Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 06.04.1990
Aktenzeichen: T-43/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 78
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die mit den Artikeln 73 und 78 des Beamtenstatuts eingeführten Regelungen sind voneinander verschieden und unabhängig. Im Gegensatz zu Artikel 73 ermächtigt Artikel 78 die Organe nicht, die Bedingungen für die Gewährung der Ruhegehälter wegen Dienstunfähigkeit festzusetzen. Die Durchführung seiner Bestimmungen unterliegt somit nur den Bedingungen der Artikel 13 bis 16 des Anhangs VIII des Statuts, die weder eine Definition der "Berufskrankheit" noch eine Verweisung auf Artikel 73 oder auf die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel enthalten.

Es würde deshalb der Systematik der erwähnten Vorschriften widersprechen, wenn für die Durchführung von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts auf die Definition der "Berufskrankheit" in Artikel 3 der von den Organen aufgrund der ausdrücklichen Ermächtigung in Artikel 73 Absatz 1 im gegenseitigen Einvernehmen beschlossenen Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten Bezug genommen würde, was um so mehr gilt, wenn eine solche Bezugnahme eine Einschränkung der Rechte der Betroffenen zur Folge hätte.

2.Da das Beamtenstatut als autonomer Rechtstext der Gemeinschaften in seinem eigenen Zusammenhang und gemäß seinen eigenen Zielen auszulegen ist, kann für die Auslegung des Begriffs der Berufskrankheit in Artikel 78 Absatz 2 nicht auf die Verordnung Nr. 1408/71 Bezug genommen werden, die sich darauf beschränkt, die nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit zu koordinieren.

3. Artikel 78 des Statuts ist so auszulegen, daß er solche Sachverhalte vom Anwendungsbereich des Absatzes 2 ausschließt, die sich ausschließlich vor dem Dienstantritt des Beamten zugetragen haben. Der Krankheitszustand des betreffenden Beamten muß in einem hinreichend direkten Zusammenhang mit einem spezifischen und typischen, der von ihm bei den Gemeinschaften ausgeuebten Tätigkeit anhaftenden Risiko stehen.

Es muß davon ausgegangen werden, daß ein Organ die finanzielle Verantwortung akzeptiert hat, die sich aus dem Risiko ergibt, daß die bereits bei der ärztlichen Untersuchung vor dem Dienstantritt nachgewiesene und sich aus dem Einatmen von Staub im Schacht ergebende chronische Lungenkrankheit eines Beamten zu einer Invalidität führt, die ihm die Ausübung seiner Tätigkeit unmöglich macht, wenn dieses Organ ihm Aufgaben zuweist, die es für ihn erforderlich machen, weiterhin unter Tage zu arbeiten, mit allen Risiken, die sich daraus für die Entwicklung seines Gesundheitszustands ergeben.

Der Umstand, daß das Vorliegen der Krankheit dem Gemeinschaftsorgan seit der Einstellung des Betroffenen bekannt war, und der Umstand, daß die Verschlimmerung der Krankheit aufgrund der Natur der dem Beamten übertragenen Aufgaben völlig vorhersehbar war, stellen darüber hinaus ein Bündel übereinstimmender Vermutungen dar, das ausreicht, um dem Gericht die Feststellung zu ermöglichen, daß die tatsächlich eingetretene Verschlimmerung der Krankheit in Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften entstanden ist.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 6. APRIL 1990. - WALTER GILL GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - RUHEGEHALT WEGEN DIENSTUNFAEHIGKEIT - BERUFSKRANKHEIT. - RECHTSSACHE T-43/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die Kommission hatte während des schriftlichen Verfahrens eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Da der Bevollmächtigte der Kommission diese Einrede zu Beginn der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zurückgenommen hat, wird im folgenden nur der Sachverhalt wiedergegeben, der im Zusammenhang mit der Begründetheit steht.

