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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 16.03.1993
Aktenzeichen: T-33/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat, Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 72 Abs. 1
EWG/EAG BeamtStat Art. 72 Abs. 3
Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge Art. 8 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Als beschwerende Maßnahmen im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 des Statuts können nur solche Entscheidungen der Anstellungsbehörde betrachtet werden, die eine bestimmte Rechtslage unmittelbar beeinträchtigen können. Die blosse Bekundung einer Absicht, künftig eine bestimmte Entscheidung zu treffen, kann in der Person des Betroffenen keine Rechte und entsprechende Pflichten schaffen.

Auskünfte der Abrechnungsstelle zu einem Antrag auf Erstattung von Krankheitskosten, aus denen hervorgeht, daß eine Entscheidung erst später getroffen wird, stellen keine beschwerende Maßnahme im Sinne der genannten Vorschrift dar.

2. Eine vorherige Verwaltungsbeschwerde oder die gegen die Zurückweisung dieser Beschwerde gerichtete Klage kann trotz Nichtbeachtung der Fristen des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts zulässig sein, wenn der Betroffene in entschuldbarer Weise über den Fristbeginn geirrt hat.

Der Begriff des entschuldbaren Irrtums ist, soweit es um die Klagefristen geht, die als zwingendes Recht nicht zur Disposition des Gerichts oder der Parteien stehen, eng auszulegen und kann sich nur auf Ausnahmefälle beziehen, insbesondere auf solche, in denen das betroffene Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich genommen oder aber in ausschlaggebendem Maß geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der die Sorgfalt aufwendet, die von einem Wirtschaftsteilnehmer mit normalem Kenntnisstand zu verlangen ist, eine verständliche Verwirrung hervorzurufen. In einem solchen Fall kann sich nämlich die Verwaltung nicht auf ihren eigenen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes berufen, der für den Irrtum ursächlich war.

Ein entschuldbarer Irrtum, der geeignet ist, die Klagefrist zu wahren, liegt vor, wenn eine Beschwerde innerhalb der Frist des Statuts bei einer unzuständigen Dienststelle aufgrund falscher Auskünfte dieser Dienststelle eingereicht wird und diese die Beschwerde einfach an den Betroffenen zurücksendet, anstatt sie an die tatsächlich zuständige Dienststelle weiterzuleiten, bei der die Beschwerde infolgedessen verspätet eingeht.

3. Die Kosten für psychopädagogischen Sonderunterricht, der im Rahmen eines besonderen Unterrichtsprogramms einer schulischen Einrichtung erteilt wird, das nicht von Personen, die von Rechts wegen befugt sind, einen medizinischen oder paramedizinischen Beruf auszuüben, oder von einer ordnungsgemäß zugelassenen medizinischen oder paramedizinischen Einrichtung erarbeitet oder durchgeführt worden ist, können nicht Kosten für ärztliche Behandlung gleichgestellt werden, die nach Artikel 72 Absatz 1 des Statuts erstattungsfähig sind.

4. Artikel 20 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge soll eine pragmatische und wirksame Abwicklung der Erstattungsanträge im Rahmen der allgemeinen Regelung möglich machen. Die Aufteilung der Anträge auf die verschiedenen Abrechnungsstellen hat lediglich eine rein geographische Bedeutung und umfasst keineswegs eine Aufteilung der Befugnisse oder Aufgaben unter diesen Stellen. Daher kann der Umstand, daß ein bei einer Abrechnungsstelle eingereichter Erstattungsantrag an eine andere Stelle weitergeleitet wurde, um eine Unterbrechung bei der Behandlung des Antrags zu vermeiden, die Rechtmässigkeit der auf den Erstattungsantrag getroffenen Entscheidung nicht beeinträchtigen.

5. Die Klageschrift muß eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. In ihr muß deswegen im einzelnen dargelegt werden, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so daß seine bloß abstrakte Anführung nicht den Erfordernissen der Satzung des Gerichtshofes und der Verfahrensordnung entspricht.

Ein Klagegrund, der in der Klageschrift nicht kurz dargestellt wurde, kann in Anbetracht des Verbotes, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens vorzubringen, nicht mehr in der Erwiderung im einzelnen dargelegt werden.

6. Die Anstellungsbehörde hat bei jedem Antrag auf Erstattung von Kosten für ärztliche Behandlung aufgrund der ihr von dem Antragsteller vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Erstattung nach Artikel 72 Absatz 1 des Statuts erfuellt sind, ohne daß sie hierbei durch eine frühere Entscheidung gebunden wäre, die aufgrund anderer oder weniger vollständiger Gesichtspunkte getroffen worden ist.

Daher kann der Umstand, daß sich die Verwaltung damit einverstanden erklärt hat, bestimmte Aufwendungen eines Beamten nach Maßgabe der gemeinsamen Krankheitsfürsorge zu übernehmen, für den Betroffenen keinen Anspruch auf künftige Erstattung gleichartiger Kosten begründen, sofern keine bestimmten Zusicherungen seitens der Verwaltung vorliegen.

7. Vertrauensschutz kann jeder Bürger geltend machen, bei dem die Verwaltung begründete Erwartungen geweckt hat. Demgegenüber kann ein Beamter keinen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend machen, wenn die Verwaltung ihm keine bestimmten Zusicherungen gemacht hat.

8. Die Fürsorgepflicht der Verwaltung gegenüber ihren Bediensteten spiegelt das Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten wider, die das Statut in den Beziehungen zwischen der Behörde und den öffentlichen Bediensteten geschaffen hat. Diese Pflicht gebietet es insbesondere, daß die Behörde bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten sämtliche Umstände berücksichtigt, die geeignet sind, ihre Entscheidung zu beeinflussen, und daß sie dabei nicht nur dem dienstlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des betroffenen Beamten Rechnung trägt. Der Schutz der Rechte und Interessen der Beamten muß jedoch seine Grenze immer in der Beachtung des geltenden Rechts finden.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 16. MAERZ 1993. - DAVID BLACKMAN GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - BEAMTE - KRANKHEITSKOSTEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN T-33/89 UND T-74/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Der Kläger David XX ist Bediensteter auf Zeit des Europäischen Parlaments (nachstehend: Parlament) in der Besoldungsgruppe A 3 und der Sozialistischen Fraktion in Brüssel zugewiesen. Er gehört damit dem Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem der Organe der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Gemeinsames System) an. Seine Tochter ist als Versicherte diesem Krankheitsfürsorgesystem ebenfalls angeschlossen.

2 Seit mehreren Jahren erhält die Tochter des Klägers Sonderunterricht, den sie wegen schulischer Schwierigkeiten benötigt, die auf die Folgen einer Hirnhautentzuendung nach der Geburt zurückzuführen sind. Ursprünglich besuchte sie die Europäische Schule und die American International School in Luxemburg. Vom Januar 1981 bis Juli 1983 wurde sie in der British School in Brüssel und dann bis Ende 1985 in der Sibford School in England unterrichtet, wo sie neben dem normalen Schulunterricht auch Sonderunterricht (Förderunterricht, "remedial teaching") erhielt. Ende 1985 kehrte sie nach Brüssel zurück, wo sie erneut die British School besuchte und ebenfalls Sonderunterricht erhielt.

3 Von 1981 bis 1985 übernahm die Abrechnungsstelle in Luxemburg in vollem Umfang die Kosten des Sonderunterrichts für die Tochter des Klägers.

4 Mit Schreiben vom 17. Februar 1986 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten eines Sondertherapieprogramms, das die British School für seine Tochter wegen ihrer besonderen schulischen Schwierigkeiten eingerichtet hatte, durch die Krankheitsfürsorge. Dieses Programm, das von Januar bis Juli 1986 laufen sollte, umfasste nach dem genannten Schreiben insbesondere "acht wöchentliche Einzelsitzungen mit psychopädagogischer Behandlung".

5 Mit Schreiben vom 23. Mai 1986 teilte der stellvertretende Abteilungsleiter der Abrechnungsstelle in Brüssel, dem das Schreiben des Klägers wegen des Fehlens eines Leiters der Abrechnungsstelle in Luxemburg zur Entscheidung zugeleitet worden war, dem Kläger folgendes mit:

"Wegen des Sondertherapieprogramms, insbesondere der wöchentlichen Sondersitzung mit psychopädagogischer Behandlung, habe ich mich mit unserem Vertrauensarzt in Verbindung gesetzt, der seinerseits mit der British School Fühlung aufgenommen hat. Nach seiner Meinung, die mir vernünftig erscheint, sollte die Krankheitsfürsorge, da das Sonderprogramm aus einem Teil mit Nachhilfestunden und einem Teil mit spezialisierter Behandlung besteht, 50 % der Kosten übernehmen."

6 Mit Entscheidung vom 16. September 1986 sagte die Anstellungsbehörde gemäß Artikel 72 Absatz 1 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Statut) dem Kläger für den Zeitraum vom 1. September 1986 bis zum 31. August 1987 die vollständige Erstattung aller Krankheitskosten in Zusammenhang mit der schweren Erkrankung seiner Tochter zu. Eine entsprechende Entscheidung war zuvor bereits für die Zeiträume vom 1. September 1983 bis 31. August 1985 und vom 1. September 1985 bis 31. August 1986 getroffen worden.

7 Mit Schreiben vom 17. November 1986 teilte der neue Leiter der Abrechnungsstelle in Luxemburg dem Kläger in Beantwortung von dessen Schreiben vom 24. September 1986 an seinen Vorgänger mit, daß sein Antrag auf vollständige Erstattung der Kosten für das Sondertherapieprogramm ("Unterrichtstherapie") seiner Tochter während des Schuljahres 1986/1987 dem Vertrauensarzt des Organs übermittelt worden sei. Er wies zugleich, ohne dem Ergebnis dieser Anhörung vorgreifen zu wollen, darauf hin, daß "die Kosten für besondere Schulungsmaßnahmen, Förderunterricht, Einzelunterrichtstherapie oder bei zwingenden pädagogischen Gründen im allgemeinen auch nach Artikel 67 Absatz 3 und Artikel 3 des Anhangs VII des Statuts sowie durch die Ad-hoc-Haushaltslinie für Schulungskosten abgedeckt" seien.

