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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 18.09.1996
Aktenzeichen: T-22/96
Rechtsgebiete: VO (EWG) 1430/79


Vorschriften:

VO (EWG) 1430/79 Art. 13 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn ein Gemeinschaftsorgan im Laufe des Verfahrens die Entscheidung, gegen die eine Nichtigkeitsklage erhoben worden ist, vor ihrer Durchführung mit der Begründung zurücknimmt, daß das beim Erlaß dieser Entscheidung angewandte Verfahren angesichts eines Urteils des Gerichts in einer anderen Rechtssache rechtswidrig sei, dann macht diese Rücknahme, die Wirkungen erzeugt, die denen eines Nichtigkeitsurteils entsprechen, die Klage gegenstandslos und rechtfertigt eine die Erledigung der Hauptsache feststellende Entscheidung, soweit der Kläger kein Interesse am Erlaß eines Nichtigkeitsurteils nachweisen kann.

2. Zwar ist es im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nicht ausgeschlossen, daß neue Anträge ausnahmsweise zulässig sind, wenn sie auf die Nichtigerklärung einer zweiten Entscheidung gerichtet sind, die im Laufe des Verfahrens die ursprüngliche Entscheidung ersetzt, doch kann sich daraus nicht ergeben, daß dem Richter die Kontrolle der Rechtmässigkeit einer noch nicht erlassenen hypothetischen zweiten Entscheidung gestattet wäre. Folglich sind neue Anträge, die eine noch nicht erlassene Entscheidung betreffen, als unzulässig zurückzuweisen, da sie den Streitgegenstand ändern.

3. Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage ist der Gemeinschaftsrichter, falls er bei Begründetheit der Klage die angefochtene Handlung für null und nichtig erklärt, nicht befugt, sich über mögliche Verpflichtungen innerstaatlicher Behörden infolge dieser Nichtigerklärung auszusprechen.


Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Zweite Kammer) vom 18. September 1996. - J. Langdon Ltd gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Nichtigkeitsklage - Streitige Entscheidung, die im Laufe des Verfahrens zurückgenommen wird - Erledigung der Hauptsache. - Rechtssache T-22/96.

Entscheidungsgründe:

1 In der Zeit von Mai 1992 bis Mai 1994 führte die Klägerin bestimmte Waren nach Irland ein, die sie unter einem unzutreffenden Code der Kombinierten Nomenklatur anmeldete, was zur Folge hatte, daß bestimmte Eingangsabgaben von den irischen Zollbehörden nicht erhoben wurden.

2 Die irischen Zollbehörden befassten die Kommission mit Fernkopie vom 26. April 1995 mit dieser Frage. Diese erließ am 3. November 1995 die Entscheidung C(95) 2726 (im folgenden: streitige Entscheidung). Die streitige Entscheidung erging auf der Grundlage von Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1) in der geltenden Fassung in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1), den Artikeln 220 Absatz 2 Buchstabe b und 239 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) sowie den Artikeln 873 und 907 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1).

3 Artikel 1 der streitigen Entscheidung bestimmt, daß die in Rede stehenden Eingangsabgaben nachzuerheben sind und daß der Erlaß dieser Abgaben nicht gerechtfertigt ist.

4 Mit Klageschrift, die am 22. Februar 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin beantragt, diese Entscheidung für nichtig zu erklären und der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Neben anderen Klagegründen macht sie geltend, daß ihr Recht auf Anhörung verletzt worden sei (Urteil des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94, France-aviation/Kommission, Slg. 1995, II-2841).

5 Am 6. Mai 1996 erließ die Kommission die Entscheidung C(96) 1135, in deren Begründungserwägungen dargelegt ist, daß die Rücknahme der streitigen Entscheidung erforderlich sei, weil, erstens, das Gericht in dem Urteil France-aviation/Kommission entschieden habe, daß das Verwaltungsverfahren nach den Artikeln 905 ff. der Verordnung Nr. 2454/93 dem Recht des Betroffenen auf Anhörung nicht gerecht werde, weil, zweitens, dieses Verfahren beim Erlaß der streitigen Entscheidung angewandt worden sei und weil, drittens, das Verfahren nach den Artikeln 871 ff. dieser Verordnung, das beim Erlaß der streitigen Entscheidung ebenfalls angewandt worden sei, mit dem Verfahren nach den Artikeln 905 ff. der Verordnung identisch sei.

