchem Betrag die Erstattung des Honorars, das ein Beteiligter seinen Rechtsanwälten schuldet, von dem zur Tragung der Kosten verurteilten Beteiligten verlangt werden kann.

23 Insoweit ist das Gericht der Ansicht, daß die Natur des Rechtsstreits wie auch das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten an dessen Ausgang ein hohes Honorar rechtfertigen.

24 Zur Bedeutung der Rechtssache aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht, zu deren Schwierigkeitsgrad und zum Arbeitsaufwand der tätig gewordenen Rechtsanwälte von TAT ist festzustellen, daß diese sich, wie sich schon aus dem Inhalt ihres Streithilfeschriftsatzes ergibt, überwiegend mit der Frage der Zulässigkeit von Klagen von Drittkonkurrenten gegen Entscheidungen der Kommission über Unternehmenszusammenschlüsse befasst hat; diese Frage erforderte umfangreiche Nachforschungen seitens der Rechtsanwälte von TAT.

25 Nach alledem ist der Gesamtbetrag der von Air France TAT zu erstattenden Kosten einschließlich der Auslagen der Rechtsanwälte von TAT auf 220 000 FF festzusetzen.

26 Da das Gericht bei der Festsetzung der erstattungsfähigen Kosten alle Umstände der Rechtssache bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung berücksichtigt hat, ist über die Kosten der Beteiligten in diesem Nachverfahren nicht gesondert zu entscheiden.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

beschlossen:

Der Gesamtbetrag der von der Klägerin der Streithelferin TAT SA zu erstattenden Kosten wird auf 220 000 FF festgesetzt.

Luxemburg, den 8. März 1995

Ende der Entscheidung

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