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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 31.01.2005
Aktenzeichen: T-447/04 R
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 242
EG Art. 243
EG Art. 225 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Beschluss des Präsidenten des Gerichts Erster Instanz vom 31. Januar 2005. - Capgemini Nederland BV gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Fumus boni juris. - Rechtssache T-447/04 R.

Parteien:

In der Rechtssache T-447/04 R

Capgemini Nederland BV mit Sitz in Utrecht (Niederlande), vertreten durch die Rechtsanwälte M. Meulenbelt und H. Speyart,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Parpala als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Antragsgegnerin,

wegen Aussetzung des Vollzugs zum einen der Entscheidung der Kommission, mit der das Angebot der Antragstellerin im Ausschreibungsverfahren JAI-C3-2003-01 für die Entwicklung und Installation des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) und für die mögliche Entwicklung und Implementierung eines Visa-Informationssystems (VIS) im Bereich Justiz und Inneres abgelehnt und der Zuschlag einem anderen Bieter erteilt wurde, und zum anderen der Entscheidung der Kommission, einen Vertrag über die Systeme SIS II und VIS mit einem anderen Bieter zu schließen,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1. Die Kommission schrieb mit Vergabebekanntmachung, die am 25. Juni 2003 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2003, S 119) veröffentlicht wurde, im nicht offenen Verfahren unter dem Aktenzeichen JAIC3200301 einen Auftrag über die Entwicklung und Installation des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) und über die mögliche Entwicklung und Implementierung eines Informationssystems über Visa (VIS) im Bereich Justiz und Inneres aus.

2. Das von der Antragstellerin abgegebene Angebot wurde im Vergabeverfahren nicht angenommen. Die Entscheidung der Kommission, mit der dieses Angebot abgelehnt und das Angebot eines Dritten angenommen wurde, wurde der Antragstellerin am 13. September 2004 zugestellt (im Folgenden: Entscheidung vom 13. September 2004). In dieser Entscheidung gab die Kommission an, sie werde vor dem Abschluss des SIS II/VIS-Vertrags (im Folgenden: streitiger Vertrag) mit dem Bieter, der das beste Angebot abgegeben habe, eine Frist von zwei Wochen verstreichen lassen.

3. Mit Telefax vom 16. September 2004 bat die Antragstellerin die Kommission, gemäß Artikel 100 Absatz 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 248, S. 1; im Folgenden: Haushaltsordnung) um Erläuterung der Gründe für die Entscheidung vom 13. September 2004. Die Antragstellerin rügte mit diesem Telefax auch die von der Kommission geäußerte Absicht, den Auftrag binnen zwei Wochen zu vergeben, und berief sich hierfür auf das Urteil des Gerichtshofes vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C-81/98 (Alcatel Austria u. a., Slg. 1999, I7671).

4. Die Kommission bestätigte mit Schreiben vom 30. September 2004 ihre Absicht, den Auftrag an einen Dritten zu vergeben, und stützte sich dabei auf einen Bericht des Bewertungsausschusses vom August 2004, der diesem Schreiben beigefügt war (im Folgenden: Bewertungsbericht). Nach dem Bewertungsbericht bestanden zwei Bieter, zu denen die Antragstellerin gehörte, die Phasen der technischen Bewertung und wurden zur Phase der finanziellen Bewertung zugelassen.

5. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2004 teilte die Antragstellerin der Kommission mit, es scheine ihr, dass in Anbetracht des Bewertungsberichts die Ablehnung ihres Angebots gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Dementsprechend verlangte sie von der Kommission, das Verfahren nicht fortzusetzen und eine Untersuchung abzuwarten, zu deren Übermittlung an die Kommission binnen einer Woche sie sich verpflichtete.

6. Am 15. Oktober 2004 übermittelte die Antragstellerin der Kommission die Ergebnisse ihrer Untersuchung und bat um Erläuterungen zur Methode der Berechnung des Gesamtwerts ihres Angebots. Erneut verlangte sie von der Kommission, das Vergabeverfahren nicht fortzusetzen.

7. Am 22. Oktober 2004 schloss die Kommission den streitigen Vertrag mit einer von den Gesellschaften Steria-France und HP-Belgium geführten Unternehmensgruppe (im Folgenden: Entscheidung vom 22. Oktober 2004).

8. Am 26. Oktober 2004 veröffentlichte die Kommission die Pressemitteilung IP/04/1300, mit der die Unterzeichnung des streitigen Vertrages mit einer von den Gesellschaften Steria-France und HP-Belgium (im Folgenden: Steria/HP) geführten Unternehmensgruppe mit einem Gesamtbudget von 40 Mio. Euro bekannt gegeben wurde.

9. Mit Schreiben vom 5. November 2004 führte die Antragstellerin gegenüber die Kommission aus, dass der in der Pressemitteilung angekündigte Betrag von 40 Mio. Euro den Gesamtbetrag übersteige, den sie in ihrem Angebot veranschlagt habe. Sie forderte die Kommission ferner auf, ihr Schreiben vom 15. Oktober 2004 zu beantworten und den streitigen Vertrag mit Steria/HP nicht abzuschließen.

10. Mit Schreiben vom 11. November 2004 wies die Kommission die in den Schreiben der Antragstellerin vom 8. und vom 15. Oktober 2004 vorgebrachten Einwände zurück.

Verfahren

11. Mit Klageschrift, die am 15. November 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 erhoben.

12. Mit gesondertem Schriftsatz hat die Antragstellerin gemäß Artikel 76a der Verfahrensordnung des Gerichts die Behandlung ihrer Nichtigkeitsklage im beschleunigten Verfahren beantragt.

13. Mit gesondertem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung Folgendes beantragt:

- Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 bis zur Entscheidung über die vorliegenden Anträge;

- Aussetzung des Vollzugs derselben Entscheidungen bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache;

- für den Fall, dass sich erweist, dass der streitige Vertrag bereits geschlossen worden ist, Aussetzung der Erfüllung dieses Vertrages bis zur Entscheidung des Gerichts zur Hauptsache;

- jede andere einstweilige Anordnung, die als geeignet betrachtet wird;

- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

14. In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Richters der einstweiligen Anordnung vom 17. November 2004 hat die Kommission am folgenden Tag den Zeitpunkt des Abschlusses des streitigen Vertrages angegeben; sie hat ferner ausgeführt, dass sie nicht die Absicht habe, seine Erfüllung bis zum Erlass des Beschlusses des Richters der einstweiligen Anordnung auszusetzen.

15. Der Richter der einstweiligen Anordnung hat mit Beschluss vom 18. November 2004 gemäß Artikel 105 § 2 Absatz 2 die sofortige Aussetzung der Erfüllung des streitigen Vertrages bis zum Erlass des abschließenden Beschlusses im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung angeordnet.

16. Die Kommission hat am 25. November 2004 schriftlich zum Antrag auf einstweilige Anordnung Stellung genommen.

17. Die Parteien haben in der Anhörung vor dem Richter der einstweiligen Anordnung am 2. Dezember 2004 mündlich Stellung genommen.

18. Das Gericht hat am 8. Dezember 2004 dem Antrag der Antragstellerin auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren stattgegeben.

