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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 07.02.2002
Aktenzeichen: T-211/00
Rechtsgebiete: Beschluss 93/731/EG


Vorschriften:

Beschluss 93/731/EG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn der Rat entscheidet, ob der Zugang zu einem Dokument das durch Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigen kann, übt er ein Ermessen im Rahmen der politischen Verantwortung aus, die ihm die Bestimmungen der Verträge zuweisen. Daher muss sich die Kontrolle durch das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die Verfahrensregeln und die Bestimmungen über die Begründung der fraglichen Entscheidung eingehalten worden sind, der Sachverhalt zutrifft, bei der Tatsachenwürdigung kein offensichtlicher Fehler vorgekommen ist und kein Ermessensmissbrauch vorliegt.

( vgl. Randnr. 53 )

2. Der Zugang der Öffentlichkeit zu den im Besitz der Organe befindlichen Dokumenten stellt den Grundsatz dar, seine Ablehnung die Ausnahme. Eine ablehnende Entscheidung ist nur rechtsgültig, wenn sie auf einer der Ausnahmen nach Artikel 4 des Beschlusses 93/731 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten beruht. Diese Ausnahmen müssen eng ausgelegt und angewandt werden, um die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, der in diesem Beschluss verankert ist, nicht zu beeinträchtigen. Der Rat muss insoweit für jedes Dokument, zu dem der Zugang beantragt ist, prüfen, ob dessen Offenlegung nach den ihm vorliegenden Informationen tatsächlich geeignet ist, einen der durch die Ausnahmen des Artikels 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 geschützten Aspekte des öffentlichen Interesses zu verletzen. Diese Ausnahmen können daher nur angewandt werden, wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses absehbar und nicht rein hypothetisch ist.

Die bloße Tatsache, dass bestimmte Dokumente negative Informationen oder Aussagen über die politische Lage oder den Menschenrechtsschutz in einem Drittland enthalten, bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass der Zugang zu ihnen wegen der Gefahr der Beeinträchtigung eines öffentlichen Interesses abgelehnt werden darf, und reicht allein und abstrakt betrachtet nicht aus, um einen Antrag auf Zugang abzulehnen. Die Verweigerung des Zugangs zu den fraglichen Dokumenten muss vielmehr auf einer Analyse des Inhalts oder Kontexts jedes einzelnen Dokuments beruhen, die den Schluss erlaubt, dass die Verbreitung des Dokuments aufgrund bestimmter besonderer Umstände eine Gefahr für ein öffentliches Interesse nach sich ziehen würde.

( vgl. Randnrn. 55-56, 60-61 )

3. Die in Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten vorgesehenen Ausnahmen sind unter Berücksichtigung der Grundsätze des Rechts auf Information und der Verhältnismäßigkeit auszulegen. Der Rat hat daher zu prüfen, ob ein auf die von den Ausnahmen nicht gedeckten Angaben begrenzter, teilweiser Zugang zu gewähren ist. Eine Befreiung von der Verpflichtung, einen teilweisen Zugang zu gewähren, kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Verwaltung durch die Unkenntlichmachung der nicht verbreitbaren Stellen in besonderem Maße belastet würde, so dass damit die Grenzen dessen überschritten würden, was vernünftigerweise verlangt werden kann.

( vgl. Randnr. 57 )


Urteil des Gerichts erster Instanz (Vierte Kammer) vom 7. Februar 2002. - Aldo Kuijer gegen Rat der Europäischen Union. - Transparenz - Beschluss 93/731/EG des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten - Ablehnung eines Antrags auf Zugang - Schutz des öffentlichen Interesses - Internationale Beziehungen - Offensichtlicher Fehler - Teilweiser Zugang. - Rechtssache T-211/00.

Parteien:

In der Rechtssache T-211/00

Aldo Kuijer, wohnhaft in Utrecht (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: O. W. Brouwer und T. Janssens, advocaten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer und M. Bishop als Bevollmächtigte,

Beklagter,

"wegen Nichtigerklärung der dem Kläger mit Schreiben vom 7. Juni 2000 mitgeteilten Entscheidung des Rates, mit der ihm der im Rahmen des Beschlusses 93/731/EG des Rates vom 20. Dezember 1993 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. L 340, S. 43) beantragte Zugang zu bestimmten Dokumenten des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen (CIREA) verweigert wird,

erlässt DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten P. Mengozzi, der Richterin V. Tiili und des Richters R. M. Moura Ramos,

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Der Rat und die Kommission stimmten am 6. Dezember 1993 einem Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten (ABl. L 340, S. 41) zu, der die Grundsätze für den Zugang zu den in ihrem Besitz befindlichen Dokumenten festlegt. Dieser Verhaltenskodex enthält folgenden Grundsatz: "Die Öffentlichkeit erhält möglichst umfassenden Zugang zu den Dokumenten der Kommission und des Rates."

2 Weiter heißt es darin: "Die Kommission und der Rat ergreifen vor dem 1. Januar 1994 jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich die erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung dieser Grundsätze."

3 Zur Erfuellung dieser Verpflichtung erließ der Rat am 20. Dezember 1993 den Beschluss 93/731/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten (ABl. L 340, S. 43).

4 Artikel 1 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 bestimmt: "Die Öffentlichkeit erhält Zugang zu den Dokumenten des Rates gemäß den Bedingungen dieses Beschlusses."

