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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: T-32/04
Rechtsgebiete: HABM Sache R 1007/2002-4, Verordnung (EG) Nr. 40/94


Vorschriften:

HABM Sache R 1007/2002-4
Verordnung (EG) Nr. 40/94
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

16. November 2006

"Gemeinschaftsmarke - Widerspruchsverfahren - Anmeldung der Gemeinschaftswortmarke Lyco-A - Zulässigkeit der Beschwerde vor der Beschwerdekammer - Verfahrenskosten - Verteilung"

Parteien:

In der Rechtssache T-32/04

Lichtwer Pharma AG mit Sitz in Berlin (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Kunz-Hallstein und R. Kunz-Hallstein,

Klägerin,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch J. Weberndörfer als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Verfahrensbeteiligte vor der Beschwerdekammer des HABM:

Laboratoire L. Lafon SA mit Sitz in Maisons-Alfort (Frankreich),

wegen Aufhebung der Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom 13. November 2003 (Sache R 1007/2002-4), soweit darin über die Kosten des Widerspruchs- und des Beschwerdeverfahrens entschieden wird,

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras sowie der Richter F. Dehousse und D. Sváby,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 29. Januar 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 8. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2006

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1 Am 23. Juni 1999 meldete die Klägerin beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) eine Gemeinschaftsmarke nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) in ihrer geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 40/94) an. Die Marke, deren Eintragung beantragt wurde, ist das Wortzeichen Lyco-A für Waren der Klassen 5, 29 und 30 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in seiner revidierten und geänderten Fassung.

2 Die Queisser Pharma GmbH & Co. erhob gegen die Eintragung der angemeldeten Marke einen Widerspruch nach Artikel 42 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94, der sich auf die ältere Marke LYCO PROTECT stützte. Mit Entscheidung Nr. 3111/2002 vom 30. Oktober 2002 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch von Queisser Pharma wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurück. Gegen diese Entscheidung wurde keine Beschwerde eingelegt.

3 Die Laboratoire L. Lafon SA erhob gegen die Eintragung der angemeldeten Marke einen Widerspruch nach Artikel 42 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94, der sich auf die ältere Marke LYOC stützte. Mit Entscheidung Nr. 3108/2002 vom 30. Oktober 2002 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch von Laboratoire L. Lafon wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurück.

4 Die Medicom Pharma AG erhob gegen die Eintragung der angemeldeten Marke einen Widerspruch nach Artikel 42 Absatz 1 der Verordnung Nr. 40/94, der sich auf die ältere Marke LYCO Q10 stützte. Mit Entscheidung Nr. 3110/2002 vom 31. Oktober 2002 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch von Medicom Pharma statt und verweigerte die Eintragung der angemeldeten Marke. Gegen diese Entscheidung wurde keine Beschwerde eingelegt.

5 Am 16. Dezember 2002 reichte Laboratoire L. Lafon beim HABM einen Schriftsatz ein, in dem es heißt:

"Gemäß den Artikeln 57, 58 und 59 [der Verordnung Nr. 40/94] teilen wir Ihnen hierdurch mit, dass das Laboratoire L. Lafon beabsichtigt, gegen [die Entscheidung Nr. 3108/2002] Beschwerde einzulegen. Wir bitten Sie daher, unser Konto ... umgehend mit dem Betrag von 800 Euro zu belasten. Die Beschwerde wird bis zum 28. Februar [2003] begründet werden."

6 Am 3. Februar 2003 begründete Laboratoire L. Lafon die Beschwerde.

7 Am 21. März 2003 teilte das HABM der Klägerin und Laboratoire L. Lafon mit, dass die dem Widerspruch von Medicom Pharma stattgebende Entscheidung Nr. 3110/2002 vom 31. Oktober 2002 rechtskräftig geworden sei.

8 Mit Schriftsatz vom 10. April 2003 erwiderte die Klägerin, dass die Beschwerde ihre Grundlage verloren habe; Laboratoire L. Lafon erwiderte mit Schriftsatz vom 11. April 2003, dass das Verfahren beendet sei.