Gründe

19. Das Gericht kann nach den Artikeln 242 EG und 243 EG in Verbindung mit Artikel 225 Absatz 1 EG, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

20. Nach Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung muss ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs zurückzuweisen ist, sofern eine von ihnen fehlt (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. Oktober 1996 in der Rechtssache C268/96 P[R], SCK und FNK/Kommission, Slg. 1996, I4971, Randnr. 30).

Vorbringen der Parteien

Zum Fumus boni iuris

21. In Bezug auf die Entscheidung vom 13. September 2004 macht die Antragstellerin geltend, dass das von Steria/HP abgegebene Angebot weder den finanziellen noch den technischen Voraussetzungen entsprochen habe, die in den Verdingungsunterlagen aufgeführt gewesen seien.

22. Zunächst seien die finanziellen Voraussetzungen aus mehreren Gründen nicht eingehalten worden.

23. Erstens sei die von der Kommission gewählte Methode der finanziellen Bewertung ungewöhnlich gewesen, da sie nicht auf einem Festpreis des Projektes oder der Summe der für jeden der fünfzehn verschiedenen Posten des Projektes angebotenen Preise beruht habe. Sie habe auf Preisverhältnissen beruht, nämlich dem Verhältnis zwischen dem von einem Bieter angebotenen Preis und dem niedrigsten von den übrigen ausgewählten Bietern gebotenen Preis, berechnet auf der Ebene jedes einzelnen der fünfzehn Posten. Sodann sei der Durchschnitt der Preisverhältnisse der fünfzehn Posten berechnet und damit der Gesamtpreis ermittelt worden. Zwar stehe der Kommission die Wahl eines solchen Systems der finanziellen Bewertung unbestreitbar zu, doch führe dieses System zu unbilligen Ergebnissen, wenn die Kommission nicht besonders sorgfältig prüfe, ob die Preise, die die Bieter jedem Posten zugeordnet hätten, nachvollziehbar, genau und nicht ungewöhnlich niedrig seien. Eine nicht ordnungsgemäße Prüfung insbesondere der am wenigsten wesentlichen Posten habe unverhältnismäßige Auswirkungen auf das Gesamtpreisverhältnis.

24. Bei diesem Bewertungssystem seien die Bieter gezwungen gewesen, einen Preis für jeden der fünfzehn Posten des Projektes anzugeben. Die Antragstellerin bezieht sich hierfür auf mehrere Bestimmungen in den Verdingungsunterlagen einschließlich der Klausel 5.4 der Verwaltungsanweisungen. Die Pflicht zur Angabe eines Preises sei umso notwendiger gewesen, als die finanzielle Bewertung nicht auf dem Gesamtbetrag der für die fünfzehn Posten des Projektes angebotenen Preise beruht habe, sondern sich auf die auf der Ebene jedes Postens berechneten Preisverhältnisse gestützt habe.

25. Im vorliegenden Fall gehe klar aus dem Bewertungsbericht hervor, dass Steria/HP sich absichtlich dafür entschieden habe, für die Posten 6 (Simulatoren), 7 (nationale Schnittstellen) und 11 (zusätzlich wählbare VIS-Funktionen) keinen Preis oder einen Preis von null anzugeben. Anstatt das Angebot von Steria/HP als nicht ausschreibungsgerecht abzulehnen, habe es die Kommission angenommen und dabei einen Preis von 0,01 Euro für jeden dieser Posten festgesetzt, was das Gesamtpreisverhältnis in schwerwiegender Weise verzerrt habe.

26. Zweitens seien die von Steria/HP angebotenen Preise ungewöhnlich niedrig gewesen. In Anbetracht der von der Kommission gewählten Methode der finanziellen Bewertung, wonach jeder der fünfzehn Posten einen erheblichen Einfluss auf das Gesamtpreisverhältnis gehabt habe, hätten die Regeln für ungewöhnlich niedrige Angebote bei jedem der fünfzehn Posten angewandt werden müssen. Im vorliegenden Fall habe neben den Posten 6, 7 und 11 des Angebots von Steria/HP, für die kein Preis angegeben worden sei, das Angebot dieser Unternehmensgruppe in Bezug auf die Posten 1 (Verwaltung des Projektes) und 2 (detaillierte Planung) die Kommission zu der Frage veranlassen müssen, ob nicht ungewöhnlich niedrige Preise festgesetzt worden seien. Aus dem Schreiben der Kommission vom 11. November 2004 gehe jedoch hervor, dass die Kommission die Regeln für ungewöhnlich niedrige Angebote im vorliegenden Fall nicht angewandt habe.

27. Drittens habe die Kommission den in Artikel 138 Absatz 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Haushaltsordnung (ABl. L 357, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung) verankerten Grundsatz der Wahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht eingehalten. Denn aus der Pressemitteilung der Kommission vom 26. Oktober 2004 gehe hervor, dass der Gesamtbetrag des Angebots von Steria/HP deutlich höher als derjenige ihres Angebots gewesen sei. In Bezug auf den Gesamtbetrag ihres Angebots macht die Antragstellerin geltend, dass die Kommission einen in ihrem ursprünglichen Angebot vorgelegten falschen Betrag berücksichtigt habe, der höher als der tatsächliche Betrag gewesen sei, da sie rechtswidrigerweise ein Korrigendum nicht beachtet habe, das ihr am 26. Mai 2004 zugesandt worden sei.

28. Zweitens seien die technischen Voraussetzungen des Angebots verkannt worden. Zunächst habe das Angebot von Steria/HP nicht die Entwicklung von den in der Ausschreibung angegebenen technischen Spezifikationen entsprechenden nationalen Schnittstellen umfasst, obwohl die technischen Spezifikationen die Installation nationaler Schnittstellen auf nationaler Ebene vorgesehen hätten. Die Beweismittel, über die sie verfüge, belegten nämlich, dass die von Steria/HP angebotene Lösung nicht die Installation nationaler Schnittstellen in den Räumen der Benutzer, also in den Mitgliedstaaten, umfasst habe. Diese Beweismittel erlaubten auch den Schluss, dass das Angebot von Steria/HP nicht die Entwicklung und die Lieferung nationaler Simulatoren vorgesehen habe, die jedoch notwendig gewesen seien, um das ordnungsgemäße Funktionieren der nationalen Schnittstellen zu überwachen.

29. Nach ständiger Rechtsprechung sei ein Angebot, das nicht den in der Ausschreibung aufgeführten grundlegenden technischen Anforderungen genüge, abzulehnen. Diese Regel sei durch Artikel 1.3 der technischen Spezifikationen ausdrücklich bestätigt worden, wonach die Kommission an den gesamten Wortlaut der Dokumente in den Verdingungsunterlagen gebunden sei. Hätte Steria/HP eine alternative technische Lösung (eine Variante) angeboten, so hätte die Kommission ihr Angebot sofort ablehnen müssen.

30. In Bezug auf die Entscheidung vom 22. Oktober 2004 macht die Antragstellerin geltend, dass sie für nichtig zu erklären sei, da die Kommission den Grundsatz des Anspruchs auf einen effektiven gerichtlichen Schutz verletzt habe (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18, und vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-50/00 P, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Slg. 2002, I6677, Randnr. 39). Im Bereich der nationalen öffentlichen Ausschreibungen sei dieser Grundsatz in der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) entwickelt und vom Gerichtshof bestätigt worden (Urteil Alcatel Austria u. a).

