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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 10.07.1990
Aktenzeichen: T-51/89
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der blosse Erwerb einer ausschließlichen Patentlizenz durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung stellt für sich allein keinen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag dar. Für die Anwendung dieser Vorschrift sind die Umstände, unter denen der Erwerb stattfand, und insbesondere seine Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in dem relevanten Markt, zu berücksichtigen.

Der Erwerb einer ausschließlichen Patentlizenz für ein neues grosstechnisches Verfahren durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung stellt einen Mißbrauch einer beherrschenden Stellung dar, wenn er bewirkt, daß die bereits beträchtliche Vormachtstellung des betreffenden Unternehmens auf einem Markt, wo ohnehin wenig Wettbewerb - wenn überhaupt - vorhanden ist, gestärkt wird und daß der Eintritt neuer Konkurrenten in diesen Markt behindert oder zumindest erheblich verzögert wird, da ein solcher Erwerb bewirkt, daß jeder Wettbewerb auf dem relevanten Markt faktisch ausgeschlossen ist.

2. Sowohl aus dem Wortlaut des Artikels 85 Absatz 3 EWG-Vertrag als auch aus der Systematik der Artikel 85 und 86 folgt, daß die Gewährung einer Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 - gleichgültig, ob es sich um eine Einzel - oder um eine Gruppenfreistellung handelt - keinesfalls zugleich eine Befreiung von dem Verbot des Artikels 86 bedeuten kann. Die Anwendung von Artikel 85 vollzieht sich in zwei Stufen, nämlich in der Feststellung eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 und sodann gegebenenfalls der Befreiung von diesem Verbot, wenn das Kartell die Voraussetzung des Artikels 85 Absatz 3 erfuellt. Artikel 86 schließt dagegen bereits aufgrund seines Gegenstands ( Mißbrauch ) jede Möglichkeit einer Ausnahme von dem in ihm angeordneten Verbot aus.

Ausserdem könnte im Hinblick auf die Grundsätze der Normenhierarchie die Gewährung einer Freistellung durch einen Akt nach abgeleitetem Recht bei Fehlen jeder hierzu ermächtigenden Vorschrift im EWG-Vertrag nicht von einer Vorschrift des Vertrages, im vorliegenden Fall von Artikel 86, abweichen.

3. Da beim Erlaß einer Einzelfreistellungsentscheidung bestimmte Merkmale der betreffenden Vereinbarung als erwiesen angesehen werden können, die gegebenenfalls auch bei der Anwendung von Artikel 86 zu berücksichtigen wären, hat die Kommission bei der Anwendung dieses Artikels, wenn sich die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenenheiten nicht verändert haben, die zuvor im Zeitpunkt der Gewährung der Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 getroffenen Feststellungen zu beachten.

Dagegen ist die Gruppenfreistellung schon vom Begriff her nicht von einer Prüfung der Frage abhängig, ob die im EWG-Vertrag aufgestellten Voraussetzungen für die Freistellung in jedem einzelnen Fall tatsächlich erfuellt sind, und kann daher nicht dahin ausgelegt werden, daß sie im Hinblick auf Artikel 86 ähnliche Wirkungen wie ein Negativattest hätte. Daraus folgt, daß dann, wenn Vereinbarungen, an denen Unternehmen in beherrschender Stellung beteiligt sind, in den Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung fallen, die Auswirkungen der Gruppenfreistellung auf die Anwendbarkeit von Artikel 86 allein im Rahmen der Systematik des Artikels 86 zu beurteilen sind.

4. Die Gruppenfreistellung soll ausser der Verwaltungsvereinfachung insbesondere dem Ziel dienen, den an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen so lange Rechtssicherheit in der Frage der Gültigkeit dieser Vereinbarung nach Artikel 85 zu gewähren, wie die Kommission die Gruppenfreistellung nicht zurückgenommen hat; die Unternehmen in beherrschender Stellung werden dadurch aber nicht von der Verpflichtung befreit, Artikel 86 zu beachten.

Ein solches Unternehmen kann somit nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Rechtssicherheit behaupten, daß die Gewährung einer Freistellung von dem Kartellverbot, die mit der Befugnis der Kommission verbunden sei, diese Freistellung zurückzunehmen, bei den Unternehmen die berechtigte Erwartung wecke, daß sie nicht Gefahr liefen, wegen eines Verstosses gegen Artikel 86 belangt zu werden, solange die Kommission nicht die Entscheidung getroffen habe, die Freistellung zurückzunehmen.

5. Die Verbotsvorschriften des Artikels 86 EWG-Vertrag haben unmittelbare Wirkung und begründen Rechte der einzelnen, welche die nationalen Gerichte zu wahren haben. Soweit das Gemeinschaftsrecht die Anwendung des Artikels 86 auf eine Vereinbarung erlaubt, die als solche nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt ist, kann daher die Zuständigkeit des nationalen Gerichts für die Anwendung des Artikels 86 nicht wegen der Freistellung dieser Vereinbarung beschränkt sein, da die Anwendung dieser Vorschrift die Grundsätze des Vorrangs und der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts nicht in Frage stellt.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 10. JULI 1990. - TETRA PAK RAUSING SA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VERHAELTNIS ARTIKEL 85 UND ARTIKEL 86 - INANSPRUCHNAHME EINER GRUPPENFREISTELLUNG UND ANWENDBARKEIT VON ARTIKEL 86. - RECHTSSACHE T-51/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt und Verfahren

1 Mit Entscheidung vom 26. Juli 1988 ( ABl. L 272, S. 27; hiernach : die Entscheidung ) stellte die Kommission fest, daß die Tetra Pak Rausing SA dadurch, daß sie durch den Kauf des Liquipak-Konzerns die Ausschließlichkeit der am 27. August 1981 vom National Research and Development Council der Novus Corp, einem Unternehmen der Liquipak-Gruppe, erteilten Patentlizenz erworben hat, vom Zeitpunkt des Erwerbs bis zum Verzicht auf diese Ausschließlichkeit gegen Artikel 86 EWG-Vertrag verstossen hat.

2 Diese Entscheidung erging im Sektor der Verpackung fluessiger Lebensmittel, insbesondere von Milch, in Kartonverpackungen. In diesem Bereich wird zwischen zwei Verpackungsformen dieser Art unterschieden. Die mit Ultrahochtemperatur ( UHT ) behandelte Milch wird unter streng aseptischen Bedingungen mit besonderen Maschinen in Kartonverpackungen abgefuellt, die mit diesen Maschinen sterilisiert und unmittelbar nach Abfuellung verschlossen werden. Die Verpackung von pasteurisierter Frischmilch erfordert dagegen kein solches Maß an Sterilität und bedarf folglich einer weniger hoch entwickelten Anlage.