2 Der 1924 geborene Kläger begann 1948 nach achtjährigem Dienst als Luftwaffenpilot seine Berufslaufbahn in englischen Kohlenbergwerken. Er war nacheinander Bergarbeiter, Sprengmeister, Bergwerksdirektor, Bergwerksinspektor, Regionalbergwerksinspektor und schließlich Hauptbergwerksinspektor beim Ministerium in London. Von 1948 bis 1971 fuhr er fünf - bis siebenmal pro Woche in den Schacht ein. Daneben, von 1949 bis 1952, absolvierte er ein Studium zum Bergwerksingenieur und erwarb 1952 ein Diplom der Londoner Universität ( BSc Honours in Engineering and Mining ). Von 1971 bis 1974 fuhr er mehrere Male pro Monat in den Schacht ein. Bis ungefähr 1961 war er Raucher.

3 1974 wurde der Kläger aufgrund seiner umfangreichen Berufserfahrung von den Dienststellen der Kommission als Hauptverwaltungsrat eingestellt und der Abteilung "Sicherheitsfragen im Kohlenbergbau und in der Eisen - und Stahlindustrie" der Direktion "Sicherheit und Arbeitsmedizin" in der Generaldirektion "Soziale Angelegenheiten" in Luxemburg zugewiesen. Genauer gesagt, er wurde eingestellt, um folgende Referenten - und Kontrollaufgaben wahrzunehmen :

- Förderung von Forschungsvorhaben im Bereich der Arbeitshygiene in Bergwerken, Koordinierung dieser Forschungsvorhaben und Verbreitung ihrer Ergebnisse;

- Vorbereitung eines neuen Programms im Bereich der Sicherheit in Bergwerken durch Kontakte mit den betroffenen Kreisen der EGKS.

4 Der Kläger erfuellte diese Aufgaben zur vollen Zufriedenheit der Kommission, und sein Tätigkeitsbereich wurde auf andere Verwaltungsaufgaben erweitert. Von 1974 bis 1979 hatte er verschiedene Bergwerke in den Ländern der Gemeinschaft zu inspizieren und zwanzig - bis dreissigmal in den Schacht einzufahren. Infolge eines Unfalls Anfang 1979 fuhr er nur noch ein - oder zweimal zwischen 1979 und 1981 in den Schacht ein.

5 Die Röntgenuntersuchung des Brustkorbs, die bei der ärztlichen Untersuchung vor seinem Dienstantritt vorgenommen worden war, ergab eine chronische Bronchopneumopathie ( Lungenkrankheit ). Die Kommission unterrichtete den Kläger nicht darüber und berief sich auch nicht auf Artikel 1 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften.

6 Am 11. Juni 1981 beantragte der Kläger seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, wobei er eine Berufskrankheit im Sinne von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts geltend machte. In einer beigefügten ärztlichen Bescheinigung wurde eine Arbeitsunfähigkeit "aufgrund einer obstruktiven Bronchopneumopathie, die wahrscheinlich mit dem Einatmen von Staub ( Arbeit im Bergwerk ) zusammenhängt", festgestellt. Sehr bald wurde das Vorliegen einer dauernden Vollinvalidität festgestellt, und der Kläger machte geltend, daß er Anspruch auf ein nach Artikel 78 Absatz 2 des Statuts berechnetes Ruhegehalt habe.

7 Nach zahlreichen Verspätungen und Mißverständnissen, die in keinem Fall vom Kläger zu vertreten waren, trat der Invaliditätsausschuß schließlich am 27. März 1987 zusammen. In der Zwischenzeit, am 21. Oktober 1983, hatte die Anstellungsbehörde der Kommission eine vorläufige Entscheidung erlassen, durch die sie dem Kläger ein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit zusprach, das nach Artikel 78 Absatz 3 des Statuts berechnet war. Der Invaliditätsausschuß gab sein Gutachten am 31. März 1987 ab, in dem er im wesentlichen zu folgendem Ergebnis kam :

"Herr Walter Gill ist weiterhin dauernd voll dienstunfähig und kann ein Amt seiner Laufbahn nicht wahrnehmen.

Diese Dienstunfähigkeit ist nicht durch einen Unfall in Ausübung des Dienstes oder anläßlich der Ausübung des Dienstes oder durch eine aufopfernde Tat im Interesse des Gemeinwohls oder dadurch entstanden, daß er sein Leben eingesetzt hat, um ein Menschenleben zu retten.