6 Artikel 1 der Entscheidung C(96) 1135 bestimmt, daß die streitige Entscheidung zurückgenommen wird.

7 Mit Schreiben an die Kanzlei des Gerichts vom 14. Mai 1996 hat die Kommission beantragt, einen Beschluß zu erlassen, mit dem die Erledigung der Hauptsache festgestellt wird. Sie trägt vor, daß die streitige Entscheidung nach der Erhebung der Klage durch die Entscheidung C(96) 1135 zurückgenommen worden sei.

8 Mit Schriftsatz, der am 12. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin dem Antrag der Kommission widersprochen. Sie hat weiter beantragt, daß ihr gestattet werde, die Anträge in ihrer Klageschrift durch neue Anträge zu ersetzen. Diese neuen Anträgen gehen dahin,

a) die streitige Entscheidung ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses für null und nichtig zu erklären,

b) festzustellen, daß es die Kommission versäumt hat, gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2164/91 der Kommission vom 23. Juli 1991 zur Durchführung des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 (ABl. L 201, S. 16) und/oder der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 der Kommission vom 12. Dezember 1986 zur Durchführung der Artikel 4a, 6a, 11a und 13 der Verordnung Nr. 1430/79 (ABl. L 352, S. 19) und/oder der Verordnung Nr. 2454/93 innerhalb von sechs Monaten nach Eingang der ihr von den irischen Zollbehörden vorgelegten Akten eine Entscheidung zu erlassen,

c) festzustellen, daß die irischen Zollbehörden gemäß der Verordnung Nr. 1697/79 und/oder der Verordnung Nr. 1430/79 und/oder der Verordnung Nr. 2913/92 je nach Lage des Falles entweder von der Nacherhebung der Zölle absehen oder diese erstatten müssen,

d) der Kommission die der Klägerin bereits entstandenen Kosten sowie diejenigen Kosten aufzuerlegen, die ihr bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts noch entstehen werden.

9 Die Klägerin trägt vor, daß die Kommission die irischen Behörden nach der Rücknahme der streitigen Entscheidung um erneute Aktenvorlage gebeten habe, um eine neue Entscheidung über die Zölle treffen zu können. Werde die streitige Entscheidung nicht für nichtig erklärt, so könne die Klägerin zur Verhinderung einer neuen Kommissionsentscheidung nicht geltend machen, daß die nationalen Zollbehörden in Ermangelung einer innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Aktenvorlage bei der Kommission rechtsgültig getroffenen Entscheidung bereits verpflichtet seien, entweder von der Nacherhebung der Zölle abzusehen oder diese zu erstatten.

10 Das Schreiben der Kommission vom 14. Mai 1996 hat einen Zwischenstreit ausgelöst, über den gemäß Artikel 114 § 3 der Verfahrensordnung ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden ist.

11 Im Urteil France-aviation/Kommission hat das Gericht entschieden, daß der Einführer in dem Verfahren zum Erlaß einer Entscheidung nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 ein Recht auf Anhörung hat und daß eine Verletzung dieses Rechts zur Nichtigerklärung der Entscheidung führt (Randnrn. 34 bis 40).

12 Im vorliegenden Fall wurde die streitige Entscheidung mit der Begründung zurückgenommen, das angewandte Verfahren entspreche demjenigen, das nach dem Urteil France-aviation/Kommission dem Recht auf Anhörung nicht gerecht wird. Zu dieser Rücknahme kam es nach der Erhebung einer Klage, mit der die Klägerin geltend machte, daß die Entscheidung gerade aus diesem Grund rechtswidrig sei. Damit hat die Rücknahme der streitigen Entscheidung, die vor ihrer Durchführung erfolgt war, Wirkungen erzeugt, die denen eines Nichtigkeitsurteils des Gerichts entsprechen.

13 Zwar bringt die Klägerin vor, daß sie weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung habe, um deren Ungültigkeit geltend machen zu können, falls die Kommission den Erlaß einer zweiten Entscheidung über die gleichen Eingangsabgaben in Betracht ziehen sollte. Jedoch können die rechtlichen Folgen, die die streitige Entscheidung in einem solchen Fall haben könnte, nicht im Rahmen der vorliegenden Klage, die nur auf ihre Nichtigerklärung gerichtet ist, geprüft werden. Zudem könnte die Rechtswidrigkeit einer etwaigen zweiten Entscheidung der Kommission gegebenenfalls in einer zweiten, gegen eine solche Entscheidung gerichteten Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden.

14 Folglich ist die vorliegende Klage gegenstandslos geworden (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 8. März 1993 in der Rechtssache C-123/92, Lezzi Pietro/Kommission, Slg. 1993, I-809, Randnrn. 8 bis 11).

15 Der Antrag der Klägerin auf Einreichung neuer Anträge beruht lediglich auf der Möglichkeit des Erlasses einer zweiten Entscheidung und liegt deshalb ausserhalb des Rahmens der vorliegenden Klage.

16 Zwar ist es nicht ausgeschlossen, daß neue Anträge ausnahmsweise zulässig sind, wenn sie auf die Nichtigerklärung einer zweiten Entscheidung gerichtet sind, durch die im Laufe des Verfahrens eine Entscheidung mit gleichem Gegenstand ersetzt wird (Urteil des Gerichtshofes vom 3. März 1982 in der Rechtssache 14/81, Alpha Steel/Kommission, Slg. 1982, 749, Randnr. 8), doch kann sich daraus nicht ergeben, daß die Vorabkontrolle der Rechtmässigkeit einer noch nicht erlassenen hypothetischen zweiten Entscheidung gestattet wäre. Folglich sind die neuen Anträge der Klägerin unzulässig, da sie den Klagegegenstand ändern (vgl. Urteil des Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-28/90, Asia Motor France u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2285, Randnr. 43, sowie die zitierte Rechtsprechung).

17 Ausserdem ist das Gericht im Rahmen einer Klage nach Artikel 173 EG-Vertrag nicht befugt, Erklärungen der dort beantragten Art abzugeben (vgl. Urteile des Gerichts vom 9. Juni 1994 in der Rechtssache T-94/92, X/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-481, Randnr. 33, und vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-583/93, P/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-433, Randnr. 17). Was speziell den neuen Antrag zu c anbelangt, so ist der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Klage nach Artikel 173 EG-Vertrag nicht befugt, sich über mögliche Verpflichtungen innerstaatlicher Behörden auszusprechen, selbst wenn eine Entscheidung der Kommission für nichtig erklärt wurde (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Juli 1993 in den Rechtssachen C-121/91 und C-122/91, CT Control (Rotterdam) und JCT Benelux/Kommission, Slg. 1993, I-3873, Randnr. 57).

18 Nach alledem ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 87 § 6 der Verfahrensordnung entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen über die Kosten, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt.

20 Im vorliegenden Fall hat die Kommission die streitige Entscheidung nach Erhebung der Klage aus einem Grund zurückgenommen, den die Klägerin mit der Klage geltend gemacht hatte. Die Klägerin ist jedoch mit ihren Anträgen hinsichtlich der Frage, ob der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, unterlegen. Das Gericht ist der Auffassung, daß die Kommission unter solchen Umständen zur Tragung ihrer eigenen Kosten und von vier Fünfteln der Kosten der Klägerin zu verurteilen ist.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.

2. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und vier Fünftel der Kosten der Klägerin.

Luxemburg, den 18. September 1996

Ende der Entscheidung

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