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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 14.05.1998
Aktenzeichen: T-311/94
Rechtsgebiete: EG, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages


Vorschriften:

EG Art. 85 Abs. 1
EG Art. 190
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages Art. 3 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

10 Die Mitteilung der Beschwerdepunkte, deren Zweck darin besteht, den Unternehmen, gegen die nach den Wettbewerbsvorschriften ermittelt wird, alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich wirksam verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt, muß, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, daß die Beteiligten von den Verhaltensweisen, die ihnen von der Kommission zur Last gelegt werden, tatsächlich Kenntnis erlangen können.

11 Die Begründung einer beschwerenden Entscheidung soll dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Rechtmässigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen gestatten, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist.

Der Vorwurf einer fehlenden oder unzureichenden Begründung stellt folglich einen Klagegrund dar, mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend gemacht wird; als solcher ist er von dem im Rahmen der inhaltlichen Überprüfung einer Entscheidung zu untersuchenden Klagegrund zu unterscheiden, mit dem die Fehlerhaftigkeit ihrer Gründe gerügt wird.

12 Die Indizien, auf die sich die Kommission in einer Entscheidung zum Nachweis des Vorliegens eines Verstosses eines bestimmten Unternehmens gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beruft, sind nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen.

13 Die Tatsache, daß sich ein Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbsfeindlichem Gegenstand, an denen es teilnahm, nicht beugt, ist nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat.

14 Die Kommission kann alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein Gesamtkartell, das verschiedene wettbewerbswidrige Verhaltensweisen einschließt, verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile des Kartells umfasst, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, sofern es wusste oder zwangsläufig wissen musste, daß die Absprache, an der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

15 Die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 kann das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist, aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten. Da die Anwendung dieser Bestimmung der festgestellten Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln angepasst sein muß, ist die Kommission ausserdem befugt, den Umfang der Verpflichtungen anzugeben, die die betroffenen Unternehmen erfuellen müssen, damit die Zuwiderhandlung abgestellt wird. Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Zieles - Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften - angemessen und erforderlich ist.

Ein Verbot, das den Austausch rein statistischer Informationen, die nicht den Charakter individueller oder individualisierbarer Informationen haben, verhindern soll, erfuellt nicht die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17, sofern aus der Entscheidung nicht hervorgeht, daß die Kommission den fraglichen Austausch als solchen als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat, denn die blosse Tatsache, daß ein System des Austauschs statistischer Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden kann, führt nicht zu seiner Unvereinbarkeit mit dieser Vorschrift; vielmehr sind unter derartigen Umständen seine konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu bestimmen.

16 Die Kommission darf bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Tatsache Rechnung tragen, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismässig häufig sind; es steht ihr daher frei, das Niveau der Geldbussen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen.

Im übrigen kann die Kommission bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen u. a. die lange Dauer und die Offenkundigkeit einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages berücksichtigen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission hätte darstellen müssen.

17 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung liegt nur dann vor, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist. Die Kommission verstösst nicht gegen diesen Grundsatz, wenn sie die Geldbussen in Abhängigkeit von der Kooperation des betreffenden Unternehmens im Verwaltungsverfahren mehr oder weniger stark herabsetzt.

18 Bei der Bestimmung der Höhe der wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzusetzenden Geldbusse ist eine Herabsetzung der Geldbusse aufgrund einer Kooperation während des Verwaltungsverfahrens nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des beschuldigten Unternehmens es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden.

Insoweit kann bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, daß es die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestreite, davon ausgegangen werden, daß es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat.

Etwas anderes gilt, wenn ein Unternehmen in seiner Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die darin aufgestellten Behauptungen der Kommission im wesentlichen oder ganz bestreitet, wenn es überhaupt nicht antwortet oder wenn es nur erklärt, daß es zu den von der Kommission aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht Stellung nehme. Durch ein solches Verhalten während des Verwaltungsverfahrens trägt das Unternehmen nämlich nicht zur Erleichterung der Aufgabe der Kommission bei.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte erweiterte Kammer) vom 14. Mai 1998. - BPB de Eendracht NV, vormals Kartonfabriek de Eendracht NV, gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag - Verteidigungsrechte - Beweis für die Beteiligung an Absprachen - Informationsaustausch - Anordnung - Geldbuße - Begründung - Bestimmung der Höhe - Kooperation während des Verwaltungsverfahrens. - Rechtssache T-311/94.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 - Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstössen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbussen festgesetzt.

2 Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten "GC", "GD" und "SBS" zugeordnet werden.

3 Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.

4 Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weisse Lage und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.

5 SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weissen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.

6 Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.

7 Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.

8 Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig Nachprüfungen vor.

9 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.

10 Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.

11 Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.

12 Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende Bestimmungen enthält:

"Artikel 1

Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard - the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH & Co. KG, Kartonfabriek "De Eendracht" NV (unter der Firma BPB de Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A., Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper & Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstossen, indem sie sich

- im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990,

- im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 und

- im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,

- in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,

an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft

- sich regelmässig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen;

- sich über regelmässige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten;

- gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten;

- sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;

- in zunehmendem Masse ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen;

- als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten.

...

Artikel 3

Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten Verstoß folgende Geldbussen festgesetzt:

...

viii) gegen Kartonfabriek de Eendracht NV (unter der Firma BPB de Eendracht handelnd) eine Geldbusse in Höhe von 1 750 000 ECU;

..."

13 Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens "Produktgruppe Karton" (im folgenden: PG Karton).

14 Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens "Presidents' Working Group" (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der (etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.

15 Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern vorzunehmenden Preiserhöhungen gefasst.

16 Der PWG habe der "Präsidentenkonferenz" (PK) Bericht erstattet, an der (mehr oder weniger regelmässig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum zweimal pro Jahr getagt.

17 Ende 1987 sei das "Joint Marketing Committee" (JMC) eingesetzt worden. Die Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und, wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen.

18 Schließlich habe die "Wirtschaftliche Kommission" (WK) u. a. die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder - bis Ende 1987 - dessen Vorgänger, dem "Marketing Committee", über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr zusammengetreten.

19 Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zuerich (Schweiz) unterstützt wurden. In der Entscheidung heisst es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der FIDES regelmässig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefassten Daten erhalten.

20 Die Klägerin BPB de Eendracht NV, die früher den Namen Kartonfabriek de Eendracht NV trug, ist ein Hersteller von GD-Karton. Der Kommission zufolge nahm sie von Mitte 1986 bis April 1991 an Sitzungen der PK, des JMC und der WK teil.

Verfahren

21 Mit Klageschrift, die am 7. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

22 Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94).

23 Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

24 Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten Geldbusse haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt (verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).

25 Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

26 Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äussern sollten. In dieser Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen Verbindung einverstanden erklärt.

27 In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts hat die Kommission mit Fernkopie vom 20. Mai 1997 mitgeteilt, daß der Klägerin die ihr während des Verwaltungsverfahrens nicht übermittelten Unterlagen betreffend die Association of Cartonboard Manufacturers (ACBM) zugänglich gemacht werden könnten. Mit Schreiben vom 21. Mai 1997 hat die Kanzlei des Gerichts die Klägerin darüber informiert, daß sie diese Unterlagen einsehen kann.

28 Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.

29 Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.

30 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen Ersuchen nachgekommen.

31 Die Parteien in den in Randnummer 26 genannten Rechtssachen haben in der Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

32 Die Klägerin beantragt,

- die Entscheidung für nichtig zu erklären;

- hilfsweise, Artikel 2 der Entscheidung für nichtig zu erklären;

- hilfsweise festzustellen, daß sich die angeblich begangene Zuwiderhandlung nicht von Mitte 1986 bis April 1991 erstreckt habe;

- hilfsweise festzustellen, daß der räumliche Ausdehnungsbereich der angeblich begangenen Zuwiderhandlung nicht zutreffe;

- höchst hilfsweise, die Geldbusse herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

33 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung

34 Die Klägerin macht vier Nichtigkeitsgründe geltend. Erstens seien ihre Verteidigungsrechte dadurch verletzt worden, daß die Kommission das Verhalten der einzelnen Hersteller in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Entscheidung nicht näher erläutert habe. Zweitens seien ihre Verteidigungsrechte auch dadurch verletzt worden, daß die Kommission nicht sämtliche Unterlagen übermittelt habe. Drittens sei Artikel 190 des Vertrages verletzt worden. Viertens schließlich habe die Kommission Artikel 85 des Vertrages dadurch verletzt, daß sie sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

35 Zunächst sind der erste und der dritte Klagegrund, dann der vierte Klagegrund und schließlich der zweite Klagegrund zu prüfen.

A - Zum Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte, die darin bestehen soll, daß die Kommission das Verhalten der einzelnen Hersteller in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Entscheidung nicht näher erläutert habe

Vorbringen der Parteien

36 Die Klägerin bestreitet nicht, daß die Kommission die Beteiligung der einzelnen Adressaten der Entscheidung an der Zuwiderhandlung dadurch nachweisen kann, daß sie zuerst das Vorliegen und das Funktionieren sowie die herausragenden Merkmale des Kartells als Ganzes ermittelt und dann prüft, ob es glaubwürdige und überzeugende Nachweise gibt, um jeden einzelnen Hersteller mit dem gemeinsamen Plan in Verbindung zu bringen, und für welche Zeit jeder Hersteller an ihm teilnahm (Randnrn. 116 und 117 der Entscheidung).

37 Die Kommission habe jedoch erstens den beanstandeten Plan nicht ordnungsgemäß umschrieben, da sie dessen Anwendungsbereich und Umfang nicht genau definiert habe. Insoweit treffe es nicht zu, daß die Kartellteilnahme jedes Herstellers durch seine Mitgliedschaft in der PG Karton und seine Mitwirkung in deren verschiedenen Ausschüssen nachgewiesen werden könne (Randnr. 119 Absatz 1 der Entscheidung). Es treffe auch nicht zu, daß die Tätigkeiten der WK Teil des rechtswidrigen Planes gewesen seien (Randnr. 119 Absatz 2 der Entscheidung). Ausserdem habe die Kommission bei ihrer Folgerung, daß alle Gremien der PG Karton überwiegend gesetzwidrige Ziele verfolgt hätten, die Rolle sowohl der PK als auch der WK ausser acht gelassen. Was das JMC anbelange, so hätten nur fünf der 29 Sitzungen im fraglichen Zeitraum die Preisfestsetzung betreffen können.

38 Zweitens müsse die Kommission beweisen, daß die Entscheidung es jedem Adressaten ermögliche, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe genau in Erfahrung zu bringen (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II-907, Randnr. 276). Diese Voraussetzung sei in ihrem Fall nicht erfuellt. Entgegen der Behauptung der Kommission in Randnummer 118 der Entscheidung gebe es nämlich keine unmittelbaren Beweise für ihre Mitwirkung an der Zuwiderhandlung.

39 Die Behauptung der Kommission, nichts deute darauf hin, daß die einzelnen Unternehmen die Teile des Kartells, an denen sie mitzuwirken wünschten, hätten auswählen und andere Teile hätten zurückweisen können (Randnr. 116 Absatz 2 der Entscheidung), sei falsch. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hätte die Kommission nachweisen müssen, daß ein Unternehmen nicht an einem Teil dieses Kartells habe mitwirken können, ohne an allen Teilen mitzuwirken. Die Kommission habe aber selbst eingeräumt, daß einige der wichtigsten Bestandteile des Kartells den führenden Herstellern vorbehalten gewesen seien (Randnrn. 36, 51 und 71 der Entscheidung).

40 Darüber hinaus unterstelle die Kommission unter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung das Verschulden von Unternehmen (Randnr. 116, letzter Absatz, der Entscheidung), gegen die keine schriftlichen Beweise vorlägen.

41 Im Fall der Klägerin seien allein die Vorwürfe maßgebend, die in der der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Einzeldarstellung aufgeführt seien; dabei handele es sich um die Beteiligung an abgestimmten Preiserhöhungen für das Vereinigte Königreich im April 1989, im April 1990 und im Januar 1991.

42 In der Mitteilung der Beschwerdepunkte sei ihr keine Beteiligung an der abgestimmten Preiserhöhung für das Vereinigte Königreich im Jahr 1987 vorgeworfen worden. Die Kommission habe daran durch die blosse Bezugnahme in einem Schreiben vom 4. Mai 1993 auf eine den Unterlagen über die Preisinitiativen beigefügte Übersicht nichts ändern können.

43 Die Kommission verweist auf die Beschreibung ihrer Vorgehensweise in den Randnummern 116 und 117 der Entscheidung.

44 Sie sei nicht verpflichtet, das fortlaufende Verhalten der Unternehmen in mehrere gesonderte Zuwiderhandlungen aufzuteilen; die Nichtbeteiligung der einzelnen Unternehmen bei einer bestimmten Gelegenheit oder an einer bestimmten Handlung des Kartells stehe nicht schon deshalb fest, weil es für ihre Mitwirkung keine unmittelbaren Beweise gebe (Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, Randnr. 126).

45 Dem Vorbringen der Klägerin sei jedenfalls entgegenzuhalten, daß die genaue Tragweite und das Ausmaß des gemeinsamen Planes zutreffend ermittelt worden seien (Randnr. 119 der Entscheidung).

46 Ausserdem seien die gegenüber der Klägerin erhobenen Vorwürfe in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und in der Entscheidung hinreichend umschrieben worden.

47 Die Beteiligung der Klägerin am Kartell werde schließlich dadurch bewiesen, daß sie Mitglied der PG Karton gewesen sei und in dem betreffenden Zeitraum regelmässig an Sitzungen der PK, des JMC und der WK teilgenommen habe.

48 Zum Vorbringen der Klägerin, daß ihr nur die in der Einzeldarstellung enthaltenen Vorwürfe der Beteiligung an abgestimmten Preiserhöhungen im Vereinigten Königreich in den Jahren 1989, 1990 und 1991 entgegengehalten werden dürften, macht die Kommission geltend, die Klägerin habe es - trotz des umrahmten Hinweises in der Einzeldarstellung - bewusst unterlassen, die Mitteilung der Beschwerdepunkte in Verbindung mit der Einzeldarstellung, Seite 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte und dem Schreiben der Kommission vom 4. Mai 1993 zu lesen. Die Behauptungen der Klägerin zur abgestimmten Preiserhöhung von 1987 seien daher unbegründet.

Würdigung durch das Gericht

49 Dem Vorbringen der Klägerin, ihre Verteidigungsrechte seien dadurch verletzt worden, daß die Kommission es versäumt habe, das Verhalten der einzelnen Hersteller in der Entscheidung näher zu erläutern, kann nicht gefolgt werden.

50 Soweit mit ihm dargelegt werden soll, daß die gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe in der Entscheidung nicht klar genug umschrieben worden seien, ist es im Rahmen des Klagegrundes einer Verletzung der Begründungspflicht zu prüfen. Soweit die Klägerin mit ihm bestreiten will, daß es in der Entscheidung einen Beweis für ihre Beteiligung am Kartell gibt, gehört es zur Prüfung der Begründetheit der Entscheidung, so daß es im vorliegenden Zusammenhang unerheblich ist.

51 Auch dem Vorbringen der Klägerin, daß ihr nur die Vorwürfe entgegengehalten werden dürften, die in der der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Einzeldarstellung aufgeführt seien, kann nicht gefolgt werden.

52 Insoweit genügt die Feststellung, daß es in einer Vorbemerkung zu der an die Klägerin gerichteten Einzeldarstellung ausdrücklich heisst: "Diese Einzeldarstellung muß in Verbindung mit der Hauptmitteilung der Beschwerdepunkte gelesen werden."

53 Ausserdem enthält die Einzeldarstellung folgende Erläuterung:

"Die unter der Überschrift "Wichtigste Beweise für die Teilnahme [des Unternehmens] am Kartell" erwähnten Sachverhalte stellen keine erschöpfende Aufzählung aller Punkte dar, hinsichtlich der Ihr Unternehmen gegen Artikel 85 verstossen hat. Die genauen Einzelheiten der mutmaßlichen Zuwiderhandlung, an der Ihr Unternehmen beteiligt war, sind in der Hauptmitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt. Die hier aufgeführten Sachverhalte sind die wichtigsten direkten und/oder indirekten Beweise für Ihre Teilnahme am Kartell."

54 Schließlich gibt die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 75 bis 78) die Gründe an, aus denen allen Adressaten dieses Schriftstücks eine Beteiligung an sämtlichen dort gerügten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zur Last gelegt wird. Diese Erläuterung entspricht im übrigen den Ausführungen in den Randnummern 116 bis 119 der Entscheidung.

55 So heisst es dort (S. 76) zu einem Fall wie dem vorliegenden: "Vielmehr genügt es, nach dem Nachweis der Existenz und des Funktionierens des Kartells jeden Teilnehmer durch glaubwürdigen und überzeugenden Nachweis der Teilnahme an dem gemeinsamen Vorhaben zu überführen und die Dauer seiner Beteiligung zu ermitteln."

56 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß der Vorwurf, die Klägerin habe sich in vollem Umfang an dem angeblichen Kartell beteiligt, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte klar genug ausgeführt wurde, um es der Klägerin zu ermöglichen, von ihm Kenntnis zu erlangen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte erfuellte somit in diesem Punkt ihren Zweck, der darin besteht, den Unternehmen alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307, Randnr. 42).