Auch ist die Dienstunfähigkeit vom Beamten nicht vorsätzlich herbeigeführt worden. Herr Gill leidet nicht an einer der Krankheiten, die in der Liste der Berufskrankheiten der Europäischen Gemeinschaften aufgeführt sind. Der Invaliditätsausschuß ist jedoch der Auffassung, daß ein wahrscheinlicher Kausalzusammenhang und ein hinreichend direkter Zusammenhang mit einem spezifischen und typischen Risiko bestehen, das mit den von 1948 bis 1971 ausgeuebten Tätigkeiten verbunden ist. Dagegen erscheint ihm ein Kausalzusammenhang für den Zeitraum von 1974 bis 1981, in dem Herr Gill Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg war, wenig wahrscheinlich."

8 Am 4. November 1987 richtete der Generaldirektor der Generaldirektion Personal und Verwaltung folgendes Schreiben an den Kläger :

"Da ein Kausalzusammenhang zwischen ihrer Tätigkeit als Gemeinschaftsbeamter und ihrer Invalidität nicht hinreichend wahrscheinlich ist, lässt sich dem Gutachten nicht das Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts entnehmen.

Ich bedaure deshalb, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Ruhegehalt weiterhin gemäß Artikel 78 Absatz 3 berechnet wird."

9 Der Kläger legte sogleich eine Beschwerde ein, die durch Entscheidung der Kommission vom 20. Mai 1988 zurückgewiesen wurde.

Das Verfahren

10 Unter diesen Umständen hat der Kläger mit Klageschrift, die am 18. August 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage gegen die Kommission auf Aufhebung der Entscheidung vom 20. Mai 1988 erhoben.

11 Der Kläger beantragt,

- die Entscheidung vom 20. Mai 1988 aufzuheben,

- festzustellen, daß er unter einer dauernden Vollinvalidität leidet, die auf einer Berufskrankheit im Sinne von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts beruht,

- festzustellen, daß er Anspruch auf ein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit in Höhe von 70 % seines Grundgehalts seit dem Tag seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, das heisst seit dem 1. November 1983, hat,

- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

12 Die Kommission beantragt,

- die Klage als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet abzuweisen,

- über die Kosten nach Rechtslage zu entscheiden.

13 Das schriftliche Verfahren ist vollständig vor dem Gerichtshof abgelaufen. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften hat der Gerichtshof ( Erste Kammer ) die Rechtssache durch Beschluß vom 15. November 1989 an das Gericht verwiesen.

14 Das Gericht ( Vierte Kammer ) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat jedoch die Kommission gebeten, zur Vervollständigung der Akten bestimmte Schriftstücke einzureichen.

15 Die mündliche Verhandlung hat am 14. März 1990 stattgefunden. Wie bereits erwähnt, hat der Bevollmächtigte der Kommission zu Beginn der Verhandlung die Einrede der Unzulässigkeit, die er in seinen Schriftsätzen erhoben hatte, ausdrücklich zurückgenommen. Die Vertreter der Parteien haben mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Zur Begründetheit

16 Der Kläger trägt zur Begründung seiner Anträge folgendes vor :

- Artikel 78 Absatz 2 des Statuts setze nicht voraus, daß zwischen der Berufskrankheit und der bei den Gemeinschaften ausgeuebten Tätigkeit ein Kausalzusammenhang bestehe;

- jedenfalls habe sich seine Krankheit durch die Bedingungen, unter denen er seine Tätigkeit bei den Gemeinschaften ausgeuebt habe, insbesondere dadurch, daß er mehrfach in den Schacht eingefahren sei, verschlimmert;

- die Krankheitszeichen auf den Röntgenaufnahmen, die anläßlich seines Dienstantritts angefertigt worden seien, seien ihm nicht zur Kenntnis gebracht worden, so daß es ihm nicht möglich gewesen sei, sich Heilbehandlungen zu unterziehen und so eine Vollinvalidität zu vermeiden;

- der Wortlaut des dem Invaliditätsausschuß erteilten Auftrags sei ungenau und unrichtig gewesen;

- das Gutachten dieses Ausschusses sei insoweit unzureichend begründet, als darin das Fehlen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Krankheit und der nach 1974 ausgeuebten Tätigkeit festgestellt werde.

