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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 29.06.2000
Aktenzeichen: T-234/95
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Aus Artikel 64 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt sich, daß prozeßleitende Maßnahmen u. a. zum Ziel haben, die Bedeutung der Anträge und des Vorbringens der Parteien zu verdeutlichen und die zwischen den Parteien streitigen Punkte zu klären.

Bezüglich einer Maßnahme, die darin besteht, an die Parteien schriftliche Fragen zu richten und sie zur Vorlage bestimmter, in ihren Schriftsätzen angeführter Urteile aufzufordern, ist es Sache des Gerichts, im Rahmen des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten die Relevanz ihrer Antworten auf seine Fragen und der von ihnen vorgelegten Dokumente zu beurteilen. Dabei hat das Gericht auch die Erklärungen eines Gemeinschaftsorgans zu der Frage zu berücksichtigen, inwieweit diese Antworten und Dokumente für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung herangezogen werden können. (vgl. Randnrn. 65-67)

2 Die nähere Bestimmung der in den Vorschriften des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen enthaltenen Begriffe durch den Gemeinschaftsrichter ist für die Anwendung der entsprechenden Vorschriften des EGKS-Vertrags relevant, soweit sie nicht mit diesem unvereinbar ist. Somit ist es insoweit gerechtfertigt, bei der Überprüfung von Entscheidungen, die unter den EGKS-Vertrag fallende Beihilfen betreffen, auf die Rechtsprechung zu den staatlichen Beihilfen Bezug zu nehmen, die unter den EG-Vertrag fallen. (vgl. Randnr. 115)

3 Nach Artikel 33 Absatz 1 Satz 2 EGKS-Vertrag darf der Gemeinschaftsrichter bei der Ausübung seiner Zuständigkeit für die Entscheidung über Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen der Kommission seine Nachprüfung nicht auf die Würdigung der sich aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen ergebenden Gesamtlage erstrecken, die zu den angefochtenen Entscheidungen geführt hat, es sei denn, daß der Kommission der Vorwurf gemacht wird, sie habe ihr Ermessen mißbraucht oder die Bestimmungen des EGKS-Vertrags oder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt.

Der Begriff "offensichtlich" setzt voraus, daß die Verkennung der Bestimmungen des EGKS-Vertrags ein gewisses Gewicht hat; sie muß nämlich in einer Beurteilung der der Entscheidung zugrunde gelegten wirtschaftlichen Lage bestehen, die, an den Bestimmungen des EGKS-Vertrags gemessen, offensichtlich irrig ist.

Schließlich hat der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage festzustellen, ob die angefochtene Entscheidung mit einem der vorgenannten Rechtsfehler behaftet ist; er ist aber nicht befugt, seine Würdigung der Tatsachen, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, an die Stelle derjenigen der die Entscheidung erlassenden Stelle zu setzen. (vgl. Randnrn. 116-118, 146)

4 Bei der Prüfung, ob eine Maßnahme zugunsten eines Unternehmens - bei der eine Behörde als Wirtschaftsteilnehmer oder durch einen Wirtschaftsteilnehmer handelt - eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag darstellt, ist die Kommission berechtigt, das Kriterium des privaten Investors dafür heranzuziehen, ob das von der Maßnahme begünstigte Unternehmen die gleichen wirtschaftlichen Vorteile von einem marktwirtschaftlich handelnden Privatinvestor hätte erlangen können.

Bei dem Verhalten des privaten Investors, mit dem dasjenige des wirtschaftspolitische Ziele verfolgenden öffentlichen Investors zu vergleichen ist, muß es sich nicht unbedingt um das Verhalten eines gewöhnlichen Investors handeln, der Kapital zum Zweck der Ertragserzielung binnen kürzerer oder längerer Frist anlegt, aber doch wenigstens um das Verhalten einer privaten Holding oder Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten läßt.

So kann ein privater Anteilseigner vernünftigerweise einem Unternehmen das Kapital zuführen, das zur Sicherstellung seines Fortbestands erforderlich ist, wenn es sich in vorübergehenden Schwierigkeiten befindet, aber seine Rentabilität - gegebenenfalls nach einer Umstrukturierung - wieder zurückgewinnen kann. Eine Muttergesellschaft kann während eines beschränkten Zeitraums auch Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften übernehmen, um dieser die Einstellung ihrer Tätigkeit unter möglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen. Wenn Kapitalzuschüsse eines öffentlichen Kapitalgebers jedoch selbst langfristig von jeder Aussicht auf Rentabilität absehen, sind sie als staatliche Beihilfen anzusehen. (vgl. Randnrn. 119-121)

5 Bilden rechtlich eigenständige natürliche oder juristische Personen eine wirtschaftliche Einheit, so sind sie im Hinblick auf die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln als ein einziges Unternehmen zu behandeln. Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen stellt sich die Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit besteht, insbesondere bei der Bestimmung des Empfängers einer Beihilfe. Insoweit verfügt die Kommission bei der Feststellung, ob zu einem Konzern gehörende Gesellschaften für die Anwendung der Regeln über die staatlichen Beihilfen als eine wirtschaftliche Einheit oder als rechtlich und finanziell unabhängig anzusehen sind, über ein weites Ermessen. (vgl. Randnr. 124)


Urteil des Gerichts Erster Instanz (Fünfte erweiterte Kammer) vom 29. Juni 2000. - DSG Dradenauer Stahlgesellschaft mbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - EGKS - Nichtigkeitsklage - Staatliche Beihilfen - Beihilfebegriff - Kriterium des privaten Kapitalgebers - Wirtschaftliche Einheit - Höhe der Beihilfe - Ermessensmißbrauch. - Rechtssache T-234/95.

Parteien:

In der Rechtssache T-234/95

DSG Dradenauer Stahlgesellschaft mbH, früher Hamburger Stahlwerke GmbH, Hamburg, Prozeßbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwalt A. Löhde, Hamburg, sodann Rechtsanwälte W. Hofer, U. Theune, M. Luther und K. von Gierke, Hamburg, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwältin L. Dupong, 4-6, rue de la Boucherie, Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten zunächst durch Ministerialrat E. Röder, sodann durch Ministerialrat W.-D. Plessing, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte M. Schütte, Berlin und Brüssel, W. Mueller-Stöfen, Hamburg, und W. Kirchhoff, Düsseldorf, Graurheindorferstr. 108, Bonn,

Streithelferin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Nemitz, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten im Beistand von Professor M. Hilf, Universität Hamburg, und Professor P. Hommelhoff, Universität Heidelberg, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch L. Nicoll, Treasury Solicitor, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Britische Botschaft, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 96/236/EGKS der Kommission vom 31. Oktober 1995 über eine staatliche Beihilfe der Freien und Hansestadt Hamburg an das EGKS-Stahlunternehmen Hamburger Stahlwerke GmbH, Hamburg (ABl. 1996, L 78, S. 31)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Fünfte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. D. Cooke, des Richters R. García-Valdecasas, der Richterin P. Lindh sowie der Richter J. Pirrung und M. Vilaras,

Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 1999,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Rechtlicher Rahmen

1 Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) verbietet grundsätzlich staatliche Beihilfen an Stahlunternehmen. Nach seinem Artikel 4 Buchstabe c sind "von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht", mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl unvereinbar und werden daher gemäß seinen Bestimmungen untersagt.

2 Artikel 95 Absätze 1 und 2 EGKS-Vertrag lautet:

"In allen in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidung oder Empfehlung der Kommission erforderlich erscheint, um eines der in Artikel 2, 3 und 4 näher bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, kann diese Entscheidung oder Empfehlung mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses ergehen.

Die gleiche, in derselben Form erlassene Entscheidung oder Empfehlung bestimmt gegebenenfalls die anzuwendenden Sanktionen."

3 Um den Erfordernissen einer Umstrukturierung der Eisen- und Stahlindustrie gerecht zu werden, erließ die Kommission auf der Grundlage der zitierten Bestimmungen des Artikels 95 EGKS-Vertrag zu Beginn der achtziger Jahre eine gemeinschaftliche Regelung, mit der in bestimmten, abschließend aufgezählten Fällen staatliche Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie zugelassen wurden. Diese Regelung wurde später mehrfach geändert, um den konjunkturellen Schwierigkeiten der Eisen- und Stahlindustrie zu begegnen. Die dazu ergangenen Entscheidungen werden für gewöhnlich "Stahlbeihilfenkodex" genannt.

4 Der im Zeitpunkt der Einleitung des hier fraglichen Verwaltungsverfahrens geltende gemeinschaftliche Stahlbeihilfenkodex ist bereits der fünfte seiner Art (Entscheidung Nr. 3855/91/EGKS der Kommission vom 27. November 1991 zur Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie [ABl. L 362, S. 57; nachstehend: Fünfter Stahlbeihilfenkodex]).

5 Das mit dem Fünften Stahlbeihilfenkodex verfolgte Ziel besteht darin, der Eisen- und Stahlindustrie nicht die Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen und diejenigen Beihilfen zu entziehen, mit deren Hilfe sie ihre Anlagen an die neuen Umweltschutznormen anpassen kann. Zur Verringerung der Überkapazitäten bei der Produktion und zur Wiederherstellung des Marktgleichgewichts sind außerdem unter bestimmten Voraussetzungen "soziale Beihilfen [erlaubt], um die teilweise Schließung von Stahlwerksanlagen zu fördern, und Beihilfen, um die endgültige Einstellung der EGKS-Tätigkeit der am wenigsten konkurrenzfähigen Unternehmen zu finanzieren". Nicht erlaubt sind Betriebsbeihilfen und Umstrukturierungsbeihilfen mit Ausnahme "regionale[r] Investitionsbeihilfen... für bestimmte Mitgliedstaaten".

6 Artikel 1 Absätze 1 und 2 des Fünften Stahlbeihilfenkodex bestimmt:

"(1) Alle Beihilfen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie, gleichgültig ob spezifische oder nichtspezifische Beihilfen, die in jedweder Form von den Mitgliedstaaten bzw. den Gebietskörperschaften oder aus staatlichen Mitteln finanziert werden, können nur dann als Gemeinschaftsbeihilfen und somit als mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Gemeinsamen Marktes vereinbar angesehen werden, wenn sie den Bestimmungen der Artikel 2 bis 5 entsprechen.

(2) Der Begriff "Beihilfe" umfaßt die Beihilfeelemente, die in den Übertragungen staatlicher Mittel - wie Beteiligungen, Kapitalausstattungen oder gleichartige Maßnahmen (beispielsweise Wandelobligationen oder Darlehen, deren Verzinsung sich zumindest teilweise nach den Betriebsergebnissen richtet) - enthalten sind, die von den Mitgliedstaaten, den Gebietskörperschaften oder sonstigen Organen unter Einsatz staatlicher Mittel zugunsten von Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie getroffen werden und nicht als Einbringung haftenden Kapitals gemäß der üblichen marktwirtschaftlichen Unternehmenspraxis anzusehen sind."

7 Artikel 6 Absatz 2 des Fünften Stahlbeihilfenkodex sieht vor:

"Die Kommission ist von allen Finanzierungsmaßnahmen (Beteiligungen, Kapitalausstattungen oder gleichwertige Maßnahmen), die die Mitgliedstaaten, nachgeordnete Gebietskörperschaften oder sonstige Organe unter Einsatz öffentlicher Mittel zugunsten von Stahlunternehmen vorzunehmen beabsichtigen, so rechtzeitig - spätestens bis zum 30. Juni 1996 - zu unterrichten, daß sie sich dazu äußern kann.

Die Kommission stellt fest, ob die betreffenden Maßnahmen Beihilfeelemente im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 enthalten und beurteilt gegebenenfalls deren Vereinbarkeit mit den Artikeln 2 bis 5."

Sachverhalt

1. Vorgeschichte der streitigen Maßnahmen

8 Die Hamburger Stahlwerke GmbH (im folgenden: alte HSW), heute DSG Dradenauer Stahlgesellschaft mbH (im folgenden: Dradenauer), wurde 1961 gegründet. Sie stellt seit 1969 Erzeugnisse her, die in Anlage I des EGKS-Vertrags aufgeführt sind, und fällt daher unter Artikel 80 EGKS-Vertrag. Die Hamburgische Landesbank Girozentrale (im folgenden: HLB) erwarb ab 1972 Anteile an der alten HSW. Seit 1974 hielt sie konstant 49 % der Anteile an der HSW treuhänderisch als Sicherheit für Liquiditäts- und Investmentkredite, die sie ihr ohne Bürgschaft oder Besicherung durch die Freie und Hansestadt Hamburg gewährt hatte.

9 Die Verluste in Höhe von 204 Mio. DM, die bei der alten HSW von 1969 bis 1981 anfielen, wurden von ihren Gesellschaftern abgedeckt. Nachdem 1982 von den Gesellschaftern nicht abgedeckte Verluste in Höhe von 172 Mio. DM angefallen waren, wurde zunächst das Vergleichsverfahren und sodann am 9. Dezember 1983 das Konkursverfahren eröffnet.

2. Stammkapitaldarlehen

10 1984 beschlossen die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB, die Fortführung der alten HSW finanziell zu unterstützen; nach Angaben der Bundesregierung geschah dies mit dem Ziel, ihre Forderungen gegen die alte HSW, die sich am Tag der Konkurseröffnung auf insgesamt 181 Mio. DM beliefen (die Freie und Hansestadt Hamburg hatte von den ausstehenden Forderungen der HLB 129 Mio. DM besichert; das finanzielle Risiko für weitere 52 Mio. DM trug die HLB allein), teilweise einziehen zu können. Die Freie und Hansestadt Hamburg stellte der HLB 20 Mio. DM zur Verfügung, die diesen Betrag als Darlehen dem Konkursverwalter und dem Geschäftsführer der alten HSW (im folgenden: Kommanditisten) gewährte, die damit und mit von ihnen selbst eingebrachten weiteren 200 000 DM als Stammkapital die Protei Produktionsbeteiligungen GmbH & Co. KG (im folgenden: Protei) gründeten.

11 Die Protei gründete anschließend unter Einbringung ihres Kapitals von 20,2 Mio. DM die Neue Hamburger Stahlwerke GmbH, die 1984 die Geschäfte und Anlagen der alten HSW übernahm. Die Neue Hamburger Stahlwerke wurde im selben Jahr in Hamburger Stahlwerke GmbH (im folgenden: HSW) umbenannt.