57 Schließlich ist die Behauptung der Klägerin zurückzuweisen, daß ihre Verteidigungsrechte verletzt worden seien, weil ihr in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht vorgeworfen worden sei, sich an der Preiserhöhung im Vereinigten Königreich im Januar 1987 beteiligt zu haben. Ohne daß geprüft zu werden braucht, ob dieser Vorwurf in der Mitteilung der Beschwerdepunkte selbst hinreichend klar erhoben wurde, genügt die Feststellung, daß die Kommission, nachdem sie die Erwiderung der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erhalten hatte, in ihrem Schreiben vom 4. Mai 1993 darauf hinwies, daß der Klägerin eine Beteiligung an der Absprache über die Preiserhöhung im Vereinigten Königreich im Januar 1987 zur Last gelegt werde.

58 In diesem Schreiben heisst es:

"Zweitens trifft es selbst in bezug auf die gerügten "Preisinitiativen" als solche schlicht nicht zu, wenn Sie ausführen (Punkt 52 Ihrer Erwiderung): "Die Kommission macht nicht geltend, daß [die Kartonfabriek de Eendracht] an einer abgestimmten Preisinitiative im Vereinigten Königreich im Januar 1987 beteiligt gewesen sei." Folgender Satz (Punkt 64) ist erst recht falsch: "Die Kommission hat nicht behauptet, daß die Erhöhung im Januar 1987 das Ergebnis einer Absprache der Hersteller gewesen sei." Diese Ausführungen werden in Punkt 150 Ihrer Erwiderung wiederholt.

Die Kommission behauptet sehr wohl, daß die Preisinitiative von 1987 abgesprochen war und daß sich Ihre Mandanten daran beteiligten.

Ich verweise in diesem Zusammenhang lediglich auf Anlage A der Unterlagen zu den "Preisinitiativen" und insbesondere auf den dritten Absatz auf Seite 3 sowie auf die gesamte Seite 4."

59 Da der Klägerin im Schreiben vom 4. Mai 1993 ausdrücklich Gelegenheit gegeben wurde, während des Verwaltungsverfahrens innerhalb einer Frist von drei Wochen insbesondere zum Vorwurf ihrer Beteiligung an der Absprache über die Preiserhöhung im Vereinigten Königreich im Januar 1987 Stellung zu nehmen, hat die Kommission sie nicht daran gehindert, sich rechtzeitig zu diesem Vorwurf zu äussern (in diesem Sinne auch Urteile des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 11, und vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 27).

60 Daher ist der Klagegrund zurückzuweisen.

B - Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 190 des Vertrages

Vorbringen der Parteien

61 Die Klägerin führt aus, sie habe in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die Gründe genannt, aus denen ihrer Ansicht nach keines der Beweisstücke, auf die sich die Kommission stützen könnte, deren Behauptungen belege. Die Kommission sei ausdrücklich ersucht worden, ihre Vorwürfe näher zu erläutern. Sie habe jedoch nicht auf das Vorbringen der Klägerin geantwortet.

62 Die Kommission bringt vor, sie habe ihre Vorwürfe in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erläutert. Sie brauche nach Artikel 190 des Vertrages nur die Beweise und rechtlichen und wirtschaftlichen Erwägungen darzustellen, die ihre Entscheidung rechtfertigten; dies habe sie im vorliegenden Fall getan, indem sie die Beweise für die Beteiligung der Klägerin an der einheitlichen Zuwiderhandlung genannt und erläutert, die Aussagen von Stora und die schriftlichen Beweise für das Wesen der Gremien der PG Karton in der Entscheidung näher ausgeführt und ferner die Sitzungen, an denen die Klägerin teilgenommen habe, sowie die Preiserhöhungen angegeben habe, die die Klägerin im Einklang mit den im Rahmen des Kartells gefassten Beschlüssen durchgeführt habe.

63 Die Klägerin lasse jedenfalls ausser acht, daß ihr wesentliches Vorbringen eingehend geprüft worden sei, und sie habe - abgesehen von ihrer Behauptung bezueglich der Preiserhöhung von 1987 - nicht angeben können, in welchem Punkt die Kommission die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht genau erläutert habe.

Würdigung durch das Gericht

64 Das Vorbringen der Klägerin ist so zu verstehen, daß sie die Entscheidung in bezug auf ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung für unzureichend begründet hält.

65 Nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der Rechtssache 24/62, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143, 155, und vom 17. Januar 1984 in den Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, Randnr. 22, sowie Urteil des Gerichts vom 24. Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 42) soll die Begründung einer beschwerenden Entscheidung dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner Rechtmässigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen gestatten, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet ist.

66 Der Vorwurf einer fehlenden oder unzureichenden Begründung stellt folglich einen Klagegrund dar, mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend gemacht wird; als solcher ist er von dem im Rahmen der inhaltlichen Überprüfung einer Entscheidung zu untersuchenden Klagegrund zu unterscheiden, mit dem die Fehlerhaftigkeit ihrer Gründe gerügt wird.

67 Im vorliegenden Fall wird in der Entscheidung im Zusammenhang mit der Beschreibung der abgestimmten Preiserhöhungen unmittelbar auf die Klägerin Bezug genommen (Randnr. 79 und Tabellen A, D, F und G im Anhang der Entscheidung). Ausserdem beziehen sich die Randnummern der Entscheidung, in denen die wettbewerbsfeindlichen Gespräche im JMC beschrieben werden (insbesondere Randnrn. 44 bis 46, 58, 71, 73, 84, 85 und 87), zwangsläufig auf die Klägerin, die ihre Teilnahme an zwei Sitzungen dieses Gremiums nicht leugnet. Schließlich werden in der Entscheidung die Erwägungen, aus denen die Kommission von ihrer Mitwirkung an einem Gesamtkartell ausging, klar dargestellt (Randnrn. 116 bis 119).

68 Unter diesen Umständen enthält die Begründung der Entscheidung hinreichende Anhaltspunkte, denen die Klägerin die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte entnehmen konnte, die die Kommission dazu veranlassten, sie für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verantwortlich zu machen.

69 Folglich ist der Klagegrund einer unzureichenden Begründung der Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen.

C - Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 85 des Vertrages, die darin bestehen soll, daß die Kommission sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe

Vorbringen der Parteien

Zu den Gremien der PG Karton

- Aufgaben der PK und Mitwirkung der Klägerin

70 Die Klägerin trägt vor, sie habe von Mitte 1986 bis April 1991 an zwei der neun von der Kommission aufgezählten Sitzungen der PK teilgenommen, und zwar am 4. Dezember 1987 und am 17. November 1988. Entgegen Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung habe sie nicht an der Sitzung vom 20. Mai 1987 teilgenommen.

71 Die PK habe nicht die Aufgabe gehabt, den Herstellern die angeblich im Rahmen des PWG vereinbarten Preise mitzuteilen. Die Behauptung, daß die PK Berichte über den PWG erhalten habe und daß ihre Mitglieder über die anzuwendenden Preise informiert worden seien, setze nämlich voraus, daß eine solche Mitteilung bei einer unmittelbar im Anschluß an eine Sitzung des PWG, in der eine Preiserhöhung beschlossen worden sei, stattfindenden PK erfolgt sei. Die Klägerin habe aber nur sporadisch an den Sitzungen der PK teilgenommen, und die Termine ihrer Teilnahme zeigten, daß sie von den angeblichen Preisinitiativen nichts gewusst habe.

72 Ausserdem beruhe die Darstellung der Art und Weise der Übermittlung der Beschlüsse des PWG an die PK (Randnr. 38 der Entscheidung) auf widersprüchlichen Angaben von Stora und Herrn Roos, einem ehemaligen Vorstandsmitglied von Feldmühle, die zur Stora-Gruppe gehöre (siehe unten, Randnr. 127).

73 Die beim Verkaufsagenten von Mayr-Melnhof im Vereinigten Königreich gefundene interne Notiz über eine Sitzung vom 10. November 1986 (Randnr. 41 der Entscheidung, Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) enthalte keinen Beleg für eine rechtswidrige Politik von Preisabsprachen in der PK. Es sei nicht erwiesen, daß diese Notiz auf einer Sitzung des PWG oder der PK und nicht auf einem anderen privaten Treffen beruhe. Sie stütze ausserdem nicht die Annahme der Kommission, daß die Mitglieder der PK über den anzuwendenden Preis informiert worden seien.

74 Schließlich sei die Behauptung der Kommission, daß die PK auch die Aufgabe gehabt habe, die Durchführung der Preisinitiativen zu überwachen, nicht in der Entscheidung zu finden und entbehre der Grundlage. Stora habe nie erklärt, daß die PK einen solchen Zweck verfolgt habe.

75 Ganz allgemein treffe es nicht zu, daß die PK an Gesprächen über einen gemeinsamen Branchenplan zur Einschränkung des Wettbewerbs teilgenommen habe (Artikel 1 der Entscheidung).

76 Die Kommission räumt in ihrer Gegenerwiderung ein, daß die Klägerin nicht an der Sitzung der PK vom 20. Mai 1987 teilgenommen habe; die entsprechende Angabe in Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung beruhe auf einem Versehen. Die Klägerin habe aber an den Sitzungen der PK vom 26. Juni 1986 und vom 17. November 1988 teilgenommen. Es sei nicht bewiesen, daß die Klägerin an diesen Sitzungen mit einer anderen Einstellung als das Kartell teilgenommen (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-3/89, Atochem/Kommission, Slg. 1991, II-1177, Randnrn. 53 und 54) oder sich von der gemeinsamen Initiative zurückgezogen habe.

77 Das auf die Teilnahmetermine der Klägerin gestützte Argument, wonach die Preisinitiativen nicht in den Sitzungen der PK hätten erörtert werden können, gehe aus zwei Gründen fehl. Erstens habe die Klägerin nicht die Zahl und die Zeitpunkte aller Sitzungen angegeben, an denen sie teilgenommen habe. Zweitens sei die Aufgabe der PK von Stora hinreichend beschrieben worden (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 4 und 5), und es liege klar auf der Hand, daß die Sitzungen der PK eine vorwiegend rechtswidrige Zielsetzung gehabt hätten. Die Termine, zu denen die Klägerin den Sitzungen der PK beigewohnt habe, stimmten jedenfalls mit den bekannten Preisinitiativen überein.

78 Schließlich könne der Behauptung der Klägerin, daß es keinen Beweis dafür gebe, daß sich die Notiz in Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf eine Sitzung des PK (und zwar die vom 10. November 1986) beziehe, nicht zugestimmt werden. Weig habe erst ab 1988 am PWG teilgenommen, aber in der Notiz werde ein Vertreter dieses Herstellers erwähnt. Ausserdem unterstreiche die Notiz das von Stora beschriebene Verhältnis zwischen PWG und PK. Somit müsse davon ausgegangen werden, daß die Notiz tatsächlich eine Sitzung der PK betreffe.

- Aufgaben des JMC und Mitwirkung der Klägerin

79 Die Klägerin weist zunächst darauf hin, daß sie von den 29 Sitzungen des JMC, die nach Angaben der Kommission in der Zeit von Mitte 1986 bis April 1991 stattgefunden hätten, nur zwei (am 4. April 1989 und am 20. November 1990) besucht habe.

80 Die von der Kommission bezueglich der Aufgaben des JMC gezogenen Schlüsse seien falsch. Nach der zeitlichen Abfolge der Sitzungen, an denen sie teilgenommen habe, könne die Beschreibung der Hauptaufgabe des JMC in Randnummer 44 der Entscheidung nicht zutreffen. Falsch sei insbesondere, daß die Sitzung des JMC vom 4. April 1989 dazu gedient haben könnte, die Durchsetzbarkeit einer Preiserhöhung zu prüfen oder die Modalitäten der vom PWG beschlossenen Preisinitiative für März/April 1989 festzulegen, denn die Hersteller hätten Ende 1988 (Randnr. 79 der Entscheidung) eine Preiserhöhung für März 1989 vereinbart, und diese Preisinitiative sei von den Herstellern im Januar 1989 angekündigt worden. Die Sitzung des JMC im November 1990 könne auch nicht dazu gedient haben, die angebliche Preisinitiative für Januar 1991 durchzuführen und ihre Modalitäten festzulegen. Der Kommission zufolge sei diese Preisinitiative im Juni 1990 vereinbart und im September/Oktober 1990, also vor der Sitzung des JMC im November, angekündigt worden. Ausserdem ergebe sich aus den Randnummern 87 und 88 der Entscheidung, daß die Details der Erhöhung bei der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 festgelegt worden seien.

81 Ganz allgemein treffe es nicht zu, daß das JMC an Gesprächen über einen gemeinsamen Branchenplan zur Einschränkung des Wettbewerbs teilgenommen habe (Artikel 1 der Entscheidung).

82 Die Kommission habe zwar nachgewiesen, daß Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, handschriftliche Notizen des Verkaufsleiters von Rena, und Anlage 109, ein vertraulicher Bericht des Marketingleiters von Mayr-Melnhof an Herrn Katzner (den für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiter), Schriftstücke seien, die Sitzungen des JMC beträfen. In diesen Sitzungen sei es aber um GC-Kartonsorten gegangen, die die Klägerin nicht herstelle. Ausserdem enthalte Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte diverse Informationen, die nur zum Teil bei einer Sitzung des JMC erlangt worden seien (vgl. das Begleitschreiben von Rena, Anlage 116 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

83 Es gebe keinen Beweis dafür, daß die anderen von der Kommission angeführten Schriftstücke das JMC beträfen. So sei nicht erwiesen, daß sich Anlage 111 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte maschinengeschriebene Preisliste in schwedischer Sprache "mit dem Zeitpunkt und dem Betrag der Preiserhöhungen in jeweiliger Landeswährung für jede Sorte" (Randnr. 80 der Entscheidung), auf eine Sitzung des JMC oder auch nur auf eine Sitzung eines Gremiums der PG Karton beziehe.

84 Der Kommission zufolge betreffe der vom Verkaufsleiter von FS-Karton verfasste Vermerk vom 11. Januar 1990 (Anlage 113 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), der in Randnummer 84 der Entscheidung erwähnt werde, eine Sitzung des JMC in Zusammenhang mit der Durchführung der Initiative von März/April 1990. Nach Angaben von Mayr-Melnhof habe es sich aber um einen Vermerk zum internen Gebrauch bei einer Sitzung gehandelt, und ein weiteres Beweisstück gebe es insoweit nicht.

85 Im übrigen hätten die von Rena erlangten ausführlichen handschriftlichen Notizen über die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), die in Randnummer 87 der Entscheidung erwähnt würden, nach Angaben von Rena nur "zur Vorbereitung einer Sitzung über den Finanzplan" gedient. Soweit diese Notizen GD-Sorten beträfen, sei ihr Verfasser zu dem unzutreffenden Ergebnis gelangt, daß alle Hersteller zum 8. Oktober eine Preiserhöhung ankündigen würden. Sie selbst habe erst am 31. Oktober eine Preiserhöhung angekündigt und sei an der angeblichen Vereinbarung über die Erhöhung der Preise für GD-Sorten nicht beteiligt gewesen.

86 Zurückzuweisen sei auch die Annahme der Kommission, daß die von ihr erlangten Aufzeichnungen über JMC-Treffen, obwohl sie sich alle auf GC-Sorten bezögen, in Ermangelung anderer Aufzeichnungen als typisch für Sitzungen im GD-Kartonbereich wie auch für die Thematik von JMC-Treffen im allgemeinen gelten könnten (Randnr. 113 der Entscheidung). Stora habe in ihren von der Kommission in ihrer Klagebeantwortung herangezogenen Aussagen nicht zwischen Sitzungen der Hersteller von GC-Karton und Sitzungen der Hersteller von GD-Karton unterschieden.

87 Die Kommission habe im betreffenden Zeitraum 29 JMC-Treffen gezählt, aber nur fünf Preisinitiativen. Folglich hätte das JMC seine angeblich rechtswidrigen Aufgaben nur auf wenigen dieser Sitzungen, und zwar nur auf denen, die unmittelbar den angeblichen Preisinitiativen des PWG gegolten hätten, erfuellen können.

88 Schließlich gebe es keinen Beweis für die Behauptung, daß der PWG "[a]usgehend von der im JMC geleisteten Vorbereitungsarbeit... die grundsätzlichen Entscheidungen über Zeitpunkt und Umfang der Preiserhöhungen [traf]" (Randnr. 72 der Entscheidung).

89 Die Kommission weist darauf hin, daß die Klägerin an den Sitzungen des JMC vom 3./4. April 1989 und vom 19./20. November 1990 teilgenommen habe. Im übrigen habe die Klägerin, wie sie einräume, mit anderen Herstellern über bestimmte Punkte von Sitzungen gesprochen, an denen sie nicht teilgenommen habe. Ausserdem würden die Behauptungen der Klägerin durch Beweisstücke widerlegt (Anlagen 109, 113, 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), die zeigten, daß das JMC die Aufgabe gehabt habe, erstens zu ermitteln, ob, und falls ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten, und zweitens die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen (Randnr. 44 der Entscheidung). Schließlich ergebe sich aus der zweiten Aussage von Stora (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 9), daß es ferner zur Aufgabe des JMC gehört habe, Schwierigkeiten bei der Vornahme dieser Erhöhungen sowohl für GC- als auch für GD-Sorten zu erörtern.