17 Die Kommission bestreitet nicht, daß die Dienstunfähigkeit des Klägers - unabhängig von der Identität seines Arbeitgebers zu diesem oder jenem Zeitpunkt - auf einer Berufskrankheit beruhe, da diese Krankheit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers im Bergwerk zurückgehe. Sie bestreitet auch nicht, daß sich die Krankheit seit 1974 verschlimmert habe. Hinsichtlich der Auslegung von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts durch den Kläger vertritt sie jedoch den Standpunkt, der Begriff "Berufskrankheit" sei entsprechend Artikel 3 der gemäß Artikel 73 des Statuts erlassenen Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten ( im folgenden : Sicherungsregelung ) auszulegen. Dieser Artikel 3 lautet :

"1. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die in der der Empfehlung der Kommission vom 23. Juli 1962 beigefügten 'Europäischen Liste der Berufskrankheiten'... aufgeführt sind...

2. Als Berufskrankheit gilt auch eine Krankheit oder Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit, die nicht in der in Absatz 1 genannten Liste aufgeführt ist, wenn nachgewiesen wird, daß sie in Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften entstanden ist."

18 Da die Krankheit des Klägers nicht in der Europäischen Liste der Berufskrankheiten aufgeführt ist, macht die Kommission geltend, es sei Artikel 3 Absatz 2 der Sicherungsregelung anzuwenden, wonach ein Kausalzusammenhang nachgewiesen werden müsse. Ausserdem stehe die Auffassung des Klägers "im Widerspruch zu dem jeder Deckung eines Sozialversicherungsrisikos, in welchem Zweig der sozialen Sicherheit auch immer, zugrundeliegenden Prinzip, daß ein derartiges System der sozialen Sicherheit nur anwendbar ist, wenn das berücksichtigte auslösende Ereignis unter der Geltung dieses Systems eingetreten ist ". Sie fügt hinzu : "Die Gewährung der Leistungen an den Kläger aufgrund seiner chronischen Bronchopneumopathie, die er sich unstreitig zur Zeit seiner Berufstätigkeit in den Kohlenbergwerken im Vereinigten Königreich zugezogen hat und die sich, nachdem er dem Risiko nicht mehr ausgesetzt war, weiterentwickelt hat, ist allein nach den britischen Rechtsvorschriften zu beurteilen, die während dieses Zeitraums für ihn galten." Es ist im übrigen unstreitig, daß diese Rechtsvorschriften dem Kläger keinen Anspruch verleihen. Zur Stützung dieses Vorbringens hat der Bevollmächtigte der Kommission in seinem Plädoyer ferner auf die Grundsätze verwiesen, die in der Verordnung ( EWG ) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern, verankert sind.