5 Artikel 4 lautet:

"(1) Der Zugang zu einem Ratsdokument darf nicht gewährt werden, wenn durch die Verbreitung des Dokuments Folgendes verletzt werden könnte:

- der Schutz des öffentlichen Interesses (öffentliche Sicherheit, internationale Beziehungen, Währungsstabilität, Rechtspflege, Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten);

- der Schutz des Einzelnen und der Privatsphäre;

- der Schutz des Geschäfts- und Industriegeheimnisses;

- der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft;

- die Wahrung der Vertraulichkeit, wenn dies von der natürlichen oder juristischen Person, die eine in dem Dokument enthaltene Information zur Verfügung gestellt hat, beantragt wurde oder aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der eine der betreffenden Informationen bereitgestellt hat, erforderlich ist.

(2) Der Zugang zu einem Ratsdokument kann zwecks Geheimhaltung der Erörterungen des Rates verweigert werden."

6 Artikel 5 des Beschlusses bestimmt:

"Der Generalsekretär beantwortet im Namen des Rates die Anträge auf Zugang zu Ratsdokumenten, außer in den Fällen nach Artikel 7 Absatz 3, in denen der Rat die Anträge beantwortet."

7 Artikel 7 Absätze 1 und 3 sieht vor:

"(1) Die zuständigen Dienststellen des Generalsekretariats teilen dem Antragsteller innerhalb einer Frist von einem Monat schriftlich mit, ob seinem Antrag stattgegeben wird oder ob die Absicht besteht, ihn abzulehnen. Im letzteren Fall wird dem Antragsteller außerdem mitgeteilt, welches die Gründe für die beabsichtigte Ablehnung sind und dass er binnen eines Monats durch Einreichung eines Zweitantrags um Überprüfung dieses Standpunkts ersuchen kann und dass andernfalls davon ausgegangen wird, dass er seinen Erstantrag zurückgezogen hat.

...

(3) Die Ablehnung eines Zweitantrags muss innerhalb eines Monats nach Antragstellung erfolgen und ist ordnungsgemäß zu begründen..."

8 Artikel 1 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union in der durch den Vertrag von Amsterdam geänderten Fassung bestimmt:

"Dieser Vertrag stellt eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden."

Sachverhalt

9 Der Kläger lehrt und forscht an einer Hochschule auf dem Gebiet des Asyl- und Einwanderungsrechts. Mit Schreiben vom 3. Juli 1998 an den Generalsekretär des Rates beantragte er Zugang zu bestimmten Dokumenten, die mit der Tätigkeit des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen (CIREA) in Zusammenhang stehen. Dabei handelte es sich um einige Berichte, die vom CIREA oder in Zusammenarbeit mit ihm erstellt worden waren, und um Berichte über gemeinsame Informationsreisen oder dem CIREA übermittelte Berichte über Informationsreisen, die von Mitgliedstaaten in Drittländern durchgeführt wurden. Ferner ersuchte der Kläger um die vom CIREA oder in Zusammenarbeit mit ihm erstellte Liste der in den Mitgliedstaaten mit Asylanträgen befassten Kontaktpersonen (nachfolgend: Liste der Kontaktpersonen) samt aller späteren Änderungen dieser Liste.

10 Mit Schreiben vom 28. Juli 1998 antwortete der Generalsekretär dem Kläger, dass von 1994 bis 1998 CIREA-Berichte über die Situation der in ihr Herkunftsland zurückkehrenden Asylbewerber für Albanien, Angola, Sri Lanka, Bulgarien, Türkei, China, Zaire, Nigeria und Vietnam erstellt worden seien. Er lehnte jedoch den Antrag auf Zugang zu diesen Berichten sowie zur Liste der Kontaktpersonen gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 ab. Die Verbreitung dieser Liste könne "Belästigungen und persönliche Bedrohungen zur Folge haben und somit den Schutz Einzelner und ihrer Privatsphäre gefährden". Für das CIREA erstellte Berichte gebe es nicht.

11 Mit Schreiben vom 25. August 1998 stellte der Kläger einen Zweitantrag nach Artikel 7 Absatz 1 des Beschlusses 93/731. Bezüglich der CIREA-Berichte zeigte er sich überrascht, dass "der Rat z. B. auch die Berichte über Länder wie Nigeria, Iran und Irak vertraulich behandeln möchte, obwohl kaum behauptet werden kann, dass die Beziehungen zwischen der Union und diesen Ländern freundschaftlich sind". Zu den für das CIREA erstellten Berichten legte er im Einzelnen die Gründe dar, aus denen er annahm, dass die Antwort des Generalsekretärs, solche Berichte gebe es nicht, falsch sei. Außerdem wandte er sich gegen den Teil der Entscheidung, der die Liste der Kontaktpersonen betraf.

12 Mit Schreiben vom 28. September 1998 übermittelte der Generalsekretär dem Kläger die Entscheidung des Rates über die Ablehnung des Zweitantrags. In dem Schreiben heißt es:

"Der Rat hat nach eingehender Prüfung beschlossen, hinsichtlich der [die CIREA-Berichte und die Liste der Kontaktpersonen] betreffenden Anträge [die Entscheidung des Generalsekretärs], wie sie im Schreiben vom 28. Juli 1998 dargelegt wurde, zu bestätigen. Nach Prüfung jedes der folgenden Dokumente hat der Rat entschieden, sie aus folgenden Gründen nicht zu verbreiten:

a) [Nummer des Dokuments]: Begleitvermerk des Generalsekretariats des Rates an das CIREA: Bericht der Missionschefs der Zwölf über die Situation der Asylbewerber [eines Landes], die [in dieses Land] zurückkehren. Dieser Bericht enthält sehr sensible Informationen über die politische, wirtschaftliche und soziale Lage [in dem betreffenden Land], die von den Missionschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in diesem Land stammen. Der Rat ist der Ansicht, dass die Verbreitung dieser Informationen den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und [diesem Land] schaden könnte. Daher hat der Rat entschieden, den Zugang zu diesem Dokument gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses [93/731] (internationale Beziehungen) zu verweigern.