90 Was speziell die Preiserhöhung im April 1989 anlange, so habe die Klägerin an der Sitzung der PK vom 17. November 1988 teilgenommen, auf der die Erhöhung grundsätzlich beschlossen worden sei. Die Preiserhöhung der Klägerin um 25 UKL im Vereinigten Königreich sei ihren Kunden am 16. Februar 1989 angekündigt und ab 10. Mai 1989 angewandt worden. Daß das Verhalten der Klägerin auf dem Kartell beruht habe, werde durch zwei Schriftstücke belegt, und zwar durch eine von Finnboard (UK) Ltd erlangte undatierte Preisliste mit der Überschrift "Preiserhöhung zweites Vierteljahr 1989", die die Preiserhöhungen bei GD-Sorten für alle nationalen Märkte einschließlich des Vereinigten Königreichs enthalten habe, und durch ein Schriftstück von Fiskeby vom 14. Februar 1989 (Dokument D-G-1), das diese Angaben bestätige. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, daß die Klägerin am 3./4. April 1989 an einem JMC-Treffen teilgenommen habe und daß der Agent der Klägerin im Vereinigten Königreich am 4. April 1989 eine Sitzung der Paper Agents' Association (PAA) besucht habe, um die Durchführung der im Rahmen des Kartells getroffenen Vereinbarung zu erörtern.

91 Bezueglich der Preiserhöhung im Januar 1991 ergebe sich aus den die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 betreffenden Schriftstücken (Notizen von Rena), daß die Erhöhung für alle Sorten angekündigt werden, im Vereinigten Königreich 40 UKL betragen und zum 31. Januar 1991 in Kraft treten sollte. Der Kommission sei nicht bekannt, ob die Klägerin an dieser Sitzung teilgenommen habe, aber sie sei in der Sitzung der PAA vom 18. September 1990 vertreten gewesen, in deren Verlauf über diese Erhöhung gesprochen worden sei, wie aus einer von Iggesund Board Sales erlangten Notiz (Anlage 132 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) hervorgehe. Die Sitzung des JMC vom 19. und 20. November 1990 habe zur Überwachung der Fortschritte bei der Durchführung der Erhöhung gedient, die u. a. von der Klägerin am 31. Oktober 1990 angekündigt worden sei. Die Klägerin habe ihre Preise zum 28. Januar 1991 um 40 UKL erhöht.

92 Zurückzuweisen sei die Behauptung der Klägerin, daß die Sitzungen des JMC nur GC-Karton betroffen hätten. Die Notizen von Rena über die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) beträfen eine Preiserhöhung für alle Sorten, was die Aussagen von Stora in diesem Punkt untermauere (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 6 und 8).

93 Schließlich enthielten die Notizen von Rena über die JMC-Sitzung vom 6. September 1989 (Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) Einzelheiten der in jeder nationalen Währung angekündigten Preiserhöhungen und eine Bewertung der Reaktionen der Kunden sowie der bei der Durchsetzung auf jedem nationalen Markt erzielten Fortschritte.

- Aufgaben der WK und Mitwirkung der Klägerin

94 Die Klägerin, die nach ihren Angaben in dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum an sieben Sitzungen teilnahm, macht geltend, die WK habe Fragen erörtert, die für die Branche von berechtigtem Interesse seien.

95 Die Analyse und Beurteilung der Lage auf dem Kartonmarkt in den einzelnen Ländern (Randnr. 50 der Entscheidung) sei nicht zentrales Thema der Beratungen gewesen.

96 Es gebe keinen Beweis für folgende Behauptung der Kommission: "Die Erörterungen über die Marktsituation waren nicht ohne konkreten Zweck; die Gespräche über die Verfassung der einzelnen nationalen Märkte müssen im Kontext der geplanten Preisinitiativen einschließlich der Notwendigkeit zeitweiliger Abstellzeiten zur Abstützung der Preisanhebungen gesehen werden" (Randnr. 50 der Entscheidung). Aus der vom Vertreter von FS-Karton verfassten Notiz (Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), die der Kommission zufolge die "Highlights" der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 betreffe, gehe in Wirklichkeit hervor, daß die WK eine allgemeine Studie der Marktbedingungen in den einzelnen Ländern und insbesondere der Auftragsbestände erstellt habe. Die einzige Bezugnahme auf eine angeblich abgestimmte Preiserhöhung betreffe den französischen Markt, und in der Notiz sei nur von der Politik des Unternehmens die Rede, von dem die Notiz stamme.

97 Die Behauptung der Kommission in Randnummer 119 der Entscheidung, es sei nicht glaubhaft, daß die Mitglieder der WK nichts von dem gesetzwidrigen Zweck gewusst hätten, zu dem die Informationen, die sie dem JMC wissentlich überlassen hätten, benutzt worden seien, treffe nicht zu. Die Kommission verwechsle zum einen Meinungen mit Tatsachen, und zum anderen gebe es keinen Beweis für diese Behauptung.

98 Die Kommission führt zunächst aus, das Verhalten der WK müsse im Zusammenhang mit der gesamten Zuwiderhandlung und den Aufgaben des JMC verstanden werden, an dessen Sitzungen die Klägerin teilgenommen und dem die WK Bericht erstattet habe. Stora habe beschrieben, welche Fragen in der WK besprochen worden seien. Daß sich die WK nicht nur mit dem Austausch von Statistiken aufgrund globaler Daten befasst habe, zeige eine Notiz des Vertreters von FS-Karton über die Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 (siehe oben, Randnr. 96), in der Gespräche über die Auftragsbestände der Hersteller von GC- und GD-Karton einschließlich der individuellen Standpunkte wiedergegeben würden.

99 Schließlich gebe es für den Informationaustausch innerhalb der WK entgegen der Behauptung der Klägerin keine harmlose Erklärung. Diese Behauptung werde nicht nur durch die Gespräche, die in der Notiz über die Sitzung vom 3. Oktober 1989 festgehalten seien, sondern auch durch die Gespräche in der Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989 widerlegt, die zeigten, daß der Auftragsbestand ein entscheidender Faktor für das Inkrafttreten einer Preiserhöhung gewesen sei.

Zu den Preisinitiativen

100 Die Klägerin macht erstens geltend, sie habe ihre Entscheidung über die Anpassung ihrer Preise an die Preise der auf dem Markt führenden Unternehmen völlig eigenständig getroffen.

101 Es habe ihrer normalen Praxis entsprochen, ihre Preise im Vereinigten Königreich halbjährlich - üblicherweise im April und im Oktober - zu überprüfen.

102 Was die Preiserhöhung im April 1989 anbelange, so habe sie im Vereinigten Königreich am 16. Februar 1989 eine Anhebung der Preise um 25 UKL mit Wirkung zum 10. Mai 1989 angekündigt, um ihre Preise denen der führenden Unternehmen auf dem Markt anzupassen, und dabei folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:

- die Lage der britischen Wirtschaft;

- die starke Nachfrage Ende 1988;

- die Anzeichen für einen Anstieg der Rohstoffpreise;

- die am 1. Februar 1989 von der Fachzeitschrift "EUWID Pulp & Paper" verbreitete Information (Anlage G ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß Erhöhungen der deutschen Preise angekündigt worden seien, wobei sich die GD-Sorten zum 1. Mai 1989 um 8 bis 10 DM verteuern würden;

- die Ankündigung einer Preiserhöhung im Vereinigten Königreich mit Wirkung zum April 1989 durch Mayr-Melnhof am 6. Februar 1989, und zwei Tage später die Mitteilung einer ähnlichen Preiserhöhung durch SCA Colthrop, die ebenfalls im April habe in Kraft treten sollen.

103 Nach den Unterlagen, auf die sich die Kommission stütze, habe die Absprache über die Preiserhöhung im Vereinigten Königreich für GD-Sorten ein Inkrafttreten der Erhöhung zum 1. Mai vorgesehen. Sie selbst habe ihre Preise aber erst am 10. Mai erhöht.

104 Ihre Anwesenheit in der Sitzung des JMC vom 4. April 1989 ändere daran nichts, denn Gegenstand dieser Sitzung könne weder die Klärung der Frage gewesen sein, ob eine Preiserhöhung stattfinden könne (die Erhöhung sei Ende 1988 beschlossen worden), noch die Festlegung der Einzelheiten für die angeblich vom PWG beschlossene Preisinitiative. Da die Preiserhöhung auf dem Markt noch nicht umgesetzt worden sei, habe die Sitzung auch nicht zur Überprüfung ihrer tatsächlichen Durchführung nach ihrem Inkrafttreten dienen können.

105 Schließlich dürfe ihr die Kommission in der Klagebeantwortung die Teilnahme ihres Agenten an den Sitzungen der PAA nicht vorwerfen, weil dieser Agent vollkommen unabhängig sei.

106 Was die Preiserhöhung im April 1990 anbelange, so sei in mehreren Ausgaben der Fachzeitschrift EUWID Pulp & Paper das unmittelbare Bevorstehen einer Preisanhebung angekündigt worden. Diese Zeitschrift habe insbesondere berichtet, daß eine Preiserhöhung um 8 % für März vorgesehen sei, die aber im Vereinigten Königreich wegen der Schwäche des Pfund Sterling höher ausfallen werde (Ausgabe vom 20. Dezember 1989). In der Ausgabe vom 17. Januar 1990 sei mitgeteilt worden, daß Mayr-Melnhof ihren Kunden ein Rundschreiben geschickt habe, um eine Preiserhöhung anzukündigen. In der folgenden Ausgabe sei bestätigt worden, daß für März Preiserhöhungen von 8 % vorgesehen seien. Die Klägerin habe dann über den Markt die Bestätigung für die von Mayr-Melnhof für März angekündigte Preiserhöhung erhalten.

107 Angesichts des Rückgangs der Wechselkurse Ende 1989 und des Sinkens der Marktpreise habe sie geglaubt, sich den die Preise bestimmenden Wirtschaftsteilnehmern anpassen zu müssen.

108 Was die Preiserhöhung im Januar 1991 anbelange, so habe sie gewusst, daß ihre Betriebskosten 1991 vor allem wegen höherer Gaspreise und der Vergrösserung ihrer Belegschaft erheblich steigen würden.

109 In diesem Zusammenhang habe sie aus Fachzeitschriften, insbesondere aus EUWID Pulp & Paper, entnommen, daß die Hersteller Anfang 1991 ihre Preise erhöhen wollten. Dies sei schon Anfang August gemeldet und in der Ausgabe vom 12. September 1990 bestätigt worden. In der Ausgabe von EUWID Pulp & Paper vom 25. September 1990 sei von einer Preiserhöhung durch Mayr-Melnhof um 40 UKL/t zum 7. Januar berichtet worden. Der Ausgabe vom 24. Oktober 1990 zufolge habe auch Feldmühle ähnliche Erhöhungen angekündigt. Berichte über die Marktlage, die sie von ihren Kunden und aus anderen Quellen erhalten habe, hätten bestätigt, daß SCA Colthrop am 29. Oktober eine Preiserhöhung angekündigt habe. Unter diesen Umständen habe sie am 31. Oktober 1990 beschlossen, ihre Preise auf dem Markt des Vereinigten Königreichs um einen ähnlichen Betrag anzuheben, um sie denen ihrer Konkurrenten anzupassen.

110 Zweitens macht die Klägerin geltend, daß die Kommission über keine unmittelbaren Beweise für eine von ihr getroffene Absprache verfüge.

111 Da die Kommission ihre regelmässige Teilnahme an den Sitzungen der PG Karton oder an Sitzungen, in denen wettbewerbswidrige Praktiken besprochen worden seien, nicht nachgewiesen habe, könne sie sich nicht auf die Rechtsprechung des Gerichts berufen, nach der, wenn solche Umstände nachgewiesen seien, das Unternehmen dartun müsse, daß es sich nicht an der bei diesen Sitzungen vereinbarten Initiative beteiligt habe.

112 Die Kommission führt zunächst aus, sie weise den Versuch der Klägerin zurück, die Zuwiderhandlung aufzuspalten. Die Klägerin mache fälschlich geltend, nur wettbewerbswidriger Praktiken im Vereinigten Königreich beschuldigt zu werden, obwohl der Plan darin bestanden habe, in der gesamten Gemeinschaft abgestimmte Preise festzulegen und sie auf allen nationalen Märkten durchzusetzen.

113 Die Klägerin habe ihre Preise keineswegs völlig eigenständig denen ihrer Konkurrenten angepasst. Der Agent der Klägerin habe an Sitzungen teilgenommen, in denen über die Durchführung des Kartells auf nationaler Ebene gesprochen worden sei; dies sei der Klägerin bekannt gewesen, weil die Agenten auf Anweisung ihrer Kommittenten gehandelt hätten. Ferner habe die Klägerin regelmässig an Sitzungen der Ausschüsse der PG Karton teilgenommen, in denen Preisinitiativen erörtert worden seien, räume ein, mit anderen Herstellern telefonische Kontakte über Sitzungen gehabt zu haben, an denen sie nicht teilgenommen habe, habe nicht nachgewiesen, daß sie den zwischen den Kartellteilnehmern erzielten Konsens nicht geteilt habe, und habe sogar nach den Ermittlungen der Kommission noch an Sitzungen teilgenommen.

114 Stehe fest, daß ein Unternehmen regelmässig an Sitzungen teilgenommen habe, in denen z. B. über Preisinitiativen gesprochen worden sei, so müsse dieses Unternehmen dartun, daß es der bei diesen Sitzungen vereinbarten Initiative nicht zugestimmt habe, und dazu nachweisen, daß seine Konkurrenten gewusst hätten, daß es sich von dem bei diesen Sitzungen erzielten Konsens distanziere (vgl. Urteile des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, und Atochem/Kommission sowie vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-9/89, Hüls/Kommission, Slg. 1992, II-499, und in der Rechtsache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021).

Zur "Preis-vor-Menge"-Politik

115 Die Klägerin bestreitet, sich "vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen" an einem Kartell zur "Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller" (Artikel 1 achter Gedankenstrich) beteiligt und "abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen" (Artikel 1 neunter Gedankenstrich), getroffen zu haben.

116 Die Beweise, über die die Kommission verfüge, ließen nicht den Schluß zu, daß sich die kleinen Kartonhersteller der angeblichen "Preis-vor-Menge"-Politik angeschlossen hätten. Es sei eine reine Vermutung, wenn die Kommission ausführe, angesichts des allgemeinen Einvernehmens der führenden Hersteller sei den kleinen Herstellern bewusst gewesen, daß sie ihr eigenes Verhalten anpassen müssten.

117 Die Klägerin habe im Gegenteil während des grössten Teils des betreffenden Zeitraums ihre Kapazität voll genutzt. Die Laufzeiten der Maschinen zeigten eine Verringerung der Abstellzeiten zwischen 1987 und 1990.

118 In bezug auf den Vermerk des Geschäftsführers von Rena (Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) über eine Sondersitzung des Nordic Paperboard Institute (NPI), auf den sich die Kommission berufe, sei festzustellen, daß die Klägerin diesem Gremium nicht angehört habe, daß die betreffende Sitzung keine Sitzung der PG Karton gewesen sei und daß dieser Vermerk folglich nicht die Folgerung der Kommission stütze, daß sich alle kleinen Hersteller der Preis-vor-Menge-Politik angeschlossen hätten.

119 Auch an dem angeblichen Kartell zur Aufrechterhaltung der Marktanteile sei sie nicht beteiligt gewesen; ihr Marktanteil habe sich vielmehr in dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum verringert.

120 Schließlich sei die Behauptung der Kommission zurückzuweisen (vgl. Randnr. 53 der Entscheidung), wonach bei FS-Karton gefundene Schriftstücke bestätigten, "daß Ende 1987 im Rahmen der beiden Präsidentengremien eine Vereinbarung über die beiden miteinander verbundenen Fragen der Mengenkontrolle und der Preisdisziplin gefunden worden war". In der Aktennotiz, auf die sich die Kommission stütze (Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), sei nicht von den "beiden Präsidentengremien" (der PK und dem PWG) die Rede, sondern vom "Präsidentenkreis". Die Kommission nehme somit höchstwahrscheinlich auf den PWG Bezug und nicht auf die PK, und es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich diese Bezugnahme auf mehr als ein Gremium erstrecke. Die Klägerin habe aber dem PWG nicht angehört.

121 Die Kommission hält die Darstellung ihrer Erwägungen durch die Klägerin für irreführend. Der Klägerin werde vorgeworfen, sich an einem gemeinsamen Plan beteiligt zu haben, der sich zum einen auf die Kontrolle des Produktangebots in der Gemeinschaft zur Sicherstellung der Durchführung abgestimmter Preiserhöhungen und zum anderen auf einen Informationsaustausch u. a. über Produktionsunterbrechungen, Auftragsbestände und den Auslastungsgrad der Maschinen erstreckt habe. Die Klägerin habe an den Sitzungen des JMC teilgenommen, in denen die kleinen Hersteller im Rahmen der von allen Herstellern befolgten Preis-vor-Menge-Politik von der Absprache der führenden Hersteller über die Aufrechterhaltung eines konstanten Angebotsniveaus und dem Erfordernis erfahren hätten, ihr eigenes Verhalten entsprechend anpassen.