31. Nach diesem Grundsatz müsse der öffentliche Auftraggeber zwischen der Erteilung des Zuschlags und dem Abschluss des Vertrages eine angemessene Frist abwarten, um es den nicht berücksichtigten Bietern zu ermöglichen, innerhalb dieser Frist einen Antrag auf einstweilige Anordnungen gegen die Zuschlagserteilung zu beantragen. Obwohl die Haushaltsordnung und die Durchführungsverordnung keine Bestimmungen in Bezug auf die Klagen beim Gemeinschaftsgericht enthielten, gelte im vorliegenden Fall nach dem allgemeinen Grundsatz des Anspruchs auf einen effektiven gerichtlichen Schutz eine derjenigen aus der Richtlinie 89/665 entsprechende Verpflichtung.

32. Im vorliegenden Fall habe die Kommission entschieden, den streitigen Vertrag abzuschließen, ohne in ihrem Schreiben vom 30. September 2004, das die erste Begründung der Entscheidung vom 13. September 2004 enthalten habe, eine angemessene Frist zu setzen. Diese Frist hätte es ihr erlaubt, einen effektiven gerichtlichen Schutz gegen die genannte Entscheidung in Form eines Antrags auf einstweilige Anordnungen auf der Grundlage einer Klage auf Nichtigerklärung der ablehnenden Entscheidung vorzubereiten. Durch die Festsetzung einer Frist von zwei Wochen habe die Kommission de facto ihr Recht beeinträchtigt, innerhalb der in Artikel 230 EG vorgesehenen Frist von zwei Monaten eine Nichtigkeitsklage oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung einzureichen, und damit gegen Artikel 230 EG verstoßen.

33. Ferner habe die Kommission durch den Erlass der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 gegen Artikel 103 der Haushaltsordnung verstoßen, wonach ein Organ als Auftraggeber verpflichtet sei, das Verfahren auszusetzen, wenn die Möglichkeit eines Fehlers oder einer Unregelmäßigkeit bestehe. Ferner ergebe sich aus Artikel 153 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, dass das Vorliegen eines Problems nicht unwiderleglich nachgewiesen sein müsse, damit Artikel 103 Absatz 1 der Haushaltsordnung Anwendung finden könne.

34. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Voraussetzung des Fumus boni iuris nicht erfüllt sei.

35. Einleitend weist sie darauf hin, dass sie über einen weiten Ermessensspielraum bei der Bewertung der Umstände verfüge, die zu berücksichtigen seien, wenn sie über die Erteilung eines Zuschlags zum Abschluss eines Vergabeverfahrens entscheide. Ferner habe die Antragstellerin die Methode der Bewertung der Preise anerkannt, da Klausel 3.1 der Verwaltungsanweisungen der Verdingungsunterlagen ausdrücklich vorsehe: Mit der Abgabe eines Angebots verpflichten sich die Bieter unwiderruflich zur Beteiligung an allen Bewertungsverfahren, die in der vorliegenden Ausschreibung vorgesehen sind.

36. Zur angeblichen Nichtbeachtung der finanziellen Voraussetzungen macht die Kommission erstens geltend, dass die Klägerin das Angebot von Steria/HP beanstande, soweit darin der Preis bestimmter Posten nicht oder auf null festgesetzt worden sei, obwohl sie selbst bei mehreren Posten, u. a. Posten 8 (Lieferungen an die Benutzer), ebenso vorgegangen sei.

37. Zwar verlange Klausel 2.8 der Verwaltungsanweisungen der Verdingungsunterlagen tatsächlich von den Bietern die Angabe eines Preises für alle Posten, doch stelle auch ein Preis in Höhe von null einen Preis dar, der hingenommen werden müsse. Denn die Angabe eines Preises in Höhe von null für bestimmte Posten könne in unmittelbarem Zusammenhang mit der Art des Vertrages stehen und sich als vollauf gerechtfertigt erweisen.

38. Es sei Sache der Bieter, die Lösungen vorzuschlagen, die sie als die geeignetsten für die Erreichung der Ziele und der strategischen Erfordernisse der Ausschreibung erachteten. Dementsprechend werde von den Bietern erwartet, dass sie geeignete technische Lösungen anböten. Die Angabe eines Preises in Höhe von null für bestimmte Posten stelle also keine Preismanipulation dar.

39. Was die angeblich von ihr vorgenommene Preisänderung betreffe, so habe sie den Preis von 0,01 Euro allein zu dem Zweck verwendet, eine mathematische Berechnung vornehmen zu können. Diese Rechtfertigung sei auch im Bewertungsbericht aufgeführt, und sie sei bei allen betroffenen Posten und bei allen Bietern in gleicher Weise verfahren.

40. Zweitens ist die Kommission der Ansicht, sie habe die Bestimmungen über ungewöhnlich niedrige Angebote nicht verkannt. Denn der Gesamtvertragswert des Auftrags für SIS II und VIS sei nach der Vergabebekanntmachung auf zwischen 28 und 38 Mio. Euro geschätzt worden. Der Wert des unterzeichneten Vertrages habe 37 Mio. Euro überstiegen, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Angebot ungewöhnlich niedrig im Sinne von Artikel 139 der Durchführungsverordnung gewesen sei.

41. In Bezug auf, drittens, die angebliche Nichtbeachtung des Grundsatzes der Wahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots macht die Kommission geltend, dass die Antragstellerin kein Angebot abgegeben habe, dessen Gesamtwert unter demjenigen von Steria/HP gelegen habe, und dass die Antragstellerin ihr zwar ein Korrigendum vom 26. Mai 2004 übersandt habe, doch sei sie nicht verpflichtet, dieses zu berücksichtigen. Denn nach Artikel 148 Absatz 3 der Durchführungsverordnung könne der Auftraggeber mit dem Bieter Kontakt aufnehmen, wenn es um die Berichtigung offenkundiger sachlicher Irrtümer gehe. Im vorliegenden Fall handele es sich um einen Multiplikationsfehler der Antragstellerin, der die Kommission nicht dazu verpflichtet habe, sie zu kontaktieren.

42. In Bezug auf die angebliche Nichteinhaltung der technischen Kriterien macht die Kommission geltend, bei den nationalen Schnittstellen sei zwischen einem Kommunikationsteil einerseits und einem logischen Softwareteil andererseits zu unterscheiden. Nur der Kommunikationsteil, der nicht zur Ausschreibung gehöre, sei in den Räumen der Mitgliedstaaten zu installieren, während der logische Softwareteil zentral installiert werden könne. Die Definition der nationalen Schnittstelle in der Ausschreibung habe nicht angegeben, ob diese mit allen ihren Bestandteilen zentral oder national installiert werden solle, sondern es habe darin eindeutig geheißen, dass die nationale Schnittstelle weiterhin der Verantwortung des Zentralbereichs unterliege. Die Möglichkeit, den Softwareteil einer nationalen Schnittstelle zentral zu installieren, werde durch das Gutachten bescheinigt, das die Kommission von der Beratungsfirma Deloitte & Touche habe erstellen lassen und das der Ausschreibung als Teil der technischen Unterlagen beigefügt gewesen sei. Dieses Gutachten prüfe die Vor- und Nachteile im Zusammenhang mit der Installation des Softwareteils der nationalen Schnittstelle zentral oder auf nationaler Ebene. Wenn die Installation der Bestandteile der nationalen Schnittstelle in den Mitgliedstaaten als zwingend angesehen worden wäre, so hätte es keinen Sinn ergeben, das Gutachten den technischen Unterlagen beizufügen.

