Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 21.03.2002
Aktenzeichen: T-218/01
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 230
EG-Vertrag Art. 195
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls umfassen neben einem objektiven Merkmal, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände bezieht, auch ein subjektives Merkmal, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Insbesondere muss der Betroffene den Ablauf des Verfahrens genau überwachen und namentlich Sorgfalt walten lassen, damit die vorgesehenen Fristen eingehalten werden. Die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls sind also nicht auf eine Situation anwendbar, in der eine sorgfältige und umsichtige Person objektiv in der Lage gewesen wäre, den Ablauf einer Klagefrist zu verhindern.

( vgl. Randnr. 17 )

2. Die Tatsache, dass die Kommission in einem Rechtsakt nicht auf die Möglichkeit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens und/oder zur Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß Artikel 230 EG bzw. Artikel 195 EG hinweist, verletzt die Verpflichtungen, die dieses Organ sich durch den Erlass des im Anhang der Geschäftsordnung der Kommission enthaltenen Kodex für gute Verwaltungspraxis in den Beziehungen der Bediensteten der Europäischen Kommission zur Öffentlichkeit selbst auferlegt hat.

( vgl. Randnr. 25 )

3. Der Begriff des entschuldbaren Irrtums, der unmittelbar auf dem Bestreben beruht, die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu wahren, kann sich nur auf Ausnahmefälle beziehen, insbesondere auf solche, in denen das betreffende Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich allein oder in ausschlaggebendem Maß geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der alle Sorgfalt aufwendet, die von einer Person mit normalem Kenntnisstand verlangt werden kann, eine verständliche Verwirrung hervorzurufen. Dies kann zwar möglicherweise dann der Fall sein, wenn eine Klage verspätet erhoben wird, weil das betreffende Organ unzutreffende Angaben gemacht hat, die geeignet sind, bei einem solchen Rechtsbürger eine verständliche Verwirrung hervorzurufen, oder dann, wenn die durch das betreffende Organ begangene Verletzung bestimmter interner Regeln, wie z. B. eines Kodex für Verwaltungspraxis, eine solche Verwirrung hervorgerufen hat, nicht jedoch, wenn der Rechtsbürger keinen Zweifel am Entscheidungscharakter der ihm mitgeteilten Maßnahme haben kann. Im letztgenannten Fall führt nämlich die fehlende Information über die Möglichkeit einer Klageerhebung bei dem Rechtsbürger keinesfalls zu einem Irrtum.

( vgl. Randnr. 30 )


Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Erste Kammer) vom 21. März 2002. - Laboratoire Monique Rémy SAS gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Nichtigkeitsklage - Fristen - Offensichtliche Unzulässigkeit. - Rechtssache T-218/01.

Parteien:

In der Rechtssache T-218/01

Laboratoire Monique Rémy SAS mit Sitz in Grasse (Frankreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J.-F. Pupel,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Bordes als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C(2001) 1380 der Kommission vom 2. Juli 2001, mit der ein der Klägerin ursprünglich gewährter Zuschuss des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung, gestrichen wurde,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter N. J. Forwood und H. Legal,

Kanzler: H. Jung

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Die Kommission strich mit der Entscheidung C(2001) 1380 vom 2. Juli 2001 (nachstehend: angefochtener Rechtsakt) einen Zuschuss des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Ausrichtung, der der Klägerin mit der Entscheidung C(93) 3185 der Kommission vom 10. November 1993 über ein Pilot- und Demonstrationsvorhaben betreffend die Verwertung der mediterranen Pflanze Iris für die Luxusparfümerie- und Aromastoffindustrie (Frankreich, Spanien, Griechenland) gewährt worden war.

2 Der angefochtene Rechtsakt, den die Kommission mit Schreiben vom 2. Juli 2001 an die Klägerin richtete, ging bei dieser am 6. Juli 2001 ein.

3 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 21. September 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts erhoben.

4 Mit besonderem Schriftsatz, der am 26. Oktober 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben, die zum einen auf die Verspätung der Klage und zum anderen auf die Verletzung von Artikel 44 der Verfahrensordnung gestützt ist.

5 Die Klägerin hat ihre Stellungnahme zu dieser Einrede am 3. Dezember 2001 eingereicht.

Anträge der Parteien

6 Die Klägerin beantragt,

- die Klage für zulässig zu erklären;

- den angefochtenen Rechtsakt für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

7 Die Beklagte beantragt,

- die Klage für offensichtlich unzulässig zu erklären;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

8 Nach Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Unzulässigkeit entscheiden. Gemäß Artikel 114 § 3 wird darüber mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt; im vorliegenden Fall sieht sich das Gericht durch die Akten ausreichend unterrichtet und ist der Ansicht, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann.