9 Mit Entscheidung vom 13. November 2003 (Sache R 1007/2002-4) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Vierte Beschwerdekammer fest, dass das Beschwerdeverfahren aufgrund der rechtskräftigen Zurückweisung der von der Klägerin angemeldeten Marke gegenstandslos geworden sei. Mit dieser Entscheidung erlegte sie außerdem der Klägerin die Kosten des Widerspruchs- und des Beschwerdeverfahrens auf. In Randnummer 9 der angefochtenen Entscheidung begründete die Beschwerdekammer den Kostenausspruch folgendermaßen:

"Da die Anmeldung Lyco-A als Gemeinschaftsmarke ex tunc zurückgewiesen wurde, wenn auch in einem anderen Verfahren, wäre die Beschwerdegegnerin auch im vorliegenden Verfahren unterlegen. Daher hat sie die Gebühren und Kosten des Widerspruchs- und des Beschwerdeverfahrens zu tragen."

Anträge der Parteien

10 Die Klägerin beantragt,

- Nummer 2 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung aufzuheben;

- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

11 Das HABM beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

12 Die Klägerin macht im Wesentlichen drei Klagegründe geltend: Im Rahmen ihres ersten Klagegrundes rügt sie die Verletzung der Regel 48 Absatz 1 Buchstabe c und der Regel 49 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 40/94 (ABl. L 303, S. 1) in ihrer geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2868/95) sowie des Gleichbehandlungsgrundsatzes, da die Beschwerdekammer die Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung als unzulässig hätte zurückweisen müssen. Der zweite Klagegrund wird auf einen Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 4 der Verordnung Nr. 40/94 und gegen den Grundsatz der "equity" gestützt, da die Beschwerdekammer ihr Ermessen bei der Kostenverteilung fehlerhaft ausgeübt habe. Mit dem dritten Klagegrund schließlich vertritt die Klägerin die Auffassung, dass das HABM den Beteiligten entsprechend den Regeln 21 und 51 der Verordnung Nr. 2868/95 die hälftigen Widerspruchsgebühren und die gesamten Beschwerdegebühren hätte zurückerstatten müssen. Das Gericht wird den zweiten Klagegrund zuerst prüfen.

Vorbringen der Parteien

13 Die Klägerin macht geltend, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung, wonach die Klägerin im streitigen Verfahren unterlegen wäre und daher die Kosten des Verfahrens tragen müsse, fehlerhaft sei.

14 Erstens habe die Beschwerdekammer Artikel 81 Absatz 4 der Verordnung Nr. 40/94 falsch angewandt. In dieser Hinsicht ergebe eine Auslegung dieser Vorschrift im Licht des deutschen Rechts, das für die einschlägigen Regelungen der Verordnung als Vorbild gedient habe, dass die Beschwerdekammer den voraussichtlichen Ausgang des anhängigen Widerspruchsverfahrens zwischen der Klägerin und Laboratoire L. Lafon hätte prüfen müssen. Zudem könne es nicht zu einer Zurückweisung der Marke ex tunc, sondern nur ex nunc führen, wenn dem Widerspruch stattgegeben werde. Andernfalls müsste das HABM im Fall eines erfolgreichen Widerspruchs sämtliche Widerspruchsgebühren der anderen offenen Verfahren vollständig zurückerstatten, da die Anmeldung als von Anfang an nicht existent gegolten hätte. Dies lasse sich aus der Regel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2868/95 ableiten. Schließlich zeige die Regel 21 der Verordnung Nr. 2868/95, dass es nicht die Intention des Verordnungsgebers gewesen sei, dem Unterliegenden die Kosten sämtlicher anhängiger Widerspruchsverfahren aufzuerlegen.

15 Zweitens trage die von der Beschwerdekammer gegebene Begründung nicht die Abweichung vom Grundsatz der "equity". Der Grundsatz der "equity" erfordere eine hälftige Kostenteilung, wenn, wie im vorliegenden Fall, einer von mehreren Widersprüchen gegen dieselbe Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke zur Zurückweisung dieser Anmeldung führe. Aus den Richtlinien für die Verfahren vor dem HABM ergebe sich, dass die vollständige Kostenüberbürdung nur im Fall der Verfahrensbeendigung durch eine Partei die Regel sei. Auf Seite 130 des Entwurfs für die Richtlinien im Widerspruchsverfahren heiße es:

"Aufgrund der Tatsache, dass keine materiell-rechtliche Entscheidung getroffen wurde, liegt die Kostenentscheidung im Ermessen der Widerspruchsabteilung (Artikel 81 Absatz 4 [der Verordnung Nr. 40/94]). Das [HABM] ist nicht in der Lage, zu entscheiden, wer 'die obsiegende oder unterliegende Partei' wäre, und daher wird, unter Anwendung des Prinzips der 'equity', jede Partei ihre eigenen Kosten tragen."