43. Im Übrigen stellt die Kommission in Beantwortung eines Arguments der Antragstellerin klar, dass das Angebot von Steria/HP tatsächlich Simulatoren (Posten 6) umfasst habe, dass dieser Posten jedoch im Posten 5 (Zentralbereich) enthalten gewesen sei.

44. Zu dem Vorbringen, mit dem die angebliche Rechtswidrigkeit der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 dargelegt werden soll, macht die Kommission geltend, sie habe den Grundsatz des Anspruchs auf eine effektive Klagemöglichkeit keineswegs verkannt, wobei die Richtlinie 89/665 und das Urteil Alcatel Austria u. a. im vorliegenden Fall nicht einschlägig seien. Ferner seien bei der Entscheidung vom 13. September 2004 und dem Schreiben vom 30. September 2004 an die Antragstellerin die Begründungspflichten, die ihr gemäß Artikel 100 Absatz 2 Satz 1 der Haushaltsordnung oblägen, voll beachtet worden. Die im Schreiben vom 30. September 2004 enthaltene Begründung habe nämlich der Antragstellerin eindeutig das gerichtliche Vorgehen ermöglicht.

45. Artikel 103 der Haushaltsordnung, auf den sich die Antragstellerin berufe, sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Zur Dringlichkeit

46. Die Antragstellerin macht geltend, wenn die beantragten einstweiligen Anordnungen nicht erlassen würden, drohe ihr ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden zu entstehen.

47. Der Schaden, der ihr entstehen würde, wäre schwer, denn nachdem die einzigen in der Schlussphase des Ausschreibungsverfahrens berücksichtigten Angebote das ihrige und das von Steria/HP gewesen seien, hätte die Ablehnung des Angebots von Steria/HP zur Folge gehabt, dass der Zuschlag ihr erteilt worden wäre.

48. Da das Projekt SIS II/VIS von außergewöhnlicher Bedeutung sei, kämen ferner der Verlust dieser Referenz und der Verlust der Chance, ihre Befähigung zur Entwicklung von Datenverarbeitungssystemen im internationalen Maßstab darzustellen, zu ihrem Schaden hinzu.

49. In diesem Zusammenhang fügt die Antragstellerin hinzu, dass die mit der Verwirklichung des Projektes befassten Unternehmen in eine viel günstigere Lage als ihre Mitbewerber bei künftigen Ausschreibungen versetzt würden, die die Kommission im Zusammenhang mit den Systemen SIS II und VIS insbesondere zum Zweck der Erstreckung des Systems auf andere Mitgliedstaaten und die die Mitgliedstaaten und die Gebietskörperschaften des Schengen-Raumes beispielsweise bei der Aktualisierung ihrer nationalen Informationssysteme durchführten. Der Gesamtbetrag dieser ergänzenden Aufträge sei deutlich höher als der Wert des von der Kommission im vorliegenden Fall ausgeschriebenen Zentralsystems.

50. Der entstandene Schaden wäre auch nicht wieder gutzumachen. Im vorliegenden Fall seien die Erteilung des Zuschlags und erst recht die Durchführung und die Erfüllung des Auftrags, auch während der Dauer des Verfahrens der einstweiligen Anordnung, geeignet, die Kommission daran zu hindern, die getroffenen Entscheidungen zu ändern. Um zu verhindern, dass die Antragstellerin vor vollendete Tatsachen gestellt werde, sei es daher unerlässlich, den Vollzug dieser Entscheidungen unverzüglich auszusetzen. Das Unterbleiben jeder einstweiligen Anordnung hätte zur Folge, dass einem vom Gericht ausgesprochenen Nichtigkeitsurteil jede praktische Wirksamkeit genommen würde. Wie der Gemeinschaftsrichter eingeräumt habe, könne eine Entscheidung zur Hauptsache, die nach Erfüllung des Vertrages erginge, den Schaden für die Gemeinschaftsrechtsordnung und für die ausgeschalteten Bieter nicht beseitigen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 22. April 1994 in der Sache C87/94 R, Kommission/Belgien, Slg. 1994, I1395, Randnr. 31). Daher würde die Zuwilligung von Schadensersatz keine angemessene Wiedergutmachung darstellen.

51. In der Anhörung hat die Antragstellerin ausgeführt, dass sich das vorliegende Verfahren von den Rechtssachen, die mit den Beschlüssen des Präsidenten des Gerichts vom 27. Juli 2004 in der Rechtssache T148/04 R (TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, Slg. 2004, II0000) und vom 10. November 2004 in der Rechtssache T303/04 R (European Dynamics/Kommission, Slg. 2004, II0000) abgeschlossen worden seien, dadurch unterscheide, dass entgegen den Märkten, um die es in diesen Rechtssachen gegangen sei, der in Rede stehende Markt wegen seiner Einzigartigkeit in Europa und möglicherweise in der ganzen Welt sehr eng sei. Der Zugang zum in Rede stehenden Markt sei nur durch die Erlangung des Auftrags im Rahmen des streitigen Vergabeverfahrens möglich.

52. Die Kommission macht geltend, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung des Auftrags habe, selbst wenn die Entscheidung vom 13. September 2004 und die Entscheidung vom 22. Oktober 2004 für nichtig erklärt würden. Wenn im Übrigen das Gericht zu der Feststellung gelangen sollte, dass bei der finanziellen Bewertung ein Fehler begangen worden sei, so wäre das Angebot der Antragstellerin mit dem gleichen Fehler behaftet, denn sie habe für bestimmte Posten einen Preis von null angegeben.

53. Der Verlust einer künftigen Referenz oder einer Gelegenheit, ihre Fähigkeiten darzustellen, lasse nach ständiger Rechtsprechung niemals einen Schaden entstehen, der den Erlass einstweiliger Anordnungen rechtfertigte. Insbesondere werde der Verlust einer künftigen Referenz die Antragstellerin nicht daran hindern, sich erfolgreich an späteren Ausschreibungen zu beteiligen. Ferner könne ein Schaden, der vom Eintritt künftiger, ungewisser Ereignisse abhänge, wegen seines hypothetischen Charakters die einstweiligen Anordnungen nicht rechtfertigen.

54. Zum angeblich nicht wieder gutzumachenden Charakter des Schadens führt die Kommission vorab aus, dass der erwähnte Beschluss Kommission/Belgien für den vorliegenden Fall irrelevant sei, da mit Artikel 226 EG und Artikel 230 Absatz 4 EG unterschiedliche Zwecke verfolgt würden. Konkret habe einer der Gründe, aus denen in der mit dem erwähnten Beschluss Kommission/Belgien abgeschlossenen Rechtssache eine einstweilige Anordnung möglich erschienen sei, darin bestanden, dass es keine andere Maßnahme zum Schutz der Interessen der Bieter gegeben habe.