8 Mit Schreiben vom 9. März 1987, das der Kläger am 16. März 1987 erhielt, teilte der Leiter der Abrechnungsstelle in Luxemburg dem Kläger mit, der Ärztebeirat habe in seiner Sitzung vom 27. Februar 1987 bestätigt, daß die Kosten für die "Unterrichtstherapie" seiner Tochter während des Schuljahres 1986/1987 wie im voraufgegangenen Jahr zur Hälfte erstattet würden.

9 Am 5. Juni 1987 legte der Kläger bei der Abrechnungsstelle Beschwerde gegen die angeführte Entscheidung des Ärztebeirats vom 27. Februar 1987 ein. Da diese Beschwerde ihm am 16. Juni 1987 von der Abrechnungsstelle wegen fehlender Zuständigkeit zurückgesandt wurde, legte der Kläger mit Schreiben vom 29. Juni 1987, das am 8. Juli 1987 registriert wurde, Beschwerde bei der Anstellungsbehörde ein.

10 Diese Beschwerde wurde durch Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 4. Februar 1988 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Klage in der Rechtssache T-33/89.

11 In der Zwischenzeit hatte der Kläger am 18. Oktober 1987 einen Antrag auf vorherige Genehmigung bezueglich des Programms der Unterrichtstherapie, dem seine Tochter im Schuljahr 1987/1988 folgen sollte, eingereicht. Nach Anhörung des Ärztebeirats teilte die Abrechnungsstelle dem Kläger mit Schreiben vom 28. März 1988 mit, daß sie die Erteilung dieser Genehmigung ablehne. Die Begründung lautete wie folgt:

"Da die Prüfung des Vorgangs jetzt klar ergeben hat, daß sich der Antrag auf vorherige Genehmigung auf Nachhilfeunterricht in Mathematik bezieht und Unterricht dieser Art nicht zu einer ärztlichen Behandlung führt, kann ein Anspruch auf Erstattung bei solchen Leistungen nicht anerkannt werden. Leistungen dieser Art in schulischen Einrichtungen durch Personen, die nicht medizinischen oder paramedizinischen Berufen angehören, sind durch die von den Verwaltungschefs am 10. September 1987 beschlossene Auslegungsvorschrift ausgeschlossen, in der es heisst: 'Die in den Anhängen der vorliegenden Verordnung angeführten Leistungen müssen von einer oder mehreren Personen, die berechtigt sind, als Mediziner oder Paramediziner zu praktizieren, oder durch Krankenanstalten oder ähnliche Einrichtungen, die von den zuständigen Behörden zugelassen sind, durchgeführt werden.' "

12 Am 30. Mai 1988 legte der Kläger Beschwerde gegen die Entscheidung der Abrechnungsstelle vom 28. März 1988 ein. Gemäß Artikel 16 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge für die Beamten der Europäischen Gemeinschaften (nachstehend: Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge) wurde die Beschwerde dem Verwaltungsausschuß des Gemeinsamen Systems übermittelt, der mit Stellungnahme Nr. 16/88 vom 28. September 1988 die Entscheidung der Abrechnungsstelle bestätigte. Am 6. September 1988 gab auch das Zentralbüro eine negative Stellungnahme ab. Mit Entscheidung vom 31. Januar 1989 wies die Anstellungsbehörde die Beschwerde zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Klage in der Rechtssache T-74/89.

Verfahren

13 Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 26. April 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen und unter dem Aktenzeichen 127/88 eingetragen worden ist, eine erste Klage erhoben. Das schriftliche Verfahren ist insgesamt vor dem Gerichtshof abgelaufen. Auf Bericht des Berichterstatters hat der Gerichtshof die Parteien ersucht, bestimmte Fragen schriftlich zu beantworten. Lediglich das Parlament hat diesem Ersuchen fristgemäß entsprochen.

14 Mit Klageschrift, die am 14. März 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen und unter dem Aktenzeichen 84/89 eingetragen worden ist, hat der Kläger eine zweite Klage erhoben.

15 Mit Schreiben vom 15. März 1989 hat der Kläger die Aussetzung des Verfahrens in der Rechtssache 127/88 sowie die Verbindung dieser Rechtssache mit der neuen Rechtssache beantragt. Am 7. April 1989 hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichtshofes das Verfahren in der Rechtssache 127/88 bis zur Beendigung des schriftlichen Verfahrens in der Rechtssache 84/89 ausgesetzt. Das schriftliche Verfahren in dieser Rechtssache ist insgesamt vor dem Gerichtshof abgelaufen.

16 Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof (Erste Kammer) gemäß Artikel 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften die Rechtssachen an das Gericht verwiesen, bei dem sie als Rechtssachen T-33/89 und T-74/89 eingetragen worden sind.

17 Auf Antrag des Klägers und nach Aufforderung des Beklagten zur Stellungnahme hat das Gericht am 22. Februar 1990 die beiden Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

18 Mit Beschluß vom 12. Juli 1990 hat das Gericht das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet. Dem sind die Parteien in der Sitzung vom 8. November 1990 gefolgt. Im Lichte der Unterlagen des schriftlichen Verfahrens und der beim persönlichen Erscheinen der Parteien in der Sitzung erlangten Informationen hat das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens für notwendig erachtet und durch Beschluß vom 1. Juli 1991 ein Sachverständigengremium bestellt. Da die bestellten Sachverständigen untereinander keine Fühlung aufnehmen und den Auftrag des Gerichts nicht erfuellen konnten, hat das Gericht mit Beschluß vom 9. Januar 1992 die Vernehmung von Dr. Marc Böl und von Jack Gillman als Zeugen angeordnet. Die Zeugen sind in der Sitzung vom 25. März 1992 vernommen worden.

19 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

20 In der Sitzung vom 20. Mai 1992 haben die Vertreter der Parteien mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

21 In der Rechtssache T-33/89 beantragt der Kläger,

° die Klage als fristgerecht erhoben und daher förmlich zulässig anzusehen;

° die Entscheidung des Präsidenten der Sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments vom 4. Februar 1988, mit der dem Kläger die vollständig Erstattung der Kosten des besonderen paramedizinischen Unterrichts seiner Tochter während des Zeitraums von Mai 1986 bis zum August 1987 nach der Allgemeinen Regelung versagt wurde, für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben;

° den Anspruch des Klägers auf Erstattung sämtlicher medizinischer und paramedizinischer Kosten in Zusammenhang mit der schweren Erkrankung seiner Tochter für ihren Sonderunterricht paramedizinischer Art festzustellen;

° festzustellen, daß der Beklagte dem Kläger den nicht übernommenen Anteil von 50 % für den betreffenden Zeitraum zu erstatten hat;

° den Beklagten zu verurteilen, die geschuldeten Rückstände auf der Grundlage der neuen Berechnung zu zahlen;

° dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

22 Das Parlament beantragt in dieser Rechtssache,

° die Klage als unzulässig abzuweisen;

° hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

° dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

23 In der Rechtssache T-74/89 beantragt der Kläger,

° die Klage als zulässig anzusehen;

° die Zurückweisung der Beschwerde des Klägers vom 30. Mai 1988 durch die ausdrückliche Entscheidung des Parlaments als Anstellungsbehörde vom 31. Januar 1989, mit der die am 18. Oktober 1987 vom Kläger beantragte vorherige Genehmigung für "Unterrichtstherapie und Förderunterricht" seiner Tochter abgelehnt wurde, für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben;

° den Anspruch des Klägers auf Erstattung sämtlicher medizinischer und paramedizinischer Kosten in Zusammenhang mit der schweren Erkrankung seiner Tochter gemäß Artikel 72 Absatz 1 des Statuts für den Zeitraum 1987/1988 festzustellen;

° festzustellen, daß der Beklagte dem Kläger sämtliche ihm im Rahmen des Programms "Unterrichtstherapie und Förderunterricht" seiner Tochter im Zeitraum 1987/1988 entstandenen Kosten zuzueglich Verzugszinsen vom Tag der jeweiligen Fälligkeit bis zur effektiven Zahlung zu erstatten hat;

° diese Rechtssache mit der Rechtssache T-33/89 zu verbinden;

° dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

24 Das Parlament beantragt in der Rechtssache T-74/89,

° festzustellen, daß die angefochtene Entscheidung im Rahmen des Artikels 9, hilfsweise des Artikels 15 des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge, der dritte und vierte Klageantrag hingegen im Rahmen des Artikels IV dieses Anhangs angesiedelt ist, und demnach die Klage als gegenstandslos abzuweisen;

° hilfsweise festzustellen, daß die besagten Klageanträge nicht Gegenstand einer vorgerichtlichen Beschwerde waren, und sie demnach gemäß Artikel 91 Absatz 2 des Statuts als unzulässig abzuweisen;

° höchst hilfsweise festzustellen, daß sich das Gericht nicht an die Stelle der Verwaltung setzen und ihr Anordnungen erteilen darf, und demnach diesen Teil der Klage als unzulässig abzuweisen;

° im übrigen festzustellen, daß die Klage zulässig, aber unbegründet ist;

° dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T-33/89

Vorbringen der Parteien

25 Das Parlament hält diese Klage für unzulässig. Es verweist in erster Linie darauf, daß es gemäß Artikel 20 Absatz 3 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge der Abrechnungsstelle obliege, die Erstattungsanträge entgegenzunehmen und abzuwickeln, so daß die Note der Abrechnungsstelle in Brüssel vom 23. Mai 1986, mit der dem Kläger mitgeteilt worden sei, daß die Krankheitsfürsorge nur 50 % der Kosten in Zusammenhang mit dem Sonderunterricht seiner Tochter in der British School übernehme, die erste beschwerende Maßnahme gewesen sei. Eine Beschwerde habe daher binnen drei Monaten nach deren Übermittlung bei der Anstellungsbehörde eingelegt werden müssen, was aber nicht geschehen sei. In zweiter Linie stellt das Parlament zunächst in Abrede, daß die später vom Kläger eingelegte Beschwerde wirksam gegen das Schreiben des Leiters der Abrechnungsstelle in Luxemburg vom 9. März 1987 habe gerichtet werden können, in dem dieselbe Behörde zum einen die für das Vorjahr getroffene Entscheidung bestätigt und zum anderen die Befragung des Vertrauensarztes zu der für das laufende Jahr zu treffenden Entscheidung angekündigt habe. Selbst wenn aber die Beschwerde wirksam gegen dieses Schreiben hätte gerichtet werden können, das der Kläger am 16. März 1987 erhalten haben wolle, sei sie auf jeden Fall verspätet, da sie erst am 8. Juli 1987, d. h. nach Ablauf der Dreimonatsfrist des Statuts, registriert worden sei. Die vom Kläger zunächst am 5. Juni 1987 eingelegte und ihm dann am 16. Juni 1987 zurückgesandte Beschwerde sei nicht ordnungsgemäß gewesen, weil sie an den Sozialen Dienst und nicht an die Anstellungsbehörde gerichtet gewesen sei.

26 Der Kläger macht zunächst geltend, das Schreiben vom 23. Mai 1986 stelle keine Maßnahme im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts dar. Es handele sich um einen Schriftverkehr zwischen einer Verwaltungsstelle eines Organs und einem seiner Beamten über die Festsetzung seiner individuellen Rechte. Das Schreiben vom 23. Mai 1986 müsse daher als eine Verwaltungsauskunft im Sinne des Urteils des Gerichtshofes vom 1. Februar 1979 in der Rechtssache 17/78 (Deshormes/Kommission, Slg. 1979, 189, Randnr. 23) betrachtet werden. Wenn ferner seine Beschwerde zunächst irrtümlich an den Sozialen Dienst gerichtet worden sei, so nur aufgrund der Angaben des zuständigen Beamten dieser Dienststelle. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dargelegt, er habe seine Beschwerde am 5. Juni 1987 nach einem Telefongespräch mit dem Leiter des Sozialen Dienstes eingelegt, wobei dieser ihm auf seine Frage, wie vorzugehen sei, geantwortet habe, er solle die Beschwerde an seine Dienststelle richten, die das Weitere veranlassen werde.

Würdigung durch das Gericht

27 Nach Artikel 90 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 91 des Statuts, auf die in Artikel 16 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge verwiesen wird und die gemäß Artikel 46 der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften entsprechend gelten, hängt die Zulässigkeit einer Klage nach Artikel 179 EWG-Vertrag davon ab, daß die angefochtene Entscheidung den Kläger beschwert. Als beschwerend können nur solche Entscheidungen betrachtet werden, die eine bestimmte Rechtslage unmittelbar beeinträchtigen können. Die blosse Bekundung einer Absicht, künftig eine bestimmte Entscheidung zu treffen, kann in der Person des oder der betreffenden Beamten weder Rechte noch entsprechende Pflichten schaffen. Im übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß eine Maßnahme nur dann als beschwerend im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts betrachtet werden kann, wenn sie ausdrücklich von der Anstellungsbehörde getroffen worden ist (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofes vom 20. November 1980 in der Rechtssache 806/79, Gerin/Kommission, Slg. 1980, 3515, und in der Rechtssache Deshormes/Kommission, a. a. O.).

28 Im vorliegenden Fall wurde das Schreiben vom 23. Mai 1986, auf das sich das Parlament für seine Rüge der Unzulässigkeit bezieht, von der Abrechnungsstelle in Brüssel an den Kläger in Beantwortung von dessen Schreiben vom 17. Februar 1986 gerichtet, das die Erstattung von Kosten betraf, die für den ° von der vorliegenden Klage nicht betroffenen ° Zeitraum Januar bis Juli 1986 anfallen sollten.

29 Das Schreiben vom 23. Mai 1986 bezieht sich ferner auf die Stellungnahme des Vertrauensarztes, der die Auffassung vertrat, daß "die Krankheitsfürsorge, da das Sonderprogramm aus einem Teil mit Nachhilfestunden und einem Teil mit spezialisierter Behandlung besteht, die Hälfte der Kosten übernehmen [sollte]". Der Verfasser des Schreibens erklärt, daß ihm diese Meinung "vernünftig" erscheine. Damit ergibt sich aus keinem Wort dieses Schreibens, daß eine Entscheidung über die Höhe der Erstattung für die Kosten des Schuljahres 1986/1987 bereits getroffen worden wäre. Ihre Fassung gibt vielmehr zu verstehen, daß eine Entscheidung erst getroffen werde, bei der die Stellungnahme des Vertrauensarztes berücksichtigt werde.

30 Die gleiche Betrachtungsweise muß für den Schriftwechsel gelten, der später über die betreffenden Kosten geführt worden ist. Der neue Leiter der Abrechnungsstelle in Luxemburg hat nämlich zunächst mit einem Schreiben vom 17. November 1986 dem Kläger mitgeteilt, daß er eine Stellungnahme des Vertrauensarztes angefordert habe, um ihm dann mit Schreiben vom 9. März 1987 die als Antwort auf sein Ersuchen getroffene Entscheidung des Ärztebeirats mitzuteilen.

31 Aus alledem ergibt sich, daß das Vorbringen des Parlaments, im vorliegenden Fall sei das Schreiben der Abrechnungsstelle vom 23. Mai 1986 die erste beschwerende Maßnahme gewesen, das daher binnen drei Monaten nach seiner Übermittlung mit der Beschwerde hätte angefochten werden müssen, nicht begründet ist.

32 Als erste Handlung, die als Maßnahme im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts gewertet werden kann, ist demgemäß bezueglich der Erstattung der Kosten für das Schuljahr 1986/1987 ° auf diesen Zeitraum bezieht sich die vorliegende Klage ° das Schreiben des Leiters der Abrechnungsstelle in Luxemburg vom 9. März 1987 anzusehen. Der Kläger hat ohne Widerspruch seitens des Beklagten erklärt, er habe sie am 16. März 1987 erhalten. Gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts beginnt die Frist für die Einlegung einer Beschwerde bei der Anstellungsbehörde am Tag der Mitteilung der Maßnahme an den Betroffenen. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch eine Beschwerde oder eine Klage trotz Nichtbeachtung der Fristen dieser Vorschrift zulässig sein, wenn der Kläger in entschuldbarer Weise über den Fristbeginn geirrt hat (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 18. Oktober 1977 in der Rechtssache 25/68, Schertzer/Parlament, Slg. 1977, 1729, und vom 5. April 1979 in der Rechtssache 117/78, Orlandi/Kommission, Slg. 1979, 1613, sowie Urteil des Gerichts vom 29. Mai 1991 in der Rechtssache T-12/90, Bayer/Kommission, Slg. 1991, II-219).

33 Nach Auffassung des Gerichts ist vorab die Tragweite des Begriffes des entschuldbaren Irrtums zu klären, der in Ausnahmefällen die Erhaltung des Klagerechts nach Ablauf der Klagefrist bewirken kann.

34 Soweit es um die Klagefristen geht, die nach ständiger Rechtsprechung nicht zur Disposition des Gerichts oder der Parteien stehen und zwingendes Recht sind (vgl. z. B. Urteile des Gerichts vom 25. September 1991 in der Rechtssache T-54/90, Lacroix/Kommission, Slg. 1991, II-749, Randnr. 24, und vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache T-129/89, Offermann/Parlament, Slg. 1991, II-855, Randnr. 31), ist der Begriff des entschuldbaren Irrtums eng auszulegen und kann sich nur auf Ausnahmefälle beziehen, insbesondere auf solche, in denen das betroffene Gemeinschaftsorgan ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das für sich genommen oder aber in ausschlaggebendem Maß geeignet war, bei einem gutgläubigen Rechtsbürger, der alle Sorgfalt aufwendet, die von einem Wirtschaftsteilnehmer mit normalem Kenntnisstand zu verlangen ist, eine verständliche Verwirrung hervorzurufen. In einem solchen Fall kann sich nämlich die Verwaltung nicht auf ihren eigenen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes berufen, der für den Irrtum des Rechtsbürgers ursächlich war (Urteil des Gerichts Bayer/Kommission, a. a. O.).

35 In vorliegenden Fall hat der Kläger schon in seiner Beschwerde vom 29. Juni 1987 an die Anstellungsbehörde darauf hingewiesen, daß er zuvor am 5. Juni bereits eine Beschwerde an den Sozialen Dienst des Parlaments aufgrund der von diesem erteilten Auskünfte gerichtet habe. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dargelegt, er habe seine erste Beschwerde nach einem Telefongespräch mit dem Leiter des Sozialen Dienstes eingelegt, wobei dieser ihm auf seine Frage, wie vorzugehen sei, geantwortet habe, er solle die Beschwerde an seine Dienststelle richten, die das Weitere veranlassen werde. Der Soziale Dienst hat aber diese Beschwerde nicht an die zuständige Dienststelle weitergeleitet, sondern sie einfach an den Kläger zurückgesandt. Als dieser erfuhr, daß nicht der Soziale Dienst, sondern die Anstellungsbehörde für die Bescheidung seiner Beschwerde zuständig sei, hat er mit einem am 8. Juli 1987 registrierten Schreiben vom 29. Juni 1987 die Anstellungsbehörde befasst.