122 Daß die Klägerin nicht Mitglied des NPI gewesen sei, nehme dem Vermerk von Rena über die Sondersitzung des NPI (siehe oben, Randnr. 118) nicht seinen Beweiswert. Dieser Vermerk sei nicht nur ein zusätzlicher Beweis für das zur Kontrolle der Produktion eingeführte System, sondern untermauere auch die Aussage von Stora, daß die Hersteller, die nicht dem PWG angehört hätten, über die Vereinbarung der führenden Hersteller zur Aufrechterhaltung eines konstanten Angebotsniveaus informiert gewesen seien. Eine solche Auslegung bedeute nicht, daß die Klägerin in diesem Vermerk unmittelbar belastet werde.

Zu den Einzelheiten der Übermittlung von Informationen

123 Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, daß die Aussagen von Stora nicht glaubwürdig seien.

124 Erstens habe Stora, da sie eingeräumt habe, daß ihre Tochtergesellschaften Feldmühle, Kopparfors und CBC an gewissen Politiken und Praktiken beteiligt gewesen seien, die möglicherweise Verstösse gegen die Wettbewerbsvorschriften darstellten (Randnr. 34 der Entscheidung), ein Interesse daran, eine Verbindung der grösstmöglichen Zahl von Kartonherstellern mit dem angeblichen Kartell und insbesondere mit den kleinen Herstellern nachzuweisen, um ihre Rolle herunterzuspielen.

125 Zweitens seien die Aussagen von Stora hinsichtlich der Modalitäten der Übermittlung von Beschlüssen des PWG an die PK widersprüchlich.

126 Stora habe in ihrer zweiten Aussage erklärt, daß es zu den Aufgaben des PWG gehört habe, "die genaue Angebots- und Nachfragesituation auf dem Markt sowie die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, um Ordnung in den Markt zu bringen, zu beurteilen und der Präsidentenkonferenz darüber zu berichten" (Randnr. 38 der Entscheidung), während sie in einer späteren Aussage (Schreiben vom 17. September 1991, Anlage 38 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) nähere Angaben zu den Einzelheiten der konkreten Übermittlung des Ergebnisses der Sitzungen des PWG im Rahmen individueller Kontakte zwischen einer Reihe von Unternehmen gemacht habe. Zum letztgenannten Punkt verweise Stora auf Systeme zur Verbreitung von Informationen in Deutschland, Frankreich und Skandinavien, erwähne aber weder ein solches System in den Niederlanden noch ein anderes System, in das die Klägerin einbezogen gewesen sein solle.

127 Die beiden Aussagen stuenden auch im Widerspruch zur Erklärung von Herrn Roos, einem ehemaligen Vorstandsmitglied von Feldmühle. Diese Erklärung sei nicht besonders klar, weil es darin heisse, daß die Gespräche im PWG der PK und dem JMC vor allem durch Personen zur Kenntnis gebracht worden seien, die in beiden Gremien tätig gewesen seien.

128 Die Kommission hält das Vorbringen der Klägerin, daß Stora mit ihren Aussagen eigennützig gehandelt habe, für unerheblich, weil auch andere Hersteller die Zugehörigkeit der Klägerin zum JMC bestätigt hätten.

129 Die Angaben über den Informationsfluß zwischen PWG und JMC seien keineswegs widersprüchlich. Herr Roos widerspreche sich nicht, wenn er ausführe, daß es kein formales Übermittlungssystem gegeben habe und daß die Informationen informell und individuell - u. a. zwischen denen, die an den Sitzungen beider Gremien teilgenommen hätten - ausgetauscht worden seien. Herr Roos habe bekanntlich den Vorsitz im JMC geführt.

130 Im übrigen sei der PWG vor jeder geplanten PK zusammengetreten. Da in beiden Sitzungen dieselbe Person den Vorsitz geführt habe, stehe es ausser Zweifel, daß sie das Ergebnis des PWG den dort nicht vertretenen Herstellern übermittelt habe. Wenn nicht gleich nach der Sitzung des PWG eine PK stattgefunden habe, hätten die Teilnehmer die kleinen Hersteller ihrer Ländergruppe über die Beschlüsse informiert. Auch insoweit habe es keinen formalisierten Informationsfluß gegeben.

Zur Dauer der Beteiligung

131 Die Klägerin macht geltend, die Kommission könne ihre Beteiligung am Kartell ausserhalb der Zeit ihrer Beteiligung an den Preisinitiativen - den Initiativen vom April 1989, vom April 1990 und vom Januar 1991 - nicht nachweisen. Sie bestreite jede Beteiligung an der Preiserhöhung von 1987. Im übrigen gebe es auch keinen Beweis für ihre Beteiligung an dieser Erhöhung. Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß ihre Beteiligung an der angeblichen Zuwiderhandlung erst 1989 begonnen habe.

132 Die Kommission tritt dieser Betrachtungsweise der Klägerin entgegen. Die Erhöhung im Januar 1987 sei bereits Ende 1986 geplant worden. Die Klägerin habe während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung an Sitzungen der Gremien der PG Karton sowie an einer Sitzung der PK vom 29. Mai 1986 teilgenommen.

Würdigung durch das Gericht

133 Zunächst ist zu prüfen, ob die Kommission die Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für den Zeitraum von Mitte 1986 bis April 1989, als die Klägerin nach eigenem Bekunden mit der Teilnahme an Sitzungen des JMC begann, nachgewiesen hat. Sodann ist zu prüfen, ob die Kommission die Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für den verbleibenden Zeitraum von April 1989 bis April 1991 nachgewiesen hat.

1. Zeitraum von Mitte 1986 bis April 1989

134 Zum Nachweis der Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft im fraglichen Zeitraum stützt sich die Kommission auf die Teilnahme dieses Unternehmens an mehreren Sitzungen der PK (Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung) und der WK (Tabelle 6 im Anhang der Entscheidung) sowie auf ihr tatsächliches Preisverhalten.

135 Diese Beweismittel sind in der genannten Reihenfolge zu prüfen.

a) Teilnahme der Klägerin an bestimmten Sitzungen der PK

136 Die Kommission räumt ein, daß die Angabe in Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung, nach der die Klägerin an der Sitzung der PK vom 20. Mai 1987 teilnahm, falsch ist.

137 Ausserdem hat sie in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts erklärt, daß die Bezugnahme in ihren Schriftsätzen auf eine angebliche Teilnahme der Klägerin an einer Sitzung der PK vom 26. Juni 1986 als Bezugnahme auf die Teilnahme dieses Unternehmens an der Sitzung der PK vom 29. Mai 1986 zu verstehen sei.

138 Folglich nahm die Klägerin nach Ansicht der Kommission im fraglichen Zeitraum an drei bestimmten Sitzungen der PK teil, und zwar an den Sitzungen vom 29. Mai 1986, vom 4. Dezember 1987 und vom 17. November 1988. Die Kommission legt keinen Beweis für den Gegenstand dieser drei Sitzungen vor. Wenn sie diese Teilnahme als Beweis für die Beteiligung des Unternehmens an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages heranzieht, stützt sie sich daher zwangsläufig auf die in der Entscheidung enthaltene allgemeine Beschreibung des Gegenstands der Sitzungen dieses Gremiums sowie auf die in der Entscheidung zur Untermauerung dieser Beschreibung angeführten Beweismittel.

139 Hierzu heisst es in der Entscheidung: "Wie Stora erläuterte, gehörte es zu den Aufgaben des PWG, der Präsidentenkonferenz zu erklären, welche Maßnahmen erforderlich waren, um den Markt in Ordnung zu bringen... Auf diese Weise wurden die an den Sitzungen der Präsidentenkonferenz teilnehmenden Direktoren über die Beschlüsse des PWG und die Anweisungen, die ihren Vertriebsabteilungen zwecks Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu erteilen waren, unterrichtet" (Randnr. 41 Absatz 1). Ferner heisst es dort: "Der PWG tagte regelmässig vor den anberaumten Präsidentenkonferenzen, und da die gleiche Person den Vorsitz auf beiden Treffen führte, besteht kein Zweifel, daß sie die Ergebnisse der PWG-Sitzung anderen sogenannten "Präsidenten", die nicht Mitglied des inneren Kreises waren, mitteilte" (Randnr. 38 Absatz 2).

140 Stora gibt an, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der PK über die vom PWG getroffenen Beschlüsse informiert worden seien (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 8). Die Richtigkeit dieser Behauptung wird jedoch von mehreren Unternehmen, die an den Sitzungen der PK teilnahmen, in Abrede gestellt; zu ihnen gehört die Klägerin. Folglich können die Aussagen von Stora zur Rolle der PK ohne Untermauerung durch andere Beweismittel nicht als hinreichender Beleg für den Gegenstand der Sitzungen dieses Gremiums angesehen werden.

141 Die Akten enthalten zwar ein Schriftstück, nämlich eine Erklärung eines früheren Vorstandsmitglieds von Feldmühle (Herrn Roos) vom 22. März 1993, das auf den ersten Blick die Angaben von Stora bestätigt. Herr Roos führt u. a. aus: "Der Inhalt der in der Presidents Working Group geführten Gespräche wurde an in dieser Gruppe nicht vertretene Unternehmen in der darauffolgenden Präsidentenkonferenz oder, wenn keine Präsidentenkonferenz anschließend stattfand, über das Joint Marketing Committee übermittelt." Unabhängig davon, daß dieses Schriftstück in der Entscheidung nicht ausdrücklich zur Stützung der Behauptungen der Kommission zum Gegenstand der Sitzungen der PK herangezogen wird, kann es jedenfalls nicht als zusätzlicher Beweis angesehen werden, der zu den Aussagen von Stora hinzukommt. Da diese Aussagen nämlich eine Zusammenfassung der Antworten aller drei Unternehmen darstellen, die Stora während des Zeitraums der Zuwiderhandlung gehörten und zu denen Feldmühle zählt, war das frühere Vorstandsmitglied des letztgenannten Unternehmens zwangsläufig eine der Quellen der Aussagen von Stora selbst.

142 Die Kommission führt in der Entscheidung aus, daß Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine beim Verkaufsagenten von Mayr-Melnhof im Vereinigten Königreich gefundene Notiz, die sich auf eine Sitzung in Wien am 12. und 13. Dezember 1986 bezieht, eine "Bestätigung für die Aussage von Stora, daß in der Präsidentenkonferenz tatsächlich über Preisabsprachen geredet wurde, liefert" (Randnrn. 41 Absatz 3 und 75 Absatz 2 der Entscheidung). Dieses Schriftstück enthält folgende Angaben:

"Preisfestsetzung VK

An der letzten FIDES-Sitzung nahm der Vertreter von Weig teil, der erklärte, daß sie 9 % für das VK für zu hoch halten und sich mit 7 % zufriedengeben!! Grosse Enttäuschung, da dies eine "Verhandlungsmarge" für alle anderen signalisiert. Die Preispolitik im VK bleibt RHU mit Unterstützung durch [Mayr-Melnhof] überlassen, selbst wenn dies eine vorübergehende Verringerung der Tonnage bedeutet, während wir versuchen (und dies auch deutlich machen), auf 9 % zu kommen. [Mayr-Melnhof/FS] behalten eine Wachstumspolitik im VK bei, aber der Rückgang der Erträge ist ernst, und wir müssen kämpfen, um die Kontrolle über die Preisfestsetzung zurückzugewinnen. [Mayr-Melnhof] räumt ein, daß es nicht hilfreich ist, daß sie bekanntermassen ihre Tonnage in Deutschland um 6 000 erhöht haben!"

143 Bei der "FIDES-Sitzung", auf die am Anfang des Zitats Bezug genommen wird, handelt es sich nach Angaben von Mayr-Melnhof (Antwort auf ein Auskunftsverlangen, Anlage 62 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) wahrscheinlich um das Treffen der PK am 10. November 1986. Nach Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung nahm die Klägerin aber an diesem Treffen nicht teil.

144 Das analysierte Schriftstück zeigt, daß Weig mit Angaben über ihre künftige Preispolitik im Vereinigten Königreich auf das ursprüngliche Ausmaß einer Preiserhöhung reagierte.

145 Es kann jedoch nicht als Beweis dafür angesehen werden, daß Weig auf ein bestimmtes Ausmaß einer Preiserhöhung reagierte, das zwischen den der PG Karton angehörenden Unternehmen vor dem 10. November 1986 vereinbart worden war.

146 Die Kommission beruft sich nämlich insoweit auf kein anderes Beweismittel. Ausserdem kann die Bezugnahme von Weig auf eine Preiserhöhung um "9 %" damit zu erklären sein, daß Thames Board Ltd am 5. November 1986 eine Preiserhöhung im Vereinigten Königreich ankündigte (Anlage A-12-1). Diese Ankündigung wurde innerhalb kurzer Zeit publik gemacht, wie aus einem Pressebericht hervorgeht (Anlage A-12-3). Schließlich hat die Kommission kein anderes Schriftstück vorgelegt, das einen unmittelbaren Beweis dafür darstellen könnte, daß die Preiserhöhungen auf Sitzungen der PK erörtert wurden. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, daß die in Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte wiedergegebenen Äusserungen von Weig am Rand der Sitzung der PK vom 10. November 1986 fielen, wie Weig in der mündlichen Verhandlung wiederholt geltend gemacht hat.

147 Die Kommission behauptet in der Entscheidung ferner: "Schriftstücke, die die Kommission bei FS-Karton (zur M-M-Gruppe gehörend) vorfand, bestätigen, daß Ende 1987 im Rahmen der beiden Präsidentengremien eine Vereinbarung über die beiden miteinander verbundenen Fragen der Mengenkontrolle und der Preisdisziplin gefunden worden war" (Randnr. 53 Absatz 1 der Entscheidung). Sie nimmt insoweit auf Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte Bezug, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller) vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 694A0311.1

148 Der Verfasser des Schriftstücks verweist einleitend auf die engere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im "Präsidentenkreis". Dieser Ausdruck ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2.a).

149 Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache ist zwar unstreitig, daß Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte einen Beweis für die Richtigkeit der Aussagen von Stora zum Vorliegen einer Absprache der zum "Präsidentenkreis" gehörenden Unternehmen über die Marktanteile und einer Absprache dieser Unternehmen über die Abstellzeiten darstellt; die Kommission legt jedoch kein weiteres Beweismittel vor, das bestätigt, daß in der PK u. a. die Absprache über die Marktanteile und die Kontrolle der Produktionsmengen erörtert wurden. Somit kann das in Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte verwendete Wort "Präsidentenkreis" trotz der Erläuterungen von Mayr-Melnhof nicht als Bezugnahme auf andere Gremien als den PWG ausgelegt werden.

150 Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Sitzungen der PK neben den rechtmässigen Tätigkeiten einem wettbewerbsfeindlichen Zweck dienten. Folglich konnte sie aus den angeführten Beweismitteln nicht ableiten, daß sich die Unternehmen, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilnahmen, an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt haben.

151 Somit ist die Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen der PK nicht zum Nachweis ihrer Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln in der Zeit von Mitte 1986 bis April 1989 geeignet.

b) Teilnahme der Klägerin an drei Sitzungen der WK

152 Es steht fest, daß die Klägerin in der Zeit von Mitte 1986 bis April 1989 an drei Sitzungen der WK teilnahm, und zwar am 15. Oktober 1986, am 4. Februar 1987 und am 3. Februar 1989. Da die Kommission kein Beweismittel angeführt hat, das sich speziell auf diese Sitzungen bezieht, ist allgemein zu prüfen, ob die Sitzungen der WK einen wettbewerbsfeindlichen Gegenstand hatten.

153 In der Entscheidung heisst es: ""Zentrales Thema" der Beratungen in der Wirtschaftlichen Kommission war die Analyse und Beurteilung der Marktlage in den einzelnen Ländern" (Randnr. 50 Absatz 1). Die WK "erörterte (unter anderem) die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage und berichtete dem JMC (oder vor Ende 1987 dessen Vorgänger, dem "Marketing Committee") über die Ergebnisse ihrer Arbeit" (Randnr. 49 Absatz 1).

154 Nach Ansicht der Kommission waren die "Erörterungen über die Marktsituation... nicht ohne konkreten Zweck; die Gespräche über die Verfassung der einzelnen nationalen Märkte müssen im Kontext der geplanten Preisinitiativen einschließlich der Notwendigkeit zeitweiliger Abstellzeiten zur Abstützung der Preisanhebungen gesehen werden" (Randnr. 50 Absatz 1 der Entscheidung). Ausserdem meint die Kommission: "Die Wirtschaftliche Kommission war möglicherweise weniger direkt mit der Preisfestsetzung als solcher befasst, doch ist nicht glaubhaft, daß ihre Mitglieder nichts von dem gesetzwidrigen Zweck gewusst hätten, zu dem die Informationen, die sie dem JMC wissentlich überließen, benutzt wurden" (Randnr. 119 Absatz 2 der Entscheidung).