3 Die Gesellschaft, an die die Entscheidung gerichtet ist, die Tetra Pak Rausing SA ( hiernach : die Klägerin ) mit Sitz in der Schweiz, koordiniert die Politik einer weltweiten Unternehmensgruppe, die vor allem auf Anlagen für die Verpackung von Milch in Kartonverpackungen spezialisiert ist. Die Klägerin betätigt sich im Sektor der Verpackung von Frischmilch und von UHT-behandelter Milch. Ihre Tätigkeiten bestehen im wesentlichen in der Herstellung von Kartonverpackungen und, nach einer eigenen Technologie der Unternehmensgruppe, von Abfuellmaschinen. Auf dem Gebiet aseptischer Verpackungen liefert die Klägerin das "Tetrabrik" genannte System. Im Bereich der Frischerzeugnisse vertreibt sie auch Maschinen anderer Hersteller.

1985 erzielte die Gruppe, die in allen Mitgliedstaaten ausser Luxemburg und Griechenland Tochtergesellschaften für Herstellung und Vertrieb besitzt, nahezu die Hälfte ihres Gesamtumsatzes, der in der Grössenordnung von 2 Milliarden ECU liegt, in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Im selben Jahr betrug der Marktanteil der Gruppe in der Gemeinschaft etwa 90 % bei der aseptischen Verpackung und 50 % bei der Verpackung von Frischmilch.

4 Bevor die Liquipak-Gruppe von der Klägerin übernommen wurde, gehörte sie der Allpak-Gruppe ( Kanada ) und einer Privatperson oder wurde von diesen kontrolliert. Sie ist auf die Entwicklung und Herstellung von Abfuellanlagen für fluessige Lebensmittel spezialisiert.

5 Die Elopak-Gruppe ist norwegischen Ursprungs; sie produziert und verkauft vorwiegend in Europa. 1987 hatte sie einen Umsatz von etwa 300 Millionen ECU. Obwohl sie hauptsächlich im Frischmilchsektor und insbesondere in der Lieferung von Giebeldachkartons tätig ist, wobei die Klägerin ihr Hauptkonkurrent ist, war Elopak gleichzeitig Alleinvertriebshändler von Liquipak nicht nur für deren Abfuellmaschinen für pasteurisierte Milch, sondern auch für jede noch zu entwickelnde Maschine für UHT-behandelte Milch. Elopak unterstützte Liquipak in deren Bemühen, eine neue Abfuellmaschine zu entwickeln, die sich des Verfahrens bedient, das durch die ausschließliche Lizenz, um die es im vorliegenden Fall geht, geschützt ist.

Diese ausschließliche Lizenz betrifft ein neues Abfuellverfahren für UHT-behandelte Milch mit langer Haltbarkeit, das auf dem Einsatz von ultraviolettem Licht basiert und das die Verwendung einer schwachen Wasserstoffperoxidlösung in Verbindung mit Hitze ermöglicht, dies im Unterschied zu den bislang in der Gemeinschaft angewandten Verfahren, bei denen konzentriertes Wasserstoffperoxid und Hitze kombiniert werden. Anders als die Verfahren, die in den gegenwärtig auf dem Markt befindlichen Maschinen für die aseptische Abfuellung angewandt werden, kann diese Technik, die in Abfuellmaschinen integriert werden soll, sowohl an ziegelsteinförmige Kartons als auch an Giebeldachkartons angepasst werden. Die herkömmlichen Maschinen sind für die Verwendung von Giebeldachkartons, auf die Elopak, wie in der Entscheidung angegeben, ihre Entwicklungsbemühungen konzentriert hat und bei denen sie das meiste Know-how besitzt, ungeeignet.

6 Die streitige ausschließliche Lizenz wurde der Firma Novus Corp mit Wirkung vom 27. August 1981 vom National Research and Development Council eingeräumt, dessen Tätigkeit von der British Technology Group ( BTG ) übernommen wurde. Diese Lizenz betrifft sowohl die Patente zum Schutz der BTG-Sterilisationstechnik als auch das Know-how für dieses neue Verfahren. In der Gemeinschaft wurden Patente in Irland, Spanien und Belgien erteilt. Ein Patentantrag ist in Italien anhängig, und ein entsprechender Antrag wurde nach dem Europäischen Patentübereinkommen unter anderem für das Vereinigte Königreich, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande gestellt.

Die genannte ausschließliche Lizenz fiel unter die Gruppenfreistellung nach der Verordnung ( EWG ) Nr. 2349/84 der Kommission vom 23. Juli 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Patentlizenzvereinbarungen ( ABl. L 219, S. 15 ), jedoch vorbehaltlich der Anwendung von Artikel 9 dieser Verordnung, wonach die Kommission die Freistellung zurücknehmen kann, wenn die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 nicht erfuellt sind.

1986 erwarb die Klägerin das amerikanische Unternehmen Liquipak International Inc. Im Rahmen dieser Transaktion erwarb sie ausserdem die Unternehmen der Liquipak-Gruppe, denen die Firma Novus Corp 1983 die BTG-Lizenz veräussert hatte. Im Zeitpunkt der Übernahme von Liquipak durch die Klägerin war die von ersterer mit Hilfe von Elopak entwickelte neue Version der Maschine mit integriertem BTG-Verfahren in der Praxis noch nicht erprobt worden. Nach Ankündigung der Übernahme von Liquipak durch die Klägerin beendete Elopak ihre Mitarbeit. Elopak war der Ansicht, daß diese Maschine so gut wie einsatzfähig sei. Die Klägerin war dagegen der Ansicht, daß noch umfangreiche und kostspielige Forschungsarbeiten erforderlich seien, ehe die BTG-Technik genutzt werden könne.

7 Was die Stellung der Beteiligten auf dem Markt betrifft, so geht aus der Entscheidung der Kommission hervor, daß im maßgeblichen Zeitpunkt nur zwei Unternehmen - die Klägerin und PKL, eine Tochter der deutschen Unternehmensgruppe Rheinmetall AG - in der Lage waren, Maschinen für die aseptische Abfuellung von Milch in der Gemeinschaft in grösserem Umfang zu vermarkten. Aus den oben angeführten technischen Gründen, und weil die Hersteller aseptisch arbeitender Maschinen in der Praxis auch die Kartons für ihre eigenen Maschinen liefern, stellt der Besitz einer Technik für die aseptische Abfuellung den Schlüssel für den Zugang sowohl zum Markt für aseptisch arbeitende Abfuellanlagen als auch zum Markt für Kartons dar.