19 Wenn man der Prämisse zustimmt, wonach, wie der Gerichtshof entschieden hat ( Urteile vom 12. Januar 1983 in der Rechtssache 257/81, K./Rat, Slg. 1983, 1, und vom 20. Mai 1987 in der Rechtssache 242/85, Geist/Kommission, Slg. 1987, 2181 ), die mit den Artikeln 73 und 78 des Statuts eingeführten Regelungen voneinander verschieden und unabhängig sind, ist zu prüfen, ob die Definition der "Berufskrankheit" in Artikel 3 der Sicherungsregelung für die Auslegung des Artikels 78 Absatz 2 des Statuts übernommen werden kann. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die fraglichen Artikel beide mit den gleichen Worten beginnen (" Dans les conditions fixées...", "Dans les conditions prévüs..."; deutsche Fassung : "... gemäß", "... unter den... vorgesehenen Bedingungen "). Während jedoch Artikel 73 Absatz 1 des Statuts die Organe ermächtigt, durch eine im gegenseitigen Einvernehmen beschlossene Regelung die Bedingungen für die Gewährung der in den Absätzen 2 und 3 vorgesehenen Leistungen festzusetzen, verweist Artikel 78 Absatz 1 des Statuts hinsichtlich der Bedingungen für die Entstehung eines Anspruchs auf ein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit gemäß Artikel 78 auf die Artikel 13 bis 16 des Anhangs VIII. Artikel 3 der Sicherungsregelung definiert somit die "Berufskrankheit" aufgrund der ausdrücklichen Ermächtigung in Artikel 73 des Statuts. Da im Gegensatz dazu Artikel 78 des Statuts den Organen keine solche Ermächtigung erteilt, unterliegt die Durchführung seiner Bestimmungen nur den Bedingungen der Artikel 13 bis 16 des Anhangs VIII des Statuts, die weder eine Definition der "Berufskrankheit" noch eine Verweisung auf Artikel 73 des Statuts oder auf die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel enthalten. Es würde deshalb der Systematik der erwähnten Vorschriften widersprechen, wenn für die Durchführung von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts auf eine Definition Bezug genommen würde, die aufgrund einer ausdrücklichen Ermächtigung des Statuts in der Sicherungsregelung aufgestellt worden ist, was um so mehr gilt, wenn eine solche Bezugnahme eine Einschränkung der Rechte der Betroffenen zur Folge hätte.

20 Auch das auf die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates gestützte Vorbringen vermag nicht zu überzeugen. Denn da diese Verordnung sich darauf beschränkt, die nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit zu koordinieren, kann auf sie für die Auslegung des Beamtenstatuts nicht Bezug genommen werden, das als autonomer Rechtstext der Gemeinschaften in seinem eigenen Zusammenhang und gemäß seinen eigenen Zielen auszulegen ist.

21 Der Gerichtshof hat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmungen über das Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit entschieden, daß die Änderung des Artikels 78 des Statuts im Jahre 1972 bezweckt hat, ungerechtfertigte Leistungen zu verhindern, und daß die derzeitige Regelung so auszulegen ist, daß sie solche Sachverhalte vom Anwendungsbereich des Absatzes 2 ausschließt, die sich ausschließlich vor dem Dienstantritt des Beamten zugetragen haben ( Urteil vom 24. November 1983 in der Rechtssache 342/82, Cohen/Kommission, Slg. 1983, 3829, Randnrn. 13 bis 17 ). Der Krankheitszustand des betreffenden Beamten muß in einem hinreichend direkten Zusammenhang mit einem spezifischen und typischen, der von ihm bei den Gemeinschaften ausgeuebten Tätigkeit anhaftenden Risiko stehen ( Urteil vom 12. Januar 1983 in der Rechtssache 257/81, K./Rat, Slg. 1983, 1, Randnr. 20 ).

22 Im Lichte dieser Erwägungen sind die ganz besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache zu prüfen. Der Kläger wurde von der Kommission wegen seiner sehr umfangreichen Berufserfahrung eingestellt. Sein Eintritt in den Dienst der Gemeinschaften war die Fortsetzung - ja sogar der Höhepunkt - einer homogenen beruflichen Karriere, die mit einer manuellen Arbeit im Untertagebau begann und später zu Verwaltungs - und sodann zu Aufsichts - und Kontrollaufgaben auf lokaler, regionaler, nationaler und schließlich auf Gemeinschaftsebene überging. Seine Erfahrung im Untertagebau war Bestandteil dieser Karriere, von der sie ein wesentliches Merkmal darstellte. Die Risiken einer Lungenkrankheit, die sich aus dem Einatmen von Staub im Schacht ergeben, waren bekannt und ebenfalls Bestandteil dieser Karriere.