12 Nach dem zwischen der HLB, der Protei und den Kommanditisten geschlossenen Vertrag war vereinbart, daß für das Darlehen von 20 Mio. DM Zins (der Zinssatz wurde auf Diskontsatz plus 7,5 %, mindestens jedoch 15 % p. a., festgesetzt) und Tilgung nur zu zahlen seien, wenn die HSW Gewinne mache. Weiter war vereinbart, daß die Protei ihre Ansprüche auf Beteiligung an Gewinnen der HSW in dem Verhältnis an die HLB abtritt, in dem die jeweilige Darlehensvaluta zum Stammkapital der HSW steht.

13 Die Fortsetzung des Betriebes der alten HSW durch die HSW führte nach Angaben der Bundesregierung zu einer Verringerung der auf der Finanzierung der alten HSW beruhenden Ausfälle, und zwar bei der HLB von 52 Mio. DM auf weniger als 5 Mio. DM sowie bei der Freien und Hansestadt Hamburg von 129 Mio. DM auf 52 Mio. DM.

14 Am 20. Dezember 1984 und am 9. Dezember 1985 gab die Kommission zugunsten der HSW direkte Beihilfen in einer Gesamthöhe von 46 Mio. DM für Investitionen, Schließungen, Forschung und Entwicklung sowie Betriebsverluste und eine öffentliche Bürgschaft über 40 Mio. DM frei. Es wurden jedoch nur 23,5 Mio. DM an Beihilfen ausgezahlt; Bürgschaften über 27 Mio. DM wurden nicht in Anspruch genommen.

15 In einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. September 1988 wurde festgestellt, daß die fraglichen Darlehen als kapitalersetzende Darlehen zu qualifizieren seien, da die HLB gleichzeitig Gesellschafter der alten HSW und Treuhänder der Freien und Hansestadt Hamburg gewesen sei. Infolgedessen hätten die entsprechenden Forderungen nur befriedigt werden können, wenn die Liquidation der alten HSW nach Befriedigung aller bevorrechtigten und nicht bevorrechtigten Gläubiger zu einem Überschuß geführt hätte.

3. Kreditlinie von 1984

16 Zu Beginn der Geschäfte der HSW räumte ihr die HLB 1984 eine revolvierende Kreditlinie von 130 Mio. DM auf der Grundlage von regelmäßig erneuerten einjährigen Verträgen ein, davon 52 Mio. DM auf eigenes Risiko, während 78 Mio. DM durch einen Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg gedeckt waren. Als Gegenleistung für diese Kreditlinie wurden der HLB Sicherheiten gewährt.

17 In der Zeit von 1984 bis 1993 erlitt die HSW in sechs Jahren Verluste und machte in vier Jahren Gewinn. Die Kreditlinie von 130 Mio. DM wurde vor 1992 nicht vollständig ausgeschöpft.

4. Kreditlinie von Dezember 1992

18 Nachdem die HSW 1992 Verluste in Höhe von ungefähr 20 Mio. DM erlitten hatte, erforderte ihre Situation außer der Erneuerung der von der HLB eingeräumten Kreditlinie von 130 Mio. DM deren Aufstockung um 20 Mio. DM. Die HLB beschloß, die auf eigenes Risiko gewährte Kreditlinie von 52 Mio. DM zu erneuern, an deren Aufstockung aber nicht teilzunehmen. Die Freie und Hansestadt Hamburg beschloß, den Kreditauftrag über 78 Mio. DM zu erneuern und die HLB außerdem anzuweisen, die Kreditlinie um 20 Mio. DM aufzustocken. Die HLB und die Freie und Hansestadt Hamburg waren jedoch nur bereit, diesen Kredit unter der Auflage zu gewähren, daß die HSW ein Umstrukturierungskonzept vorlege.

5. Kreditlinie von Dezember 1993

19 1993 erlitt die HSW Verluste in Höhe von insgesamt 24,4 Mio. DM, die wiederum eine Erneuerung und Aufstockung der Kreditlinie erforderten. Da die HLB keine weitere Finanzierung bereitstellen wollte, gab die Freie und Hansestadt Hamburg ihr den Auftrag, der HSW (mit Wirkung vom 1. Januar 1994) eine Kreditlinie über 150 Mio. DM bereitzustellen sowie eine Aufstockung um 24 Mio. DM und einen Swing von 10 Mio. DM zu gewähren. Die Freie und Hansestadt Hamburg übernahm damit das volle wirtschaftliche Risiko dieses Gesamtdarlehens über 184 Mio. DM.

6. Verkauf der HSW

20 Vor der Gewährung dieses Darlehens im Dezember 1993 waren Kontakte im Hinblick auf die Veräußerung der HSW hergestellt worden. Ein von der Kreditkommission der Freien und Hansestadt Hamburg in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten empfahl die Privatisierung der HSW. Nach diesem Gutachten vom 19. Januar 1994 (im folgenden: McKinsey-Gutachten) wäre der Freien und Hansestadt Hamburg im Fall des Konkurses der HSW ein Verlust von 200 Mio. DM entstanden.

21 Die Protei übertrug im Februar 1994 ihre HSW-Gesellschaftsanteile gegen Zahlung von 275 000 DM, die durch ein Darlehen der HLB finanziert wurden, und gegen Übernahme der noch zurückzuzahlenden 17,2 Mio. DM aus dem Darlehen von 20 Mio. DM, das bei der Gründung der Protei gewährt worden war, an den Geschäftsführer der alten HSW.

22 Mit Vertrag vom 27. Dezember 1994 erwarb die zur ISPAT-Gruppe gehörende niederländische Gesellschaft Venuda Investments BV (im folgenden: ISPAT) die HSW, wobei sie zum einen 10 Mio. DM an den Geschäftsführer zahlte, der diesen Betrag unmittelbar an die HLB weitergab, womit deren Forderungen befriedigt wurden; zum anderen schloß sie mit der HLB einen Vertrag über die Abtretung von deren Forderungen im Zusammenhang mit der Kreditlinie. In dem Vertrag war festgelegt, in welcher Art und Weise der Kaufpreis der Forderungen zu bestimmen ist. ISPAT hatte nach diesem Vertrag den Betrieb der HSW fortzusetzen, 630 Arbeitsplätze im Unternehmen zu erhalten, Investitionen in Höhe von 70 Mio. DM durchzuführen und 30 Mio. DM Eigenkapital zuzuführen.

Verwaltungsverfahren

23 Nachdem die Kommission aus der Presse erfahren hatte, daß die Freie und Hansestadt Hamburg die HSW finanziell unterstütze, bat sie die Bundesregierung mit Schreiben vom 24. Januar und 2. Februar 1994 um weitere Informationen.

24 Nach Prüfung dieser Informationen war die Kommission der Ansicht, die finanziellen Maßnahmen zugunsten der HSW könnten mit dem EGKS-Vertrag und dem Fünften Stahlbeihilfenkodex unvereinbare staatliche Beihilfen darstellen.

25 Mit Schreiben vom 14. Juli 1994 unterrichtete die Kommission die Bundesregierung von ihrer Entscheidung, das Verfahren nach Artikel 6 Absatz 4 Stahlbeihilfenkodex einzuleiten. Bei der Veröffentlichung dieser Entscheidung (ABl. 1994, C 293, S. 3) forderte die Kommission die anderen Mitgliedstaaten und sonstigen Beteiligten auf, sich binnen eines Monats zu den betreffenden Beihilfemaßnahmen zu äußern.

26 Mit einer Mitteilung an die Kommission vom 8. September 1994 nahm die Bundesregierung dahin gehend Stellung, daß die fraglichen finanziellen Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen seien. Andere Mitgliedstaaten und sonstige Beteiligte reichten bei der Kommission ebenfalls Stellungnahmen ein.

27 Im folgenden übersandte die Bundesregierung der Kommission eine Reihe von Schreiben und nahm an mehreren von der Kommission organisierten Treffen teil. Außerdem bat sie die Kommission mit Schreiben vom 23. Juni 1995, eine Entscheidung zurückzustellen, damit sie belegen könne, daß die HSW aus eigenen Sicherheiten in der Lage gewesen sei, ihre Finanzierung sicherzustellen. Die Kommission entsprach diesem Antrag.

28 Mit Mitteilung vom 18. August 1995 übermittelte die Bundesregierung der Kommission weitere Informationen.

Angefochtene Entscheidung

29 Am 31. Oktober 1995 erließ die Kommission ihre Entscheidung 96/236/EGKS über eine staatliche Beihilfe der Freien und Hansestadt Hamburg an das EGKS-Stahlunternehmen Hamburger Stahlwerke GmbH, Hamburg (ABl. 1996, L 78, S. 31; im folgenden: angefochtene Entscheidung), in der es heißt:

"Artikel 1

Die Zuführung von 20 Mio. DM zum Stammkapital der [HSW], gewährt in Form eines Darlehens der Freien und Hansestadt Hamburg über die [HLB] an die Gesellschafter der [Protei] und dieses Unternehmen selbst, stellt eine staatliche Beihilfe dar. Diese Beihilfe wurde bereits 1984/85 von der Kommission genehmigt.

Artikel 2

Die der [HSW] auf der Grundlage der Erweiterung der von der [HLB] im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg eingeräumten Kreditlinie um 20 Mio. DM im Dezember 1992 gewährten Darlehen und die der [HSW] auf der Basis der gesamten im Dezember 1993 von der [HLB] im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg eingeräumten Kreditlinie über 174 Mio. DM sowie eines Swing von 10 Mio. DM gewährten Darlehen stellen eine staatliche Beihilfe dar, die mit dem EGKS-Vertrag und dem Stahlbeihilfenkodex nicht vereinbar ist.

Artikel 3

Deutschland fordert die in Artikel 2 genannten Beihilfen von dem begünstigten Unternehmen zurück. Die Rückzahlung erfolgt gemäß den Verfahren und Vorschriften des deutschen Rechts einschließlich Zinsen pro rata temporis ab dem Zeitpunkt der Beihilfegewährung und in Höhe des bei der Überprüfung von Regionalbeihilferegelungen zugrunde gelegten Zinssatzes. Zinsen, die auf der Basis der Vereinbarung über die Kreditlinie bereits gezahlt wurden, werden angerechnet. Der Kaufpreis, den die Venuda Investments B.V. für die Abtretung der Forderungen von der [HLB] bezahlen wird, wird als Teil der Rückzahlung der Beihilfe betrachtet."

30 Die Beurteilung durch die Kommission läßt sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Abschnitt IV der Entscheidung):

31 Die Kommission führt zunächst aus, daß die HSW seit ihrer Gründung im Jahr 1984 de facto ein staatliches Unternehmen gewesen sei, da der Staat das gesamte Stammkapital aufgebracht und über die HLB, den Konkursverwalter, den Geschäftsführer und die Protei in das Unternehmen eingebracht habe. Die gesamte 1984 geschaffene Vertragslage habe dafür gesorgt, daß die Freie und Hansestadt Hamburg die HSW über die HLB kontrolliert habe.

1. Stammkapitaldarlehen

32 Die Kommission stellt fest, daß das Stammkapitaldarlehen über 20 Mio. DM, das die Freie und Hansestadt Hamburg über die HLB der Protei zur Verfügung gestellt habe, um damit das Anfangskapital der HSW aufzubringen, der Einbringung von Eigenkapital gleichzusetzen sei.

33 Entgegen der Behauptung der deutschen Bundesregierung hätte ein privater Investor, der nicht in einer besonderen Beziehung zu der alten HSW gestanden habe, kein haftendes Kapital bereitgestellt, um eine Auffanggesellschaft zu finanzieren. Der Vergleichsverwalter habe nämlich ohne Erfolg während eines Jahres versucht, einen privaten Investor zu finden, der zur Übernahme der Geschäfte der HSW bereit gewesen sei; außerdem habe die Kommission, als sie 1984 die mit dem von der Bundesregierung dargestellten Umstrukturierungsplan verbundenen Beihilfen geprüft habe, die HSW zwar als wirtschaftlich lebensfähig angesehen, allerdings unter Berücksichtigung der angenommenen Absicht des privaten Investors Protei, eigenes Kapital einzubringen. Die Beihilfen, mit denen das Unternehmen für wirtschaftlich lebensfähig gehalten worden sei, seien von der Kommission als auf den Betrag beschränkt angesehen worden, der für die Umstrukturierung der HSW notwendig gewesen sei. Die Tatsache, daß selbst mit der Aussicht auf die Bereitstellung erheblicher Beihilfen kein privater Investor zur Übernahme der Geschäfte der alten HSW gefunden worden sei, unterstreiche, daß ein privater Kapitalgeber nicht bereit gewesen wäre, Risikokapital einzubringen.

34 Dem widerspreche nicht, daß die HLB zur Finanzierung der HSW beigetragen habe. Die HLB habe die Darlehen aufgrund der Kreditlinie nicht unter Bedingungen bereitgestellt, die erlauben würden, sie bereits von Beginn an als mit Eigenkapital vergleichbar einzustufen. Die HSW habe Zinsen auch in den Jahren zahlen müssen, in denen sie keine Gewinne gemacht habe, und die HLB habe ihr Darlehen mit Sicherheiten abgesichert, die, solange das Darlehen nicht als eigenkapitalersetzend einzustufen gewesen sei, werthaltig gewesen seien.

35 Das Darlehen über 20 Mio. DM stelle daher eine staatliche Beihilfe dar. Diese Beihilfe sei jedoch von den Genehmigungen abgedeckt, die sie zuvor 1984 und 1985 erteilt habe.

2. Kreditlinie von 1984

36 Hinsichtlich der von der HLB gewährten, weitgehend durch den Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg abgedeckten Kreditlinie seien diese finanziellen Vorkehrungen im Hinblick auf die Umstände der Gründung der neuen HSW zu untersuchen.

37 Die HLB und die Freie und Hansestadt Hamburg hätten bei der Eröffnung des Konkurses über die alte HSW davon ausgehen können, daß ihre Forderungen über 52 Mio. DM und 129 Mio. DM nicht bedient würden, weil sie möglicherweise als eigenkapitalersetzende Darlehen qualifiziert würden. Um eine teilweise Befriedigung ihrer ausstehenden Forderungen zu ermöglichen, seien die HLB und die Freie und Hansestadt Hamburg bereit gewesen, der HSW einen ihren ausstehenden Forderungen entsprechenden Betrag zur Fortführung des Betriebes der Firma bereitzustellen, um hierdurch die Kosten der Schließung zu vermeiden.