155 Zur Stützung ihrer Behauptung, daß die Gespräche in der WK einen wettbewerbsfeindlichen Zweck gehabt hätten, verweist die Kommission auf ein einziges Schriftstück, und zwar auf eine vertrauliche Notiz eines Vertreters von FS-Karton (Mayr-Melnhof-Gruppe) über die "Highlights" der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 (Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

156 In der Entscheidung fasst die Kommission den Inhalt dieses Schriftstücks wie folgt zusammen:

"[N]eben einer detaillierten Übersicht über Nachfrage, Produktion und Auftragsbestand auf den einzelnen nationalen Märkten [wurde] folgendes erörtert...:

- deutlicher Widerstand der Abnehmer gegen die letzte Preiserhöhung für GC-Sorten zum 1. Oktober;

- jeweiliger Auftragsbestand der GC- und GD-Hersteller einschließlich individueller Positionen;

- Berichte über tatsächliche und geplante Abstellzeiten;

- die speziellen Probleme der Durchsetzung der Preiserhöhung im Vereinigten Königreich und deren Folgen für die notwendige Preisdifferenz zwischen GC- und GD-Sorten;

- Gegenüberstellung von tatsächlichen und vorgesehenen Auftragseingängen für jede nationale Gruppe" (Randnr. 50 Absatz 2).

157 Diese Beschreibung des Inhalts des Schriftstücks trifft im wesentlichen zu. Die Kommission führt jedoch kein Beweismittel zur Stützung ihrer Behauptung an, daß Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte "als Hinweis auf die tatsächliche Art der Beratungen dieses Gremiums gewertet werden" könne (Randnr. 113 letzter Absatz der Entscheidung).

158 Im übrigen gibt es nur wenige Aussagen von Stora, die sich auf die WK beziehen. Sie erklärt: "Vor 1987 vereinigte die Wirtschaftliche Kommission die Aufgaben des JMC und der Statistischen Kommission in sich. An den Sitzungen nahmen die Marketing-/Verkaufsleiter teil. Unter anderem wurden die Preisbewegungen auf den nationalen Märkten, Kleinmengenzuschläge, die Bogenzählung, Rechnungsbedingungen und Rohstoffe erörtert. Ferner wurden statistische Berichte geprüft" (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 12). Diese Ausführungen betreffen, wie angegeben, nur die Zeit vor 1987. Ausserdem erwähnt Stora zwar, daß sich die Erörterungen in den Sitzungen der WK auf die Preisbewegungen auf den nationalen Märkten bezogen hätten, äussert sich aber nicht näher zum Inhalt dieser Erörterungen. Daher kann nicht der Schluß gezogen werden, daß es sich um Erörterungen mit wettbewerbswidrigem Gegenstand handelte.

159 Für die Zeit ab Anfang 1988 macht Stora folgende Angaben: "Das JMC wurde Ende 1987 geschaffen und trat Anfang 1988 erstmals zusammen; von da an übernahm es einen Teil der Funktionen der Wirtschaftlichen Kommission. Die übrigen Funktionen der Wirtschaftlichen Kommission wurden von der Statistischen Kommission übernommen" (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 13).

160 Die Aussagen von Stora enthalten somit keinen Beleg für den von der Kommission geltend gemachten wettbewerbsfeindlichen Zweck der Beratungen dieses Gremiums in der Zeit nach Anfang 1987.

161 Schließlich führt die Kommission auch keine Beweismittel an, die den Schluß zulassen, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der WK über das genaue Wesen der Sitzungen des JMC - des Gremiums, dem die WK berichtete - informiert waren. Es ist daher nicht auszuschließen, daß Teilnehmer an den Sitzungen der WK, die nicht zugleich an den Sitzungen des JMC teilnahmen, von der genauen Verwendung der von der WK erstellten Berichte durch das JMC nichts wussten.

162 Folglich kann Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht als Nachweis für die wirkliche Natur der Erörterungen in den Sitzungen der WK angesehen werden.

163 Überdies geht die Kommission offenbar selbst davon aus, daß die Teilnahme an Sitzungen der WK keinen ausreichenden Beweis für eine Zuwiderhandlung darstellte, denn Enso Española, die 1987 an Sitzungen der WK teilgenommen hatte (Tabelle 6 im Anhang der Entscheidung), wurde für die Zeit vor März 1988 keine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln zur Last gelegt (Artikel 1 der Entscheidung).

164 Nach alledem ist die Tatsache, daß die Klägerin im fraglichen Zeitraum an drei Sitzungen der WK teilnahm, kein Beweis für ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.

c) Tatsächliches Preisverhalten der Klägerin

165 Für den zu prüfenden Zeitraum geht aus Tabelle A im Anhang der Entscheidung hervor, daß die Klägerin nach den Erkenntnissen der Kommission am 14. November 1987 eine Erhöhung ihrer Preise im Vereinigten Königreich um 8 % ankündigte und diese am 12. Januar 1988 vornahm.

166 Nach den Tabellen B und C im Anhang der Entscheidung verfügt die Kommission dagegen über keine Informationen in bezug auf etwaige Erhöhungen der Kartonpreise der Klägerin anläßlich der Preiserhöhungsinitiativen im März/April 1988 und im Oktober 1988.

167 Unter diesen Umständen ist das Gericht der Ansicht, daß das von der Kommission dargelegte tatsächliche Preisverhalten der Klägerin, das in einer einzigen Preiserhöhungsinitiative im Vereinigten Königreich besteht, die mit den Preiserhöhungen der übrigen Hersteller im Einklang zu stehen scheint, die Behauptung der Kommission, daß sich die Klägerin im fraglichen Zeitraum an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt habe, nicht in rechtlich hinreichender Weise stützt.

d) Ergebnis in bezug auf den fraglichen Zeitraum

168 Nach alledem belegen die von der Kommission angeführten Beweismittel auch zusammengenommen nicht, daß sich die Klägerin in der Zeit von Mitte 1986 bis April 1989 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligte.

2. Zeitraum von April 1989 bis April 1991

169 Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen, indem sie sich - im Fall der Klägerin von Mitte 1986 bis mindestens April 1991 - an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. "sich über regelmässige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten" und "gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten", "sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten" und "in zunehmendem Masse ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen".

170 Demnach haben der Entscheidung zufolge alle in Artikel 1 aufgeführten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen, indem sie sich an einer einzigen Zuwiderhandlung in Form von Absprachen beteiligten, die sich auf drei verschiedene Gegenstände bezogen, mit denen aber ein gemeinsames Ziel verfolgt wurde. Diese Absprachen sind als die Bestandteile des Gesamtkartells anzusehen.

171 Unter diesen Umständen ist gesondert zu prüfen, ob sich die Klägerin in der Zeit von April 1989 bis April 1991 an den einzelnen Absprachen beteiligte.

a) Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache

- Teilnahme der Klägerin an zwei Sitzungen des JMC

172 Es steht fest, daß die Klägerin an den beiden Sitzungen des JMC vom 4. April 1989 und vom 20. November 1990 teilnahm.

173 Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende Hauptaufgabe:

"- zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie, und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten;

- die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen..." (Randnr. 44 Absatz 1 der Entscheidung).

174 Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der Entscheidung folgendes aus:

"[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG vereinbarten Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen wurden in "Round Table"-Gesprächen erörtert, wobei jeder Teilnehmer Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äussern.

Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen Preiserhöhungen oder gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie Stora es formulierte) "zu versuchen hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu bringen". Das JMC erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die hierfür erforderlichen Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern."

175 Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der Sitzungen des JMC zu Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

176 Ausserdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung des JMC verfügt, von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen vom 6. September 1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990 erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). Nach Ansicht des Gerichts werden in diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der Entscheidung beschrieben wird, Erörterungen wiedergegeben, die auf Sitzungen des JMC stattfanden.

177 Die Klägerin bestreitet nicht, daß sich die Anlagen 117 und 109 auf die Sitzungen des JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 beziehen. In diesem Zusammenhang ist auch das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß es keinen Beweis dafür gebe, daß sich Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, von Rena erlangte Notizen vom 6. September 1990, auf eine Sitzung des JMC beziehe. Diese Notizen befinden sich auf Blättern, die mit dem Aufdruck "Schweizerischer Bankverein" versehen sind und das Datum des 6. September 1990 tragen, an dem in Zuerich eine Sitzung des JMC stattfand. Sie enthalten eindeutig die Wiedergabe von wettbewerbswidrigen Gesprächen zwischen den dort genannten Herstellern. Somit steht fest, daß sie die Sitzung des JMC betreffen, die an dem fraglichen Tag stattfand.

178 Die Anlagen 117, 109 und 118 stellen folglich Beweismittel dar, die die Beschreibung der Aufgaben des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.

179 Insoweit ist als Beispiel auf Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu verweisen, in der es u. a. heisst:

"Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt:

Frankreich 40 FF Niederlande 14 Deutschland 12 DM Italien 80 LIT Belgien 2,50 BFR Schweiz 9 FS England 40 UKL Irland 45 IRL

Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw.

Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr. Für Lieferungen ab 7. Januar. Nicht später als 31. Januar. Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof). 19. September. Brief von Feldmühle geht raus. Cascades vor Ende September. Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein."

180 Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert, konnte sie ferner interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die Unternehmen und insbesondere diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.

181 Bei Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die von Rena erlangt wurde, handelt es sich nach Ansicht der Kommission um Notizen, die während der Sitzung des JMC vom 6. September 1989 angefertigt wurden und die einen Beweis für die Absprache über die Preiserhöhungsinitiative im Oktober 1989 darstellen sollen. Sie führt u. a. aus, daß dieses Schriftstück "Einzelheiten der in jeweiliger Landeswährung angekündigten Preiserhöhungen [enthält] und die Reaktionen der Kunden sowie die bisherigen Fortschritte bei der Durchsetzung der Preiserhöhungen auf den jeweiligen nationalen Märkten [kommentiert]" (Randnr. 80 Absatz 5 der Entscheidung). Die Klägerin, die an der fraglichen Sitzung nicht teilnahm (Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung), bestreitet nicht, daß sich Anlage 117 auf diese bezieht. Sie ist aber der Auffassung, daß die darin enthaltenen Informationen nur teilweise in der Sitzung des JMC erlangt worden seien; dies habe Rena der Kommission bei der Übersendung der später als Anlagen 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezeichneten Unterlagen mitgeteilt (Schreiben von Rena, Anlage 116 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

182 Anlage 117 enthält jedoch eine Reihe von Informationen über die Preise und die Preiserhöhungen der Kartonhersteller. In Anbetracht dessen, daß die Informationen den gleichen Gegenstand haben und daß der tatsächliche Austausch solcher Informationen in den Sitzungen des JMC insbesondere durch die Aussagen von Stora und durch Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigt wird, ist das Gericht der Ansicht, daß die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis kam, daß alle in Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Informationen auf der Sitzung des JMC vom 6. September 1989 erlangt wurden.

183 Die Behauptung der Kommission, daß die in Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen die Durchführung der Preiserhöhungen überwacht hätten (Randnr. 82 der Entscheidung), wird von ihr auf Anlage 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt, die sich auf die Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989 bezieht. Die Klägerin erhebt gegen die in der Entscheidung enthaltene Beschreibung des Inhalts dieses Schriftstücks keine Einwände.

184 Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahl der Sitzungen des JMC in dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum betreffen, bestätigen alle verfügbaren schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die Durchführung der abgestimmten Preiserhöhungen festzulegen und zu planen sowie ihre tatsächliche Umsetzung zu überwachen. Insoweit ist das fast völlige Fehlen von offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender Beweis für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an den Sitzungen teilnehmenden Unternehmen bemühten, die wahre Natur der Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u. a. Randnr. 45 der Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt, und den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilgenommen hatten, oblag der Nachweis, daß es ein rechtmässiges Ziel verfolgte. Da sie diesen Beweis nicht erbracht haben, hat die Kommission zu Recht angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen dieses Gremiums geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.

185 Zur Behauptung der Klägerin, daß sich die von der Kommission zum Nachweis dafür, daß im JMC Gespräche mit wettbewerbswidrigem Gegenstand geführt worden seien, herangezogenen Schriftstücke nicht auf GD-Karton bezögen, ist erstens festzustellen, daß es in Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die sich auf die Sitzung des JMC vom 6. September 1989 bezieht, heisst (S. 3 und 4): "Frankreich möchte Preiserhöhung für GD ab 1/1-90" und "Preisunterschied GC-GD beträgt fast 40 %".

186 Zweitens enthält Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, von der feststeht, daß sie sich auf die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 bezieht, detaillierte Angaben zu GD-Karton.

187 Drittens bestätigen diese Schriftstücke die Behauptung von Stora, daß der Zweck des JMC darin bestanden habe, "Preisvergleiche in bezug auf einige Großkunden anzustellen und Einzelheiten für die Durchführung der Preisentscheidungen des PWG sowohl für GC- als auch für GD-Sorten in den einzelnen Ländern auszuarbeiten" (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 13). Diese Ausführungen sind im Licht folgender Erläuterung zu sehen, die in Anlage 35 der Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 16) enthalten ist: "Soweit den Stora-Herstellern bekannt ist, trat das Joint Marketing Committee ursprünglich fünf- oder sechsmal pro Jahr zusammen, um sowohl über GC- als auch über GD-Sorten zu beraten. Später fanden getrennte Sitzungen für GC- und GD-Sorten statt, so daß sich die Zahl der Sitzungen in etwa verdoppelte."

188 Folglich durfte die Kommission aus den Aktenstücken ableiten, daß die Gespräche im JMC über die abgestimmten Preiserhöhungen sowohl GC-Karton als auch GD-Karton betrafen.

189 Was die individuelle Situation der Klägerin anbelangt, so ist ihre Teilnahme an zwei Sitzungen des JMC nach dem Vorstehenden zumindest als ernsthafter Anhaltspunkt für ihre Beteiligung an der Preisabsprache anzusehen.

190 In diesem Zusammenhang ist angesichts des oben beschriebenen Gegenstands der Sitzungen des JMC darauf hinzuweisen, daß die Klägerin in einem Schreiben vom 28. August 1991, das sie in Beantwortung eines Schreibens gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 an die Kommission richtete, einräumte, daß sie die meisten Sitzungen des JMC nicht besucht, aber gelegentlich mit Kollegen ein Telefonat darüber geführt habe.

- Teilnahme der Klägerin an der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989

191 Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine vertrauliche Notiz eines Vertreters von FS-Karton (Mayr-Melnhof-Gruppe) über die "Highlights" der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989, kann nicht als Nachweis für die wirkliche Natur der Erörterungen in den Sitzungen der WK angesehen werden, da es keine Unterlagen gibt, die ihren Inhalt bestätigen (siehe oben, Randnrn. 152 ff.). Zwar wurde bereits ausgeführt, daß die Beschreibung des Inhalts dieses Schriftstücks im wesentlichen zutrifft, aber auf die Frage, ob es beweist, daß in der Sitzung vom 3. Oktober 1989 wettbewerbswidrige Gespräche geführt wurden, wurde nicht eingegangen. Daher ist zu prüfen, ob die Teilnahme der Klägerin an dieser Sitzung einen hinreichenden Beweis für ihre Beteiligung an einer Preisabsprache darstellt.

192 Die Preisdiskussionen auf dieser Sitzung betrafen die Reaktionen der Kunden auf die Erhöhung der Preise für GC-Karton, die die meisten Hersteller dieser Kartonsorte mit Wirkung zum 1. Oktober 1989 vorgenommen hatten, nachdem sie dem Markt einige Monate zuvor angekündigt worden war. Nach den Angaben der Kommission betraf diese Preiserhöhung auch SBS-Karton, nicht aber GD-Karton. Die Diskussionen in der fraglichen Sitzung gingen nach Ansicht des Gerichts über das gemäß den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zulässige Maß hinaus, insbesondere soweit festgestellt wurde, daß es "nicht richtig [wäre], von dem jetzt etablierten wichtigen GC-Preisniveau abzurücken". Durch die damit erfolgte Äusserung des gemeinsamen Willens, das neue Preisniveau bei GC-Karton strikt durchzusetzen, haben die Hersteller nämlich nicht autonom bestimmt, welche Marktpolitik sie verfolgen wollen, und so gegen den Grundgedanken der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages verstossen (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnr. 173).

193 Auch wenn Einigkeit darüber besteht, daß die Klägerin keinen GC-Karton herstellt und daß sich die Preiserhöhung im Oktober 1989 nicht auf GD-Karton bezog (vgl. Tabelle E im Anhang der Entscheidung und deren Randnr. 80 Absatz 2), ist es aber nicht glaubhaft, daß sich der oder die Vertreter der Klägerin in der Sitzung vom 3. Oktober 1989 über Gegenstand, Art und Folgen der Erörterungen geirrt haben, die zwischen den konkurrierenden Unternehmen stattfanden. Zum Zeitpunkt dieser Sitzung hatte die Klägerin nämlich schon an einer Sitzung des JMC teilgenommen (siehe oben, Randnr. 172).

194 Daher stellt die Teilnahme der Klägerin an der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 nach Ansicht des Gerichts einen zusätzlichen Anhaltspunkt für ihre Beteiligung an einer Preisabsprache dar, dem bei der Gesamtbeurteilung der von der Kommission angeführten Beweismittel Rechnung zu tragen ist.

- Tatsächliches Preisverhalten der Klägerin

195 Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist es angebracht, das tatsächliche Preisverhalten der Klägerin zu prüfen, um zu ermitteln, ob es einen zusätzlichen Anhaltspunkt für die Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache darstellt.