36 Aufgrund der Darlegungen des Klägers, denen der Beklagte nicht widersprochen hat, ist das Gericht der Auffassung, daß der Irrtum des Klägers bei der Ermittlung der für seine Beschwerde zuständigen Behörde entschuldbar ist und daß seine erste, innerhalb der Dreimonatsfrist des Statuts eingelegte Beschwerde ihm sein Klagerecht erhalten hat.

37 Die vom Beklagten erhobene Rüge der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

Rechtssache T-33/89

38 Das Vorbringen des Klägers zur Stützung seiner Klage lässt nach Auffassung des Gerichts im wesentlichen vier Klagegründe erkennen. Mit dem ersten Klagegrund wird die Verletzung des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts, mit dem zweiten werden das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung, ein offensichtlicher Irrtum, ein Ermessensmißbrauch sowie die Unzuständigkeit ihres Urhebers gerügt. Mit dem dritten Klagegrund wird die Verletzung des Artikels 72 Absatz 3 des Statuts und mit dem vierten eine Verletzung der Fürsorgepflicht geltend gemacht.

Zum Klagegrund der Verletzung des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts

Vorbringen der Parteien

39 Der Kläger macht geltend, die Anstellungsbehörde habe seit 1983 ständig anerkannt, daß die Krankheit seiner Tochter eine schwere Krankheit im Sinne des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts und des Abschnitts IV des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge sei. Die Anstellungsbehörde habe ihn gleichfalls für den Zeitraum vom 1. September 1983 bis zum 31. August 1986 die 100%ige Erstattung der mit dieser Krankheit zusammenhängenden Kosten zugestanden, was auch die Kosten für psychopädagogischen Sonderunterricht der Art umfasse, wie er von Psychiatern und verschiedenen spezialisierten Lehrern der Sibford School und der British School in Brüssel erteilt werde. Der medizinische oder zumindest paramedizinische Charakter dieses Sonderunterrichts werde durch die zahlreichen, der Klageschrift beigefügten ärztlichen Bescheinigung belegt. Das Sonderprogramm des Förderunterrichts stelle insgesamt, obwohl es sich aus verschiedenen, auf Spezialkurse verteilten Behandlungen zusammensetze, eine Gesamttherapie dar, deren Teile sämtlich auf eine Verbesserung des Gesundheitszustands seiner Tochter ausgerichtet seien.

40 Das Parlament weist zunächst darauf hin, daß sich die Kontrolle des Gemeinschaftsrichters nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 19. Januar 1988 in der Rechtssache 2/87, Biedermann/Rechnungshof, Slg. 1988, 143) nicht auf die ärztlichen Beurteilungen im eigentlichen Sinne erstrecke und allein auf die ordnungsgemässe Tätigkeit der zuständigen Organe beschränkt sei. Ferner habe zwar die Anstellungsbehörde dem Kläger für den Zeitraum vom 1. September 1983 bis zum 31. August 1986 die Erstattung der Krankheitskosten in Zusammenhang mit der schweren Erkrankung seiner Tochter zugebilligt und die Abrechnungsstelle in Luxemburg tatsächlich 100 % dieser Kosten übernommen, diese Entscheidungen bedeuteten jedoch keineswegs, daß auch Nichtkrankheitskosten wie etwa Kosten eines Sonderunterrichts zu übernehmen wären. Die Beantwortung der Frage, ob der Sonderunterricht für die Tochter des Klägers medizinischer Art sei, obliege der souveränen Beurteilung durch medizinische Sachverständige, die für diesen Bereich ausschließlich zuständig seien.

41 Krankheitskosten seien nur die Kosten in Zusammenhang mit einer Behandlung, die inhaltlich selbst die medizinische Natur erkennen lasse. Die medizinische Natur einer Behandlung werde dadurch belegt, daß sie entweder die unmittelbare Zuhilfenahme einer medizinisch qualifizierten Person erforderlich mache oder aber von einer zugelassenen medizinischen Einrichtung oder Anstalt durchgeführt werde. Hierbei handele es sich um völlig objektive Kriterien, denen aber im vorliegenden Fall der Sonderunterricht für die Tochter des Klägers nicht genüge.

Würdigung durch das Gericht

42 Artikel 72 Absatz 1 des Statuts bestimmt:

"In Krankheitsfällen wird dem Beamten,... seinen Kindern... Ersatz der Aufwendungen bis zu 80 v. H. gewährleistet.... Im Falle von Tuberkulose, Kinderlähmung, Krebs, Geisteskrankheiten und anderen von der Anstellungsbehörde als vergleichbar schwer anerkannten Krankheiten sowie für Untersuchungen und zur Früherkennung und im Falle der Entbindung erhöht [dieser Satz] sich auf 100 v. H...."

In Abschnitt IV "Sonderfälle" des Anhangs I "Vorschriften für die Erstattung der Krankheitskosten" der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge ist insoweit bestimmt:

"Bei Tuberkulose, Kinderlähmung, Krebs, Geisteskrankheiten und anderen, von der Anstellungsbehörde als vergleichbar schwer anerkannten Krankheiten werden die Kosten mit einem Satz von 100 % erstattet.

...

Die Entscheidung wird von der Anstellungsbehörde oder von der zuständigen Abrechnungsstelle, sofern sie hierzu von der Anstellungsbehörde befugt worden ist, nach Stellungnahme des Vertrauensarztes der Abrechnungsstelle unter Berücksichtigung der vom Ärztebeirat festgelegten allgemeinen Kriterien getroffen."

43 Das Gericht weist vorab darauf hin, daß die Anstellungsbehörde am 16. September 1986, was zwischen den Parteien unstreitig ist, auf der Grundlage des Artikels 72 des Statuts und des Abschnitts IV des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge eine Entscheidung getroffen hat, die dem Kläger die Erstattung von 100 % der Kosten in Zusammenhang mit der schweren Krankheit seiner Tochter für den Zeitraum vom 1. September 1986 bis zum 31. August 1987 gewährt.

44 Vor der Prüfung des vom Kläger vorgebrachten Klagegrundes ist darauf hinzuweisen, daß von den Rechtsbehelfen des Statuts grundsätzlich in diesem Bereich nur Gebrauch gemacht werden kann, um eine Überprüfung zu erreichen, die sich auf Fragen der Bildung und der ordnungsgemässen Tätigkeit der zuständigen Ärzteausschüsse beschränkt; die Kontrolle des Gemeinschaftsrichters erstreckt sich nicht auf die ärztlichen Beurteilungen im eigentlichen Sinne, die als endgültig anzusehen sind, wenn sie unter ordnungsgemässen Voraussetzungen vorgenommen wurden (Urteil des Gerichtshofes Biedermann/Rechnungshof, a. a. O., und Urteil des Gerichts vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache T-154/89, Vidrányi/Kommission, Slg. 1990, II-445).

45 Es ist sodann zu prüfen, ob die Abrechnungsstelle nach Anhörung des Vertrauensarztes des Organs rechtmässig entscheiden konnte, daß die Kosten in Zusammenhang mit dem Förderunterricht der Tochter des Klägers in der British School in Brüssel angesichts der unterschiedlichen Teile dieses Programms lediglich zur Hälfte als Krankheitskosten anzusehen seien.

46 Zu dem Programm des Förderunterrichts für die Tochter des Klägers während des Schuljahres 1986/1987 (und des Jahres 1987/1988) in der British School hat der an der British School tätige und vom Gericht als Zeuge vernommene Erziehungspsychologe Jack Gillman die ihm gestellten Fragen wie folgt beantwortet:

° Zum Inhalt des Programms:

"... Die Fachgebiete, die zum Programm des Förderunterrichts gehörten, waren: Geographie, Biologie, Humanbiologie, Physiologie, Hauswirtschaft, Ernährung. Mathematik war eines der Fachgebiete, die zum Förderunterrichtsprogramm gehörten. [Die Tochter die Klägers] wurde mit ihrer Klasse ferner unterrichtet in Hauswesen, Geschichte und Englisch";

° zu den mit der Durchführung dieses Programms betrauten Personen:

"Zwei Lehrkräfte waren mit dem Unterricht [der Tochter des Klägers] befasst.... Die beiden Lehrkräfte haben einen Studienabschluß, aber keine medizinische Ausbildung.... [Die erste Lehrkraft] ist Mathematiklehrer. [Sie] hat keine besonderen medizinischen Abschlüsse. Der andere Lehrer... Diplomzoologe und -botaniker der Universität London,... hat ein Lehrerdiplom, aber... keine medizinische Ausbildung. Es sind... Lehrer";

° zu den mit der verantwortlichen Leitung des Programms betrauten Personen:

"Ich habe einen Abschluß in Psychologie. Die beiden Lehrer sind [an der British School] unter meiner Aufsicht [für die Tochter des Klägers] angestellt. Das Programm ist im wesentlichen von den beiden Lehrern unter meiner Kontrolle erarbeitet worden. Ich stand bei der Entwicklung dieses Programms nicht mit Externen in Verbindung, so daß kein Mediziner dieses besondere Programm beaufsichtigte. [Dr. Böl stand nicht in Verbindung] mit mir."

47 Der ebenfalls als Zeuge vernommene Neurologe und Kinderarzt Dr. Marc Böl hat sich auf die Fragen des Gerichts wie folgt zu den für das Programm verantwortlichen Personen geäussert:

"Ich war nicht an Ort und Stelle in der British School. Herr Gillman ist selbst für die bei ihm eingeschriebenen Schüler verantwortlich. Ich habe keinerlei Möglichkeit, mich in seiner Schule einzuschalten. In ihr Programm kann ich mich nicht einmischen. Die Regeln der British School in Brüssel sind mir nicht bekannt."