38 Die HLB habe letztlich eine Rückzahlung von 90 % auf ihre Forderung gegen die alte HSW erhalten und die Freie und Hansestadt Hamburg eine Rückzahlung von 60 % ihrer Forderung. Die Kommission unterscheidet jedoch zwischen dem Verhalten der HLB und dem der Freien und Hansestadt Hamburg, weil in der Struktur der Sicherheiten, die sie erhalten hätten, ein wesentlicher Unterschied bestanden habe. Die HLB habe die Kreditlinie mit einer Besicherung gewährt, die immer ihre Befriedigung sichergestellt habe, bevor die Freie und Hansestadt Hamburg von den Sicherheiten profitieren würde.

39 In der Zeit von 1984 bis 1992, als die Kreditlinie regelmäßig erneuert worden sei, sei die HSW nicht in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, die eine weitere Kapitalzuführung erfordert hätten, um einen Konkurs zu vermeiden. Daher habe die HLB keine Veranlassung gehabt, den Verlust der Sicherheiten infolge der eigenkapitalersetzenden Natur der Darlehen zu befürchten, auch wenn die vertragliche Konstruktion zur Fortführung der HSW ein Versuch gewesen sei, diese rechtliche Qualifizierung zu umgehen. Die HLB habe somit sowohl auf die vertragliche Konstruktion als auch auf die Bereitschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vertrauen können, die HSW im Hinblick auf Investitionserträge in Betrieb zu halten.

40 Die Kommission kommt zu dem Schluß, daß es nicht gänzlich ausgeschlossen sei, daß das Verhalten der Freien und Hansestadt Hamburg von 1984 bis 1992 mit dem Verhalten eines privaten Investors in einer vergleichbaren Lage in Einklang gestanden habe. Somit sei die in den Jahren 1984 bis Ende 1992 von der HLB gewährte und von der Freien und Hansestadt Hamburg in Höhe von 78 Mio. DM besicherte Kreditlinie keine staatliche Beihilfe gewesen.

3. Kreditlinie von Dezember 1992

41 Die Kommission weist darauf hin, daß die HSW sich bereits 1992 in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe, deretwegen zusätzliche Liquidität erforderlich gewesen sei.

42 Angesichts der 1991 und 1992 verzeichneten Betriebsverluste habe sich die HLB bereit erklärt, ihr Engagement von 52 Mio. DM zu erneuern, sich jedoch geweigert, es auszuweiten. Die Freie und Hansestadt Hamburg sei damit einverstanden gewesen, ihr Engagement zu erneuern und zu erweitern, wodurch sie ihre Abdeckung des Risikos bezüglich der HSW von 60 % auf 65,4 % erhöht habe. Für die Kommission sei es nachvollziehbar, daß sich die HLB einerseits bereit erklärt habe, ihr Engagement zu erneuern, da sie von diesem zuvor 90 % zurückerhalten habe, daß sie es aber andererseits im Hinblick auf die Marktlage abgelehnt habe, ihr Engagement auszuweiten.

43 Das Argument der Bundesregierung, daß eine private Bank die benötigte Aufstockung der Kreditlinie gewährt hätte, weil sonst das gesamte Darlehen verloren gewesen wäre, sei nicht überzeugend. Das finanzielle Engagement der HLB bei der Gewährung eines Teils der Kreditlinie sei nicht mit dem Darlehen einer privaten Bank vergleichbar. Die HLB habe auf die Bereitschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vertraut, die HSW in Betrieb zu halten. Das Argument der Bundesregierung, daß die HSW von der Aufstockung der Kreditlinie nicht profitiert habe, sei ebensowenig tragfähig, da der HSW Zahlungsunfähigkeit gedroht habe. Zudem habe die HLB bereits alle Sicherheiten hereingenommen gehabt; die Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM sei für das Überleben des Unternehmens unerläßlich gewesen.

44 Die Freie und Hansestadt Hamburg habe mit ihrer Zustimmung zu dieser Aufstockung der Kreditlinie einen Betrag riskiert, der ihre ursprüngliche Forderung gegenüber der alten HSW überstiegen habe, so daß der spezielle wirtschaftliche Hintergrund für die Fortführung des Unternehmens nicht herangezogen werden könne, um dieses Verhalten zu erklären. Diese Aufstockung der Kreditlinie sei daher eine mit Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag nicht vereinbare Beihilfe.

4. Kreditlinie von Dezember 1993

45 Die Kommission stellt fest, daß die HSW 1993 erneut ein negatives Betriebsergebnis von 24,4 Mio. DM erlitten habe und die von der Kreditkommission der Freien und Hansestadt Hamburg beauftragten Sachverständigen im Dezember 1993/Januar 1994 festgestellt hätten (McKinsey-Gutachten), daß die HSW kurz vor dem Konkurs stehe und eine Privatisierung der beste Weg sei, die Verluste der Freien und Hansestadt Hamburg zu begrenzen und die Arbeitsplätze zu erhalten.

46 Die HLB habe die ohne Sicherheiten eingeräumte Kreditlinie nicht erneuert und keine weitere Finanzierung bereitgestellt. Die Freie und Hansestadt Hamburg habe hingegen das gesamte mit der HSW verbundene wirtschaftliche Risiko übernommen und die HLB beauftragt, Anfang 1994 eine Kreditlinie über 174 Mio. DM und einen Swing von 10 Mio. DM bereitzustellen.

47 Das Argument der Bundesregierung, daß die Entscheidung der HLB im wesentlichen auf ein neuerlich veröffentlichtes Urteil zurückzuführen gewesen sei, das nahegelegt habe, daß die Darlehen der HLB als eigenkapitalersetzend zu betrachten seien, sei nicht überzeugend. Dieses Urteil sei am 2. Oktober 1992, also noch vor der Entscheidung der HLB von 1992, ihren Teil der Kreditlinie über 52 Mio. DM zu erneuern, in einer verbreiteten Fachzeitschrift veröffentlicht worden. Zudem habe die HLB wissen müssen, daß die 1984 geschaffene vertragliche Konstruktion zum Ziel gehabt habe, die Rechtsprechung zu kapitalersetzenden Darlehen zu umgehen, und daß die Erwartung, die Freie und Hansestadt Hamburg werde die HSW finanziell unterstützen, nach dem McKinsey-Gutachten geschwunden sei.

48 Die Kommission ist daher der Ansicht, daß die HLB den besonderen Hintergrund der ursprünglichen Finanzierung der HSW nicht mehr als ausreichend betrachtet habe, das mit der Fortführung der HSW verbundene wirtschaftliche Risiko zu rechtfertigen. Diese Haltung sei angesichts der Situation der HSW, die unmittelbar vor dem Konkurs gestanden habe, der Ankündigung weiterer Verluste, eines sich nicht verbessernden Marktes und der Schlußfolgerungen des Sachverständigengutachtens gerechtfertigt gewesen. Daraus folge, daß kein privater Investor der HSW neues Kapital zur Verfügung gestellt hätte und daß die Kreditlinie und der Swing, die auf Anweisung der Freien und Hansestadt Hamburg gewährt worden seien, eine mit Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag unvereinbare Beihilfe darstellten.

Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten

49 Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 21. Dezember 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

50 Mit Beschluß vom 8. Mai 1996 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen worden.

51 Die angefochtene Entscheidung ist auch Gegenstand einer beim Gerichtshof erhobenen Klage, die unter dem Aktenzeichen C-404/95 in das Register der Kanzlei eingetragen worden ist. Mit Beschluß vom 10. Dezember 1996 hat der Gerichtshof das Verfahren in dieser Rechtssache bis zum Erlaß des Urteils des Gerichts ausgesetzt.

52 Mit Beschluß vom 4. März 1997 ist das Vereinigte Königreich als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen worden. Mit demselben Beschluß hat das Gericht einen Antrag der Klägerin auf vertrauliche Behandlung geprüft und ihm für bestimmte in den Akten enthaltene Angaben stattgegeben.

53 Die Streithelfer Bundesrepublik Deutschland und Vereinigtes Königreich haben mit Schriftsätzen, die am 31. Juli 1996 und 11. August 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, Erklärungen abgegeben. Die Kommission hat zu diesen Erklärungen mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1997 Stellung genommen.

54 Das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Die Verfahrensbeteiligten und die HLB sind gemäß Artikel 64 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts aufgefordert worden, bestimmte Fragen zu beantworten und bestimmte Unterlagen vorzulegen.

55 Die Bundesrepublik Deutschland, die Kommission und die Klägerin haben mit Schreiben vom 12. Februar, 15. Februar und 18. Februar 1999 diese Fragen beantwortet und die verlangten Unterlagen vorgelegt. Die HLB hat mit Schreiben vom 11. Februar 1999 ebenfalls eine ihr gestellte Frage beantwortet. Die Verfahrensbeteiligten sind den entsprechenden Aufforderungen damit fristgemäß nachgekommen.

56 Die Parteien und die Streithelferin Bundesrepublik Deutschland haben in der Sitzung vom 18. März 1999 mündlich verhandelt und die mündlich gestellten Fragen beantwortet.

57 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission die Zweckdienlichkeit der Fragen des Gerichts an die Verfahrensbeteiligten und an die HLB bestritten; sie ist der Berücksichtigung der in diesen Antworten enthaltenen neuen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens entgegengetreten.

58 Die Klägerin beantragt,

- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

59 Die Streithelferin Bundesrepublik Deutschland beantragt, die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären.

60 Die Beklagte beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

61 Der Streithelfer Vereinigtes Königreich beantragt, die Klage abzuweisen.

62 Die Klägerin hat in ihrer Antwort vom 18. Februar 1999 auf die Fragen des Gerichts erklärt, daß sie die Klage zurücknehme, soweit sie gegen Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung gerichtet sei. Die Klägerin hat diese Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Zu den Antworten auf die schriftlichen Fragen des Gerichts und den diesen Antworten beigefügten Unterlagen

63 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, daß das Gericht nur die Auskünfte berücksichtigen dürfe, die ihr im Rahmen des Verwaltungsverfahrens übermittelt worden seien. Dies sei bei dem vollständigen Umstrukturierungskonzept von 1992 und dem Gutachten von Susat & Partner vom 23. November 1992, die von der Klägerin in der Anlage zu ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts vorgelegt worden seien, nicht der Fall gewesen. Außerdem dürften die Antworten auf die Fragen des Gerichts es den Verfahrensbeteiligten nicht gestatten, Tatsachen aus der Zeit nach der angefochtenen Entscheidung vorzutragen, da diese das Verwaltungsverfahren abschließe; die Antworten dürften auch nicht darauf abzielen, vor dem Gericht Argumente geltend zu machen, die vor der Kommission nicht vorgetragen worden seien.

64 Nach Artikel 24 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 der EGKS-Satzung auf das Gericht entsprechende Anwendung findet, kann der Gerichtshof von den Parteien "die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen, die er für wünschenswert hält".

65 Aus Artikel 64 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts, die die Bestimmungen der Satzung ergänzt und verdeutlicht, ergibt sich, daß prozeßleitende Maßnahmen u. a. zum Ziel haben, die Bedeutung der Anträge und des Vorbringens der Parteien zu verdeutlichen und die zwischen den Parteien streitigen Punkte zu klären. Nach Artikel 64 § 3 der Verfahrensordnung gehören zu diesen Maßnahmen:

"a) Fragen an die Parteien;

...

c) Informations- oder Auskunftsverlangen an die Parteien oder Dritte;

d) die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken im Zusammenhang mit der Rechtssache;

..."

66 Das Gericht hat es für erforderlich gehalten, an die Klägerin, an die Kommission und an die Bundesrepublik Deutschland schriftliche Fragen zu richten, um Erläuterungen zu deren schriftsätzlichem Vorbringen zu erhalten, und sie aufzufordern, bestimmte in den Schriftsätzen angeführte Dokumente vorzulegen. Eine schriftliche Frage ist auch an die an diesem Verfahren nicht beteiligte HLB gerichtet worden, um den zwischen der Klägerin und der Kommission streitigen Punkt zu klären, ob die HLB die streitigen Darlehen auch ohne einen entsprechenden Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg gewährt hätte.

67 Es ist Sache des Gerichts, im Rahmen des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten die Relevanz ihrer Antworten auf seine Fragen und der von ihnen vorgelegten Dokumente zu beurteilen. Dabei hat das Gericht auch die Erklärungen der Kommission zu der Frage zu berücksichtigen, inwieweit diese Antworten und Dokumente für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung herangezogen werden können.

Zur Begründetheit der Klage

68 Die Klägerin macht drei Klagegründe geltend. Mit dem ersten rügt sie die Verletzung wesentlicher Formvorschriften; der angefochtenen Entscheidung liege ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde, und die Kommission habe sich mit bestimmten Argumenten nicht auseinandergesetzt. Mit dem zweiten Klagegrund macht sie die Verletzung des EGKS-Vertrags und bei seiner Durchführung anzuwendender Rechtsnormen geltend. Der letzte Klagegrund rügt einen Ermessensmißbrauch der Kommission.

69 Der erste Klagegrund hängt jedoch eng mit dem zweiten Klagegrund - Verletzung des EGKS-Vertrags - zusammen. Die Rüge der fehlerhaften Sachverhaltsermittlung hat nämlich keinen eigenständigen Gehalt und kann nicht als "Verletzung wesentlicher Formvorschriften" im Sinne von Artikel 33 EGKS-Vertrag qualifiziert werden.

70 Was weiter Tatsachenfeststellungen der Kommission in der angefochtenen Entscheidung anbelangt, so besteht eine Divergenz zur Darstellung des Sachverhalts durch die Streithelferin Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik Deutschland hat im Rahmen ihrer Bemerkungen zum Sitzungsbericht darauf hingewiesen, daß die Aussage unrichtig sei, die im Dezember 1992 eingeräumte Kreditlinie von 150 Mio. DM sei in Höhe von 98 Mio. DM durch einen Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg gesichert gewesen (78 Mio. DM zur Absicherung der bestehenden Kreditlinie von 130 Mio. DM und 20 Mio. DM zur Abdeckung der Aufstockung), während sich die HLB weiter verpflichtet habe, ein ungesichertes Darlehen von 52 Mio. DM bereitzustellen. Diese Sachverhaltsdarstellung berücksichtige nicht, daß der Kreditauftrag für die Kreditlinie über 130 Mio. DM im Dezember 1992 von 78 Mio. DM auf 97,5 Mio. DM angehoben worden sei und sich somit nicht mehr auf 60 %, sondern auf 75 % dieses Betrages erstreckt habe. Dazu sei noch der Kreditauftrag für die Aufstockung um 20 Mio. DM gekommen, so daß sich die Kreditaufträge der Freien und Hansestadt Hamburg ab Dezember 1992 auf insgesamt 117,5 Mio. DM erstreckt hätten.