196 Was zunächst das tatsächliche Verhalten der Klägerin im Vereinigten Königreich anbelangt, so muß sich die Prüfung auf die Preiserhöhungen im April 1989, im April 1990 und im Januar 1991 erstrecken (Tabellen D, F und G im Anhang der Entscheidung). Die Preiserhöhung im Oktober 1989 kann ausser acht bleiben, da sie, wie aus Tabelle E im Anhang der Entscheidung hervorgeht, von der Klägerin nicht hergestellte Kartonsorten betraf.

197 Der Umfang der betreffenden Preiserhöhungen stimmt mit den Beträgen überein, die in den von der Kommission zur Stützung ihrer Behauptungen angeführten Unterlagen genannt werden. Die von der Klägerin für April 1989 angekündigte Preiserhöhung um 25 UKL/Tonne entspricht genau dem Betrag, der in einer in den Geschäftsräumen von Finnboard (UK) Ltd gefundenen Preisliste angegeben ist (Randnr. 79 Absatz 3 der Entscheidung). Auch die von der Klägerin Anfang 1990 mitgeteilte Preiserhöhung um 45 UKL/Tonne entspricht den Angaben in Anlage 110 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, einer von Rena erlangten und von der Kommission in Randnummer 83 der Entscheidung beschriebenen Preisliste. Schließlich stimmt die Erhöhung um 40 UKL/Tonne im Januar 1991 mit dem überein, was die am 6. September 1990 in Zuerich tagenden Unternehmen vereinbart hatten (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Randnr. 87 der Entscheidung).

198 Die Klägerin hat diese Übereinstimmung des Umfangs der Erhöhungen jedoch mit der Transparenz des Marktes, der Rolle ihres unabhängigen Agenten im Vereinigten Königreich und den sehr detaillierten Informationen in der Fachzeitschrift EUWID Pulp & Paper erklärt. In Anbetracht dessen, daß die Klägerin eine Erhöhung ihrer Preise bei den drei in Rede stehenden Initiativen nicht vor den übrigen Unternehmen angekündigt hat, lassen ihre Erläuterungen auf den ersten Blick ihre Behauptung plausibel erscheinen, daß sie ihr tatsächliches Verhalten auf dem britischen Markt nur an das der übrigen Unternehmen angepasst habe. Da die Kommission nichts vorgetragen hat, was diese Ausführungen entkräften könnte, kann das tatsächliche Verhalten der Klägerin auf dem britischen Markt nicht als zusätzlicher Anhaltspunkt für ihre Beteiligung an der Preisabsprache herangezogen werden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß dieses tatsächliche Verhalten nicht von dem abweicht, was zumindest zwischen den übrigen an den Sitzungen des JMC teilnehmenden Unternehmen vereinbart worden war.

199 Was das tatsächliche Verhalten der Klägerin in Kontinentaleuropa anbelangt, so bestreitet die Kommission nicht, daß die Preise im fraglichen Zeitraum jährlich am 1. Januar und/oder am 1. Juli erhöht wurden, d. h. zu anderen als den in der Entscheidung angegebenen Zeitpunkten.

200 Daher ist das tatsächliche Preisverhalten der Klägerin kein Beleg für die von der Kommission in bezug auf ihre Beteiligung an einer Preisabsprache gezogenen Schlüsse.

- Ergebnis in bezug auf die Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache

201 Die Indizien, auf die sich die Kommission in einer Entscheidung zum Nachweis des Vorliegens eines Verstosses eines bestimmten Unternehmens gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beruft, sind nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnr. 68).

202 Am Ende der vom Gericht vorgenommenen Prüfung ist festzustellen, daß die Beteiligung der Klägerin an zwei Sitzungen des JMC, deren wettbewerbswidriger Zweck feststeht, sowie an der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989, die als zusätzliches Indiz für ihre Beteiligung an der Preisabsprache angesehen worden ist, Gesichtspunkte sind, die ihre Beteiligung an der Preisabsprache von April 1989 bis April 1991 rechtlich hinreichend belegen.

203 Auf das Vorbringen der Klägerin, daß ihr tatsächliches Marktverhalten nicht den Behauptungen der Kommission zu ihrer Beteiligung an der Preisabsprache entspreche, ist zu antworten, daß nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, daß sich ein Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbsfeindlichem Gegenstand nicht beugt, nicht geeignet ist, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnr. 85).

204 Die Kommission bestreitet nicht, daß die Kartonpreise der Klägerin auf den nationalen kontinentaleuropäischen Märkten nicht in zeitlicher Nähe zu den in den Tabellen im Anhang der Entscheidung genannten Daten erhöht wurden; in der Verhandlung hat sie sogar eingeräumt, dies zuvor nicht geprüft zu haben. Das Gericht wird dem Rechnung tragen, wenn es im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Geldbussen die Schwere der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung beurteilt (siehe unten, Randnrn. 343 ff.).

b) Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten

205 Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.

206 Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfasste der eigentliche Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora "die Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten". Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die "1987 im PWG erzielte Vereinbarung" (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu gedient, ""das Angebot auf einem konstanten Niveau" zu halten" (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).

207 Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heisst es in der Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: "Von Anfang 1990 an [hielt es] die Branche... für erforderlich..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten zu verständigen. Die grossen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt werden mussten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen" (Randnr. 70 der Entscheidung).

208 Ferner heisst es in der Entscheidung: "Der PWG wies jedoch nicht formell jedem Hersteller seine "Abstellzeiten" zu. Laut Stora bestanden praktische Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur "ein loses System der Ermutigung"" (Randnr. 71 der Entscheidung).

209 Stora führt aus (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 24): "Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988 erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden, um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts zunehmender Überkapazität nicht halten können."

210 Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: "1988 und 1989 konnte die Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich... Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch) einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden. Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses System der Ermutigung bestand..."

211 Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte (siehe oben, Randnr. 147).

212 Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im "Präsidentenkreis" "Gewinner und Verlierer".

213 Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung der Aktennotiz als "Verlierer" ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten dar.

214 Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:

"4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten über das Gewollte.

...

c) Alle Aussendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere geänderte Einstellung zum Markt nicht - früher wurde nur Tonnage gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen abzustellen)."

215 Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz lässt dieser Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im "Präsidentenkreis" beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros angewandt wird.

216 Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer Absprache über die Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG nachgewiesen hat.

217 In der Entscheidung heisst es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden Unternehmen, darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.

218 Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:

"Neben den zusammengefassten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.

Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen) waren aus zweierlei Gründen wichtig:

- einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen vorgenommen werden können;

- zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage..." (Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).

219 Ferner stellt sie fest:

"Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen..., daß die grossen Hersteller ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang zuvorzukommen" (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).

220 Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere werden in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena vom 6. September 1990 (siehe auch oben, Randnr. 87), der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen, die er z. B. wie folgt aufführt:

"Kopparfors 5 - 15 days 5/9 will stop for five days"

221 Ausserdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte - obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten enthalten -, daß die Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungen des JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden.

222 Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Den an der Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig bewusst, daß durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die Gespräche über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die Marktbedingungen für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das vereinbarte Preisniveau durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht aus Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die Marktbedingungen gingen folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.

223 Da die Klägerin im fraglichen Zeitraum nur an zwei Sitzungen des JMC teilnahm, ist Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte (siehe oben, Randnrn. 155 ff.) zu prüfen, die den Inhalt der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 beschreibt, an der die Klägerin, wie sie einräumt, teilnahm.

224 Dieses Schriftstück enthält keinen Beleg dafür, daß tatsächlich Erörterungen stattfanden, die zur Planung künftiger Abstellzeiten der Einrichtungen auf der Basis von Absprachen führten. Alle darin enthaltenen Bezugnahmen auf konkrete Abstellzeiten betreffen nämlich Daten aus der Vergangenheit. Das Schriftstück enthält jedoch Ausführungen über die künftige Nutzung der Einrichtungen: "Bei anhaltend schlechtem Auftragseingang und schlechter Belegung ist es naheliegend, entsprechend dem Marktbedarf ein Abstellen zu überlegen." Da rechtlich hinreichend dargetan ist, daß sich die Klägerin an einer Preisabsprache beteiligte, stellt dieses Schriftstück einen zusätzlichen Anhaltspunkt für ihre Beteiligung an einer Absprache über die Abstellzeiten dar.

225 Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen, daß die Kommission nachgewiesen hat, daß sich die Klägerin durch die Teilnahme an zwei Sitzungen des JMC und an der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 sowie an der Preisabsprache an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.

226 In diesem Zusammenhang ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß ihre Nichtteilnahme an der Absprache über die Abstellzeiten dadurch belegt werde, daß sie ihre Produktion nie unterbrochen habe.

227 Erstens räumt die Kommission in der Entscheidung ein, daß die führenden Hersteller die Last der Produktionsdrosselung zur Absicherung des Preisniveaus auf ihre Schultern genommen hätten (Randnr. 71 Absatz 2 der Entscheidung).

228 Zweitens könnte, selbst wenn feststehen würde, daß die Klägerin ihre Produktionskapazitäten voll genutzt hat und daß eine solche Nutzung nicht dem mit ihren Konkurrenten im JMC vereinbarten Verhalten entsprach, dies nicht belegen, daß sie sich nicht an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligte (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89, Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623, Randnr. 165).

229 Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin in der Zeit von April 1989 bis April 1991 an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.

c) Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile

230 Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu haben, ohne aber die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu stellen, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller eine Vereinbarung getroffen hätten, die "ein "Einfrieren" der Marktanteile der führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfasste], ohne daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen" (Randnr. 52 Absatz 1).

231 Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes ausführt:

"Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen, nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der "Preis-vor-Menge"-Politik, an die sie sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf verständigt hatten, "das Angebot auf einem konstanten Niveau" zu halten, wie ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewusst war, ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen" (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).

232 Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heisst:

"Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanter Angebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.

In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine Auswirkungen hatte" (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).

233 Die Kommission stützt sich somit - wie Stora - im wesentlichen auf die Annahme, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über die Marktanteile gewusst haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren Beweise gibt.

234 Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens führt die Kommission kein Beweismittel an, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden Hersteller vorsah.

235 Zweitens ist die blosse Tatsache, daß sich diese Unternehmen an der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten. Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.) darauf abzielte, vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten; dies galt selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion zur Sicherstellung der tatsächlichen Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt die etwaige Beteiligung an der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht, daß sich die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wussten oder zwangsläufig davon wissen mussten.

236 Drittens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und 3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des NPI am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als zusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht angehörte und daß die Bezugnahme auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die Marktanteile darstellen kann.

237 Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile des Kartells umfasst, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, sofern es wusste oder zwangsläufig wissen musste, daß die Absprache, an der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

238 Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin wusste oder zwangsläufig wissen musste, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines Gesamtplans war, der sich neben der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich beteiligte, auf eine Absprache über die Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.

239 Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von April 1989 bis April 1991 an einer Absprache über die Marktanteile beteiligte.

d) Ergebnis hinsichtlich der Beteiligung der Klägerin an einem Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in der Zeit von April 1989 bis April 1991

240 Wie die Prüfung des Akteninhalts zeigt, hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin im fraglichen Zeitraum an einer Preisabsprache und einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte. Sie hat dagegen nicht nachgewiesen, daß sich die Klägerin im gleichen Zeitraum an einer Absprache über die Marktanteile beteiligte.

3. Gesamtergebnis für diesen Klagegrund

241 Nach alledem hat die Kommission weder eine Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vor April 1989 noch eine Beteiligung dieses Unternehmens an einer Absprache über die Marktanteile in der Zeit von April 1989 bis April 1991 nachgewiesen.

242 Daher ist Artikel 1 der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären, soweit ein vor April 1989 liegender Zeitpunkt als Beginn der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung angesetzt wurde.

243 Ferner ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise, an denen sich die Klägerin beteiligte, "vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller" dienten, in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären.

244 Im übrigen ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

D - Zum Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte, die darin bestehen soll, daß die Kommission nicht sämtliche relevanten Unterlagen übermittelt habe

Vorbringen der Parteien

245 Die Klägerin weist darauf hin, daß sie während des Verwaltungsverfahrens Einsicht in alle die ACBM betreffenden Akten der Kommission verlangt habe und daß die Kommission ihr die Einsichtnahme in einen Teil der fraglichen Schriftstücke verweigert habe.

246 Die Vorgehensweise der Kommission habe ihre Verteidigungsrechte verletzt, weil das Recht auf Anhörung auch für entlastende Schriftstücke gelte (Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 54) und durch Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 nicht eingeschränkt werde. Die in dieser Bestimmung aufgestellte Pflicht zu vertraulicher Behandlung rechtfertige nicht die Weigerung, Einsicht in Schriftstücke zu gewähren, die entlastendes Material enthalten könnten.

247 Nach der Einsichtnahme in die betreffenden Schriftstücke (siehe oben, Randnr. 27) hat die Klägerin an diesem Klagegrund festgehalten und in der mündlichen Verhandlung die folgenden zwei Argumente vorgetragen.

248 Erstens hätte ein handschriftlicher Vermerk über die Sitzung der ACBM vom 11. Dezember 1985 (Schriftstück 20 339) ihre Verteidigung im Verwaltungsverfahren stützen können. Diesem Schriftstück lasse sich nämlich entnehmen, daß die in der PAA zusammengeschlossenen Agenten tatsächlich von den Kartonherstellern unabhängig gewesen seien. Es bestätige somit ihr Vorbringen, daß die Kommission die Unterlagen über die Sitzungen dieser Vereinigung nicht als Beweisstücke gegen sie hätte verwenden dürfen (vgl. Randnrn. 94 bis 98 der Entscheidung).

249 Zweitens gebe es keinen Grund für die Annahme, daß es sich bei den Akten, die sie habe einsehen können, um die vollständigen Akten der Kommission über die ACBM handele.

250 Die Kommission bringt vor, die Schriftstücke der ACBM seien nicht erforderlich gewesen, um das Anhörungsrecht der Klägerin zu gewährleisten; sie sei aufgrund ihrer Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses gemäß Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 gezwungen gewesen, der Klägerin diese Schriftstücke nicht zugänglich zu machen.

251 In der mündlichen Verhandlung hat sich die Kommission ausserdem gegen das Vorbringen gewandt, daß der handschriftliche Vermerk über die Sitzung der ACBM vom 11. Dezember 1985 die Verteidigung der Klägerin im Verwaltungsverfahren hätte stützen können.

Würdigung durch das Gericht

252 Die Klägerin hat, nachdem ihr alle die ACBM betreffenden Unterlagen zugänglich gemacht wurden, nicht vorgetragen, daß diese Aktenstücke Angaben enthielten, die ihre fehlende Beteiligung an der angeblichen Zuwiderhandlung belegen könnten.

253 Sie hat lediglich erklärt, der handschriftliche Vermerk über die Sitzung der ACBM vom 11. Dezember 1985 (Schriftstück 20 339) bestätige, daß die Anlagen der Mitteilung der Beschwerdepunkte, die die PAA beträfen, nicht zum Nachweis für ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages dienen könnten.

254 Nach dem Vorstehenden (siehe oben, Randnrn. 131 bis 168) ist Artikel 1 der Entscheidung aber für nichtig zu erklären, soweit die Kommission die Ansicht vertreten hat, daß sich die Klägerin in der Zeit von Mitte 1986 bis April 1989 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt habe.

255 Des weiteren hat die Kommission für die Zeit von April 1989 bis April 1991 die Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile nicht nachgewiesen. Nach den vorstehenden Feststellungen hat sie dagegen nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der fraglichen Zeit an der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten beteiligte; dabei stützte sie sich auf andere Beweismittel als die Unterlagen über die Sitzungen der PAA.

256 Selbst wenn man unterstellt, daß die Kommission die Unterlagen über die Sitzungen der PAA nicht als Beweismittel für die Beteiligung der Klägerin an einem Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages heranziehen durfte, wäre dieser Umstand als solcher folglich nicht geeignet, die Gültigkeit der Entscheidung zu beeinträchtigen, soweit darin die Beteiligung der Klägerin an der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten in der Zeit von April 1989 bis April 1991 festgestellt wird, denn diese Feststellung wurde nicht allein auf die in Rede stehenden Unterlagen gestützt (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 30).

257 Das Vorbringen der Klägerin, es sei nicht sicher, ob es sich bei den ihr zugänglich gemachten Akten über die ACBM um alle im Besitz der Kommission befindlichen Akten handele, ist zurückzuweisen, da kein Anhaltspunkt vorgetragen worden ist, der diese Behauptung stützt.

258 Demnach ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung

Vorbringen der Parteien

259 Die Klägerin ist der Auffassung, daß Artikel 2 der Entscheidung so vage formuliert sei, daß es bei einem zukünftigen Informationsaustausch schwierig sein werde, zwischen einem verbotenen und einem erlaubten Austausch statistischer Daten zu unterscheiden.

260 Unter Hinweis auf den Siebten Bericht über die Wettbewerbspolitik (§ 7, Nr. 1) macht sie geltend, es gebe keinen Präzedenzfall, der zeige, daß der Austausch von Daten über "den gegenwärtigen Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage" gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstosse. Ausserdem wären die in der Kartonbranche tätigen Unternehmen und insbesondere die kleinen Hersteller ohne den Austausch von Statistiken über Auftragsbestände und Auftragseingänge nicht in der Lage, sich der Marktentwicklung anzupassen.

261 Informationen über die Auftragsbestände könnten bei den Kunden eingeholt werden; ein Austausch statistischer Daten über den wöchentlichen Auftragsbestand würde daher nicht zu grösserer Markttransparenz beitragen.