...

b) Liste der [Kontakt-]Personen des CIREA, die sich mit Asylfragen beschäftigen: Dem Generalsekretariat war es nicht möglich, ein bestimmtes Dokument des Rates mit einer [solchen] Liste aufzufinden...

Im Übrigen wird der Rat weiter nach Dokumenten (ab 1994) forschen, die für das CIREA erstellte Berichte enthalten... Der Kläger wird über die Ergebnisse dieser Nachforschungen zu gegebener Zeit unterrichtet werden."

13 Am 14. Oktober 1998 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass nach Nachforschungen der zuständigen Dienststellen des Generalsekretariats entschieden worden sei, ihm Zugang zu zehn Berichten der dänischen Behörden über Ermittlungen in Drittländern zu gewähren. Außerdem wurde er darüber informiert, dass ihm der Zugang zu vier weiteren Berichten, die von den Behörden anderer (in dem Schreiben aufgeführter) Mitgliedstaaten für das CIREA erstellt worden waren, aus folgendem, für jedes dieser Dokumente gleichlautendem Grund verweigert werde:

"[D]as Generalsekretariat ist der Ansicht, dass die Verbreitung der in diesem Bericht enthaltenen sehr detaillierten und sensiblen Informationen die Beziehungen der Europäischen Union zu [dem betreffenden Land] und die bilateralen Beziehungen zwischen [dem Mitgliedstaat, dessen Dienststellen die Informationsreise durchgeführt haben,] und diesem Land gefährden könnte. Daher wird der Zugang zu diesem Dokument gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses [93/731] (internationale Beziehungen) nicht gewährt."

14 Am 4. Dezember 1998 erhob der Kläger eine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung des Rates vom 28. September 1998, mit der ihm der Zugang zu den genannten Dokumenten verweigert wurde.

15 Mit Schreiben vom 18. Mai 1999 übermittelte das Generalsekretariat dem Kläger eine neue Antwort des Rates auf den Zweitantrag vom 25. August 1998. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass es doch eine Liste der Kontaktpersonen gebe, und zwar in dem Dokument 5971/2/98 CIREA 18. Die mit Schreiben vom 28. September 1998 übermittelte Entscheidung über die Ablehnung des Zweitantrags sei daher insoweit fehlerhaft.

16 Der Rat lehnte es jedoch gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 ab, Zugang zu diesem Dokument zu gewähren. In seiner Antwort führte er aus: "[Das fragliche] Dokument enthält eine Liste der von jedem Mitgliedstaat benannten Kontaktpersonen, zwischen denen Angaben über Asylbewerber ausgetauscht werden können. Es enthält [außerdem] Informationen über die Herkunftsländer, für die sie zuständig sind, und nennt ihre Dienstanschrift sowie ihre Durchwahl- und Faxnummer." Es sei Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob und inwieweit diese Art von Informationen verbreitet werden könne. Einige Mitgliedstaaten hätten sich dagegen ausgesprochen, um die operationelle Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltung zu wahren. Wenn der Rat diese Informationen verbreite, die ihm zu dem konkreten Zweck übermittelt worden seien, ein internes Netz von Kontaktpersonen zu schaffen, um die Zusammenarbeit und die Koordination im Asylrecht zu erleichtern, würden sich die Mitgliedstaaten künftig zurückhalten, ihm derartige Auskünfte zu erteilen. Unter diesen Umständen könnte die Verbreitung dieses Dokuments das öffentliche Interesse am Funktionieren des Informationsaustauschs und an der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Asyl- und Einwanderungsrechts beeinträchtigen.

17 Mit Urteil vom 6. April 2000 in der Rechtssache T-188/98 (Kuijer/Rat, Slg. 2000, II-1959, nachfolgend: Urteil Kuijer) hat das Gericht die Entscheidung vom 28. September 1998 in der Fassung der Entscheidung vom 18. Mai 1999 für nichtig erklärt. Zum einen habe die Entscheidung nicht die Begründungserfordernisse des Artikels 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG) erfuellt, und zum anderen habe der Rat die Ausnahme des öffentlichen Interesses nach Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 dadurch in unverhältnismäßiger Weise angewandt, dass er es abgelehnt habe, Zugang zu den Passagen der verlangten Dokumente zu gewähren, die von dieser Ausnahme nicht gedeckt seien.

18 Auf dieses Urteil hin erließ der Rat am 5. Juni 2000 eine neue Entscheidung (nachfolgend: angefochtene Entscheidung). Er führte zunächst aus, dass die Berichte, zu denen Zugang beantragt worden sei, gemeinsame Merkmale aufwiesen, die es rechtfertigten, sie hinsichtlich des Beschlusses 93/731 einheitlich zu behandeln. Sie enthielten detaillierte Informationen über die allgemeine politische Lage und den Schutz der Menschenrechte in Drittländern, die als eine Kritik an diesen Ländern angesehen werden könnten. Derartige Berichte seien potenziell geeignet, die Beziehungen der Union zu diesen Ländern zu beeinträchtigen; die Beurteilung der möglichen Auswirkungen ihrer Weitergabe auf diese Beziehungen falle in die politische Zuständigkeit des Rates. Im konkreten Fall könne die Weitergabe tatsächlich die Beziehungen zu den betroffenen Drittländern belasten und zudem die Verbesserung der Lage von aus diesen Ländern stammenden Asylbewerbern gefährden und Schwierigkeiten mit Staaten hervorrufen, die sich in der gleichen Lage befänden wie die betreffenden Länder. Nach einer knappen Prüfung des jeweiligen Inhalts der fraglichen Dokumente gelangte der Rat dann zu der Auffassung, dass dem Kläger mit Ausnahme der Liste der Kontaktpersonen, die ihm mit Schreiben vom 9. Oktober 2000 ohne Namen und Telefon- und Faxnummern dieser Personen zugesandt worden war, keines dieser Dokumente zugänglich gemacht werden könne. Sie fielen unter die Ausnahme nach Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731, da ihre Verbreitung den Beziehungen der Union zu dem betreffenden Land schaden und in einigen Fällen die Lage von Personen gefährden könnte, die bestimmte in den Dokumenten enthaltene Informationen geliefert hätten.

