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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 26.03.1992
Aktenzeichen: T-4/89 REV
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 85
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Wie sich aus Artikel 41 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ergibt, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung für das Verfahren vor dem Gericht gilt, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens kein Rechtsmittel, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Wirkungen eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt voraus, daß vor dem Erlaß des Urteils liegende tatsächliche Elemente entdeckt werden, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bisher unbekannt waren und die das Gericht, wenn es sie hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits als der getroffenen hätten veranlassen können.

Ein Wiederaufnahmeantrag, der auf eine dem Antragsteller vor Erlaß des Urteils bekannte Tatsache gestützt wird, ist daher offensichtlich unzulässig.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 26. MAERZ 1992. - BASF AG GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - ANTRAG AUF WIEDERAUFNAHME DES VERFAHRENS - ZULAESSIGKEIT. - RECHTSSACHE T-4/89 REV.

Entscheidungsgründe:

1 Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz, der am 12. März 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 41 der EWG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts (im folgenden: Verfahrensordnung) einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, das mit dem Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache BASF/Kommission (T-4/89, Slg. 1991, II-1523) abgeschlossen worden ist.

2 Mit diesem Urteil hat das Gericht der Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrages (IV/31.149 - Polypropylen; ABl. L 230, S. 1) teilweise stattgegeben und die gegen die Antragstellerin verhängte Geldbusse herabgesetzt.

3 Die Antragstellerin beantragt:

1) gemäß Artikel 125 der Verfahrensordnung das Verfahren wiederaufzunehmen;

2) gemäß den Artikeln 65 und 66 der Verfahrensordnung in die Beweisaufnahme einzutreten und die im folgenden unter Beweis gestellten Tatsachen aufzuklären;

3) das Urteil vom 17. Dezember 1991 aufzuheben und

a) die Entscheidung der Beklagten vom 23. April 1986, zugestellt am 28. Mai 1986, betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrages (IV/31.149 - Polypropylen) für nichtig zu erklären;

b) hilfsweise: die gegen die Antragstellerin in Artikel 3 der genannten Entscheidung festgesetzte Geldbusse aufzuheben oder herabzusetzen;

c) weiter hilfsweise: die angefochtene Entscheidung der Beklagten für inexistent zu erklären;

4) der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

4 Zur Begründung ihres Antrags macht die Antragstellerin geltend, ihr seien nach Abschluß der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 1991 und nach Zustellung des Urteils vom 17. Dezember 1991 neue tatsächliche und rechtliche Umstände zur Kenntnis gelangt. In seinem Urteil vom 27. Februar 1992 in den Rechtssachen BASF u. a./Kommission ("PVC", T-79/89, T-84/89, T-85/89, T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89 und T-104/89, Slg. 1992, II-315) habe das Gericht (Zweite Kammer) nämlich festgestellt, daß die vor ihr angefochtene Entscheidung wegen der ihr anhaftenden Verfahrensmängel, die aufgrund der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme zutage getreten seien, inexistent sei. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme in der Rechtssache PVC stehe es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, daß, wie in der Rechtssache PVC, auch im Falle Polypropylen die Grundsätze des Artikels 12 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Kommission missachtet worden seien und daß der im Falle Polypropylen zugestellte Text nicht in allen Punkten mit dem von der Kommission beschlossenen Entscheidungstext übereinstimme.

5 Den Beweis hierfür sieht die Antragstellerin darin, daß die Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache PVC zu verstehen gegeben hätten, daß das in jener Sache angewandte Verfahren einer ständigen Praxis entspreche. Dies ergebe sich auch aus der Presseerklärung der Kommission vom 28. Februar 1992 (Nachrichtendienst "Vereinigte Wirtschaftsdienste" News 2802 111), in der es heisse:

"Auch halte die Kommission die Forderung des Gerichtshofes (sic) für nicht praktikabel, sämtliche Akte vom Präsidenten der EG-Kommission sowie vom Generalsekretär paraphieren zu lassen. Die Zahl der von der Kommission jährlich erlassenen Rechtsakte beläuft sich auf rund 8.000. Wie aus Kreisen der EG-Kommission betont wurde, können bis zur Vorlage des Urteils der Berufungsinstanz von Dritten keine Ansprüche aus dem vorliegenden Rechtsspruch abgeleitet werden. Es bestehe demnach vorerst keine Gefahr einer Prozeßflut, mit der die Rechtspraxis der Kommission massiv angefochten werden könnte."