8 Am 26. Juni 1986 stellte die Elopak-Gruppe bei der Kommission einen Antrag gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages ( ABl. Nr. 13, S. 204 ), auf Feststellung, daß die Klägerin gegen die Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag verstossen hat. Nach der am 3. März 1987 erfolgten Mitteilung der Beschwerdepunkte durch die Kommission und nach einer Anhörung am 25. Juli 1987 ließ die Klägerin die Kommission mit Schreiben vom 26. November 1987 wissen, daß sie auf jedes Ausschließlichkeitsrecht an der BTG-Lizenz verzichte. Obwohl die angebliche Vertragsverletzung noch während des Verwaltungsverfahrens beendet wurde, hielt es die Kommission für angezeigt, sie in einer Entscheidung festzustellen, insbesondere um ihren Rechtsstandpunkt in dieser Frage zu verdeutlichen. Da sie der Ansicht war, daß es sich um eine neuartige Fragestellung handele, verhängte sie keine Geldbusse gegen die Klägerin.

Die Kommission behandelt in ihrer Entscheidung nacheinander die Anwendung des Artikels 86 und des Artikels 85. Im Hinblick auf letzteren legt sie die Gründe dar, die sie zur Rücknahme der Freistellung der ausschließlichen Lizenz während der Dauer des Verstosses gegen Artikel 86 berechtigt hätten.

Am Ende ihrer Ausführungen zu Artikel 86 kommt die Kommission zu folgendem Schluß : "Tetra nutzte ihre beherrschende Stellung durch den Erwerb der ausschließlichen ( BTG-)Lizenz mißbräuchlich aus, durch die ihre bereits beherrschende Stellung noch verstärkt wurde. Weiterhin wurde der vorhandene Wettbewerb geschwächt und der Beginn neuen Wettbewerbs noch mehr erschwert" ( Randnr. 60 der Entscheidung ).

9 Daraufhin hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 11. November 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die Aufhebung der Entscheidung beantragt. Das schriftliche Verfahren ist vollständig vor dem Gerichtshof abgelaufen.

Mit Beschluß vom 15. November 1989 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß den Artikeln 3 Absatz 1 und 14 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht verwiesen. Am 16. November 1989 hat das Gericht beschlossen, das weitere Verfahren in dieser Rechtssache vor dem Plenum des Gerichts durchzuführen. Gemäß Artikel 2 Absatz 3 des genannten Beschlusses des Rates hat der Präsident des Gerichts einen Generalanwalt bestellt.

Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 14. Dezember 1989 mündlich verhandelt; der Generalanwalt hat seine Schlussanträge in der Sitzung vom 21. Februar 1990 vorgetragen.

Anträge der Parteien

10 Tetra Pak als Klägerin beantragt,

- die Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1988 betreffend ein Verfahren nach den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag (( Sache Nr. IV/31.043 - Tetra Pak I ( BTG-Lizenz ) )) aufzuheben;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften als Beklagte beantragt,

- die Klage als unbegründet abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Eingrenzung des rechtlichen Rahmens der Klage

11 Die Klägerin hat vor der Ausführung der zur Begründung ihrer Anträge vorgebrachten Argumente den vorliegenden Rechtsstreit eingegrenzt. In einem einleitenden Abschnitt der Klageschrift hat sie nämlich vor der Darlegung ihres alleinigen Klagegrundes erklärt, daß es wegen ihres freiwilligen Verzichts auf die Ausschließlichkeit der fraglichen Lizenz "nur von geringem Interesse wäre, ihre detaillierten Argumente zur Frage des Vorliegens einer beherrschenden Stellung und zur Bedeutungslosigkeit der Liquipak-Technologie vor dem Gerichtshof in dieser Rechtssache weiterzuverfolgen...". Die Klägerin hat sich daher darauf beschränkt, die Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1988 allein im Hinblick auf die Rechtsfrage anzufechten, ob Artikel 86 anwendbar ist, wenn eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 gewährt worden ist. Die Klägerin hat ausserdem in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bekräftigt, daß die vorliegende Klage lediglich die Klärung einer Rechtsfrage bezwecke und daß es daher angesichts dieser Eingrenzung des Rechtsstreits nicht erforderlich sei, den Sachverhalt zu erörtern, der der in der Entscheidung getroffenen Feststellung zugrunde liege, daß die Klägerin eine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausgenutzt habe.

12 Die Beklagte hat die so von der Klägerin vorgenommene Eingrenzung des rechtlichen Rahmens des Rechtsstreits zur Kenntnis genommen.

13 Das Gericht hat die Rechtmässigkeit der Entscheidung somit allein im Hinblick auf den von der Klägerin in der Klageschrift vorgebrachten Klagegrund zu prüfen. Zur Begründung der Klage wird ausschließlich eine Verletzung von Artikel 85 Absatz 3 und Artikel 86 geltend gemacht, die darin liege, daß die Kommission Artikel 86 auf eine Vereinbarung angewandt habe, die gemäß Artikel 85 Absatz 3 freigestellt gewesen sei. Die Prüfung der angefochtenen Entscheidung durch das Gericht bezieht sich daher nur auf die Teile der von der Klägerin erhobenen und im folgenden dargestellten rechtlichen Rüge, ohne daß zu prüfen wäre, ob die von der Kommission im vorliegenden Fall vorgenommene Sachverhaltsanalyse, aufgrund deren sie das Vorliegen eines Verstosses gegen Artikel 86 festgestellt hat, zutrifft. Da die Klägerin die in der Begründung der Entscheidung enthaltenen tatsächlichen Feststellungen nicht mit einem Klagegrund angegriffen hat, können diese im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nicht in Frage gestellt werden.