71 Die Klägerin hat jedoch diesen Punkt nicht als einen Grund für die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung geltend gemacht; die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf ihn in ihrem Streithilfeschriftsatz im Abschnitt "Vorsorgliche weitere Richtigstellungen" bezogen, in dem sie den Vortrag der Kommission in Punkten richtiggestellt hat, die sie an sich als für die Entscheidung des Gerichts nicht relevant betrachtet hat. Damit besteht für das Gericht kein Anlaß, zu prüfen, ob die angefochtene Entscheidung insoweit auf einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung beruht.

72 Daher sind der erste und der zweite Klagegrund im Rahmen eines einzigen Klagegrundes der Verletzung des Artikels 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag und des Artikels 1 Absatz 2 des Stahlbeihilfenkodex zu prüfen, die darin liegen soll, daß die Kommission die streitigen Maßnahmen zu Unrecht als staatliche Beihilfen qualifiziert habe.

1. Zum Klagegrund der Verletzung des Artikels 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag und des Artikels 1 Absatz 2 des Stahlbeihilfenkodex

Vorbringen der Parteien

73 Die Klägerin wirft der Kommission vor, sie habe die betreffenden finanziellen Maßnahmen zu Unrecht als staatliche Beihilfen qualifiziert; in erster Linie trägt sie vor, daß die streitigen finanziellen Maßnahmen auch von einem marktwirtschaftlich handelnden Privatinvestor hätten gewährt werden können.

74 Die Klägerin macht zunächst geltend, daß die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Zum zweiten hätten die im Dezember 1992 und im Dezember 1993 eingeräumten Kreditlinien von einem Privatinvestor gewährt werden können. Zum dritten habe sie über ausreichende Sicherheiten verfügt, um von Dritten Kapital zu erhalten. Schließlich entspreche, wenn der Ansicht der Kommission bezüglich des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe gefolgt werden sollte, deren Höhe nicht dem von der Kommission angegebenen Betrag.

Zur wirtschaftlichen Einheit zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB

75 Die Klägerin, unterstützt von der Bundesrepublik Deutschland, trägt vor, zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB bestehe eine wirtschaftliche Einheit. Die Kommission habe daher zu Unrecht zwischen dem Verhalten der HLB als Staatsbank auf der einen und als Geschäftsbank auf der anderen Seite unterschieden und die in der jeweiligen Eigenschaft gewährten Beträge getrennt beurteilt. Daraus ergebe sich weiter, daß die HLB nicht als Referenz-Privatinvestor angesehen werden könne.

76 Die Klägerin begründet dies damit, daß die HLB erstens gemäß § 1 Absatz 1 des Gesetzes über die Hamburgische Landesbank - Girozentrale - (HLBG) eine Anstalt des öffentlichen Rechts sei. Zweitens hafte die Freie und Hansestadt Hamburg für die Verbindlichkeiten der HLB unbeschränkt und müsse sicherstellen, daß die HLB ihre Aufgaben erfuellen könne (§ 4 Absätze 1 und 2 HLBG). Drittens liege bei der HLB - anders als bei einer normalen Geschäftsbank - der Hauptzweck nicht in der Erzielung von Gewinn. Viertens bestelle die Freie und Hansestadt Hamburg den Vorstandsvorsitzenden und den Aufsichtsrat der HLB.

77 Die Bundesrepublik Deutschland pflichtet dem voll und ganz bei und begründet mit zahlreichen Argumenten, daß im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Einheit anzunehmen sei, wobei sie darauf hinweist, daß die eigene Rechtspersönlichkeit der HLB eine wirtschaftliche Einheit nicht ausschließe. Für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit im vorliegenden Fall sei die Anstaltslast von entscheidender Bedeutung. Aufgrund der Anstaltslast habe der Anstaltsträger die Funktionsgarantie für die Anstalt zu übernehmen.

78 Außerdem sei der Geschäftserfolg der HLB, der maßgeblich durch das professionelle Management von Kreditrisiken bestimmt werde, für die Höhe der Gewinnausschüttung der HLB und damit für ihren Beitrag zum Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg maßgeblich. So könne die Beteiligung der HLB am Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg 6 % ihres Stammkapitals betragen. Kreditausfälle der HLB bei der HSW hätten demzufolge wirtschaftlich immer die Freie und Hansestadt Hamburg getroffen, und zwar unabhängig davon, ob sie der HLB Kreditaufträge erteilt habe.

79 Die in der Gemeinschaftsrechtsprechung aufgestellten Kriterien für die wirtschaftliche Einheit - Halten einer Kapitalmehrheit (die Freie und Hansestadt Hamburg halte 100 % der Anteile der HLB), Weisungsbefugnisse und Kontrollmöglichkeiten - seien erfuellt. Daher müßten die Zahlungen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB an die HSW beihilferechtlich einheitlich betrachtet werden.

80 Die Kommission trägt vor, daß ein deutsches Gericht zwar die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB als wirtschaftliche Einheit betrachtet habe; diese Schlußfolgerung betreffe aber einen anderen rechtlichen Kontext und eine andere Interessenlage als im vorliegenden Fall. Die Beurteilung durch die deutschen Gerichte betreffe die Beziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB im Kontext der Liquidation von Vermögenswerten und nicht im Kontext der Kontrolle staatlicher Beihilfen. Es seien zwei Fälle zu unterscheiden, die zwei unterschiedliche Qualifikationen der Beziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB rechtfertigten. Im ersten Fall habe die HLB auf den Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg hin 129 Mio. DM gewährt, so daß es sich um einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang handele. Im zweiten, für die Kommission besonders interessanten Fall der Gewährung von 52 Mio. DM an die HSW sei die HLB nicht durch die Freie und Hansestadt Hamburg besichert gewesen, so daß es bei diesem Geschäft keine rechtliche oder wirtschaftliche Verbindung zur Freien und Hansestadt Hamburg gegeben habe. Die Bundesregierung habe in der Besprechung vom 22. Mai 1995 und in ihrer Mitteilung vom 8. September 1994 bestätigt, daß die HLB und die Freie und Hansestadt Hamburg keine wirtschaftliche Einheit bildeten. Daher gehe die Entscheidung der Kommission nicht von einem unzutreffenden Sachverhalt aus.

81 Nach den Auskünften, die die Bundesregierung der Kommission übermittelt habe, seien die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB selbständige, eindeutig voneinander getrennte juristische Personen, die im Hinblick auf die HSW eigenständige Entscheidungen getroffen hätten; die Bundesregierung habe sich im Verwaltungsverfahren auch nicht darauf berufen, daß zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB eine wirtschaftliche Einheit bestehe. Die HLB habe ihre Geschäfte unter Beachtung allgemeinwirtschaftlicher Gesichtspunkte nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen und daher einen Jahresabschluß aufzustellen. Infolgedessen bilde die HLB angesichts ihrer wirtschaftlichen Eigenverantwortlichkeit keine wirtschaftliche Einheit mit der Freien und Hansestadt Hamburg; davon könne nur die Rede sein, soweit die HLB aufgrund eines Auftrags der Freien und Hansestadt Hamburg tätig werde.

Zur Untersuchung der im Dezember 1992 und im Dezember 1993 eingeräumten Kreditlinien durch die Kommission

- Aufstockung der Kreditlinie im Dezember 1992

82 Die Klägerin sieht in der im Dezember 1992 erfolgten Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM keine staatliche Beihilfe.

83 Sie rügt zum einen, die Kommission habe ihre Beurteilung auf die Feststellung gestützt, daß die Freie und Hansestadt Hamburg aufgrund dieser Aufstockung der Kreditlinie einen Betrag riskiert habe, der ihre ursprüngliche Forderung gegenüber der alten HSW überstiegen habe.

84 Zunächst sei die Kommission bei dieser Feststellung von falschen Zahlen ausgegangen. Sie hätte bei dieser Berechnung nicht die 1984 gewährten Beihilfen in Höhe von 23,5 Mio. DM berücksichtigen dürfen, die überdies von der Bundesregierung und nicht von der Freien und Hansestadt Hamburg gezahlt worden seien. Jedenfalls habe das Engagement der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB, die eine wirtschaftliche Einheit darstellten, im Dezember 1992 unter dem Engagement bei der alten HSW gelegen.

85 Selbst wenn aber das Engagement der Freien und Hansestadt Hamburg im Dezember 1992 höher als das bei der alten HSW gelegen hätte, wäre dies kein Beleg dafür, daß sich die Freie und Hansestadt Hamburg nicht wie ein Privatinvestor auf dem von einer Krise gekennzeichneten europäischen Stahlmarkt verhalten habe. Im Fall des Konkurses der HSW hätten die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB, die eine wirtschaftliche Einheit darstellten, nämlich kraft der Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Darlehen, die eine Verwertung der von der HSW gestellten Sicherheiten durch die HLB verhindert hätte, 120 Mio. DM bis 150 Mio. DM verloren. Außerdem sei die Aufstockung der Kreditlinie in Anbetracht der sich aus der Durchführung des Umstrukturierungskonzepts ergebenden günstigen finanziellen Perspektiven gerechtfertigt gewesen; die gutachterliche Prüfung dieses Konzepts habe ergeben, daß eine Ergebnisverbesserung eintreten werde und bereits für 1994 ein ausgeglichenes Ergebnis zu erwarten sei.

86 Zum anderen vertritt die Klägerin, unterstützt von der Bundesrepublik Deutschland, die Ansicht, daß die Kommission aus dem Verhalten der HLB, die von der Freien und Hansestadt Hamburg verlangt habe, die Aufstockung der Kreditlinie abzusichern, nicht ableiten könne, daß das Verhalten der Freien und Hansestadt Hamburg nicht dem eines Privatinvestors entsprochen habe. Die Kommission habe nichts dafür dargelegt, daß die Entscheidung der HLB ohne einen solchen Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg negativ ausgefallen wäre.

87 Die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB hätten sich daher wie Investoren bei der Einbringung haftenden Kapitals verhalten. In der Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM liege somit keine staatliche Beihilfe, da die Klägerin dieses zusätzliche Darlehen auf dem privaten Kapitalmarkt hätte erhalten können. Zum Beweis dafür, daß das Verhalten der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB insoweit dem Verhalten eines privaten Investors in gleicher Lage entspreche, schlägt die Klägerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor.

88 Die Kommission entgegnet, die angefochtene Entscheidung versuche darzulegen, daß das finanzielle Engagement der Freien und Hansestadt Hamburg im Dezember 1992 nicht mit den wirtschaftlichen Erwägungen begründet werden könne, die die Entscheidung von 1984, den Betrieb fortzuführen, gerechtfertigt hätten. Angesichts der katastrophalen Lage der HSW und des Verhaltens der HLB als einer sich an rein wirtschaftlichen Rentabilitätsgesichtspunkten orientierenden Geschäftsbank habe sich die Freie und Hansestadt Hamburg nicht wie ein Privatinvestor verhalten.

89 Für die Situation Ende 1992 seien die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Klägerin, der Umstand, daß die Freie und Hansestadt Hamburg arbeitsmarkt- und strukturpolitische Ziele verfolgt habe, und die extrem schlechte Lage auf dem europäischen Stahlmarkt kennzeichnend gewesen.

90 Die HLB sei entgegen den Behauptungen der Klägerin zur Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM nur unter der Bedingung bereit gewesen, daß die Freie und Hansestadt Hamburg eine Sicherheit leiste und somit allein das Risiko für diese Aufstockung übernehme. Die HLB sei nämlich an die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gebunden, weshalb sie "noch nachdrücklicher" eine umfassende Absicherung durch die Freie und Hansestadt Hamburg gefordert habe.

- Kreditlinie von Dezember 1993

91 Die Klägerin wirft der Kommission vor, nicht berücksichtigt zu haben, daß sich die Freie und Hansestadt Hamburg im Dezember 1993 bei ihrer Entscheidung, die im Dezember 1992 eingeräumte Kreditlinie zu verlängern und aufzustocken, wie ein privater Investor verhalten habe.

92 Trotz einer erfolgreichen Umsetzung des Restrukturierungskonzepts sei aufgrund der katastrophalen Konjunktur des Stahlmarktes ein neuer Kredit erforderlich geworden. Die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die negative Entwicklung der Klägerin die Folge struktureller und nicht konjunktureller Faktoren gewesen sei.

93 Vor diesem Hintergrund sei das McKinsey-Gutachten eingeholt worden, dessen Zweck von der Kommission unzutreffend ausgelegt worden sei. Es sei darum gegangen, die Lebensfähigkeit der Klägerin zu bewerten, um entscheiden zu können, ob es angebracht sei, weitere Kredite und Bürgschaften einzuräumen, und nicht darum, das Interesse einer Landesregierung an der Gewährung dieser Kredite darzulegen, wie dies die Kommission behaupte. Das McKinsey-Gutachten habe die HSW für wettbewerbsfähig befunden und deshalb die Fortführung der Produktion mit weiteren Krediten der HLB oder die Veräußerung des Unternehmens als Handlungsalternativen aufgezeigt. Die Fortführung der Produktion bei gleichzeitiger Umstrukturierung der HSW und Erhöhung des Eigenkapitals hätte wahrscheinlich bereits 1994 zu positiven Ergebnissen geführt (zu einem kumulierten Gewinn der Klägerin von 25,8 Mio. DM für die Jahre 1994 bis 1996). Die von den Prüfern ebenfalls erwogene Stillegung der HSW sei wegen der damit verbundenen hohen Liquidationskosten (rund 200 Mio. DM) gegenüber den Gesamtkosten bei einem Verkauf des Unternehmens (60 Mio. DM bis 80 Mio. DM) nicht in Betracht gekommen.

94 Aufgrund der sich aus dem McKinsey-Gutachten ergebenden positiven Aussichten und aufgrund des nachdrücklicheren Verlangens der HLB, die durch die sich verfestigende Rechtsprechung zu kapitalersetzenden Darlehen beunruhigt gewesen sei, habe sich die Freie und Hansestadt Hamburg im Dezember 1993 für einen umfassenden Kreditauftrag entschieden.