9 Gemäß Artikel 230 Absatz 5 EG ist die Nichtigkeitsklage binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der angefochtenen Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat. Nach Artikel 102 § 2 der Verfahrensordnung ist diese Frist überdies um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen zu verlängern. Nach Artikel 101 § 2 der Verfahrensordnung endet die Frist mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags, wenn ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt.

10 Im vorliegenden Fall wurde der angefochtene Rechtsakt der Klägerin am 6. Juli 2001 zugestellt.

11 Die Frist für die Erhebung der Nichtigkeitsklage lief gemäß den oben in Randnummer 9 angeführten Regeln am Montag, dem 17. September 2001, um Mitternacht ab.

12 Die vorliegende Klage, die am 21. September 2001 erhoben wurde, ist also verspätet.

13 Die Klägerin macht jedoch geltend, sie habe davon ausgehen dürfen, dass die Klageschrift spätestens am 17. September 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingehen werde, da sie die Postsendung mit der Klageschrift am 11. September 2001 per Einschreiben abgeschickt habe und die Beförderungszeit für ein Einschreiben vier Tage betragen solle. Es sei Zufall, dass die Sendung erst am 21. September 2001 angekommen sei.

14 Zunächst ist festzustellen, dass die Postsendung mit der Klageschrift ausweislich des Poststempels auf dem Umschlag entgegen dem Vorbringen der Klägerin am 13. September 2001 zur Post gegeben wurde, also höchstens fünf Tage - darunter ein Samstag und ein Sonntag - vor Ablauf der Klagefrist.

15 Weiter ist festzustellen, dass die Klägerin sich auf die Behauptung beschränkt, dass der französische Postbetreiber La Poste" sich verpflichte, innerhalb von vier Tagen zuzustellen, hierfür aber keinen Beweis erbringt oder auch nur angibt, ob diese Frist nach Werktagen oder Kalendertagen zu berechnen ist. Allein das Fehlen dieses Beweises rechtfertigt die Abweisung der Klage.

16 Selbst wenn der Beweis für eine solche Verpflichtung von La Poste erbracht wäre, würde das nicht ausreichen, um hier das Vorliegen eines Zufalls nachzuweisen. Der Zufall zeichnet sich wie die höhere Gewalt insbesondere durch seine Unvorhersehbarkeit aus (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-97/95, Pascoal & Filhos, Slg. 1997, I-4209, Randnr. 63). Eine Verpflichtung von La Poste gegenüber dem Absender, dessen Postsendungen innerhalb einer bestimmten Frist zuzustellen, kann für sich allein nicht bewirken, dass jede Verspätung bei der Zustellung unvorhersehbar wird.

17 Zudem umfassen die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls neben einem objektiven Merkmal, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände bezieht, auch ein subjektives Merkmal, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhängt, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen trifft. Insbesondere muss der Betroffene den Ablauf des Verfahrens genau überwachen und namentlich Sorgfalt walten lassen, damit die vorgesehenen Fristen eingehalten werden (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C-195/91 P, Bayer/Kommission, Slg. 1994, I-5619, Randnr. 32). Die Begriffe der höheren Gewalt und des Zufalls sind also nicht auf eine Situation anwendbar, in der eine sorgfältige und umsichtige Person objektiv in der Lage gewesen wäre, den Ablauf einer Klagefrist zu verhindern (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 209/83, Ferriera Valsabbia/Kommission, Slg. 1984, 3089, Randnr. 22).

18 Die Klägerin hat dadurch, dass sie die Postsendung mit ihrer Klageschrift höchstens fünf Tage - darunter ein Samstag und ein Sonntag - vor Ablauf der Klagefrist aufgegeben hat, obwohl die Gefahr einer Verspätung gegenüber der angeblichen Zustellungsverpflichtung von La Poste nicht ausgeschlossen werden konnte und klar war, dass eine solche Verspätung zur Präklusion führen könnte, nicht mit der Sorgfalt gehandelt, die von einem durchschnittlich unterrichteten Kläger hinsichtlich der Fristeinhaltung erwartet wird. Außer einem inzidenten Hinweis auf die Ereignisse vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten und die dadurch entstandenen Störungen im Transportwesen macht die Klägerin keine Umstände oder besonderen Ereignisse geltend, die als Zufall oder höhere Gewalt angesehen werden und so ungeachtet des erwiesenen Sorgfaltsmangels der Klägerin die Verspätung bei der Einreichung der Klageschrift entschuldigen könnten. Dieser sehr vage und allgemein vorgebrachte Hinweis auf die genannten Ereignisse und Störungen kann im vorliegenden Fall jedoch keinen Beweis für einen Zufall oder höhere Gewalt darstellen.