48 Aufgrund dieser Zeugenaussagen steht fest, daß die Tochter des Klägers an einem Programm des Förderunterrichts an der British School teilgenommen hat, das in der alleinigen Verantwortung eines an dieser Schule tätigen Erziehungspsychologen durchgeführt worden ist, daß die angewandten Lehrmethoden besonders erarbeitet worden sind, um dem Betreffenden bei der Überwindung seiner spezifischen Schwierigkeiten zu helfen, und daß der besondere Unterricht für die Tochter des Klägers von zwei Personen ohne medizinische Ausbildung erteilt worden ist.

49 Demgemäß ist das Gericht der Auffassung, daß das betreffende Programm, da es nicht von Personen, die von Rechts wegen befugt waren, einen medizinischen oder paramedizinischen Beruf auszuüben, oder von einer ordnungsgemäß zugelassenen medizinischen oder paramedizinischen Einrichtung erarbeitet oder durchgeführt worden ist, selbst keine medizinische oder paramedizinische Natur aufweist. Damit konnte die Abrechnungsstelle die 100 %ige Erstattung der durch dieses Programm verursachten Kosten verweigern, ohne dadurch gegen Artikel 72 Absatz 1 des Statuts zu verstossen.

50 Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund des Fehlens einer Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung, eines offensichtlichen Irrtums, eines Ermessensmißbrauchs sowie der Unzuständigkeit ihres Urhebers

Vorbringen der Parteien

51 Mit seinem zweiten Klagegrund macht der Kläger erstens geltend, für die Entscheidung vom 9. März 1987 fehle die Rechtsgrundlage, da die Vorschriften des Statuts lediglich Erstattungssätze von 80, 85, 90 und 100 % vorsähen, keine indessen einen Satz von 50 %. Zweitens weise sie einen offensichtlichen Tatsachen- und Rechtsirrtum auf, da sie auf der Grundlage einer einzigen ärztlichen Stellungnahme ergangen sei, die in völliger Unkenntnis des besonderen Falles der Betroffenen ergangen sei und im Widerspruch zu den übrigen übereinstimmenden Stellungnahmen der Fachärzte stehe; sie stelle somit einen offensichtlichen Ermessensmißbrauch dar. Drittens sei die Abrechnungsstelle in Brüssel, der der Vorgang wegen des Fehlens eines Behördenleiters bei der Abrechnungsstelle in Luxemburg übersandt worden sei, in keiner Weise zuständig gewesen, um über diese Angelegenheit zu entscheiden.

52 Das Parlament bestreitet nicht, daß die Vorschriften des Statuts eine Erstattung in Höhe von 50 % nicht kennen, weist aber darauf hin, daß die Entscheidung aufgrund der Stellungnahme des Vertrauensarztes getroffen worden sei, in der es heisse: "... sollte die Krankheitsfürsorge, da das Sonderprogramm aus einem Teil mit Nachhilfestunden und einem Teil mit spezialisierter Behandlung besteht, 50 % der Kosten übernehmen." Ausserdem sehe das Statut bei der Erstattung von Krankheitskosten keine Einschaltung von Fachärzten vor, so daß es ohne Bedeutung sei, daß die Entscheidung möglicherweise entgegen der Stellungnahme solcher Ärzte getroffen worden sei. Ferner bedeute der Umstand, daß die Erstattungsanträge der Beamten des Parlaments grundsätzlich von der Abrechnungsstelle in Luxemburg bearbeitet würden, in keiner Weise, daß die Abrechnungsstelle in Brüssel für deren Entgegennahme unzuständig sei. Im vorliegenden Fall sei diese Stelle tätig geworden, weil es infolge der Versetzung des vorherigen Behördenleiters in den Ruhestand in Luxemburg keinen Zeichnungsbefugten gegeben habe.

Würdigung durch das Gericht

53 Es ist zunächst in Erinnerung zu rufen, daß dem Kläger in der Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 16. September 1986 für den Zeitraum vom 1. September 1986 bis zum 31. August 1987, der dem Schuljahr 1986/1987 entspricht, die Erstattung von 100 % der Krankheitskosten in Zusammenhang mit der schweren Krankheit seiner Tochter zugesagt wird. Die Entscheidung vom 9. März 1987, mit der die Abrechnungsstelle in Luxemburg die Kosten des Programms der Unterrichtstherapie bis zur Höhe von 50 % übernahm, stellt eine Maßnahme zur Durchführung der Grundsatzentscheidung vom 16. September 1986 dar. Diese ursprüngliche Entscheidung vom 16. September 1986 besagte keineswegs, daß die Verwaltung andere als Krankheitskosten erstatten werde, was auf jeden Fall gegen Artikel 72 des Statuts verstossen hätte. Die Entscheidung der Abrechnungsstelle vom 9. März 1987 legt in Wirklichkeit den Anteil fest, zu dem die Gesamtkosten in Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts als Krankheitskosten zu betrachten sind und damit in die Kategorie der von den Vorschriften des Statuts gedeckten Krankheitsrisiken fallen. Nach Maßgabe dieses Verhältnisses, das die Verwaltung im vorliegenden Fall auf 50 % festgesetzt hat, werden diese Kosten in Einklang mit der Grundsatzentscheidung vom 16. September 1986 in vollem Umfang erstattet. Das Vorbringen des Klägers, keine Vorschrift des Statuts lege eine Erstattung von 50 % fest, ist daher unerheblich.

54 Zu dem weiteren Vorbringen des Klägers, daß die Entscheidung vom 9. März 1987 einen offensichtlichen Tatsachen- und Rechtsirrtum aufweise, weil sie in Unkenntnis der übereinstimmenden Stellungnahmen von Fachärzten getroffen worden sei, die den Fall seiner Tochter genau kennten, weist das Gericht zunächst darauf hin, daß die Anstellungsbehörde mit Entscheidung vom 16. September 1986 anerkannt hat (siehe Randnrn. 43 und 53), daß die Krankheit der Tochter des Klägers eine schwere Krankheit im Sinne des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts darstellt. Soweit der Kläger dem Parlament vorwerfen will, diese Stellungnahmen bei der Entscheidung, die Kosten in Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts nur bis zu 50 % als Krankheitskosten anzuerkennen, nicht berücksichtigt zu haben, ist dies unberechtigt, weil die anwendbaren Vorschriften des Statuts eine Einschaltung externer Fachärzte nicht vorsehen. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Abrechnungsstelle die Stellungnahme des Vertrauensarztes eingeholt hat, der über alle besonderen Gesichtspunkte des vorliegenden Falles informiert war. Im übrigen kommt dem Begriff des Ermessensmißbrauchs oder -fehlgebrauchs eine sehr genaue Bedeutung zu: Er betrifft den Fall, daß eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisse zu einem anderen Zweck einsetzt als demjenigen, zu dem sie ihr übertragen worden sind (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 4. Februar 1982 in der Rechtssache 817/79, Buyl/Kommission, Slg. 1982, 245). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Entscheidung nur dann ermessensmißbräuchlich oder -fehlerhaft, wenn aufgrund objektiver und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, daß sie zu anderen als den angegebenen Zwecken getroffen wurde (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 21. Juni 1984 in der Rechtssache 69/83, Lux/Rechnungshof, Slg. 1984, 2447). Da der Kläger solche Indizien nicht vorgebracht hat, ist davon auszugehen, daß ein Ermessensmißbrauch im vorliegenden Fall nicht festzustellen ist. Das entsprechende Vorbringen des Klägers ist somit zurückzuweisen.

55 Zu der vom Kläger drittens gerügten Unzuständigkeit der Abrechnungsstelle in Brüssel weist das Gericht darauf hin, daß es in Artikel 20 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge heisst: "Die Kommission richtet die Abrechnungsstellen dort ein und löst sie gegebenenfalls wieder auf, wo sie es insbesondere nach Maßgabe der Beschäftigungsorte der Beamten für erforderlich hält"; nach dieser Vorschrift obliegt es jeder Abrechnungsstelle, "die Erstattungsanträge, die von dem bei diesen Abrechnungsstellen geführten angeschlossenen Personen eingereicht werden, entgegenzunehmen und abzuwickeln sowie die entsprechenden Zahlungen zu leisten". Diese Vorschrift soll mithin eine pragmatische und wirksame Abwicklung der Erstattungsanträge im Rahmen der allgemeinen Regelung möglich machen. Die Aufteilung der Anträge auf die verschiedenen Abrechnungsstellen hat lediglich eine rein geographische Bedeutung und umfasst keineswegs eine Zuweisung unterschiedlicher Befugnisse oder Aufgaben. Unter diesen Umständen und angesichts der Erläuterungen des Beklagten, denen der Kläger nicht widersprochen hat, ist es nicht zu beanstanden, daß der Antrag des Klägers zunächst an die Abrechnungsstelle in Brüssel weitergeleitet wurde, um eine Unterbrechung bei der Behandlung von Erstattungsanträgen zu vermeiden. Das Vorbringen des Klägers ist daher zurückzuweisen.

56 Nach alledem ist der zweite Klagegrund des Klägers nicht begründet und daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der Verletzung des Artikels 72 Absatz 3 des Statuts

Vorbringen der Parteien

57 Mit seinem dritten Klagegrund macht der Kläger geltend, er könne eine Sondererstattung gemäß Artikel 72 Absatz 3 des Statuts beanspruchen. Die Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 3 des Statuts und des Artikels 8 Absatz 2 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge seien erfuellt. Die Einschreibegebühren bei der British School in Brüssel seien im Schuljahr 1986/1987 auf 325 000 BFR angestiegen, während die Zulagen, die er im gleichen Zeitraum erhalten habe, lediglich 140 000 BFR betragen hätten. Das Programm des Förderunterrichts habe darüber hinaus für das Jahr 1986/1987 112 200 BFR gekostet. Da sich die Hälfte dieser zusätzlichen finanziellen Belastung auf 56 100 BFR belaufe, habe er folglich eine Gesamtbelastung von 241 100 BFR jährlich ganz allein getragen, also einen Betrag, der die Hälfte seines Grundgehalts übersteige.

58 Das Parlament weist darauf hin, daß der Kläger keinen Antrag auf Sondererstattung nach Artikel 8 Absatz 2 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge gestellt habe und mithin der Anstellungsbehörde nicht vorwerfen könne, ihm eine solche Erstattung nicht gewährt zu haben. Hilfsweise bestreitet es die Berechnung des Klägers. Artikel 72 Absatz 3 des Statuts betreffe nur Kosten, die nach Artikel 72 auch erstattungsfähig seien. Folglich könnten die Einschreibegebühren der British School nicht in die Berechnung einbezogen werden. Die vom Kläger getragenen Kosten des Programms des Förderunterrichts in Höhe von 56 100 BFR überstiegen somit nicht die Hälfte des Monatsgrundgehalts des Klägers.

Würdigung durch das Gericht

59 Gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge in der zur Zeit des zu beurteilenden Sachverhalts maßgebenden Fassung war das Verwaltungsverfahren der Sondererstattung gemäß Artikel 72 Absatz 3 des Statuts durch einen Antrag des Beamten einzuleiten, der eine solche Erstattung beanspruchen wollte.

60 Es ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger einen Antrag auf Sondererstattung gemäß Artikel 72 Absatz 3 des Statuts gestellt hat, wie dies Artikel 8 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge vorschrieb. Das Gericht stellt fest, daß der Kläger die Stellung eines solchen Antrags nicht bewiesen hat.

61 Mithin kann sich der Kläger, da er den in Artikel 8 der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge vorgesehenen Antrag nicht gestellt hat, im Rahmen dieses Verfahrens nicht auf einen Verstoß gegen Artikel 72 Absatz 3 des Statuts berufen.

Zum Klagegrund einer Verletzung der Fürsorgepflicht

Vorbringen der Parteien

62 In seiner Klageschrift hat sich der Kläger mit seinem vierten Klagegrund auf eine eindeutige und offensichtliche Verletzung der Fürsorgepflicht der Anstellungsbehörde ihm gegenüber berufen. In seiner Erwiderung hat er näher ausgeführt, daß er den Umfang des Schadens, den er infolge der Entscheidung der Verwaltung, ihm die Kosten im Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts nur bis zu 50 % zu erstatten, erlitten habe, in seiner Beschwerde eingehend dargelegt und auch auf das Vorbringen der Verwaltung im Hinblick auf die Existenz einer "Ad-hoc-Haushaltslinie für Schulungskosten" eingegangen sei.

63 Das Parlament hat zunächst in seiner Klagebeantwortung geltend gemacht, der Kläger habe diesen Klagegrund nicht substantiiert vorgetragen, und dann in seiner Gegenerwiderung darauf hingewiesen, daß die etwaigen Klagegründe, die ein Kläger gegenüber einer beschwerenden Maßnahme vorbringe, sich auf diese Maßnahme beziehen müssten. Für das in der beschwerenden Maßnahme angesprochene Jahr (1986/1987) gehe der Hinweis auf eine Ad-hoc-Linie für das Jahr 1987/1988 fehl; die Rüge des Klägers sei damit gegenstandslos.

Würdigung durch das Gericht

64 Gemäß Artikel 129 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 der Satzung auf das Gericht anwendbar ist, sowie gemäß Artikel 38 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, der auf das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof anwendbar war, muß die Klageschrift eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. In der Klageschrift muß im einzelnen dargelegt werden, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so daß seine bloß abstrakte Anführung nicht den Erfordernissen der Satzung und der Verfahrensordnung entspricht (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1961 in den verbundenen Rechtssachen 19/60, 21/60, 2/61 und 3/61, Fives Lille Cail u. a./Hohe Behörde, Slg. 1961, 613, und vom 5. März 1991 in der Rechtssache C-330/88, Grifoni/EAG, Slg. 1991, I-1045, 1067, sowie Urteil des Gerichts vom 18. November 1992 in der Rechtssache T-16/91, Rendo u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2417). Der blosse Hinweis auf eine Verletzung der Beistands- und Fürsorgepflicht nach Artikel 24 des Statuts, wie er in der Klageschrift zu finden ist, kann mithin, wenn genaue Angaben zu der angeblich verletzten Verpflichtung fehlen, nicht als ausreichend betrachtet werden.

65 Zwar hat der Kläger in seiner Erwiderung dargelegt, daß er dem Parlament vorwerfe, ihm die vollständige Erstattung der Kosten in Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts seiner Tochter versagt zu haben, und daß er infolge dieser Weigerung einen Schaden erlitten habe. Gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes ist indessen das Vorbringen neuer Angriffsmittel im Laufe des Verfahrens untersagt, da der Kläger diesen Klagegrund erst in seiner Erwiderung im einzelnen dargelegt hat, muß dieser mithin als verspätet zurückgewiesen werden.

Rechtssache T-74/89

Zur Zulässigkeit des Antrags des Klägers auf gerichtliche Feststellung seines Anspruchs auf Erstattung sämtlicher medizinischer und paramedizinischer Kosten in Zusammenhang mit der schweren Krankheit seiner Tochter sowie des Antrags des Klägers auf Feststellung seines Anspruchs auf Erstattung sämtlicher ihm im Rahmen des Programms des Förderunterrichts seiner Tochter entstandenen Kosten

Vorbringen der Parteien

66 Das Parlament ist der Auffassung, daß der Antrag des Klägers, das Gericht solle seinen Anspruch auf Erstattung sämtlicher medizinischer und paramedizinischer Kosten in Zusammenhang mit der schweren Krankheit seiner Tochter gemäß Artikel 72 Absatz 1 des Statuts für den Zeitraum 1987/1988 feststellen, sowie der Antrag, das Gericht solle feststellen, daß der Beklagte dem Kläger sämtliche ihm im Rahmen des Programms "Unterrichtstherapie und Förderunterricht" seiner Tochter im Zeitraum 1987/1988 entstandenen Kosten zuzueglich Verzugszinsen vom Tag der jeweiligen Fälligkeit bis zur effektiven Zahlung zu erstatten habe, gegenstandslos seien.

67 Die Klage sei gegen die Entscheidung der Abrechnungsstelle gerichtet, mit der diese den Antrag des Klägers auf vorherige Genehmigung vom 18. Oktober 1987 bezueglich des Programms des "Förderunterrichts" für seine Tochter während des Schuljahres 1987/1988 zurückgewiesen habe. Dieser Antrag sei im Rahmen des Abschnitts IV, hilfsweise des Abschnitts XV des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge gestellt worden, während die Anträge in der vorliegenden Klageschrift im Rahmen des Abschnitts IV des Anhangs I dieser Regelung angesiedelt seien. Folglich habe die Klage insoweit einen anderen Gegenstand als die angefochtene Entscheidung und sei ohne vorherige Beschwerde erhoben worden.

68 Ferner könne das Gericht im Rahmen seiner Rechtmässigkeitskontrolle nach Artikel 91 des Statuts auf keinen Fall die Entscheidung der Verwaltung durch seine eigene ersetzen oder Anordnungen an die Verwaltung richten (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 27. April 1989 in der Rechtssache 192/88, Turner/Kommission, Slg. 1989, 1017).

69 Der Kläger sieht es als feststehend an, daß er seine Klage stets auf Artikel 72 des Statuts gestützt habe. Die mit dem Programm des Förderunterrichts verbundenen Kosten müssten in ihrer Gesamtheit als Krankheitskosten betrachtet und demgemäß in gleicher Weise wie die anderen Kosten in Zusammenhang mit den von der Anstellungsbehörde als schwer anerkannten Krankheiten zu 100 % erstattet werden. Seine Klage sei daher in vollem Umfang zulässig.

Würdigung durch das Gericht

70 Mit diesen Anträgen begehrt der Kläger vom Gericht mehrere Grundsatzerklärungen, die in Wirklichkeit auf Feststellung seines Anspruchs auf Erstattung von 100 % der Kosten im Rahmen des Programms des Förderunterrichts für seine Tochter sowie auf die sofortige Erteilung von Anordnungen durch das Gericht an die Behörde gerichtet sind, die das in der vorliegenden Rechtssache ergehende Urteil durchzuführen haben wird.

71 Es ist nicht Sache des Gerichts, im Rahmen der Rechtmässigkeitskontrolle Anordnungen an die Gemeinschaftsbehörden zu richten oder deren Entscheidungen durch die eigene zu ersetzen. Diese Anträge sind daher unzulässig.

Zur Begründetheit

72 Der Kläger stützt seine Klage in der Rechtssache T-74/89 in erster Linie auf das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung. Zweitens beruhe sie auf unsachgemässen Beweggründen. Drittens weise sie einen Tatsachen- und Rechtsirrtum auf. Viertens macht der Kläger eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes und fünftens eine Verletzung der Fürsorgepflicht geltend.

° Zu den Klagegründen des Fehlens der Rechtsgrundlage, unsachgemässer Beweggründe und eines Tatsachen- und Rechtsirrtums

Vorbringen der Parteien

73 Mit seinem ersten Klagegrund macht der Kläger geltend, die Entscheidung, mit der ihm jede Erstattung der Kosten in Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts für seine Tochter im Schuljahr 1987/1988 versagt worden sei, entbehre der Rechtsgrundlage und verstosse gegen Artikel 72 Absatz 1 des Statuts, der zugunsten des Beamten, seines Ehegatten und der von ihm unterhaltenen Personen bei Krankheiten, die als vergleichbar schwer wie die übrigen in diesem Artikel angeführten Krankheiten anerkannt seien, eine Erstattung von 100 % vorschlage. Da ihm eine Erstattung von 100 % ununterbrochen und ohne den geringsten Vorbehalt während mehr als fünf Jahren gewährt worden sei, könne keine Vorschrift des Statuts dieses Abweichen in der Entscheidung rechtfertigen.

74 Das Parlament bestreitet nicht, daß der Kläger nach Artikel 72 Absatz 1 des Statuts nach näherer Maßgabe des Abschnitts IV des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge eine Erstattung von 100 % beanspruchen könne. Allerdings könne diese Kostenübernahme nur für Krankheitskosten im Sinne der vom Verwaltungsausschuß für die allgemeine Regelung vorgeschlagenen Auslegung gelten. Auch wenn die fraglichen Kosten im vorliegenden Fall als in den Anhängen nicht vorgesehene Leistungen im Sinne des Abschnitts XV des Anhangs I betrachtet werden könnten, dürften sie nur unter den in jedem Fall vom Verwaltungsausschuß festgelegten Bedingungen übernommen werden. Im übrigen bedeute die Möglichkeit der Übernahme nicht vorgesehener Leistungen keineswegs eine dahin gehende Verpflichtung. Jede Erstattungsentscheidung werde, wie das Urteil des Gerichtshofes Buyl/Kommission, a. a. O., zeige, auf der Grundlage des Akteninhalts getroffen. Eine in der Vergangenheit befolgte Praxis könne die Verwaltung nicht binden, falls sie sich nicht gegenüber dem Kläger verpflichtet habe, einen bestimmten Unterstützungssatz beizubehalten.

75 In seiner Gegenerwiderung hat das Parlament weiter vorgebracht, daß die vollständige Übernahme der Kosten in den Schuljahren 1983/1984 und 1984/1985 für den Sonderunterricht der Tochter des Klägers den Unterricht an der Sibford School betroffen habe, die für die Mittel bekannt sei, die sie Lernbehinderten, insbesondere legasthenischen Kindern, zur Verfügung stelle. Als die Abrechnungsstelle sich ab 1985/1986 geweigert habe, die Kosten für den Sonderunterricht zu 100 % zu übernehmen, sei dieser an der British School in Brüssel erteilt worden. Aufgrund der von den beiden Schulen zur Verfügung gestellten Schriftstücke sei die Abrechnungsstelle davon ausgegangen, daß die British School im Gegensatz zur Sibford School keine spezialisierte Einrichtung sei.

76 Mit dem zweiten Klagegrund macht der Kläger geltend, die Entscheidung beruhe auf unsachgemässen Beweggründen, weil sie die Versagung der Kostenübernahme damit begründe, daß die betreffenden Kosten mit Nachhilfestunden in Mathematik zusammenhingen. Die betreffende Behörde habe sich zu der Frage äussern müssen, ob die Krankheit seiner Tochter in die Gruppe der "als vergleichbar schwer anerkannten Krankheiten" gehöre, die eine Erstattung von 100 % gestatte. Die Verwaltung habe die eingehenden Erläuterungen des für die British School Verantwortlichen nicht berücksichtigt, gleichwohl gehörten die streitigen Kosten zu den medizinischen oder paramedizinischen Kosten, wie der Beklagte zuvor selbst anerkannt habe.

77 Nach Auffassung des Parlaments ist einziger Gegenstand des Streites, ob die fraglichen Kosten Krankheitskosten seien oder nicht. Seiner Meinung nach seien es nach der Auslegung dieses Begriffes durch den Verwaltungsausschuß keine Krankheitskosten im Sinne des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge. Der betreffende Unterricht sei fachlicher und nicht medizinischer Art, wie acht Schriftstücke, hierunter eine Bescheinigung von Dr. Judith Themen von der Sibford School, ein Bericht und eine Bescheinigung von Dr. Marc Böl sowie vom Kläger stammende Schriftstücke, belegten. Nach der von den Verwaltungschefs am 10. September 1987 beschlossenen Auslegungsvorschrift zum Begriff der Krankheitskosten müssten unter diesen Begriff fallende Leistungen "von einer oder mehreren Personen erbracht werden, die einen medizinischen oder paramedizinischen Beruf auszuüben berechtigt seien, oder durch medizinische Einrichtungen, die von den zuständigen Behörden zugelassen seien". Die British School sei aber keine von den zuständigen Behörden zugelassene medizinische oder paramedizinische Einrichtung. Die vom Kläger vorgelegten Auskünfte belegten nicht, daß die streitige Behandlung von einer oder von mehreren Personen durchgeführt worden sei, die einen medizinischen oder paramedizinischen Beruf auszuüben berechtigt seien. Im übrigen seien die Fachkenntnisse der im vorliegenden Fall mit dem Programm des Förderunterrichts betrauten Personen nicht in der Richtlinie 75/362/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 167, S. 1) aufgeführt.

78 Mit seinem dritten Klagegrund bringt der Kläger vor, die angefochtene Entscheidung sei offensichtlich mit einem Tatsachen- und Rechtsirrtum behaftet, weil sie unberücksichtigt lasse, daß alle Personen, die sich mit seiner Tochter befassten, mit Ausnahme von Frau P. Berufstätige seien, die dem Kreis der Mediziner oder Paramediziner angehörten, und ausserdem die von ihm vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht berücksichtige, aus denen sich klar ergebe, daß die beiden angewandten Therapien, nämlich die psychologische Therapie und die "Unterrichtstherapie und Förderunterricht", ein untrennbares Ganzes bildeten, das zu einem Gesamtprogramm von Rehabilitierungsmaßnahmen gehöre. Die angefochtene Entscheidung stehe im Widerspruch zu den zahlreichen anderen Erstattungsvorschlägen, die insbesondere vom Vertrauensarzt gemacht worden seien. Im übrigen sei ihm die Stellungnahme des Ärztebeirats vom 8. Februar 1988, auf der u. a. die Stellungnahme des Verwaltungsausschusses vom 28. September 1988 beruhe, nicht übermittelt worden und sei seine Tochter nie vom Vertrauensarzt untersucht worden.

79 Das Parlament betont, daß alle im Statut vorgesehenen Maßnahmen der Anhörung und der Stellungnahme beachtet worden seien und allen beteiligten Organen der gesamte Akteninhalt einschließlich der ärztlichen Stellungnahmen des Dr. Marc Böl und des Schriftstücks bekannt gewesen sei, in dem die beruflichen Fachkenntnisse des an dem Sonderprogramm für die Tochter des Klägers beteiligten Personals der British School aufgeführt seien.

Würdigung durch das Gericht

80 Die Frage, die diesen drei Klagegründen zugrunde liegt, geht im wesentlichen dahin, ob die in Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts für die Tochter des Klägers während des Schuljahres 1987/1988 an der British School entstandenen Kosten Krankheitskosten im Sinne des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts und des Anhangs I der Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge sind. Sie sind daher gemeinsam zu prüfen.

81 Da das Gericht entschieden hat, daß das Programm des Förderunterrichts für die Tochter des Klägers an der British School während des Schuljahres 1986/1987 nicht medizinischer oder paramedizinischer Natur war (siehe Randnr. 49 dieses Urteils), und der Kläger weder bewiesen noch auch nur vorgetragen hat, daß das Programm während des Schuljahres 1987/1988 in unterschiedlicher Weise konzipiert oder durchgeführt worden wäre, ist festzustellen, daß die Entscheidung, die Kosten in Zusammenhang mit diesem Programm nicht als durch die Krankheitsfürsorge gedeckte Kosten im Sinne des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts anzuerkennen, nicht mit einem Tatsachen- oder Rechtsirrtum behaftet ist.

82 Zur Rechtmässigkeit der Entscheidung ist das Gericht, soweit die Versagung der Erstattung der betreffenden Kosten zu 100 % eine Abweichung von früheren Entscheidungen darstellen soll, der Auffassung, daß die Anstellungsbehörde bei jedem Erstattungsantrag aufgrund der ihr von dem Antragsteller vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte festzustellen hat, ob die Voraussetzungen für eine Erstattung nach Artikel 72 Absatz 1 des Statuts erfuellt sind, ohne daß sie hierbei durch eine frühere Entscheidung gebunden wäre, die aufgrund anderer oder weniger vollständiger Gesichtspunkte getroffen worden ist.

83 Ausserdem hat die Verwaltung dem Kläger keine spezifischen Zusicherungen bezueglich der künftigen Erstattung der Kosten in Zusammenhang mit dem Programm des Förderunterrichts gegeben und ihn damit in keiner Weise dazu verleitet, auf eine Beibehaltung einer zuvor bestehenden Lage zu vertrauen, bei der sie ohnedies über einen Ermessensspielraum verfügt hätte.

84 Zu dem Vorbringen des Klägers, daß die Stellungnahme des Ärztebeirats vom 8. Februar 1988, die der Verwaltungsausschuß nach der allgemeinen Regelung u. a. bei seiner Stellungnahme Nr. 16/88 vom 28. September 1988, mit der die Entscheidung der Abrechnungsstelle vom 28. März 1988 bestätigt wurde, berücksichtigt hat, ihm nicht übermittelt worden sei, ist darauf hinzuweisen, daß die Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge insbesondere in ihrem Kapitel II eine Übermittlung einer etwaigen, auf Ersuchen des Verwaltungsausschusses abgegebenen Stellungnahme des Ärztebeirats an den Betroffenen nicht vorsieht. Der Kläger hat ausserdem nicht dargelegt, inwieweit die Nichtübermittlung dieser Stellungnahme seine Rechtsstellung beeinträchtigt haben sollte; er hat überdies ausreichend Gelegenheit gehabt, seinen Standpunkt zu der angefochtenen Entscheidung geltend zu machen. Dieses Vorbringen des Klägers ist daher zurückzuweisen.