Zu dem alleinigen Klagegrund einer Verletzung von Artikel 85 Absatz 3 und Artikel 86 EWG-Vertrag

14 Die Klägerin beanstandet die Entscheidung mit der Begründung, sie verstosse insoweit gegen die Artikel 85 Absatz 3 und 86, als die Kommission eine Vereinbarung, die vorliegend unter eine Gruppenfreistellung im Sinne von Artikel 85 Absatz 3 falle, als nach Artikel 86 verboten ansehe. Dieser Klagegrund untergliedert sich in drei Teile. Die Klägerin stützt sich erstens auf eine systematische Untersuchung der einschlägigen Bestimmungen des Vertrages und sekundärer Rechtsquellen, zweitens auf den Grundsatz der Rechtssicherheit und drittens auf den Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts.

a ) Zur systematischen Untersuchung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag sowie des abgeleiteten Rechts

15 Die Klägerin trägt vor, da die Artikel 85 und 86 denselben Zweck verfolgten, könne die Kommission Artikel 86 nicht auf ein Verhalten anwenden, das gemäß Artikel 85 Absatz 3 freigestellt sei. Sie beruft sich insoweit auf das Urteil des Gerichtshofes vom 21. Februar 1973 in der Rechtssache 6/72 ( Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, Randnr. 25 ), wonach "die Artikel 85 und 86 nicht in einander widersprechendem Sinne ausgelegt werden (( können )), da sie der Verwirklichung desselben Zieles dienen ". Da die Befreiung einen "positiven Eingriff" darstelle, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Februar 1969 in der Rechtssache 14/68 ( Wilhelm/Bundeskartellamt, Slg. 1969, 1, Randnr. 5 ) - allerdings zum Verhältnis von Artikel 85 Absatz 3 zu den nationalen Wettbewerbsvorschriften - ausgeführt habe, könne ein Verhalten nicht nach Artikel 85 Absatz 3 ausdrücklich gestattet und nach Artikel 86 verboten sein.

16 Zur Bekräftigung dieses Arguments behauptet die Klägerin, daß der in der Entscheidung ihr gegenüber erhobene Vorwurf im wesentlichen die sich aus der Lizenzvereinbarung ergebende Ausschließlichkeit betreffe. Ihrer Ansicht nach hat die Kommission die Anwendung des Artikels 86 auf eine Unterscheidung gestützt, für die sich im Wettbewerbsrecht keine Stütze finde, nämlich auf die zwischen einer ausschließlichen Lizenz, die unter eine Gruppenfreistellung falle, und einem Erwerb der Ausschließlichkeit der Lizenz durch Übernahme eines Konkurrenzunternehmens ( hier von Liquipak ), der in der Entscheidung als Verstoß gegen Artikel 86 angesehen werde; nach Ansicht der Klägerin haben beide Verhaltensweisen dieselbe wettbewerbsbeschränkende Wirkung.

17 Davon ausgehend, daß Artikel 86 somit auf eine nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellte Vereinbarung nicht anwendbar ist, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt, der Umstand, daß ein Unternehmen in beherrschender Stellung eine Vereinbarung schließe, die unter eine Gruppenfreistellung nach Artikel 85 Absatz 3 falle, könne nur dann eine mißbräuchliche Ausnutzung im Sinne von Artikel 86 darstellen, wenn ein zusätzliches Element vorliege, das ausserhalb der Vereinbarung liege und dem Unternehmen zugerechnet werden könne. Sie stützt sich insoweit auf das Urteil vom 11. April 1989 in der Rechtssache 66/86 ( Ahmed Säed Flugreisen u. a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, Slg. 1989, 803, insbesondere Randnrn. 37, 42 und 46 ), wo der Gerichtshof ausgeführt habe, daß eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung insbesondere dann festgestellt werden könne, wenn es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelinge, Konkurrenten oder Kunden unangemessene Vertragsbedingungen aufzuzwingen.

18 Die Klägerin führt weiter aus, daß die Unanwendbarkeit des Artikels 86 auf eine Vereinbarung, die als solche freigestellt sei, die Verwirklichung der Ziele des Artikels 86 nicht gefährde, da es stets im Ermessen der Kommission stehe, die Freistellung zurückzunehmen. Zur Stützung ihrer Ansicht, daß die Anwendung des Artikels 86 von der vorherigen Rücknahme der Freistellung abhängig sei, führt die Klägerin insbesondere Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung ( EWG ) Nr. 3976/87 des Rates vom 14. Dezember 1987 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Luftverkehr ( ABl. L 374, S. 9 ) und Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung ( EWG ) Nr. 4056/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr ( ABl. L 378, S. 4 ) an, wonach die Kommission dann, wenn eine Vereinbarung, für die eine Gruppenfreistellung gelte, dennoch Wirkungen habe, die nach Artikel 86 verboten seien, die Freistellung zurücknehmen und alle geeigneten Maßnahmen treffen könne, um Zuwiderhandlungen gegen Artikel 86 abzustellen.

19 Die Klägerin "räumt ein, daß es von dem Verbot des Artikels 86 keine ausdrückliche Freistellung gibt" ( Erwiderung, Abschnitt III ). Zur Untermauerung ihrer Ansicht, daß Artikel 86 auf eine gemäß Artikel 85 Absatz 3 freigestellte Vereinbarung nicht anwendbar ist, vertritt sie aber eine an der Systematik des Artikels 85 orientierte Auslegung der Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 86, die zu dem Ergebnis führt, daß es im Bereich der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung eine stillschweigende Freistellung geben kann. Für die Feststellung, ob ein Verhalten eine mißbräuchliche Ausnutzung darstellt, muß nach Ansicht der Klägerin "implizit das in Artikel 85 zum Ausdruck kommende zweistufige Verfahren angewendet werden, nämlich gefragt werden, ob das Verhalten eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt und, wenn dies der Fall ist, ob das Verhalten dennoch insgesamt eine den Wettbewerb fördernde Wirkung hat, weil es zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt ".

20 Die Kommission hält dieser systematischen Untersuchung der Klägerin eine Auffassung entgegen, die sich auf eine andere Auslegung der Artikel 85 und 86 stützt. Unter Hinweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache Säed macht sie insbesondere geltend, da Mißbrauch in einer Rechtsgemeinschaft nicht genehmigungsfähig sei, sei eine Ausnahme vom Verbot des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung unzulässig ( erste Schlussanträge vom 28. April 1988, Slg. 1989, 818, Nr. 41 ). Der Gerichtshof habe in dieser Rechtssache ausdrücklich erklärt, daß für die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung keine wie auch immer geartete Freistellung gewährt werden könne ( Urteil in der Rechtssache 66/86, a. a. O., Randnr. 32 ). Daher sei die Ansicht der Klägerin, daß Artikel 86 auf eine gemäß Artikel 85 Absatz 3 freigestellte Vereinbarung nicht anwendbar sei, solange die Kommission die Freistellung nicht zurückgenommen habe, zurückzuweisen, weil sie wegen der Ex-nunc-Wirkung der Rücknahme einer Freistellung darauf hinausliefe, daß die Möglichkeit einer Freistellung der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung anerkannt werde.