Verfahren und Anträge der Parteien

19 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 11. August 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

20 Das schriftliche Verfahren ist am 5. Januar 2001 geschlossen worden, nachdem der Kläger darauf verzichtet hatte, eine Erwiderung einzureichen. Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

21 Mit Beschluss vom 20. März 2001 gemäß den Artikeln 65 Buchstabe b, 66 § 1 und 67 § 3 Absatz 3 der Verfahrensordnung des Gerichts hat das Gericht dem Beklagten aufgegeben, die streitigen Dokumente vorzulegen, und gleichzeitig bestimmt, dass sie in diesem Verfahren dem Kläger nicht übermittelt werden. Der Beklagte ist dieser Aufforderung nachgekommen.

22 Die Parteien haben in der Sitzung vom 12. Juli 2001 mündlich verhandelt und auf Fragen des Gerichts geantwortet.

23 Der Kläger beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- vom Rat die Vorlegung aller betroffenen Dokumente zu fordern;

- dem Rat die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten etwaiger Streithelfer aufzuerlegen.

24 Der Rat beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

25 Der Kläger beantragt die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung, soweit mit ihr sein Antrag auf Zugang zu bestimmten Dokumenten des CIREA abgelehnt wird. Dabei handelt es sich um folgende Dokumente:

a) Berichte, Analysen oder Beurteilungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die vom CIREA oder in Zusammenarbeit mit ihm von 1994 bis 1998 erstellt wurden und die Lage in Drittländern oder Regionen betreffen, aus denen zahlreiche Asylbewerber stammen oder in denen sie sich aufhalten;

b) alle Berichte über gemeinsame Informationsreisen oder alle dem CIREA von einem oder mehreren Mitgliedstaaten übermittelten Berichte über Informationsreisen, die von den betreffenden Mitgliedstaaten in einem Drittland durchgeführt wurden;

c) die Liste der Kontaktpersonen ohne deren Telefon- und Faxnummern sowie alle späteren Änderungen dieser Liste.

26 Der Kläger stützt seine Klage auf drei Klagegründe. Mit dem ersten wird ein Verstoß gegen den Beschluss 93/731, insbesondere gegen Artikel 4 Absatz 1, sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend gemacht. Mit dem zweiten wird ein Verstoß gegen die Begründungspflicht gerügt. Mit dem dritten wird ein Verstoß gegen den tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass den europäischen Bürgern ein möglichst umfassender und vollständiger Zugang zu den im Besitz der Union befindlichen Dokumenten zustehe, beanstandet.

27 Zu prüfen ist der Klagegrund, dass ein Verstoß gegen den Beschluss 93/731, insbesondere gegen Artikel 4 Absatz 1, sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliege.

Vorbringen der Parteien

Zu den streitigen Berichten

28 Der Kläger bestreitet, dass die streitigen Berichte bestimmte gemeinsame inhaltliche Merkmale aufwiesen, die es erlaubten, sie hinsichtlich des Beschlusses 93/731 einheitlich zu behandeln, und beruft sich dafür auf die Randnummern 39 und 40 des Urteils Kuijer.

29 Diese Berichte enthielten Fakten und keine Kritik an den betroffenen Drittländern in sensiblen Fragen wie ihrer allgemeinen politischen Lage oder dem Schutz der Menschenrechte.

30 Ihre Verbreitung berge also nicht die Gefahr, dass die Beziehungen der Union zu diesen Ländern beeinträchtigt würden. Erstens seien die Beziehungen etlicher dieser Länder zur Union aufgrund deren Tätigkeit im Bereich der Menschenrechte bereits schwierig oder es gebe deswegen gar keine solchen Beziehungen. Zweitens habe sich die politische Lage in einigen dieser Länder seit der Erstellung der streitigen Berichte stark verändert. Drittens habe der Rat die behauptete Gefahr nicht näher beschrieben. Viertens habe er nicht für jedes der fraglichen Dokumente erläutert, inwiefern die Verbreitung die konkrete und tatsächliche Gefahr berge, die politischen Beziehungen zum betreffenden Drittland zu beeinträchtigen.

31 Schließlich sei mit der angefochtenen Entscheidung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden; auch habe der Rat die Gefahr, die die Weitergabe der fraglichen Berichte für die internationalen Beziehungen darstelle, falsch eingeschätzt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob ein teilweiser Zugang zu den Berichten gewährt werden könne.

32 Der Rat streitet ab, gegen Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen zu haben.

33 Er macht vorab geltend, die Berichte über die fraglichen Drittländer wiesen, wie er bereits im dritten Absatz der angefochtenen Entscheidung ausgeführt habe, gemeinsame Merkmale auf, so dass sie hinsichtlich des Beschlusses 93/731 einheitlich behandelt werden müssten.

34 Er wendet sich hierbei gegen die Art und Weise, in der das Gericht im Urteil Kuijer den Sachverhalt gewürdigt hat. Diese Würdigung sei hinsichtlich der Möglichkeit, Zugang zu den von der geltend gemachten Ausnahme nicht gedeckten Passagen der angeforderten Berichte zu gewähren, fehlerhaft.

35 Er wendet sich ferner gegen die Argumentation des Gerichts auf der Grundlage der Prüfung der zehn Berichte, die von den dänischen Behörden für das CIREA erstellt wurden (Randnrn. 40 bis 42 und 57 des Urteils Kuijer). Das Gericht scheine in Randnummer 57 des Urteils Kuijer aus dem Inhalt dieser Berichte, zu denen Zugang gewährt worden sei und die zum großen Teil Beschreibungen und Tatsachenfeststellungen enthielten, die nicht unter die angeführte Ausnahme fielen, abzuleiten, dass die nicht zugänglich gemachten Berichte einen ganz entsprechenden Inhalt hätten und es somit möglich gewesen wäre, die sensiblen Passagen aus ihnen zu entfernen. Das sei nicht nachvollziehbar; die zugänglich gemachten Dokumente enthielten nichts, das es gerechtfertigt hätte, sie nicht ganz oder teilweise zu verbreiten. Wenn bestimmte Dokumente entsprechenden Typs und vergleichbarer Art nicht ganz oder teilweise verbreitet würden, so liege das daran, dass sie wesentliche Unterschiede aufwiesen und somit nicht dieselben Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen hätten.

36 Der Rat müsse, wie das Gericht selbst in Randnummer 37 des Urteils Kuijer anerkannt habe, jedes Dokument, zu dem der Zugang beantragt worden sei, auf seinen tatsächlichen Inhalt hin prüfen. Dass von einer Gruppe von Dokumenten mit bestimmten gemeinsamen Merkmalen einige verbreitet würden und andere nicht, beweise aber gerade, dass er dieser Verpflichtung nachgekommen sei.

37 Außerdem beurteile ein Mitgliedstaat den Schaden, den die Verbreitung eines von ihm selbst erstellten Dokuments verursachen könnte, nicht notwendigerweise ebenso wie wenn es sich um einen gemeinsamen Bericht handelte. Bei gemeinsamen Berichten könne es sich als erforderlich erweisen, einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Ansichten der fünfzehn Ratsmitglieder zu finden.

38 Schließlich seien sämtliche fraglichen Berichte im Rahmen der politischen Beziehungen der Union und der verschiedenen Mitgliedstaaten zu Drittländern erstellt worden. Die gemeinsamen Berichte seien nämlich alle vom Politischen Komitee gemäß den Befugnissen angenommen worden, die ihm mit Artikel 25 des Vertrages über die Europäische Union im Rahmen des Titels V dieses Vertrages verliehen worden seien.

39 In zweiter Linie bringt der Rat, gestützt auf Randnummer 71 des Urteils des Gerichts vom 19. Juli 1999 in der Rechtssache T-14/98 (Hautala/Rat, Slg. 1999, II-2489, nachfolgend: Urteil Hautala), vor, die angefochtene Entscheidung sei aufgrund einer eingehenden Bewertung der Folgen getroffen worden, die die Verbreitung der betreffenden Berichte für die gemäß Titel V des Vertrages über die Europäische Union in seinen politischen Verantwortungsbereich fallenden internationalen Beziehungen der Union und für das reibungslose Funktionieren der Asylpolitik der Union haben könnte.

40 In dritter Linie macht der Rat geltend, auf der Grundlage der vom Gericht in Randnummer 72 des Urteils Hautala für die gerichtliche Kontrolle festgesetzten Kriterien sei seine Einschätzung, dass sämtliche betroffenen Berichte unter die in Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 aufgeführte Ausnahme zum Schutz des öffentlichen Interesses fielen, nicht zu beanstanden.

41 All diese Berichte enthielten sehr detaillierte Fakten über die Lage in bestimmten Drittländern, insbesondere über die Menschenrechtslage. Insoweit ähnelten die Berichte deshalb sehr dem Dokument, um das es im Urteil Hautala gegangen sei. Genau wie dieses Dokument seien außerdem die streitigen Berichte im vorliegenden Fall für den internen Gebrauch und nicht zur Veröffentlichung erstellt worden. Dieser Umstand allein sei zwar kein wirksamer Grund für die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument, aber Dokumente für den internen Gebrauch würden weniger zurückhaltend verfasst und enthielten daher Formulierungen, bei denen die Gefahr bestehe, dass sie zu Spannungen mit bestimmten Drittländern führten.

42 In der Rechtssache Hautala hätten diese Umstände das Gericht bewogen, festzustellen, dass es keinen Grund gebe, die Beurteilung des Rates zu beanstanden (Urteil Hautala, Randnr. 74). Die angefochtene Entscheidung sei aber wesentlich eingehender begründet als die in jener Rechtssache fragliche Entscheidung.

43 Ferner betreffe das Vorbringen des Klägers in den Nummern 21 bis 42 der Klageschrift im Wesentlichen die Kriterien, anhand deren die möglichen Folgen der Verbreitung der betreffenden Berichte beurteilt worden seien, insbesondere das für den Schutz des öffentlichen Interesses erforderliche Niveau, die Schwere des Schadens, den die Verbreitung der fraglichen Dokumente verursachen könnte, oder die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Schaden tatsächlich eintrete. Da die Maßgeblichkeit dieser Kriterien unbestritten sei, sei die angefochtene Entscheidung mit keinem Mangel behaftet, und es liege weder ein Ermessensmissbrauch noch ein offensichtlicher Beurteilungsfehler vor.