19 Die Umstände des vorliegenden Falles können daher nicht mit denen verglichen werden, die zum Urteil des Gerichtshofes vom 2. März 1967 in den Rechtssachen 25/65 und 26/65 (Simet und Feram/Hohe Behörde, Slg. 1967, 42) führten, auf das sich die Klägerin beruft. In diesen Rechtssachen wurden die Klageschriften zum einen als eingeschriebene Postpakete zehn - und nicht fünf - Tage vor Ablauf der Klagefrist abgesandt, und zum anderen kam der Gerichtshof aufgrund der Feststellung, dass der Hauptgrund für die Verspätung darin lag, dass er erst vier Tage nach Eintreffen der Klageschriften in Luxemburg in deren Besitz gelangt war, zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Zufall handelte.

20 Die Verantwortung der Klägerin oder ihres Anwalts für die Verspätung der Klage ist umso offensichtlicher, als sich aus dem Briefkopf des für die Klageschrift verwendeten Papiers ergibt, dass der Anwalt der Klägerin über ein Telefaxgerät verfügte und eine E-Mail-Adresse hatte. Er hätte also, wie in Artikel 43 § 6 der Verfahrensordnung vorgesehen, der Kanzlei des Gerichts eine Kopie der unterzeichneten Urschrift der Klageschrift per Telefax oder E-Mail übermitteln können; eine solche Übermittlung wirkt fristwahrend, sofern die Urschrift und die in Artikel 43 § 1 genannten Anlagen und Abschriften spätestens zehn Tage danach bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht werden.

21 Die Klägerin oder ihr Anwalt hätten nicht nur diese Kommunikationsmittel nutzen können, die eine nahezu sofortige und oft mit einer Empfangsbestätigung verbundene Übermittlung der Klageschrift gewährleisten und zugleich eine Frist von zehn Tagen für die Einreichung der Urschrift bei der Kanzlei des Gerichts in Gang setzen, sondern sie hätten sich auch direkt bei der Kanzlei erkundigen können, ob ihre Sendung dort eingegangen ist. Letzteres war als Mindestmaß an Vorsicht gerade im vorliegenden Fall unerlässlich, weil die Klägerin und ihr Anwalt aufgrund der kurzen Zeit zwischen dem Absenden der Klageschrift per Einschreiben mit Rückschein am 13. September 2001 und dem Fristablauf am 17. September 2001 um Mitternacht jedenfalls nicht erwarten konnten, dass sie den Rückschein vor Fristablauf zurückerhalten würden.

22 Hilfsweise verweist die Klägerin in ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit auf den Kodex für gute Verwaltungspraxis in den Beziehungen der Bediensteten der Europäischen Kommission zur Öffentlichkeit (nachstehend: Kodex für Verwaltungspraxis) im Anhang der Geschäftsordnung der Kommission vom 29. November 2000 (ABl. 2000, L 308, S. 26).

23 Der Kodex für Verwaltungspraxis enthält in Nummer 3 Absätze 4 und 5 folgende Bestimmungen:

Soweit das Gemeinschaftsrecht dies vorsieht, enthalten bekannt gegebene Entscheidungen Angaben zu deren Anfechtbarkeit; ebenso ist anzugeben, wie die Anfechtung vorgenommen werden kann (Name und Büroanschrift der Person, bzw. der Dienststelle, bei der dieser Rechtsbehelf eingelegt werden kann) und welche Frist zu beachten ist.

Gegebenenfalls weisen Entscheidungen auf die Möglichkeit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens und/oder zur Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß Artikel 230 bzw. 195 EG-Vertrag hin."

24 Die Klägerin bringt vor, die Kommission habe diese Bestimmungen dadurch verletzt, dass sie in dem angefochtenen Rechtsakt nicht auf dessen Anfechtbarkeit hingewiesen habe. Aufgrund dessen habe die Klägerin nicht erkennen können, dass sie schnell reagieren müsse, was dazu geführt habe, dass sie das Gericht in den letzten Tagen der Anfechtbarkeit" angerufen habe.