21 Zunächst ist festzustellen, daß die Frage der Vereinbarkeit der Anwendung von Artikel 86 mit einer Gruppenfreistellung, um die es im vorliegenden Rechtsstreit im Kern geht und die sich wegen des Erfordernisses einer logischen Kohärenz bei der Durchführung der Artikel 85 und 86 stellt, vom Gemeinschaftsrichter bislang noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist. Es ist jedoch daran zu erinnern, daß das Verhältnis zwischen den Artikeln 85 und 86 vom Gerichtshof insoweit teilweise geklärt worden ist, als er ausdrücklich entschieden hat, daß die Anwendbarkeit von Artikel 85 auf eine Vereinbarung die Anwendung von Artikel 86 nicht ausschließt. Er hat in einem solchen Fall mit folgenden Worten ausgeführt, daß es der Kommission freistehe, die eine oder die andere Vorschrift auf das streitige Verhalten anzuwenden : "Daß Verträge... (( ebensogut )) unter Artikel 85, insbesondere unter seinen Absatz 3, fallen können, schließt die Anwendung von Artikel 86 jedoch nicht aus... In diesen Fällen steht es der Kommission insbesondere unter Berücksichtigung der Art der wechselseitig übernommenen Verpflichtungen und der wettbewerbsmässigen Stellung der Vertragspartner auf dem einschlägigen Markt oder den einschlägigen Märkten frei, ein Verfahren nach Artikel 85 oder nach Artikel 86 durchzuführen" ( Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461, Randnr. 116 ). Der Gerichtshof hat diesen Standpunkt in seinem Urteil in der Rechtssache 66/86 ( Säed ) bestätigt, indem er ausgeführt hat, daß in bestimmten Fällen "die Artikel 85 und 86 durchaus nebeneinander anwendbar sein (( können ))" ( a. a. O., Randnr. 37 ). In der letztgenannten Rechtssache war jedoch bezueglich des Verhältnisses zwischen den Artikeln 85 und 86 zu prüfen, ob die Anwendung einer Vereinbarung, die als solche unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fallen kann, grundsätzlich eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellen kann ( Randnr. 34 ). Es ging dort also nicht um die Frage des Verhältnisses zwischen der Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 und der Anwendbarkeit des Artikels 86.

22 Die Frage der Vereinbarkeit einer Anwendung des Artikels 86 mit einer Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 ist ausgehend von dem System zum Schutz des Wettbewerbs zu lösen, wie es sich insbesondere aus den Artikeln 85 und 86 sowie aus den Durchführungsverordnungen zu diesen Vorschriften ergibt. Die Artikel 85 und 86 ergänzen einander insoweit, als sie ein gemeinsames allgemeines Ziel verfolgen, das in Artikel 3 Buchstabe f des Vertrages formuliert ist, wonach die Tätigkeit der Gemeinschaft "die Errichtung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt", umfasst. Diese Artikel stellen im Vertragssystem aber dennoch zwei voneinander unabhängige Rechtsinstrumente für unterschiedliche Sachverhalte dar. Dies hat der Gerichtshof insbesondere in dem Urteil in der Rechtssache 6/72 ( Continental Can ) hervorgehoben, indem er im Anschluß an die Feststellung, daß "Artikel 85... Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (( betrifft )), während Artikel 86 das einseitige Tätigwerden eines oder mehrerer Unternehmen zum Gegenstand hat", ausgeführt hat, daß die Artikel 85 und 86 auf verschiedenen Ebenen das gleiche Ziel der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt anstreben ( a. a. O., Randnr. 25 ).

23 Zur Eigenart der in der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf Artikel 86 erwähnten Verhaltensweisen stellt das Gericht fest, daß der blosse Erwerb einer ausschließlichen Lizenz durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung für sich allein keinen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 darstellt. Für die Anwendung dieser Vorschrift sind die Umstände, unter denen der Erwerb stattfand, und insbesondere seine Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in dem relevanten Markt, zu berücksichtigen. Diese Auslegung kann sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes stützen, wonach der Begriff des Mißbrauchs ein objektiver Begriff ist, der "die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung (( erfasst )), die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt - oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen" ( Urteil in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche, a. a. O., Randnr. 91 ). Die Kommission hat daher zu Recht nicht die ausschließliche Lizenz als solche in Frage gestellt, sondern konkret die wettbewerbswidrige Auswirkung ihres Erwerbs durch die Klägerin im Hinblick auf Artikel 86 beanstandet. Aus der Begründung und den Schlußfolgerungen der Entscheidung geht klar hervor, daß sich der von der Kommission festgestellte Verstoß gegen Artikel 86 aus dem Erwerb der ausschließlichen Lizenz durch die Klägerin "unter den besonderen Umständen dieses Falles" ergab. Die spezifische Sachlage, auf die sich die Kommission damit bezieht, ist, wie sie ausdrücklich ausführt, dadurch gekennzeichnet, daß der Erwerb der Ausschließlichkeit "nicht nur Tetras bereits beträchtliche Vormachtstellung (( stärkte )), sondern... auch zur Folge (( hatte )), daß der Eintritt neuer Konkurrenten behindert oder zumindest erheblich verzögert wurde, und dies auf einem Markt, wo ohnehin wenig Wettbewerb - wenn überhaupt - vorhanden ist" ( Randnr. 45 der Entscheidung; siehe auch Randnr. 60 ). Der entscheidende Gesichtspunkt für die Feststellung, daß der Erwerb der ausschließlichen Lizenz einen Mißbrauch darstellte, lag also konkret in der Stellung der Klägerin auf dem relevanten Markt und, wie sich aus der Entscheidung ergibt ( Randnr. 27 ), insbesondere in dem Umstand, daß im maßgeblichen Zeitpunkt allein die Befugnis, das durch die BTG-Lizenz geschützte Verfahren anwenden zu können, einem Unternehmen die Mittel an die Hand geben konnte, um mit der Klägerin im Bereich der aseptischen Verpackung von Milch wirksam konkurrieren zu können. Die Übernahme von Liquipak war für die Klägerin nur das Mittel - dem die Kommission im vorliegenden Fall keine besondere Bedeutung im Hinblick auf Artikel 86 beigemessen hat - zum Erwerb der Ausschließlichkeit der BTG-Lizenz, die bewirkte, daß anderen Unternehmen die Mittel dafür entzogen wurden, mit der Klägerin zu konkurrieren.

24 Dementsprechend kann das Vorbringen der Klägerin zum Erfordernis eines zusätzlichen, ausserhalb der Vereinbarung liegenden Elements nicht durchgreifen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in dem von der Klägerin angeführten Urteil in der Rechtssache 66/86 ( Säed ) entschieden hat, daß "die Anwendung von Fluglinientarifen, die sich aus bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen ergeben, unter bestimmten Umständen eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem fraglichen Markt darstellen kann, und zwar insbesondere dann, wenn es einem Unternehmen in beherrschender Stellung gelungen ist, anderen Verkehrsunternehmen die Anwendung überhöhter oder übermässig niedriger Tarife oder aber die Anwendung eines einzigen Tarifs auf einer bestimmten Linie aufzuzwingen" ( a. a. O., Randnr. 46 ). Der Gerichtshof hat zwar die gleichzeitige Anwendbarkeit der Artikel 85 und 86 auf die umstrittenen Tarifvereinbarungen mit dem Hinweis auf das Vorliegen eines zusätzlichen Elements begründet, das in diesem Fall in dem Druck bestand, den das betreffende Unternehmen auf seine Mitbewerber ausgeuebt hatte. Aber in der im vorliegenden Fall angefochtenen Entscheidung ist durchaus angegeben, welches zusätzliche Element einen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 begründete und dessen Anwendbarkeit rechtfertigte. Dieses Element liegt in der konkreten Sachlage in dieser Rechtssache, d. h. in dem Umstand, daß der Erwerb der ausschließlichen Lizenz durch die Klägerin bewirkte, daß jeder Wettbewerb auf dem relevanten Markt faktisch ausgeschlossen war. Dies ist in der angefochtenen Entscheidung hervorgehoben und von der Klägerin auch nicht bestritten worden.

25 Das Gericht ist daher der Ansicht, daß die Gewährung einer Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 in dem durch den EWG-Vertrag errichteten System zum Schutz des Wettbewerbs - gleichgültig, ob es sich um eine Einzel - oder um eine Gruppenfreistellung handelt - keinesfalls zugleich eine Befreiung von dem Verbot des Artikels 86 bedeuten kann. Dieser Grundsatz folgt sowohl aus dem Wortlaut des Artikels 85 Absatz 3, wonach nur von dem in Artikel 85 Absatz 1 niedergelegten Verbot von Kartellen durch eine Unanwendbarerklärung abgewichen werden darf, als auch aus der Systematik des Artikels 85 und des Artikels 86, die, wie bereits erwähnt, eigenständige und einander ergänzende Vorschriften darstellen, die grundsätzlich unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich regeln sollen. Die Anwendung von Artikel 85 vollzieht sich in zwei Stufen, nämlich in der Feststellung eines Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 und sodann gegebenenfalls der Befreiung von diesem Verbot, wenn das Kartell die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 erfuellt. Artikel 86 schließt dagegen bereits aufgrund seines Gegenstands ( Mißbrauch ) jede Möglichkeit einer Ausnahme von dem in ihm angeordneten Verbot aus ( siehe Urteil in der Rechtssache 66/86, Säed, a. a. O., Randnr. 32 ). Müsste die Kommission vor einer Anwendung des Artikels 86 in jedem Fall die Freistellung durch den Erlaß einer Entscheidung zurücknehmen, würde damit angesichts dessen, daß die Rücknahme einer Freistellung keine Rückwirkung entfaltet, im Ergebnis anerkannt, daß die Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 gleichzeitig die Freistellung vom Verbot des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung bewirkt. Aus den eben genannten Gründen wäre dies gerade mit dem Wesen des durch Artikel 86 verbotenen Verstosses nicht vereinbar. Ausserdem könnte im Hinblick auf die Grundsätze der Normenhierarchie die Gewährung einer Freistellung durch einen Akt nach abgeleitetem Recht bei Fehlen jeder hierzu ermächtigenden Vorschrift im EWG-Vertrag nicht von einer Vorschrift des Vertrages, im vorliegenden Fall von Artikel 86, abweichen.

26 Nachdem somit feststeht, daß die Gewährung einer Freistellung der Anwendung des Artikels 86 nicht grundsätzlich entgegensteht, ist noch zu prüfen, ob nicht die im Hinblick auf die Gewährung der Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 getroffenen Feststellungen der Anwendung des Artikels 86 im konkreten Fall entgegenstehen.

27 Nach Artikel 85 Absatz 3 kann das Verbot des Absatzes 1 für nicht anwendbar erklärt werden auf Kartelle oder Gruppen von Kartellen, die die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 erfuellen. Artikel 85 Absatz 3 sieht insbesondere vor, daß die Vereinbarung den beteiligten Unternehmen nicht Möglichkeiten eröffnen darf, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

28 Die Frage der Freistellung kann sich in der Praxis auf unterschiedliche Weise stellen, je nachdem ob es sich um eine Einzelfreistellung oder um eine Gruppenfreistellung handelt. Die Gewährung einer Einzelfreistellung setzt voraus, daß die Kommission zuvor festgestellt hat, daß eine bestimmte Vereinbarung die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 erfuellt. Beim Erlaß einer Einzelfreistellungsentscheidung können so bestimmte Merkmale des betreffenden Kartells als erwiesen angesehen werden, die gegebenenfalls auch bei der Anwendung von Artikel 86 zu berücksichtigen wären. Die Kommission hat daher bei der Anwendung von Artikel 86, wenn sich die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht verändert haben, die zuvor im Zeitpunkt der Gewährung der Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 getroffenen Feststellungen zu beachten.

29 Zwar sind Verordnungen über Gruppenfreistellungen wie Einzelfreistellungsentscheidungen nur auf Vereinbarungen anwendbar, die grundsätzlich den Voraussetzungen in Artikel 85 Absatz 3 genügen. Im Gegensatz zur Einzelfreistellung ist die Gruppenfreistellung aber schon vom Begriff her nicht von einer Prüfung der Frage abhängig, ob die im EWG-Vertrag aufgestellten Voraussetzungen für die Freistellung in jedem einzelnen Fall tatsächlich erfuellt sind. Unter die Gruppenfreistellung fällt ein Kartell schon dann, wenn es die in der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung festgesetzten Kriterien erfuellt. Eine konkrete positive Beurteilung des Kartells im Hinblick auf die Voraussetzungen des Artikels 85 Absatz 3 findet nicht statt. Deshalb kann eine Gruppenfreistellung nicht dahin ausgelegt werden, daß sie im Hinblick auf Artikel 86 ähnliche Wirkungen wie ein Negativattest hätte. Daraus folgt, daß dann, wenn Kartelle, an denen Unternehmen in beherrschender Stellung beteiligt sind, in den Anwendungsbereich einer Gruppenfreistellungsverordnung fallen, d. h. wenn diese Verordnung keinen Ausschluß ab Überschreitung einer bestimmten Grenze vorsieht, die Auswirkungen der Gruppenfreistellung auf die Anwendbarkeit von Artikel 86 allein im Rahmen der Systematik des Artikels 86 zu beurteilen sind.

30 Die Möglichkeit der Anwendung des Artikels 86 auf eine Vereinbarung, die unter eine Gruppenfreistellung fällt, wird schließlich durch eine systematische Untersuchung der Gruppenfreistellungsverordnungen bestätigt. Sie macht erstens deutlich, daß diese Verordnungen die Unternehmen in beherrschender Stellung von der Freistellung keineswegs grundsätzlich ausschließen und daher die Stellung der an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf den relevanten Märkten nicht berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die bereits genannte Verordnung Nr. 2349/84 über die Freistellung von Patentlizenzvereinbarungen, die im vorliegenden Fall einschlägig ist. Aus dieser Prüfung folgt zweitens, daß die Möglichkeit einer gleichzeitigen Anwendung des Artikels 85 Absatz 3 und des Artikels 86 in einigen Freistellungsverordnungen ausdrücklich bestätigt wird, die vorsehen, daß die Gruppenfreistellung die Anwendbarkeit des Artikels 86 nicht ausschließt. So verhält es sich insbesondere mit den drei von der Kommission am 26. Juli 1988 im Bereich des Luftverkehrs erlassenen Gruppenfreistellungsverordnungen, die in ihren Begründungserwägungen ausdrücklich klarstellen, daß die Gruppenfreistellung der Anwendung des Artikels 86 nicht entgegensteht. Hierbei handelt es sich um die Verordnung ( EWG ) Nr. 2671/88 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zur gemeinsamen Planung und Koordinierung der Kapazität, der Aufteilung der Einnahmen, der Tarifkonsultationen im Fluglinienverkehr sowie der Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen, um die Verordnung ( EWG ) Nr. 2672/88 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen über computergesteuerte Buchungssysteme für den Luftverkehr und schließlich um die Verordnung ( EWG ) Nr. 2673/88 zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bezueglich Versorgungsleistungen auf Flughäfen ( ABl. L 239, S. 9, 13 und 17 ). Auch in Artikel 8 der bereits genannten Verordnung Nr. 4056/86 des Rates heisst es ausdrücklich, daß der Mißbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages verboten ist, ohne daß ein entsprechender vorheriger Beschluß erforderlich ist.

31 Aus alledem folgt, daß der auf eine systematische Untersuchung von Artikel 85 Absatz 3 und Artikel 86 gestützte erste Teil des Klagegrundes nicht stichhaltig ist.

b ) Zum Grundsatz der Rechtssicherheit

32 Zur Unterstützung ihrer Analyse des Verhältnisses von Artikel 85 Absatz 3 zu Artikel 86, durch die sie darzutun versucht, daß die Anwendung des Artikels 86 auf eine gemäß Artikel 85 Absatz 3 freigestellte Vereinbarung grundsätzlich undenkbar ist, beruft sich die Klägerin auf den Grundsatz der Rechtssicherheit. Sie macht geltend, daß die Artikel 85 und 86, wenn sie im Lichte des Grundsatzes der Rechtssicherheit ausgelegt würden, verlangten, daß ein Verhalten nicht nach Artikel 86 verboten sein könne, wenn es als freigestellt im Sinne von Artikel 85 Absatz 3 anzusehen sei. Das Gleichgewicht zwischen der Gewährleistung von Rechtssicherheit für die Unternehmen und der Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs werde in diesem Fall durch die Befugnis der Kommission, die Freistellung zurückzunehmen, sichergestellt.

33 Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Gewährung einer Freistellung, die mit der Befugnis der Kommission verbunden sei, diese Freistellung zurückzunehmen, bei den Unternehmen die berechtigte Erwartung wecke, daß sie nicht Gefahr liefen, wegen eines Verstosses gegen die Artikel 85 und 86 belangt zu werden, solange die Kommission nicht die Entscheidung getroffen habe, die Freistellung zurückzunehmen.

34 Im Gegensatz zur Kommission vertritt die Klägerin die Ansicht, daß Rechtssicherheit nicht dadurch erreicht werden könne, daß das Unternehmen ein Negativattest beantrage. Das Erfordernis eines solchen Antrags würde die Effektivität der Gruppenfreistellung beeinträchtigen, zu deren Hauptfunktionen es gehöre, es den Unternehmen zu ermöglichen, Vereinbarungen ohne Rücksprache mit der Kommission zu schließen und durchzuführen. Daß das Negativattestverfahren nicht denselben Grad an Sicherheit biete wie die Freistellung, zeige sich daran, daß unter den Kartellen, die gemäß der Verordnung Nr. 2349/84 freigestellt seien, mehrere Vereinbarungen aufgeführt seien, die normalerweise nicht unter Artikel 85 Absatz 1 fielen. Die Kommission habe dies mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen gerechtfertigt ( Randnr. 18 der Präambel und Artikel 2 der Verordnung ). Die Klägerin führt insbesondere aus, daß ein Antrag auf Erteilung eines Negativattests nicht ausschließe, daß eine Geldbusse wegen eines Verhaltens verhängt werden könne, das nach der Antragstellung, aber vor der den Verstoß feststellenden Entscheidung liege (( Entscheidung 85/79/EWG der Kommission vom 14. Dezember 1984, John Deere ( ABl. L 35, S. 58, Randnr. 38 ) )). Ausserdem sei die Vereinbarung vor nationalen Gerichten möglicherweise nicht durchsetzbar, solange die Untersuchung der Kommission andauere. Schließlich sei das Negativattest für nationale Gerichte auch nicht bindend.

35 Die Kommission trägt dagegen vor, das System der Gruppenfreistellungsverordnungen - einschließlich der Vorschriften, die auf das Bestreben zurückgingen, den Unternehmen Rechtssicherheit zu gewährleisten - betreffe nur die Anwendung des Artikels 85. Artikel 86 stelle ein Verbot auf, das von dem Zeitpunkt an anwendbar sei, in dem der Verstoß begangen werde; Rechtssicherheit könne, wie der Gerichtshof im Urteil in der Rechtssache 85/76 ( Hoffmann-La Roche, a. a. O., Randnr. 134 ) ausgeführt habe, hinsichtlich der Anwendung dieses Artikels dadurch erlangt werden, daß ein Antrag auf Erteilung eines Negativattests gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 gestellt werde.