Es bestehe keine Veranlassung, an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen der Bevollmächtigten der Kommission zu zweifeln, da die Kommission die Darstellung ihrer Bevollmächtigten in ihrer Presseerklärung bestätigt habe.

6 Die Antragstellerin macht ferner geltend, der vorgetragene Sachverhalt sei für das Urteil, gegen das sich ihr Wiederaufnahmeantrag richte, ursächlich, denn er müsse entsprechend den im Urteil vom 27. Februar 1992 entwickelten Grundsätzen zu dessen Aufhebung führen. Die Antragstellerin sei nicht in der Lage gewesen, diese Rügen früher zu erheben, weil sie ihr erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 bekanntgeworden seien und weil sie erst durch das Urteil vom 27. Februar 1992 die tatsächliche und rechtliche Tragweite der Mängel des Entscheidungsverfahrens der Kommission habe erkennen können.

7 Die Antragstellerin beantragt abschließend, in die Beweisaufnahme einzutreten, um zu prüfen, ob die Entscheidung der Kommission im Falle Polypropylen mit denselben Fehlern behaftet sei wie die mit dem Urteil vom 27. Februar 1992 für inexistent erklärte Entscheidung.

8 Die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags ist nach Artikel 41 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung für das Verfahren vor dem Gericht gilt, zu beurteilen, der wie folgt lautet:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann beim Gerichtshof nur dann beantragt werden, wenn eine Tatsache von entscheidender Bedeutung bekannt wird, die vor Verkündung des Urteils dem Gerichtshof und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei unbekannt war."

9 Wie sich aus dieser Bestimmung ergibt, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens kein Rechtsmittel, sondern ein ausserordentlicher Rechtsbehelf, der es erlaubt, die Wirkungen eines verfahrensabschließenden Urteils aufgrund der tatsächlichen Feststellungen, auf die sich das Gericht gestützt hat, in Frage zu stellen. Die Wiederaufnahme setzt voraus, daß vor dem Erlaß des Urteils liegende tatsächliche Elemente entdeckt werden, die dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, und der die Wiederaufnahme beantragenden Partei bisher unbekannt waren und die das Gericht, wenn es sie hätte berücksichtigen können, zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits als der getroffenen hätten veranlassen können (siehe zuletzt Beschluß des Gerichtshofes vom 25. Februar 1992 in der Rechtssache C-185/90 P-REV, Gill/Kommission, Slg. 1992, I-993).

10 Im vorliegenden Fall stellt das Gericht fest, daß die einzige Tatsache, die die Antragstellerin zur Stützung ihres Antrags auf Wiederaufnahme anführen kann, die Erklärungen von Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache PVC sind.

11 Die Antragstellerin erklärt nämlich in ihrem Wiederaufnahmeantrag, sie sei "nicht in der Lage [gewesen], diese [d. h. die in ihrem Wiederaufnahmeantrag erhobenen] Rügen früher zu erheben, weil sie ihr erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 bekannt geworden" seien.

12 Die Antragstellerin führt allerdings weiter aus, sie habe erst durch das vorgenannte Urteil vom 27. Februar 1992 die tatsächliche und rechtliche Tragweite der Mängel des Entscheidungsverfahrens der Kommission erkennen können. Demgegenüber ist festzustellen, daß das Urteil vom 27. Februar 1992 lediglich die rechtliche Tragweite der Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 in dem seinerzeit beim Gericht anhängigen Rechtsstreit bestimmt hat, ohne sich im übrigen zur inhaltlichen Richtigkeit dieser Erklärungen zu äussern (Urteil vom 27. Februar 1992, Randnr. 92). Folglich kann dieses Urteil selbst keinesfalls eine neue Tatsache darstellen, die zu einer Wiederaufnahme des mit dem Urteil vom 17. Dezember 1991 abgeschlossenen Verfahrens führen kann (siehe Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-403/85 REV, Ferrandi/Kommission, Slg. 1991, I-1215, Randnr. 13).