85 Zu der Rüge des Klägers, der Beklagte habe die Untersuchung seiner Tochter durch den Vertrauensarzt des Organs nicht veranlasst, weist das Gericht darauf hin, daß das Parlament, ohne Widerspruch seitens des Klägers zu erfahren, vorgetragen hat, daß allen beteiligten Entscheidungsorganen der gesamte Inhalt der Akten bekannt gewesen ist, die insbesondere die Stellungnahmen des Dr. Marc Böl zur Tochter des Klägers sowie ein Schriftstück enthielten, in dem die beruflichen Fachkenntnisse des an dem Sonderprogramm für die Tochter des Klägers beteiligten Personals der British School aufgeführt waren. Der Beklagte hat somit die angefochtene Entscheidung in voller Kenntnis des Gesundheitszustands der Tochter des Klägers sowie der beruflichen Fachkenntnisse des Personals der British School getroffen. Auch dieses Vorbringen des Klägers ist daher zurückzuweisen.

86 Nach alledem sind die ersten drei Klagegründe des Klägers zurückzuweisen.

° Zum Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes

Vorbringen der Parteien

87 Mit seinem vierten Klagegrund macht der Kläger eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes geltend. Der Beklagte habe es versäumt, ihn auf die von den Verwaltungschefs am 10. September 1987 beschlossene Auslegungsvorschrift zum Begriff der Krankheitskosten aufmerksam zu machen, was ihm erlaubt hätte, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Nachweis zu erbringen, daß die Personen, die sich mit seinem Kind befasst hätten, rechtlich befugt gewesen seien, den Beruf des Mediziners oder Paramediziners auszuüben. Ausserdem hätten die zuständigen Behörden angemessene Schritte in die Wege leiten müssen, um eine Zulassung der British School herbeizuführen. Die Säumnis des Beklagten stelle eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes dar, dessen Beachtung jeder Beamte von dem Organ, dem er angehöre, verlangen könne.

88 Das Parlament weist darauf hin, daß die Angaben bezueglich der medizinischen oder paramedizinischen Fachkenntnisse der mit dem Sonderprogramm befassten Personen dem Vertrauensarzt mitgeteilt und berücksichtigt worden seien. Ausserdem könne eine Zulassung nur für eine medizinische oder paramedizinische Einrichtung ausgesprochen werden; dies sei aber bei der British School nicht der Fall.

Würdigung durch das Gericht

89 Das Gericht weist zunächst darauf hin, daß nach ständiger Rechtsprechung das Recht auf Vertrauensschutz jedem einzelnen zusteht, wenn sich herausstellt, daß die Verwaltung bei ihm begründete Erwartungen geweckt hat. Demgegenüber kann kein Beamter einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend machen, wenn die Verwaltung dem Betroffenen keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat (vgl. insbesondere Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1992 in der Rechtssache T-20/91, Holtbecker/Kommission, Slg. 1992, II-2599).

90 Ausserdem stellen die vom Verwaltungsausschuß beschlossenen und von den Verwaltungschefs gebilligten Auslegungsvorschriften für die Regelung zur Sicherstellung der Krankheitsfürsorge öffentlich-rechtliche Regelungen dar, die den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaftsorgane bekanntgegeben wurden und zugänglich sind.

91 Folglich hat die Verwaltung dadurch, daß sie den Kläger nicht auf die genannten Auslegungsvorschriften aufmerksam gemacht hat, bei ihm keine begründete Erwartung wecken können, daß die Anstellungsbehörde die Kosten des Programms des Förderunterrichts für seine Tochter im Schuljahr 1987/1988 erstatten werde. Ebensowenig kann der Umstand, daß die Verwaltung keine Schritte unternommen hat, um eine Zulassung der British School als medizinische oder paramedizinische Einrichtung zu bewirken, als solcher eine Verletzung des besagten Grundsatzes darstellen.

92 Demzufolge kann der Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht durchgreifen.

° Zum Klagegrund einer Verletzung der Fürsorgepflicht

Vorbringen der Parteien

93 Nach Auffassung des Klägers hat das Parlament seine Fürsorgepflicht dadurch verletzt, daß es die Erstattung der ihm entstandenen Kosten trotz seiner sehr hohen finanziellen Belastung infolge des Sonderunterrichts seiner Tochter ganz einfach eingestellt habe. Während des Schuljahres 1987/1988 hätten sich die Kosten für den Sonderunterricht auf 198 000 BFR und das Schulgeld für die British School auf 341 000 BFR belaufen, während sein Grundgehalt von Juli bis Dezember 1987 312 226 BFR und von Januar bis Juni 1988 326 697 BFR betragen habe.

94 Für das Parlament bedeutet die Fürsorgepflicht, daß die Behörde bei der Entscheidung über die Lage eines Beamten sämtliche für ihre Entscheidung möglicherweise maßgebenden Umstände in Erwägung zieht und dabei sowohl das dienstliche als auch das Interesse des betreffenden Beamten berücksichtigt. Der Kläger habe nicht dargetan, inwieweit der Beklagte diese Pflicht verletzt haben solle, wenn man zum einen die zusätzlichen Beträge infolge der Verdoppelung der Kinderzulage und der Erziehungszulage und zum anderen die monatliche Einkommenshöhe infolge des zusätzlichen Steuerfreibetrags von 13 015 BFR monatlich in Rechnung stelle. Im übrigen habe der Kläger keinen Antrag auf Anwendung des Artikels 76 des Statuts mit der Begründung gestellt, daß seine Lage infolge des Gesundheitszustands seiner Tochter besonders schwierig sei. Kein Schriftstück im Besitz der Anstellungsbehörde habe im Hinblick auf die Besoldung des Klägers den Schluß zugelassen, daß dieser sich in einer besonders schwierigen Lage befinde. Ausserdem habe die Fürsorgepflicht keineswegs bedeutet, daß die Kosten des Nachhilfeunterrichts vom Gemeinsamen System zu übernehmen gewesen seien.

Würdigung durch das Gericht

95 Zunächst enthält die angefochtene Entscheidung keinen Widerruf früherer Entscheidungen über die Erstattung von durch den Sonderunterricht der Tochter des Klägers verursachten Kosten, sondern die Versagung der vorherigen Genehmigung des Programms der Unterrichtstherapie, der sich die Tochter des Klägers während des Schuljahres 1987/1988 unterziehen sollte.

96 Nach ständiger Rechtsprechung spiegelt die Fürsorgepflicht der Verwaltung gegenüber ihren Bediensteten das Gleichgewicht zwischen den wechselseitigen Rechten und Pflichten wider, das das Statut in den Beziehungen zwischen der Behörde und den öffentlichen Bediensteten geschaffen hat. Diese Pflicht gebietet es insbesondere, daß die Behörde bei der Entscheidung über die Stellung eines Beamten sämtliche Umstände berücksichtigt, die geeignet sind, ihre Entscheidung zu beeinflussen, und daß sie dabei nicht nur dem dienstlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des betroffenen Beamten Rechnung trägt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 23. Oktober 1986 in der Rechtssache 321/85, Schwiering/Rechnungshof, Slg. 1986, 3199, Randnr. 18; Urteil des Gerichts vom 20. Juni 1990 in der Rechtssache T-133/89, Burban/Parlament, Slg. 1990, II-245, Randnr. 27). Der Schutz der Rechte und Interessen der Beamten muß allerdings seine Grenze immer in der Beachtung des geltenden Rechts finden (vgl. Urteil des Gerichts vom 27. März 1990 in der Rechtssache T-123/89, Chomel/Kommission, Slg. 1990, II-131, Randnr. 32).

97 Im vorliegenden Fall hat die Anstellungsbehörde den Antrag des Klägers vom 18. Oktober 1987 auf vorherige Genehmigung des Programms des Förderunterrichts, dem seine Tochter während des Schuljahres 1987/1988 folgen sollte, mit der vom Gericht als zutreffend anerkannten Begründung abgelehnt, sie könne angesichts der ihr zur Verfügung stehenden Informationen und auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen des Statuts die Kosten dieses Programms nicht als durch die Krankheitsfürsorge im Sinne des Artikels 72 Absatz 1 des Statuts gedeckte Kosten anerkennen. Folglich hat das Parlament mit seiner Entscheidung, bei der die geltenden Vorschriften beachtet wurden und eine vollständige Würdigung aller maßgebenden Umstände stattgefunden hat, die ihm obliegende Fürsorgepflicht nicht verletzt.

98 Der Klagegrund einer Verletzung der Fürsorgepflicht ist daher zurückzuweisen.

Rechtssachen T-33/89 und T-74/89

99 Nach alledem sind die beiden Klagen insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

100 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen die Organe jedoch in Rechtsstreitigkeiten mit den Bediensteten der Gemeinschaft ihre Kosten selbst. In beiden Rechtssachen haben daher beide Parteien ihre eigenen Kosten zu tragen.

101 Gemäß Artikel 91 in Verbindung mit Artikel 74 der Verfahrensordnung sind die Reise- und Aufenthaltskosten der Zeugen sowie ihre Entschädigung für Verdienstausfall als erstattungsfähige Kosten anzusehen. Im vorliegenden Fall sind die Kosten der Vernehmung der Zeugen dem Kläger aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klagen werden abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

3) Der Kläger trägt die Kosten der Vernehmung der Zeugen.

Ende der Entscheidung

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