95 Einen Privatinvestor hätte auch die Aussicht auf einen Verkauf der Klägerin nicht davon abgehalten, sich an ihrer Finanzierung zu beteiligen. Die Aufstockung der Kreditlinie sei im Gegenteil in dem Wunsch begründet gewesen, diesen Verkauf zu ermöglichen. Dies belegten im übrigen die Verkaufsgespräche mit mehreren Stahlerzeugern, die vor der Präsentation des McKinsey-Gutachtens und vor der Entscheidung der Freien und Hansestadt Hamburg, die Kreditlinie aufzustocken, geführt worden seien.

96 Aus diesen Feststellungen folge somit, daß die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB als normale, marktwirtschaftlich handelnde Investoren aus gutem Grund beschlossen hätten, die Kreditlinie im Dezember 1993 aufzustocken. Denn die Verlängerung und die Aufstockung der streitigen Kreditlinie seien die einzigen Maßnahmen gewesen, die ein marktwirtschaftlich handelnder Investor in der Lage der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB vernünftigerweise ergriffen hätte. Zum Beweis dafür beantragt die Klägerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der weitere Verlauf habe auch bestätigt, daß das Verhalten der Freien und Hansestadt Hamburg marktwirtschaftlichen Grundsätzen entsprochen habe. So würden die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB aus ihrem Gesamtengagement von 184,975 Mio. DM eine Rückzahlung von 13,3 Mio. DM aus den Nicht-Barkrediten, von 54 bis 58 Mio. DM aus dem Forderungskauf der Barkredite sowie von 10 Mio. DM Kaufpreis für die Geschäftsanteile, insgesamt also von 81,3 Mio. DM erhalten bzw. hätten sie erhalten.

97 Die Klägerin wirft der Kommission außerdem vor, dem Umstand, daß die HLB einen Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg verlangt habe, entnommen zu haben, daß kein privater Investor ihr Ende 1993 neues Kapital zur Verfügung gestellt hätte. Die Klägerin stellt aber fest, daß sie die Verlängerung und Aufstockung der Kreditlinie auch von einem Dritten hätte erhalten können, da in Anbetracht der im McKinsey-Gutachten dargelegten positiven Perspektiven jeder private Investor ein solches Geschäft durchgeführt hätte; außerdem stellten diese Beträge nur Darlehen zu einem marktüblichen Zinssatz dar.

98 Überdies könnten die finanziellen Maßnahmen von Dezember 1993 nach den Urteilen, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung heranziehe, nicht als staatliche Beihilfen qualifiziert werden. So sei das Urteil des Gerichtshofes vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C-278/92, C-279/92 und C-280/92 (Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103) auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da der Verlust, der bei Schließung der HSW eingetreten wäre, deutlich höher gewesen sei als der Verlust, der bei einer Fortführung der Kreditlinie zu erwarten gewesen sei. Anwendbar seien vorliegend hingegen die Grundsätze des Urteils des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-303/88 (Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1433), wonach eine Muttergesellschaft während eines beschränkten Zeitraums Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften übernehmen könne, um ihr die Einstellung ihrer Tätigkeit unter möglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen, und zwar im Hinblick auf einen mittelbaren eigenen Gewinn, die Imagepflege des Konzerns oder eine Neuorientierung ihrer Tätigkeit. Anders als die Klägerin sei das Unternehmen ENI/Lanerossi (um das es im Urteil Italien/Kommission gegangen sei) nicht mehr umstrukturierungsfähig gewesen und habe von 1974 bis 1987 ununterbrochen Verluste erlitten. Schließlich sei der Grundsatz, der im Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-305/89 (Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603, Randnr. 20) aufgestellt worden sei, das die Firma Alfa Romeo betroffen habe, auf die Klägerin anwendbar.

99 Die Kommission macht geltend, daß angesichts der negativen Entwicklung des Stahlmarkts und der Kapitallage von HSW kein privater Investor bereit gewesen wäre, 76 Mio. DM dem Verlustrisiko auszusetzen.

100 Die Prognosen des McKinsey-Gutachtens bezögen sich nicht auf die Rentabilität der Finanzhilfe der Freien und Hansestadt Hamburg, sondern hätten nur deren zu erwartendes Verlustrisiko im Fall einer Privatisierung der HSW zum Gegenstand. Bezüglich der für 1994 erwarteten Ergebnisse nuanciere das McKinsey-Gutachten seinen Standpunkt, indem es darauf hinweise, daß für die HSW das Erreichen der "Gewinnzone" nicht sicher sei und daß durchaus auch eine höhere oder längere Unterstützung erforderlich sein könne.

101 Außerdem habe das McKinsey-Gutachten nicht nur die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der HSW einschätzen, sondern auch die Erhaltungswürdigkeit des Unternehmens im Spannungsfeld zwischen dem drohenden Arbeitsplatzverlust und dem Risiko einer Gewährung zusätzlicher Beihilfen beurteilen sollen. Auch seien in diesem Gutachten die für einen privaten Investor interessanten mittel- bis längerfristigen Renditeerwartungen nicht berücksichtigt. Das Vereinigte Königreich weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß eine mögliche Privatisierung jede langfristige Rentabilitätserwartung der Gläubiger ausschließe.

102 Die Kommission tritt auch der Interpretation der Rechtsprechung durch die Klägerin entgegen und trägt vor, daß eine Kapitalhilfe nur dann nicht als Beihilfe zu qualifizieren sei, wenn sie bei hinnehmbarem Verlustrisiko zumindest längerfristig Rentabilitätsaussichten biete. Vorliegend sei das Verlustrisiko aber sehr groß gewesen, und es hätten keine Rentabilitätserwartungen bestanden.

Zur Möglichkeit, aufgrund der Sicherheiten Darlehen auf dem privaten Kapitalmarkt zu erhalten

103 Die Klägerin trägt vor, daß es ihr aufgrund ihrer Sicherheiten möglich gewesen wäre, von Dritten Darlehen in Höhe von 135 Mio. DM bis 156,8 Mio. DM zu erhalten.

104 Jedenfalls hätte sie auf dem Kapitalmarkt Darlehen entsprechend den Aufstockungen der Kreditlinie erhalten können (20 Mio. DM Ende 1992 und 24,4 Mio. DM Ende 1993). Die Bundesrepublik Deutschland bekräftigt in diesem Zusammenhang, daß sie den Nachweis, daß die HSW aus eigenen Sicherheiten in der Lage gewesen sei, ihre Finanzierung bei anderen Banken sicherzustellen, in ihrer Mitteilung an die Kommission vom 18. August 1995 geführt habe und daß die Möglichkeit der HSW, sich außerhalb des Kreises ihrer Gesellschafter zu finanzieren, in Betracht gezogen werden müsse.

105 Die Klägerin weist außerdem darauf hin, daß die nationale Rechtsprechung zu kapitalersetzenden Darlehen auf Kredite eines mit ihr nicht verbundenen Dritten nur dann hätte angewandt werden können, wenn die Freie und Hansestadt Hamburg oder die HLB diese Kredite besichert hätten oder wenn sich der Dritte über die üblichen Sicherheiten hinaus Rechte hätte einräumen lassen, die ihm eine gesellschafterähnliche Stellung verschafft hätten.

106 In diesem Zusammenhang rügt die Klägerin Fehler der Kommission bei der Berechnung der Sicherheiten.

107 So seien die von der HLB gewährten Darlehen zu jeder Zeit durch ihr Anlage- und Umlaufvermögen ausreichend gesichert gewesen; der Hinweis der Kommission auf gleitende Freigabeklauseln gehe fehl. Die Berechnungen der Klägerin zeigten, daß sie für die von ihr benötigten Kredite stets Sicherheiten in ausreichender Höhe habe zur Verfügung stellen können. Die Klägerin beantragt insoweit die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, daß sich die Kommission auf die Anlage 2 zur Mitteilung der Bundesregierung vom 18. August 1995 hätte stützen müssen; darin seien die jeweiligen Prozentsätze der Sicherungen der Kreditlinie auf die jeweilige Inanspruchnahme der Kreditlinie bezogen gewesen, was es der Kommission ermöglicht hätte, zu höheren Prozentsätzen der Sicherungen als den von ihr festgestellten zu kommen.

108 Die Kommission trägt vor, der frühere Geschäftsführer der Klägerin habe angegeben, daß diese auch im Fall der Freigabe sämtlicher Sicherheiten auf dem privaten Kapitalmarkt allenfalls 60 % der von der Freien und Hansestadt Hamburg besicherten Kreditlinie hätte aufbringen können. Auch wenn die Klägerin bei Freigabe der Sicherheiten bis zu einer dem banküblich festgestellten Beleihungswert dieser Sicherheiten entsprechenden Höhe Kredite auf dem privaten Kapitalmarkt hätte aufnehmen können, wären derartige anderweitige Finanzierungsmaßnahmen unter völlig anderen Voraussetzungen vorgenommen worden als die Finanzierungsmaßnahmen der Freien und Hansestadt Hamburg, da sie nicht eigenkapitalersetzend gewesen wären.

109 Zur Art und Weise der Berechnung der Sicherheiten trägt die Kommission außerdem vor, daß es ihr frei stehe, sich zur Bestimmung des Wertes der Sicherheiten auf deren Bestand in bezug auf die eingeräumte Kreditlinie und nicht in bezug auf die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Kreditlinie zu stützen.

Zur Höhe und zur Rückzahlung der angeblichen Beihilfe

110 Die Klägerin ist abschließend der Ansicht, sollte der Auffassung der Kommission, daß eine staatliche Beihilfe vorliege, gefolgt werden, so beliefe sich diese Beihilfe allenfalls auf die Differenz zwischen den Zinsen, die von ihr tatsächlich auf die Ende 1992 und Ende 1993 erhaltenen Kredite gezahlt worden seien, und den Zinsen, die sie aufgrund eines etwa höheren Marktzinssatzes hätte zahlen müssen. Die Klägerin stellt insoweit klar, daß sie an die HLB die vereinbarten, marktüblichen Zinsen gezahlt habe.

111 Außerdem sei es unzulässig, daß die Kommission die Rückforderung sowohl von 20 Mio. DM, die der 1992 erfolgten Aufstockung der Kreditlinie von 130 Mio. DM entsprächen, als auch des Gesamtbetrags von 150 Mio. DM verlange, der für die 1993 verlängerte - und noch um 24 Mio. DM erhöhte - Kreditlinie stehe, und damit eine doppelte Zählung vornehme. Die Klägerin und die Bundesrepublik Deutschland weisen insbesondere darauf hin, daß die Erneuerung der Kreditlinie im Dezember 1993 nicht als Beihilfe qualifiziert werden könne. Die HSW habe diesen Betrag, für den aufgrund des eigenkapitalersetzenden Charakters im Konkursfall keine Befriedigung habe erzielt werden können, nämlich bereits erhalten gehabt. Die Klägerin bemerkt in diesem Zusammenhang, daß ihre Verpflichtungen aus den ihr von der HLB gewährten Krediten mit ihrer Veräußerung nicht erloschen seien. Sie zahle diese Kredite nach wie vor gegenüber der Picaro Ltd ab, an die die ISPAT ihre Kredite veräußert habe.

112 Schließlich liege bei der Rückforderung der in Rede stehenden angeblichen Beihilfen ein Verfahrensfehler vor. Die Kommission sei nämlich nicht befugt, die Rückforderung rechtswidriger Beihilfen ohne eine mit Zweidrittelmehrheit erteilte Zustimmung des Rates gemäß Artikel 88 EGKS-Vertrag zu verlangen.

113 Nach Ansicht der Kommission besteht die Höhe der Beihilfe nicht im Zinsvorteil dieser Kredite gegenüber dem marktüblichen Zinssatz, sondern entspreche der Darlehensvaluta. Das Beihilfeelement ergebe sich nämlich aus der durch die Kreditaufträge der Freien und Hansestadt Hamburg ermöglichten Gewährung eigenkapitalersetzender und damit naturgemäß real unbesicherter Darlehen und unter Berücksichtigung dessen, daß sich die HSW in einer katastrophalen Lage befunden habe.

114 Zur Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM trägt die Kommission außerdem vor, daß die Kreditlinie aufgrund der besonderen Ausgestaltung, die sie gemäß der im Dezember 1992 getroffenen Entscheidung über ihre Gewährung erfahren habe, Ende 1993 getilgt worden sei. Daher werde nicht die Rückforderung dieses Darlehens verlangt. Die Aufstockung könnte jedoch im Hinblick auf die Zinssätze Beihilfeelemente enthalten; dies müsse die Bundesrepublik Deutschland bei der Berechnung des Betrages, dessen Rückforderung verlangt werde, berücksichtigen.

Würdigung durch das Gericht

Vorbemerkungen

115 In der Gemeinschaftsrechtsprechung sind die in den Vorschriften des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen enthaltenen Begriffe näher bestimmt worden. Diese Begriffsbestimmungen sind für die Anwendung der entsprechenden Vorschriften des EGKS-Vertrags relevant, soweit sie nicht mit diesem unvereinbar sind. Somit ist es insoweit gerechtfertigt, bei der Überprüfung von Entscheidungen, die unter den EGKS-Vertrag fallende Beihilfen betreffen, auf die Rechtsprechung zu den staatlichen Beihilfen Bezug zu nehmen, die unter den EG-Vertrag fallen (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. Januar 1999 in den Rechtssachen T-129/95, T-2/96 und T-97/96, Neue Maxhütte Stahlwerke und Lech-Stahlwerke/Kommission, Slg. 1999, II-17, Randnr. 100).

116 Nach Artikel 33 Absatz 1 Satz 2 EGKS-Vertrag darf der Gemeinschaftsrichter bei der Ausübung seiner Zuständigkeit für die Entscheidung über Nichtigkeitsklagen gegen Entscheidungen der Kommission seine Nachprüfung nicht auf die Würdigung der sich aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen ergebenden Gesamtlage erstrecken, die zu den angefochtenen Entscheidungen geführt hat, es sei denn, daß der Kommission der Vorwurf gemacht wird, sie habe ihr Ermessen mißbraucht oder die Bestimmungen des EGKS-Vertrags oder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt.