55. Zudem könne ein Schaden nicht als nicht oder auch nur schwer wieder gutzumachend zu betrachten sein, wenn er später durch die Gewährung von Schadensersatz gemäß Artikel 288 EG behoben werden könne.

56. Schließlich seien der Umfang und der tatsächliche Eintritt des entstandenen Schadens aufgrund der Ablehnung des Angebots der Antragstellerin wie auch seine Schwere und sein nicht wieder gutzumachender Charakter nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin habe auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Existenz in Gefahr zu geraten oder ihre Stellung auf dem Markt in nicht wieder gutzumachender Weise beeinträchtigt zu werden drohe.

57. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts könne die Dringlichkeit nicht mit dem Vorbringen glaubhaft gemacht werden, dass der streitige Vertrag im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils zur Hauptsache in der Erfüllung begriffen sei (Beschluss TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, Randnr. 55). Denn wenn sich die Ablehnung des Angebots der Antragstellerin als ungerechtfertigt erweise, könne für sie ein Ausgleich geschaffen werden; die Kosten ihrer Beteiligung an der Ausschreibung könnten beziffert und ersetzt werden, eine finanzielle Entschädigung könne vorgesehen werden, und es stehe der Antragstellerin dann frei, sich an neuen Ausschreibungen zu beteiligen. Bei der Anhörung hat die Kommission hierzu ausgeführt, dass im Fall der Nichtigerklärung einer Entscheidung das betroffene Organ nach Artikel 233 EG verpflichtet sei, daraus unter Berücksichtigung des Tenors des Urteils die Konsequenzen zu ziehen. Allerdings sähen weder die anwendbare Regelung noch die Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts vor, welche Konsequenzen zu ziehen seien, wenn ein Vertrag unterzeichnet worden und in der Erfüllung begriffen sei. Im vorliegenden Fall handele es sich um einen wirksamen Vertrag nach belgischem Zivilrecht. Ferner würde eine Nichtigerklärung der streitigen Verträge zu erheblichen Verzögerungen bei der Verwirklichung des Projektes SIS II und VIS führen, was der Entwicklung und Erhaltung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Artikel 2 EU) schade.

Zur Abwägung der Interessen

58. Die Antragstellerin macht erstens geltend, dass die Verletzung des gemeinschaftlichen Auftragsvergaberechts und die durch diese verursachte Beeinträchtigung des Gemeinschaftsrechts und der Rechte der anderen Bieter für sich ein des Schutzes durch die Gemeinschaftsgerichte würdiges Interesse darstellten (Beschluss Kommission/Belgien).

59. Zweitens macht sie geltend, eine leichte Verzögerung bei der Ausführung des Projektes SIS II/VIS schade den Interessen der Kommission und der Mitgliedstaaten nicht in unverhältnismäßiger Weise. Denn es sei weder notwendig, dass das gegenwärtige Schengener Informationssystem vor Ende 2007 durch das künftige System ersetzt werde noch dass die vorläufige Annahme des SISIISystems vor dem 31. März 2007 erfolge. Nichts deute darauf hin, dass eine leichte Verzögerung einen ganz erheblichen Schaden verursachen würde oder dass dieser Schaden nicht durch leichte Beschleunigung der Umsetzung auf einen annehmbaren Umfang zurückgeführt werden könne. Umgekehrt schaffe der streitige Vertrag eine vollendete Tatsache, die sowohl der Antragstellerin als auch der Gemeinschaftsrechtsordnung einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden entstehen lassen oder dazu beitragen würde.

60. Drittens könnten eine Ablehnung des Angebots von Steria/HP und eine Erteilung des Zuschlags an sie sehr schnell erfolgen. Auch könnten noch weitere zur Abstellung der Verletzungen des Gemeinschaftsrechts bestimmte Maßnahmen ergriffen werden, wie etwa, es ihr zu erlauben, ein Angebot auf der Grundlage der offenkundig für die Erteilung des Zuschlags an Steria/HP zugrunde gelegten Kriterien einzureichen, oder aber die Veranstaltung einer neuen Ausschreibung für das Projekt.

61. Viertens habe die Kommission selbst unter der Annahme, dass die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 der Kommission oder den Mitgliedstaaten einen Schaden verursachen würde, einen solchen Schaden selbst verursacht. Die Antragstellerin habe stets mit großer Sorgfalt gehandelt, was einen maßgeblichen Umstand bei der Abwägung der Interessen darstelle (Beschluss Kommission/Belgien, Randnr. 34).

62. Fünftens hat die Antragstellerin bei der Anhörung geltend gemacht, dass die Ausführungen der Kommission zum Zeitplan für die Verwirklichung des Projektes wenig überzeugend seien. Sie würden im Übrigen durch ein Dokument des Rates vom 23. November 2001, das zwischen den Abordnungen der für die Durchführung des SIS-Systems verantwortlichen Mitgliedstaaten ausgetauscht worden sei, widerlegt, wonach es möglich wäre, selbst mit 30 Mitgliedstaaten mit dem gegenwärtigen SIS-System weiterzuarbeiten.

63. Sechstens hat die Antragstellerin bei der Anhörung noch auf den Umstand hingewiesen, dass der Rat der Kommission die Aufgabe der Entwicklung des SISIISystems bereits 2001 übertragen habe. Ferner sei der Beginn der Entwicklung des Projektes SIS II/VIS ursprünglich für Januar 2004 vorgesehen gewesen. Es könne nicht zugelassen werden, dass die Kommission ein Ausschreibungsverfahren verspätet durchführe und gleichzeitig geltend mache, die Dringlichkeit sei so groß, dass einstweilige Anordnungen ausgeschlossen werden müssten.

64. Die Kommission macht geltend, dass einstweilige Anordnungen der Gemeinschaft, ihr selbst, den Mitgliedstaaten, drei Drittstaaten und im Übrigen dem Vertragspartner einen Schaden verursachen würden und dass ein solcher Schaden bei weitem denjenigen übersteige, der der Antragstellerin bei Zurückweisung ihres Antrags eventuell entstünde.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

Zum Fumus boni iuris

65. In ihrem Antrag auf einstweilige Anordnungen unterscheidet die Antragstellerin zwischen den Gründen für die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 (vgl. oben, Randnrn. 21 bis 29) einerseits und den Gründen für die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 (vgl. oben, Randnrn. 30 bis 33) andererseits.

66. Eine Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004, mit der das Angebot der Antragstellerin abgelehnt und dasjenige eines Dritten angenommen wurde, würde der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 ihre Rechtsgrundlage nehmen. Die letztgenannte Entscheidung wäre somit rechtswidrig und müsste daher für nichtig erklärt werden.

67. Es genügt daher zunächst, zu prüfen, ob die im Antrag auf einstweilige Anordnungen dargestellten Gründe für die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 glaubhaft erscheinen.