44 Zum Vorbringen des Klägers, dass die Verbreitung eines Dokuments nach der Rechtsprechung nur dann verweigert werden dürfe, wenn der Rat nachweise, dass sie wirklich eine tatsächliche und greifbare Beeinträchtigung der Beziehungen zu Drittländern befürchten lasse, bringt der Rat vor, es gehe insbesondere im Bereich der internationalen Beziehungen zu weit, von ihm die Vorlage "unwiderleglicher Beweise" für die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen und konkreten Schadens zu verlangen. Solche Beweise könne es nur geben, wenn Dokumente wie die fraglichen vom Rat bereits zuvor tatsächlich verbreitet worden wären und wenn ihre Verbreitung den Beziehungen der Union zu Drittländern tatsächlich und konkret geschadet hätte.

45 In der mündlichen Verhandlung hat sich der Rat auch dagegen gewandt, dass der Zeitablauf ein Kriterium bei der Entscheidung sein solle, ob ein Dokument verbreitet werden könne. Die Verbreitung eines Dokuments, das nicht mehr die aktuelle Lage in dem betreffenden Land widerspiegele, könnte Probleme mit diesem Land verursachen, weil dieses der Ansicht sein könnte, dass so ein falsches Bild seiner gegenwärtigen Lage gezeichnet werde.

46 Außerdem könne der Zugang der Öffentlichkeit zu den fraglichen Berichten sich auf die Erstellung weiterer Berichte dieser Art auswirken. Da sie direkt und nicht diplomatisch abgefasst seien, könne ihre Verbreitung die Einrichtungen in Frage stellen, von denen die in den Berichten enthaltenen Informationen stammten.

47 Schließlich bestreitet der Rat den Vorwurf, er habe nicht die Möglichkeit in Erwägung gezogen, einen teilweisen Zugang zu den streitigen Dokumenten zu gewähren. Die teilweise Weitergabe der Liste der Kontaktpersonen beweise das Gegenteil, und die angefochtene Entscheidung entspreche den Ausführungen des Gerichts im Urteil Kuijer.

Zur Liste der Kontaktpersonen

48 Der Kläger bringt vor, der Rat wolle sich mit dem Hinweis darauf, dass die Entscheidung über den Zugang der Öffentlichkeit zu den Namen der nationalen Beamten Sache der Mitgliedstaaten sei, offenbar seinen Verpflichtungen zur Transparenz und Offenheit entziehen. Er wendet sich ferner gegen das Vorbringen, dass die Mitgliedstaaten künftig derartige Informationen nicht mehr zur Verfügung stellen würden, wenn diese Angaben verbreitet würden. Jedenfalls dürften die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten untereinander und zwischen diesen und dem Rat sowie der Informationsaustausch zwischen den Verwaltungsbehörden nicht automatisch Vorrang vor Offenheit und Transparenz haben, die für die Bürger von grundlegendem Interesse seien.

49 Der Rat macht geltend, er habe dem Anliegen des Klägers, der erklärt habe, keinen Zugang zu den Telefon- und Faxnummern der in die Liste der Kontaktpersonen aufgenommenen Personen zu wünschen, zum Teil entsprochen. Was die Namen dieser Personen anbelange, gehe aus dem Kontext der angefochtenen Entscheidung klar hervor, dass die Argumente, die in der dem Kläger am 18. Mai 1999 zugestellten Entscheidung angeführt seien, ihre Gültigkeit nicht verloren hätten.

50 Was der Kläger in dem Verfahren Kuijer vorgebracht und in Nummer 77 der Klageschrift in der vorliegenden Rechtssache wieder aufgegriffen habe, sei nicht überzeugend. Daher habe der Rat an seiner Auffassung festgehalten und den Zugang zu bestimmten Passagen dieses Dokuments verweigert, da ihre Verbreitung das von ihm nach Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 zu schützende öffentliche Interesse an einem funktionierenden Informationsaustausch und einer reibungslosen Koordination zwischen den Mitgliedstaaten in Asylfragen beeinträchtigen könnte (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 3. März 1998 in der Rechtssache T-610/97 R, Carlsen u. a./Rat, Slg. 1998, II-485, Randnr. 48).

51 In der mündlichen Verhandlung hat der Rat auf eine Frage des Gerichts erklärt, er habe nicht erwogen, ob Zugang zu Namen von Personen und anderen Angaben, die der Öffentlichkeit bereits durch einige Mitgliedstaaten zugänglich gemacht worden seien, gewährt werden könne, da die unterschiedliche Haltung der Mitgliedstaaten in diesem Punkt als Zwistigkeit zwischen seinen Mitgliedern erscheinen könnte.

Würdigung durch das Gericht

52 Der Transparenzgrundsatz soll für eine stärkere Teilnahme der Bürger an Entscheidungsprozessen sorgen und eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber den Bürgern in einem demokratischen System gewährleisten. Er trägt zur Stärkung des Demokratiegrundsatzes und der Beachtung der Grundrechte bei (siehe in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 14. Oktober 1999 in der Rechtssache T-309/97, Bavarian Lager/Kommission, Slg. 1999, II-3217, Randnr. 36).

53 Wenn der Rat entscheidet, ob der Zugang zu einem Dokument das öffentliche Interesse beeinträchtigen kann, übt er ein Ermessen im Rahmen der politischen Verantwortung aus, die ihm die Bestimmungen der Verträge zuweisen. Daher muss sich die Kontrolle durch das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die Verfahrensregeln und die Bestimmungen über die Begründung der fraglichen Entscheidung eingehalten worden sind, der Sachverhalt zutrifft, bei der Tatsachenwürdigung kein offensichtlicher Fehler vorgekommen ist und kein Ermessensmissbrauch vorliegt.

54 Es sind nun die Voraussetzungen darzustellen, unter denen der Zugang der Öffentlichkeit zu einem Dokument verweigert werden kann.