117 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes setzt der Begriff "offensichtlich" voraus, daß die Verkennung der Bestimmungen des EGKS-Vertrags ein gewisses Gewicht hat; sie muß nämlich in einer Beurteilung der der Entscheidung zugrunde gelegten wirtschaftlichen Lage bestehen, die, an den Bestimmungen des EGKS-Vertrags gemessen, offensichtlich irrig ist (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 3. Mai 1996 in der Rechtssache C-399/95 R, Deutschland/Kommission, Slg. 1996, I-2441, Randnrn. 61 und 62).

118 Schließlich hat der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage festzustellen, ob die angefochtene Entscheidung mit einem der vorgenannten Rechtsfehler behaftet ist; er ist aber nicht befugt, seine Würdigung der Tatsachen, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, an die Stelle derjenigen der die Entscheidung erlassenden Stelle zu setzen (vgl. sinngemäß Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1997 in der Rechtssache T-106/95, FFSA u. a./Kommission, Slg. 1997, II-229, Randnr. 101).

119 Was die Qualifizierung der streitigen Maßnahmen zugunsten eines Unternehmens betrifft - bei denen die Behörden als Wirtschaftsteilnehmer oder durch einen Wirtschaftsteilnehmer handeln -, so ist die Kommission berechtigt, das Kriterium des privaten Investors heranzuziehen und zu prüfen, ob das von der Maßnahme begünstigte Unternehmen die gleichen wirtschaftlichen Vorteile von einem marktwirtschaftlich handelnden Privatinvestor hätte erlangen können (vgl. sinngemäß Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Randnr. 19). Dieses Kriterium ist im übrigen in Artikel 1 Absatz 2 des Fünften Stahlbeihilfenkodex aufgenommen.

120 Bei dem Verhalten des privaten Investors, mit dem dasjenige des wirtschaftspolitische Ziele verfolgenden öffentlichen Investors zu vergleichen ist, muß es sich nicht unbedingt um das Verhalten eines gewöhnlichen Investors handeln, der Kapital zum Zweck der Ertragserzielung binnen kürzerer oder längerer Frist anlegt, aber doch wenigstens um das Verhalten einer privaten Holding oder Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten läßt (vgl. sinngemäß Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Randnr. 20)

121 Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, daß "ein privater Anteilseigner vernünftigerweise einem Unternehmen das Kapital zuführen [kann], das zur Sicherstellung seines Fortbestands erforderlich ist, wenn es sich in vorübergehenden Schwierigkeiten befindet, aber seine Rentabilität - gegebenenfalls nach einer Umstrukturierung - wieder zurückgewinnen kann. Eine Muttergesellschaft kann somit während eines beschränkten Zeitraums auch Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften übernehmen, um dieser die Einstellung ihrer Tätigkeit unter möglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen... Wenn Kapitalzuschüsse eines öffentlichen Kapitalgebers jedoch selbst langfristig von jeder Aussicht auf Rentabilität absehen, sind sie als Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EWG-Vertrag anzusehen" (vgl. sinngemäß Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-303/88, Italien/Kommission, Randnrn. 21 und 22).

122 Im Licht dieser Erwägungen sind die Argumente der Klägerin zu würdigen.

Zur wirtschaftlichen Einheit zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB

123 Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe verkannt, daß zwischen der HLB und der Freien und Hansestadt Hamburg eine wirtschaftliche Einheit bestehe; sie habe daher zu Unrecht zwischen den Darlehen, die die HLB auf eigenes Risiko gewährt habe, und den von einem Kreditauftrag gedeckten Darlehen unterschieden und angenommen, daß das Verhalten der HLB ein Indiz für das Verhalten eines privaten Investors sein könne.

124 Bilden rechtlich eigenständige natürliche oder juristische Personen eine wirtschaftliche Einheit, so sind sie im Hinblick auf die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln als ein einziges Unternehmen zu behandeln (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 170/83, Hydrotherm, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11). Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen stellt sich die Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit besteht, insbesondere bei der Bestimmung des Empfängers einer Beihilfe (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnrn. 11 und 12, und des Gerichts vom 25. Juni 1998 in den Rechtssachen T-371/94 und T-394/94, British Airways u. a./Kommission, Slg. 1998, II-2405, Randnr. 313). Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung, daß die Kommission bei der Feststellung, ob zu einem Konzern gehörende Gesellschaften für die Anwendung der Regeln über die staatlichen Beihilfen als eine wirtschaftliche Einheit oder als rechtlich und finanziell unabhängig anzusehen sind, über ein weites Ermessen verfügt (vgl. Urteil British Airways u. a./Kommission, Randnr. 314).

125 Ebenso verfügt die Kommission bei der Feststellung, ob die HLB und die Freie und Hansestadt Hamburg vorliegend für die Anwendung des Kriteriums des privaten Investors als eine Einheit anzusehen sind, über ein weites Ermessen.

126 Es ist daher zu prüfen, ob die Kommission die Verbindungen zwischen der HLB und der Freien und Hansestadt Hamburg offensichtlich fehlerhaft eingeschätzt hat. Dabei sind nur die Punkte zu berücksichtigen, von denen die Kommission im Verwaltungsverfahren Kenntnis nehmen konnte.

127 Die Bundesregierung hat in ihrer Mitteilung vom 8. September 1994 auf eine Frage der Kommission nach den rechtlichen Beziehungen zwischen der HLB und der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen der Gewährung der Darlehen an die HSW ausgeführt:

"Die [HLB] ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, die zu 100 % im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg steht. Rechtsgrundlagen sind das Gesetz über die Hamburgische Landesbank - Girozentrale - und die Satzung der Hamburgischen Landesbank - Girozentrale -.

Die Beziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der HLB in Bezug auf Kredite für die [HSW] ergeben sich weder aus der erwähnten Rechtsform noch aus der Eigentümerstellung, sondern allein aus gesonderten vertraglichen Rechtsverhältnissen - nämlich aus den jeweils von Hamburg erteilten Kreditaufträgen - und sind im Rahmen der Darstellung der jeweiligen Kreditentscheidung dargelegt."

128 Aus den eingehenden Erläuterungen der Klägerin und der Bundesrepublik Deutschland vor dem Gericht ergibt sich weiter, daß die Anstaltslast, aufgrund deren die Freie und Hansestadt Hamburg die Funktionsgarantie für die HLB zu übernehmen hat, nicht bedeutet, daß jeder Kreditausfall der HLB unmittelbar und in vollem Umfang den Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg belastete. Die Haftung der Freien und Hansestadt Hamburg wird nur ausgelöst, wenn die HLB ihren Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern nicht mehr nachkommen kann. Dagegen berühren aus einem einzelnen Darlehen entstandene Verluste zunächst nur das Geschäftsergebnis der HLB. Gewinne oder Verluste aus den Geschäften der HLB haben zwar Auswirkungen auf den Haushalt der Freien und Hansestadt Hamburg. Diese Auswirkungen hängen jedoch vom Gesamtergebnis der HLB ab. Verluste aus einem einzelnen Kreditgeschäft gehen daher weder unmittelbar noch in vollem Umfang zu Lasten des Haushalts der Freien und Hansestadt Hamburg.

129 Anderes gilt für die Darlehen, für die die Freie und Hansestadt Hamburg einen Kreditauftrag erteilt hat. Im Fall der Nichtrückzahlung belasten diese Beträge unmittelbar und in vollem Umfang den Haushalt der Stadt.

130 Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, daß die Kommission die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der HLB und der Freien und Hansestadt Hamburg offensichtlich fehlerhaft beurteilt hat, als sie für die Anwendung des Kriteriums des privaten Investors zwischen den Krediten, die die HLB der Klägerin auf eigenes Risiko gewährt hat, und den der Klägerin aufgrund eines Kreditauftrags der Freien und Hansestadt Hamburg gewährten Krediten unterschieden hat.

131 Aus alledem folgt, daß auch nicht dargetan ist, daß die Kommission einen offensichtlichen Irrtum begangen hätte, als sie trotz der Beziehungen zwischen der HLB und der Freien und Hansestadt Hamburg davon ausgegangen ist, daß die HLB, als sie eine Aufstockung oder Verlängerung der Kreditlinien auf eigenes Risiko abgelehnt hat, ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das dasjenige eines privaten Investors in ähnlicher Lage hätte sein können.

Zur Untersuchung der im Dezember 1992 und im Dezember 1993 eingeräumten Kreditlinien durch die Kommission

- Aufstockung der Kreditlinie im Dezember 1992

132 Die Klägerin ist der Ansicht, daß die Aufstockung der 1984 eingeräumten Kreditlinie im Dezember 1992 keine staatliche Beihilfe darstelle. Sie stellt fest, daß diese Aufstockung wegen des damals für die HLB und die Freie und Hansestadt Hamburg bestehenden Risikos geboten gewesen sei, die gesamten investierten Beträge wegen deren Qualifizierung als eigenkapitalersetzende Darlehen zu verlieren; nach den günstigen Perspektiven des Umstrukturierungskonzepts sei die Aufstockung gerechtfertigt gewesen. Außerdem enthalte die Entscheidung der Kommission Fehler, die zur falschen Anwendung des Kriteriums des privaten Investors geführt hätten.

133 Die Klägerin beanstandet insbesondere die oben in Randnummer 44 zusammengefaßte Passage der Entscheidung. In der Tat könnte die von der Kommission dort verwendete Ausdrucksweise, für sich betrachtet, so verstanden werden, daß die Kommission davon ausgegangen ist, daß die Gewährung von Krediten in Höhe des Betrages, den die Freie und Hansestadt Hamburg der alten HSW als Darlehen gewährt und dessen Rückführung sie sich 1984 bei der Gewährung neuer Kredite erhofft hatte, nach dem Kriterium des privaten Investors hätte gerechtfertigt sein können, während dies bei einem höheren Kredit nicht der Fall gewesen wäre. Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, daß diese Argumentation für sich allein nicht den Schluß rechtfertigte, daß sich die Freie und Hansestadt Hamburg nicht wie ein privater Investor verhalten habe.

134 Die Klägerin verkennt jedoch, daß die betreffende Passage nicht die wesentliche Begründung für die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Aufstockung der Kreditlinie darstellt. Im Zusammenhang gesehen, soll sie nur die Behauptung erhärten, daß die wirtschaftlichen Beweggründe, die 1984 die Fortführung der HSW gerechtfertigt hätten, im Dezember 1992 nicht mehr relevant gewesen seien.

135 Daher ist zu prüfen, ob die Auffassung der Kommission, daß ein privater Investor der Aufstockung der fraglichen Kreditlinie unter denselben Voraussetzungen nicht zugestimmt hätte, offensichtlich fehlerhaft ist.

136 Im Dezember 1992 hatte sich die finanzielle Lage der Klägerin entscheidend verschlechtert, da sie in den Geschäftsjahren 1991 und 1992 8,5 Mio. DM bzw. 19,8 Mio. DM Verlust gemacht hatte. Im übrigen hat die Klägerin in der Klageschrift ausgeführt, daß sie in Konkurs gefallen wäre, wenn die Kreditlinie nicht aufgestockt worden wäre. Außerdem ergibt sich aus der Mitteilung der Bundesregierung an die Kommission vom 8. März 1994, daß der Konkurs der Klägerin ohne die Aufstockung der streitigen Kreditlinie unvermeidbar war.

137 Somit stellte diese Aufstockung eine Notmaßnahme dar, die die HSW ohne jede Rentabilitätserwartung, auch auf längere Sicht, am Leben erhalten sollte.

138 Außerdem steht fest, daß sich die Stahlindustrie in einer Krise befand. Im Vorausschätzungsprogramm Stahl für das erste Halbjahr 1993 (ABl. 1993, C 36, S. 2) heißt es nämlich, daß die Stahlindustrie seit 1991 mit einer Marktverschlechterung fertig werden mußte, die durch Überangebot, Rückgang der Nachfrage, Preiseinbruch und stärkere internationale Konkurrenz gekennzeichnet war. Im übrigen hat die Bundesregierung in ihren Mitteilungen vom 8. März und 8. September 1994 an die Kommission geltend gemacht: "In der Folge wurden 1991 und 1992 im Zuge der sich weiter verschlechternden Stahlmarktsituation operative Verluste verzeichnet..."

139 Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Auffassung der Kommission, die Aufstockung der Kreditlinie im Dezember 1992 habe nicht mehr mit den Umständen gerechtfertigt werden können, die die Klägerin angeführt hat und mit denen 1984 die Unterstützung der Fortführung des Unternehmens begründet worden war, nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Ebenso war die Kommission festzustellen berechtigt, daß ein privater Investor unter ähnlichen Umständen, d. h. bei einer extrem schlechten Finanzlage der HSW und einer ungünstigen Konjunktur des europäischen Stahlmarktes, zu dieser Aufstockung nicht bereit gewesen wäre.

140 Außerdem war es nicht offensichtlich fehlerhaft, daß die Kommission davon ausging, die Weigerung der HLB, ohne einen Kreditauftrag der Freien und Hansestadt Hamburg einer Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM zuzustimmen, stelle ein weiteres Indiz dafür dar, daß ein privater Investor nicht bereit gewesen wäre, einen solchen Betrag in die HSW zu investieren.

141 Die Klägerin hat nämlich selbst vorgetragen: "Wie bereits dargelegt, verlangte die [HLB] wegen der fortgeschrittenen Rechtsentwicklung zur Problematik der kapitalersetzenden Darlehen noch nachdrücklicher als 1992 eine vollständige Entlastung." Im übrigen ergibt sich aus der Mitteilung der Bundesregierung vom 8. September 1994, daß die HLB wegen des mit der Rechtsprechung zum kapitalersetzenden Darlehen verbundenen Risikos zur Krediterhöhung ohne Kreditauftrag nicht bereit war.

142 Aus der Antwort der HLB auf die entsprechende Frage des Gerichts ergibt sich ebenfalls, daß sie es wegen des Eingreifens der Finanzbehörde, die der HLB eine positive Bilanz habe erhalten wollen, tatsächlich abgelehnt hatte, die streitigen Kredite ohne vorherigen Kreditauftrag der Stadt zu gewähren. Die HLB hat dazu in ihrer Antwort ausgeführt: "Eine Verlängerung des Kredits war Ende 1992 und Ende 1993 angesichts der Liquiditätslage der HSW nur sinnvoll, wenn HSW weitere Liquidität zugeführt wird. Eine bloße Kreditverlängerung hätte zur Erhaltung der Liquidität nicht ausgereicht. Bei der Entscheidung über eine Krediterhöhung haben wir daher als Alternativszenario ein Insolvenzverfahren bei HSW zugrundegelegt, das bei unserer Weigerung, den Kredit zu verlängern, zu erwarten war."

143 Im übrigen braucht die Kommission nicht zu beweisen, daß die Entscheidung der HLB ohne Kreditauftrag negativ ausgefallen wäre. Angesichts der finanziellen Lage der Klägerin und der Situation des Stahlmarktes hat die Klägerin jedenfalls nicht dargetan, daß die Auffassung der Kommission, ein privater Investor in der Lage der Freien und Hansestadt Hamburg wäre zur Aufstockung der fraglichen Kreditlinie nicht bereit gewesen wäre, wenn er gewußt hätte, daß diese Kreditlinie als eigenkapitalersetzendes Darlehen qualifiziert würde, offensichtlich fehlerhaft war.

144 Was schließlich die angeblich günstigen Perspektiven des Umstrukturierungskonzepts betrifft, so stand die HSW unmittelbar vor dem Konkurs; zugleich war das konjunkturelle Umfeld ungünstig. Die Kommission durfte somit davon ausgehen, daß ein privater Investor zur Aufstockung der Kreditlinie nicht bereit gewesen wäre, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß sie über eine Zusammenfassung dieses Umstrukturierungskonzepts verfügte.

145 Nach alledem hat die Klägerin nicht dargetan, daß die Auffassung der Kommission, ein privater Investor wäre zur Aufstockung der Kreditlinie von Dezember 1992 nicht bereit gewesen, auf einem offensichtlichen Beurteilungsfehler beruhte.

146 Im übrigen kann der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage lediglich feststellen, ob die angefochtene Entscheidung mit einem der in Artikel 33 EGKS-Vertrag genannten Rechtsfehler behaftet ist; er ist nicht befugt, seine Würdigung der Tatsachen, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, an die Stelle derjenigen der Stelle zu setzen, die die Entscheidung erlassen hat (vgl. sinngemäß Urteil FFSA u. a./Kommission, Randnr. 101). Daher ist es nicht Sache des Gerichts, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, daß sich die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB wie ein marktwirtschaftlich handelnder privater Investor verhalten haben.

- Kreditlinie vom Dezember 1993

147 Die Klägerin trägt vor, die Kommission hätte anerkennen müssen, daß sich die Freie und Hansestadt Hamburg bei dem Auftrag für die Verlängerung und Aufstockung der Kreditlinie im Dezember 1993 wie ein privater Investor verhalten habe.

148 Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung dargelegt, daß die HLB die besonderen Umstände, unter denen die ursprüngliche Finanzierung der neuen Gesellschaft stattgefunden habe, nicht mehr als ausreichend betrachtet habe, das mit der Fortführung des Unternehmens verbundene wirtschaftliche Risiko zu rechtfertigen. So habe die HLB aufgrund der finanziellen Situation der HSW, der Lage auf dem Stahlmarkt und des Ergebnisses des McKinsey-Gutachtens jedes weitere finanzielle Engagement bei der HSW abgelehnt.

149 Daher ist zu prüfen, ob die Kommission das Kriterium des privaten Investors auf diese Maßnahme offensichtlich fehlerhaft angewandt hat.

150 Zur damaligen Zeit hatte sich die finanzielle Lage der HSW extrem verschlechtert, wie die Bundesregierung in ihrer Mitteilung an die Kommission vom 8. September 1994 ausführt; aus dieser Mitteilung geht hervor, daß der Konkurs der HSW die unvermeidbare Folge einer Kündigung des Kredits gewesen wäre. Auch das McKinsey-Gutachten erwähnt eine Konkurssituation, bei der die von der Freien und Hansestadt Hamburg gewährten Kredite gefährdet seien.

151 Außerdem war die Lage auf dem europäischen Stahlmarkt wegen subventionierter Konkurrenten und Überkapazitäten bei der Produktion durch ein extrem schwieriges Wettbewerbsumfeld gekennzeichnet (siehe das McKinsey-Gutachten und das Vorausschätzungsprogramm Stahl für das erste Halbjahr und das Jahr 1994 [ABl. 1994, C 10, S. 2]).

152 Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht der Klägerin zu prüfen, die sich im wesentlichen auf die angeblich günstigen Aussichten stützt, die im McKinsey-Gutachten prognostiziert würden. Nach diesem Gutachten habe sich die HSW nämlich in einer Wettbewerbssituation befunden, die bereits 1994 zu positiven Ergebnissen hätte führen müssen.

153 Im McKinsey-Gutachten heißt es jedoch einleitend: "Der vorliegende Bericht stellt eine Bewertung der Lebensfähigkeit der HSW auf Basis unserer Kenntnisse des Stahlmarktes und des Wettbewerbsumfeldes und unserer Einschätzung der bei HSW eingeführten Technologie dar. Er soll der Wirtschaftsbehörde als Entscheidungshilfe hinsichtlich weiterer Kredite/Bürgschaften dienen (Risikoabwägung, Alternativen etc.)."

154 Zu den Handlungsoptionen wird im Gutachten ausgeführt: "Bei der Entscheidung über das weitere Vorgehen befindet sich die Hansestadt Hamburg in dem schwierigen Spannungsfeld zwischen dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der Vermeidung weiteren Kapitalabflusses (Schaubild 8)."

155 Daraus folgt, daß das McKinsey-Gutachten entgegen dem Vorbringen der Klägerin sowohl wirtschaftliche Faktoren, die mit ihrer Lebensfähigkeit in Zusammenhang stehen, als auch soziale Faktoren berücksichtigt.

156 Die Klägerin trägt weiter vor, daß ihre wirtschaftliche Lebensfähigkeit durch das McKinsey-Gutachten dargetan sei, das ihr Wettbewerbsfähigkeit bescheinige. Es ist allerdings festzustellen, daß dieses Gutachten nur ausführt, daß "[d]ie technische Grundstruktur der HSW... wettbewerbsfähig [ist]" und daß sich diese Beurteilung nicht auf die finanzielle Situation der HSW bezieht. Vielmehr heißt es im Gutachten: "Trotzdem stehen die HSW nach einem Verlust von ca. 15 Mio. DM 1993 kurz vor dem Konkurs. Das Eigenkapital beträgt zur Zeit knapp 10 Mio. DM und wird voraussichtlich im laufenden Jahr durch weitere Verluste aufgezehrt werden (Schaubild 5). Dadurch sind zur Zeit ca. 140 Mio. DM der Hansestadt Hamburg über Kredite der [HLB] gefährdet, und durch Erweiterung der Kreditlinie wird das Risiko im Laufe des Jahres auf voraussichtlich 174 Mio. DM ansteigen (Schaubild 6). Zur Erlangung einer Ertragslage, die die Rückzahlung der Kredite gewährleistet, müßte das Jahresergebnis der HSW um ca. 20 Mio. DM verbessert werden (Schaubild 7)."

157 Aus dem McKinsey-Gutachten geht daher klar hervor, daß die finanzielle Lage der HSW sehr schlecht war, und dies noch dazu in einem sehr schwierigen Wettbewerbsumfeld, für das subventionierte Konkurrenten und Überkapazitäten bei der Produktion kennzeichnend waren.

158 Folglich kann die Klägerin auf der Grundlage des McKinsey-Gutachtens nicht geltend machen, daß sie eine wettbewerbsfähige Gesellschaft gewesen sei.

159 Das McKinsey-Gutachten zeigt der Freien und Hansestadt Hamburg außerdem vier Handlungsoptionen auf, die sich in finanzieller, aber auch in sozialer Hinsicht unterscheiden. Jede dieser Optionen (Fortführen der Unterstützung nach HSW-Konzept, Fortführen mit der Betonstahl- oder Qualitätenstrategie, Verkauf der HSW und Stillegung der HSW) mit Ausnahme des Verkaufs ist mit einer erheblichen Erhöhung des finanziellen Risikos der Freien und Hansestadt Hamburg verbunden. So heißt es in dem Gutachten: "In jedem Fall ist die fortgesetzte Unterstützung der HSW mit erheblichen Risiken verbunden. Da das Erreichen der Gewinnzone nicht sicher ist, könnte weiterhin ein finanzielles Engagement der Hansestadt Hamburg nötig werden, um den Fortbestand der HSW zu sichern (Schaubild 15)." Der Verkauf stelle somit für die Freie und Hansestadt Hamburg die vorteilhafteste Lösung dar, da er ihr insbesondere die Abgabe des Risikos und die Beendigung weiteren Kapitalabflusses ermöglichen würde.

160 Im McKinsey-Gutachten wird zwar ausgeführt, daß die Freie und Hansestadt Hamburg durch den Verkauf der HSW ihre Verluste begrenzen könne; es wird aber keine Rentabilität des investierten Kapitals in Aussicht gestellt. Für diese Beurteilung spricht auch das Vorbringen der Bundesregierung, nach dem sich die Freie und Hansestadt Hamburg zur Aufstockung des Kredits entschlossen hatte, um die Verluste zu begrenzen, die Fortführung des Unternehmens während der Suche nach einem industriellen Übernehmer zu sichern und eine geordnete Übertragung zu ermöglichen.

161 Daher ist das Vorbringen der Klägerin, bei ihrem Verkauf hätten günstige Aussichten bestanden, nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung in Frage zu stellen.

162 Außerdem hatte die Freie und Hansestadt Hamburg zu dem Zeitpunkt, als das McKinsey-Gutachten erstellt wurde, bereits rechtswidrige Beihilfen gewährt. Mit den Risiken, die die Freie und Hansestadt Hamburg unter Verstoß gegen das gemeinschaftliche Beihilferecht eingegangen ist, läßt sich daher nicht begründen, daß spätere Maßnahmen, mit denen die finanziellen Folgen dieser Risiken begrenzt werden sollten, wirtschaftlich vernünftig gewesen seien.

163 In Anbetracht der finanziellen Lage der Klägerin, ihres dringenden Kapitalbedarfs und der sehr schlechten Lage auf dem europäischen Stahlmarkt ist daher festzustellen, daß die Möglichkeiten der Klägerin, einen privaten Investor zu finden, der zur Einräumung der Kreditlinie und zur Gewährung eines Swing bereit gewesen wäre, zu vernachlässigen, ja sogar inexistent waren.

164 Diesem Schluß steht auch nicht das Vorbringen der Klägerin entgegen, die Kommission habe zu Unrecht behauptet, daß sich die HLB im Gegensatz zur Freien und Hansestadt Hamburg wie ein privater Investor verhalten habe, als sie sowohl die Erneuerung als auch die Aufstockung der zuvor gewährten Kreditlinie abgelehnt habe. Das Verhalten der HLB sei vielmehr Folge der Verschärfung der Rechtsprechung zu eigenkapitalersetzenden Darlehen gewesen.

165 Hiergegen hat die Kommission von der Klägerin unwidersprochen vorgetragen, daß das Urteil des Bundesgerichtshofs am 2. Oktober 1992 veröffentlicht worden sei, also noch bevor die erste Aufstockung der Kreditlinie im Dezember 1992 gewährt wurde.

166 Außerdem ist es wenig wahrscheinlich, daß ein privater Investor das betreffende Geschäft unter den gleichen Voraussetzungen wie die Freie und Hansestadt Hamburg durchgeführt hätte, d. h. in der Gewißheit, daß die eingebrachten Beträge als eigenkapitalersetzende Darlehen qualifiziert würden. Diese Würdigung ist besonders plausibel, weil dieser private Investor bereits seit 1984 zur Einräumung und Erneuerung einer Kreditlinie sowie 1992 zu ihrer Aufstockung hätte bereit gewesen sein müssen.

167 Daher durfte die Kommission davon ausgehen, daß ein privater Investor die fraglichen Kredite nicht gewährt hätte und daß diese eine staatliche Beihilfe darstellten. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang nichts vorgetragen, was diese Beurteilung als offensichtlich fehlerhaft erscheinen lassen könnte.

168 Angesichts des weiten Ermessens, über das die Kommission bei der Würdigung insbesondere wirtschaftlicher Tatsachen verfügt (siehe oben, Randnr. 146), ist es nicht Sache des Gerichts, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, daß ein privater Investor unter ähnlichen Umständen die fraglichen Darlehen gewährt hätte.

169 Daraus folgt, daß die Kommission zu Recht die im Dezember 1992 und im Dezember 1993 zugunsten der Klägerin getroffenen finanziellen Maßnahmen als staatliche Beihilfe qualifiziert hat.

170 Es ist jedoch zu prüfen, ob diesem Ergebnis das Vorbringen der Klägerin entgegensteht, die Auffassung der Kommission sei deshalb offensichtlich fehlerhaft, weil die Kommission davon hätte ausgehen müssen, daß ein privater Dritter ausreichende Sicherheiten hätte erhalten können, um die Aufstockung der Kreditlinie im Dezember 1992 sowie die Einräumung der Kreditlinie und die Gewährung der Kredite im Dezember 1993 abzudecken.

Zur Möglichkeit, aufgrund der Sicherheiten Darlehen auf dem privaten Kapitalmarkt zu erhalten

171 Die Klägerin trägt vor, sie hätte aufgrund der Sicherheiten von Dritten Kapital erhalten können.

172 Das Gericht ist jedoch der Auffassung, daß die Kommission ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler angenommen hat, daß die Möglichkeit der HSW, aufgrund der Sicherheiten Darlehen von Dritten zu erhalten, der Qualifizierung der streitigen Maßnahmen als Beihilfen nicht entgegenstehe.

173 Zunächst handelt es sich nur um eine hypothetische Annahme, da die Klägerin die Sicherheiten bereits der HLB gestellt hatte.

174 Auch wenn die Sicherheiten vollständig freigegeben worden wären, um von Dritten entsprechende Darlehen zu erhalten, kann außerdem davon ausgegangen werden, daß diese Darlehen nicht mit denen vergleichbar gewesen wären, die die HLB im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg gewährt hat, da Darlehen von Dritten, die mit der HSW nicht verbunden waren, von der deutschen Rechtsprechung nicht als eigenkapitalersetzend qualifiziert worden wären.

175 Falls die Klägerin im übrigen von Dritten Darlehen hätte erhalten können, die nicht als staatliche Beihilfen qualifiziert worden wären, so bedeutete dies nicht, daß die Kredite, die sie infolge des Auftrags der Freien und Hansestadt Hamburg tatsächlich erhalten hat, keine Beihilfen sind; hierauf weist die Kommission zu Recht hin.

176 Sodann hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung angenommen, daß die HSW bei einer vollständigen Freigabe der der HLB gestellten Sicherheiten nur einen Teil ihrer Finanzierung hätte abdecken können.

177 In der Tat ist nicht dargetan worden, daß die gestellten Sicherheiten die Aufstockung der Kreditlinie von 1992 sowie die Einräumung der Kreditlinie und die Gewährung der Kredite von 1993 abdeckten.

178 Vielmehr hat die Bundesregierung in ihrer Mitteilung an die Kommission vom 8. September 1994 ausgeführt:

"Aufgrund der günstigen Ertragsprognose bestand die Bereitschaft zur Aufstockung der Kreditlinie um 20 Mio. DM. Da der vorwiegend am Umlaufvermögen orientierte Sicherheitenbestand jedoch nicht im gleichen Maße gewachsen, sondern - bei bankmäßiger Bewertung - aufgrund der stahlkrisenbedingt schlechten Preise - gesunken war, bestand die Notwendigkeit der Absicherung dieser Erfolgsperspektive durch eine Erhöhung des Kreditauftrages, die dem gesunkenen Sicherheitenbestand Rechnung trug, und zwar bezogen auf die Kreditlinie von 130 Mio. DM von 60 auf 75 % (neben der Erhöhung um 20 Mio. DM)."

179 Im übrigen ist festzustellen, daß die Bundesregierung mit Schreiben vom 23. Juni 1995 die Kommission gebeten hat, den Abschluß des Verwaltungsverfahrens zurückzustellen, damit sie belegen könne, daß Möglichkeiten einer Finanzierung durch Dritte bestanden hätten, insbesondere inwieweit "[die HSW] aus eigenen Sicherheiten in der Lage war, [ihre] Finanzierung sicherzustellen, auch ohne Absprachen zwischen der [HLB] und der Landesregierung ".

180 Aus der Mitteilung der Bundesregierung an die Kommission vom 18. August 1995 geht jedoch nicht hervor, daß Dritte für die Gewährung der erforderlichen Darlehen ausreichende Sicherheiten hätten erlangen können.

181 Daraus folgt, daß die Rügen der Klägerin hinsichtlich der Bewertung der Sicherheiten, die die Kommission in der angefochtenen Entscheidung vorgenommen hat, nicht geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung in Frage zu stellen, und daß es nicht Sache des Gerichts ist, ein Sachverständigengutachten zu dieser Frage einzuholen.

Zur Höhe und zur Rückzahlung der angeblichen Beihilfe

182 Die Klägerin hält Artikel 3 der angefochtenen Entscheidung für rechtswidrig. Die Kommission habe den Betrag der zurückzufordernden Beihilfen falsch veranschlagt; sie sei auch nicht befugt, der Bundesrepublik Deutschland aufzugeben, deren Rückzahlung zu verlangen.

183 Zunächst kann die Klägerin mit dem Vorbringen nicht gehört werden, die Verlängerungen der Kreditlinie könnten keine staatlichen Beihilfen darstellen, weil darin ein "Stehenlassen von Kapital" oder "langfristige Kredite" zu sehen seien. Aus dem Sachverhalt ergibt sich klar, daß über diese Verlängerungen alljährlich Verhandlungen geführt werden mußten, nach denen die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB über die Erneuerung ihrer Zustimmung zur Verlängerung und zur Aufstockung der Kreditlinie entschieden. Die Kommission hat daher ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler angenommen, daß die Verlängerung der Kreditlinie von 1993 als solche eine staatliche Beihilfe darstellte.

184 Daher durfte die Kommission davon ausgehen, daß die Höhe der Beihilfe der Darlehensvaluta entsprach und nicht lediglich in dem Zinsvorteil bestand, der sich aus der Differenz zwischen dem Zinssatz, den die HSW von einer Geschäftsbank erhalten hätte, und dem ihr tatsächlich eingeräumten Zinssatz ergab.

185 Die Klägerin bringt auch vor, die Kommission sei nicht befugt, die Rückforderung einer Beihilfe zu verlangen. Jedoch hat der Empfänger einer mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfe diese grundsätzlich zurückzuzahlen; die Rückforderung einer solchen Beihilfe liegt im Wesen der strengen Beihilfenregelung auf dem Stahlsektor. Zudem beruht das klägerische Argument auf einer irrigen Auslegung des Artikels 88 EGKS-Vertrag.

186 In Artikel 88 EGKS-Vertrag heißt es:

"Ist die Kommission der Auffassung, daß ein Staat einer ihm nach diesem Vertrag obliegenden Verpflichtung nicht nachgekommen ist, so stellt sie diese Verletzung durch eine mit Gründen versehene Entscheidung fest; sie hat dem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Sie setzt ihm eine Frist, binnen deren er seine Verpflichtung erfuellen kann.

...

Hat der Staat seine Verpflichtung innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht erfuellt oder ist seine Klage abgewiesen worden, so kann die Kommission nach einer mit Zweidrittelmehrheit erteilten Zustimmung des Rates

a) Zahlungen aussetzen, die sie zugunsten des beteiligten Staates aufgrund dieses Vertrags vorzunehmen hat;

b) in Abweichung von den Vorschriften des Artikels 4 Maßnahmen ergreifen oder die anderen Mitgliedstaaten ermächtigen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirkungen der festgestellten Verletzung auszugleichen.

..."

187 Aus diesem Artikel ergibt sich klar, daß die Zustimmung des Rates nur erforderlich ist, falls der Staat seine Verpflichtung nicht erfuellt hat, was im vorliegenden Fall nicht festgestellt worden ist. Die Kommission konnte somit in Artikel 3 der Entscheidung der Bundesregierung aufgeben, von der HSW die Rückzahlung der fraglichen Beihilfen zu verlangen.

188 Folglich ist diese Rüge zurückzuweisen.

189 Aus alledem folgt, daß die Kommission keinen offensichtlichen Fehler begangen hat, als sie der Auffassung war, daß ein privater Investor die streitigen Beträge nicht gewährt hätte und daß diese Beträge als staatliche Beihilfen zu qualifizieren waren, und die Rückforderung dieser Beträge verlangt hat. Demzufolge ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

2. Zum Klagegrund des angeblichen Ermessensmißbrauchs

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

190 Die Klägerin wirft der Kommission vor, sie habe kein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob sich ein marktwirtschaftlich orientierter Investor unter den gleichen Umständen ebenso verhalten hätte wie die Freie und Hansestadt Hamburg und die HLB; auch habe sie das Vorbringen zu der Stillegung des Werkes in Euskirchen mit einer Kapazität von 80 000 t jährlich nicht berücksichtigt, die eine Kompensation für die gewährten Beihilfen darstelle. Zu diesem letztgenannten Punkt führt die Bundesrepublik Deutschland weiter aus, sie habe nachgewiesen, daß vorliegend sämtliche von der Kommission in anderen Sachen verlangten Voraussetzungen, wie die Stillegung von Kapazitäten, erfuellt gewesen seien und daß die Erklärung des Rates über die Gesundung der Stahlindustrie in Europa nicht ausschließe, daß staatliche Unterstützungen gewährt werden könnten, um unwirtschaftliche Kapazitäten zu schließen. Die Kommission habe insoweit keine Initiative ergriffen, um beim Rat eine Genehmigung nach Artikel 95 EGKS-Vertrag zu erwirken. Der von der Kommission zu verantwortende Begründungsmangel stelle einen Ermessensmißbrauch dar.

191 Die Kommission beruft sich darauf, daß es keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Reduzierung der Stahlkapazitäten und der Beurteilung der Kredite gebe, und trägt vor, daß es Sache der Bundesregierung sei, beim Rat eine Entscheidung über die Genehmigung der Beihilfen an die HSW nach Artikel 95 EGKS-Vertrag zu beantragen.

192 Außerdem sei jedes weitere Sachverständigengutachten überfluessig gewesen, da sie über die relevanten wirtschaftlichen Daten verfügt habe und ihr das Verhalten der HLB bekannt gewesen sei.

Würdigung durch das Gericht

193 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Rechtshandlung nur dann ermessensmißbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, daß sie ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein zur Bewältigung der konkreten Situation speziell vorgesehenes Verfahren zu umgehen (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. September 1996 in der Rechtssache T-57/91, NALOO/Kommission, Slg. 1996, II-1019, Randnr. 327).

194 Dem Vorbringen der Klägerin, die Kommission hätte zur Feststellung dessen, wie sich ein privater Investor verhalten hätte, ein externes Sachverständigengutachten einholen müssen, kann nicht gefolgt werden.

195 Zum einen ist festzustellen, daß die Kommission dazu nach Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet ist.

196 Zum anderen ist oben festgestellt worden, daß die Kommission ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler davon ausgehen durfte, daß ein privater Investor die streitigen Darlehen in Anbetracht der Finanzstruktur des Unternehmens, von dessen Investitionsbedarf und der Lage auf dem betreffenden Produktmarkt nicht gewährt hätte.

197 Aus den Akten geht weiterhin klar hervor, daß die Kommission über die für ihre Beurteilung erforderlichen Informationen verfügt hat. So lag ihr insbesondere als im Verwaltungsverfahren verfügbare und zulässige Unterlage das McKinsey-Gutachten über die finanzielle Lage der HSW und deren Zukunftsperspektiven vor. Im übrigen belegen die von der Kommission erlassenen Entscheidungen zur Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie (unter denen sich der Fünfte Stahlbeihilfenkodex befindet) ihre Kenntnis des betroffenen Sektors.

198 Daher belegt der Umstand, daß kein zusätzliches Sachverständigengutachten eingeholt wurde, keinen Ermessensmißbrauch der Kommission, zumal die Klägerin die Beurteilungskriterien, über die die Kommission hätte verfügen müssen, nicht weiter präzisiert.

199 Das Vorbringen der Klägerin, die Kommission hätte als Kompensation für die Beihilfen die Stillegung von Produktionskapazitäten am Standort Euskirchen - auch außerhalb des Verfahrens nach Artikel 95 EGKS-Vertrag - berücksichtigen müssen, ist ebenfalls zurückzuweisen.

200 Das Vorbringen der Klägerin in bezug auf Ereignisse, die nach der Gewährung der Beihilfen eingetreten sind, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, da der Vergleich mit einem privaten Investor nur auf der Grundlage der Daten durchzuführen ist, über die die Freie und Hansestadt Hamburg im Dezember 1992 und im Dezember 1993 verfügte.

201 Daher können die vorteilhaften Auswirkungen der nach der Übernahme der HSW durch die ISPAT erfolgten Stillegung der Tochtergesellschaft in Euskirchen - selbst wenn sie feststuenden - bei der Prüfung der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Erst recht ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland irrelevant, daß wegen dieser Schließung die Voraussetzungen erfuellt seien, die von der Kommission im Rahmen der Prüfung von Beihilfen zur Umstrukturierung von Stahlunternehmen verlangt würden.

202 Außerdem hat das Gericht entschieden, daß es nach Ziel und Zweck des EGKS-Vertrags nicht im Widerspruch zu Artikel 4 Buchstabe c steht, wenn die Kommission auf der Grundlage des Artikels 95 Absätze 1 und 2 von den Mitgliedstaaten geplante Beihilfen, die mit den Zielen des EGKS-Vertrags vereinbar sind, ausnahmsweise genehmigt, um unvorhergesehenen Situationen zu begegnen. Die Bestimmungen des Artikels 95 ermächtigen die Kommission nämlich, in allen im EGKS-Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidung oder Empfehlung erforderlich erscheint, um eines der in den Artikeln 2, 3 und 4 näher bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, mit einstimmiger Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses der EGKS diese Entscheidung oder Empfehlung zu erlassen (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1997 in der Rechtssache T-239/94, EISA/Kommission, Slg. 1997, II-1839, Randnrn. 63 und 64).

203 Die Kommission hat auf diesem Wege zum einen die Stahlbeihilfenkodizes, die für bestimmte Kategorien von Beihilfen eine allgemeine Ausnahme vorsehen, zum anderen aber auch Einzelfallentscheidungen erlassen, mit denen ausnahmsweise ganz bestimmte Beihilfen genehmigt wurden (vgl. Urteil EISA/Kommission, Randnrn. 65 und 66).

204 Bei Beihilfen, die, wie im vorliegenden Fall, nicht zu den speziell von den Vorschriften des Fünften Stahlbeihilfenkodex erfaßten Kategorien gehören, kann eine individuelle Ausnahme von diesem Verbot gewährt werden, wenn die Kommission im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 95 EGKS-Vertrag der Ansicht ist, daß solche Beihilfen zur Erreichung der Ziele des EGKS-Vertrags erforderlich sind (vgl. Urteil EISA/Kommission, Randnr. 72).

205 Die Klägerin hat aber nicht dargetan, daß die Kommission ihr Ermessen mißbraucht hat oder daß ihre Beurteilung der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Situation gemessen an den Bestimmungen des EGKS-Vertrags offensichtlich irrig ist (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. Februar 1960 in den Rechtssachen 15/59 und 29/59, Société metallurgique de Knutange/Hohe Behörde, Slg. 1960, 11).

206 Die Klägerin hat nämlich nichts dafür vorgetragen, daß sie vor einer außergewöhnlichen Situation gestanden hätte, die im EGKS-Vertrag nicht eigens vorgesehen sei, und daß die betreffenden Beihilfen alles in allem zur Erreichung der Ziele des EGKS-Vertrags erforderlich gewesen wären.

207 Die Stillegung der Tochtergesellschaft in Euskirchen steht nicht im Zusammenhang mit der Gewährung der fraglichen Beihilfen. Außerdem sind diese Beihilfen nicht notifiziert worden.

208 Aus dem Vorstehenden ergibt sich daher, daß die Klägerin keinen Ermessensmißbrauch der Kommission geltend machen kann.

209 Folglich greift dieser Klagegrund nicht durch.

Ergebnis

210 Aus alledem folgt, daß die Klagegründe insgesamt zurückzuweisen sind. Da die Klägerin nicht dargetan hat, daß die angefochtene Entscheidung rechtswidrig ist, ist die Nichtigkeitsklage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

211 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, ist die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Fünfte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission.

3. Die Streithelfer Bundesrepublik Deutschland und Vereinigtes Königreich tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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