25 Die Tatsache, dass die Kommission in dem angefochtenen Rechtsakt nicht auf die Möglichkeit der Einleitung eines Gerichtsverfahrens und/oder zur Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß Artikel 230 EG bzw. Artikel 195 EG hingewiesen hat, verletzt die Verpflichtungen, die dieses Organ sich durch den Erlass des Kodex für Verwaltungspraxis selbst auferlegt hat.

26 Diese Pflichtverletzung steht jedoch, wie die Klägerin in ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit einräumt, in keinem Zusammenhang mit der verspäteten Einreichung der Klageschrift.

27 Die Klägerin schaltete ihren Anwalt Ende August 2001 ein. Diesem konnte als Jurist die Frage der Klagefristen nicht verborgen bleiben; im Übrigen gibt er zu, dass ihm der Tag des Ablaufs der Klagefrist im vorliegenden Fall bekannt war, denn in der Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit führt er aus, er habe davon ausgehen dürfen, dass ein von ihm am 11. September aufgegebenes Einschreiben mit Rückschein dem Empfänger spätestens am 17. September zugestellt werde.

28 Die verspätete Einreichung der Klageschrift ist folglich allein auf eine Verletzung der in Bezug auf Klagefristen erforderlichen Sorgfalt und Vorsicht durch die Klägerin oder ihren Anwalt zurückzuführen.

29 Im Übrigen hätte die in Randnummer 25 festgestellte Verletzung des Kodex für Verwaltungspraxis selbst dann nicht dazu geführt, dass die Klage abweichend von den Vorschriften über die Klagefristen zulässig wäre, wenn die Verletzung für die verspätete Einreichung der Klageschrift ursächlich gewesen wäre.

30 Die Verletzung des Kodex hätte nämlich bei der Klägerin nicht zu einem entschuldbaren Irrtum führen können, der es nach Ansicht des Gemeinschaftsrichters ermöglicht, von den Vorschriften über die Klagefristen abzuweichen. Der Begriff des entschuldbaren Irrtums, der unmittelbar auf dem Bestreben beruht, die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu wahren, kann sich nach ständiger Rechtsprechung nur auf Ausnahmefälle beziehen, insbesondere auf solche, in denen das betreffende Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich allein oder in ausschlaggebendem Maß geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der alle Sorgfalt aufwendet, die von einer Person mit normalem Kenntnisstand verlangt werden kann, eine verständliche Verwirrung hervorzurufen (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 29. Mai 1991 in der Rechtssache T-12/90, Bayer/Kommission, Slg. 1991, II-219, Randnrn. 28 und 29, bestätigt durch das oben in Randnr. 17 erwähnte Urteil des Gerichtshofes Bayer/Kommission; Beschluss des Gerichts vom 9. Juli 1997 in der Rechtssache T-63/96, Fichtner/Kommission, Slg. ÖD 1997, I-A-189 und II-563, Randnr. 25, bestätigt durch Beschluss des Gerichtshofes vom 25. Juni 1998 in der Rechtssache C-312/97 P, Fichtner/Kommission, Slg. 1998, I-4135, und Beschluss des Gerichts vom 3. Februar 1998 in der Rechtssache T-68/96, Polyvios/Kommission, Slg. 1998, II-153, Randnr. 43). Dies kann zwar möglicherweise dann der Fall sein, wenn eine Klage verspätet erhoben wird, weil das betreffende Organ unzutreffende Angaben gemacht hat, die geeignet sind, bei einem Rechtsbürger mit den oben beschriebenen Eigenschaften eine verständliche Verwirrung hervorzurufen, oder dann, wenn die durch das betreffende Organ begangene Verletzung bestimmter interner Regeln, wie z. B. eines Kodex für Verwaltungspraxis, eine solche Verwirrung hervorgerufen hat, nicht jedoch, wenn der Rechtsbürger wie hier keinen Zweifel am Entscheidungscharakter der ihm mitgeteilten Maßnahme haben kann. Im letztgenannten Fall führt die fehlende Information über die Möglichkeit einer Klageerhebung bei dem Rechtsbürger keinesfalls zu einem Irrtum.

31 Nach alledem ist die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die Klageschrift den Anforderungen von Artikel 44 der Verfahrensordnung entspricht.

Kostenentscheidung:

Kosten

32 Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Beklagten.

Ende der Entscheidung

Zurück