68. Vorab ist zunächst auszuführen, dass nach Artikel 89 Absatz 1 der Haushaltsordnung für öffentliche Aufträge, die ganz oder teilweise aus dem Haushalt der Gemeinschaft finanziert werden, die Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung gelten. Sodann sind nach Artikel 97 Absatz 1 der Haushaltsordnung die Zuschlagskriterien zur Bewertung des Inhalts der Angebote vorab festzulegen und in den Verdingungsunterlagen zu spezifizieren. Schließlich bedeuten nach ständiger Rechtsprechung die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz, dass die Zuschlagskriterien in den Verdingungsunterlagen oder in der Ausschreibungsbekanntmachung so gefasst werden müssen, dass alle durchschnittlich fachkundigen Bieter sie bei Anwendung der üblichen Sorgfalt in gleicher Weise auslegen können (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofes vom 18. Oktober 2001 in der Rechtssache C19/00, SIAC Construction, Slg. 2001, I7725, Randnr. 42).

69. Weiter ist, ebenfalls vorab, auszuführen, dass die Kommission nach ständiger Rechtsprechung über einen weiten Spielraum bei der Beurteilung der Gesichtspunkte verfügt, die bei einer Entscheidung über die Vergabe eines ausgeschriebenen Auftrags zu berücksichtigen sind, und dass sich die Kontrolle des Gemeinschaftsgerichts auf die Nachprüfung der Frage beschränken muss, ob kein schwerer und offenkundiger Fehler vorliegt (Urteil des Gerichtshofes vom 23. November 1978 in der Rechtssache 56/77, Agence européenne d'intérims/Kommission, Slg. 1978, 2215, Randnr. 20, und Urteil des Gerichts vom 8. Mai 1996 in der Rechtssache T19/95, Adia interim/Kommission, Slg. 1996, II321, Randnr. 49).

70. Nach diesen Vorbemerkungen ist der Richter der einstweiligen Anordnung der Ansicht, dass zwei der von der Antragstellerin vorgetragenen Gründe Gewicht haben.

71. Mit dem ersten Grund wird ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung der finanziellen Bewertung des von Steria/HP vorgelegten Angebots gerügt, der darin liegt, dass nicht für jeden der fünfzehn Posten ihres Angebots ein Preis angegeben worden sei.

72. Es stellt sich die Frage, ob die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kommission bei ihrer Beurteilung insofern ein offensichtlicher Fehler unterlaufen ist, als sie das in der Ausschreibung vorgesehene System der finanziellen Bewertung so angewandt hat, dass die finanziellen Angebote nicht ihren tatsächlichen Wert in diesem Zusammenhang wiedergaben.

73. Im vorliegenden Verfahren hat die Kommission ausgeführt, dass Klausel 2.8 der Verwaltungsanweisungen der Verdingungsunterlagen die Bieter verpflichtet habe, einen Preis für jeden Posten anzugeben, und dass diese Verpflichtung auch durch die Angabe eines Preises von null habe erfüllt werden können. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass im Angebot von Steria/HP für die Posten 6 (Simulatoren), 7 (nationale Schnittstellen) und 11 (zusätzliche VISFunktionen) kein Preis oder ein Preis von null angegeben war, dass jedoch die jedem dieser Posten entsprechenden Preise im Ansatz des Betrages für andere, technisch nicht abtrennbare Posten enthalten waren. So waren die Preise für die Posten 6, 7 und 11 in den Preisen für die Posten 4 (Zentralsystem), 3 (Systemumgebungen) und 2 (detaillierte Planung) enthalten.

74. Somit stellt sich die Frage, ob der Umstand, dass die Kommission das Fehlen einer Preisangabe oder die Angabe eines Preises von null für einen oder mehrere Posten des Angebots als den Verdingungsunterlagen entsprechend angenommen hat, wenn die für diesen oder diese Posten und die damit verbundenen Preise vorgeschlagene Lösung in einem oder mehreren anderen Posten dieses Angebots enthalten war, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler glaubhaft erscheinen lässt.

75. Klausel 2.8 der Verwaltungsanweisungen der Verdingungsunterlagen sah vor, dass die Bieter für die Zwecke der finanziellen Bewertung die Preise für sämtliche Posten anzugeben hatten und dass in Bezug auf die Finanzseite sämtliche Preise in Euro auszudrücken und klar anzugeben waren sowie gegebenenfalls sämtliche Einzelheiten der Berechnung der Preise für sämtliche Posten und Unterposten zu umfassen hatten.

76. Nach dieser Bestimmung musste der Preis für jeden im Angebot enthaltenen Posten angegeben werden und durfte nicht in einem anderen Posten enthalten sein.

77. Dieses Ergebnis wird durch die Zielsetzung des im streitigen Vergabeverfahren gewählten finanziellen Bewertungsverfahrens selbst bestätigt.

78. So war in Klausel 5.4 der Verwaltungsanweisungen der Verdingungsunterlagen unter dem Kapitel Finanzielle Bewertung ein auf fünfzehn verschiedenen Posten beruhendes System festgelegt. Daraus geht hervor, dass die Angebote für die Zwecke der finanziellen Bewertung nicht unter Zugrundelegung des Gesamtbetrags der für die fünfzehn verschiedenen Posten angebotenen Preise beurteilt würden, sondern unter Berücksichtigung der Verhältnisse der für jeden Posten berechneten Preise. Denn bei jedem Posten beruhte die von der Kommission verwendete Bewertungsmethode auf einer Punktzahl, die jedem Bieter auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen dem von ihm angebotenen Preis einerseits und dem niedrigsten von den anderen für die finanzielle Bewertung ausgewählten Bietern angebotenen Preis andererseits vergeben wurde. Wie die Antragstellerin von der Kommission unwidersprochen ausführt, wurde daher die Punktzahl für jeden Posten gleich gewichtet, und zwar unabhängig von Umfang und Komplexität der verschiedenen Posten.

79. Würde der Ansicht der Kommission gefolgt und zugelassen, dass für einen Posten, der tatsächlich einer technischen Lösung entspricht, ein Preis von null angegeben werden könnte, so würde damit letztlich zugelassen, dass ein Bieter sein Gesamtpreisverhältnis künstlich verbessern und damit das beste Gesamtpreisverhältnis erzielen könnte, ohne dass jedoch der Gesamtwert seines Angebots der niedrigste wäre. Denn, wie die Antragstellerin richtig ausführt, würde es dieses System einem Bieter erlauben, sein Gesamtpreisverhältnis künstlich beispielsweise dadurch zu verbessern, dass er jeweils 500 000 Euro bei zwei Posten im Wert von jeweils 1 Mio. Euro abzöge und diese Beträge bei einem Posten im Wert von 10 Mio. Euro hinzufügte. Ein Bieter könnte auch dadurch ein besonders interessantes Gesamtpreisverhältnis erreichen, dass er für fünf oder sechs geringere Posten einen Preis anböte, der künstlich unterhalb der Hälfte des Preises seiner Wettbewerber läge. Auf diese Weise könnte das beste Gesamtpreisverhältnis erzielt werden, auch wenn der Gesamtwert des Angebots offensichtlich über dem aller anderen Angebote läge. Der Richter der einstweiligen Anordnung stellt fest, dass die Kommission nicht erläutert hat, inwiefern die Einzelheiten der Anwendung des Systems der finanziellen Bewertung, die sie im vorliegenden Fall gewählt hat, es erlaubten, eine solche Gefahr zu vermeiden.