262 Ausserdem habe die Kommission in der Entscheidung nicht geltend gemacht, daß der Austausch globaler Statistiken über die Auftragslage als solcher rechtswidrig sei (vgl. Randnr. 134 der Entscheidung).

263 Sie hätte den Austausch jedenfalls nicht ohne vorherige Stellungnahme zu dem von CEPI-Cartonboard notifizierten neuen Informationsaustauschsystem verbieten dürfen, für das ein Negativattest oder eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages beantragt worden sei.

264 Die Kommission macht geltend, sie sei berechtigt, ein Verbot der Fortführung der Zuwiderhandlung in ihre Entscheidung aufzunehmen; dies habe das Gericht selbst dann gebilligt, wenn die Anordnung weniger detailliert gewesen sei als im vorliegenden Fall (vgl. u. a. Urteil Rhône-Poulenc/Kommission und Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnrn. 219 bis 223). Im übrigen sei eine derartige Anordnung, die den Adressaten verbiete, zukünftig ein System anzuwenden, dessen Zweck oder Wirkung gleich oder ähnlich sei, nur eine Wiederholung des allgemeinen Verbotes von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in einem speziellen Kontext (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnr. 39).

265 Es habe sich gezeigt, daß die Preisinitiativen und das "Preis-vor-Menge"-Prinzip auf einem umfassenden und ausgefeilten Informationsaustauschsystem beruht hätten. Dieses System habe den Mitgliedern des Kartells die für ihre abgestimmten Maßnahmen notwendigen Informationen verschafft und sie in die Lage versetzt, die Durchführung dieser Maßnahmen zu überwachen (Randnrn. 65 bis 71 und 134 der Entscheidung).

266 Das Informationsaustauschsystem in der im Anschluß an die Untersuchungen der Kommission geänderten Form (vgl. Randnrn. 105 und 106 der Entscheidung) sei ebenfalls als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen worden, weil der Austausch bestimmter Informationen auch in globaler Form noch zur Koordinierung des Geschäftsverhaltens der beteiligten Unternehmen verwendet werden könne. Die Beurteilung des geänderten Informationsaustauschsystems sei zwangsläufig durch das zuvor bestehende Kartell beeinflusst worden.

267 Das Verbot in Artikel 2 der Entscheidung, das notwendigerweise allgemein formuliert worden sei, weil es eine Vielzahl zukünftiger Verhaltensweisen erfassen solle, dürfe indessen nicht als absolutes Verbot jedes Informationsaustauschs verstanden werden. Den Adressaten werde untersagt, bestimmte vertrauliche Geschäftsinformationen der einzelnen Hersteller, Informationen, durch die ein abgestimmtes Marktverhalten gefördert, erleichtert oder ermutigt werde, oder Informationen auszutauschen, die sie in die Lage versetzten, die Erfuellung oder Beachtung wettbewerbsbeschränkender Absprachen zu überwachen.

268 Ein solches Verbot stehe einer Freistellung oder einem Negativattest für ein notifiziertes System nicht entgegen. Die streitige Entscheidung greife daher der von der Kommission zu treffenden Entscheidung über das am 6. Dezember 1993 von CEPI-Cartonboard notifizierte Informationsaustauschsystem nicht vor.

Würdigung durch das Gericht

269 Artikel 2 der Entscheidung lautet:

"Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzueglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,

a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen, oder

b) durch den auch ohne Offenlegung individueller Informationen eine gemeinsame Reaktion der Branche auf wirtschaftliche Verhältnisse hinsichtlich der Preise oder der Kontrolle der Produktion gefördert oder erleichtert wird, oder

c) durch die die Teilnehmer in die Lage versetzt werden könnten, die Erfuellung oder Beachtung ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarungen betreffend die Preise oder die Marktaufteilung in der Gemeinschaft zu überwachen.

Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es nicht nur alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln lässt, sondern auch alle Daten über den gegenwärtigen Stand der Auftragseingänge und der Auftragslage, die erwartete Kapazitätsausnutzung (in beiden Fällen auch in globaler Form) oder die Produktionskapazität jeder Maschine ausschließt.

Ein eventueller Informationsaustausch beschränkt sich auf die Beschaffung und Verbreitung von Produktions- und Verkaufsstatistiken in globaler Form, die nicht dazu benutzt werden können, ein gemeinsames Geschäftsverhalten zu fördern oder zu erleichtern.

Die Unternehmen nehmen ausserdem von jedem Austausch weiterer wettbewerbsrelevanter Informationen über den zulässigen Informationsaustausch hinaus sowie von allen Treffen oder sonstigen Kontakten zur Erörterung des Aussagegehalts der ausgetauschten Informationen oder der möglichen oder wahrscheinlichen Reaktion der Branche oder einzelner Hersteller auf diese Informationen Abstand.

Für die notwendigen Änderungen an einem etwaigen Informationsaustauschsystem wird eine Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung eingeräumt."

270 Wie sich aus Randnummer 165 der Entscheidung ergibt, wurde Artikel 2 der Entscheidung gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erlassen. Nach dieser Bestimmung kann die Kommission u. a. dann, wenn sie eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages feststellt, die beteiligten Unternehmen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.

271 Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 45, und vom 6. April 1995 in den Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Randnr. 90), aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten (Urteil Tetra Pak/Kommission, Randnr. 220).

272 Da die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 der festgestellten Zuwiderhandlung angepasst sein muß, ist die Kommission ausserdem befugt, den Umfang der Verpflichtungen anzugeben, die die betroffenen Unternehmen erfuellen müssen, damit die Zuwiderhandlung abgestellt wird. Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Zieles - Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften - angemessen und erforderlich ist (Urteil RTE und ITP/Kommission, Randnr. 93; in diesem Sinne auch Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in den Rechtssachen T-7/93, Langnese-Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533, Randnr. 209, und T-9/93, Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611, Randnr. 163).

273 Zunächst ist zum Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, daß sie Artikel 2 der Entscheidung erlassen habe, ohne zur Vereinbarkeit des von CEPI-Cartonboard notifizierten Informationsaustauschsystems mit Artikel 85 Stellung genommen zu haben, zu sagen, daß die von diesem Verband am 6. Dezember 1993 vorgenommene Notifizierung ein neues Informationsaustauschsystem betraf, das sich von dem von der Kommission in der Entscheidung geprüften System unterschied. Als die Kommission Artikel 2 der angefochtenen Entscheidung erließ, konnte sie folglich nicht die Rechtmässigkeit des neuen Systems im Rahmen dieser Entscheidung beurteilen. Sie war daher berechtigt, sich auf die Prüfung des alten Informationsaustauschsystems zu beschränken und zu diesem durch den Erlaß von Artikel 2 der Entscheidung Stellung zu nehmen.

274 Um sodann festzustellen, ob die Anordnung in Artikel 2 der Entscheidung - wie die Klägerin behauptet - zu weit geht, ist der Umfang der verschiedenen Verbote zu prüfen, die den Unternehmen damit auferlegt werden.

275 Das Verbot in Artikel 2 Absatz 1 Satz 2, wonach die Unternehmen künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen absehen müssen, mit denen gleiches oder ähnliches wie mit den in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen bezweckt oder bewirkt wird, soll die Unternehmen nur daran hindern, die Verhaltensweisen zu wiederholen, deren Rechtswidrigkeit festgestellt wurde. Folglich hat die Kommission mit der Aufstellung dieses Verbotes die ihr durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 verliehenen Befugnisse nicht überschritten.

276 Die Bestimmungen von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c betreffen Einzelheiten zum Verbot des künftigen Austauschs von Geschäftsinformationen.

277 Die Anordnung in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a, der für die Zukunft jeden Austausch von Geschäftsinformationen verbietet, der es den Teilnehmern ermöglicht, unmittelbar oder mittelbar individuelle Informationen über die Konkurrenzunternehmen zu erlangen, setzt voraus, daß die Kommission in der Entscheidung die Rechtswidrigkeit eines derartigen Informationsaustauschs im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festgestellt hat.

278 In Artikel 1 der Entscheidung heisst es nicht, daß der Austausch individueller Geschäftsinformationen als solcher gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstösst.

279 Dort wird in allgemeinerer Form ausgeführt, daß die Unternehmen gegen diesen Artikel des Vertrages verstossen hätten, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt hätten, durch die sie u. a. "als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten".

280 Da der verfügende Teil der Entscheidung im Licht ihrer Gründe auszulegen ist (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 122), ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es in Randnummer 134 Absatz 2 der Entscheidung heisst:

"Der von den Herstellern in Sitzungen der PG Karton (vor allem des JMC) praktizierte Austausch von normalerweise vertraulichen und sensitiven individuellen Informationen über Auftragslage, Abstellzeiten und Produktionshöhe war offenkundig wettbewerbsfeindlich, da mit ihm bezweckt wurde, möglichst günstige Voraussetzungen für die Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu schaffen."

281 Da die Kommission somit in der Entscheidung ordnungsgemäß ihre Ansicht geäussert hat, daß im Austausch individueller Geschäftsinformationen als solchem ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu sehen sei, erfuellt das Verbot, künftig einen derartigen Informationsaustausch vorzunehmen, die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17.

282 Die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung aufgestellten Verbote des Austauschs von Geschäftsinformationen sind im Licht der Absätze 2, 3 und 4 dieses Artikels zu prüfen, die ihren Inhalt näher ausgestalten. In diesem Kontext ist zu ermitteln, ob und, wenn ja, inwieweit die Kommission den fraglichen Austausch als rechtswidrig angesehen hat, da der Umfang der den Unternehmen auferlegten Verpflichtungen auf das zur Wiederherstellung der Rechtmässigkeit ihres Verhaltens im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erforderliche Maß zu beschränken ist.

283 Die Entscheidung ist dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte Kartell stützte (Randnr. 134 Absatz 3 der Entscheidung). Diese Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 1 der Entscheidung bestätigt, aus dem hervorgeht, daß die Geschäftsinformationen zwischen den Unternehmen "als Absicherung" der als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehenen Maßnahmen ausgetauscht wurden.

284 Im Licht dieser Auffassung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit des FIDES-Systems mit Artikel 85 des Vertrages im vorliegenden Fall ist die Tragweite der in die Zukunft gerichteten Verbote in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung zu beurteilen.

285 Die fraglichen Verbote beschränken sich zum einen nicht auf den Austausch individueller Geschäftsinformationen, sondern betreffen auch den Austausch bestimmter globaler statistischer Daten (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 der Entscheidung). Zum anderen verbietet Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung den Austausch bestimmter statistischer Informationen, um dem Aufbau einer möglichen Stütze potentieller wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vorzubeugen.

286 Da ein solches Verbot den Austausch rein statistischer Informationen, die nicht den Charakter individueller oder individualisierbarer Informationen haben, mit der Begründung verhindern soll, daß die ausgetauschten Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden könnten, überschreitet es das zur Wiederherstellung der Rechtmässigkeit der festgestellten Verhaltensweisen erforderliche Maß. Zum einen geht nämlich aus der Entscheidung nicht hervor, daß die Kommission den Austausch statistischer Daten als solchen als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat. Zum anderen führt die blosse Tatsache, daß ein System des Austauschs statistischer Informationen zu wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden kann, nicht zu seiner Unvereinbarkeit mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages; vielmehr sind unter derartigen Umständen seine konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu bestimmen. Folglich geht das Vorbringen der Kommission, daß Artikel 2 der Entscheidung rein deklaratorischen Charakter habe (siehe oben, Randnr. 264), fehl.

287 Daher ist Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig zu erklären:

"Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzueglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,

a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.

Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln lässt, ausschließt."

Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbusse

1. Zu den Klagegründen, die Fragen betreffen, über die gemeinsam mündlich verhandelt wurde

288 In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen die Entscheidung Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung die Möglichkeit gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von ihnen in Betracht zu ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren Klageschriften die den gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden Klagegründe auch tatsächlich geltend gemacht haben.

289 Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller Klägerinnen vorgelegt worden ist, haben diese mitgeteilt, daß sie sechs Fragen im Rahmen gemeinsamer mündlicher Ausführungen behandeln wollten, darunter

a) die Beschreibung des Marktes und die fehlenden Auswirkungen des Kartells;

b) die Begründung für die Geldbussen.

290 In ihrer Klageschrift hat die Klägerin dazu keine Klagegründe oder Argumente vorgetragen. In der Verhandlung hat sie gleichwohl erklärt, daß sie sich den betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anschließe.

291 Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keinen erst während des Verfahrens zutage getretenen rechtlichen oder tatsächlichen Grund angeführt, der das fragliche neue Vorbringen rechtfertigen könnte.

292 Daher sind die betreffenden Klagegründe, auf die sich die Klägerin erstmals in der Verhandlung berufen hat, unzulässig.

2. Zum Klagegrund einer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit

Vorbringen der Parteien

293 Die Klägerin bringt erstens vor, ein Bußgeldnachlaß könne gerechtfertigt sein, wenn die Übermittlung von Beweisstücken an die Kommission es dieser ermögliche, die angebliche Zuwiderhandlung rasch abzustellen (Urteil ICI/Kommission, Randnr. 393). Ein solcher Nachlaß müsse allerdings in angemessenem Verhältnis zur Kooperation stehen.

294 Im vorliegenden Fall sei der Nachlaß, den Stora und Rena wegen ihrer Kooperation mit der Kommission erhalten hätten, völlig unverhältnismässig, denn diese Kooperation sei erst spät erfolgt (neun Monate nach Einlegung der Beschwerde und vier Monate nach den Ermittlungen der Kommission), und es sei zweifelhaft, ob sie zur Beendigung der Zuwiderhandlung geführt habe. Eine solche Unverhältnismässigkeit der verhängten Geldbussen stelle eine Diskriminierung der davon betroffenen Unternehmen dar.

295 Zweitens sei das Niveau der gegen die kleinen Hersteller verhängten Geldbussen zu hoch, da diese weder an der Preisfestsetzung noch an der Ausarbeitung oder Durchführung von Maßnahmen zur Produktionsbeschränkung beteiligt gewesen seien.

296 Die Klägerin und die anderen kleinen Unternehmen seien das Opfer eines Versuchs der Kommission geworden, zwei einander widersprechende Ziele zu erreichen. Zum einen habe die Kommission Stora als "Anführerin" des angeblichen Kartells mit einer hohen Geldbusse belegen wollen. Zum anderen habe dieses Unternehmen einen erheblichen Nachlaß erhalten, um einen Präzedenzfall zu schaffen, der die Unternehmen veranlassen solle, sich nicht zu verteidigen.

297 Diese beiden Ziele hätten nur durch die Festsetzung einer hohen Geldbusse gegen alle Hersteller miteinander in Einklang gebracht werden können. Derartige Erwägungen hätten bei der Bußgeldbemessung keine Berücksichtigung finden dürfen.

298 Die Kommission weist die Behauptung der Klägerin zurück, daß das Niveau der Geldbussen künstlich überhöht gewesen sei, um Stora einen unbillig hohen Nachlaß zuteil werden zu lassen.

299 Ausserdem habe die Kooperation von Stora und Rena frühzeitig begonnen und sehr zum Abschluß des Verfahrens beigetragen.

Würdigung durch das Gericht

300 Die Argumentation der Klägerin beruht auf der Prämisse, daß die Kommission das allgemeine Niveau der Geldbussen ungewöhnlich hoch angesetzt habe. Daher ist zu prüfen, ob die Kommission bei dessen Festlegung einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat.

301 Im vorliegenden Fall wurde bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Dauer der Zuwiderhandlung (Randnr. 167 der Entscheidung) und folgenden Erwägungen Rechnung getragen (Randnr. 168 der Entscheidung):

"- Preis- und Marktaufteilungsabsprachen stellen als solche schwere Wettbewerbsbeschränkungen dar;

- das Kartell erstreckte sich praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft;

- der EG-Kartonmarkt ist ein bedeutender Industriesektor, der jedes Jahr einen Wert von bis zu 2,5 Milliarden ECU darstellt;

- die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen repräsentieren praktisch den gesamten Markt;

- das Kartell wurde in einem System regelmässiger Sitzungen institutionalisiert, in denen der Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert wurde;

- es wurden aufwendige Schritte unternommen, um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.);

- das Kartell war, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich."

302 Ausserdem geht aus einer Antwort der Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts hervor, daß gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen Geldbussen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbussen mit einem Basissatz von 7,5 % des von den Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes festgesetzt wurden.

303 Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Tatsache Rechnung tragen darf, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismässig häufig sind, und daß es ihr daher freisteht, das Niveau der Geldbussen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. u. a. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 105 bis 108, und Urteil vom 10. März 1992 in der Rechtssache ICI/Kommission, Randnr. 385).

304 Zweitens geht aus der Entscheidung hervor, daß bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen kein genereller mildernder Umstand berücksichtigt. Ausserdem zeigen die zur Verschleierung der Absprache getroffenen Maßnahmen, daß sich die betreffenden Unternehmen der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens voll und ganz bewusst waren. Die Kommission konnte diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigen, da sie einen besonders schwerwiegenden Aspekt der Zuwiderhandlung darstellten.

305 Drittens ist auf die lange Dauer und die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages hinzuweisen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und insbesondere die Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.149 - Polypropylen, ABl. L 230, S. 1) hätte darstellen müssen.