16 Das HABM beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

Würdigung durch das Gericht

17 Artikel 81 Absatz 4 der Verordnung Nr. 40/94 sieht vor: "Im Falle der Einstellung des Verfahrens entscheidet ... die Beschwerdekammer über die Kosten nach freiem Ermessen."

18 Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift geht hervor, dass die Beschwerdekammer im Fall der Einstellung des Verfahrens über ein weites Ermessen bei der Verteilung der Verfahrenskosten verfügt (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichts vom 12. Juli 2005 in der Rechtssache T-163/04, Schäfer/HABM - KoKa [Mike's MEALS ON WHEELS], nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55). Unter solchen Umständen kann der Gemeinschaftsrichter sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Beschwerdekammer setzen. Gleichwohl obliegt es ihm, anhand der Erwägungen, die die Beschwerdekammer zu ihrer Ermessensausübung bewogen haben können, zu prüfen, ob die Kammer nicht die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses offensichtlich fehlerhaft ausgeübt hat.

19 In der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer zunächst fest, dass das Beschwerdeverfahren aufgrund der rechtskräftigen Zurückweisung der von der Klägerin angemeldeten Marke gegenstandslos geworden sei, und erlegte dieser anschließend auf der Grundlage von Artikel 81 Absatz 4 der Verordnung Nr. 40/94 die Gebühren und Kosten des Widerspruchs- und des Beschwerdeverfahrens auf.

20 Dies begründete die Beschwerdekammer damit, dass die Klägerin, "[d]a die Anmeldung der Gemeinschaftsmarke ... ex tunc zurückgewiesen wurde, wenn auch in einem anderen Verfahren, ... auch im vorliegenden Verfahren unterlegen [wäre]".

21 Zunächst steht fest, dass dem Widerspruchsverfahren, das zur Zurückweisung der von der Klägerin eingereichten Markenanmeldung führte, und dem Verfahren zwischen der Klägerin und Laboratoire L. Lafon, mit dem die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall befasst war, unterschiedliche Tatsachen zugrunde liegen. Folglich setzt die Beurteilung der Verwechslungsgefahr in beiden Verfahren die Berücksichtigung der Gesamtheit der Tatsachen und rechtlichen Umstände voraus, auf die sich die Parteien im jeweiligen Fall berufen.

22 Unter diesen Bedingungen lässt sich aus dem Umstand, dass einem Widerspruch stattgegeben wird, auch wenn dadurch parallele Verfahren gegenstandslos werden, keinesfalls schließen, welche der Parteien dieser parallelen Verfahren unterlegen wäre. Denn die Bestimmung der in einem bestimmten Verfahren unterliegenden Partei kann nur auf dem Gegenstand sowie auf dem tatsächlichen und rechtlichen Rahmen dieses Verfahrens, so wie sie durch die Anträge der Parteien festgelegt werden, beruhen.

23 Zudem kann sich aus der Entscheidung, mit der einem der Widersprüche gegen die Anmeldung einer Marke stattgegeben wird - entgegen der angefochtenen Entscheidung -, nicht automatisch ergeben, dass dem Anmelder der zurückgewiesenen Marke die Kosten in jedem etwaigen parallelen Verfahren auferlegt werden; einer Entscheidung über die Auswirkungen der Zurückweisung einer Markenanmeldung bedarf es insoweit nicht.

24 Angesichts dieser Erwägungen macht die Beklagte zu Recht geltend, dass die Begründung der Beschwerdekammer insoweit mit einem offensichtlichen Fehler behaftet ist, als diese ausführte, dass die Klägerin wegen der Zurückweisung der Markenanmeldung in einem anderen Widerspruchsverfahren auch in dem Verfahren zwischen ihr und Laboratoire L. Lafon unterlegen wäre und deshalb die Gebühren und Kosten des Widerspruchs- und des Beschwerdeverfahrens tragen müsse. Damit hat die Beschwerdekammer die Grenzen ihres Ermessens nach Artikel 81 Absatz 4 der Verordnung Nr. 40/94 überschritten.

25 Folglich ist Nummer 2 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung aufzuheben, ohne dass es einer Prüfung der anderen von der Klägerin angeführten Klagegründe bedarf.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM unterlegen ist, sind ihm entsprechend dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Nummer 2 des verfügenden Teils der Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 13. November 2003 (Sache R 1007/2002-4) wird aufgehoben.

2. Das HABM trägt die Kosten.

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. November 2006.



Ende der Entscheidung

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