55 Erstens stellt der Zugang der Öffentlichkeit zu den im Besitz der Organe befindlichen Dokumenten den Grundsatz dar, seine Ablehnung die Ausnahme. Eine ablehnende Entscheidung ist nur rechtsgültig, wenn sie auf einer der Ausnahmen nach Artikel 4 des Beschlusses 93/731 beruht. Nach ständiger Rechtsprechung müssen diese Ausnahmen eng ausgelegt und angewandt werden, um die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, der in diesem Beschluss verankert ist, nicht zu beeinträchtigen (siehe Urteil des Gerichts vom 17. Juni 1998 in der Rechtssache T-174/95, Svenska Journalistförbundet/Rat, Slg. 1998, II-2289, Randnr. 110, und für die entsprechenden Bestimmungen des Beschlusses 94/90/EGKS, EG, Euratom der Kommission vom 8. Februar 1994 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten [ABl. L 46, S. 58] Urteil des Gerichts vom 5. März 1997 in der Rechtssache T-105/95, WWF UK/Kommission, Slg. 1997, II-313, Randnr. 56).

56 Zweitens muss der Rat nach der Rechtsprechung für jedes Dokument, zu dem der Zugang beantragt ist, prüfen, ob dessen Offenlegung nach den ihm vorliegenden Informationen tatsächlich geeignet ist, einen der durch die Ausnahmen des Artikels 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 geschützten Aspekte des öffentlichen Interesses zu verletzen (Urteil Svenska Journalistförbundet/Rat, Randnr. 112). Diese Ausnahmen können daher nur angewandt werden, wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses absehbar und nicht rein hypothetisch ist.

57 Schließlich ist Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 unter Berücksichtigung der Grundsätze des Rechts auf Information und der Verhältnismäßigkeit auszulegen. Der Rat hat daher zu prüfen, ob ein auf die von den Ausnahmen nicht gedeckten Angaben begrenzter, teilweiser Zugang zu gewähren ist. Eine Befreiung von der Verpflichtung, einen teilweisen Zugang zu gewähren, kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Verwaltung durch die Unkenntlichmachung der nicht verbreitbaren Stellen in besonderem Maße belastet würde, so dass damit die Grenzen dessen überschritten würden, was vernünftigerweise verlangt werden kann.

58 Im vorliegenden Fall muss das Gericht prüfen, ob die angefochtene Entscheidung entsprechend diesen Grundsätzen ergangen ist.

59 Hinsichtlich der streitigen Berichte war der Rat in der angefochtenen Entscheidung zunächst der Ansicht, dass sie gemeinsame Merkmale aufwiesen, die es rechtfertigten, sie bei der Anwendung des Beschlusses 93/731 einheitlich zu behandeln. Er verweigerte dann den Zugang zu den Berichten mit der Begründung, dass ihre Verbreitung den Beziehungen der Union zu den betreffenden Drittländern schaden könnte, da ihr Inhalt als Kritik an diesen Ländern, insbesondere wegen ihrer politischen Lage und Menschenrechtslage, ausgelegt werden könne.

60 Zwar können bestimmte Dokumente wie Berichte mit sensiblen militärischen Informationen gemeinsame Merkmale aufweisen, die es erlauben, ihre Verbreitung abzulehnen; bei den fraglichen Dokumenten ist das jedoch nicht der Fall. Die bloße Tatsache, dass Dokumente negative Informationen oder Aussagen über die politische Lage oder den Menschenrechtsschutz in einem Drittland enthalten, bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass der Zugang zu ihnen wegen der Gefahr der Beeinträchtigung eines öffentlichen Interesses abgelehnt werden darf. Dieser Umstand reicht allein und abstrakt betrachtet nicht aus, um einen Antrag auf Zugang abzulehnen.

61 Die Verweigerung des Zugangs zu den fraglichen Berichten muss vielmehr auf einer Analyse des Inhalts oder Kontexts jedes einzelnen Berichts beruhen, die den Schluss erlaubt, dass die Verbreitung des Dokuments aufgrund bestimmter besonderer Umstände eine Gefahr für ein öffentliches Interesse nach sich ziehen würde.

62 Ihrem Inhalt nach betreffen die streitigen Berichte die Beziehungen der Union zu den betreffenden Ländern weder unmittelbar noch mittelbar. Sie analysieren die politische Lage und die allgemeine Menschenrechtslage einschließlich der Ratifikation entsprechender völkerrechtlicher Verträge in jedem dieser Länder. Ferner enthalten sie spezifische Informationen über den Menschenrechtsschutz, über inländische Fluchtalternativen, über die Rückkehr von Staatsangehörigen in ihr Herkunftsland und über die wirtschaftliche und die soziale Lage.

63 Diese Informationen sind oft bereits, wie die Entwicklung der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lage des betreffenden Landes, öffentlich zugänglich. In der Regel sind auch die Angaben zum Menschenrechtsschutz bekannt; ihre Darstellung enthält keine politisch sensiblen Wertungen des Rates.

64 Daher erfassen die Gründe, die der Rat in der angefochtenen Entscheidung für die Ablehnung des Antrags auf Zugang angeführt hat, die streitigen Berichte weder ihrer Art noch ihrem Inhalt nach.

65 Zudem kann sich aus den Umständen ergeben, dass eine Verbreitung der fraglichen Berichte keine negativen Auswirkungen auf die Beziehungen der Union zu den betroffenen Drittländern haben kann.