306 Aufgrund dieser Gesichtspunkte rechtfertigen die in Randnummer 168 der Entscheidung wiedergegebenen Kriterien das von der Kommission festgelegte allgemeine Niveau der Geldbussen. Es gibt folglich keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich die Kommission bei der Festlegung der Höhe der Geldbussen auf sachfremde Erwägungen gestützt hätte.

307 Zu der Frage, ob die Basissätze, die bei den als "Anführer" und als "gewöhnliche Mitglieder" angesehenen Unternehmen angewandt wurden, der tatsächlichen Rolle der einzelnen Unternehmen im Kartell ausreichend Rechnung tragen, ist zunächst festzustellen, daß die Kommission den Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilnahmen, zu Recht eine besondere Verantwortung für die Zuwiderhandlung zugeschrieben hat (Randnr. 170 der Entscheidung).

308 Überdies hat sie durch die Wahl der Basissätze von 9 % und 7,5 % des relevanten Umsatzes bei der Berechnung der gegen die "Anführer" des Kartells und gegen dessen "gewöhnliche Mitglieder" verhängten Geldbussen die Schwere der jeweiligen Zuwiderhandlung dieser beiden Gruppen von Unternehmen zutreffend bewertet.

309 Schließlich ist zum Vorbringen der Klägerin, daß sie im Verhältnis zu Stora und Rena benachteiligt worden sei, darauf hinzuweisen, daß ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist, nach ständiger Rechtsprechung nur dann vorliegt, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteile des Gerichtshofes vom 13. Dezember 1984 in der Rechtssache 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209, Randnr. 28, und vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-174/89, Hoche, Slg. 1990, I-2681, Randnr. 25; im gleichen Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 1994 in der Rechtssache T-100/92, La Pietra/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-275, Randnr. 50).

310 Stora hat im vorliegenden Fall gegenüber der Kommission Aussagen gemacht, die eine eingehende Beschreibung von Art und Gegenstand der Zuwiderhandlung, der Funktionsweise der verschiedenen Gremien der PG Karton und der Beteiligung der einzelnen Hersteller an der Zuwiderhandlung enthalten. Durch diese Aussagen hat Stora Auskünfte gegeben, die weit über das hinausgehen, was die Kommission gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 verlangen kann. Auch wenn die Kommission in der Entscheidung erklärt, daß sie Beweise erlangt habe, die die in den Aussagen von Stora enthaltenen Auskünfte bestätigten (Randnrn. 112 und 113), geht aus ihr klar hervor, daß die Aussagen von Stora für die Kommission den wichtigsten Beweis für das Vorliegen der Zuwiderhandlung darstellten. Somit ist davon auszugehen, daß es für die Kommission ohne die Aussagen von Stora zumindest sehr viel schwieriger gewesen wäre, die den Gegenstand der Entscheidung bildende Zuwiderhandlung fest- und gegebenenfalls abzustellen.

311 Unter diesen Umständen hat die Kommission durch die Herabsetzung der gegen Stora verhängten Geldbusse um zwei Drittel das ihr bei der Festlegung der Höhe von Geldbussen zustehende Ermessen nicht überschritten, auch wenn Stora erst mit ihr kooperierte, nachdem sie bei den Unternehmen Nachprüfungen gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 vorgenommen hatte.

312 In bezug auf den Bußgeldnachlaß, der Rena gewährt wurde, genügt die Feststellung, daß die Klägerin die Erläuterung in Randnummer 171 Absatz 2 der Entscheidung, daß Rena der Kommission "freiwillig wichtige schriftliche Beweisstücke" überlassen habe, nicht bestritten hat.

313 Die Klägerin selbst hat dagegen in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte jede Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in Abrede gestellt. Unter diesen Umständen kann sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, gegenüber Stora und Rena benachteiligt worden zu sein.

314 In Anbetracht dessen ist der Klagegrund zurückzuweisen.

3. Zum Klagegrund einer Verletzung des Zeugnisverweigerungsrechts

Vorbringen der Parteien

315 Die Klägerin weist darauf hin, daß die Geldbussen von Rena und Stora wegen deren aktiver Zusammenarbeit mit der Kommission um zwei Drittel und die Geldbussen der Unternehmen, die in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestritten hätten, um ein Drittel herabgesetzt worden seien (Randnrn. 171 und 172 der Entscheidung).

316 Die Kommission dürfe jedoch bei der Festsetzung von Geldbussen nicht zwischen den Unternehmen, die die Behauptungen bestritten hätten, und denen, die dies nicht getan hätten, differenzieren. Aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87 (Orkem/Kommission, Slg. 1989, 3283, Randnr. 35) ergebe sich, daß die Unternehmen, wenn gegen sie eine Untersuchung durchgeführt werde, frei entscheiden können müssten, wie sie sich verteidigten. Diese Freiheit wäre aber nicht mehr gegeben, wenn die Kommission gegen ein Unternehmen, das sich verteidige, härter vorgehen könnte.

317 Die Entscheidung der Kommission verstosse ferner gegen Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK); diese Bestimmung gelte auch für die Wettbewerbsbehörden (Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache Stenuit/Französischer Staat, Nr. 11598/85, Serie A, Nr. 232-A).

318 Die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse müsse daher im Niveau den Geldbussen der Unternehmen angeglichen werden, die ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung nicht bestritten hätten.

319 Speziell zu den Rena und Stora von der Kommission gewährten Nachlässen sei festzustellen, daß die Aussagen dieser beiden Unternehmen im wesentlichen in erläuternden Angaben und nicht in Schriftstücken oder konkreten Informationen bestanden hätten. Die Übermittlung solcher Informationen sei vom Gerichtshof als Selbstbezichtigung aufgefasst worden (Urteil Orkem/Kommission). Das Recht, sich nicht selbst zu belasten, würde aber seines Sinnes beraubt, wenn die Kommission befugt wäre, gegen die Unternehmen, die sich auf dieses Recht beriefen, härter vorzugehen als gegen diejenigen, die dies nicht täten. Für eine Form der Kooperation, auf die sich die Unternehmen nicht einzulassen brauchten, dürfe daher kein Bußgeldnachlaß gewährt werden.

320 Die Kommission sieht es als Teil ihres Ermessens an, den Unternehmen, die mit ihr während der Untersuchung kooperiert hätten, Bußgeldnachlässe zu gewähren. Das Urteil Orkem/Kommission schränke dieses Ermessen nicht ein. Daß sie ein Unternehmen nicht dazu zwingen könne, Beweise für eine Zuwiderhandlung beizubringen, hindere sie nicht daran, die Geldbusse als Anerkennung für die Zusammenarbeit eines Unternehmens während der Untersuchung herabzusetzen.

321 Schließlich habe die Kooperation von Stora und Rena frühzeitig begonnen und sehr zum Abschluß des Verfahrens beigetragen.

Würdigung durch das Gericht

322 Wie aus der von der Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Tabelle hervorgeht, wurde die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse auf 7,5 % des im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatzes festgesetzt. Diese Geldbusse wurde nicht herabgesetzt.

323 Da das von der Kommission gewählte allgemeine Niveau der Geldbussen in Anbetracht der in der Entscheidung genannten Kriterien als gerechtfertigt angesehen worden ist, ist festzustellen, daß die Kommission - wie in der Entscheidung angegeben - die gegen die Unternehmen festgesetzten Geldbussen tatsächlich herabgesetzt hat, wenn sie sich im Verwaltungsverfahren kooperativ verhalten hatten. Dem Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission die Geldbussen der Unternehmen, die von ihren Verteidigungsrechten Gebrauch gemacht hätten, erhöht habe, kann daher nicht gefolgt werden.

324 Folglich hat die Kommission durch die Herabsetzung von Geldbussen wegen Kooperation die Klägerin im vorliegenden Fall nicht zu Antworten gezwungen, mit denen sie das Vorliegen der Zuwiderhandlung hätte einräumen müssen (vgl. Urteil Orkem/Kommission, Randnr. 35).

325 Werden die Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren vor der Kommission in der Weise ausgeuebt, daß die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht beantwortet wird, daß zu den Tatsachenbehauptungen in der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht Stellung genommen wird oder daß in dieser Erwiderung die wesentlichen oder alle in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Tatsachenbehauptungen bestritten werden, so kann dies keine Herabsetzung der Geldbusse wegen einer Kooperation im Verwaltungsverfahren rechtfertigen. Eine Herabsetzung aus diesem Grund ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten es der Kommission ermöglicht hat, eine Zuwiderhandlung leichter festzustellen und gegebenenfalls zu beenden (vgl. Urteil vom 10. März 1992 in der Rechtssache ICI/Kommission, Randnr. 393). Unter diesen Umständen kann bei einem Unternehmen, das ausdrücklich erklärt, daß es die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen nicht bestreite, davon ausgegangen werden, daß es zur Erleichterung der in der Feststellung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft bestehenden Aufgabe der Kommission beigetragen hat.

326 Die Klägerin hat jedoch in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte jede Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in Abrede gestellt. Sie hat sich damit nicht in einer Weise verhalten, die eine Herabsetzung der Geldbusse wegen einer Kooperation im Verwaltungsverfahren rechtfertigte.

327 Schließlich braucht in bezug auf Artikel 6 EMRK nur festgestellt zu werden, daß die Klägerin nichts zur Stützung dieser Argumentation vorgetragen hat.

328 Folglich ist der Klagegrund zurückzuweisen.

4. Zum Klagegrund einer fehlerhaften Würdigung der Kriterien zur Ermittlung der Geldbusse

Vorbringen der Parteien

329 Die Klägerin macht geltend, da die Kommission ihre angebliche Beteiligung am Kartell falsch eingeschätzt habe, habe sie die in Randnummer 169 der Entscheidung genannten Kriterien für die Festsetzung der Geldbusse nicht ordnungsgemäß berücksichtigt.

330 Bezueglich der Rolle, die jedes Unternehmen beim Zustandekommen der Absprachen gespielt habe (Randnr. 169, erster Gedankenstrich, der Entscheidung), ergebe sich aus der Entscheidung (Randnr. 170), daß allein zwischen "Anführern" und "gewöhnlichen Mitgliedern" unterschieden worden sei, ohne daß die Kommission einen anderen Aspekt des individuellen Verhaltens berücksichtigt habe. Sie habe somit eine Gesamtwürdigung der Beteiligung am angeblichen Kartell vorgenommen und es versäumt, auf die Rolle jedes einzelnen Herstellers einzugehen.

331 Beim Kriterium der Stellung jedes Unternehmens in der Branche (Randnr. 169, dritter Gedankenstrich) hätte der Kommission klar sein müssen, daß die Klägerin ein kleines Unternehmen sei. Wie sich einer Pressekonferenz des für die Wettbewerbspolitik zuständigen Kommissionsmitglieds vom 13. Juli 1984 entnehmen lasse, sei die tatsächliche Grösse der Unternehmen nicht berücksichtigt worden.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 694A0311.2

332 Die Kommission trägt vor, wie sich aus Randnummer 169 der Entscheidung ergebe, habe sie die von der Klägerin genannten Kriterien bei der Bestimmung der Höhe der gegen diese verhängten Geldbusse berücksichtigt.

333 Sie habe eine einheitliche Zuwiderhandlung festgestellt und die Geldbussen auf dieser Grundlage verhängt. Da folglich alle Adressaten der Entscheidung die gesamte Zuwiderhandlung begangen hätten, sei die Geldbusse gegen die Klägerin nicht nur wegen der von ihr durchgeführten Preisinitiativen, sondern auch wegen aller anderen in Artikel 1 der Entscheidung genannten Teile der Zuwiderhandlung festgesetzt worden.

334 Schließlich sei die Grösse jedes Herstellers zwangsläufig berücksichtigt worden, weil die Geldbussen anhand des Umsatzes berechnet worden seien.

Würdigung durch das Gericht

335 Die Höhe der verhängten Geldbussen wurde unstreitig auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet. Gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen wurden Geldbussen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbussen mit einem Basissatz von 7,5 % dieses Umsatzes festgesetzt.

336 Die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbusse beträgt 7,5 % des von ihr im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatzes. Die Kommission hat somit durch die Heranziehung dieses Umsatzes der Grösse der Klägerin in der Branche Rechnung getragen.

337 Wie bereits festgestellt, durfte die Klägerin nicht für eine Absprache über die Marktanteile zur Verantwortung gezogen werden.

338 Trotz dieser Feststellung ist das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Ansicht, daß die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages, d. h. ihre Beteiligung an der Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten, so schwerwiegend bleibt, daß die Geldbusse nicht herabzusetzen ist.

339 Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht als "Anführer" des Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der Kommission nicht zu den "treibenden Kräften" des Kartells gehörte (Randnr. 170 Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine Geldbusse in Höhe von 7,5 % ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im Kartonbereich verhängt. Dieses allgemeine Bußgeldniveau ist gerechtfertigt (siehe oben, Randnrn. 301 ff.).

340 Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG vertretenen Herstellern die Absprache über die Marktanteile "sehr wohl bekannt" gewesen sei (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung), geht zudem aus der Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG angehörenden Unternehmen über das "Einfrieren" der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr. 52) und daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen wurde. Im übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der Entscheidung aus, "daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den Randnummern 56 und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen nach in erster Linie die führenden Hersteller betrafen". Die der Klägerin fälschlich zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile hatte somit, wie die Kommission selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur ergänzenden Charakter.

341 Zum Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe es bei der Ermittlung der Höhe der Geldbusse unterlassen, ihre Rolle im Kartell zu berücksichtigen (vgl. Randnr. 169, erster Gedankenstrich, der Entscheidung), ist festzustellen, daß die Kommission in ihren Schriftsätzen eingeräumt hat, der Klägerin keine weniger wichtige Rolle im Kartell zugeschrieben zu haben als dessen übrigen "gewöhnlichen Mitgliedern", d. h. den im PWG nicht vertretenen Unternehmen.

342 Hierzu wird in der Entscheidung ausgeführt, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, über die dort gefassten Beschlüsse in den Sitzungen des JMC informiert worden seien und daß dieses Gremium den hauptsächlichen Rahmen sowohl für die Vorbereitung der vom PWG gefassten Beschlüsse als auch für eingehende Erörterungen zur Umsetzung dieser Beschlüsse dargestellt habe (vgl. insbesondere Randnrn. 44 bis 48 der Entscheidung). Unter diesen Umständen hat die Kommission durch die Wahl der Basissätze von 9 % und 7,5 % des relevanten Umsatzes bei der Berechnung der gegen die "Anführer" des Kartells und gegen dessen "gewöhnliche Mitglieder" verhängten Geldbussen die Schwere der jeweiligen Zuwiderhandlung dieser beiden Gruppen von Unternehmen zutreffend bewertet.

343 Einen Beleg für die Beteiligung der Klägerin an den Sitzungen des JMC gibt es jedoch nur für zwei der 17 Sitzungen dieses Gremiums, die in der Zeit stattfanden, in der die Klägerin nachweislich einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beging, d. h. von April 1989 bis April 1991. Wie aus Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung hervorgeht, nahm die Klägerin deutlich seltener an den Sitzungen dieses Gremiums teil als die übrigen als "gewöhnliche Mitglieder" des Kartells angesehenen Unternehmen.

344 Ausserdem bestreitet die Kommission - wie bereits ausgeführt - nicht, daß die Preise der Klägerin in Kontinentaleuropa im fraglichen Zeitraum jährlich am 1. Januar und/oder am 1. Juli erhöht wurden, d. h. zu anderen als den in der PG Karton vereinbarten Zeitpunkten.

345 Angesichts dessen hätte der Klägerin eine weniger wichtige Rolle im gerügten Kartell als den übrigen als "gewöhnliche Mitglieder" angesehenen Unternehmen zugeschrieben werden müssen.

346 Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß die Kommission die Beteiligung der Klägerin an einem Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für die Zeit von Mitte 1986 bis März 1989 nicht nachgewiesen hat.

347 In Anbetracht dieser Gesichtspunkte wird das Gericht in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Geldbusse herabsetzen.

348 Nach alledem ist Artikel 1 der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären, soweit ein vor April 1989 liegender Zeitpunkt als Beginn der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung angesetzt wurde. Ferner ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären. Schließlich ist Artikel 2 der Entscheidung in bezug auf die Klägerin teilweise für nichtig zu erklären.

349 Die in Artikel 3 der Entscheidung verhängte Geldbusse ist auf 750 000 ECU festzusetzen.

350 Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

351 Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten, der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die Hälfte der Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Die Klägerin hat die andere Hälfte ihrer eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Artikel 1 der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 - Karton) wird in bezug auf die Klägerin für nichtig erklärt, soweit ein vor April 1989 liegender Zeitpunkt als Beginn der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung angesetzt wurde.

2. Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601 wird in bezug auf die Klägerin für nichtig erklärt.

3. Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung 94/601 wird in bezug auf die Klägerin mit Ausnahme folgender Passagen für nichtig erklärt:

"Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen, den genannten Verstoß unverzueglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,

a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.

Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln lässt, ausschließt."

4. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin verhängten Geldbusse wird auf 750 000 ECU festgesetzt.

5. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und die Hälfte der Kosten der Klägerin.

7. Die Klägerin trägt die Hälfte ihrer eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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