13 Die Erklärungen von Vertretern der Kommission in der Pressekonferenz, die am Tag nach dem Erlaß des Urteils vom 27. Februar 1992 stattgefunden hat, bestätigen nach Auffassung des Gerichts lediglich den Inhalt der Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991, wie sich auch aus Punkt 2 des Wiederaufnahmeantrags der Antragstellerin ergibt. Folglich können auch die Erklärungen in der Pressekonferenz für sich gesehen für die Klägerin keine Tatsache darstellen, die zur Wiederaufnahme des mit dem Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 abgeschlossenen Verfahrens führen kann.

14 Das Gericht stellt fest, daß die einzige Tatsache, auf die die Antragstellerin ihren Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 abgeschlossenen Verfahrens stützen kann - nämlich die Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache PVC -, der Antragstellerin ganz offensichtlich vor dem Erlaß des Urteils vom 17. Dezember 1991 bekannt war. Diese hat nämlich an der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 teilgenommen und war dort von demselben Rechtsanwalt vertreten wie in dem Verfahren, das zu dem Urteil vom 17. Dezember 1991 geführt hat. Die Antragstellerin führt zudem als zentrales Beweismittel für diese Tatsache die Tonbandaufzeichnung der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 an. Schließlich hat sie erklärt, sie sei "ihr erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 bekannt geworden". Die Antragstellerin hätte diese Tatsache dem Gericht also vor der Verkündung des Urteils vom 17. Dezember 1991 zur Kenntnis bringen können, wie dies die Klägerinnen in den Rechtssachen T-9/89 bis T-15/89 getan haben (siehe Urteile vom 10. März 1992 in den Rechtssachen T-9/89, Hüls/Kommission, Randnrn. 382 bis 385; T-10/89, Hoechst/Kommission, Randnrn. 372 bis 375; T-11/89, Shell/Kommission, Randnrn. 372 bis 374; T-12/89, Solvay/Kommission, Randnrn. 345 bis 347; T-13/89, ICI/Kommission, Randnrn. 399 bis 401; T-14/89, Monte/Kommission, Randnrn. 389 bis 391, und T-15/89, Linz/Kommission, Randnrn. 393 bis 395, Slg. 1992, II-1275).

15 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß diese Tatsache keinesfalls eine der die Wiederaufnahme beantragenden Partei vor Erlaß des Urteils des Gerichts vom 17. Dezember 1991 unbekannte Tatsache im Sinne von Artikel 41 Absatz 1 der EWG-Satzung des Gerichtshofes darstellen und daher nicht zu einer Wiederaufnahme des mit diesem Urteil abgeschlossenen Verfahrens führen kann.

16 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die von der Antragstellerin angeführten Tatsachen keine entscheidende Bedeutung für das Urteil vom 17. Dezember 1991 gehabt haben können, wie sich aus den angeführten Randnummern der Urteile in den Rechtssachen T-9/89 bis T-15/89 ergibt.

17 Hinzuzufügen ist, daß für alle beim Gericht anhängig gemachten Rechtsbehelfe, einschließlich der ausserordentlichen Rechtsbehelfe, Artikel 111 der Verfahrensordnung gilt. Da der Antrag auf Wiederaufnahme offensichtlich unzulässig ist, ist er nach dieser Bestimmung schon vor seiner Übermittlung an die Antragsgegnerin für unzulässig zu erklären.

18 Da der Beschluß vor der Zustellung des Antrags an die Antragsgegnerin erlassen wird, braucht gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung nur entschieden zu werden, daß die Antragstellerin ihre eigenen Kosten selbst zu tragen hat.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird als unzulässig zurückgewiesen.

2) Die Antragstellerin trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 26. März 1992

Ende der Entscheidung

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