66 So kann ein Dokument z. B. eine Analyse der Lage in einem Land zu einer bestimmten Zeit enthalten, und dieses Land kann erhebliche politische Veränderungen erfahren haben. Es kann auch sein, dass sich die Union selbst über ihre Organe, insbesondere über den Rat und seinen Vorsitz, bereits offiziell kritisch zu der inneren Lage der betreffenden Länder geäußert hat. Außerdem können die Beziehungen der Union zu diesen Ländern dergestalt sein, dass die Verbreitung einer Kritik der Union wegen der inneren Lage dieser Länder oder wegen deren Achtung der Menschenrechte den Beziehungen nicht schaden kann. Schließlich können die Aussagen in den fraglichen Berichten über das betreffende Land positiv sein.

67 Diese verschiedenen Konstellationen treffen aber einzeln oder gleichzeitig auf mehrere der streitigen Berichte zu, insbesondere z. B. auf die Berichte über das frühere Zaire (Dokumente Nrn. 4987/95 und 12917/1/95 REV1) und über Sri Lanka (Dokument Nr. 4623/95).

68 Außerdem beruft sich der Rat zu Unrecht auf die Randnummern 73 und 74 des Urteils Hautala. In jener Rechtssache gab es nach Ansicht des Gerichts keinen Grund, die Beurteilung des Rates zu beanstanden, der den Zugang zu einem Bericht seiner Arbeitsgruppe zur Ausfuhr konventioneller Waffen verweigert hatte, der u. a. einen Meinungsaustausch der Mitgliedstaaten über die Frage der Achtung der Menschenrechte im Land der endgültigen Bestimmung der Waffen enthielt. Das Gericht stellte nur fest, die Weigerung des Rates, die Gewährung eines teilweisen Zugangs in Erwägung zu ziehen, verstoße gegen den unter Berücksichtigung der Grundsätze des Rechts auf Information und der Verhältnismäßigkeit ausgelegten Artikel 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731.

69 Anders als in der Rechtssache Hautala, in der es um einen Bericht ging, der sich von denen in der vorliegenden Rechtssache unterscheidet, hat das Gericht hier die Vorlegung der streitigen Berichte angeordnet und feststellen können, dass die Verbreitung eines großen Teils ihres jeweiligen Inhalts offenkundig nicht geeignet ist, Spannungen mit den betroffenen Drittländern hervorzurufen.

70 Somit ist dem Rat ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als er der Ansicht war, dass die Gründe, mit denen er den Zugang zu den streitigen Berichten ablehnte, den gesamten Inhalt dieser Berichte erfassten.

71 Allerdings kann es im öffentlichen Interesse liegen, bestimmte Passagen mehrerer streitiger Berichte, in denen etwa die Personen genannt werden, von denen die Informationen stammen, vertraulich zu halten; die Ablehnung ihrer Verbreitung ist insoweit gerechtfertigt. Gleichwohl muss der Rat in diesen Fällen nach der zitierten Rechtsprechung einen teilweisen Zugang zu den betreffenden Dokumenten gewähren. Die Gewährung eines teilweisen Zugangs, der auf die nicht von der Ausnahme des Artikels 4 Absatz 1 des Beschlusses 93/731 gedeckten Stellen begrenzt ist, hätte es dem Rat ermöglicht, ohne Verletzung des Transparenzgrundsatzes und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das öffentliche Interesse zu schützen, auf das er sich berufen hat, um den Zugang zu den streitigen Berichten in ihrem jeweils vollen Umfang zu verweigern.

72 Es ist nicht Sache des Gerichts, sich an die Stelle des Rates zu setzen und anzugeben, bei welchen Passagen es gegebenenfalls einen offensichtlichen Beurteilungsfehler darstellt, den Antrag auf Zugang mit den in der angefochtenen Entscheidung angegebenen Gründen abzulehnen. Der Rat muss jedoch bei der Durchführung dieses Urteils die vom Gericht hierzu gegebenen Hinweise berücksichtigen.

73 Schließlich hat der Rat es bei der Liste der Kontaktpersonen abgelehnt, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, Zugang zu den Informationen zu gewähren, die der Öffentlichkeit von einigen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden, wie z. B. die Namen der Kontaktpersonen. Dabei hat er sich darauf gestützt, dass dieser teilweise Zugang die unterschiedliche Haltung der Mitgliedstaaten in diesem Punkt hätte erkennen lassen und in der Öffentlichkeit als mangelnde Übereinstimmung zwischen seinen Mitgliedern erschienen wäre. Er hat jedoch nicht dargelegt, wie diese Erwägung unter die Ausnahmen des Artikels 4 des Beschlusses 93/731 fallen könnte.

74 Der Rat hat daher einen Rechtsfehler begangen, als er den Antrag des Klägers hinsichtlich derjenigen Informationen in der Liste der Kontaktpersonen abgelehnt hat, zu denen in einigen Mitgliedstaaten Zugang gewährt wird. Mit der Verweigerung des Zugangs zu diesen Informationen hat die angefochene Entscheidung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

75 Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, ohne dass auf die anderen Klagegründe einzugehen wäre.

Kostenentscheidung:

Kosten

76 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Entscheidung des Rates vom 5. Juni 2000, mit der dem Kläger der Zugang zu bestimmten Berichten des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen und zu diesem Zentrum übermittelten bestimmten Berichten über gemeinsame Informationsreisen oder Informationsreisen der Mitgliedstaaten sowie zu denjenigen Informationen in der Liste der in den Mitgliedstaaten mit Asylanträgen befassten Personen - mit Ausnahme ihrer Telefon- und Faxnummern -, zu denen der Zugang in einigen Mitgliedstaaten gewährt wird, verweigert wurde, wird für nichtig erklärt.

2. Der Rat trägt außer seinen eigenen Kosten die Kosten des Klägers.

Ende der Entscheidung

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