80. An dieser Beurteilung ändert das Argument der Kommission nichts, dass sie den Bietern nicht die Möglichkeit habe nehmen wollen, ihre technischen Lösungen ohne Einschränkungen anzubieten. Abgesehen davon, dass sich dieses Argument auf die technische Bewertung und nicht auf die finanzielle Bewertung bezieht, wird nicht einmal vorgetragen, dass es nicht möglich gewesen wäre, von den Bietern die Abgabe eines ungefähren Preises für jeden Posten des Angebots zu verlangen, obwohl die technische Lösung Teil eines anderen Postens war.

81. Die von der Kommission vertretene Auslegung der finanziellen Anweisungen der Verdingungsunterlagen gewährleistet daher unter Verletzung des im vorliegenden Fall geltenden (Nr. IV.2 der Ausschreibungsbekanntmachung) Grundsatzes der Wahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot gewählt wird.

82. Somit ist glaubhaft gemacht, dass die Kommission durch die Hinnahme des Fehlens der Angabe eines Preises oder der Angabe eines Preises von null für bestimmte Posten des Angebots von Steria/HP, obwohl nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie das Angebot hätte ablehnen müssen, weil es die Ausschreibungsbedingungen nicht erfüllte, die Verdingungsunterlagen nicht beachtet und einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat.

83. Der zweite Grund, der nach Ansicht des Richters der einstweiligen Anordnung Gewicht hat, betrifft die Nichtbeachtung der technischen Voraussetzungen des Angebots für die nationalen Schnittstellen (Posten 7). Denn die Antragstellerin rügt, dass die von Steria/HP angebotene Lösung nicht die Installation nationaler Schnittstellen in den Räumen der Benutzer, also der Mitgliedstaaten, beinhalte, obwohl dies in der Ausschreibung verlangt worden sei.

84. Hierzu ist festzustellen, dass die Spezifikationen in der Ausschreibung es als glaubhaft erscheinen lassen, dass die nationalen Schnittstellen in den Räumen der Benutzer installiert werden müssen (Nr. 2.2 des Moduls SIS II; Nrn. 2.1.2, 4.1 und 4.3 der gemeinsamen Spezifikationen; Nr. 2.5.2 der Verwaltungsanweisungen). Insbesondere geht aus Nr. 4.1 der gemeinsamen Spezifikationen hervor, dass die nationalen Schnittstellen in den eigenen Räumlichkeiten des Benutzers installiert werden [müssen]. In Nummer 2.5.2 der Verwaltungsanweisungen ist vorgesehen: Die Orte der Lieferung der im Vertrag vorgesehenen Leistungen, die für die Benutzer bestimmt sind (d. h. die nationalen Schnittstellen), werden bei der Unterzeichnung des Vertrages festgelegt.

85. Im Übrigen hat die Antragstellerin sowohl in ihrer Antragsschrift als auch bei der Anhörung im Einzelnen erläutert, weshalb die Installation der nationalen Schnittstellen auf nationaler Ebene von grundlegender Bedeutung ist.

86. Bei diesem Verfahrensstand erlauben es die Antworten, die die Kommission auf die betreffenden Argumente gegeben hat, nicht, die Ungenauigkeiten der technischen Spezifikationen, soweit sie den Ort der Installation der nationalen Schnittstellen betreffen, zu beseitigen.

87. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Antragstellerin vertretene Auslegung der technischen Spezifikationen zutreffend ist und dass daher das Angebot von Steria/HP gegen die technischen Spezifikationen der Ausschreibung verstößt.

88. Nach allem ist die Voraussetzung des Fumus boni iuris erfüllt.

Zur Dringlichkeit

89. Wie im Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 25. März 1999 in der Rechtssache C65/99 P(R) (Willeme/Kommission, Slg. 1999, I1857) entschieden worden ist, ist der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht die Sicherung eines Schadensersatzes, sondern die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils zur Hauptsache. Zur Erreichung des zuletzt genannten Zieles müssen die begehrten Maßnahmen in dem Sinne dringlich sein, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen (Randnr. 62). Die Partei, die die einstweiligen Anordnungen beantragt, ist dafür beweispflichtig, dass sie die Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden zu erleiden (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 20. Juli 2000 in der Rechtssache T169/00 R, Esedra/Kommission, Slg. 2000, II2951, Randnr. 43).

90. Im vorliegenden Fall macht die Antragstellerin geltend, dass der ihr durch den Umstand, dass der in Rede stehende Auftrag nicht ihr erteilt worden sei, entstandene Schaden nicht wieder gutzumachen sei, da die Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 keine praktische Wirksamkeit entfalten werde, wenn keine einstweilige Anordnung ergehe.

91. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

92. Zunächst steht entgegen der Ansicht der Antragstellerin, selbst unterstellt, dass das Gericht die erwähnten Entscheidungen aufheben würde, nicht fest, dass der Auftrag ihr erteilt würde. Wie die Zuschlagsempfängerin hat die Antragstellerin für einen Posten des Projektes, den Posten 8, einen Preis von null angeboten. Somit wies das Angebot der Antragstellerin auf den ersten Blick eine ebensolche Lücke auf wie das der Zuschlagsempfängerin.

93. Ferner lässt entgegen der Ansicht der Antragstellerin nichts den Schluss zu, dass ihre Interessen bei einer Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 durch das Gericht nicht angemessen geschützt wären.

94. Erstens trifft es nicht zu, dass eine Entschädigung die einzige und alleinige Möglichkeit der Durchführung eines Nichtigkeitsurteils ist.

95. Nach Artikel 233 EG obliegt es dem Organ, dem das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil des Gerichts ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Daher ist zum einen das Gericht, das die Nichtigerklärung ausspricht, nicht befugt, dem Organ, das den für nichtig erklärten Rechtsakt erlassen hat, Einzelheiten der Durchführung der gerichtlichen Entscheidung vorzuschreiben (Beschluss des Gerichtshofes vom 26. November 1995 in den Rechtssachen C199/94 P und C200/94 P, Pevasa und Inspesca/Kommission, Slg. 1995, I3709, Randnr. 24). Zum anderen darf das Gericht der einstweiligen Anordnung nicht den Maßnahmen vorgreifen, die nach einem Nichtigkeitsurteil getroffen werden könnten. Die Einzelheiten der Durchführung eines Nichtigkeitsurteils hängen nicht nur von der für nichtig erklärten Bestimmung und der Tragweite dieses Urteils ab, die sich anhand von dessen Gründen beurteilt (Urteil des Gerichtshofes vom 26. April 1988 in den Rechtssachen 97/86, 193/86, 99/86 und 215/86, Asteris u. a./Kommission, Slg. 1988, 2181, Randnr. 27, und Urteil des Gerichts vom 20. April 1999 in den Rechtssachen T305/94 bis T307/94, T313/94 bis T316/94, T318/94, T325/94, T328/94, T329/94 und T335/94, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Slg. 1999, II931, Randnr. 184), sondern auch von den Umständen des Einzelfalls, wie etwa der Frist, innerhalb deren die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts erfolgt, oder den Interessen der betroffenen Dritten.

96. Im vorliegenden Fall hätte die Kommission bei einer Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 unter Berücksichtigung der Umstände der vorliegenden Rechtssache die Maßnahmen zu erlassen, die für einen angemessenen Schutz der Interessen der Antragstellerin erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 2. Mai 1994 in der Rechtssache T108/94 R, Candiotte/Rat, Slg. 1994, II249, Randnr. 27; Beschlüsse Esedra/Kommission, Randnr. 51, und TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, Randnr. 55).

97. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin ihre Klage und ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach Abschluss des streitigen Vertrages eingereicht hat und dass es daher der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz dem Richter der einstweiligen Anordnung nicht erlaubt hat, die Unterzeichnung dieses Vertrages zu verhindern, dass die Antragstellerin aber eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 13. September 2004 und damit verbunden einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz innerhalb der Frist von drei Wochen hätte einreichen können, die zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission ihr den Bewertungsbericht übermittelt hat, dem 30. September 2004, und dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrages, dem 22. Oktober 2004, verstrichen ist. Jedoch hat zum einen die vom Richter der einstweiligen Anordnung vorsorglich angeordnete Aussetzung des Vollzugs (vgl. oben, Randnr. 15) die Aussetzung der Erfüllung des streitigen Vertrages bewirkt, und zum anderen hat das Gericht dem Antrag, die Klage im beschleunigten Verfahren zu behandeln, stattgegeben (vgl. oben, Randnr. 18), und daher wird ein Urteil in Kürze verkündet werden (vgl. in Bezug auf einen gleichartigen Sachverhalt Urteil des Gerichts vom 27. September 2002 in der Rechtssache T211/02, Tideland Signal/Kommission, Slg. 2002, II3781). Deshalb kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass die Kommission den streitigen Vertrag aufheben und ein neues Vergabeverfahren für den in Rede stehenden öffentlichen Auftrag veranstalten muss, an dem sich die Antragstellerin beteiligen könnte.

98. Zweitens könnte, selbst wenn sich die Kommission dafür entschiede, den der Antragstellerin entstandenen Schaden durch eine Entschädigung zu ersetzen, eine solche Einzelheit der Durchführung eines möglichen Nichtigkeitsurteils nach ständiger Rechtsprechung als angemessene Wiedergutmachung angesehen werden. Daher kann der der Antragstellerin möglicherweise entstandene Schaden nicht als irreparabel angesehen werden, da er Gegenstand eines späteren finanziellen Ausgleichs sein kann (vgl. Beschluss Esedra/Kommission, Randnr. 44, und die dort angeführte Rechtsprechung; Beschluss TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, Randnr. 43).

99. Auf alle Fälle ist festzustellen, dass die Antragstellerin selbst dann, wenn eine freiwillige Entschädigung durch die Kommission unterbleibt, in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte eine Schadensersatzklage beim Gericht erheben könnte, da der Verlust eines Auftrags einen wirtschaftlichen Verlust darstellt, der im Rahmen einer auf Artikel 288 EG gestützten Klage ausgeglichen werden kann (Beschluss Esedra/Kommission, Randnr. 47, Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 27. Februar 2002 in der Rechtssache T132/01 R, Euroalliages u. a./Kommission, Slg. 2002, II777, Randnrn. 51 bis 53, und Beschluss TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, Randnr. 45).

100. In Anbetracht dieser Beurteilungen ist festzustellen, dass sich der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt grundlegend von demjenigen unterscheidet, der dem mit dem Beschluss Kommission/Belgien, auf den sich die Antragstellerin beruft, abgeschlossenen Verfahren zugrunde lag. Anders als in der letztgenannten Rechtssache festgestellt wurde, lässt sich im vorliegenden Fall nicht annehmen, dass eine Entscheidung zur Hauptsache, selbst wenn sie während der Erfüllung des Vertrages ergeht, den sowohl der Gemeinschaftsrechtsordnung als auch der Antragstellerin entstandenen Schaden nicht beheben könnte.

101. Nach allem wären die beantragten einstweiligen Anordnungen nur unter außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt, nämlich dann, wenn sich herausstellen würde, dass die Antragstellerin ohne solche Anordnungen in einer Situation wäre, die ihre Existenz gefährden oder ihre Marktposition irreversibel verändern könnte (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse Esedra/Kommission, Randnr. 45, und TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, Randnr. 46).

102. Hierzu ist festzustellen, dass die Antragstellerin zwar geltend macht, dass die Erteilung des Zuschlags für diesen Auftrag ihr zugute käme, doch dass sie nicht ausführt, dass die Entscheidungen vom 13. September 2004 und vom 22. Oktober 2004 derartige finanzielle Folgen haben, dass ihre Existenz in Frage gestellt ist. Denn die Antragstellerin hat nichts dazu vorgetragen und keine Einzelheiten in Bezug auf ihre finanzielle Situation dargelegt, die den Richter der einstweiligen Anordnung zu der Feststellung veranlassen könnten, dass ihre Existenz gefährdet wäre.

103. Die einzigen tatsächlichen Wirkungen, die die Antragstellerin mit der Durchführung der Entscheidung vom 13. September 2004 und der Entscheidung vom 22. Oktober 2004 verbindet, bestehen somit im Verlust einer bedeutenden Referenz und in der angeblichen Schwierigkeit, in Zukunft im Rahmen von Projekten im Zusammenhang mit dem fraglichen Auftrag Angebote abzugeben. Soweit diese Wirkungen als auf die Darlegung des nicht wieder gutzumachenden Charakters des angeblichen Schadens gerichtet angesehen werden können, erlaubt der Akteninhalt jedoch nicht, ihren tatsächlichen Einfluss auf die Lage der Antragstellerin zu beurteilen. Insbesondere hat diese nicht glaubhaft gemacht, dass diese Referenz für sie unerlässlich wäre oder dass sie daran gehindert wäre, in Zukunft andere Projekte gleichen Zuschnitts durchzuführen. Sie hat auch nichts vorgetragen, was den Schluss erlaubte, dass ihr Ruf schwer und irreparabel beeinträchtigt wäre, und erst recht nichts dafür, dass eine solche Beeinträchtigung sie daran hindern würde, sich an zukünftigen Ausschreibungen der Kommission im Zusammenhang mit den Systemen SIS II und VIS zu beteiligen. In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass auf alle Fälle nach ständiger Rechtsprechung die Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung, die ihrer Natur nach einen starken Wettbewerbscharakter hat, Risiken für alle Teilnehmer mit sich bringt und der Ausschluss eines Bieters gemäß den Ausschreibungsbedingungen für sich allein nichts Schädigendes hat und somit nicht als Beeinträchtigung seines Rufes betrachtet werden kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 5. August 1983 in der Rechtssache 118/83 R, CMC/Kommission, Slg. 1983, 2583, Randnr. 51, und Beschluss Esedra/Kommission, Randnr. 48).

104. Daher ist abschließend festzustellen, dass die von der Antragstellerin vorgelegten Beweise es nicht rechtlich hinreichend glaubhaft zu machen vermögen, dass ihr ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnungen ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde.

105. Nach allem ist die Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfüllt, und daher ist der Antrag auf einstweilige Anordnungen zurückzuweisen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1. Der Antrag auf einstweilige Anordnungen wird zurückgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 31. Januar 2005

Ende der Entscheidung

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