36 Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes bekräftigt, nach denen die Gemeinschaftsgesetzgebung klar und für den Betroffenen vorhersehbar sein muß (( Urteil vom 12. November 1981 in den verbundenen Rechtssachen 212/80 bis 217/80, Salumi, Slg. 1981, 2735, Randnr. 10; speziell zum Wettbewerbsrecht siehe insbesondere die Urteile vom 6. April 1962 in der Rechtssache 13/61, Bosch, Slg. 1962, 97, 112 f., und vom 30. April 1986 in den verbundenen Rechtssachen 209/84 bis 213/84, Asjes (" Nouvelles Frontières "), Slg. 1986, 1425, Randnr. 64 )).

37 Es ist daher zu prüfen, ob die Anwendung des Artikels 86 nicht mehr vorhersehbar ist, wenn eine Vereinbarung die Voraussetzungen für eine Gruppenfreistellung erfuellt. Das Gericht stellt hierzu fest, daß die Gruppenfreistellung ausser der Verwaltungsvereinfachung insbesondere dem Ziel dienen soll, den an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen so lange Rechtssicherheit in der Frage der Gültigkeit dieser Vereinbarung nach Artikel 85 zu gewähren, wie die Kommission die Gruppenfreistellung nicht zurückgenommen hat. Die Unternehmen in beherrschender Stellung werden dadurch aber nicht von der Verpflichtung befreit, Artikel 86 zu beachten. Der Gerichtshof hat im Gegenteil in seinem Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81 ( Michelin, Slg. 1983, 3461, Randnr. 57 ) darauf hingewiesen, daß jedes Unternehmen in beherrschender Stellung die "besondere Verantwortung dafür trägt, daß es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt ". Ein Unternehmen kann sich somit nicht unter Berufung auf die angebliche Unvorhersehbarkeit der Anwendung des Artikels 86 dem dort niedergelegten Verbot entziehen.

38 Jedenfalls veranlassten die Erfordernisse der Rechtssicherheit für die Unternehmen, wenn sie auch die Anwendung des Artikels 86 auf den Erwerb der streitigen ausschließlichen Lizenz durch die Klägerin nicht verhindern konnten, die Kommission im vorliegenden Fall insofern dazu, die Folgen der Verletzung für die Klägerin abzumildern, als sie berücksichtigt hat, daß die Verletzungen "relativ neuartig" gewesen seien, und als sie der Klägerin deswegen keine Geldbusse auferlegt hat ( Randnr. 62 Nr. 2 der Entscheidung ).

39 Aus all diesen Gründen ist der zweite Teil des Klagegrundes nicht stichhaltig.

c ) Zum Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts

40 Die Klägerin stützt sich drittens auf den Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Sie trägt vor, wenn Artikel 86 auf ein Verhalten, das unter eine Gruppenfreistellung falle, anwendbar wäre, wären nach dem vom Gerichtshof im Urteil vom 30. Januar 1974 in der Rechtssache 127/73 ( BRT/SABAM, Slg. 1974, 51 ) bekräftigten Grundsatz der unmittelbaren Wirkung des Artikels 86 die nationalen Gerichte dafür zuständig, ein von der Kommission freigestelltes Verhalten nach Artikel 86 zu untersagen. Dies wäre nach Ansicht der Klägerin der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts abträglich, deren Bedeutung der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache 14/68 ( Wilhelm, a. a. O., Randnr. 9 ) betont habe. Die einzige Auslegung des Verhältnisses zwischen Artikel 85 Absatz 3 und Artikel 86, die mit dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Einklang stehe, sei daher die, die Anwendung des Artikels 86 als mit der Freistellung unvereinbar anzusehen.

41 Die Kommission weist darauf hin, daß sich die Argumentation mit der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Wahrheit auf das Hauptvorbringen der Klägerin stütze, Artikel 86 sei auf ein Verhalten, das unter eine Freistellung falle, nicht anwendbar; die Prämisse der Argumentation der Klägerin sei daher falsch. Ausserdem sei die Frage der Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch nationale Behörden im vorliegenden Fall von untergeordneter Bedeutung und von rein hypothetischer Natur. Jedenfalls könne die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Falle einer Gruppenfreistellung durch die Anwendung des Artikels 177 EWG-Vertrag sichergestellt werden.

42 Das Gericht stellt hierzu fest, daß die Verbotsvorschriften des Artikels 86 nach ständiger Rechtsprechung "unmittelbare Wirkung (( haben )) und... Rechte der einzelnen (( begründen )), welche die nationalen Gerichte zu wahren haben" ( Urteil vom 30. April 1974 in der Rechtssache 155/73, Sacchi, Slg. 1974, 409, Randnr. 18; siehe auch die Urteile in der Rechtssache 127/73, BRT/SABAM, a. a. O., Randnr. 16, und in der Rechtssache 66/86, Säed, a. a. O., Randnr. 32 a. E.). Soweit das Gemeinschaftsrecht die Anwendung des Artikels 86 auf eine Vereinbarung erlaubt, die als solche nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt ist, kann daher die Zuständigkeit des nationalen Gerichts für die Anwendung des Artikels 86 nicht deshalb beschränkt sein, weil die streitige Verhaltensweise unter eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 fällt. Denn anders als in der von der Klägerin angeführten Rechtssache Wilhelm stellt die Anwendung des Artikels 86 auf ein Verhalten, für das eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 gilt, die Grundsätze des Vorrangs und der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts nicht in Frage. Das nationale Gericht handelt bei Anwendung des Artikels 86, insbesondere wenn es ihn auf ein nach Artikel 85 Absatz 3 freigestelltes Verhalten anwendet, als Gericht, das normalerweise für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständig ist. Es wendet in Wirklichkeit - wozu es nach dem Vorrang und der unmittelbaren Wirkung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln verpflichtet ist - lediglich die Grundsätze an, die im Gemeinschaftsrecht für das Verhältnis zwischen Artikel 85 Absatz 3 und Artikel 86 gelten. Daher ist die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts - im vorliegenden Fall des Artikels 85 Absatz 3, der zu seiner Durchführung erlassenen Vorschriften und des Artikels 86 - bei Anwendung des Artikels 86 durch ein nationales Gericht auf ein Verhalten, das nach Artikel 85 Absatz 3 freigestellt ist, durch das Vorabentscheidungsverfahren zur Auslegung gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vollständig gewährleistet.

43 Der dritte Teil des Klagegrundes ist demzufolge nicht stichhaltig.

44 Aus all diesen Erwägungen folgt, daß die Klage abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 des bereits genannten Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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