23 Somit hat die Kommission den Kläger in voller Kenntnis der Tatsache eingestellt, daß er möglicherweise an einer mit seiner Berufstätigkeit zusammenhängenden Krankheit litt. Diese Möglichkeit wurde bestätigt, als sich aus der bei seinem Dienstantritt durchgeführten Röntgenuntersuchung des Brustkorbs das Vorliegen einer chronischen Lungenkrankheit ergab. Diese Untersuchung wurde gemäß Artikel 33 des Statuts im Interesse der Kommission vorgenommen, und ihr Ergebnis kann deshalb nicht, wie der Bevollmächtigte der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Nach Artikel 28 Buchstabe e des Statuts darf nämlich zum Beamten nur ernannt werden, wer die für die Ausübung seines Amtes erforderliche körperliche Eignung besitzt. Zweck der ärztlichen Untersuchung ist es gerade, es dem Organ zu ermöglichen, von der Ernennung eines für das vorgesehene Amt ungeeigneten Bewerbers abzusehen oder aber ihn einzustellen und ihm Aufgaben zuzuweisen, die mit seinem Gesundheitszustand vereinbar sind. Zumindest kann das Organ unter Berufung auf Artikel 1 des Anhangs VIII des Statuts verfügen, daß die für den Fall der Invalidität vorgesehenen Garantien erst nach fünf Jahren wirksam werden, soweit es sich um Folgeerscheinungen oder Nachwirkungen einer Krankheit handelt, an der der Betroffene leidet.

24 Die Kommission hat keine der drei Möglichkeiten gewählt, die ihr zur Verfügung standen. Sie hat dem Kläger vielmehr Aufgaben zugewiesen, die es für ihn erforderlich machten, weiterhin unter Tage zu arbeiten, mit allen Risiken, die sich daraus für die Entwicklung seines Gesundheitszustands ergaben. Es versteht sich von selbst, daß die Kommission auf diese Weise am meisten von der Erfahrung und den Kenntnissen des Klägers und dadurch von seiner mit dem Risiko einer Lungenkrankheit ausgeuebten Berufstätigkeit profitieren konnte. Es wäre offensichtlich ungerechtfertigt, wenn die Kommission derart aus der Berufserfahrung, die der Kläger vor und nach seinem Dienstantritt erworben hat, Nutzen ziehen könnte, ohne deren Nachteile auf sich zu nehmen. Es muß davon ausgegangen werden, daß die Kommission die finanzielle Verantwortung akzeptiert hat, die sich aus dem Risiko ergab, daß die bereits nachgewiesene Lungenkrankheit des Klägers zu einer Invalidität führen würde, die ihm die Ausübung seiner Tätigkeit unmöglich machen würde.

25 Das Klagebegehren erfuellt somit die Voraussetzungen des Artikels 78 Absatz 2 des Statuts, so wie dieser nach Auffassung des Gerichts auszulegen ist.

26 Selbst wenn man das Vorbringen der Kommission für begründet hielte, daß Artikel 78 des Statuts unter Berücksichtigung des Artikels 3 der Sicherungsregelung auszulegen sei, so sind die nach Absatz 2 dieser letztgenannten Vorschrift verlangten Zusammenhänge der Kausalität, Konnexität und Kontinuität doch eindeutig erwiesen. Die Kommission bestreitet nicht, daß der Kläger zum Zeitpunkt seines Dienstantritts unter einer "bestehenden Krankheit" litt und daß es während der Zeit, in der er in ihrem Dienst stand, zu einer "Verschlimmerung" dieser Krankheit gekommen ist. Der Umstand, daß das Vorliegen der Krankheit der Kommission von Anfang an bekannt war, und der Umstand, daß die Verschlimmerung der Krankheit völlig vorhersehbar war, stellen ein Bündel übereinstimmender Vermutungen dar, das ausreicht, um dem Gericht die Feststellung zu ermöglichen, daß die eingetretene Verschlimmerung "in Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften entstanden ist ".

27 Da die erforderlichen Merkmale erfuellt sind, um das Klagebegehren zu rechtfertigen, braucht auf die übrigen Klagegründe und Argumente nicht eingegangen zu werden. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben. Die Kommission hat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem vorliegenden Urteil ergeben.

Kostenentscheidung:

Kosten

28 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 des genannten Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Gericht entsprechend gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT ( Vierte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Entscheidung der Kommission vom 20. Mai 1988, mit der die Anwendung von Artikel 78 Absatz 2 des Beamtenstatuts auf den Kläger abgelehnt und sein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit gemäß Artikel 78 Absatz 3 des Statuts festgesetzt wurde, wird aufgehoben.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück