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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 29.11.1994
Aktenzeichen: T-479/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 173
EWG-Vertrag Art. 52
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person gegen die Weigerung der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, ist ° unabhängig von der Art der behaupteten Verletzung des Gemeinschaftsrechts ° unzulässig.

2. Eine Untätigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person auf Feststellung, daß die Kommission es dadurch, daß sie gegen einen Mitgliedstaat kein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung eingeleitet hat, unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, einen Beschluß zu fassen, ist unzulässig.

Natürliche und juristische Personen können sich nämlich nur auf Artikel 175 Absatz 3 des Vertrages berufen, um feststellen zu lassen, daß ein Gemeinschaftsorgan es unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, Akte zu erlassen, deren Adressaten sie sein können. Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Artikel 169 des Vertrages kann die Kommission jedoch nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind. Im übrigen ergibt sich aus Sinn und Wesen des Artikels 169 des Vertrages, daß die Kommission nicht verpflichtet ist, ein Verfahren nach dieser Vorschrift einzuleiten, sondern vielmehr insoweit über ein Ermessen verfügt, das ein Recht einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließt.

3. Der Gemeinschaftsrichter kann einem Gemeinschaftsorgan keine Anweisungen erteilen, ohne in dessen Zuständigkeitsbereich einzugreifen. Eine Klage einer natürlichen oder juristischen Person auf Verurteilung der Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens ist daher unzulässig.

4. Der Vertrag sieht keinen Rechtsbehelf vor, der es natürlichen oder juristischen Personen ermöglichte, den Gemeinschaftsrichter mit einer Frage zu befassen, die die Vereinbarkeit der Handlungen der Behörden eines Mitgliedstaats mit dem Gemeinschaftsrecht betrifft. Anträge auf Feststellung eines Verstosses eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht sind folglich offensichtlich unzulässig.

5. Die Schadensersatzklage gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 des Vertrages stellt einen selbständigen Rechtsbehelf dar, es sei denn, sie ist in Wirklichkeit darauf gerichtet, die Wirkungen angeblich rechtswidriger Akte, im Hinblick auf die eine Nichtigkeitsklage für unzulässig erklärt worden ist, aufzuheben. Folglich müssen Schadensersatzanträge, sofern sie ihren Ursprung in den Handlungen, die auch im Rahmen der ° für unzulässig erklärten ° Anträge auf Nichtigerklärung und auf Feststellung der Untätigkeit beanstandet werden, gleichfalls für unzulässig erklärt werden.


BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 29. NOVEMBER 1994. - GIORGIO BERNARDI GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - ANTRAEGE AUF EINLEITUNG EINES VERTRAGSVERLETZUNGSVERFAHRENS - UNZULAESSIGKEIT. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN T-479/93 UND T-559/93.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und möchte den Beruf des Rechtsanwalts in Luxemburg ausüben; er stellte am 30. Juni 1989 bei den luxemburgischen Behörden einen Antrag auf Anerkennung ("homologation") seines italienischen Diploms ("laurea in giurisprudenza" der Universitá degli Studi "G. d' Annunzio" di Teramo/Chieti vom 28. März 1989), um den Rechtsanwaltsberuf in Luxemburg ausüben zu können.

2 Die nationale Regelung ° die großherzogliche Verordnung vom 21. Januar 1978 zur Regelung des juristischen Praktikums und des Zugangs zum Notariat (Mémorial 1978, Nr. 3, S. 40) ° macht die Zulassung als Rechtsanwalt von mehreren Voraussetzungen abhängig, zu denen u. a. die Anerkennung eines Diploms über den Abschluß eines vollständigen Jurastudiums von mindestens vier Jahren, die Absolvierung eines juristischen Praktikums mit ergänzenden Kursen im luxemburgischen Recht, die Aufnahme in das Verzeichnis der "avocats stagiaires", die Absolvierung vertiefender Studien von etwa dreijähriger Dauer, die erfolgreiche Teilnahme an einer Prüfung zum Abschluß des Praktikums und die Aufnahme in das Verzeichnis der "avocats-avoués" gehören.

3 Zwischen Oktober 1988 und Februar 1989 nahm der Kläger an den im Rahmen des juristischen Praktikums veranstalteten Kursen im luxemburgischen Recht teil. Am 27. Januar 1990 wurde er zur nächsten Phase dieses Praktikums zugelassen.

4 Am 27. Februar 1990 lehnte der luxemburgische Minister für Bildung den Antrag des Klägers vom 30. Juni 1989 auf Anerkennung seines Diploms ab.

5 Mit Entscheidung vom 5. März 1990 lehnte der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Luxemburg die Aufnahme des Klägers in das Verzeichnis der "avocats stagiaires" der Rechtsanwaltschaft Luxemburg ab. Am 5. April 1990 erhob der Kläger bei dem zuständigen nationalen Gericht Klage gegen diese Entscheidung und beantragte, den Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag um Vorabentscheidung zu ersuchen. Die Klage wurde abgewiesen, der Antrag auf Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens zurückgewiesen.

6 Am 10. September 1990 erhob der Kläger beim luxemburgischen Conseil d' État Klage auf Nichtigerklärung der Ministerialentscheidung vom 27. Februar 1990. Er beantragte ferner, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Artikel 177 des Vertrages vorzulegen. Der Conseil d' État wies am 18. April 1991 die Klage ab und den Antrag auf Vorabentscheidungsersuchen zurück.

7 Der Kläger wandte sich daraufhin mit mehreren Beschwerden ° deren erste vom 21. Juni und vom 19. September 1990 stammen ° an die Kommission; er machte geltend, die ihn betreffenden Entscheidungen verstießen gegen das Gemeinschaftsrecht.

8 Mit Schreiben vom 10. August 1990 teilte die Kommission dem Kläger mit, sie habe keinen Verstoß der luxemburgischen Behörden gegen das Gemeinschaftsrecht festgestellt. Mit einer weiteren Beschwerde vom 25. Oktober 1992 ersuchte der Kläger die Kommission erneut, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag gegen das Großherzogtum Luxemburg vorzugehen. Mit Schreiben vom 12. Dezember 1992 wandte sich der Kläger unmittelbar an den Präsidenten der Kommission. Dieser antwortete ihm am 2. März 1993 durch ein Schreiben der Kommission, wonach das Verhalten der luxemburgischen Behörden keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht beinhaltet.

9 Der Kläger hat darauf eine erste Klage beim Gerichtshof erhoben. Die Klage ist am 5. Mai 1993 unter dem Aktenzeichen C-270/93 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen worden. Die Rechtssache ist gemäß dem Beschluß 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 zur Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 144, S. 21) durch Beschluß des Gerichtshofes vom 27. September 1993 an das Gericht verwiesen und unter dem Aktenzeichen T-479/93 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden.

10 Mit Schreiben vom 1. und 7. Juli 1993 hat sich der Kläger erneut mit Beschwerden an die Kommission gewandt, die auf die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Großherzogtum Luxemburg gerichtet sind.

11 Mit Schreiben vom 2. September 1993 teilte die Kommission dem Kläger erneut mit, sie habe keine Verletzungen des Gemeinschaftsrechts durch die luxemburgischen Behörden festgestellt.

12 Der Kläger hat daraufhin eine zweite Klage erhoben, die am 3. November 1993 unter dem Aktenzeichen T-559/93 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist.

13 Der Präsident des Gerichts hat die beiden Rechtssachen der Vierten Kammer zugewiesen. Durch Beschluß vom 7. Juli 1994 hat das Gericht die beiden Rechtssachen einer Kammer mit drei Richtern zugewiesen.

Anträge der Parteien

14 Mit der Klageschrift in der Rechtssache T-479/93 beantragt der Kläger im wesentlichen,

° die Entscheidung SG(92) D/92722 der Kommission vom 2. März 1993, mit der sein Antrag auf Anwendung von Artikel 169 des Vertrages gegenüber dem Großherzogtum Luxemburg abgelehnt wurde, für nichtig zu erklären;

° festzustellen, daß es die Kommission unter Verstoß gegen Artikel 175 EWG-Vertrag unterlassen hat, zu seinem Antrag auf Anwendung von Artikel 169 des Vertrages Stellung zu nehmen;

° die Kommission zu verurteilen, das Verfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages gegen das Großherzogtum Luxemburg einzuleiten;

° festzustellen, daß die luxemburgischen Behörden gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen haben;

° festzustellen, daß er Anspruch auf Schadensersatz hat.

15 Mit der Klageschrift in der Rechtssache T-559/93 beantragt der Kläger im wesentlichen,

° die Entscheidung SG(93) D/14567 der Kommission vom 2. September 1993, mit der sein Antrag auf Anwendung von Artikel 169 des Vertrages gegenüber dem Großherzogtum Luxemburg abgelehnt wurde, für nichtig zu erklären;

° gemäß Artikel 175 des Vertrages festzustellen, daß es die Kommission unterlassen hat, ihre Kontrollpflichten auszuüben;

° die Kommission zu verurteilen, das Verfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages gegen das Großherzogtum Luxemburg einzuleiten;

° festzustellen, daß die luxemburgischen Behörden gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen haben;

° festzustellen, daß er Anspruch auf Schadensersatz hat.

16 Mit besonderen Schriftsätzen, die am 10. Juni 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes und am 10. Dezember 1993 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, hat die Kommission, ohne Schriftsätze zur Begründetheit einzureichen, beantragt,

° die Klagen für unzulässig zu erklären;

° dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

17 In der Rechtssache T-479/93 hat der Kläger am 13. Juli 1993 zu der Einrede der Kommission Stellung genommen und ihre Zurückweisung beantragt.

18 Da die beiden Rechtssachen hinsichtlich ihres Gegenstands miteinander in Zusammenhang stehen und der Kläger mit Schriftsatz vom 22. Juli 1994 ihre Verbindung beantragt hat, sind sie zu verbinden.

19 Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 22. Juli 1994 ferner, die Rechtssachen einer Kammer mit fünf Richtern, der der luxemburgische Richter nicht angehört, zur Entscheidung zuzuweisen. Insoweit genügt der Hinweis, daß die Rechtssachen einer Kammer mit drei Richtern zugewiesen worden sind und daß gemäß Artikel 16 letzter Absatz der EWG-Satzung des Gerichtshofes, der gemäß Artikel 44 dieser Satzung auf das Gericht entsprechende Anwendung findet, eine Partei die Staatsangehörigkeit eines Richters nicht geltend machen kann. Der Antrag des Klägers ist daher zurückzuweisen.

20 Der Kläger beantragt in demselben Schriftsatz, den Rechtsstreit selbst führen zu dürfen. Artikel 17 der EWG-Satzung des Gerichtshofes, nach dem die Parteien durch einen Anwalt vertreten sein müssen, der in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, steht einem derartigen Antrag entgegen. Der Antrag des Klägers ist folglich zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit

21 Beantragt eine Partei vorab eine Entscheidung des Gerichts über die Unzulässigkeit, so wird gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts über die Einrede der Unzulässigkeit mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt.

22 Ist eine Klage offensichtlich unzulässig, so kann das Gericht gemäß Artikel 111 der Verfahrensordnung ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluß entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist. Im vorliegenden Fall hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, das Verfahren nicht fortzusetzen.

Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung der Entscheidungen der Kommission vom 2. März 1993 und vom 2. September 1993

23 In ihren Unzulässigkeitseinreden weist die Kommission darauf hin, daß die Schreiben, in denen sie dem Kläger mitgeteilt habe, unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages gegen das Großherzogtum Luxemburg eingeleitet werden könne, keine Handlungen seien, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag sein könnten.

24 Die vorprozessuale Phase eines Verfahrens gemäß Artikel 169 des Vertrages enthalte nämlich keine rechtsverbindliche Handlung, so daß eine Nichtigkeitsklage gegen die Handlung, mit der die Kommission mitteile, daß sie nicht beabsichtige, ein Verfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, unzulässig sei. Ferner betreffe die Stellungnahme der Kommission im vorliegenden Fall nicht den Kläger, sondern vielmehr den luxemburgischen Staat, unmittelbar und individuell. Schließlich sei die Kommission nicht verpflichtet gewesen, ein Verfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages einzuleiten, da sie in diesem Bereich über ein Ermessen verfüge.

25 In seiner Stellungnahme zu der Unzulässigkeitseinrede führt der Kläger in der Rechtssache T-479/93 aus, das Vorbringen, das Schreiben SG(92) D/92722 sei keine Handlung, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 des Vertrages sein könne, habe keine praktische Bedeutung, da es sich um einen echten Verwaltungsakt handele, der ° unabhängig von seiner Natur und seiner Form ° Rechtswirkungen hervorbringe und dessen Rechtmässigkeit vom Gericht überprüft werden könne. Er sei durch diese unmittelbar an ihn gerichtete Handlung daran gehindert, mit Erfolg dagegen vorzugehen, daß ihm die ihm nach der Gemeinschaftsrechtsordnung zustehenden Rechte ohne Rechtfertigung vorenthalten würden. Jedenfalls erwachse ihm schon aus der Verweigerung des in Artikel 177 EWG-Vertrag verankerten Grundrechts auf Rechtsschutz als solcher ein schwerwiegender Nachteil.

26 Auch wenn die Kommission in diesem Bereich über ein Ermessen verfüge, handele es sich dabei jedenfalls nicht um das Recht, sich jeder gerichtlichen Nachprüfung, insbesondere bei schweren Verstössen gegen das Gemeinschaftsrecht, zu entziehen.

27 Nach ständiger Rechtsprechung (siehe u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 1. März 1966 in der Rechtssache 48/65, Lütticke u. a./Kommission, Slg. 1966, 28; Beschlüsse des Gerichtshofes vom 12. Juni 1992 in der Rechtssache C-29/92, Asia Motor France/Kommission, Slg. 1992, I-3935, und des Gerichts vom 14. Dezember 1993 in der Rechtssache T-29/93, Calvo Alonso-Cortés/Kommission, Slg. 1993, II-1389) ist eine Klage unzulässig, mit der einzelne die Weigerung der Kommission angreifen, gegen einen Mitgliedstaat ein Verletzungsverfahren einzuleiten. Die Klagen sind daher, soweit sie auf die Nichtigerklärung der Entscheidungen SG(92) D/92722 und SG(93) D/14567 der Kommission vom 2. März 1993 und vom 2. September 1993 gerichtet sind, offensichtlich unzulässig.

28 Das Gericht ist ferner der Ansicht, daß die Grundsätze dieser Rechtsprechung durch die Art der im vorliegenden Fall behaupteten Verletzung des Gemeinschaftsrechts nicht geändert werden können (siehe Beschluß des Gerichts vom 4. Juli 1994 in der Rechtssache T-13/94, Century Oils Hellas/Kommission, Slg. 1994, II-431, Randnr. 15).

Zu den Anträgen auf Feststellung einer Untätigkeit der Kommission

29 Nach Auffassung der Kommission können natürliche oder juristische Personen den Gerichtshof gemäß Artikel 175 des Vertrages nur anrufen, um feststellen zu lassen, daß es ein Gemeinschaftsorgan unter Verletzung des Vertrages unterlassen habe, Akte zu erlassen, deren Adressaten sie sein könnten. Im vorliegenden Fall habe sich jedoch aus der vom Kläger eingereichten Beschwerde wegen eines angeblichen Verstosses der luxemburgischen Behörden gegen das Gemeinschaftsrecht in keinem Fall die Verpflichtung der Kommission ergeben können, einen an den Kläger gerichteten Akt zu erlassen. Auch wenn die Kommission beschlossen hätte, ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages einzuleiten, ergebe sich nämlich aus dieser Vorschrift, daß keine der Verfahrenshandlungen an den Kläger zu richten gewesen wäre. Dieses Verfahren schließe daher ein Recht des Bürgers aus, von der Kommission eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn mittels eines an ihn gerichteten Aktes zu verlangen.

30 Der Kläger macht geltend, daß sich seine Rügen im wesentlichen auf Unterlassungen der Kommission bezögen, die jedenfalls in den Anwendungsbereich von Artikel 175 des Vertrages fielen. Es gehe nicht so sehr um die effektive Anwendung von Artikel 169 des Vertrages, als um die Feststellung, daß die Kommission es unterlassen habe, auf beanstandete Verstösse gegen die Artikel 52 und 177 EWG-Vertrag zu reagieren, und dadurch ihre Überwachungspflichten verletzt und ihrerseits dazu beigetragen habe, den Kläger an der wirksamen Inanspruchnahme des ihm zustehenden Rechtsschutzes, seiner Niederlassungsfreiheit und seines Rechts auf eine angemessene Entschädigung des ihm entstandenen Schadens zu hindern.

31 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Untätigkeitsklage, mit der eine natürliche oder juristische Person die Feststellung begehrt, daß es die Kommission dadurch, daß sie gegen einen Mitgliedstaat kein Verfahren zur Feststellung einer Vertragsverletzung eingeleitet hat, unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, einen Beschluß zu fassen, unzulässig (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1989 in der Rechtssache C-247/87, Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291, und Beschluß des Gerichtshofes vom 30. März 1990 in der Rechtssache C-371/89, Emrich/Kommission, Slg. 1990, I-1555). Natürliche und juristische Personen können sich nämlich nur auf Artikel 175 Absatz 3 des Vertrages berufen, um feststellen zu lassen, daß ein Gemeinschaftsorgan es unter Verletzung des Vertrages unterlassen hat, Akte zu erlassen, deren Adressaten sie sein können. Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Artikel 169 des Vertrages kann die Kommission jedoch nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind (siehe Beschluß Emrich/Kommission, a. a. O., Randnr. 6). Im übrigen ergibt sich aus Sinn und Wesen des Artikels 169 des Vertrages, daß die Kommission nicht verpflichtet ist, ein Verfahren nach dieser Vorschrift einzuleiten, sondern vielmehr insoweit über ein Ermessen verfügt, das ein Recht einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließt (siehe Urteil Star Fruit/Kommission, a. a. O., Randnr. 11). Die Anträge des Klägers, die auf Feststellung einer Untätigkeit der Kommission gerichtet sind, sind daher offensichtlich unzulässig.

Zu den Anträgen auf Verurteilung der Kommission zur Einleitung des Verfahrens nach Artikel 169 des Vertrages

32 Der Kläger beantragt, für Recht zu erkennen, daß die Kommission verpflichtet ist, eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 des Vertrages an das Großherzogtum Luxemburg zu richten.

33 Es ist darauf hinzuweisen, daß der Gemeinschaftsrichter einem Gemeinschaftsorgan keine Anweisungen erteilen kann, ohne in dessen Zuständigkeitsbereich einzugreifen (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. April 1992 in der Rechtssache T-15/91, Bollendorff/Parlament, Slg. 1992, II-1679, Randnr. 57). Die Anträge des Klägers sind daher offensichtlich unzulässig.

Zu den Anträgen auf Feststellung von Verstössen der luxemburgischen Behörden gegen das Gemeinschaftsrecht

34 Der Kläger beantragt, festzustellen, daß die luxemburgischen Behörden mehrfach gegen Bestimmungen des Vertrages verstossen haben.

35 Der Vertrag sieht keinen Rechtsbehelf vor, der es natürlichen oder juristischen Personen ermöglichte, den Gemeinschaftsrichter mit einer Frage zu befassen, die die Vereinbarkeit der Handlungen der Behörden eines Mitgliedstaats mit dem Gemeinschaftsrecht betrifft. Die Anträge des Klägers sind folglich offensichtlich unzulässig.

Zu den Anträgen auf Schadensersatz

36 Die Kommission macht geltend, ein derartiger Antrag sei auch, abgesehen davon, daß die Klageschrift keinerlei Angaben zu dem entstandenen Schaden enthalte, offensichtlich unzulässig. Da die Kommission nämlich nicht verpflichtet sei, ein Verfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages einzuleiten, komme allein das Verhalten des luxemburgischen Staates als Ursache eines Schadens in Betracht. Das Verhalten der nationalen Behörden könne jedoch nicht Gegenstand einer Klage nach den Artikeln 178 und 215 EWG-Vertrag sein.

37 Der Kläger bestreitet das Vorbringen der Kommission, daß dieser Antrag keine Angaben zu dem entstandenen Schaden enthalte. Vielmehr habe er insbesondere die Hemmnisse für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs und die Nichtzahlung von Praktikumsvergütung beanstandet.

38 Nach ständiger Rechtsprechung stellt eine Schadensersatzklage gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 des Vertrages einen selbständigen Rechtsbehelf dar, es sei denn, sie ist in Wirklichkeit darauf gerichtet, die Wirkungen angeblich rechtswidriger Akte, im Hinblick auf die eine Nichtigkeitsklage für unzulässig erklärt worden ist, aufzuheben (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 28. April 1971 in der Rechtssache 4/69, Lütticke/Kommission, Slg. 1971, 325, Randnr. 6, und vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 175/84, Krohn/Kommission, Slg. 1986, 753, Randnrn. 30 und 33).

39 Im vorliegenden Fall beantragt der Kläger Ersatz des ihm seines Erachtens durch die angeblich rechtswidrigen Handlungen der Kommission entstandenen Schadens und Nichtigerklärung dieser Handlungen. Unter diesen Umständen müssen die Schadensersatzanträge, da sie ihren Ursprung in den Handlungen der Kommission haben, die auch im Rahmen der ° für unzulässig erklärten ° Anträge auf Nichtigerklärung und auf Feststellung der Untätigkeit beanstandet werden, gleichfalls für unzulässig erklärt werden.

40 Die Klagen sind daher insgesamt als offensichtlich unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

beschlossen:

1) Die Rechtssachen T-479/93 und T-559/93 werden verbunden.

2) Der Antrag des Klägers, die Rechtssachen von einer Kammer, der der Richter luxemburgischer Staatsangehörigkeit nicht angehört, entscheiden zu lassen, wird zurückgewiesen.

3) Der Antrag des Klägers, den Rechtsstreit selbst führen zu dürfen, wird zurückgewiesen.

4) Die Klagen werden als unzulässig abgewiesen.

5) Der Kläger trägt die gesamten Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 29. November 1994

Ende der Entscheidung

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